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15. Wahlperiode
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   97. Sitzung

   Berlin, Donnerstag, den 11. März 2004

   Beginn: 9.00 Uhr

   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Präsident Wolfgang Thierse:

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

   Die Fraktion der CDU/CSU hat nunmehr gemäß § 20 Abs. 2 Satz 3 der Geschäftsordnung fristgemäß beantragt, die heutige Tagesordnung um den Antrag zu erweitern, die von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie von der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe eines Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuss zu überweisen. Der Überweisungsantrag ist gestern unerledigt geblieben. Die Abstimmung findet im Anschluss an die Tagesordnungspunkte statt, die ohne Aussprache beraten werden.

   Die von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen beantragte Aktuelle Stunde zum Thema „Pläne der CDU/CSU zu Einschränkungen im Arbeits- und Tarifrecht“, die wegen der Aufhebung der gestrigen Sitzung nicht mehr aufgerufen wurde, findet im Anschluss an Tagesordnungspunkt 5 gegen 14 Uhr statt.

   Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in einer Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Pläne der CDU/CSU zu Einschränkungen im Arbeits- und Tarifrecht

ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer Brüderle, Gudrun Kopp, Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Für einen wirksamen Wettbewerbsschutz in Deutschland und Europa

- Drucksache 15/760 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 3 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren

(Ergänzung zu TOP 22)

Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin Rehbock-Zureich, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Albert Schmidt (Ingolstadt), Volker Beck (Köln), Franziska Eichstädt-Bohlig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Die Bahnreform konsequent weiterführen

- Drucksache 15/2658 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache

(Ergänzung zu TOP 23)

a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Deutschen Richtergesetzes

- Drucksache 15/1471 -

(Erste Beratung 66. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
(6. Ausschuss)

- Drucksache 15/2676 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Simm
Joachim Stünker
Ingo Wellenreuther
Jerzy Montag
Rainer Funke

b) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der FDP: Die parlamentarische Dimension des euromediterranen Barcelona-Prozesses mit der Euromed PV stärken

- Drucksache 15/2660 -

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ursula Heinen, Gerlinde Kaupa, Maria Eichhorn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Verbesserung der Maßnahmen zum Schutze der Kinder und Jugendlichen vor Alkoholsucht

- Drucksache 15/2646 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung

ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Griefahn, Eckhardt Barthel (Berlin), Siegmund Ehrmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Antje Vollmer, Claudia Roth (Augsburg), Ursula Sowa, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Auswärtige Kulturpolitik stärken

- Drucksache 15/2659 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Haushaltsausschuss

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Günter Nooke,
Dr. Friedbert Pflüger, Bernd Neumann (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik stärken

- Drucksache 15/2647 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

   Von der Frist für den Beginn der Beratung soll - soweit erforderlich - abgewichen werden.

   Des Weiteren sollen der Tagesordnungspunkt 4 b - Keine neue Regulierungsbehörde -, der Tagesordnungspunkt 12 a und b - Öffentlich-private Partnerschaften -, der Tagesordnungspunkt 15 - Justizmodernisierungsgesetz - sowie der Tagesordnungspunkt 21 b - Einsetzung eines Untersuchungsausschusses - abgesetzt werden.

   Die Beratung des Telekommunikationsgesetzes - Tagesordnungspunkt 17 - soll vorgezogen und am Freitag um 9 Uhr aufgerufen werden.

   Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 a bis d auf:

a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung

Die neue Bundeswehr - auf richtigem Weg

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer Arnold, Reinhold Robbe, Ulrike Merten, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Alexander Bonde, Winfried Nachtwei, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Durch Transformation die Bundeswehr zukunftsfähig gestalten

- Drucksache 15/2656 -

Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss (f)
Auswärtiger Ausschuss

c) Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU

Für eine moderne Bundeswehr als Pfeiler einer verlässlichen Sicherheits- und Verteidigungspolitik Deutschlands

- Drucksache 15/2388 -

Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss (f)
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Günther Friedrich Nolting, Jürgen Koppelin, Helga Daub, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr herstellen - Wehrpflicht aussetzen

- Drucksache 15/2662 -

Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss (f)
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundesminister der Verteidigung, Peter Struck.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dr. Peter Struck, Bundesminister der Verteidigung:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundeswehr hat in ihrer bald 50-jährigen Geschichte wesentlich zur längsten Friedensperiode in der jüngeren Geschichte unseres Landes beigetragen. Heute ist sie als Institution bei den Bürgerinnen und Bürgern anerkannter denn je. Sie genießt bei den Menschen hohes Ansehen. Das gilt nicht nur in Deutschland.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)

   Durch die Auslandseinsätze ist das Ansehen der Bundeswehr in der Völkergemeinschaft gestiegen, sowohl bei unseren Partnern als auch bei den Menschen in Bosnien, im Kosovo und in Afghanistan. Unsere Soldatinnen und Soldaten überzeugen dort durch hohes Engagement beim Wiederaufbau und beim Erhalt des Friedens. Die Bundeswehr ist zu einem wichtigen Botschafter Deutschlands geworden.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)

Sie ist Botschafter eines Deutschlands, das seine Verantwortung in der Völkergemeinschaft annimmt und wesentliche Aufgaben bei der internationalen Friedenssicherung wahrnimmt. Um dies auch weiterhin leisten zu können, muss sie weiterentwickelt werden.

   Die Bundeswehr des 21. Jahrhunderts nimmt Gestalt an. Die neuen Aufgaben sind identifiziert. Die konzeptionellen Grundlagen sind geschaffen, die wesentlichen Entscheidungen getroffen. Der neue Kurs ist eingeschlagen. Wir sind mit diesem neuen Kurs auf dem richtigen Weg.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Die Transformation der Bundeswehr, unter der ich den umfassenden und fortlaufenden Prozess der Ausrichtung von Streitkräften und Verwaltung auf die sich auch weiterhin verändernden Herausforderungen verstehe, ist aus drei Gründen unerlässlich:

Erstens. Die Sicherheitslage hat sich entscheidend verändert. Deutschland wird absehbar nicht mehr durch konventionelle Streitkräfte bedroht. Unsere Sicherheit wird nicht nur, aber auch am Hindukusch verteidigt, wenn sich dort Bedrohungen für unser Land wie im Fall international organisierter Terroristen formieren. Im Übrigen wird unsere Sicherheit - um auf den Kollegen Schmidt einzugehen - natürlich auch in Hindelang verteidigt. Ich kann allerdings gegenwärtig dort beim besten Willen keine aktuelle Bedrohung erkennen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen Gefahren dort begegnen, wo sie entstehen; denn sie können unsere Sicherheit natürlich auch aus großen Entfernungen beeinträchtigen, wenn wir nicht handeln.

   Zweitens. NATO und Europäische Union befinden sich in weitreichenden Prozessen der Anpassung an diese veränderte Situation. Das bringt neue Verpflichtungen für Deutschland auch im militärischen Bereich mit sich. Die Transformation der NATO verlangt eine Transformation der Bundeswehr. Beide müssen in Planung und Vorhaben miteinander übereinstimmen. Wir sind dabei ebenfalls auf einem guten Weg.

   Drittens. Die Einsatzrealität der Bundeswehr hat sich längst der neuen Sicherheitslage angepasst. Die Anforderungen an die Streitkräfte steigen weiter. Das Einsatzspektrum umfasst mittlerweile alle denkbaren Einsatzformen, von der Patrouille am Horn von Afrika durch die Marine über zivil-militärische Projekte bis zur Beobachtung in Georgien. Immer häufiger übernimmt dabei die Bundeswehr auch Führungsaufgaben. Sie wird absehbar einer der größten Truppensteller für internationale Friedenseinsätze bleiben.

   Vor dem Hintergrund der veränderten sicherheitspolitischen Lage musste gehandelt werden. Wir haben gehandelt. Wir haben zunächst die konzeptionellen Grundlagen geschaffen. In den im Mai 2003 erlassenen Verteidigungspolitischen Richtlinien wurden das Aufgabenspektrum der Bundeswehr neu gewichtet und das erforderliche Fähigkeitsprofil für unsere Streitkräfte entwickelt. Daraufhin habe ich im Oktober 2003 einen neuen Kurs für die Reform der Bundeswehr eingeleitet. Das neue Aufgabenspektrum der Bundeswehr verlangt nach Einsatzbereitschaft und Fähigkeiten differenzierte Streitkräfte, die schnell, wirksam und gemeinsam mit Streitkräften anderer Nationen eingesetzt werden können.

   Sämtliche relevanten Parameter - operative Vorgaben, Strukturen, Organisation, Kräfte, Ausrüstung und Standorte - wurden deshalb mit einem klaren Ziel überprüft: Die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr für die wahrscheinlichsten Einsätze, nämlich Konfliktverhütung und Krisenbewältigung einschließlich des Kampfs gegen den internationalen Terrorismus, ist konsequent und nachhaltig zu erhöhen. Das wird unsere Streitkräfte künftig noch besser in die Lage versetzen, unseren Beitrag zur Unterstützung von Bündnispartnern, zur Sicherung des Friedens und zur Wahrung der außenpolitischen Handlungsfähigkeit Deutschlands zu leisten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Das wird auch die Fähigkeit der Bundeswehr stärken, zum unmittelbaren Schutz Deutschlands sowie seiner Bürgerinnen und Bürger beizutragen. Der Schutz Deutschlands bleibt eine Kernaufgabe der Bundeswehr. Er hat sogar eine neue, umfassendere Bedeutung gewonnen; denn neben der unwahrscheinlicher gewordenen Landesverteidigung im herkömmlichen Sinne ist der Schutz unserer Bevölkerung und lebenswichtiger Infrastruktur vor terroristischen und asymmetrischen Bedrohungen zu gewährleisten. Im Januar dieses Jahres habe ich die wichtigsten Entscheidungen und Wegmarken des neuen Kurses öffentlich vorgestellt. Sie sind weitreichend und zukunftsweisend. Die Weichen für die Bundeswehr dieses Jahrhunderts sind gestellt.

   Erstens zu den Umfängen: Die Umfänge werden neu festgelegt. Die neuen Umfangszahlen stehen in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben und den internationalen Verpflichtungen unseres Landes. Der Umfang liegt bei 250 000 aktiven Soldatinnen und Soldaten im militärischen Bereich und bei 75 000 Stellen für die zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir werden die Reduzierung des Zivilpersonals sozialverträglich gestalten. Es wird keine betriebsbedingten Kündigungen geben.

Zweitens zu den neuen Kräftekategorien: Bis zum Jahr 2010 wird die neue Bundeswehr nach völlig neuen Kräftekategorien gegliedert. Es wird Eingreifkräfte, Stabilisierungskräfte und Unterstützungskräfte geben. Diese unterscheiden sich in Struktur, Ausrüstung und Ausbildung und sind dadurch optimiert für das veränderte und differenzierte Einsatzspektrum.

   Die Eingreifkräfte sind vorgesehen für multinationale, streitkräftegemeinsame und vernetzte Operationen hoher Intensität und kürzerer Dauer, vor allem im Rahmen der Friedenserzwingung. Ihr Einsatz wird im Rahmen der schnellen NATO-Eingreiftruppe oder der EU-Eingreiftruppe erfolgen. Außerdem können Operationen zur Rettung und Evakuierung in Kriegs- und Krisengebieten durchgeführt werden. Ihr Umfang beträgt insgesamt 35 000 Soldaten.

   Die Stabilisierungskräfte sind vorgesehen für streitkräftegemeinsame militärische Operationen niedriger und mittlerer Intensität und längerer Dauer im breiten Spektrum friedensstabilisierender Maßnahmen. Darunter fallen das Trennen von Konfliktparteien, die Überwachung von Waffenstillstandsvereinbarungen, das Ausschalten friedensstörender Kräfte oder auch das Durchsetzen von Embargomaßnahmen. Ihr Umfang beträgt insgesamt 70 000 Soldaten. Dies ermöglicht den zeitlich abgestuften Einsatz von bis zu 14 000 Soldaten, aufgeteilt auf bis zu fünf verschiedene Einsatzgebiete.

   Die Unterstützungskräfte sind vorgesehen für die umfassende, streitkräftegemeinsame und durchhaltefähige Unterstützung der Eingreif- und Stabilisierungskräfte sowie für den Grundbetrieb der Bundeswehr, einschließlich der Führungs- und Ausbildungsorganisation. Ihr Umfang beträgt 147 500 Dienstposten.

   Mit der Einnahme dieser neuen Strukturen wird Deutschland in der Lage sein, seine internationalen Verpflichtungen gegenüber den Vereinten Nationen, der NATO und der Europäischen Union nachdrücklich zu erfüllen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Beim Schutz Deutschlands wird es keine Abstriche geben. Hilfeleistungen im Inland werden überwiegend durch Kräfte erbracht werden, die nicht in Einsätzen gebunden und im Inland verfügbar sind. Auch die neue Bundeswehr wird in Katastrophenfällen wie bisher die Hilfe bereitstellen, die unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger von uns erwarten. Nur wird sie nicht, wie manche das wollen, die Hilfstruppe der Polizei. Ich lehne das ab, dazu ist die Bundeswehr nicht da.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Alle Kräfte werden - wie im Fall einer Verschlechterung der politischen Lage - natürlich auch in der Lage sein, das Land zu verteidigen.

   Drittens: die neue Einsatzsystematik. Die Ausrichtung der Bundeswehr auf die wahrscheinlicheren Einsätze geht einher mit einer neuen Einsatzsystematik. Sie löst sich vom bisherigen Kontingentdenken und erfordert stattdessen das Bereitstellen von spezifischen Fähigkeiten für bestimmte, wechselnde Zeiträume. Dies schließt die grundsätzliche Verkürzung der Einsatzdauer auf künftig vier Monate ein. Wir werden keine Stehzeit von sechs Monaten mehr haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU - Jörg van Essen (FDP): Eine alte FDP-Forderung!)

   Abhängig von den Einsatzerfordernissen, der Verfügbarkeit von Kräften und der persönlichen Situation können in Einzelfällen jedoch auch längere oder auch kürzere Stehzeiten festgelegt werden. Meine Erfahrung bei den Besuchen im Einsatz ist, dass gerade so genannte CIMIC-Kräfte durchaus sinnvoll auch länger als sechs Monate eingesetzt werden können.

   Viertens zur Neugestaltung des Grundwehrdienstes: Die allgemeine Wehrpflicht ist fester Bestandteil der neuen Bundeswehr. Der Grundwehrdienst wird allerdings an das veränderte Aufgabenspektrum angepasst.

   Fünftens zur Neuorientierung der Material- und Ausrüstungsplanung: Das für die neue Bundeswehr in den Verteidigungspolitischen Richtlinien festgelegte Fähigkeitsprofil macht eine Neuorientierung auch bei den Rüstungsbeschaffungsvorhaben notwendig. Der entscheidende Maßstab ist die Fähigkeit der Bundeswehr als Ganzer, nicht der einzelnen Teilstreitkräfte. Das alte Kästchendenken muss aufhören und wird aufhören.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir investieren ab sofort in die prioritären Fähigkeiten, das heißt in Führungs-, Informations- und Kommunikationssysteme, in die Fähigkeit zur weltweiten Aufklärung, in die Fähigkeit zum strategischen Lufttransport und zu Mobilität im Einsatz, in die Fähigkeit zum geschützten Transport, in die persönliche Ausstattung und Bewaffnung, in eine Vielzahl von Projekten zur Erhöhung der Wirksamkeit im Einsatz.

(Zuruf von der CDU/CSU: Was denn?)

Wir beschaffen das, was die neue Bundeswehr braucht, und wir streichen Vorhaben, die dem neuen Anforderungsprofil und dem streitkräftegemeinsamen Ansatz nicht mehr entsprechen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Sechstens zum neuen Stationierungskonzept: Auf der Grundlage der neuen Umfänge und Strukturen wird bis Ende des Jahres ein neues Stationierungskonzept vorliegen. Durch das Ressortkonzept Stationierung 2001 ist bereits entschieden worden, die Zahl der Standorte von circa 600 auf rund 500 zu reduzieren. Der neue Kurs wird zur Schließung von weiteren etwa 100 Standorten führen. Dies bedeutet weitere schmerzliche Einschnitte. Mir ist bewusst, dass viele Bürgerinnen und Bürger in den Stationierungsorten trotz erheblicher Belastungen immer zu ihren Soldaten gestanden haben, aber wir haben keine Alternative. Die entscheidenden Kriterien für die Stationierung sind militärische und funktionelle Notwendigkeiten sowie die betriebswirtschaftliche Verantwortbarkeit.

   Meine Damen und Herren, mit diesen Kernelementen der neuen Bundeswehr erreichen wir folgende wesentliche Ziele:

   Erstens. Wir entwickeln die Fähigkeiten der Bundeswehr so, dass sie der neuen Qualität der sicherheitspolitischen Herausforderungen entsprechen: in der internationalen Gefahrenabwehr und der Krisenbewältigung genauso wie beim umfassenden Schutz Deutschlands und seiner Bürgerinnen und Bürger.

   Zweitens. Wir optimieren die Fähigkeiten der Bundeswehr als Ganzer und setzen konsequent einen streitkräftegemeinsamen Ansatz um. Nur so ist gewährleistet, dass die Bundeswehr integraler Teil des sicherheitspolitischen Transformationsprozesses der NATO und der Europäischen Union bleibt. Dabei bleiben die Streitkräfte ein Instrument der Politik und unterliegen natürlich der kontinuierlichen Anpassung.

   Drittens. Wir stellen die Bundeswehrplanung auf eine realistische und tragfähige finanzielle Grundlage. Die mittelfristige Finanzplanung gibt der Bundeswehr Planungssicherheit. Wir beschaffen, was die Sicherheitslage und die Aufgaben der Bundeswehr verlangen. Die Investitionsquote wird auf mittlere Sicht weiter erhöht werden. Dazu trägt auch die für das Jahr 2007 vorgesehene substanzielle Erhöhung des Verteidigungshaushaltes um rund 1 Milliarde Euro bei. Darüber hinaus bleiben alle im Zuge der Bundeswehrreform durch mehr Effizienz und Wirtschaftlichkeit erzielten Einsparungen dem Verteidigungshaushalt erhalten.

   Bei unseren Bemühungen um mehr Effizienz und Wirtschaftlichkeit in der Bundeswehr sind wir sehr weit vorangekommen. Die Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb, abgekürzt GEBB, hat bereits erhebliche Einsparpotenziale erschlossen, die auch in Zukunft zur Effizienzsteigerung in den Streitkräften beitragen werden. Ich möchte bei dieser Gelegenheit betonen, dass in der Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und Wirtschaft wie zum Beispiel bei dem IT-Projekt Herkules die private Seite beweisen muss, dass sie solch anspruchsvolle Vorhaben auch durchführen kann.

(Zuruf von der CDU/CSU: Stolpe lässt grüßen!)

   Meine Damen und Herren, gegenüber diesen von mir skizzierten, unabdingbar notwendigen Entscheidungen zur Schaffung einer leistungsfähigen Bundeswehr nehmen sich die Vorstellungen der Opposition rückwärts gewandt und unrealistisch aus.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU - Widerspruch bei der FDP)

Es geht gegenwärtig um grundsätzliche sicherheitspolitische Weichenstellungen, über die ausführlich im Parlament debattiert werden muss. Ich bin froh, dass wir heute damit beginnen.

(Günther Friedrich Nolting (FDP): Das hätten Sie auch eher haben können!)

Der Kollege Schmidt hat in diesem Zusammenhang der Regierung öffentlich unterstellt, die Sicherheitsvorsorge in Deutschland abzuschaffen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Da hat er Recht!)

Dieser Vorwurf ist in jeder Hinsicht haltlos. Sie sollten ihn zurücknehmen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Umgekehrt lässt sich aber mit Fug und Recht behaupten, dass das, was die Union zu dieser Debatte beiträgt, wenig geeignet ist, die Sicherheit des Landes zu erhöhen.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU - Zuruf des Abg. Eckart von Klaeden (CDU/CSU))

Wer den Eindruck erweckt, er könne Verteidigungspolitik gänzlich ohne Blick auf die verfügbaren Ressourcen gestalten, gibt sich als politischer Traumtänzer zu erkennen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer noch immer glaubt, auf eine konsequente Neuausrichtung der Bundeswehr verzichten zu können, und gleichzeitig mit unrealistischen finanziellen Annahmen Verteidigungspolitik betreibt, wird es niemals schaffen, Aufgaben und Mittel zu harmonisieren und die Bundeswehr auf die Erfordernisse des 21. Jahrhunderts einzustellen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Genau das ist aber unsere gemeinsame Aufgabe. Hierzu brauchen wir auch ein gemeinsames Verständnis von Sicherheit und Verteidigung in Deutschland. Es geht nicht darum, eine Interventionsarmee aufzubauen und sich, wie manche fälschlicherweise befürchten, ohne Not in die Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen, sondern darum, gemeinsam mit unseren Verbündeten und Partnern für die gemeinsame Sicherheit dort eintreten zu können, wo es notwendig ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dies erwarten zu Recht unsere Verbündeten, auf deren Solidarität wir angewiesen sind. Es entspricht einem zeitgemäßen Verständnis von Sicherheitsvorsorge, das folgerichtig natürlich auch in unserem ureigensten deutschen Interesse liegt.

   Es ist gleichermaßen unredlich und irreführend, den Eindruck zu erwecken, der Schutz deutschen Territoriums würde in irgendeiner Weise vernachlässigt. Das Gegenteil ist der Fall. In den Verteidigungspolitischen Richtlinien habe ich die erweiterte Schutzaufgabe für Deutschland und seine Bürgerinnen und Bürger herausgestellt. Sie reicht von der Landverteidigung im herkömmlichen Sinn über die Abwehr terroristischer und neuartiger Bedrohungen bis hin zur Überwachung des deutschen Luft- und Seeraums.

   Die Bundeswehr ist und bleibt natürlich in die gesamtstaatliche Vorsorgepflicht eingebettet. Unserer Bundeswehr fällt hier im Rahmen der bestehenden Gesetze aufgrund ihrer besonderen Fähigkeiten eine wichtige Rolle zu. Dabei kommen gerade Grundwehrdienstleistende und Reservisten zum Einsatz. Gemeinsam mit dem Innenministerium haben wir mit dem Luftsicherheitsgesetz eine gesetzliche Grundlage für die Ausübung des Air Policing auf den Weg gebracht. Am 1. Oktober 2003 haben wir in Kalkar das „Nationale Lage- und Führungszentrum - Sicherheit im Luftraum“ in Betrieb genommen. Das sind wichtige Schritte, die zeigen, dass wir die neuartigen Gefährdungen von Deutschland ernst nehmen und handeln.

   Wer behauptet, die laufende Reform schaffe eine Zweiklassenarmee, irrt. Wir schaffen eine Bundeswehr, die der streitkräftegemeinsamen Planung, Ausbildung und Einsatzfähigkeit folgt. Dabei ist Differenzierung in Ausrüstung und Ausbildung, die unterschiedlichen Einsätzen entspricht, unerlässlich. Wer mit Blick auf die Ausrüstung eine Anschubfinanzierung fordert, sollte auch sagen, wie und in welchem Umfang er sie bereitstellen will. Hierzu enthält der Unionsantrag überhaupt nichts.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Unterschiedliche Anforderungen verlangen Reaktionsmöglichkeiten durch unterschiedliche Kräfte. Deshalb haben wir die drei genannten neuen Kräftekategorien eingeführt. Nur unter dieser Voraussetzung bleibt die Bundeswehr fähig, sowohl die wichtigen Aufgaben im Inland als auch die Aufgaben im Ausland verantwortungsvoll wahrzunehmen. Die Vorstellung der Opposition von rotierenden Einsätzen der gleichen Kräfte im Inland wie im Ausland führt zu Überforderung und Missachtung des differenzierten Aufgabenspektrums. Nicht jeder Verband muss alles können.

   Ein solcher Ansatz ist im Übrigen nicht mit den künftigen Aufgaben der Wehrpflichtigen, wie sie auch die Union vorsieht, vereinbar. Die Grundwehrdienstleistenden sollen künftig noch besser auf Aufgaben sowohl im Inland, zum Beispiel den Schutz Deutschlands, Hilfeleistung in Katastrophenfällen, als auch auf Einsatzunterstützung im Ausland vorbereitet werden. Ihre Einplanung wird entsprechend ihren Vorkenntnissen und beruflichen Qualifikationen optimiert. Das ist im Interesse der Streitkräfte und erhöht natürlich auch die Attraktivität des Wehrdienstes.

   Dies trägt auch einem Grundsatz Rechnung, auf den ich großen Wert lege: Die Bundeswehr will ihren Nachwuchs gewinnen, nicht kaufen, meine Damen und Herren. Damit ist sie in ihrer Geschichte gut gefahren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ebenso wird sie weiterhin nicht als Dienstleistungsbetrieb für riskante Auslandsaufgaben verstanden werden. Eine Entfremdung zwischen Gesellschaft und Streitkräften darf es und wird es nicht geben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Auch das neue Stationierungskonzept wird die feste Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft nicht beeinträchtigen. Die Opposition fordert in ihrem Antrag pauschal viele Standorte. Diese Forderung ist schlicht unseriös, unredlich und sicherheitspolitisch überhaupt nicht begründbar.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es macht keinen Sinn, an Vorgaben für die Anzahl und Verteilung der Bundeswehrstandorte festzuhalten, die in vergangenen Jahrzehnten sicherlich berechtigt waren, heute aber militärisch nicht mehr notwendig und ökonomisch nicht mehr zu rechtfertigen sind. Weder die gesellschaftliche Einbindung der Bundeswehr noch das Sicherheitsempfinden der Bürger hängt primär davon ab, ob wir 500 oder 600 Bundeswehrstandorte in Deutschland haben.

   Die Motivation der Soldatinnen und Soldaten, den Weg der neuen Bundeswehr mitzugehen, ist hoch. Dies zeigt sich auch im Bericht des Wehrbeauftragten, nach dem sich die Anzahl der Eingaben gegenüber dem letzten Jahr sogar verringert hat. Auch wenn die Anzahl der Eingaben gerade einmal nur gut 2 Prozent der Gesamtzahl der Soldatinnen und Soldaten ausmacht, nehme ich jede einzelne Eingabe sehr ernst, da ich um die ohnehin hohen Belastungen der Soldatinnen und Soldaten - zum Beispiel durch häufige Versetzungen - weiß.

   In den nächsten Wochen und Monaten werden die getroffenen Entscheidungen planmäßig umgesetzt. Der Generalinspekteur der Bundeswehr wird eine neue Konzeption der Bundeswehr als Dokument für die Ausplanung der Strukturen vorlegen. Das Stationierungskonzept wird bis Ende 2004 vorliegen. Das neue Weißbuch wird 2005 folgen. Die Grundlagen für die Transformation der Bundeswehr, die weit über das Jahr 2010 hinausreicht, sind damit gelegt. Damit ist gewährleistet, dass Deutschland auch in Zukunft gemeinsam mit seinen Verbündeten und Partnern seiner gewachsenen außenpolitischen Verantwortung gerecht werden kann, dass Deutschland seine Interessen und seinen Einfluss international - in einer starken NATO, in einer sicherheitspolitisch handlungsfähigen Europäischen Union und in den Vereinten Nationen, die als globaler Ordnungsfaktor unverzichtbar bleiben - geltend machen kann und dass Deutschland in der Lage ist, Friedenspolitik mit der Bundeswehr zu gestalten.

   Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, die Kardinal Meisner kürzlich beim internationalen Soldatengottesdienst in Köln, an dem ich teilgenommen habe, geäußert hat: Diese Bundeswehr ist die größte Friedensbewegung Deutschlands.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile dem Kollegen Wolfgang Schäuble, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundeswehr und ihre Soldatinnen und Soldaten haben in einem halben Jahrhundert gemeinsam mit den Streitkräften unserer Verbündeten einen unverzichtbaren Beitrag für Frieden und Sicherheit für uns alle geleistet. Wir schulden ihnen dafür Dank. Der Satz von Kardinal Meisner, den Sie eben zitiert haben, Herr Verteidigungsminister, findet meine volle und uneingeschränkte Zustimmung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Die Soldaten der Bundeswehr leisten auch heute in vielen schwierigen Einsätzen einen unschätzbar wertvollen Dienst für unser aller Sicherheit. Umso mehr hätte ich mir gewünscht, dass der Bundeskanzler während der Regierungserklärung anwesend ist und an dieser Debatte teilnimmt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dietrich Austermann (CDU/CSU): Wo ist er denn?)

Es ist meines Wissens in den 50 Jahren der Geschichte der Bundeswehr neu, dass ein Bundeskanzler es nicht für nötig hält, an einer solch grundsätzlichen Debatte über die Sicherheit der Bundesrepublik und über die Bundeswehr teilzunehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Widerspruch bei der SPD)

   Das bringt uns unmittelbar zum Kern der Probleme. Wir lesen dieser Tage im Bericht des Wehrbeauftraften und konnten zu Beginn dieser Woche Meldungen über die Auseinandersetzung um weitere Kürzungen im Verteidigungshaushalt lesen.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Ja!)

Der Bundesverteidigungsminister selbst hat gesagt, dass die Bundeswehr weitere Kürzungen nicht mehr verkraften könne. Der Generalinspekteur der Bundeswehr hat gesagt, wenn weiter gekürzt werde, sei das ganze Reformkonzept Makulatur. Es geht um die Gesamtverantwortung der Bundesregierung, die nicht hinter dem Verteidigungsminister und nicht hinter der Bundeswehr steht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das Problem ist, dass Anspruch und Wirklichkeit dramatisch auseinander klaffen.

Es ist, wie gesagt, eine Frage der Gesamtverantwortung der Bundesregierung. Wir brauchen dringend ein Weißbuch, das in der Gesamtverantwortung der Bundesregierung herausgegeben wird, damit wir einmal erfahren, wo es hingeht, und damit wir nicht ständig mit besänftigenden, täuschenden und ablenkenden Erklärungen vertröstet werden. Jedes Mal wird angekündigt - das war schon bei Herrn Scharping so; bei Herrn Struck ist es genauso -, dass um die notwendigen Mittel gekämpft werde. Hinterher wird die Bereitstellung dieser Mittel wieder nicht erreicht. Ein um das andere Mal sind die Bundeswehr bzw. die Soldatinnen und Soldaten die Leidtragenden und die Verunsicherung in der Truppe - der Wehrbeauftragte hat es dargelegt - wächst.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Ein weiterer Punkt, Herr Bundesverteidigungsminister, wir sind da überhaupt nicht unterschiedlicher Meinung: Es ist doch hocherfreulich, dass sich mit dem Ende des Kalten Krieges die Bedrohungslage für unser Land verändert hat.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Guten Morgen, Herr Bundeskanzler! Sie haben sich verspätet!)

Wir mussten deswegen die Bundeswehr auf neue Herausforderungen vorbereiten. Viele Kapazitäten, die in der Vergangenheit notwendig waren, brauchen wir heute nicht mehr in dieser Größenordnung, in dieser Dimension. Das alles ist richtig. Die Grundlinie dieser Reform ist in wesentlichen Teilen nicht streitig und wird von uns unterstützt.

   Aber eines kann doch nicht richtig sein, nämlich dass die Bundeswehr die Sicherheit unseres Landes - Sie haben eben zu Recht gesagt, dass der Schutz Deutschlands Kernaufgabe der Bundeswehr bleibt - überall auf der Welt schützt, nur nicht in unserem Lande selbst.

(Beifall bei der CDU/CSU - Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

All das, was Sie zur Konzeption der Reform der Bundeswehr vorgetragen haben, läuft darauf hinaus, den Einsatzverbänden - die Armee ist überall in der Welt im Einsatz; das ist notwendig, richtig und unstreitig - die notwendigen Mittel zu geben und sie zu unterstützen. Aber die Antwort auf die Frage, gegen welche Bedrohungen in unserem Lande Vorsorge geleistet werden muss, wird verweigert. Das ist der eigentliche Schwachpunkt dieser Reformkonzeption.

(Beifall bei der CDU/CSU - Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist Ihr Schwachpunkt! - Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Es ist ganz verräterisch: Wenn der Bundesverteidigungsminister oder auch der Außenminister von den Einsätzen der Bundeswehr in Afghanistan oder auf dem Balkan spricht, dann wird immer mit großen, überzeugenden Worten - das ist an sich ganz richtig - von der hervorragenden zivil-militärischen Zusammenarbeit zur Gewährleistung und zum Aufbau von Sicherheit in diesen Regionen gesprochen. Wenn es um die zivil-militärische Zusammenarbeit im Rahmen der Gewährleistung der Sicherheit der Menschen in unserem Lande geht, dann heißt es: Die Bundeswehr darf nicht zur Hilfstruppe der Polizei verkommen. Diese Sprache ist verräterisch. Sie verweigern die notwendige Vorsorge für die Sicherheit.

(Beifall bei der CDU/CSU - Gernot Erler (SPD): Verfassung!)

- Richtig, die Verfassung.

   Um einen nächsten Punkt anzusprechen: Der Bundesverteidigungsminister hat eben ausgeführt, dass die Bundeswehr auch die zur Abwehr von terroristischen oder anderen Bedrohungen aus der Luft - das betrifft die Sicherheit des Luftverkehrs - notwendigen Leistungen erbringen müsse und dass man dazu eine Gesetzgebung auf den Weg bringe.

   Ich komme in diesem Zusammenhang auf den Zuruf im Hinblick auf eine Grundgesetzänderung zurück. Ich habe viele Zitate dabei, in denen der Bundesverteidigungsminister dem Bundeskanzler widersprochen und gesagt hat: Wir kommen um eine Grundgesetzänderung nicht herum. - Das ist auch richtig. Jeder, der ein bisschen Ahnung von der Verfassung hat, weiß: Ohne eine Grundgesetzänderung ist eine solche Gesetzgebung nicht zu schaffen. Aber Rot-Grün verweigert die notwendige Klärung der verfassungsrechtlichen Grundlagen für einen rechtlich zweifelsfreien Einsatz der Bundeswehr zugunsten der Sicherheit unseres Landes und seiner Bürger. Das ist der Schwachpunkt rot-grüner Politik. Anspruch und Wirklichkeit klaffen unverantwortlich auseinander.

(Beifall bei der CDU/CSU - Gernot Erler (SPD): Verfassungstreue ist nie eine Schwäche!)

- Den Zuruf des Kollegen Erler will ich gerne behandeln; denn er bringt uns vielleicht ein Stück weiter. Es klingt so schön: „Verfassungstreue ist nie eine Schwäche“. Das ist richtig.

(Michael Glos (CDU/CSU): Man kann die Verfassung aber auch verändern!)

Aber, Herr Kollege Erler, wenn Sie selber der Auffassung sind - das ist ja unstreitig -, dass uns die Bundeswehr notfalls vor terroristischen Bedrohungen aus der Luft schützen muss, und wenn alle Verfassungsrechtler und sogar der Verteidigungsminister sagen, man brauche dazu eine Änderung des Grundgesetzes, dann ist es doch kein Ausdruck von Verfassungstreue, wenn Sie sagen: Das regeln wir in einem Gesetz ohne die notwendige verfassungsrechtliche Klarstellung. Das können Sie doch nicht als Verfassungstreue bezeichnen.

(Michael Glos (CDU/CSU): Im Gegenteil!)

So treiben Sie doch Schindluder mit der Verfassung. Das ist doch das Problem.

(Beifall bei der CDU/CSU - Zuruf von der SPD: Sie sollten sich schämen, Herr Schäuble! - Franz Müntefering (SPD): Das war doch richtig mit der Entscheidung, Herr Schäuble! - Gegenruf des Abg. Michael Glos (CDU/CSU): Sie geben sich noch primitiver, als Sie sind! Schämen Sie sich, Herr Müntefering!)

- Lieber Herr Müntefering, ich habe mich gewundert, dass es fast zehn Minuten gedauert hat, bis Sie sich zu der Häme, die ich Ihnen zugetraut habe, bekennen. Das ist schön.

(Franz Müntefering (SPD): Ich habe auf Sie gewartet! Sie müssen doch eine Vorlage dafür geben!)

   Ich sage Ihnen aber mit großer Freude: Diese Bundesregierung und die sie noch schwach tragende Koalition leisten eine derartig verantwortungslose Politik für unser Land, dass mir das Mitwirken an dem Kampf für eine bessere Politik in Deutschland große Freude macht - in der Vergangenheit, in der Gegenwart und in der Zukunft. Sie können sich darauf verlassen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Ich möchte gerne noch einen weiteren Punkt ansprechen, Herr Bundesverteidigungsminister, der mir in Ihrer Konzeption völlig fehlt. Wenn wir bei der Bundeswehr quantitative Veränderungen - auch in der Ausstattung - vornehmen, die wir brauchen und die richtig sind - das ist im Prinzip unstreitig -, dann wird die Zusammenarbeit in Europa auch in der Rüstungsindustrie, in der Rüstungsagentur, umso wichtiger. Wir werden eine hinreichend leistungsfähige wehrtechnische Industrie in Deutschland und in Europa nur bewahren können, wenn wir die rüstungstechnische Zusammenarbeit in Europa qualitativ verbessern und intensivieren. Dazu aber müssen wir die sicherheitspolitische Zusammenarbeit in Europa entscheidend verstärken. Dazu fehlen in Ihrem Reformkonzept alle Ansätze. Wenn wir die Wettbewerbsfähigkeit der wehrtechnischen Industrie in Deutschland und in Europa verloren gehen lassen, dann werden uns auch entscheidende Voraussetzungen für die Bewahrung von Sicherheit in der Zukunft verloren gehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Das bringt mich zu dem Punkt, dass wir uns - was völlig unstreitig ist - in einem noch viel stärkeren Maße als in der Vergangenheit auf die Stärkung integrierter Verbände konzentrieren müssen. Dazu aber müssen wir die notwendigen Voraussetzungen schaffen. Wir brauchen übrigens auch Klarheit. Ich hätte wirklich erwartet, dass in dieser Debatte endlich einmal gesagt wird, was die Bundesregierung eigentlich mit den sieben oder neun britisch-französisch-deutschen Kampfgruppen für schnelle Einsätze - insbesondere in Afrika - mit einer Strärke von jeweils 1 500 Mann vorhat. Schaffen Sie ein wenig Klarheit! Frau Staatsministerin Müller hat vor kurzem gesagt, im Sudan sollten Soldaten eingesetzt werden. Sie ist zurückgepfiffen worden. Jetzt hat der Verteidigungsminister gesagt, die Bundeswehr müsse auch in Afrika mehr Einsätze leisten. Auch das ist wieder halb dementiert worden. Dann hat Frau Müller dieser Tage gesagt, man solle die Entwicklungspolitik ganz auf Afrika konzentrieren. Das passt zu dem Geraune von den britisch-französisch-deutschen Kampfgruppen, die vor allen Dingen in Afrika eingesetzt werden sollen. Ich sage gar nicht Nein dazu. Ich würde aber, verdammt noch mal, gern von der Bundesregierung wissen, was sie eigentlich vorhat und was sie vorbereitet. So kann man doch nicht die Öffentlichkeit hinters Licht führen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Herr Bundesverteidigungsminister, als Sie im vergangenen Jahr bei dem Planspiel der Verteidigungsminister in Colorado waren und sich konkret mit der Frage, wie die NATO Response Force tatsächlich eingesetzt werden kann, beschäftigt haben, haben Sie blitzschnell erkannt: Mit den Bedingungen unserer heutigen parlamentarischen Praxis der Parlamentsbeteiligung an diesen Entscheidungen ist das Problem nicht zu lösen. Deswegen haben Sie eine parlamentarische Sonderbehandlung für integrierte Verbände gefordert. Daraufhin sind Sie zurückgepfiffen worden und heute wird das Thema nicht mehr vorgebracht.

   Wir sind zu vernünftigen, die Rechte des Parlaments und die Verantwortung der Bundesregierung wahrenden Lösungen bereit. Wir wollen integrierte Verbände, weil darin eine bessere Zukunft für die Sicherheit des Landes und für die Leistungsfähigkeit der Bundeswehr liegt. Sie können bei diesem Thema nicht ausweichen. Sie können sich nicht in Colorado Springs zu der Notwendigkeit bekennen, sich dann aber, wenn Sie zurück in Berlin sind, angesichts der Realität von Rot-Grün Ihrer Verantwortung verweigern. Anspruch und Wirklichkeit klaffen zu weit auseinander. Das ist für die Sicherheit unseres Landes auf die Dauer gefährlich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Natürlich leben wir in Zeiten begrenzter finanzieller Handlungsspielräume für Bund, Länder, Gemeinden und auch für die Europäische Union. Das ist völlig unstreitig. Das wird auch in den nächsten Jahren nicht besser, sondern eher noch schwieriger. Das kann im Ergebnis aber doch nicht bedeuten, dass wir Sicherheitspolitik nach Kassenlage betreiben. Vielmehr muss man sich die Frage stellen: Was ist - auch angesichts begrenzter finanzpolitischer Handlungsmöglichkeiten - wirklich notwendig? Wo liegen die Prioritäten für die Sicherheit unseres Landes?

   Das Notwendige müssen wir bereitstellen. Wir müssen zu Prioritätensetzungen fähig bleiben. Sonst werden wir insgesamt - als Regierung wie als Parlament - der Verantwortung für die Sicherheit unseres Landes nicht gerecht. Die Art, wie Sie zwar in Regierungserklärungen über die Probleme der Bundeswehr reden, aber in den Haushaltsverhandlungen zwei Tage später das Gegenteil von dem beschließen, was Sie angekündigt hatten, wird Ihrer und unser aller Verantwortung für die Sicherheit unseres Landes nicht gerecht.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU - Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile dem Kollegen Rainer Arnold, SPD-Fraktion, das Wort.

Rainer Arnold (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Im 21. Jahrhundert steht die internationale Staatengemeinschaft in der Tat vor völlig neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen. Sie befindet sich zurzeit insgesamt in einem Prozess der Anpassung an die aktuelle Bedrohungslage. Das gilt im globalen, transatlantischen und europäischen, aber natürlich auch im nationalen Rahmen. Die Bundeswehr muss und wird sich ändern, weil die Gefahren vielfältiger und unberechenbarer geworden sind.

   Mehr Akteure bedrohen unsere Sicherheit. Neben die staatlichen Akteure sind transnationale Kräfte getreten. Infolge des rasanten Fortschritts der Kommunikationstechnik sind sie in der Lage, auf der ganzen Welt zerstörerische Rollen zu spielen. Zu Recht spricht man von einer Privatisierung der Gewalt.

   Auch die Erscheinungsformen haben sich nachhaltig verändert. Klassische zwischenstaatliche Kriege sind unwahrscheinlicher geworden. Innerstaatliche Konflikte und Bürgerkriege haben an Häufigkeit zugenommen; dies bezeichnen wir als asymmetrische Kriegsführung. In diesem Kontext muss Sicherheitspolitik mehr leisten als Abschreckung und Verteidigung. Deshalb ist Sicherheit in unserem erweiterten Verständnis zu gewährleisten. Sicherheit hat zumeist auch eine ökologische, eine ökonomische, eine soziale, eine kulturelle Dimension. Von all dem lesen wir übrigens in dem Antrag, den die CDU vorgelegt hat, keine einzige Zeile.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Streitkräfte spielen also eine wesentliche Rolle, aber das gilt nicht ausschließlich für diese. Wir haben in den letzten Jahren eines gelernt: Streitkräfte müssen die Voraussetzungen schaffen, damit stabilisierende Kräfte ihre Arbeit tun können. Dies sehen wir im Kosovo; dies sehen wir in Afghanistan. Ohne Bundeswehr könnte dort kein ziviler Aufbau betrieben werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Dazu gehört auch, dass die alte Landesverteidigung in der Tat der Vergangenheit angehört. Durch die NATO-Erweiterung und die vertiefte EU-Integration ist nun wirklich kein Szenario mehr vorstellbar, das unsere Grenzen bedrohte. Trotzdem haben unsere internationalen Verpflichtungen zugenommen. Der Minister weist zu Recht darauf hin: Die Bundeswehr muss daran ausgerichtet werden, welches in Zukunft die wahrscheinlichsten Einsätze sein werden. Die Verteidigungspolitischen Richtlinien vom Mai des vergangenen Jahres führen diese tief greifenden Veränderungen im Umfeld von NATO und EU zu einem ganzheitlichen verteidigungspolitischen Ansatz zusammen.

   Herr Schäuble fragt: Was bereitet die Bundeswehr vor? Man könnte auch fragen: Wann setzen wir Soldaten ein? Auch Soldaten fragen uns dies gelegentlich. Ich denke, diese Fragen sind beantwortet: Es gibt eine europäische Sicherheitsstrategie, die Maßstab auch für unser nationales politisches Handeln ist.

   Wir setzen Soldaten ein, wenn es darum geht, Völkermord zu verhindern. Wir setzen Soldaten ein, wenn es darum geht, Stabilität in Europa und an den Rändern Europas zu wahren. Und - ich bekenne mich ausdrücklich dazu - wir setzen Soldaten auch ein, wenn es darum geht, deutsches Gewicht in den europäischen Integrationsprozess einzubringen. Ohne das Engagement der deutschen Bundeswehr hätte die wichtige Arbeit der Deutschen von der Lösung des Kosovokonflikts über die Verhandlungen über Afghanistan auf dem Petersberg bis hin zu der jetzigen Initiative für den Mittelmeerraum überhaupt nicht stattfinden können. Die Gründe für den Einsatz von Soldaten sind also klar.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Dieses Engagement bleibt multinational eingebettet. Bei genauem Hinsehen wird man erkennen, dass alle anderen NATO-Partner im Augenblick ähnliche strukturelle Änderungen durchmachen. Wir waren gestern in Brüssel und haben gehört, dass man dort sehr aufmerksam auf dieses deutsche Modell schaut, das in vielen Bereichen sogar Vorbildcharakter für andere Staaten hat. Die Erweiterung der EU und der NATO stellt eine Chance dar, diesen Harmonisierungsprozess mit Blick auf eine gleichmäßigere Aufgabenverteilung zwischen den Streitkräften der einzelnen Nationen auf mehrere Schultern voranzubringen.

   Wir wissen aber auch, dass wir Fähigkeitslücken haben, die geschlossen werden müssen. Auch in Europa müssen Redundanzen minimiert werden. Wir wollen multinationale Ansätze bei der Aufgaben- und Rollenverteilung, aber auch das Pooling von Fähigkeiten - gemeinsame Aufklärungs- und Transportfähigkeiten - weiter voranbringen.

   Was wollen wir also mit diesem Transformationsprozess neu gestalten? Es ist klar geworden, dass wir nicht mehr das Gesamtspektrum aller Waffen und Geräte verfügbar halten müssen. Was wir im Verbund einsetzen können, müssen wir auch gemeinsam organisieren. Wir müssen den den Teilstreitkräften gemeinsamen Ansatz sowohl national als auch multinational deutlich stärken.

   Die Einsätze der Bundeswehr haben aufgrund der hohen Professionalität unserer Soldaten eine große internationale Anerkennung gefunden; dies wurde immer wieder bestätigt. Wir haben in den letzten Jahren die Reform gerade in den Bereichen, in denen die Soldaten Schutz und Kommunikation brauchen, engagiert vorangetrieben. Es stimmt eben nicht, dass wir Soldaten in Einsätze schickten und dort allein ließen. Die Soldaten im Einsatz haben von uns alles erhalten, was uns die militärische Führung vorgeschlagen hat. Dies ist ganz wichtig.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Mit dem neuen Ansatz, 35 000 Eingreifkräfte für Frieden schaffende Maßnahmen aufzustellen, leisten wir - auch im internationalen Zusammenhag - einen angemessenen Beitrag. Es ist natürlich neu, dass gerade das Heer nicht mehr nach dem Motto lebt, jeder müsse alles haben und alles können. Nein, diese 35 000 werden mit modernsten Geräten ausgestattet sein und in der Lage sein müssen, die vernetzte Operationsführung in den nächsten Jahren zu praktizieren. Die 75 000 Stabilisierungskräfte sind uns besonders wichtig, weil sie auch ein Stück weit profilbildend für die Bundeswehr sind. Was die deutschen Soldaten in den Einsatzgebieten leisten, ist vorbildlich und findet Anerkennung. Wir haben unseren Dank und unseren Respekt vor diesen Frauen und Männern auch hier im Plenum deutlich zum Ausdruck zu bringen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Nun reden Sie bei diesem Wandel natürlich auch vom Geld. Zunächst einmal sage ich Ihnen: Gelegentlich macht Knappheit klug.

(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

Manches von dem, was der Minister mit Blick auf die Steigerung der Wirtschaftlichkeit mit der GEBB und mit vielen neuen Projekten aufs Gleis gesetzt hat, wäre nie gelungen, wenn wir nicht auch dem ökonomischen Druck ausgesetzt gewesen wären.

(Günther Friedrich Nolting (FDP): Das ist eine Logik!)

   Ich lasse aber an einem überhaupt keinen Zweifel: Die Einhaltung der jetzigen mittelfristigen Finanzplanung ist aus Sicht der Bundeswehr zwingend notwendig. Nur so wird dieser Transformationsprozess bis zum Jahr 2010 erfolgreich abgeschlossen werden können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Wenn man der Union heute genau zugehört hat, dann hat man den Eindruck gewinnen müssen, es gehe ihr nur um das Geld sowie darum, ob die Bundeswehr künftig auch im Inneren eingesetzt wird. Herr Kollege Schäuble, das ist bei dem Transformationsprozess der Bundeswehr nicht das Wichtigste.

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Arnold, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Daub?

Rainer Arnold (SPD):

Ja, klar.

Helga Daub (FDP):

Herr Kollege Arnold, Sie waren gestern auch mit in Brüssel. Sie haben darauf Bezug genommen, dass das Heer nicht mehr alle Aufgaben selbst erledigen muss, sondern im Verbund tätig werden soll. Haben Sie in Brüssel nicht auch gehört, dass dort im Hinblick auf die Ausstattung des Einzelplans 14 größte Sorgen bereitet, dass die Bundesrepublik Deutschland im Verbund mit der NATO möglicherweise Fähigkeiten verlieren wird?

Rainer Arnold (SPD):

Ja, Frau Daub. Allerdings habe ich auch gehört, wer das gesagt hat: der Botschafter der Vereinigten Staaten bei der NATO. Ich sage hier sehr offen, dass ich manchmal folgenden Eindruck habe: Wenn unsere amerikanischen Freunde mehr Geld für die Streitkräfte einfordern, dann vergessen Sie, einen zweiten Halbsatz deutlich zu sagen. Sie tun dies nämlich - das denken Sie sich dann -, damit die amerikanische Rüstungsindustrie noch mehr Bestellungen erhält.

(Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Quatsch! Das ist doch Blödsinn!)

   Wir haben auch mit unseren französischen Freunden gesprochen; denn, Frau Daub, in diesem Zusammenhang lohnt sich ein Blick auf den französischen Haushalt. Wenn man vom französischen Verteidigungsetat die Kosten im Nuklearbereich und für die Gendarmerie abzieht, dann kommt als Ergebnis exakt die Summe heraus, die wir für die Bundeswehr zur Verfügung stellen.

(Ulrike Merten (SPD): Richtig! Genau! Das muss man auch mal sagen!)

In dieser Hinsicht stehen wir also gar nicht so schlecht da.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das, was hier immer wieder erzählt wird, ist wirklich ein Märchen. Sich an Frankreich und Großbritannien zu orientieren, das halte ich schon für sinnvoll - nicht mehr, aber auch nicht weniger.

(Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Atomprogramm! Vorsicht!)

   Lassen Sie uns aber über den Bereich Inneres sprechen. Herr Schäuble, ich finde, Sie haben etwas ganz Schlimmes getan.

(Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Oh, oh!)

- Ja.

(Siegfried Scheffler (SPD): Wieder einmal!)

Sie haben die Aufgaben, die unsere Soldaten im Ausland hervorragend erfüllen, gegen Ihre Position ausgespielt, indem Sie gesagt haben, dass sie auch im Inneren mehr eingesetzt werden sollen.

(Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Das ist doch Schwachsinn, was Sie erzählen!)

Dies wird der gesamten politischen Bewertung nicht gerecht.

(Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Ach!)

Denn es muss doch einmal klar gemacht werden: Die Aufgabenstellungen, die die deutschen Soldaten im Ausland bewerkstelligen, haben unmittelbar etwas mit der Wahrung der inneren Sicherheit in Deutschland zu tun. Sie dürfen beides nie und nimmer gegenüberstellen.

(Beifall bei der SPD)

   Aber im Inneren bestehen klare Regeln. Auch ist es doch nicht so, dass die Bundeswehr nichts darf. Sie darf zum Beispiel Amtshilfe leisten und im Katastrophenfall helfen. Allerdings darf sie sich im Zuge der Amtshilfe selbst keine neuen Aufgaben anmaßen. Mir scheint aber, dass Sie exakt dies wollen. Wir sind bereit, mit Ihnen über die Bereiche, in denen die Polizei die dort anfallenden Aufgaben strukturell bedingt nicht erfüllen kann - ich meine zum Beispiel National Air Policing oder die Bekämpfung von Terrorismus auf hoher See -, zu sprechen. Wenn wir hier ohne Verfassungsänderung zu einer Regelung kommen würden, hielte ich das für besser. Aber wir wollen nicht, dass Soldaten auf den Straßen oder an Bahnhöfen zum Schutz ziviler Einrichtungen Polizisten ersetzen. Genau dies steckt aber hinter der Initiative, die die vier Länder in den Bundesrat einbringen werden. Das werden wir auf gar keinen Fall mitmachen.

   Es ist schon merkwürdig, dass der baden-württembergische Innenminister Schäuble die Präsenz der Polizei in der Fläche reduziert und gleichzeitig sagt, dass er die Unterstützung der Bundeswehr braucht.

(Gernot Erler (SPD): Es ist wirklich bemerkenswert, was die vorhaben!)

Das kann man natürlich nicht machen. Auch in anderen unionsregierten Ländern spart man bei der Polizei und streicht ihre Mittel, ruft gleichzeitig aber nach Unterstützung durch den Bund. Das ist der eine Punkt.

   Ein anderer Punkt wiegt aber noch schwerer - darüber müssen Sie noch einmal nachdenken -: Wollen Sie wirklich, dass 19-jährige junge Männer nach einer Ausbildung, die nur wenige Wochen gedauert hat, auf der Straße stehen, Infrastruktureinrichtungen schützen und innerhalb von Sekunden entscheiden müssen, ob sie einer Bedrohung ausgesetzt sind und ihre Waffe einsetzen müssen? Um das tun zu können, lernen Polizisten einige Jahre. Soldaten lernen es bei der Ausübung von Wach- und Schutzaufgaben, allerdings innerhalb ihrer Liegenschaften, auf denen klare Spielregeln gelten. Wer dort eindringt, weiß, was passiert. Aber auf einem Bahnhof kann ein 19-jähriger junger Mensch diese Entscheidung nach einer so kurzen Ausbildung nicht treffen.

(Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): Was ist denn mit denen vor der amerikanischen Botschaft da vorne?)

Was Sie hier vorschlagen, ist zudem aus sicherheitspolitischen Gründen völlig unverantwortlich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dietrich Austermann (CDU/CSU): An allen Kasernen stehen Soldaten!)

   Ich bin sicher, dass der Innenminister alles, was getan werden muss, eingeleitet hat: eine bessere Vernetzung von Polizei, Bundesgrenzschutz und Bundeskriminalamt, um bessere Dienste leisten zu können. Hier bestand Nachholbedarf. Das alles ist aber auf einem guten Weg. Dadurch wird letztendlich die Sicherheit gestärkt.

(Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): Ach, deswegen sollte das BKA umziehen! Das verstehe ich! Das ist Ihre Form der Vernetzung!)

   Vielleicht haben Sie bei Ihrem Vorschlag aber auch einen anderen Hintergedanken. Vielleicht wollen Sie die allgemeine Wehrpflicht über den Heimatschutz begründen.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Wäre das falsch?)

Dafür taugt er aber nicht. Die Wehrpflicht ist für die Bundeswehr und vielleicht sogar für unsere gesamte Gesellschaft der bessere Weg. Sie aber über den Heimatschutz zu begründen wäre, wie Sie zu Recht zurufen, falsch.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Wieso?)

   Das wäre aus zwei Gründen falsch. Die Verfassung definiert genau, wozu wir eine Armee aufstellen und Wehrpflichtige einziehen dürfen.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Ja, zur Verteidigung!)

Bräuchten wir die Bundeswehr im Inneren, könnte die Verfassung uns sogar die Türe dafür öffnen, dass der Innenminister für den Bundesgrenzschutz Wehrpflichtige einzieht; das wäre sogar möglich. Falls es notwendig wäre, wäre es sicherlich auch die bessere Entscheidung.

   Ich fürchte eines: Über diese Legitimation die Wehrpflicht zu retten verkehrt sich zum Schluss ins Gegenteil. Die Akzeptanz der Wehrpflicht würde sinken, wenn Wehrpflichtige in Zukunft auf Bahnhöfen stehen und Polizisten ersetzen müssten. Sie zerstören also mit Ihrem Vorschlag die Akzeptanz der Wehrpflicht in unserer Gesellschaft und bei den jungen Menschen. Das halte ich wirklich für extrem schädlich und falsch.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Trotz aller Kritik, die Sie heute mit Ihrem Papier geübt haben, gibt es auch eine Chance. Sie sind - wie so häufig in den letzten Wochen, wenn Sie über politische Konzepte diskutiert und solche vorgelegt haben - hinreichend ungenau geblieben. Sie sagen nicht, woher das zusätzliche Geld kommen soll. Es ist schon witzig, wenn eine Partei weitere Steuersenkungen im Umfang von Milliarden verspricht, aber zugleich für die Bundeswehr neue Mittel in beliebiger Höhe fordert.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Schmidt hat wenigstens eine Zahl genannt: 2 Milliarden Euro. Aber auch er sagt nicht, wo sie herkommen sollen! Sie sind auch hinreichend ungenau, wenn es darum geht, den Gesamtumfang der Streitkräfte zu definieren.

   Ich sehe das alles jetzt einmal positiv: Ihre Ungenauigkeit bietet auch eine Chance für die Debatten, die wir in den nächsten Wochen in den Ausschüssen führen müssen, dass Regierung und Opposition die Reform gemeinsam, im Dialog, mit klarem Blick und konstruktiv begleiten. Dabei geht es nicht nur um dieses Politikfeld. Ich denke, es wäre ein entscheidendes politisches Signal gegenüber den Soldaten und den Zivilbeschäftigten, wenn sie sehen würden, dass wir ihnen in den letzten Jahren nicht nur viel Arbeit und lange Trennungen von den Familien zugemutet haben, sondern dass sich dieses Parlament auf einen Weg einigt, wie die Streitkräfte zum Schluss fähiger, besser ausgestattet und beweglicher werden.

   Das Ziel dieser Reform - davon bin ich überzeugt - wird im Jahr 2010 erreicht werden. Die Bundesregierung hat mit diesem Transformationsprozess ein in sich schlüssiges Konzept vorgelegt und sie hat klare Meilensteine bestimmt; der heutige Tag war nur einer der Informationsschritte. Der Minister hat in der Vergangenheit die weiteren Feinplanungen vorgelegt und wird dies auch in der Zukunft tun. Am Ende dieses Transformationsprozesses wird die Bundeswehr moderner, leistungsfähiger und aufgabenorientierter sein. Wenn Regierung und Opposition darüber miteinander in ein gutes Gespräch kämen, würde sich das aus meiner Sicht lohnen.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich Ihnen Folgendes mitteilen: Gerade erreichen uns Nachrichten aus unserem europäischen Nachbarland Spanien, dass sich dort auf Bahnhöfen der Hauptstadt Madrid und in Vorortzügen eine ganze Serie von Explosionen mit einer bisher unbekannten Anzahl von Toten ereignet hat. Bei jeder neuen Meldung wird eine größere Anzahl von Toten ermittelt. Dies ist wahrscheinlich eine Serie von Anschlägen, wenige Tage vor den dortigen Parlamentswahlen.

   Ich glaube, in Ihrer aller Namen zu sprechen, wenn ich unser Entsetzen und unsere Abscheu über diese Taten und unsere wirkliche Betroffenheit und unser Mitgefühl mit dem spanischen Volk und dem spanischen Parlament ausdrücke.

   Nun erteile ich dem Kollegen Wolfgang Gerhardt, FDP-Fraktion, das Wort.

Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die schreckliche Nachricht, die Sie uns übermittelt haben, sollte uns allen klar machen, dass wir auch heute keine der normalen Debatten über Sicherheits- und Verteidigungspolitik führen wie etwa im Umfeld von Haushaltsberatungen. Die Debatte muss schon auf den Kern der großen Veränderungen in der Verfassung und der Zielrichtung der Arbeit der Bundeswehr abzielen, die besprochen werden muss.

   Ich bedaure etwas, dass sie so spät hier im Parlament besprochen wird, denn die Wahrnehmungen und die Veränderungen begleiten uns seit Jahren. Die Entscheidungen, die der Bundesverteidigungsminister getroffen hat - deren einen Teil wir begrüßen, deren anderen wir aber mit kritischen Anmerkungen versehen wollen -, hätten es verdient gehabt, dass sie hier früher besprochen worden wären.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Zunächst will ich aber die Gemeinsamkeiten festhalten; auch sie gehören in die Debatte um die Bundeswehr. Man nimmt ungern - jedenfalls trifft das auf mich persönlich zu - die Wendung „Man ist stolz auf etwas“ in den Mund. Aber ich möchte angesichts der langen Tradition der Bundeswehr hinsichtlich der Wahrnehmung ihrer Aufgaben sagen: Meine Bundestagsfraktion und ich selbst sind auf die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr stolz.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Sie haben ihre Arbeit hervorragend gemacht. Sie haben uns durch ihre schlichte Existenz und durch die Art, wie sie die sicherheitspolitische Visitenkarte der Bundesrepublik Deutschland nach innen wie nach außen gezeigt haben, geschützt. Sie haben uns Sicherheit gewährt.

   Eine weitere Bemerkung der Zustimmung zu Beginn, Herr Bundesverteidigungsminister: Die Bundestagsfraktion der FDP stimmt einem großen Teil der Verteidigungspolitischen Richtlinien hinsichtlich dieser neuen Verantwortung im internationalen Bereich zu. Es ist wahr: Es gibt nach dem Zusammenbruch der alten bipolaren Welt neue internationale Unübersichtlichkeiten. Sie schreiben, die sicherheitspolitische Lage erfordere eine auf Vorbeugung und Eindämmung von Krisen und Konflikten zielende Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die das gesamte Spektrum sicherheitspolitisch relevanter Instrumente und Handlungsoptionen umfasse und - das ist ein ganz wichtiger Punkt - auf gemeinsames Handeln mit Verbündeten aufbaue. Diese Aussage ist unzweifelhaft richtig. Sie wird von allen Kolleginnen und Kollegen der Bundestagsfraktion der FDP geteilt.

(Beifall bei der FDP)

Das möchte ich zu Beginn meiner Rede sagen. Darüber führen wir keine kontroverse Debatte.

   Wir alle sind uns klar darüber, dass kein Land seiner geopolitischen Verantwortung, die vielleicht auch aus seiner geographischen Lage resultiert, entgehen kann. Ein Wegducken hilft angesichts der Bedrohungen nicht weiter. Wir alle wollen natürlich auch weiterhin über den Einsatz der Bundeswehr mit einer Kultur der Zurückhaltung entscheiden - das ist richtig -, aber wir alle haben mittlerweile gelernt, dass ein reines Zivilmachtkonzept zur Lösung der Probleme der Welt nicht ausreicht. Immer ist die Kombination notwendig, auch in der Glaubwürdigkeit der Notwendigkeit des militärischen Einsatzes als des letzten Mittels, wenn man Menschen davon abhalten muss, andere Menschen zu bedrohen, sie umzubringen und Genozide und Menschenrechtsverletzungen zu begehen. Ich sage das deshalb, weil in Deutschland eine lange innenpolitische Diskussion darüber stattgefunden hat. Heute sagen viele - allerdings eher mit Ängstlichkeit - , dass die Glaubwürdigkeit militärischer Abschreckung eben auch dem Schutz von Menschenrechten dienen kann.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Manche Zivilmachtkonzepte versagen. Das haben wir auf dem Balkan gesehen. Es ist deshalb richtig, dass es in den neuen Richtlinien nicht mehr nur um die Wahrung der Integrität der Staatsgebiete unserer NATO-Verbündeten geht - Sie, Herr Bundesverteidigungsminister, haben in der Regierungserklärung gesagt, es sei nicht mehr die alte Landesverteidigung, sie werde in den Richtlinien ein Stück zurückgestuft, auch rhetorisch -, sondern auch um diie internationale Konfliktlösung.

   In diesem Zusammenhang möchte ich allerdings auch etwas zu dem Punkt Reden und Handeln sagen: Wenn es, wie Sie sagen, internationale Konfliktlösungen nur im gemeinsamen Handeln mit Verbündeten gibt, dann sollte man aus dem politischen Feld der Bundesrepublik Deutschland auch jeden Satz vermeiden, der wie leise Sirenenklänge antiamerikanischer Ausrichtung im Umfeld eigener europäischer Anstrengungen klingt. Zur politischen Führung der Bundesrepublik Deutschland gehört auch, unseren Bürgerinnen und Bürgern zu vermitteln, dass alles andere außer dem transatlantischen Bündnis purer Leichtsinn wäre. Es gibt dazu keine Alternative, auch nicht in den sicherheitspolitischen Anstrengungen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Man muss europäische Sicherheitspolitik definieren; man muss sie transatlantisch einbetten und zur politischen Führung bereit sein. Wir brauchen ein Stück weit ein neues Fundament im transatlantischen Bereich. Es gibt keinen ausreichenden Konsultationsrahmen und keine ausreichenden Konsultationsanstrengungen von beiden Seiten, einen gemeinsamen Sicherheitseinsatz zu definieren, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen und darüber zu sprechen, bevor Entscheidungen fallen.

Sicherheitspolitik ist - auch das will ich in dieser Debatte sagen - beileibe nicht nur ein militärischer Ansatz. Wenn man sich heute von Experten eine prozentuale Einschätzung dazu geben lässt, dann sagen die meisten, militärische Intervention mache vielleicht nur 20 Prozent der eigentlichen Lösung aus. Die Konfliktverhütung und die Nachsorge sind der weitaus überwiegende Anteil. Trotzdem sind die 20 Prozent entscheidend, um überhaupt eine Chance zu haben, dass Genozide verhindert werden, dass Menschen nicht übereinander herfallen und dass es überhaupt zu einer Nation-Bildung kommen kann. Ich erwähne das, weil wir in den Verteidigungspolitischen Richtlinien ähnliche Hinweise haben. Wir müssen uns aber klar werden, dass ein konzentrierter militärischer Einsatz zwar wichtig ist, er allein aber nicht zur Lösung der Probleme führt. Daneben muss die Fähigkeit zur Vor- und Nachsorge in den entsprechenden Konfliktbereichen, die es auf dieser Welt gibt, entwickelt werden.

   Herr Bundesverteidigungsminister, nach vielen Gemeinsamkeiten will ich nun mit zwei Punkten allerdings auch darauf hinweisen, dass begründete Zweifel bestehen, ob die Verteidigungspolitischen Richtlinien und die Ziele, mit denen die FDP übereinstimmt - dazu gehört die Notwendigkeit des internationalen Engagements -, mit dem vorliegenden Handwerkszeug in Form des Budgets auch wirklich glaubwürdig untermauert werden.

(Günther Friedrich Nolting (FDP): Wohl wahr!)

Diese Zweifel sind erlaubt.

(Beifall bei der FDP)

Ich sage sogar: Sie selbst und die militärische Führung der Bundeswehr wissen das. Alles, was einem ans Ohr dringt - all diese Dinge stimmen -, macht die begründete Kritik, die ich jetzt hier übe, sehr glaubwürdig.

   Wenn Sie weiterhin bei den globalen Minderausgaben bleiben und keine wirklichen Anstrengungen unternehmen, ein realistisches Budget vorzulegen, dann können Sie den Veränderungsprozess der Bundeswehr nicht glaubwürdig gestalten. Sie sagen sehr emotional - ich komme gleich noch dazu -, Sie wollten keine Soldaten kaufen. Damit ist die Frage der Wehrpflicht gesellschaftspolitisch nicht ausreichend beantwortet. Sie wollen eine neue Struktur. Wenn Sie die Soldatinnen und Soldaten vor gewaltige internationale Aufgaben stellen, dann haben diese auch ein Anrecht darauf, dass die jeweilige Bundesregierung das haushaltsmäßig glaubwürdig untermauert. Ansonsten ist das nicht sehr überzeugend. Das tun Sie nicht.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Wer den Mängelbericht des Wehrbeauftragten liest, der muss einer Bemerkung von Herrn Feldmeyer in der „FAZ“ von gestern sehr zustimmen. Er sagte, der Mängelbericht bewege sich in der Nähe eines Zustandsberichts der Bundeswehr.

(Günther Friedrich Nolting (FDP): So ist es!)

Bei der gewaltigen Aufgabe, die Sie sich aufladen und die sich das Parlament eigentlich mit auflädt, wollen wir das nicht Wirklichkeit werden lassen.

   Herr Bundesverteidigungsminister, in den Verteidigungspolitischen Richtlinien machen Sie die Wehrpflicht durch eine Art - wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf - Überwinterungsstrategie zukunftsfähig. Sie sagen, die alte Landesverteidigung gebe es nicht mehr. Sie wollen aber an der Wehrpflicht festhalten, weil es Katastrophenschutzfälle und die Notwendigkeit gibt, infrastrukturell einzugreifen. Sie können vieles heranziehen, nach meiner Überzeugung reicht eine allein gesellschaftspolitische Verantwortung als Begründung für die Wehrpflicht am Ende aber nicht mehr aus.

(Beifall bei der FDP)

   Die Begründung ist gut, aber nicht ausreichend. Ich gehe auch nicht polemisch gegen überzeugende gesellschaftspolitische Befürworter der Wehrpflicht an, weil ich selbst gerne zu ihnen gehören würde, wenn Wehrgerechtigkeit die Konsequenz wäre und wenn die junge Generation auch wirklich eingezogen werden würde.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Es gibt nicht die Auseinandersetzung darüber, was uns lieber wäre. Es gibt schlicht und einfach die Auseinandersetzung darüber, was noch geht.

   Ich stehe heute hier und sage auch an die Reihen der rot-grünen Koalition, die mich im letzten Jahr lautstark angegangen ist, als ich das gesagt habe: Ich vermute, Sie selbst wissen, dass die Wehrpflicht bei den vorliegenden Daten infrage zu stellen ist. Die Daten belegen nämlich eindeutig, dass mehr als die Hälfte der Wehrpflichtigen gar nicht mehr einberufen wird, dass die Haushaltsstellen nicht ausreichen, um die Wehrdiensttauglichen einzuziehen, und dass für diejenigen, die den Zivildienst gerne leisten würden, nicht genügend Stellen zur Verfügung stehen. Damit lastet auf der jungen Generation eine Ungerechtigkeit, die durch solche Überwinterungsstrategien nicht ausgeglichen werden kann.

(Beifall bei der FDP)

   Es gehört eben auch zu den ethischen Prinzipien eines Rechtsstaates, dass er an der Wehrpflicht nicht mehr festhält, wenn der mit ihr verbundene Eingriff in die Lebensplanung einer Minderheit weder zur Gewährleistung der Sicherheit des Landes noch zur Aufgabenerfüllung der Bundeswehr notwendig ist. Ich trage hier die schlichte Wahrheit vor.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nun kann jemand gesellschaftspolitisch dagegen sein und sagen, er habe eine andere Überzeugung, er wolle keine Soldaten kaufen. Das ist richtig und das respektiere ich. Die Wirklichkeit entzieht dieser Argumentation aber den Boden.

   Eines will ich politisch hinzufügen: Wir haben der Bundeswehr zu danken. Sie ist eine Armee in einer Demokratie. Wir wissen, dass wir die Streitkräfte nicht ohne Blick auf die Geschichte eines Landes bewerten können, aber auch ohne die Wehrpflicht wäre die Parlamentsarmee gesichert.

(Beifall bei der FDP)

   Das Parlament ist Manns genug, um die Führung der Bundeswehr auch in einer anderen Strukturform ins Auge zu fassen. Auch ohne Wehrpflichtarmee würde die militärische Führung der Bundeswehr den Primat der Politik respektieren. Auch ohne Wehrpflichtarmee würden wir an den Prinzipien der Inneren Führung festhalten.

(Zuruf von der SPD: Ja!)

Auch ohne Wehrpflichtarmee kann man das, was wir immer als Führungsrekrutierungsreserve diskutieren - bei den Wehrpflichtigen, die diese Fähigkeit zur Erneuerung der militärischen Führung besitzen, liegt sie etwa zwischen 7 und 9 Prozent -, anders organisieren. Auch die Weizsäcker-Kommission hat uns das vorgeschlagen. Wir können das, wenn wir es wollen.

(Beifall bei der FDP)

   Die Wehrpflichtarmee hat ihre Verdienste gehabt,

(Ulrike Merten (SPD): Immer noch!)

aber sie kann sie so nicht mehr in die Zukunft tragen. Sie hat einen großartigen Beitrag geleistet, aber die Wehrpflicht in ihrer jetzigen Struktur ist am Ende angekommen. In diesem Zusammenhang möchte ich ungern das Wort Vergeudung verwenden. Aber es ist eine gewaltige Inanspruchnahme von Ressourcen. Ich habe mich über alle, auch internationalen, Aufgaben, die Sie beschrieben haben, Herr Struck, unterrichten lassen: In der Bundeswehr müssen immerhin 20 000 Ausbilder für die Wehrpflichtigen eingesetzt werden. Diesen Verbrauch von Ressourcen muss man einmal berücksichtigen.

   Ich sage Ihnen: In der internationalen Aufgabenstellung stimmen wir Ihnen zu. In der Bewertung der Geschichte der Bundeswehr gibt es keine Differenzen. Aber Sie geben mit der Überwinterungsstrategie für die Wehrpflicht der Bundeswehr am Ende keine Zukunft. Sie vergeuden Ressourcen und drücken sich vor überfälligen Entscheidungen. Je später entschieden wird, desto größer wird die Eigendynamik von Fehlentwicklungen. Je später entschieden wird, umso dringender werden Entscheidungen und ihre Umsetzung. Das ist fast das Strukturprinzip rot-grüner Entscheidungen: immer warten und zu spät handeln, immer alles bis zur Neige auskosten, bevor Entscheidungen getroffen werden. Jetzt sollten Sie die neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien in der Wehrstruktur konsequent durchsetzen, um der Bundeswehr eine gesicherte, klar orientierte Zukunft zu geben.

   Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile dem Kollegen Winfried Nachtwei, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, das Wort.

(Ina Lenke (FDP): Sie wollen die Wehrpflicht abschaffen!)

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über Auslandseinsätze der Bundeswehr beschließt der Bundestag inzwischen in der Regel mit einer Mehrheit von 90 Prozent und mehr. Bezüglich der laufenden Bundeswehrreform herrscht weitgehend Stille im Land. Gibt es folglich einen sicherheitspolitischen Konsens in der Bundesrepublik? Ich glaube, das wäre eine Täuschung. Auch wenn Stabilisierungseinsätze wie im Kosovo und in Kabul eine hohe Akzeptanz finden, so würden sich an einem eventuellen Einsatzgebiet Afrika oder gar an einem Kampfeinsatz die Geister wieder deutlich scheiden.

   Dass wichtige Verbündete einen illegalen, auf Lügen gestützten und Terrorismus fördernden Krieg geführt haben, hat - so meine Erfahrung - einen massiven Vertrauensverlust zur Folge gehabt.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Unter einer unionsgeführten Regierung - da kann man wohl sicher sein - wären jetzt Bundeswehrsoldaten auch im Irak eingesetzt. Es gibt also Gründe genug für diese breite und wirklich überfällige Debatte zur Zukunft der Bundeswehr.

   Als das Bundesverfassungsgericht vor zehn Jahren Out-of-Area-Einsätze für verfassungsgemäß erklärte, war die Befürchtung bei vielen in der Gesellschaft und auch bei uns, die deutsche Außenpolitik würde sich militarisieren. Diese Befürchtung hat sich - Gott sei Dank - nicht bestätigt. Die bisherigen Auslandseinsätze waren friedensfördernd, kriseneindämmend und gewaltverhindernd.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Mit der Transformation der Bundeswehr zieht die Bundesregierung insgesamt richtige Konsequenzen aus der veränderten Sicherheitslage und den veränderten Anforderungen. Sie ist zusammen mit den anderen Ressorts der Bundesregierung tatsächlich in umfassende, gemeinsame und vorbeugende Sicherheitsmaßnahmen eingebettet. Richtig ist, dass auf mittlere Frist die Landesverteidigung nicht mehr akut ist und dass die Hauptaufgabe nun in Krisenbewältigung und Krisenverhütung im Sinne von Gewaltvorbeugung besteht. Richtig ist ebenfalls die Differenzierung nach Stabilisierungs-, Eingreif- und Unterstützungskräften. Dieses ist die Konsequenz aus den Erfahrungen der bisherigen Einsätze und den internationalen Verpflichtungen. Die Transformation der Bundeswehr, so wie sie jetzt angegangen wird, ist realistisch und politisch mutig.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Diskussionen und Kritiken der letzten Monate machen aber einige Klarstellungen notwendig und werfen erhebliche Fragen auf. Hauptaufgabe ist die Krisenbewältigung und -verhütung. Diese wird auch unter einem erweiterten Verteidigungsbegriff zusammengefasst. Ich meine, dass ein solcher entgrenzter Verteidigungsbegriff sehr problematisch und auch verunsichernd ist. Fakt ist und bleibt das, was wir auch im Koalitionsvertrag festgestellt haben: Einsätze bewaffneter deutscher Streitkräfte finden ausschließlich auf der Grundlage der Verfassung und des Völkerrechts statt. Das heißt, laut Grundgesetz und Urteil des Bundesverfassungsgerichts sind Einsätze außerhalb der Landesverteidigung nur im Rahmen von Systemen kollektiver Sicherheit zum Zwecke der Friedenssicherung denkbar. Anders ausgedrückt: Bundeswehreinsätze nur für die Ziele der Vereinten Nationen und nach den Regeln der Vereinten Nationen, sonst nichts.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Eine Anmerkung zu den Stabilisierungskräften: Selbsttragende Stabilität kann nur von der ganzen Bandbreite von militärischen, zivilen, polizeilichen und politischen Instrumenten und Mitteln erreicht werden. Die militärische Seite hat nun ihren Kräftebedarf, ihr Leistungsvermögen genauer definiert. Eine solche genauere Kräftedefinition auf der zivilen und polizeilichen Seite steht noch aus. Diese zu erarbeiten wird die Aufgabe der nächsten Monate sein. Dies ist entscheidend für eine kohärente Sicherheitspolitik, zu der wir uns verpflichtet haben.

   Eine Anmerkung zu den Eingreifkräften: Sie sind das schärfste Mittel der Politik für die Startphase von Friedensmissionen, aber auch zur Friedenserzwingung. Das heißt im Klartext: zu Einsätzen kriegerischer Gewalt. Solche sind im Rahmen des UN-Systems und der Bündnisverteidigung nicht auszuschließen. Sie sind aber ein Mittel - dessen muss man sich bewusst sein -, das besonders kostspielig und besonders riskant ist und Menschenleben fordern wird. Zu warnen ist deshalb vor Illusionen im Zusammenhang mit Schnellsteinsätzen. Gedrängt werden muss auf die beschleunigte Stärkung gewaltvorbeugender Fähigkeiten. Diese sind nämlich die nächste Ratio, damit der Einsatz der Ultima Ratio wenn möglich verhindert werden kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): Da stimmen wir zu! Das ist richtig!)

   Mit der Transformation der Bundeswehr wird die Bundesrepublik über ein wachsendes Angebot von interventionsfähigen Kräften verfügen. Damit steigt auch die Nachfrage. Umso wichtiger ist deshalb die Verständigung über klare Rahmenkriterien für Auslandseinsätze. Selbstverständlich ist Militär kein Konfliktlöser. Militärische Einsätze können die Konfliktlösung begleiten, ihre Voraussetzung schaffen. Die Kriterien reichen von der Frage der Dringlichkeit eines solchen Einsatzes für kollektive und deutsche Sicherheit über die völkerrechtliche Legalität bis zur Frage der Verantwortbarkeit von solchen Einsätzen im Hinblick auf die politische Konzeption, im Hinblick auf eigene Kapazitäten und die Risiken.

Die innere Führung mit dem Verständnis von Soldaten als Staatsbürgern in Uniform und der Bundeswehr als Parlamentsarmee ist eine große Errungenschaft der deutschen Demokratie. Sie hat sich in den letzten Jahrzehnten ausgesprochen bewährt. Sie ist auch international hoch angesehen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen uns aber zugleich darüber im Klaren sein, dass in einer Einsatzarmee beides unter Druck steht. Unsere Aufgabe ist es, die innere Führung und die Parlamentsbeteiligung weiterzuentwickeln, um ihre Funktion - nämlich die Einbindung der Streitkräfte in den Rechtsstaat und in die Gesellschaft - zu bewahren und zu gewährleisten.

   In diesem Zusammenhang spielte die Wehrpflicht in früheren Jahren eine große Rolle. Inzwischen spielt sie - das muss nüchtern festgestellt werden - eine immer geringere Rolle. Bevor das Bundesverfassungsgericht die Restwehrpflicht kassiert, weil die Gleichheit der Belastung aus dieser Pflicht de facto nicht mehr gegeben ist, sollte die Politik, so meinen wir, klare Verhältnisse schaffen.

(Ina Lenke (FDP): Wer denn? Die Grünen?)

   Ich komme nun zu den Finanzen. Die Bundesrepublik hat eine gewachsene internationale Verantwortung. Die Wahrnehmung dieser Verantwortung findet bei den Vereinten Nationen, in Krisenregionen und anderswo hohe Anerkennung. Sie ist aber nur mit einer verlässlichen Finanzausstattung der Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik insgesamt zu leisten. Die Transformation der Bundeswehr ist die radikalste Reform der Bundeswehr seit ihrer Gründung. Es geht um nicht weniger als um das künftige Verhalten der Bundesrepublik Deutschland zu Krieg und Frieden. Das bedarf der breiten Debatte und Verständigung in Politik und Gesellschaft, zwischen Bundeswehrangehörigen und Friedensbewegten, mit Kirchen, Wissenschaft und Friedensforschung. Ich hoffe, dass die heutige Debatte hierfür ein Auftakt ist.

   Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Nun hat der Kollege Christian Schmidt, Fraktion der CDU/CSU, das Wort.

Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schöne Grüße aus Bad Hindelang. Ich war erst vor kurzem dort. Es ist in der Tat ein wunderbarer Ort, Herr Minister. Ich lade jeden ein, dorthin zur Kur zu fahren.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Struck guckt, als hätte er es nötig!)

   Ich habe auch gesehen, dass die Menschen dort sehr zufrieden und glücklich sind. Das ist kein Wunder; denn sie leben in einem Freistaat, in dem alle innenpolitischen Aufgaben wunderbar geregelt sind.

(Beifall des Abg. Michael Glos (CDU/CSU) - Zurufe von der SPD: Oh! - Dietrich Austermann (CDU/CSU): Wie viel Prozent hat die SPD da?)

   Ich habe ein Gespräch mit dem Bürgermeister geführt, der mir sagte, dass die Kommune ihre Feuerwehr nicht abgeschafft habe, obwohl es in den vergangenen zwei Jahren nicht gebrannt habe. Seine Darlegung war interessant: Sie rüsten die Feuerwehr sogar so gut aus, dass sie für den Fall des Falles in der Lage ist, zu helfen und zu sichern.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Das ist vernünftig! -Michael Glos (CDU/CSU): So sind die Leute in Bayern!)

Um nichts anderes geht es in der Frage der Sicherheit.

    Wir befinden uns in einer Situation, in der wir nicht mehr dieselbe Gewissheit einer Bedrohung haben, die der Verteidigungsminister Manfred Wörner vor Augen hatte - er hat hervorragend darauf reagiert - und die seine Vorgänger und alle, die bis 1990 verteidigungspolitische Verantwortung getragen haben, von einem gemeinsamen Grundverständnis ausgehend in den parlamentarischen Debatten erörtert haben. Die Grünen nehme ich davon aus; denn sie haben sehr schnell eine andere Linie verfolgt.

(Reinhold Robbe (SPD): Reine Nostalgie, Herr Kollege!)

- Was die Nachfolger angeht, erinnere ich mich noch sehr gut, dass Volker Rühe als jemand diffamiert worden ist, der die Außenpolitik militarisieren will. Heute hören wir, dass das alles nicht eingetreten ist, und man klatscht sich selber auf die Schulter. Heute ist als Ratio zu berücksichtigen, dass die Notwendigkeit und die Struktur der Bundeswehr auch im Einsatz außerhalb unseres Landes begründet liegen. Wenn es die Situation in der ersten Hälfte der 90er-Jahre nicht gegeben hätte, dann wären wir in dieser Frage nicht da, wo wir heute sind.

   Der Kollege Wiefelspütz spricht in diesen Tagen von einer Militarisierung der Innenpolitik. Volker Rühe ist offensichtlich inzwischen bei den Grünen rehabilitiert. Jetzt sagen die Sozis, die Innenpolitik würde militarisiert. Entschuldigen Sie, wenn ich das so drastisch darlege. Was die so genannten asymmetrischen Bedrohungen angeht, bedeutet die Erkenntnis, dass das Thema der Kriege zwischen europäischen Staaten nicht mehr so aktuell ist wie bedauerlicherweise vor 15 Jahren, als es den Ostblock noch gegeben hat, nicht, dass es keine Gefahr mehr gibt und es lediglich um eine Aufgabe der Bad Hindelanger Feuerwehr oder der Polizei geht.

   Jeder möge einen Moment innehalten und darüber nachdenken, was los wäre, wenn in unserem Land etwas geschehen würde, was von der Polizei allein nicht bewältigt werden könnte, und zwar deswegen nicht, weil sie weder die sächlichen Mittel noch die entsprechende Ausbildung hat. Wenn tatsächlich eine Sicherheitslücke entstanden ist, dann wird derjenige, der vor dieses Hohe Haus treten muss, um die Situation zu rechtfertigen, einen schweren Gang gehen. Wenn Vorsorge Sicherheitspolitik ist und wenn Sicherheitspolitik bedeutet, das Undenkbare zu denken und sich dagegen zu sichern, dann erfordert das konsequenterweise den Schluss, den Wolfgang Schäuble gezogen hat, nämlich nicht nur für Sicherheit am Hindukusch zu sorgen, sondern auch im eigenen Lande - das sage ich ganz bewusst - gerüstet und zur Dislozierung in der Lage zu sein. Das sind die zwei Elemente, auf denen unsere Sicherheitspolitik nunmehr beruht. Übrigens, Herr Verteidigungsminister, ich habe nicht gehört, dass Sie hinsichtlich der 100 Standorte, die Sie auflösen wollen, eine Präzisierung vorgenommen haben. Das wollen wir lieber abwarten. Wir müssen auf jeden Fall eine Präsenz der Bundeswehr in der Fläche haben, wenn wir die Bundeswehr als eine Organisation verstehen, die auch zu Hause in der Lage sein muss, schnell zu reagieren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Zur Frage der Finanzen: Wie wir alle bedauere ich es sehr, dass der Bundeskanzler der heutigen Debatte offensichtlich nur eine Stippvisite abgestattet hat. Auch Herr Eichel ist schon weg. Vielleicht reden die beiden ja miteinander. Mein lieber Kollege Arnold, es ist zwar wunderbar, dass ihr unseren Antrag gelesen habt, wenn auch - leider - offensichtlich nicht ganz. Darauf werde ich später noch im Einzelnen eingehen. Aber lest doch wenigstens das, was euer Bundeskanzler Gerhard Schröder mitträgt und unterzeichnet hat, und fragt dann nach den Zahlen! Am 12. Dezember 2003 - Sie können in Wochen und müssen nicht in Monaten rechnen - hat der Bundeskanzler die europäische Sicherheitsstrategie „Ein sicheres Europa in einer besseren Welt“ mit verabschiedet. Sie enthält sicherlich sehr viel Richtiges, kann aber allenfalls nur ein Ansatz sein, um uns mit der transatlantischen Strategie der amerikanischen Seite sozusagen zu vereinen. Unter der Überschrift „Mehr Handlungsfähigkeit“ ist Folgendes zu lesen - das Zitat stammt aus dem Papier, das Bundeskanzler Schröder mit seiner Unterschrift gebilligt hat; vielleicht hat er es sogar selber formuliert -:

Damit wir unsere Streitkräfte zu flexibleren, mobilen Einsatzkräften umgestalten und sie in die Lage versetzen können, sich den neuen Bedrohungen zu stellen, müssen die Mittel für die Verteidigung aufgestockt und effektiver genutzt werden.
(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Was?!)

   Wen meint Gerhard Schröder damit: die Franzosen, die Engländer oder die Italiener? Macht der deutsche Bundeskanzler zwischenzeitlich Aussagen über die Verteidigungshaushalte anderer Länder oder hat er den Verteidigungshaushalt der Bundesrepublik Deutschland gemeint? Es ist ja signifikant, dass er das Thema der heutigen Debatte so dilatorisch bearbeitet. Lieber Peter Struck, bei allem, was Sie zu den Sachfragen ausgeführt haben, hätte ich erwartet, dass Sie sagen: Ich habe die Verteidigungspolitischen Richtlinien vorgelegt; das ist ein Ressortkonzept. Deshalb darf der Bundeskanzler mit mir nicht so umgehen. Das kann er mit seinen Militärs und Beamten machen! - Was sagt denn die Bundesregierung? Hat sie denn überhaupt eine verbindliche Position? Was meint sie zur Frage der Finanzierung? Struck scheitert doch schon an den Türen des Finanzministers.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sein Projekt, die Bundeswehr umzubauen, wird bereits im Jahr 2005 Makulatur sein.

   Ich empfehle: Haltet dem Bundeskanzler das, was er in Brüssel mit verabschiedet hat, unter die Nase und hört bitte auf, zu fragen, wo unsere Finanzierungsvorschläge sind!

   Herr Arnold, wollen Sie etwa den von Ihnen gewählten Bundeskanzler deshalb diffamieren - das werden Sie doch wohl nicht wollen -, weil er keine Deckungsvorschläge gemacht hat? Wenn er sich politisch dazu bekennt - das möchte ich von ihm hier einmal hören -, dann ist das genau die Antwort, die notwendig ist: Man kann Sicherheit nicht so verstehen, als wenn es um die Frage ginge, ob man eine Maut erheben kann oder nicht und ob das System funktioniert oder nicht. Straßenbau kann man vielleicht verschieben; aber Sicherheit kann man nicht verschieben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist der entscheidende Unterschied.

   Es gibt schon ein paar Dinge, über die wir im Zusammenhang mit diesen Fragen intensiver reden müssen. Vom Parlamentsheer wird zwar immer wieder gesprochen; ich habe aber manchmal den Eindruck, dass viele das nicht ernst nehmen. Im Parlament muss über grundsätzliche Veränderungen der Sicherheitsstrategie geredet werden. Es muss auch darüber geredet werden, wie die Umsetzung aussehen soll.

   Wir müssen über die Strategie also noch einmal intensiv reden. Die NATO braucht eine erweiterte, ergänzte Strategie. Sie muss sich gegen neue Bedrohungen schützen und gegen neue Bedrohungen vorgehen, und zwar mit einem Instrumentarium, das nicht nur die Militärs, sondern auch die Diplomaten, die Wirtschaft und die Entwicklungspolitik einbezieht. Von einem Gesamtsicherheitskonzept - in den Verteidigungspolitischen Richtlinien steht: Gesamtverteidigungskonzept - spüre ich nichts.

   Diese Bundesregierung ist doch nicht einmal in der Lage, bevor sie die Bundeswehr ummodelt, in einem Weißbuch zu erklären, wofür sie diese Veränderungen vornimmt. Das liegt - das muss ich ausnahmsweise einmal sagen - nicht am Verteidigungsminister, sondern daran, dass sich in diesem Laden offensichtlich keiner mehr mit dem anderen verständigen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU - Dietrich Austermann (CDU/CSU): Das liegt aber auch am Minister!)

Das ist das große Defizit. Das ist die Bringschuld dieser Regierung mit diesem Bundeskanzler. Ansonsten wird sie den Notwendigkeiten nicht gerecht. Deswegen wiederhole ich: Wer das nicht leistet, legt die Axt an die Sicherheit der Bürger unseres Landes.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Eine Bemerkung zur Frage, wie die Umgestaltung konkret aussehen soll: Ob man die genannte Zahl von 250 000 Soldaten als ausreichend betrachtet, hängt natürlich von den Aufgaben ab. Ich bin durchaus der Meinung, dass man im Rahmen eines sinnvollen Heimatschutzkonzeptes - darauf wird noch eingegangen; wir legen es vor - mehr Soldaten braucht.

   Wenn heute, bei der jetzigen Finanzkonzeption, die Zahl von 250 000 Soldaten auf dem Tisch liegt, dann ist mir schon jetzt klar - ich gebe das ausdrücklich zu Protokoll -, dass diese Bundesregierung dafür sorgen wird, dass die Zahl der Soldaten am Ende - wenn die Regierung am Ende ist - bei 210 000 bis 220 000 liegen wird. Ich gehe davon aus, dass sie ihre internationalen Verpflichtungen deswegen nicht mehr einhalten kann.

   Das Schlimme dabei ist, dass das nicht von allen betrauert wird, sondern dass sich einige die Hände reiben, weil die Ideologie bei dieser Frage noch immer ein Stück weit eine Rolle spielt. Manche in der Koalition sehen eine Zahl von 200 000 Soldaten als notwendiges Übel an. Sie hätten am liebsten gar keine Bundeswehr, weil sie sich mit der Frage der Sicherheit und den bestehenden Herausforderungen nicht anfreunden können.

   Der Kollege Gerhardt hat über die Wehrpflicht gesprochen. 250 000 - - Herr Bundestagspräsident, ich möchte Sie bitten, die dümmlichen Bemerkungen von der Regierungsbank zu unterbinden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn der Außenminister reden will, dann soll er hier ans Pult kommen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn er dumm dazwischenquatschen will, dann soll er es hier sein lassen und woandershin gehen.

(Dr. Uwe Küster (SPD): Das ist ein völlig unparlamentarischer Sprachgebrauch!)

Bei dieser Debatte erwarte ich Ernsthaftigkeit, auch vom Außenminister!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir sind in dieses Haus gewählt worden, um über die Sicherheit unseres Landes zu reden. Wir haben deshalb die Pflicht, uns ernsthafte Gedanken zu machen.

(Michael Glos (CDU/CSU): Der Herr Verteidigungsminister ist doch schon geflohen! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU - Gernot Erler (SPD: Das macht der Außenminister doch gerade! Er sitzt dort und macht sich Gedanken!)

Herr Erler, Sie sagen, dass keine Stabssoldaten der Bundeswehr in NATO-Stäbe irgendwohin entsandt werden sollen. Damit legen Sie natürlich die Axt an die Verlässlichkeit unserer Politik.

(Gernot Erler (SPD): Ich besitze gar keine Axt!)

   Zur Reduzierung der Stärke auf 250 000 und zur Wehrpflicht möchte ich noch eines sagen: Wer nur 250 000 Soldaten halten will, weil er mehr nicht finanzieren kann, nicht deswegen, weil er mehr nicht für sicherheitspolitisch notwendig hält, der wird die Wehrpflicht aushöhlen. Ich stimme in der Analyse dem, was Kollege Gerhardt sagt, zu. Ich bin ein Vertreter der Wehrpflicht, weil ich glaube, dass es für die Wehrpflicht Begründungen gibt. Wer es ernst meint mit der Wehrpflicht, der muss für Wehrgerechtigkeit sorgen und eine Legitimation für diesen Eingriff in die Freiheit des Einzelnen haben, die auch trägt. Herr Erler, Sie sagen, die Verfassung sei so wichtig. Ich kann Ihnen darauf nur entgegnen: Mit der Bundeswehr, die Sie konzipieren, können Sie Wehrpflichtige kaum mehr einsetzen. Sie sprechen zwar von Einsätzen am Hindukusch, aber am Hindukusch ist ja wohl kein Verteidigungsfall gegeben. Sie bewegen sich also in einer Grauzone. Deswegen sollten Sie bereit sein, sich mit uns zusammenzusetzen und die Dinge neu zu ordnen, und zwar anders, als Sie es vorhaben. Vielleicht hilft dabei auch der Außenminister mit, indem er sagt, welchen Beitrag er zum Weißbuch leisten will. Ich habe davon noch nichts gehört.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Reinhold Robbe, SPD-Fraktion.

Reinhold Robbe (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Deutschland liegt heute in der Mitte des europäischen und nordatlantischen Stabilitätsraumes. Eine existenzielle konventionelle militärische Bedrohung ist zumindest auf absehbare Zeit nicht erkennbar. An dieser Tatsache ändert sich im Grundsatz auch nichts aufgrund der Auffassung, die Herr Dr. Schäuble hier heute vertreten hat. Gefahren für den Weltfrieden stellen heute der internationale Terrorismus, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, organisiertes Verbrechen und nicht zuletzt regionale Konflikte dar. Bedrohungen und Risiken sind nach dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr geographisch eingrenzbar. Die furchtbaren Anschläge wie die von heute Morgen in Madrid führen uns in schrecklicher Art und Weise vor Augen, dass die Terrorbekämpfung im Mittelpunkt jeglicher Politik stehen muss. Mit Blick darauf muss sich Deutschland militärisch grundsätzlich überall dort engagieren, wo Konflikte entstehen, aus denen Risiken erwachsen könnten, also auch weit über die Grenzen von Europa hinaus, in letzter Konsequenz weltweit.

   Die Vielzahl von Krisen- und Konfliktherden macht offensichtlich, dass eine Nation allein nicht über die erforderlichen Mittel und Fähigkeiten zur Konfliktlösung und Friedenssicherung verfügt. Deshalb war und ist wesentlicher Eckpunkt der Sicherheitspolitik Deutschlands die aktive Mitgestaltung von Entwicklungen im Rahmen der Vereinten Nationen, der NATO und der Europäischen Union. Dies wurde den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses gestern in Brüssel bei einem Besuch der NATO vom dortigen Generalsekretär ausdrücklich bestätigt. Die Weiterentwicklung der militärischen Kapazitäten von NATO und Europäischer Union, die unserer Sicherheit dienen, verlangt von Deutschland notwendigerweise, die Bundeswehr anzupassen und daraus Konsequenzen für die Differenzierung der Streitkräfte sowie für die Qualität und Quantität von Material und Ausrüstung abzuleiten.

   Meine Damen und Herren, die Bundeswehr ist heute eine Armee im Einsatz. Sie engagiert sich weit über die Grenzen Europas hinaus und wird dieses Engagement auf absehbare Zeit auch fortsetzen. Tatsache ist, dass sich das Einsatzspektrum der Bundeswehr gewandelt hat. Das gilt auch für den Charakter der Auslandseinsätze. Angefangen bei den Einsätzen in Kambodscha und Somalia, über die auf dem Balkan bis hin zum militärischen Engagement im Rahmen der Operation Enduring Freedom am Horn von Afrika und im Rahmen der ISAF in Afghanistan hatten und haben die Auslandseinsätze der Bundeswehr ausschließlich den Auftrag der Friedensschaffung, der Friedenserhaltung und der Konfliktprävention.

   Für Afghanistan bedeutet das: Die Unterscheidung zwischen Terrorismusbekämpfung einerseits und Stabilisierungs- und Wiederaufbauarbeit andererseits entspricht der unterschiedlichen Schwerpunktsetzung der Mandate ebenso wie der Wahrnehmung der Interessen der afghanischen Bevölkerung. Mit dem Engagement der Bundeswehr werden unerlässliche Grundlagen für politische und wirtschaftliche Fortschritte geschaffen. Gerade der Einsatz in Kabul und in Kunduz sind dafür maßgebende Beispiele, die für jedermann erkennbar sind und zum politischen und infrastrukturellen Wiederaufbau Afghanistans beitragen. Hier wird deutlich, dass Sicherheitspolitik heute mehr umfasst als reine Verteidigung. Sie konzentriert sich zunehmend auch auf den Wiederaufbau ziviler Strukturen in einer Konfliktregion. - Wir konnten uns als Verteidigungsausschuss vor wenigen Wochen in Kunduz davon überzeugen. Wir haben gesehen, welche hervorragende Arbeit dort geleistet wird. Insofern wird auch die enge Abstimmung mit den Streitkräften anderer Nationen, mit der NATO und vor allem mit der UNO zunehmend wichtiger.

   Am negativen Beispiel des Irakkrieges wird klar, dass das Ziel einer dauerhaften Befriedung und Stabilisierung durch politische und militärische Alleingänge, wenn überhaupt, dann nur sehr schwer zu erreichen ist. Jeden Tag werden uns die Opfer dieses Konfliktes präsentiert. Dies sollte allen Verantwortlichen auf allen Seiten Veranlassung sein, bei künftigen Einsätzen aus gemachten Fehlern die richtigen Lehren zu ziehen.

   Meine Damen und Herren, die Soldaten müssen bestmöglich ausgestattet in den Einsatz gehen. Der Schutz unser Soldatinnen und Soldaten im Einsatz hat oberste Priorität und das muss auch so bleiben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Was die Soldaten im Einsatz benötigen und an Bedarf weitermelden, müssen sie ohne Wenn und Aber bekommen. Insofern ist in besonderer Weise der jeweilige militärische Vorgesetzte vor Ort gefragt, weil er den Bedarf auf der Grundlage seiner Erfahrungen am besten einschätzen kann. Mitentscheidend für die Motivation unserer Soldaten und die Situation der inneren Lage im Einsatzland sind die gleichbleibend hohe Qualität der sanitätsdienstlichen Versorgung im Einsatz und das Wissen der Soldaten um verfügbare ambulante und stationäre Versorgungseinrichtungen mit entsprechenden Evakuierungsmöglichkeiten.

   Vor dem Hintergrund der Wandlung der Bundeswehr zu einer Einsatzarmee berufen sich die Gegner der Wehrpflicht gern darauf, dass insoweit eine höhere Professionalisierung notwendig sei. Das unterstellt, dass es einer Wehrpflichtarmee an Professionalität mangelt. Das Gegenteil ist richtig. Die jungen Menschen, die zu den Streitkräften kommen, bringen ihre Professionalität, ihre Berufe mit. Davon profitiert die Armee. Zudem fordert der ständige Wechsel den Streitkräften ein hohes Maß an Flexibilität ab, eine Fähigkeit, die in der Wirtschaft immer wieder als Beleg für Professionalität angeführt wird.

   Mit ihrem Mix aus Wehrpflichtigen, Zeit- und Berufssoldaten braucht die Bundeswehr den Vergleich mit anderen Armeen nicht zu scheuen. Im Gegenteil, gerade in den Auslandseinsätzen wird die Professionalität unserer Soldaten von ihren ausländischen Kameraden immer wieder bestätigt und sehr geschätzt. Der Anteil der Grundwehrdienstleistenden, die sich als Freiwillige zu einer längeren Wehrdienstzeit verpflichten, macht immerhin 15 Prozent des Personals in den Einsätzen aus; bei den Mannschaften liegt der Anteil sogar bei gut 30 Prozent.

   Meine Damen und Herren, der Grundwehrdienst ist ein entscheidender Faktor zur Regeneration der Streitkräfte. Sie gewinnen ihren Nachwuchs an Zeitsoldaten zu einem Großteil aus der Gruppe der Grundwehrdienstleistenden. Wer die Probleme bei der Nachwuchsgewinnung in den Berufsarmeen anderer Nationen kennt, darf dies nicht als nebensächlich abtun. Dieser Faktor ist nicht nur für die Funktionsfähigkeit der Armee von großem Wert, sondern er sichert ihr darüber hinaus ein breites Spektrum an fachlichen und menschlichen Qualifikationen aus der gesamten Gesellschaft. Übrigens sind die in anderen Nationen mit einer Freiwilligenarmee erhofften Kostenentlastungen, wie immer wieder behauptet wird, nicht eingetreten.

Unabhängig von dem klaren Ja zur Wehrpflicht ist es selbstverständlich, dass über die Ausgestaltung des Grundwehrdienstes in einer sich wandelnden Armee immer wieder neu nachgedacht werden muss. Der Bundesminister der Verteidigung hat deshalb bekanntlich den Auftrag erteilt, die Ausgestaltung zu überprüfen. Bereits im Sommer sollen entsprechende Maßnahmen hierfür greifen.

   Die Mär von einer kleineren, aber dafür schlagkräftigeren Armee mit weniger oder keinen Grundwehrdienstleistenden kann nur verbreiten, wer die Anforderungen und Belastungen einer Armee im Einsatz nicht kennt. Die Auslandseinsätze verlangen der Bundeswehr nicht nur logistisch, sondern auch personell Enormes ab. Die ständigen Kontingentwechsel binden das Dreifache des vor Ort eingesetzten Personals. Der Friedensbetrieb in Deutschland stützt sich deshalb zu einem erheblichen Teil auf die Arbeit grundwehrdienstleistender Soldaten.

   Hinter vielen Argumenten gegen die Wehrpflicht schimmert der Gedanke durch, dass es nicht mehr zeitgemäß sei, junge Menschen für den Staat in die Pflicht zu nehmen. Ich persönlich halte das Gegenteil für richtig: Die allgemeine Wehrpflicht ist Ausdruck der gemeinsamen Verantwortung aller Bürger für unser Gemeinwesen. Diese Verantwortung gilt es gerade in einer Zeit zu fördern, in der der Hang zum Individualismus zu einer großen Beeinträchtigung für unser gesamtes Gemeinwesen werden könnte.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Unsere Soldatinnen und Soldaten haben hinsichtlich der Teilnahme der Bundeswehr an Auslandseinsätzen einen Anspruch auf Rechtssicherheit. An dem von der Verfassung vorgeschriebenen und durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1994 bestätigten so genannten Parlamentsvorbehalt darf auf gar keinen Fall gerüttelt werden. Der Parlamentsvorbehalt und die Praxis der Parlamentsbeteiligung haben sich im Hinblick auf die Konsensbildung im Deutschen Bundestag und in der Öffentlichkeit bewährt. Der Parlamentsvorbehalt ist und bleibt die Grundlage von Auslandseinsätzen. Die Soldaten können davon ausgehen, dass sie im Auftrag der Mehrheit des Parlaments eingesetzt werden.

   Die zügige Verabschiedung eines Parlamentsbeteiligungsgesetzes ist notwendig und wichtig, um die internationale Handlungsfähigkeit Deutschlands sicherzustellen, ohne die Rechte des Parlamentes in irgendeiner Weise einzuschränken. Ziel des Gesetzes muss es sein, die Parlamentsbeteiligung klar und wirksam zu gestalten, die Praxis der bewährten parlamentarischen Informations-, Beschluss- und Kontrollverfahren für die Auslandseinsätze der Bundeswehr fortzuführen und - nicht zuletzt - Rechtsklarheit und Rechtssicherheit zu fördern. Das erwarten die Soldatinnen und Soldaten, insbesondere die im Einsatz, mit Recht von uns.

   Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Thomas Kossendey, CDU/CSU-Fraktion.

Thomas Kossendey (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundeskanzler ist zwar nicht mehr anwesend. Trotzdem möchte ich mit einem Zitat von ihm beginnen. Er hat in seiner Neujahrsansprache gesagt: Wir brauchen ein starkes Deutschland. - Das kann man unterschreiben. Aber ein starkes Deutschland zeigt sich nicht nur in der Wirtschaftskraft und in vielen anderen Dingen, sondern auch in unserem Einfluss auf internationaler Ebene und in dem Ansehen, das wir in der Welt genießen. Unser Einfluss ist stark abhängig von der Verlässlichkeit, mit der wir unsere Zusagen erfüllen, die wir in internationalen Bündnissen gegeben haben. Hier gibt es nach wie vor Defizite.

   Der Austausch der Minister hat nicht viel bewirkt, obwohl es zugegebenermaßen weniger Ungeschicklichkeiten gibt. Nach wie vor gehen die Soldaten und die zivilen Mitarbeiter unserer Bundeswehr durch ein Wechselbad der Gefühle, geprägt von Hoffnungen und Illusionen. Nach wie vor kann Ihnen, Herr Minister, jeder Gefreite, der schon einmal etwas von Adam Riese gehört hat, nachweisen, dass Mittel und Aufgaben der Bundeswehr nicht in Deckung zu bringen sind. Das ist ärgerlich. Auf die Umsetzung des Mottos „Knappheit kann auch klug machen“, das der Kollege Arnold hier verkündet hat, warten wir bei dieser Regierung schon seit fünf Jahren, allerdings bisher ohne Erfolg.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Das ist umso ärgerlicher, als wir viele Projekte, die Sie im Zuge der Bundeswehrreform in Angriff genommen haben, Herr Minister, unterstützen wollen. Vielleicht haben Sie sogar geglaubt, Sie seien mit Ihrem Reformprozess auf dem Boden der Realität gelandet. Ich glaube das nicht. Angesichts der Maßnahmen, die Sie jetzt planen, muss ich sagen, dass Sie sich sozusagen im Treibsand befinden. Es gibt nämlich keine materielle Grundlage. Das Verhängnisvolle ist, dass es keine Sicherheit und keine Verlässlichkeit gibt, weder nach innen noch nach außen.

   Wir haben heute viel von „der Bundeswehr“ geredet. Ich möchte uns allen in das Gedächtnis rufen: Das ist kein seelenloses Gebilde; das sind Soldatinnen und Soldaten sowie zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Erfolg ihrer Arbeit hängt im Wesentlichen von der Motivation ab.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Lassen Sie mich etwas zu den Soldaten sagen. Als Sie, Herr Minister, Ihr Konzept in der Öffentlichkeit vorgestellt haben, haben Sie die Reduzierung auf 250 000 Soldaten mit dem Ausspruch begründet: Klasse statt Masse! Das klingt vielleicht ganz lustig. Aber wie mögen sich diejenigen fühlen, die Sie auf diese Art und Weise apostrophiert haben? Wie viel Verachtung über die Arbeit der Menschen steckt darin, wenn man sagt: „Wir brauchen Klasse statt Masse und daher 35 000 Soldaten weniger“? Ich glaube, damit haben Sie die Soldaten, die ihr Leben für unser Land in internationalen Einsätzen aufs Spiel setzen, nicht richtig gewürdigt. Sie haben sie verletzt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Auch der Bericht des Wehrbeauftragten zeigt sehr deutlich, dass die Soldaten an der Belastungsgrenze angekommen sind. Sie haben den Wehrbeauftragten angesprochen. Ich möchte Ihnen in das Gedächtnis zurückrufen, dass der Wehrbeauftragte in seinem Bericht schreibt, dass die Zahl der Eingaben kaum zurückgegangen ist und dass die derzeitige Zahl proportional die zweithöchste Zahl seit Schaffung des Amtes ist. Man sollte das nicht beiseite wischen. Das ist ein Alarmsignal aus der Truppe, das man nicht ignorieren darf.

   Wer sieht, mit welchem Engagement unsere Soldaten arbeiten - Reinhold Robbe hat gerade sehr ausführlich über Kunduz berichtet -, muss sich umso mehr ärgern, wenn er hört, wie verächtlich manchmal darüber geredet wird. Es kommt in der Tat zu einer Belastung der Soldaten. Bei der Marine sind die Seefahrer mittlerweile mehr als 200 Tage pro Jahr auswärts und nicht am Heimatstandort. Der Wehrbeauftragte hat uns von einem Panzerbataillon berichtet, bei dem von mehr als 500 Soldaten 100 im Ausland waren. Mehr als 90 sind zur Überwachung von Kasernen in Süddeutschland abgeordnet gewesen. Das sind genau die knapp 19-jährigen Soldaten, von denen gerade gesprochen wurde. Ihnen haben wir die Bewachung von amerikanischen Kasernen zugemutet.

(Rainer Arnold (SPD): Innerhalb!)

Das war unsere Beteiligung am Irakkrieg. Auch das muss man deutlich sagen. Dadurch sind zwei Rekrutenjahrgänge nicht mehr am Kampfpanzer Leo 2 ausgebildet worden.

   Genauso gibt es überraschende Erkenntnisse aus Fernmeldebataillonen, wo das notwendige Gerät einfach nicht vorhanden ist. Die Soldaten mussten tagelang Hunderte von Kilometern transportiert werden, um sie zu dem Gerät zu bringen, an dem sie ausgebildet werden sollten. Ich glaube, Herr Minister, da müssen Sie nachsteuern, wenn Sie mit der Bundeswehr auch in Zukunft Erfolg haben wollen. Flotte Sprüche helfen da nicht weiter.

   Ich will noch ein Beispiel nennen, das gut zur Elite-Diskussion der Bundesregierung passt. Unsere Bundeswehruniversität in München wird 900 000 Euro weniger Personal- und 500 000 Euro weniger Sachmittel zur Verfügung haben. Das heißt, Lehrveranstaltungen werden gestrichen und das Studium wird länger dauern. Das wird auch einen Rückgang der Drittmittel nach sich ziehen. Man werfe letztendlich begabte Leute auf die Straße, sagt der Präsident der Universität. - Das zum Thema Elite, das die Bundesregierung zu einem Schwerpunkt ihrer Politik machen wollte.

   Allzu häufig wird vergessen, dass wir in der Bundeswehr neben den Soldatinnen und Soldaten Zivilpersonal haben. Vor einigen Wochen wurde einfach kurz verkündet, man wolle in der Planung das Zivilpersonal von 85 000 auf 75 000 kürzen, ohne dass dem irgendein Konzept zugrunde liegt. Sie haben sich nie Gedanken darüber gemacht, wie viele Zivilbedienstete wir wirklich brauchen. Sie haben gesagt, man wolle optimieren und privatisieren. Aber es gibt keine belastbaren Untersuchungen darüber, wie diese 75 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter qualitativ eingesetzt werden. Es geht ja nicht nur um die Reduzierung um 10 000. Ich darf Sie daran erinnern, dass in die Zahl 85 000 nicht das Personal eingerechnet war, das wir an die Industrie abgegeben haben, während es in die Zahl 75 000 mit eingerechnet werden soll.

   Sie rechnen sich so schön aus, dass man diesen Abbau möglicherweise mit Prämien beschleunigen kann. Ich sehe nicht, woher dieses Geld kommen soll. Ich glaube vielmehr, dass Sie daran noch sehr stark zu knapsen haben werden. Denn der Vertrag, der mit Verdi geschlossen worden ist und in dem betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen worden sind, wird auch für diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gelten.

   Lassen Sie mich auf den Antrag der Sozialdemokraten zurückkommen, über den Sie heute mit uns im Bundestag diskutieren wollen. Da gibt es noch eine Menge an Irritationen. In diesem Antrag steht:

So müssen sich Auftrag, Aufgaben und Fähigkeiten der Streitkräfte konsequent an der ... Sicherheitslage und den ... Verpflichtungen Deutschlands ... orientieren.

Der Minister hat am 13. Januar 2004 bei der Vorstellung seines neuen Reformkurses gesagt: Ich habe angewiesen, die Planungen der Bundeswehr langfristig mit den finanziellen Möglichkeiten in Übereinstimmung zu bringen. - Das scheint mir sachlich ein Unterschied zu sein, auf den wir einmal hinweisen dürfen.

(Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): Ja!)

In dem Antrag der SPD wird auch darauf hingewiesen, dass über den Einsatz der Bundeswehr im Innern gesprochen werden soll. Da steht:

Dies ist Aufgabe der zuständigen Organe der Inneren Sicherheit. Die Bundeswehr wird hierzu im Rahmen der Gesetze Fähigkeiten zur Verfügung stellen.

Das klingt in den Verteidigungspolitischen Richtlinien anders; unter den Ziffern 75 und 80 dieser Richtlinien wird sehr deutlich gesagt, was die Bundeswehr tun soll.

   Herr Minister, die Spatzen pfeifen es ja von den Dächern: Auch Sie sind unzufrieden mit dem Luftsicherheitsgesetz. Auch für Sie wäre es wichtig, ein Gesetz zu haben, in dessen Rahmen sehr viel mehr passiert.

   Lassen Sie mich eines zum Abschluss sagen: Ihre Reform wird scheitern, weil das Geld, das Sie dafür dringend brauchen, nicht vorhanden ist. Ich befürchte, die Bittbriefe, die Sie heute als Verteidigungsminister Struck an den Finanzminister schreiben, wird eines Tages der Finanzminister Struck ablehnend bescheiden und Ihr Nachfolger wird sich im gleichen Dilemma befinden wie Ihr Vorgänger und wie Sie selbst heute.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Alexander Bonde, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Nachtwei hat bereits aus grüner Sicht die sicherheitspolitische Linie und unseren Standpunkt zur Bundeswehrreform kommentiert. Ich will noch einmal betonen, dass die Einsatzrealität der Bundeswehr treffend als „multilateraler Einsatz zur Unterstützung der Vereinten Nationen“ benannt wird und dass wir immer eingebettet in diplomatische und zivile Vorgehensweisen agieren. Von dieser Prämisse geht sowohl der rot-grüne Antrag wie auch die Reform von Bundesminister Struck aus. Ich möchte dem Verteidigungsminister an dieser Stelle ausdrücklich Anerkennung und Dank aussprechen für diese Reform, die wir heute diskutieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Die Bundeswehrreform wird der Einsatzrealität auch unter Struktur- und Haushaltsgesichtspunkten gerecht. Die Transformation der Bundeswehr ist auf den Weg gebracht. Es ist richtig, die Ausrichtung der Fähigkeiten der Bundeswehr an den Wahrscheinlichkeiten der Aufgaben zu orientieren. Mit der Kategorisierung in Eingreifkräfte, Stabilisierungskräfte und Unterstützungskräfte wird es einfacher, die Truppe gezielt einsatzgerecht auszurüsten. Es ist möglich, durch gezielte Ausbildung die Professionalität noch weiter zu erhöhen.

   Natürlich erfordert die Transformation der Bundeswehr zu einer modernen Armee, die zukünftigen Einsatzerfordernissen genügt, die clevere Verwendung der knappen Ressourcen. Der Minister hat mit seinem Haushalt sehr solidarisch zur Konsolidierung des Gesamthaushaltes beigetragen, auch wenn es sehr schmerzhaft war. Ich will aber kein Geheimnis daraus machen, dass Solidarität auch andersherum gefragt sein wird und dass Kabinett und Parlament jetzt die Verantwortung haben, der Bundeswehr die zum Umbau erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen.

   Die Mittel für die Transformation sind gerade im Investitionsbereich aufgrund der hohen vertraglichen Bindungen sehr eingeschränkt. Umso wichtiger ist es - gerade unter dem Aspekt multinationaler Einsätze mit Verbündeten -, eine Priorisierung unserer Fähigkeiten vorzunehmen. Ich finde, wir haben zu wenig darüber geredet, wie sinnvoll gewählt die fünf Fähigkeitskategorien sind: Führungsfähigkeit, Aufklärung, Mobilität, Unterstützung und Durchhaltefähigkeit sowie die Wirksamkeit im Einsatz. Ich finde, diese fünf Fähigkeitskategorien sind mit Bedacht und zu Recht gewählt. Im nächsten Schritt müssen wir diese Fähigkeiten auch in der Beschaffung mit Kriterien unterlegen. Der rot-grüne Antrag, der Ihnen vorliegt, benennt die Kriterien Zukunftsfähigkeit, Bündnisfähigkeit und Netzwerkfähigkeit. An der Stelle will ich ausdrücklich die realistischen Anpassungen der großen Liste der Beschaffungswünsche an die finanzielle Realität und an die Finanzlinie begrüßen, die der Minister bereits gegen große Widerstände vorgenommen hat.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)

   Die Kategorie Führungsfähigkeit findet aufgrund ihrer Abstraktheit in diesem Haus manchmal nicht die Beachtung, die sie eigentlich verdient, charakterisiert sie doch stark die Bundeswehr der Zukunft.

(Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): Das ist richtig! Die Führungsfähigkeit ist hier zweifelhaft!)

Unter der Kategorie Führungsfähigkeit, Herr Schmidt, verbirgt sich die moderne Bundeswehr des Informationszeitalters. Führungs-, Kommunikations- und Informationssysteme werden die Bundeswehr enorm voranbringen. Dabei geht es nicht nur um die Ausstattung mit IT, dahinter verbirgt sich auch der teilweise mit dem Wort oder Unwort „Network Centric Warfare“ umschriebene Umstand der vernetzten Einsatzführung und -wirkung.

   Die Konsequenzen dieser Entwicklung sind heute teilweise nur zu erahnen. Die Wirkung beschränkt sich nicht darauf, dass der Bundeswehr Computer zur Verfügung gestellt werden. Diese Entwicklung bedeutet einen grundsätzlichen Wechsel in der Streitkräftekultur. Es ist eine Frage, die Bundeswehr zeitnah mit Informationen zu versorgen. Die entscheidende Frage ist aber: Wie werden die Informationen gefiltert und ausgewertet? Was wird mit ihnen gemacht? - Meiner Ansicht nach wird dieser Kulturwechsel die eigentliche Herausforderung für die Bundeswehr der Zukunft sein.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der CDU/CSU)

   Ein großer Schritt für die Bundeswehr des Informationszeitalters werden deshalb die Wirkungen des Projekts „Herkules“ sein. Ich hoffe, dass die laufenden Verhandlungen zum Erfolg führen werden. Die flächendeckende Vernetzung der Bundeswehrstandorte und die Vereinheitlichung der genutzten Software werden die Effizienz der Streitkräfte immens steigern. Ich gebe zu: In der öffentlichen Betrachtung ist das kein besonders spektakulärer Punkt. Aber hinsichtlich der Wirkung im Transformationsprozess ist er ganz entscheidend.

   Ein anderer, sehr viel präsenterer Teil der Transformation ist die Absenkung der Personalstärke. Sie wurde bereits angesprochen. Ich sage Ihnen: Sie ist ein wichtiger Schritt zu einer kleineren und professionelleren Armee und eröffnet uns mittelfristig wieder finanzielle Spielräume. Denn die Senkung der Betriebskosten zugunsten der Investitionsmittel ist dringend notwendiger Bestandteil des Reformprozesses, den wir eingeleitet haben und weiterverfolgen müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Dazu gehört - ebenfalls nicht populär, aber notwendig - die Frage der Anzahl der Standorte. Dazu gehört, uns die Perspektive von Public Private Partnership auch im Bereich der Bundeswehr zu erhalten und solche Zusammenarbeitsmöglichkeiten nicht angesichts von Schwierigkeiten zum Beispiel bei der Maut in Bausch und Bogen abzulehnen. Sie erhöhen die Effizienz der Bundeswehr und sind ein wichtiger Bestandteil des Transformationsprozesses.

   Ich will zum Schluss auf Sie, Herr Gerhardt, und den FDP-Antrag eingehen. Sie wissen: Als Grüner hätte ich gerne Ihrem Anliegen, die Wehrpflicht auszusetzen, zugestimmt. Sie haben es mir aber mit Ihrem Antrag sehr leicht gemacht, ihm im weiteren Verfahren nicht zuzustimmen.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Ich habe bei Ihnen auch nicht ernsthaft mit Zustimmung gerechnet!)

- Dann haben Sie die Punkte, die ich jetzt aufführen werde, wahrscheinlich bewusst eingefügt.

   Ihr Antrag hat mindestens zwei Pferdefüße, die ich benennen will. Mir als Haushaltspolitiker erklärt er nicht, woher die Mittel für die abrupte Etaterhöhung im Jahr 2005 stammen sollen. Als Realist muss ich Sie fragen, wie eine Bundeswehrstruktur aussehen soll, die über zehn Jahre nicht verändert werden muss. Wer so etwas fordert, hat die Diskussion über Transformation, die wir jetzt führen, nicht verstanden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Legen Sie doch mal einen eigenen Antrag auf Aussetzung vor! Wir stimmen gerne zu!)

- Dazu kommen wir noch; Sie werden es sehen. Ich finde, der rot-grüne Antrag benennt schon sehr klar die Prüfung, die wir durchführen werden.

   Die Welt verändert sich. Die Bundeswehr wird es sich genauso wenig wie die ganze Gesellschaft leisten können, diesen Umstand zu übersehen. Die Reform von Minister Struck trägt dem verantwortungsvoll Rechnung. Nicht alles, was die Opposition formuliert hat, trägt dem Rechnung. Deshalb werden wir, glaube ich, noch viele spannende Debatten führen. Ich glaube aber, dass es keine verantwortliche Gestaltung der zukünftigen Politik wäre, die Feuerwehr von Hindelang als Maßstab zu nehmen.

   Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Eckart von Klaeden von der CDU/CSU-Fraktion.

Eckart von Klaeden (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Schon Goethe wusste: „Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles.“ Letztendlich hängt die Glaubwürdigkeit dessen, was hier gesagt wird, davon ab, wie viel Geld tatsächlich zur Verfügung gestellt wird. Ich weiß, dass eine deutliche Erhöhung des Verteidigungshaushaltes in der nächsten Zeit unrealistisch ist. Aber ich finde, man sollte in dieser Debatte wenigstens einmal den europäischen Durchschnitt der Verteidigungsausgaben nennen - nicht das, was die Amerikaner ausgeben; nicht das, was die ausgeben, die in Europa Spitze sind. Wenn wir aber diesen Durchschnitt zum Maßstab nehmen wollten, bedeutete das für Deutschland nahezu eine Verdoppelung des Verteidigungshaushaltes und eine Truppenstärke von ungefähr 375 000 Mann.

Ich weiß, dass das unrealistisch ist; aber das ist der Durchschnitt. Wenn wir vom Außenminister so beglückende Ankündigungen wie die von der „Rekonstruktion des Westens“ hören oder auf der Sicherheitskonferenz erfahren, dass er einen neuen Plan für den Mittelmeerraum und den Nahen Osten vorlegt, dann muss diese Regierung doch wenigstens versuchen, Anspruch und Wirklichkeit mehr zur Deckung zu bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Aber selbst dann, wenn man mit den vorhandenen Mitteln auszukommen versucht, muss man mit ihnen vernünftig umgehen. Ich bin dem Kollegen Bonde dafür dankbar, dass er das Stichwort „Network Centric Warfare“ angesprochen hat. Das Projekt „Herkules“ ist aber alles andere als die angemessene Reaktion auf diese eine neue Transformationsherausforderung. Letztlich stellt es nur die Ausrüstung der alten Bundeswehrstruktur mit moderner Informations- und Kommunikationstechnik dar. Wir bräuchten aber ein I-und-K-Konzept für die Bundeswehr, das auf die Anforderungen der vernetzten Operationsfähigkeit eine Antwort gibt und nicht bloß alte Strukturen aufmöbelt. Die noch unabhängige „Frankfurter Rundschau“

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Sehr schöner Ausdruck! - Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gibt es die noch?)

berichtete am 26. Februar, dass die Berichterstatter beider großer Fraktionen im Haushaltsausschuss, der Kollege Austermann und die Kollegin Dr. Leonhard, schwere Kritik an dem „Herkules“-Projekt und seiner Finanzierung üben und die Aufgliederung dieses Projekts fordern. Frau Leonhard führte aus, die Bundeswehr dürfe den Auftrag nur dann privat vergeben, wenn die Industrie nachweise, dass sie im Vergleich zu den bisherigen Ausgaben der Bundeswehr für Computer und Ähnliches billiger sei. Herr Minister, ich fordere Sie auf, diesen überfraktionellen Konsens im Haushaltsausschuss zu nutzen, um dieses Projekt zu stoppen und es sowohl auf die haushaltsrechtlichen als auch auf die neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen hin neu zu konfigurieren, damit daraus nicht die „Megadosenmaut“ wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Meine Damen und Herren, wir müssen uns auch die Frage stellen, ob wir, wenn wir über vernetzte Operationsfähigkeit im internationalen Rahmen sprechen, mit unseren politischen Entscheidungsstrukturen überhaupt vernetzungsfähig sind. Im Gegensatz zum Kollegen Robbe bin ich nicht der Ansicht, das die derzeitige Praxis zur Genehmigung von Bundeswehreinsätzen diesen Ansprüchen genügt. Es ist doch eine geradezu absurde Praxis, die sich bei uns in der Folge der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung vom 12. Juli 1994 eingespielt hat: Wir bekommen seitenlange Anträge, in denen alle Details festgelegt sind, dürfen als Parlament aber noch nicht einmal ein Komma ändern. Das Verfassungsgericht hat gesagt - ich zitiere aus der Entscheidung -:

Der der Regierung von der Verfassung für außenpolitisches Handeln gewährte Eigenbereich exekutiver Handlungsbefugnis und Verantwortlichkeit wird durch den Parlamentsvorbehalt nicht berührt. Das gilt insbesondere hinsichtlich der Entscheidung über die Modalitäten, den Umfang und die Dauer der Einsätze, die notwendige Koordination in und mit Organen internationaler Organisationen.

Nahezu das Gegenteil tun wir doch in unserer Parlamentspraxis. Das, was mir in Berichterstattergesprächen jetzt von der Koalition über Vorschläge eines Parlamentsbeteiligungsgesetzes bekannt geworden ist, ist doch nichts anderes als der Versuch, die bisherige Gewaltenverwischung in Gesetzesform umzugießen. Damit kommen wir nicht weiter.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Vernetzte Operationsführung, vernetztes Zusammenwirken - warum gilt dies in nahezu der ganzen Welt, am Hindukusch, im Mittelmeer und am Horn von Afrika, aber nicht in unserem eigenen Land? Es ist doch ein geradezu absurder Zustand, dass bei einem Angriff mit chemischen Kampfstoffen auf eine Kaserne der ABC-Schutztruppe nach wie vor die örtliche Feuerwehr zuständig ist.

Der vielleicht am teuersten bezahlte Fehler in der Sicherheitspolitik besteht darin, dass man sich immer auf die letzte, nicht aber auf kommende Gefahren vorbereitet. Die letzte Gefahr, die wir kennen gelernt haben, ist der Angriff mit zivilen Flugzeugen auf die Twin Towers am 11. September 2001 gewesen. Daraus hat die Koalition in ihrer unendlichen Weisheit die Konsequenz eines Luftsicherheitsgesetzes gezogen. Wir müssen aber doch die Fähigkeit gewinnen, uns auf kommende Gefahren vorzubereiten und uns die Szenarien vorzustellen, die in anderen Ländern leider schon bittere Realität geworden sind, etwa wenn wir heute nach Spanien schauen. Wie ist es denn mit den Angriffen auf sensible Verkehrsträger des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs, wie wir es zum Beispiel in Tokio oder Moskau erlebt haben? Sind unsere Sicherheitsstrukturen tatsächlich darauf vorbereitet? Haben wir wirklich ein vernetztes Gesamtsicherheitskonzept für die Bundesrepublik Deutschland? Weiß in unserem Land jeder Landrat bzw. jede Landrätin, was im Falle eines bioterroristischen Angriffs zu tun ist? Wissen sie, nach welchen Listen und in welchen Turnhallen welche Impfstoffe auszugeben sind? All das wird in anderen Ländern lange geübt. In Deutschland stehen wir hierbei noch nicht einmal am Anfang.

   Wenn wir das Chaos, das wir beim NPD-Verbotsverfahren erlebt haben, auf die Gefahren, die wir aus der Literatur, aber leider auch aus anderen Ländern kennen, und auf die Herausforderungen, die sich aus der Vernetzung von innerer und äußerer Sicherheit bzw. der nicht mehr vorhandenen Trennschärfe beider Bereiche ergeben, übertragen würden, dann müssten wir einsehen: Es würden in einem solchen Fall in unserem Land Menschen sterben, die nicht sterben müssten. Dies zu ändern, das ist die eigentliche Herausforderung, vor der wir stehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP))

   Das hat man früher als Landesverteidigung bezeichnet und das verstehen wir heute unter Heimatschutz.

(Rainer Arnold (SPD): Sie haben den Zivilschutz reduziert!)

Wenn sich die Bundeswehr aus diesem Bereich zurückzieht, dann müssen Sie bereit und in der Lage sein, dafür andere Strukturen und die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen. Von mir aus könnten Sie zum Beispiel das THW und den Bundesgrenzschutz zu einer Nationalgarde zusammenfassen oder Ähnliches tun. Angesichts der sehr engen öffentlichen Haushalte und da wir alle ja der Ansicht sind, dass zwischen innerer und äußerer Sicherheit keine klare Trennschärfe mehr besteht, halte ich es für geradezu absurd, für den Bereich der inneren Sicherheit parallele Strukturen aufzubauen, nur weil man an dem alten Dogma festhalten will, dass sich die Bundeswehr unter Berücksichtigung unserer Verfassungsordnung nicht auf die neuen Herausforderungen im Innern einstellen darf.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Diese Verantwortung kennt jeder von uns. Deshalb brauchen wir nicht nur die Transformation der Bundeswehr, sondern auch die Transformation unserer gesamten Sicherheitsarchitektur. Hier ist kein kleinliches Ressortdenken gefragt, sondern eine tatsächliche Vernetzung, durch die die Handlungsspielräume der Politik und des Staates wieder erweitert werden; nicht, um - wie von den Grünen behauptet wird - gegen die eigenen Leute vorzugehen, sondern um im Hinblick auf die neuen Gefahren die notwendigen Vorkehrungen zum Schutze unserer Bürgerinnen und Bürger zu treffen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat der Kollege Gerd Höfer von der SPD-Fraktion.

Gerd Höfer (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn die Inhalte der bisherigen Debatte grob zusammengefasst werden sollten, wären zwei Schwerpunkte, die vonseiten der Opposition gesetzt wurden, zu nennen: Der eine Schwerpunkt war, wie zu erwarten war, das Geld; der andere Schwerpunkt war die Frage des Einsatzes der Bundeswehr im Innern. Auf die Frage des Einsatzes der Bundeswehr im Innern werde ich gleich noch eingehen. Denn in diesem Zusammenhang hat keiner derjenigen, die hier zu diesem Thema geredet haben, die Frage gestellt, wie diejenigen, die für die innere Sicherheit zuständig sind, selbst gerüstet sind.

   Mir hat gefehlt, dass die Bundeswehr einmal so betrachtet wird, wie sie tatsächlich ist. Das führt mich zu einer vernetzten Antwort auf den Beitrag des Kollegen Schäuble. Denn dass die Bundesrepublik Deutschland in internationalen Strukturen verwurzelt ist und dass das auch durch die Bundeswehr dokumentiert wird, ist ein wahrer Satz. Aber es ist ebenfalls wahr - Kollege Schäuble, Sie haben ja für den internationalen Bereich integrierte Strukturen verlangt -, dass die Bundeswehr mit der deutsch-französischen Brigade, dem Eurocorps, dem deutsch-niederländischen Korps, dem dänisch-polnisch-deutschen Korps und der deutsch-amerikanischen Division schon international vernetzt ist. Das gibt es schon. Das brauchen Sie also nicht zu verlangen.

   Ich weiß nicht, wie Sie diese Integration sehen. Es werden diese Einsätze immer im Rahmen eines modularen Aufbaus erfolgen. Wenn sich Länder bereit erklären, unter Führung zum Beispiel der VN oder der NATO an Einsätzen teilzunehmen, wird eine modulare Zusammensetzung vorgenommen. Oder verstehen Sie unter Integration, dass Engländer, Deutsche, Franzosen und Amerikaner bis hinunter zum kleinen Gefreiten oder Hauptgefreiten - das Wort „klein“ beziehe ich nur auf den Dienstgrad, nicht auf die Fähigkeiten des Mannes - einen Zug bilden sollen?

Über diese Aspekte, Herr Dr. Schäuble, ist diskutiert worden. Sie sind im Rahmen der deutsch-französischen Brigade ausprobiert worden. Man ist zu Recht zum Prinzip der Modularität zurückgekehrt, weil die Aufstellung der alten und der neuen Bundeswehr in ein Gesamtkonzept der NATO eingebettet werden muss und dort hinein passen soll. Daher kann man nicht, wie Sie, Herr Dr. Gerhardt, es in Ihrem Antrag tun, die Anzahl der Soldaten beliebig festlegen. Denn die ist durch internationale Abkommen festgelegt. Ich füge hinzu: Diese Modularität macht schon deshalb Sinn, weil auch Staaten in der NATO mitbestimmen, die überhaupt nicht über Truppen verfügen. So muss immer erst gefragt werden, wer bei einem Einsatz welches Kontingent bildet, um einen aus Teilen sinnvoll zusammengesetzten Verband in den Einsatz schicken zu können.

   Der Ansatz, den Verteidigungsminister Peter Struck mit der neuen Gliederung gewählt hat, nimmt die Vernetzung, die Sie, Herr von Klaeden, gefordert haben, teilweise vorweg. Zum ersten Mal haben wir einen die Teilstreitkräfte übergreifenden Ansatz: Die Versorgung der Einsatzkräfte, der Stabilisierungskräfte, aber auch der Streitkräftebasis wird erstmals von den Teilstreitkräften weg verlagert und integriert vorgenommen. Damit wird eine erste vernetzte Struktur geschaffen. Wenn diese übergreifende, an Einsätzen orientierte Gliederung der Bundeswehr vorliegt, ist, glaube ich, die Frage der finanziellen Mittel und ihrer Verwendung sinnvoller zu beantworten, als wenn noch keine Struktur vorhanden ist.

   Natürlich wird das Heer die Hauptlast tragen müssen. Damit kommen wir zu dem - wie man neudeutsch sagt - Link zu den Finanzen. Sie von der Opposition haben uns ein Chaos in Bezug auf die Finanzierung der Bundeswehr hinterlassen, etwa beim Eurofighter, wo wir ständig nachbessern müssen. Diese Nachbesserungen werden möglicherweise einen Verdrängungseffekt im Hinblick auf diejenigen Beschaffungen, zum Beispiel die geschützten Transportfahrzeuge, auslösen, die wir zum Schutz der Soldaten brauchen. Ich muss feststellen: Sie haben die Finanzen der Bundeswehr so nachhaltig durcheinander gebracht, dass es schwer ist, sie wieder in einen Rahmen einzuordnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie können das auf der Zeitachse betrachten. Abgesehen davon ist es schon erstaunlich, dass an ein Schutzkonzept für Soldaten erst gedacht worden ist, nachdem die Gefahr des großen Krieges vorbei war. Ich frage mich, wie die Soldaten eigentlich hätten geschützt werden sollen, wenn sie in einen Einsatz gemusst hätten.

   Der Kollege Schmidt hat gesagt, man soll das Unglaubliche denken, um gerüstet zu sein. Da frage ich mich: Wogegen soll man gerüstet sein: gegen das Denken des Unglaublichen oder gegen das, was Sie da gedacht haben? - Das war mir nicht ganz klar, aber das nur nebenbei. Wenn man dieses dann denkt, muss man hinsichtlich der Bedrohungen der Bundesrepublik Deutschland, die am Horizont erscheinen oder erscheinen mögen, differenzieren: Ein Teil der Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland gegen terroristische Angriffe, welcher Art auch immer, wird mit Sicherheit an der Außengrenze der EU und der NATO geleistet werden müssen. In diesen Szenarien werden von irgendwelchen Leuten Raketen mit biologischer Bewaffnung mit dem Ziel gestartet, etwa eine Großstadt in Geiselhaft zu nehmen. Dieser Bedrohung wäre logischerweise entweder am Abschussort der Rakete oder an den Bündnisgrenzen zu begegnen, aber nicht erst dann, wenn sie die Grenzen der Bundesrepublik Deutschland erreicht. Das muss wesentlich früher geschehen.

   Sie diskutieren immer ein Szenario, bei dem die Bedrohung aus dem Innern Deutschlands kommt. In all diesen Szenarien sind die Fähigkeiten der jetzigen Sicherheitsbehörden gefordert; sie müssen mit Blick auf diese Bedrohung ausgebaut werden. Die Bundeswehr hat in Szenarien, bei denen die Bedrohung aus dem Innern kommt, keinen Platz: Dafür sieht die Verfassung andere Institutionen vor.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Diese auszugestalten wäre wesentlich besser, als immer nur die Bundeswehr ins Spiel zu bringen. Natürlich ist die Versuchung sehr groß, weil die Bundeswehr in der Regel zur Verfügung steht. Denn nicht die gesamte Bundeswehr befindet sich ja in einem Auslandseinsatz, sondern ein großer Teil verbleibt in Deutschland. Sollte das, was in diesen Szenarien unterstellt wird, eintreten, so können wir auf Art. 35 GG verweisen: Danach ist die Bundeswehr zur Hilfeleistung sogar verpflichtet. Die Einschätzung darüber, wie wahrscheinlich diese Szenarien sind, obliegt allerdings den zuständigen Länderministern. Ich frage mich: Sind sie darauf vorbereitet, dem inhaltlich zu begegnen, oder verlangen sie nur nach der Quantität, nach einer bestimmten Anzahl Soldaten? Mir sind Übungen vor allem auf Landkreisebene bekannt, bei denen bestimmte Szenarien durchgespielt werden. Es ist doch eine Tatsache: Der Bereich des Zivilschutzes ist zu Ihrer Zeit abgebaut worden und muss jetzt erst wieder aufgebaut werden.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt ABC-Abwehrzüge beim Roten Kreuz. Aber ich vermute, viele wissen das einfach nicht. Auch das THW hat in diesem Aufgabenbereich bestimmte Fähigkeiten, von denen wir uns demnächst wieder überzeugen können.

   Ich komme nun zum Thema der Wehrpflicht. Wer immer nur grob die Zahlen der Wehrdienstleistenden und der Zivildienstleistenden im Blick hat, verkennt, dass bereits eine Vernetzung stattgefunden hat, die sich bei der Gewährleistung der inneren Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland hervorragend bewährt. Ich spreche von den im Gesetz vorgesehenen Ausnahmen beim Wehrdienst, die etwa 20 Prozent ausmachen. Dazu gehören solche jungen Leute, die sich beim THW, bei der Feuerwehr oder in anderen sicherheitsrelevanten Berufen - dazu zählen der BGS und auch der Zoll - für sieben Jahre verpflichten. Wenn diese Stellen zusammenarbeiten, dann können die Bedrohungen, die im Innern denkbar sind, wirkungsvoll bekämpft werden.

(Beifall bei der SPD)

   Ihre Betrachtungsweise hinsichtlich der inneren Sicherheit ist sehr einseitig, meine Damen und Herren von der CDU/CSU. Hier muss ich ausnahmsweise einmal die FDP loben, weil sie ehrlicher mit diesem Thema umgeht als die CDU/CSU. Was in Ihrem Antrag unter Ziffer 5 steht, ist wolkig und wird nicht weiter ausgeführt. Die FDP spricht wenigstens davon, dass sie eine Nationalgarde haben will.

(Günther Friedrich Nolting (FDP): Was?)

Das ist ein Ansatz, in dem zumindest der Umfang und die Umrisse besser beschrieben werden und in dem die Inhalte besser zugeordnet werden können als im Antrag der CDU/CSU.

(Günther Friedrich Nolting (FDP): Aber keine polizeilichen Aufgaben!)

- Herzlichen Dank. Wir sind uns also einig. Es wird, wenn die Nationalgarde irgendwann eingerichtet wird, aber auch keine Privatarmee.

(Günther Friedrich Nolting (FDP): Nein!)

- Gut. Dann sind wir uns auch in dieser Frage einig.

   Die Fragen, die hier andiskutiert worden sind, sind im Rahmen der Transformation der Bundeswehr praktisch beantwortet. Hinsichtlich der Verlässlichkeit bei den Finanzen werden wir Sie durch die Praxis überzeugen können. Denn zum einen sollen die Soldatinnen und Soldaten hinsichtlich ihrer sozialen Absicherung Fortschritte erfahren - der Abbau des Beförderungsstaus muss zum Beispiel gewährleistet werden -, zum anderen müssen auch die Investitionen finanziert werden können, die notwendig sind, um die Soldaten bei ihren gefährlichen Einsätzen im Ausland zu schützen.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Ich bin Abgeordnete der PDS.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Immer noch!)

   Im Grundgesetz heißt es in Art. 87 a:

Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.

Von diesem Grundsatz haben sich die Bundesregierung und Sie, Herr Minister Struck, verabschiedet. Schon jetzt sind Tausende deutscher Soldaten im Auftrag von SPD und Grünen weltweit im Einsatz.

(Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im Rahmen kollektiver Sicherheitssysteme! Das steht auch im Grundgesetz!)

   Ihre Reform hat das Ziel, die Bundeswehr in eine weltweit einsetzbare Interventionsarmee umzubauen. Die Bürgerinnen und Bürger fragen sich, warum deutsche Soldaten auf Kosten der Steuerzahler bis nach Afghanistan oder Dschibuti reisen müssen, um unser Land zu verteidigen.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

Am Rande bemerkt: Im Schwarzbuch „Die öffentliche Verschwendung 2003“ des Bundes der Steuerzahler findet sich kein Hinweis auf Steuerverschwendungen durch Auslandseinsätze der Bundeswehr. Das sollte unbedingt ergänzt werden.

   Doch ich will hier nicht weiter über die Verschwendung von Steuergeldern reden, es geht schließlich um die zukünftige Außen- und Sicherheitspolitik unseres Landes. Es besteht die reale Gefahr, dass die Bundeswehr unter der Verantwortung von Rot-Grün zum wichtigsten Instrument deutscher Außenpolitik wird. Das wäre ein dramatischer Rückschritt in der deutschen Geschichte.

   Die Auslandseinsätze der Bundeswehr werden allein in diesem Jahr 1,2 Milliarden Euro verschlingen. Gleichzeitig will die Bundesregierung das Budget der Goethe-Institute, die in der ganzen Welt eine gute Arbeit leisten, um 100 Millionen Euro kürzen. Was ist das für ein Signal?

(Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Koch und Steinbrück sind nicht in der Bundesregierung!)

   Wenn ich mir Ihre Außen- und Sicherheitspolitik anschaue, dann kann ich nicht einmal Großmachtgelüste bei Ihnen unterstellen.

(Hans Raidel (CDU/CSU): Was denn sonst?)

Nein, Herr Struck, die Sache ist viel banaler. Sie sind Getriebene und lassen sich wider besseres Wissen zum verlängerten Arm der Interessen der Führungsmacht der NATO machen. Ihre Rüstungsplanung ist nicht auf Krisenvermeidung ausgerichtet. In Ihrer Planung stehen Eurofighter, Marschflugkörper, Korvetten und Fregatten zur Hochseekriegsführung. Damit stellen Sie die Weichen für die Beteiligung an künftigen Globalisierungskriegen um Rohstoffe und Energie. Herr Struck, wie wollen Sie sich denn dem Bündnisdruck entziehen, nachdem Sie militärische Beiträge durch die 21 000 Soldaten starke Eingreiftruppe zugesagt haben?

   Meine Damen und Herren, sehr geehrte Gäste, die Menschen in diesem Land haben aufgeatmet, als diese Regierung Nein zum Irakkrieg gesagt hat. Wir als PDS haben dieses Nein unterstützt.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

Umso verwunderlicher ist es, dass der Bundeskanzler beim Treffen mit US-Präsident Bush jetzt die Meinung vertreten hat, dass wir nicht mehr über die Vergangenheit, sondern über die Zukunft reden sollten. Wenn man dem US-Präsidenten einen Angriffskrieg einfach so durchgehen lässt, dann wird die Zukunft nicht viel anders als die Vergangenheit aussehen. Wie die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land wollen wir, die PDS, dass Konflikte durch diplomatische und wirtschaftliche Prävention und nicht durch schnelle Eingreiftruppen gelöst werden.

(Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das wollen wir genauso und wir tun es auch!)

   Herr Verteidigungsminister, sorgen Sie dafür, dass in Ihrem Ministerium weniger über die Legitimierung von Präventivkriegen und viel mehr über einen möglichst schnellen Rückzug der Bundeswehr aus den Krisengebieten nachgedacht wird!

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos) - Günther Friedrich Nolting (FDP): Das ist eine alte Rede von Angelika Beer!)

Überlassen Sie es Herrn Schäuble und der Konrad-Adenauer-Stiftung, die Weiterentwicklung des Völkerrechts durch die Legalisierung von Rechtsbrüchen zu fördern! Ergreifen Sie endlich die Initiative zu einer Reform der UNO und zur Stärkung der OSZE! Sorgen Sie für die Revitalisierung der Rüstungskontrolle; denn dies ist das Mittel der Wahl gegen die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen! Der Weg, den Sie mit dieser Bundeswehrreform einschlagen, ist ein Irrweg. Er wird die Welt nicht sicherer machen. Ganz im Gegenteil: Er wird Deutschland in weitere Konflikte verstricken.

(Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kennen Sie die Aufgabenanforderungen der Vereinten Nationen?)

   Herr Struck, weil ich es vorhin schon erwähnt hatte, möchte ich Ihnen zum Abschluss einen ganz praktischen Vorschlag machen: Geben Sie aus Ihrem Rüstungshaushalt, der für das Jahr 2004 sage und schreibe 24 Milliarden Euro beträgt, die 100 Millionen Euro einfach an die Goethe-Institute ab. Das ist die Summe, die diese Institute im Jahre 2004 einsparen sollen, eigentlich aber nicht können. Wir werden morgen ja noch darüber sprechen. Für die Bundeswehr wäre das ein kleiner Beitrag, für das Ansehen unseres Landes in der Welt wäre das ein unschätzbar großer Beitrag.

   Vielen Dank.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Kollegin Dr. Lötzsch, ich darf Sie in einem Punkt korrigieren: Sie sind nicht Abgeordnete der PDS, sondern Sie sind Abgeordnete aus Berlin-Lichtenberg - Hohenschönhausen und gehören der PDS an.

(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

   Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulrike Merten von der SPD-Fraktion.

Ulrike Merten (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin mit dem Kollegen Gerhardt einer Meinung, dass es gut ist, dass wir heute eine Debatte über die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik nicht im Kontext von Haushaltsberatungen oder im Vorfeld von Auslandseinsätzen führen. Entgegen seiner Meinung bin ich allerdings der Ansicht, dass diese Debatte durchaus noch zum richtigen Zeitpunkt und frühzeitig genug stattfindet.

   Weil wir inzwischen ja sehr vieles gehört haben, will ich noch einmal darauf zurückkommen, was der Minister in seiner Regierungserklärung deutlich gemacht hat:

(Günther Friedrich Nolting (FDP): Aber nicht noch einmal alles wiederholen!)

Ein schlüssiges und mittelfristig angelegtes sicherheitspolitisches Konzept stellt die Basis unserer Entscheidungen in den kommenden Monaten dar. Es ist eben nicht so, dass sich die sicherheitspolitische Vorsorge dieser Bundesregierung nur an der aktuellen Haushaltslage und nicht an der Bedrohungslage ausrichtet, wie die CDU/CSU in ihrem heute vorgelegten Antrag unterstellt. Der Herr Kollege Schäuble hat in diesem Zusammenhang Prioritätensetzung gefordert. Ich frage Sie, Herr Kollege Schäuble: Was tun wir denn im Bereich der Ausrüstungsplanung? Wenn Sie sich das Ausrüstungskonzept und die Verteidigungspolitischen Richtlinien einmal ansehen, dann werden Sie feststellen, dass wir genau diese Prioritätensetzung vornehmen.

(Beifall bei der SPD)

   Die eingeleitete Transformation ist aus einer wirklich realistischen und rationalen Analyse des sicherheitspolitischen Rahmens abgeleitet, in dem wir uns bewegen. Das heißt, die Bundeswehr wird konsequent zur Bündnisarmee im Einsatz umgebaut. Das spiegelt sich in den Bereichen Personal, Ausbildung und Material wider. Betrieb und Investitionen sind hier einbezogen. Mit dem angestrebten Streitkräfteumfang wird es gelingen, unseren internationalen Verpflichtungen nachzukommen. Gleichzeitig werden wir damit der Rolle und Bedeutung unseres Landes gerecht.

   Herr Kollege Schmidt, Sie haben in Ihrer Rede dem Kollegen Erler vorgehalten, wir würden im Rahmen von NATO-Einsätzen keine Soldaten entsenden und deswegen könne von Verlässlichkeit im Bereich unserer internationalen Verpflichtungen keine Rede mehr sein. Dabei haben Sie - ich nehme an, wissentlich und bewusst - übersehen, dass wir uns NATO-Einsätzen nicht prinzipiell verweigern, sondern dass es hier um einen ganz konkreten Fall geht, nämlich den Irak. Das müssen wir an dieser Stelle deutlich unterscheiden und können daher dem Kollegen Erler nur zustimmen.

(Beifall bei der SPD)

   Wenn wir über unsere Einbindung in internationale Verpflichtungen reden, dann muss ich angesichts Ihrer Ausführungen zu einer angeblichen Marginalisierung innerhalb der NATO ganz deutlich sagen: Wir planen doch nicht isoliert. Es versteht sich von selbst, dass der Transformationsprozess der Bundeswehr mit dem der NATO und dem ESVP-Prozess in der EU abgestimmt ist. Der jetzt gewählte Ansatz, Streitkräftekategorien zu bilden, die sich in Einsatz-, Stabilisierungs- und Unterstützungskräfte gliedern, hat bei unseren Bündnispartnern nicht nur für Zustimmung gesorgt, sondern auch zu ähnlichen Überlegungen für den Umbau ihrer Streitkräfte geführt.

   Ich will an dieser Stelle überhaupt nicht verschweigen, dass es in dem anstehenden Umwandlungsprozess - ich glaube, darin sind wir uns einig - wahrlich schwierige Punkte gibt. Es geht nicht nur um die Finanzierung. Wenn man an der Schraube der Personalstärke dreht, dann muss man auch über Standorte reden. Man kann nicht auf der einen Seite ankündigen, das Personal zu reduzieren, und auf der anderen Seite den Leuten weismachen wollen, es könne bei den Standorten alles so bleiben, wie es ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Es kann keine Rede davon sein, dass wir uns aus der Fläche zurückziehen. Herr Schmidt, Sie haben heute Morgen erklärt, der Herr Minister habe überhaupt nichts zu den Entscheidungen über die Standorte gesagt und deswegen könne man sich dazu nicht sachlich äußern.

(Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): Er hat mir vorgeworfen, ich würde nichts dazu sagen!)

Dazu sage ich Ihnen: Ihnen geht es um etwas anderes. Es ist völlig klar, dass das Standortkonzept erst am Ende dieses Jahres vorliegen wird. Dann werden wir uns darüber zu unterhalten haben, ob die Entscheidungen sachgerecht sind, und ich bin ganz sicher, dass sie dies sein werden. Aber es geht Ihnen doch nicht um eine sachgerechte Beurteilung, sondern Sie wollen zum jetzigen Zeitpunkt möglichst viel Unsicherheit in die Bundeswehr und die Familien sowie in die betroffenen Städte und Gemeinden hineintragen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Das ist eine Unverschämtheit!)

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir bei der Debatte über Standorte zwei Kriterien zugrunde legen müssen, nämlich auf der einen Seite militärische und auf der anderen Seite wirtschaftliche Gesichtspunkte. Wenn wir wirklich wollen, dass die Bundeswehr zukunftsfähig sein soll - darüber kann es keinen Zweifel geben -, dann brauchen wir diese Kriterien, um zusätzliche Spielräume zu gewinnen. Das wird sicherlich an der einen oder anderen Stelle schmerzhaft sein. Aber ich sage auch: Wenn dieser Prozess gelingen soll, dann muss der Wandel gemeinsam mit den Menschen in der Bundeswehr und ihren Familien gestaltet werden.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Kollegin Merten, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kossendey?

Ulrike Merten (SPD):

Ja, gerne.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Bitte schön.

Thomas Kossendey (CDU/CSU):

Liebe Frau Kollegin Merten, Sie sprachen gerade über die Standorte und sagten, dass wir den Winter abwarten sollten, bis bekannt gegeben wird, wie es wirklich ausgeht. Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund den Umstand, dass der Minister im Celler Nordkreis die Leute schon mit dem Hinweis beruhigt hat, es sei unsinnig, in Faßberg alles dicht zu machen, und auch in Unterlüß brauche man sich keine Sorgen zu machen?

(Hubertus Heil (SPD): Freuen Sie sich doch!)

Ulrike Merten (SPD):

- Das wollte ich auch gerade sagen. - Die Standortgemeinden, die diese Aussage haben, können sich doch darüber freuen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir reden doch hier über ein Gesamtkonzept und nicht über einzelne Punkte.

(Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Sankt Florian, verschon mein Haus, zünd andre an!)

Ich bin ganz sicher, Herr Kollege: Wenn Sie unterwegs sind und Sie die hinreichenden Erkenntnisse haben, dass ein Standort, den Sie besuchen, wahrscheinlich erhalten bleiben wird, dann werden auch Sie eine Aussage in diese Richtung treffen. Am Ende werden Sie aber hinzufügen, dass das in Gänze am Ende des Jahres entschieden wird und ein Schuss Unsicherheit bleibt. Insofern ist das aus meiner Sicht ein völlig normaler und nachvollziehbarer Vorgang.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Erlauben Sie eine Nachfrage des Kollegen Kossendey?

Ulrike Merten (SPD):

Nein, ich würde meine Ausführungen jetzt gerne fortsetzen.

   Ich habe gerade über den Wandlungsprozess in der Bundeswehr gesprochen und gesagt, dass wir die Menschen in der Bundeswehr und auch die Familien für diesen Prozess einnehmen und sie dabei mitnehmen müssen. Dies wird nur glücken, wenn das Vertrauen, das in uns gesetzt wird, nicht enttäuscht wird. Dazu gehören auch verlässliche Finanzierungsgrundlagen. Deswegen bin ich ganz sicher, dass wir es im Jahre 2007 wieder mit einem deutlich erhöhten Ansatz des Einzelplans 14 zu tun haben, was auch dringend notwendig ist, wenn dieser Transformationsprozess gelingen soll. Darüber sind wir uns, glaube ich, einig.

   Aber wenn heute in dieser Debatte versucht wird, einen Keil zwischen die Verteidigungspolitiker der Koalitionsfraktionen und den Bundesverteidigungsminister auf der einen Seite und den Bundesfinanzminister auf der anderen Seite zu treiben, dann sage ich Ihnen: Das wird Ihnen nicht gelingen.

(Günther Friedrich Nolting (FDP): Der Kollege Arnold hat sich doch gestern so geäußert!)

- Herr Kollege Nolting, darauf zu bestehen und deutlich zu machen, dass auch die Mitglieder des Verteidigungsausschusses, die den Koalitionsfraktionen angehören, sehr wohl darauf drängen werden, dass wir es mit verlässlichen Grundlagen zu tun haben, ist etwas ganz anderes als das, worüber Sie reden. Das muss man an dieser Stelle deutlich machen. Es wird Ihnen nicht gelingen, einen Keil zwischen uns zu treiben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): Das heißt, ihr werdet im Ergebnis alles abnicken!)

- Es geht nicht um ein Abnicken.

   Ich sage aber auch: Wir haben in der Vergangenheit, als Sie die Verantwortung hatten, über Jahre erlebt, dass zwischen dem Soll und dem Ist eine riesige Lücke klaffte. Das sollten wir nicht fortsetzen. Die Planungen, die den derzeitigen finanzpolitischen Rahmen realistisch abbilden, führen dazu, dass wir die Dinge tun können, die die Bundeswehr wirklich zukunftsfähig machen. Es macht doch keinen Sinn, uns, den Menschen im Lande und den Menschen in der Bundeswehr etwas vorzugaukeln und damit die Schere zwischen Planung und Beschaffung immer weiter auseinander gehen zu lassen, wie es bei Ihnen der Fall gewesen ist.

   Der Bundesverteidigungsminister hat heute Morgen in seinen Ausführungen noch einmal ein klares Bekenntnis zur Wehrpflicht abgelegt. Darin unterstützen wir ihn ausdrücklich.

(Günther Friedrich Nolting (FDP): Na!)

Die Beibehaltung der Wehrpflicht ist aus vielen Gründen richtig. Dazu zählen ganz ausdrücklich auch sicherheitspolitische Begründungen.

(Günther Friedrich Nolting (FDP): Was sagt Bonde dazu?)

- Dass unser Koalitionspartner dazu eine andere Meinung hat, ist kein Geheimnis. Das müssen wir nicht extra sagen. - Aber dass in dieser Frage eine Klärung herbeizuführen sein wird, ist auch klar. Ich finde, es muss in dieser Debatte, die wir gemeinsam führen, deutlich werden, dass es sich dabei um eine der wesentlichen gesellschaftspolitischen Fragen handelt und nicht in erster Linie um eine parteipolitische. Deswegen werden wir uns dieser Diskussion stellen und uns noch vor Ende der Wahlperiode intensiv damit befassen.

   Wenn der Herr Kollege Gerhardt - er ist nicht mehr hier - wie vorhin ausführt, die Beibehaltung der Wehrpflicht bedeute auch eine unendliche Vergeudung im Bereich der Ausbildung, dann frage ich mich, was er damit meint. Wenn ich es richtig sehe, wird Ausbildung nicht nur im Bereich der Wehrpflicht geleistet, sondern auch Zeitsoldaten haben eine Ausbildung zu durchlaufen. Wenn wir uns vor Augen führen - darum geht es doch -, dass wir auch bei Auslandseinsätzen zurzeit und in naher Zukunft auf Wehrpflichtige angewiesen sind, um diese Einsätze qualitativ und quantitativ bestehen zu können, dann ist diese Äußerung aus meiner Sicht völlig unverständlich.

   Ich will im Zusammenhang mit der Wehrpflicht an dieser Stelle nicht noch einmal sattsam bekannte Stereotypen bemühen. Auch eine Armee ohne Wehrpflichtige wäre kein Fremdkörper in der Gesellschaft, der abgekapselt wie ein Krebsgeschwür fern von der Gesellschaft handelt und denkt. Dies anzunehmen hieße die 50-jährige Geschichte und Entwicklung der Bundeswehr nicht zur Kenntnis zu nehmen. Es hieße im Übrigen auch, das Prinzip der inneren Führung, das sich auf die gesamten Streitkräfte bezieht und nicht nur auf die Wehrpflichtigen, in seinem Erfolg infrage zu stellen.

   Gerade auch vor dem Hintergrund internationaler Einsätze und der Rolle der Bundeswehr in diesen Einsätzen wäre das geradezu absurd. Wenn wir über Fähigkeiten sprechen, dann gehört das für mich zwingend dazu. Hier dürfen wir selbstbewusst sein. Wir bringen - übrigens jenseits technologischer Fähigkeiten und einsatzorientierter Ausrüstung - für das wahrscheinliche Aufgabenspektrum, in der Stabilisierungsphase Nation-Building zu betreiben, etwas mit, um das uns viele unserer Partnernationen beneiden. Insofern bin ich sehr froh, dass wir auch diesem Aspekt in unserem Antrag eine besondere Qualität verleihen und ihn mit Nachdruck gefordert haben. Das Prinzip der inneren Führung hat nicht nur für die Zeit des Ost-West-Konflikts getaugt, sondern ist, glaube ich, etwas, mit dem die Bundeswehr gerade in diesen Zeiten in beispielhafter Weise ihren Einsätzen nachkommen kann.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich glaube, bei allen Unterschieden, die heute durchaus deutlich geworden sind - wir wollen uns gegenseitig nicht nur mitteilen, worin wir uns einig sind, auch der Konflikt und die Auseinandersetzung gehören zu einer Debatte -, ist eine gute Grundlage für eine nachhaltige Diskussion in den Fachausschüssen gegeben. Denn - das lässt sich aus beiden Anträgen der Opposition herauslesen - es gibt, gerade auch was die Analyse angeht, ein hohes Maß an Übereinstimmung. Insofern bin ich guter Dinge, dass wir uns bei der Beratung der Anträge in den Fachausschüssen wieder auf die gemeinsamen Ziele konzentrieren können. Ich bin sicher, dass wir diese Ziele, nämlich mehr Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, ein Leben in Wohlstand und die Schaffung einer Welt, in der alle in Frieden und in Freiheit miteinander leben können, gemeinsam anstreben.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Ernst-Reinhard Beck von der CDU/CSU-Fraktion.

Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (CDU/CSU):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich bin davon überzeugt, dass wenige politische Weichenstellungen so weitreichende Auswirkungen für Deutschland, seine Sicherheit und für unsere Gesellschaft haben wie der gegenwärtige Umbau der Bundeswehr. Dass dieser Umbau notwendig ist, wird wohl von keiner Seite dieses Hauses bestritten.

   Ich darf, liebe Frau Kollegin Wohlleben, noch einmal an die Gemeinsamkeiten anknüpfen. Richtig am neuen Konzept ist sicherlich, die Bundeswehr an die neuen sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen anzupassen und sie zu schnellen Einsätzen im Ausland zu befähigen. Schlüssig ist prinzipiell auch das einsatzorientierte Dispositiv aus Eingreif-, Stabilisierungs- und Unterstützungskräften. Aber die nahezu ausschließliche Konzentration auf die Interventionsfähigkeit vernachlässigt den eigentlichen Kernauftrag, nämlich die Verteidigung des eigenen Landes, den Schutz Deutschlands und seiner Bürger. Das muss man ganz deutlich sagen und ständig wiederholen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Minister, Sie haben zwar in Ihren Verteidigungspolitischen Richtlinien auch diese Aufgabe formuliert. Sie haben in Ihrer heutigen Rede dankenswerterweise - ich glaube, dass Sie eine Akzentverschiebung vorgenommen haben - auf die Landesverteidigung als wesentliche Aufgabe hingewiesen und sie in den Mittelpunkt gestellt. Aber was fehlt? In den jetzt vorgesehenen Strukturplanungen findet keine entsprechende Abbildung statt.

   Ich möchte auf eine, wie ich meine, fatale Wirkung dieser Argumentation hinweisen. Die einseitige Konzentration auf Auslandseinsätze unterhöhlt im Grunde implizit die Wehrpflicht von innen; denn für dieses Aufgabenspektrum sind unbestritten Zeit- und Berufssoldaten notwendig. Wehrpflichtige eignen sich dafür nicht und dürfen nach geltender Rechtslage überhaupt nicht in Auslandseinsätze geschickt werden. Wozu brauchen wir sie dann eigentlich noch? Sind Wehrpflichtige dann nicht unnötiger Ballast? In der gegenwärtigen Diskussion wird häufig behauptet, die Wehrpflicht sei sicherheitspolitisch nicht mehr zu begründen. Ich meine, das Gegenteil ist richtig, und behaupte, die allgemeine Wehrpflicht kann und muss sicherheitspolitisch begründet werden. Sie ist aus den Anforderungen auch an die neue Landes- und Bündnisverteidigung unschwer und zwingend abzuleiten. Personalintensive Aufgaben wie der Schutz wichtiger Objekte und logistischer Einrichtungen oder Hilfe bei großen Katastrophen sind nur dann zu erfüllen, wenn bereits im Frieden eine ausreichende Truppenstärke sowie eine entsprechende Aufwuchs- und Mobilmachungsstärke zur Verfügung stehen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Wir brauchen Strukturen sozusagen als Netz und doppelten Boden, um im Ernstfall auch in Deutschland reagieren zu können. Admiral Wellershoff hat einmal darauf hingewiesen: Wer zu Hause verwundbar ist, dessen Handlungsmöglichkeiten sind draußen beschränkt. - Mit Berufs- und Zeitsoldaten, die sich zufälligerweise in den wenigen verbliebenen Kasernen aufhalten - liebe Frau Kollegin Merten, die Bundeswehr zieht sich sehr wohl aus der Fläche zurück, wenn jeder dritte Standort aufgelöst wird; dies müssen wir uns vor Augen halten -, die nicht entsprechend ausgebildet sind und die sich gerade auf ihren Auslandseinsatz vorbereiten, kann man keine Einsätze im Innern bestreiten. Dies geht auch nicht mit unzureichend ausgebildeten Wehrpflichtigen. Notwendig sind eigens dafür ausgerüstete und ausgebildete Kräfte.

   Der Wehrpflicht droht zudem erhebliche Gefahr durch die jetzige Einberufungspraxis, durch die die Wehrgerechtigkeit, wie ich meine, ad absurdum geführt wird. Vielleicht hoffen manche darauf, dass die Gerichte die Wehrpflicht auf juristischem Wege entsorgen, wenn die Wehrungerechtigkeit in einem solchen Maße zunimmt, dass nur noch 10 bis 15 Prozent eines Jahrgangs eingezogen werden. Der Schutz Deutschlands und seiner Bürgerinnen und Bürger einschließlich der Befähigung zur Rekonstitution sowie die Unterstützung bei Naturkatastrophen und Unglücksfällen begründen - neben anderen Argumenten - auch künftig die allgemeine Wehrpflicht. Motivierte und qualifizierte Reservisten und Reservistinnen tragen bereits heute mit ihrem freiwilligen Engagement in hohem Maße zur erfolgreichen Auftragserfüllung der Bundeswehr bei.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die neue Reservistenkonzeption wird schrittweise im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung der Bundeswehr verwirklicht werden müssen. Dabei warne ich davor, wie geplant alle 250 nicht aktiven Verbände und Truppenteile, Ersatzbataillone, Heimatschutzbataillone und Reservelazarettgruppen, um kurzfristiger Einsparungen willen aufzulösen. Herr Minister, Sie lösen damit Strukturen auf, die später vielleicht dringend benötigt werden. Einmal aufgelöst, sind sie unwiederbringlich verloren. Zudem gerieten Zigtausende engagierte Reservisten ins militärische Abseits. Auf ihr Engagement, auf das die staatliche Gemeinschaft und die Bundeswehr bislang zählen konnten, würde dann dankend verzichtet, ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wo vermehrte Auslandseinsätze und die terroristische Bedrohung Deutschland vor eine neue Herausforderung stellen. Wäre anstelle eines Kahlschlags nicht auch hierbei eine schrittweise Anpassung an die veränderten Aufgaben notwendig? Wäre vor allem im Hinblick auf ein gemeinsam abgestimmtes Kräftedispositiv im Bereich der inneren Sicherheit und des Katastrophenschutzes nicht auch dies sinnvoll?

   Gestatten Sie mir zum Schluss eine Bemerkung als Präsident eines Verbandes, der von diesem Hohen Haus einen hoheitlichen Auftrag erteilt bekommen hat. Der Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr ist bereit, im Rahmen dieses Konzeptes verstärkt Verantwortung zu übernehmen. Er besitzt das Potenzial und die Kompetenz, noch intensiver als bisher zur Aufgabenerfüllung der Streitkräfte und zum Wohle der Sicherheit unseres Landes und seiner Bürgerinnen und Bürger beizutragen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Ich schließe die Aussprache.

   Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/2656, 15/2388 und 15/2662 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

   Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 a sowie Zusatzpunkt 2 auf:

4. a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Bericht des Bundeskartellamtes über seine Tätigkeit in den Jahren 2001/2002 sowie über die Lage und Entwicklung auf seinem Aufgabengebiet und Stellungnahme der Bundesregierung

- Drucksache 15/1226 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien

ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer Brüderle, Gudrun Kopp, Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Für einen wirksamen Wettbewerbsschutz in Deutschland und Europa

- Drucksache 15/760 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.

   Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Andres das Wort.

Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit:

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute über den Bericht, den das Bundeskartellamt über seine Tätigkeit in den Jahren 2001 und 2002 vorgelegt hat. Ich halte diesen Bericht in der Hand; er hat 371 Seiten. Das Bundeskartellamt stellt fest, dass die wettbewerbliche Ordnung in der Bundesrepublik insgesamt funktioniert. Wettbewerb und Wettbewerbskontrolle in Deutschland brauchen einen internationalen Vergleich nicht zu scheuen.

(Beifall des Abg. Hubertus Heil (SPD))

   Dies soll und kann aber nicht dazu führen, dass wir uns zufrieden zurücklehnen. Die 7. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist bereits in Vorbereitung. Der Regierungsentwurf wird in Kürze vorgelegt.

   Das Kartellgesetz und damit auch die Tätigkeit der Kartellbehörde werden sich dadurch in weiten Teilen massiv ändern. Mit dieser Novelle wollen wir erreichen, dass Deutschland den Herausforderungen der Globalisierung im Bereich der Wettbewerbspolitik auch künftig gewachsen ist. Vorrangiges Ziel ist deshalb die Anpassung des deutschen Wettbewerbsrechts an das europäische Wettbewerbsrecht. Dies ist notwendig, damit die Unternehmen im europäischen Binnenmarkt nicht länger mit unterschiedlichen Wettbewerbsstandards konfrontiert sind. Diese Novelle leistet damit zugleich einen Beitrag zur Entbürokratisierung, der nicht gering eingeschätzt werden darf. Weiterhin weise ich auf die stärkere Berücksichtigung der Verbraucherinteressen hin. Auch dies steht einem modernen Wettbewerbsgesetz gut an.

   Die bewährten allgemeinen Regeln des Kartellgesetzes reichen nicht in allen Fällen aus. Vor allem in den so genannten Netzindustrien muss Wettbewerb durch den Staat aktiv gefördert und gesichert werden. Deshalb wird die spezielle Regulierung für Telekommunikation und Post grundlegend neu gestaltet. Wir werden darüber morgen in diesem Hause diskutieren. Für die Strom- und Gasmärkte ist eine wirksame Regulierung in Vorbereitung. Das neue Energiewirtschaftsgesetz soll noch in diesem Jahr in Kraft treten.

   Insgesamt ist nicht zu bestreiten: Noch niemals hat es in so kurzer Zeit eine so tief greifende Fortentwicklung der Wettbewerbsordnung gegeben, wie sie jetzt bevorsteht. Wir wollen die wettbewerbsrechtlichen Rahmenbedingungen der Printmedien nachhaltig verbessern, denn der Pressebereich in Deutschland steckt in einer tiefen Krise. Die zunehmende Bedeutung des Internets ist unumkehrbar. Im Werbegeschäft, aber auch als Informationsträger sind die Tageszeitungen starker Konkurrenz durch privates und öffentliches Fernsehen, Rundfunk und Internet ausgesetzt. Hinzu kommt auch hier ein demographischer Faktor: Die Gemeinde treuer Zeitungsleser wird zunehmend älter. Immer mehr junge Leute halten Tageszeitungen für verzichtbar.

   Die Summe dieser Faktoren, die ich gerade aufgezählt habe, zeigt Wirkungen in der Verlagslandschaft. Personalkürzungen und Abstriche an redaktionellen Inhalten sind die Folgen. Die Monopolkommission hat auf diese Problemlage hingewiesen. Der Entwicklung, die ich hier beispielhaft dem wunderbaren Bericht des Kartellamtes entnommen habe - man kann hier zur Veränderung der Presselandschaft im Einzelnen sehr Interessantes nachlesen -, darf die Bundesregierung nicht tatenlos zusehen. Unser Ziel ist es, Verlagen, deren wirtschaftlicher Bestand bedroht sein könnte, erweiterte Handlungsoptionen einzuräumen.

   Was schlagen wir vor? Wir wollen die Aufgreifschwelle der Fusionskontrolle auf 50 Millionen Euro erhöhen und eine Bagatellklausel in Höhe von 2 Millionen Euro einführen. Diese beiden Klauseln werden es kleinen Verlegern erlauben, bei der Suche nach Nachfolgern den Marktwert ihrer Zeitung zu realisieren. Andererseits bleibt der Schutz für kleine Verlage, der mit der pressespezifischen Aufgreifschwelle verbunden ist, erhalten. Unser Vorschlag hat moderate Auswirkungen: Die Erhöhung der Aufgreifschwelle gestattet es, dass sich circa 50 von insgesamt rund 330 regionalen Abo-Zeitungen kontrollfrei zusammenschließen können, wenn die wirtschaftliche Lage dies erfordert und die Verleger das wollen. Großverlage haben von dieser Regel nichts. Ihre Umsätze überschreiten die Grenze ohnehin.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Völlig falsch!)

Die Einführung der Bagatellklausel von 2 Millionen Euro bedeutet, dass im Extremfall circa 30 kleine Zeitungsverlage mit einer Auflage von bis zu 5 000 verkauften Exemplaren aufgekauft werden können, in diesem Fall auch von Großverlagen.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Um die geht es doch gar nicht!)

So wichtig diese erweiterte Bewegungsfreiheit für kleinere Verlage ist, so wenig reicht dies jedoch zur Stärkung unserer Zeitungslandschaft insgesamt aus. - Ich höre die Zwischenrufe sehr wohl und komme auch zu anderen Tatbeständen.

   Wir haben deshalb vorgeschlagen, den Verlegern eine weitere Option zu eröffnen: Die Verlage sollen sich zusammenschließen dürfen, wenn die erworbenen Zeitungen oder Zeitschriften langfristig als selbstständige publizistische Einheiten - Zeitungstitel und unabhängige Redaktionen - erhalten bleiben und dies durch ökonomisch begründete, eigentumsrechtlich verankerte Strukturen abgesichert wird. Zu diesen Vorschlägen gibt es ein breites Meinungsspektrum, welches von deutlicher Unterstützung bis zu vehementer Ablehnung reicht. Auch im Oppositionslager zeigen sich höchst unterschiedliche Positionen; dabei denke ich beispielsweise an die Abgeordneten Pofalla und Schauerte; Letzterer wird gleich nach mir dazu sicherlich etwas sagen.

   Wir sind offen für konstruktive Kritik. Nur, wer nicht so weit gehen will, die genannten Probleme schlichtweg zu ignorieren, sollte wirkungsvolle Handlungsalternativen benennen und aufzeigen.

(Beifall bei der SPD)

Nichtstun ist aus Sicht der Bundesregierung ausdrücklich keine Option. Lassen Sie mich ungeachtet dessen auf zwei - manchmal hat man den Eindruck: bewusste - Missverständnisse kurz eingehen:

   Falsch ist, dieser Vorschlag bevorzuge bestimmte, insbesondere große Unternehmen. Kein kleinerer Verleger muss sich auf das Modell einlassen. Wenn er das nicht macht, ist das kein Problem. Es ist eine Option für den Fall, dass ein Verleger alleine keine Zukunft sieht.

Wer nicht auf den grundsätzlichen Willen der Verleger zur Selbstständigkeit vertraut, müsste eigentlich unser gesamtes privatwirtschaftliches Modell der Presse infrage stellen.

   Falsch ist auch die Behauptung, das Modell sei schon deswegen verfassungswidrig, weil das Bundeskartellamt eine laufende inhaltliche Kontrollmöglichkeit erhalten solle. Das Bundeskartellamt hat lediglich zu prüfen, ob die zugesagten strukturellen Sicherungen für die Erhaltung der erworbenen Zeitung Bestand haben und eingehalten werden. Eine solche Kontrolle kommt schon jetzt in der Praxis des Amtes vor.

   Außer der Anpassung der Fusionsregeln kommen eventuell auch zusätzliche Kooperationsmöglichkeiten in Betracht. Schon nach geltendem Kartellrecht ist hier vieles möglich. Eine gesetzliche Absicherung der Kooperationsmöglichkeiten könnte jedoch durchaus hilfreich sein. Dabei ist insbesondere an Anzeigenkooperationen zu denken.

   Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Pressevielfalt ist ein so hohes Gut in der Demokratie, dass wir jede Fantasie aufbringen und jede Anstrengung unternehmen sollten, um sie uns zu erhalten. Lassen Sie uns gemeinsam daran mitwirken, dass dieses Ziel erreicht wird.

   Für den Bericht des Bundeskartellamtes und die darin dargestellten Initiativen und Aktivitäten will ich den Beschäftigten des Bundeskartellamtes ausdrücklich meinen Dank aussprechen; das Gleiche gilt für die Stellungnahme der Bundesregierung.

   Es würde sich eigentlich anbieten, umfangreicher und länger über die Aktivitäten in diesem sehr inhaltsreichen und erkenntnisreichen Bericht zu diskutieren und sie entsprechend nachzuzeichnen.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Das machen wir im Ausschuss!)

Dazu besteht leider nicht die Möglichkeit. Aber ich denke, andere Redner werden auf andere Aspekte dieses Berichtes eingehen.

   Ich darf mich herzlich für die Aufmerksamkeit bedanken.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Hartmut Schauerte von der CDU/CSU-Fraktion.

Hartmut Schauerte (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Andres, es ist ja schön, wenn hier gesagt wird, wie wichtig der Bericht ist. Aber es ist natürlich sehr bedauerlich, dass wir über diesen Bericht betreffend die Jahre 2001 und 2002 erst heute, im März 2004, diskutieren,

(Hubertus Heil (SPD): Die Bundesregierung hat im Sommer Stellung genommen! Das hätten wir also leicht früher machen können!)

der Minister nicht da ist und Sie nicht über das gesprochen haben, was in dem Bericht steht - vielleicht war das zu peinlich oder zu viel -, sondern über das, was neu ansteht. Das passt nicht zusammen; es ist sehr bedauerlich.

(Klaus Brandner (SPD): Es gehört zusammen!)

   Wir werden nicht mehr dulden, dass solche wichtigen und interessanten Berichte über die Konzentration und den Grad an Freiheit in unserer Volkswirtschaft so verspätet und so lieblos parlamentarisch beraten werden. Das hat an Ihnen gelegen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Klaus Brandner (SPD): Dabei hätten Sie doch die Gelegenheit dazu gehabt! Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages ermöglicht Ihnen das, Herr Schauerte!)

- Das werden wir in Zukunft auch verstärkt tun.

(Klaus Brandner (SPD): Das ist eine Mitteilung an Ihre eigene Fraktion!)

- Nein, die Kritik geht schon an Sie. Die Bundesregierung hat sich unendlich viel Zeit gelassen, bevor sie wenigstens eine Stellungnahme dazu abgegeben hat.

   Es geht um wichtige Dinge. Im Wettbewerbsrecht steckt eine ganze Menge Wachstumspotenzial. Je intensiver wir den Wettbewerb gestalten, umso größer ist das Wachstumspotenzial in einer Volkswirtschaft.

(Hubertus Heil (SPD): Auch für das Handwerk?)

- Ja, auch für das Handwerk, in festen Regeln; das sagt die soziale Marktwirtschaft, Herr Heil. - Tatsache ist, dass wir in Bezug auf den Freiheitsgrad und auf die Wettbewerbsfreiheiten in den letzten Jahren abgefallen sind. Nach internationalen Untersuchungen sind wir hinsichtlich des Freiheitsgrades der Volkswirtschaft auf Platz 18 gelandet, ein miserabler Platz. Aber das ist auch ein Zeichen dafür, wie Sie mit dem Wettbewerbsrecht und dem Bundeskartellamt umgehen. Das ist schon bedauerlich.

   Welches sind die Blöcke, über die wir hier sprechen? Der erste Block ist: Wie schaffen wir es, Staatsmonopole in den Markt zu überführen? In diesem Punkt sind wir in den letzten Jahren im Prinzip auf der ganzen Linie stehen geblieben. Ich könnte Ihnen Stellen aus diesem Bericht zitieren, die belegen, wo wir stehen geblieben sind. Wir haben die Geltungsdauer des Postmonopols verlängert und den Wettbewerb durch das Briefverteilungsmonopol erschwert. Im Energiebereich haben wir die Situation, dass nicht einmal 5 Prozent der Leute umgestiegen sind. Im Telekommunikationsbereich gibt es, glaube ich, noch immer 95 Prozent Festnetzanschlüsse im alten Monopol. In der laufenden Debatte über das Telekommunikationsgesetz ist im Zweifel gegen den Wettbewerb, gegen neue Marktzutritte, gegen Öffnung und für eine Verlängerung der Monopolsituation und den Schutz der Monopole gestritten worden.

(Hubertus Heil (SPD): Unsinn! Schauen Sie doch einmal in den Entwurf! - Doris Barnett (SPD): Das sind Ihre Unterstellungen!)

Das ist Ihre Linie. Sie haben die Möglichkeit eines freien Marktzutritts noch verschlechtert, indem Sie diesen wichtigen Wettbewerbsbereich mehr als stiefmütterlich - ich würde sage: auf schädliche Weise - behandeln. Wenn Sie so weitermachen, dann wird es an dieser Stelle die Wachstumsimpulse für unsere Volkswirtschaft, die wir dringend brauchen, um aus unserer wirtschaftlichen Misere herauszukommen, nicht geben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Eine zweiter Block, der ganz wichtig ist, hat mit der Frage zu tun, wie wir verhindern, dass die gebildete Marktmacht den Mittelstand und die Wettbewerber sozusagen zerschlägt, und wie die Fusionskontrolle funktioniert. Auch in diesem Bereich gibt es Entwicklungen, die bedenkenswert sind.

   Ich will in diesem Zusammenhang zwei Beispiele herausgreifen. Im Bereich der leitungsgebundenen Energiewirtschaft gab es im Berichtszeitraum 82 Beteiligungserwerbe, und zwar im Wesentlichen von RWE, Eon und EnBW. Es ist immer so, dass die Großen die Kleinen kaufen, meist mit Zustimmung der Kommunen. Statt mehr Wettbewerb gibt es also weniger Wettbewerb.

   Ich nenne ein zweites Beispiel. Im Bereich der Entsorgungswirtschaft gab es 78 Konzentrationsvorhaben. Die Marktteilnehmer waren RWE Umwelt, Trienekens und Rethmann. Auch dieser Prozess läuft praktisch ungebremst, ohne dass eine intelligente Maßnahme ergriffen würde, die für eine bessere Steuerung sorgt und mit der die Vielfalt sichergestellt wird. Die Entwicklungen in diesem Bereich stimmen uns ausgesprochen sorgenvoll.

   Ein dritter Block, Herr Kollege Heil, hat mit der Frage zu tun, wie wir in der Marktwirtschaft mit dem Machtmissbrauch umgehen.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Ja!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Schauerte, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heil?

Hartmut Schauerte (CDU/CSU):

Gerne.

(Dirk Niebel (FDP): Der erklärt jetzt, was mit Trienekens war! - Gegenruf des Abg. Hubertus Heil (SPD): Ich komme aus Niedersachsen und nicht aus Köln, Herr Kollege! - Gegenruf des Abg. Dirk Niebel (FDP): Macht nichts! Es geht ums Prinzip!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Bitte schön, Herr Kollege Heil.

Hubertus Heil (SPD):

Herr Kollege Schauerte, Sie haben den Telekommunikationsmarkt angesprochen. Wenn Sie den Bericht gelesen hätten, dann würden Sie uns bescheinigen, dass es in diesem Bereich massive Fortschritte gibt.

   Meine Frage ist: Haben Sie zur Kenntnis genommen - morgen haben wir das im Detail zu diskutieren -, dass wir dem Regulierer mithilfe unserer Änderungsanträge im Wirtschaftsausschuss ein scharfes Schwert in die Hand geben wollen - ich nenne beispielsweise die Änderungsanträge in Bezug auf die Vorleistungsprodukte -, während Ihre Fraktion nicht einmal in der Lage war, einen einzigen konkreten Änderungsantrag zum Gesetz in Sachen Telekommunikation im Wirtschaftsausschuss einzubringen? Sie stehen damit im Gegensatz zur FDP, die sich die Mühe gemacht hat, Änderungsanträge zu stellen. Aus den Reihen Ihrer Fraktion kam, wie gesagt, nicht ein einziger.

   Ich frage weiter: Können Sie mir erklären, wie Sie zu der Aussage kommen, die Sie eben zum Telekommunikationsmarkt gemacht haben, nämlich dass wir mit dem Gesetz irgendwelche Monopole schützen würden? Können Sie mir das bitte anhand eines konkreten Beispiels belegen?

Hartmut Schauerte (CDU/CSU):

Herr Kollege Heil, reden Sie mit dem Bundeskartellamt und erkundigen Sie sich bei den zuständigen Fachabteilungen, was sie von Ihren so genannten Verschärfungen halten! Nach intensiver Lobbyarbeit sind Sie der Telekom weit entgegengekommen, was die Verteidigung von Restmonopolen angeht. Sie haben den Wettbewerb beschädigt.

(Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nicht nur behaupten! Sie müssen schon Belege bringen!)

Fragen Sie die Wettbewerber, was sie von Ihren Aktivitäten halten!

(Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir fragen Sie!)

Sie werden Ihnen mitteilen, dass Ihr Kurs eine vertane Chance ist, weil dadurch Marktzutritte erschwert werden.

   Ich habe schon eine Zahl genannt: 95 Prozent aller Festnetzanschlüsse befinden sich nach wie vor in der Hand der Telekom. Da kann man doch nicht von einem funktionierenden Wettbewerb sprechen. Wenn Sie sich jetzt zufrieden zurücklehnen wollen, dann kann ich nur sagen: Aus dem Wettbewerb in Deutschland kann nichts werden.

(Beifall bei der CDU/CSU - Hubertus Heil (SPD): Sie haben keine Ahnung!)

   Es ist absolut unbefriedigend geregelt, wie wir mit dem Machtmissbrauch umgehen. Das Kartellamt gibt sich zwar alle Mühe. Aber das reicht nicht, weil es hinsichtlich des Personalbedarfs allein gelassen wird.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Sie wollen die Staatswirtschaft! Das wussten wir schon längst!)

- Das hat nichts mit Staatswirtschaft zu tun. Herr Kollege Schmidt, Sie haben die Marktwirtschaft immer noch nicht verstanden.

(Lachen bei der SPD - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Und das von Ihnen!)

   Soziale Marktwirtschaft heißt nicht, dass es ohne faire Regeln geht. Sie braucht dringend Regeln, die eingehalten werden müssen. Es kann nicht so sein, dass die Großen die Regeln machen und die Kleinen sie einhalten müssen. Wir müssen vielmehr Regeln aufstellen.

(Klaus Brandner (SPD): Das haben wir bei der Gesundheitsreform gemerkt!)

Sie stellen aber falsche Regeln auf. Der wesentliche Unterschied zwischen uns ist, dass Sie näher bei der Staats- und Machtwirtschaft als bei der Marktwirtschaft sind. Das ist Ihr Dilemma.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Auch in diesem Bereich gehen wir nicht ausreichend vor. Wir lassen das Kartellamt allein. Ich darf das einmal verdeutlichen: Bei der Regulierungsbehörde, die wir jetzt einrichten, werden auf einen Schlag 120 neue Stellen eingerichtet.

(Hubertus Heil (SPD): Wollen Sie jetzt Kontrolle, oder nicht?)

Dem Kartellamt wurden - Gott sei Dank - permanent neue Aufgaben übertragen. Aber für eine ordentliche Personalbewirtschaftung wurde nicht gesorgt. Das heißt, es kann seinen Aufgaben gar nicht gerecht werden.

   Eine Aufgabe will ich Ihnen einmal nennen: Dem Kartellamt wurde 1999 die Aufgabe übertragen, sich um die Einhaltung der Vergaberichtlinien zu kümmern. Hochinteressante Fragestellung! Eine solche Prüfung sollte dringend in der Bundesagentur für Arbeit und in den Ministerien erfolgen.

(Beifall bei der FDP)

Das Kartellamt ist dazu personell nicht in der Lage. Deswegen sage ich bewusst: Sie lassen das Kartellamt personalpolitisch in dem denkbar magersten Zustand,

(Rainer Brüderle (FDP): So ist es! Jawohl!)

weil Ihnen die Untersuchungen, die drohen würden, peinlich sind.

(Hubertus Heil (SPD): Der Bayerischen Staatsregierung wäre das peinlich!)

Sie wollen das nicht.

(Klaus Brandner (SPD): Das glauben Sie ja selbst nicht!)

Sie schützen Ihre Interessen und Ihre Positionen. Das ist ärgerlich. Wir werden im Rahmen der Haushaltsberatungen darauf zurückkommen. Dem Kartellamt muss geholfen werden, damit es wirksamer dafür sorgen kann, dass die Regeln der sozialen Marktwirtschaft eingehalten werden.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Das von Ihnen, dem größten Verletzer der Marktwirschaft!)

Das betrifft auch die katastrophalen Fehlentwicklungen im Vergabebereich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Nun lassen Sie mich auf das Thema Pressefusion, das Sie, Herr Staatssekretär, angesprochen haben, zu sprechen kommen; ich will es nicht sehr vertiefen. In die Vorgänge um diese Pressefusion passt natürlich die heutige Schlagzeile einer Zeitung hervorragend: SPD will für 30 Millionen DM die „Frankfurter Rundschau“ kaufen.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): D-Mark überhaupt nicht! Sie haben mal wieder überhaupt keine Ahnung! Da merkt man, wo Sie sind: in der D-Mark-Wirtschaft!)

Das hat natürlich ein Geschmäckle. Man manipuliert wie noch nie am Pressefusionsrecht herum, um letztlich auch eigene Möglichkeiten in der Zukunft besser nutzen zu können und sein eigenes Presseimperium auszubauen.

(Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Missbrauch nennt man so etwas! - Hubertus Heil (SPD): Demagoge!)

   Erste Bemerkung. Wer der Belegschaft und den Lesern der „Frankfurter Rundschau“ gut will, sollte verhindern, dass die SPD diese Zeitung aufkauft. Die SPD wird auch diese Zeitung kaputtmachen; da bin ich mir ziemlich sicher.

(Beifall bei der FDP - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): So weit zum Thema Marktwirtschaft! Man merkt, wohin Sie gehören!)

   Zweite Bemerkung. Wenn wir im Zusammenhang mit dem Presserecht von Wettbewerb, offenen Märkten und Marktwirtschaft reden, dann geht es zum einen um Organisatorisches, zum anderen aber auch um Inhaltliches. Es ist doch mittlerweile in Deutschland Konsens - jedenfalls bei allen Vernünftigen; da denke ich etwas stärker an die Grünen

(Dirk Niebel (FDP): Na ja!)

als an Sie von der SPD -, dass es besser wäre, wenn Parteien keine eigenen Medien hätten und es nur Zeitungen gäbe, in denen nicht steht, dass sie von Parteien finanziert, begleitet und gemacht werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Hubertus Heil (SPD): Sie nehmen lieber schwarze Koffer!)

   Es ist doch interessant: Bei der Pressefusion sagen Sie - diese Debatte werden wir inhaltlich ganz neu führen -, man müsse die bisherigen Grundsätze aufgeben, weil die wirtschaftliche Lage der Zeitungen und der Verlage so schlecht sei, dass dies nicht mehr zu ertragen sei. Nun ist die finanzielle Lage der SPD ausgesprochen klamm. Genau in dieser Situation tätigt sie eine Investition von 30 Millionen Euro in einen Markt, der angeblich so schlecht ist, dass die bisherigen Wettbewerbsregeln dringend außer Kraft gesetzt werden müssen.

(Hubertus Heil (SPD): Nein! Gar nicht!)

Erklären Sie uns einmal, wie das zusammenpasst! Dies ist eine peinliche Veranstaltung.

   Zum Thema Konzentration gehört auch der Grundsatz: Besser weniger Politik in den Medien! Das haben wir doch beim Rundfunk immer gesagt; da haben wir bewusst getrennt. Diese Investition einschließlich der Diskussion um die Pressefusion wird dazu führen, dass wir von der Union das Thema „Pressekonzentration bei der SPD“ in Verbindung mit dem Fusionsverfahren und den Wettbewerbsveränderungen, die die siebte GWB-Novelle bewirken soll, neu auf die Tagesordnung setzen.

(Hubertus Heil (SPD): Unser Vermögen ist hart erarbeitet!)

Das Ding lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Jetzt muss darüber gesprochen werden, wie Zeitungen wirtschaften sollen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Ich würde Ihnen empfehlen: Legen Sie Ihr knappes Geld in demokratiefreundlichen Bereichen an,

(Hubertus Heil (SPD): Da hat die SPD mehr Ahnung als Ihr Laden!)

bei denen Sie nicht in den Verdacht kommen, dass Sie die öffentliche Meinung manipulieren wollten. Verdienen Sie Ihr Geld woanders!

(Hubertus Heil (SPD): Geschichtsloser Kerl!)

Es gibt doch bereits vonseiten der Redaktion der „Frankfurter Rundschau“ Verlautbarungen, dass man die Bewerbung der SPD um eine Beteiligung in Höhe von 75 Prozent begrüße. - Das ist eine interessante Zahl, die auch im Zusammenhang mit der Pressefusion vorkommt, die wir jetzt beraten müssen. - Denn damit werde der liberale und soziale Anspruch der Zeitung erhalten. Was soll das denn? Wenn man sagt, es gebe keine Beeinflussung, dann wird es ja wohl auch diesen Einfluss nicht geben können. Lassen Sie also Ihre Finger von der Zeitungslandschaft! Damit könnten Sie einen wesentlichen Beitrag zu mehr Freiheit, mehr Wettbewerb und mehr Offenheit in unserer Gesellschaft leisten.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Blanke Ideologie, was Sie da verbreiten! - Hubertus Heil (SPD): So etwas haben wir schon einmal in dieser Republik diskutiert!)

- Wir haben das, was Sie da gerade meinen, Herr Heil, auch mit Recht angegriffen und haben gesagt, dass das nicht in Ordnung ist.

   Es ist leider zu einer Diskussion gekommen, die dem Bericht nicht gerecht wird; denn wir reden nicht mehr über das, was in dem Bericht steht, sondern über das, was jetzt ansteht. In Zukunft sollte man solche wertvollen Berichte flott beraten. Sonst kann man kann sich die Mühe, Berichte zu schreiben, sparen und sollte lieber den Missbrauch bekämpfen. Leider ist die Diskussion aber durch die Geschäftsordnung in diesem Haus so gesteuert worden.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Das war übrigens Ihr Antrag! Auch da sagen Sie wieder die Unwahrheit!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat die Kollegin Michaele Hustedt, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ganz schnell vorweg zum FDP-Antrag: Das Kartellamt sollte die Wettbewerbsbehörde für Energie sein. Wer unterstützt überhaupt Ihren Antrag? Weder die EVUs noch die Stadtwerke noch die Verbraucher noch irgendwer in der Gesellschaft fordert Ihre Position. Ich glaube, das Kartellamt ist geeignet und die Regulierungsbehörde ist genauso geeignet. Wir müssen sowieso eine völlig neue Abteilung aufbauen. Entscheidend ist die Rahmengesetzgebung, an der wir schon arbeiten. Ihr Antrag ist albern bzw. - ich sage es einmal höflich - völlig überholt. Ziehen Sie ihn zurück und konzentrieren Sie sich auf die inhaltliche Diskussion.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Wir befinden uns in einer sehr spannenden Phase. Es wurde schon angesprochen: Ehemalige Monopolmärkte werden in Wettbewerbsmärkte überführt. Diese Überführung ist eine wichtige Funktion, die das Kartellamt in seinem Bericht auch anspricht.

   Was die Telekommunikation betrifft, Herr Schauerte, möchte ich Sie bitten: Reden Sie doch nicht immer schlecht, was gut läuft. Im Telekommunikationsbereich können wir auf eine Erfolgsgeschichte - das ist Ihr Beitrag genauso wie unser Beitrag - zurückblicken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Es gibt neu geschaffene Arbeitsplätze, es gibt sinkende Preise und es gibt Innovation. Diese positive Entwicklung werden wir mit unserer Telekommunikationsnovelle fortsetzen, über die wir morgen debattieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Der zweite Bereich, in dem Monopolmärkte in Wettbewerbsmärkte überführt werden, ist der Energiesektor. Auch auf den Energiesektor hat das Kartellamt einen Schwerpunkt gelegt: 95 Anträge auf Fusion wurden im Hauptprüfverfahren geprüft. Nur in acht Fällen wurde der Antrag abgelehnt; einer dieser Fälle war die geplante Fusion von Eon und Ruhrgas.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brüderle?

Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Bitte schon, Herr Brüderle.

Rainer Brüderle (FDP):

Frau Kollegin, damit Sie auf dem aktuellen Stand der heutigen Debatte sind: Der Antrag, den Sie angesprochen haben, steht heute gar nicht auf der Tagesordnung.

(Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ach, Sie haben ihn schon zurückgezogen! - Gegenruf des Abg. Ernst Hinsken (CDU/CSU): Nein, die haben ihn schon eher zurückgezogen!)

Vielleicht können Sie sich einmal vergewissern, über was Sie reden, wenn Sie reden. Das wäre der Debatte dienlich.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Das ist ziemlich arrogant, Herr Kollege, aber das kennen wir ja schon!)

Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Wenn Sie Ihren Antrag von gestern auf heute zurückgezogen haben, dann freue ich mich. Auch die FDP ist lernfähig, wunderbar.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So schnell wie Sie Anträge vorlegen und wieder zurückziehen, kann man gar nicht reagieren! Jeden Tag eine andere Position!)

   Die Eon/Ruhrgas-Fusion hat dank Ministererlaubnis doch noch stattgefunden. Das hat sich gelohnt: Eon hat aktuell den größten Gewinn seiner Firmengeschichte zu verzeichnen, das Betriebsergebnis ist noch einmal um 20 Prozent gestiegen. Ich gönne das den großen Konzernen zwar, aber es ist bei RWE und den anderen großen Energiekonzernen ähnlich, und das schon im dritten Jahr in Folge. Das muss uns nachdenklich machen; denn das hat auch etwas mit den Energiepreisen zu tun. Ich sage an die Opposition gerichtet einmal ganz klar: Wenn wir über Energiepreise sprechen, dann reden Sie nur und immer wieder über das EEG.

(Zuruf von der CDU/CSU: Na klar!)

Auf dem Auge der nachlassenden Wettbewerbsintensität in der Energiewirtschaft sind Sie aber blind.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Eon/Ruhrgas!)

Ich fordere Sie deutlich auf, sich einmal um dieses Thema zu kümmern. Ich habe davon gesprochen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Kollegin Hustedt, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel?

Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Es scheint ja wirklich etwas los zu sein. Legen Sie los.

Dirk Niebel (FDP):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin Hustedt, Sie haben eben die Ministererlaubnis für die Fusion Eon/Ruhrgas angesprochen. Können Sie mir bestätigen, dass der Minister, der diese Erlaubnis erteilt hat, nämlich der ehemalige Wirtschaftsminister Müller, nun in der Geschäftsführung von RWE in einem Tochterunternehmen ist?

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Das ist ein interessanter Aspekt! - Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich dachte immer, Sie wollen Wechsel zwischen Wirtschaft und Politik! - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Außerdem ist es keine Tochtergesellschaft!)

Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Jeder weiß, dass Herr Müller bei der RAG ist. Aber Ihr Kollege Rexrodt, damals Minister, hat, als ich das Thema im Wirtschaftsausschuss aufsetzen wollte - davon war die SPD nicht begeistert, logisch -, eingegriffen und verhindert, dass wir im Wirtschaftsausschuss darüber diskutieren. Er hat gesagt: Das ist kein Thema des Parlamentes. - So stand damals die FDP zu dieser Fusionsabsicht.

   Tun Sie also nicht so, als wären Sie der Wettbewerbsfreund!

(Rainer Brüderle (FDP): Wo werden Sie untergebracht? - Abg. Gudrun Kopp (FDP) meldet sich zu einer Zwischenfrage)

In diesem Punkt hatten FDP und CDU mehrheitlich - es gab die eine oder andere Ausnahme - dieselbe Position wie die SPD. Die Grünen waren die Einzigen, die sich öffentlich kritisch gegenüber dieser Fusion geäußert haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Aus dem mangelnden Wettbewerb im Energiebereich ziehen wir die Konsequenz und schaffen eine Wettbewerbsbehörde. Der Referentenentwurf zum Energiewirtschaftsgesetz liegt vor. Der Staat wird Schiedsrichter in diesem Bereich, um eine Steigerung der Wettbewerbsintensität anzusteuern.

   Die Wettbewerbsbehörde wird allerdings nur den Zugang zu den Netzen regulieren. Das Kartellamt hat weiterhin eine sehr wichtige Funktion im Bereich der Produktion. Hier hoffen wir auf Wettbewerb. Das Kartellamt soll diesen Wettbewerb überprüfen. Denn was nützt uns der beste Zugang zu den Netzen, wenn wir kaum Wettbewerber haben? Deshalb ist das Kartellamt aufgefordert, in diesem Bereich die Zahl der Fusionen und Übernahmen zu reduzieren und dafür zu sorgen, dass wieder neue Wettbewerber auf den Markt kommen.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Ja!)

Dazu passt aus meiner Sicht nicht die Überlegung, mit der GWB-Novelle die Ministererlaubnis weiter zu erleichtern.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Völlig klar!
Sie muss eher erschwert als erleichtert werden!)

   Dritter Punkt: die Presse. Der zweite spektakuläre Fall, auf den das Kartellamt eingegangen ist, ist die Ablehnung der Fusion von „Tagesspiegel“ und „Berliner Zeitung“. Es gibt eine Debatte, auch hier das Kartellrecht zu ändern und Verlagsfusionen deutlich zu erleichtern. Ich denke, es muss sehr genau überlegt werden, ob wir diesen Schritt gehen. Denn die Pressevielfalt ist ein hohes Gut der Pressefreiheit. Vor allen Dingen wären Konzentrationsprozesse nicht rückholbar.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Jawohl! Da haben Sie Recht!)

   Nun wird gesagt, dass es eine strukturelle und wirtschaftliche Krise des Zeitungsmarktes gebe. Eine Änderung sei erforderlich; anders seien die Zeitungen nicht überlebensfähig. Aber kürzlich sagte Mathias Döpfner von Springer: „Unsere Wirtschaftszahlen knüpfen an historische Höchststände an.“ Das Zeitungshaus will nun einen klaren Expansionskurs einschlagen. „Jetzt ist Kaufzeit“, so Döpfner von Springer. „ Wir würden gern eine Regionalzeitungskette bilden“ - sobald das Gesetz zur Pressefusion entschärft ist.

   Ich sage ganz deutlich: Dafür werden wir nicht den Steigbügel halten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das kann nicht das Ziel dieser Änderung sein. Ich weiß, dass auch Herr Clement diese Art von Kettenbildung bei Regionalzeitungen nicht will. Wir werden genau hinschauen müssen, ob die Möglichkeit dazu eröffnet wird, und gegebenenfalls darauf hinwirken, dass das verhindert wird.

   Ich weiß, dass zum Beispiel die „FR“ in deutlichen Schwierigkeiten ist. Es gibt durchaus Probleme. Ich kenne auch das Vorbild „WAZ“, wo die Redaktionen der fusionierten Blätter unabhängig blieben. Aber wir müssen genau hinschauen, ob das, was vorliegt, realistisch, umsetzbar und verfassungskonform ist, und die Pressevielfalt in Deutschland erhalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich komme zum letzten Satz. - Das Thema „Fusion und Konzentration“ ist hoch aktuell. Immer größer ist nicht immer besser. Das sieht man an der Daimler-Chrysler-Fusion. Vielmehr brauchen wir den Wettbewerb für eine lebendige Marktwirtschaft. Dafür brauchen wir auch ein starkes Kartellamt mit einem unbequemen Präsidenten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der Kollegin Gudrun Kopp.

Gudrun Kopp (FDP):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin Hustedt, Sie haben eben den Kollegen Rexrodt zur Personalfrage im Zusammenhang mit Fusionen angesprochen. Ich weise zum einen darauf hin, dass zu der Zeit, als Herr Rexrodt Minister war, dieses Thema überhaupt nicht anstand. Zum Zweiten hat Herr Dr. Rexrodt in der vergangenen Legislaturperiode wie auch in dieser nicht dem Wirtschaftsausschuss angehört.

(Klaus Brandner (SPD): Er war Stellvertreter! - Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das war auch gut für den Wirtschaftsausschuss!)

Insofern waren diese Bemerkungen völlig ohne Inhalt.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Wer sich verteidigt, klagt sich an, Frau Kollegin!)

   Nun komme ich auf den Vorwurf zurück, beim Thema Energiepolitik habe die FDP nichts zu bieten, wenn es um die Wahrung des Wettbewerbs geht. Ich verweise darauf, liebe Kollegin Hustedt, dass wir nicht ohne Grund gesagt haben, dass das Bundeskartellamt die richtige Regulierungsbehörde sei, nicht aber die von der Regierung vorgesehene RegTP, also die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post. Wir, die wir die Interna kennen, wissen, dass mit dieser Entscheidung ein enormer Personalaufbau verbunden ist. Es ist davon die Rede, dass zusätzlich 300 Personen zur RegTP kommen werden, um die Regulierung des Energiemarktes zu bewältigen.

(Klaus Brandner (SPD): Die will Herr Schauerte allein bei der Kartellbehörde!)

Dies deutet darauf hin, dass es eine bürokratische und kostenträchtige Klein-klein-Regulierung geben wird. Genau dies haben wir nicht gewollt. Wir haben immer darauf hingewiesen, dass das Bundeskartellamt eine größere Staatsferne aufweist, eine schlankere Regulierung vornehmen könnte und so im Sinne von mehr Wettbewerb tätig würde.

(Hubertus Heil (SPD): Pure Ideologie!)

   Mein letzter Punkt betrifft das Thema Energiepreise. Sie haben gesagt, die FDP spreche in diesem Zusammenhang ausschließlich die Belastungen aus dem EEG an. Das ist nicht der Fall. Wir haben bei jeder Gelegenheit darauf hingewiesen, dass die derzeitigen Strompreise für Privatkunden zu 41 Prozent durch Staatslasten verursacht werden, nämlich durch zusätzliche Belastungen aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, aus dem Gesetz zur Kraft-Wärme-Koppelung und aus der Ökosteuer.

(Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gute Steuer, die Ökosteuer!)

Wir haben uns also nicht auf nur einen Bereich beschränkt. Ich bitte Sie daher, in Zukunft bei der Wahrheit und bei den Fakten zu bleiben.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Jetzt kommt eine genauso lange Antwort!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Kollegin Hustedt zur Erwiderung.

Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Zunächst zu den Energiekosten. Sie wissen genau, dass die EEG- und KWK-Umlagen der kleinste Bestandteil sind. Den Hauptanteil der von Ihnen so genannten staatlichen Belastungen machen die Konzessionsabgabe, die es schon ewig gibt, die Mehrwertsteuer und die Ökosteuer aus. Dass Sie aber immer wieder die erneuerbaren Energien ins Zentrum stellen, wenn Sie über Energiepreise reden, zeigt ganz klar, dass Sie schlichtweg gegen die Weiterentwicklung der erneuerbaren Energien sind. Das haben Sie auch bei der Beratung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes gezeigt. Sie verstecken Ihre Haltung nur hinter dem Energiekostenargument. Aber darauf fällt kein Mensch herein.

   Zweiter Punkt. Sie sind anscheinend die letzten Mohikaner, die noch darauf setzen, dass es keiner Regulierung bedarf.

(Gudrun Kopp (FDP): Das ist nicht wahr! - Rainer Brüderle (FDP): Stimmt doch gar nicht!)

In allen Ländern Europas ist klar, dass man sagt: Wenn es ein Netz gibt, das ein natürliches Monopol darstellt, dann ist es sinnvoll und richtig, dass der Staat als Schiedsrichter Regeln aufstellt, die er dann auch kontrolliert und überwacht.

(Dirk Niebel (FDP): Guten Morgen! - Weitere Zurufe von der FDP)

Wenn man aber nur fünf Leute für diese Kontrolle und Überwachung einsetzen will, dann will man keine Regulierung. Man braucht schon ein paar Leute mehr dafür. Sagen Sie also Ja oder Nein, aber tun Sie nicht so, als seien Sie für den Staat als starken Schiedsrichter, obwohl Sie die entsprechende Behörde nicht ausstatten wollen. Das empfinde ich als unglaubwürdig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Letzter Punkt ist das Thema Rexrodt und Eon/Ruhrgas-Fusion. Es tut mir Leid, aber Herr Rexrodt hat sich damals in der Presse mehrmals öffentlich geäußert. Außerdem ist er in dieser Situation - Herr Brüderle war dabei; Herr Schauerte kann sich auch noch genau daran erinnern - im Ausschuss aufmarschiert.

(Rainer Brüderle (FDP): Er war nie im Ausschuss! Das ist falsch, was Sie sagen!)

- Aber hallo, er ist im Ausschuss aufmarschiert und hat auch das Wort ergriffen. Er hat sich aktiv eingemischt und dafür gesorgt, dass die FDP die Meinung vertrat, dass nicht diskutiert werde. Das besondere Geschmäckle, das es hier gegeben hat, als er sich öffentlich und intern zu Wort gemeldet hat, besteht darin, dass er Teilhaber an einer PR-Agentur ist, die BP berät und von diesem Deal profitierte.

BP hat von diesem Deal profitiert.

(Dirk Niebel (FDP): Ruhrkohle gehört doch zu Eon! Ist da nicht Frau Röstel?)

   Da wir schon über Geschmäckle reden, kann ich nur sagen: Das damalige Eingreifen von Herrn Rexrodt war, was den liberalen Stellenwert der FDP betrifft, hochgradig unglaubwürdig.

   Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Geradezu skandalös!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat der Kollege Rainer Brüderle von der FDP-Fraktion.

Rainer Brüderle (FDP):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Stellungnahme der Regierung zum Tätigkeitsbericht heißt es:

Um das Wachstumspotenzial der deutschen Volkswirtschaft nachhaltig zu erhöhen und wieder mehr Beschäftigung und weniger Arbeitslosigkeit zu erreichen, sind auf vielen Politikfeldern ... tief greifende ... Reformen notwendig.

Das ist wohl wahr.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Ja!)

Die Frage ist nur: Warum handeln Sie nicht danach?

(Hubertus Heil (SPD): Ach, Quatsch!)

Warum machen Sie sich zum Erfüllungsgehilfen der Bremser, der Ewiggestrigen, der Bewahrer und der Anspruchsgesellschaft?

   Heute sprechen wir über Wettbewerb. Dazu schreibt die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme weiter: „... das Wettbewerbsrecht kann einen wichtigen Beitrag für mehr Wachstum und Beschäftigung leisten“. Auch zu dieser Erkenntnis kann man der Bundesregierung herzlich gratulieren.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Weil es richtig ist!)

Die Frage ist nur: Warum handeln Sie nicht danach?

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Ernst Hinsken (CDU/CSU))

Warum nehmen Sie, wenn Sie wettbewerbspolitische Entscheidungen treffen und Ihre Gesetzentwürfe erarbeiten, immer wieder Rücksicht auf Monopol- oder Kartellinteressen einzelner Wirtschaftsbereiche?

(Hubertus Heil (SPD): Das tun Sie doch!)

   Warum haben Sie entgegen jedem Rat der Fachwelt das Postmonopol über die Brüsseler Schiene verlängert? Warum sprechen Sie sich unter den Aspekten Wettbewerb und Management gegen die Europäische Richtlinie zu Unternehmensübernahmen, kurz: VW, aus? Warum haben Sie die Fusion von Eon und Ruhrgas entgegen jedem wettbewerbsrechlichen und wettbewerbspolitischen Rat per Ministererlaubnis möglich gemacht? Warum erleichtern Sie Kartelle und Fusionen im Pressewesen? Warum nehmen Sie sogar in Kauf, dass das Kartellamt zum Verhaltenskontrolleur denaturiert wird und dass die unter demokratischen Gesichtspunkten so wichtige Meinungsvielfalt in Deutschland Schaden nehmen kann, ja sogar die verfassungsrechtliche Frage der Pressefreiheit aufgeworfen wird?

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Brüderle, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hubertus Heil?

Rainer Brüderle (FDP):

Ja, gerne. Das ist immer eine Bereicherung.

Hubertus Heil (SPD):

Herzlichen Dank für Ihre Freundlichkeit, sehr geschätzter Kollege Brüderle. - Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie eben die Übernahmerichtlinie und das VW-Gesetz angesprochen. Können Sie mir sagen, ob Sie die Auffassung des niedersächsischen Wirtschaftsministers Walter Hirche, FDP, teilen, dass das VW-Gesetz ein vernünftiges Gesetz ist, das keinem schadet, aber sehr vielen nützt?

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Einmal so und einmal so!)

Sind Sie, was das VW-Gesetz betrifft, anderer Meinung als Herr Hirche? Ihre Antwort brauche ich als Niedersachse, sozusagen zu Protokoll.

Rainer Brüderle (FDP):

Ich habe über die Richtlinie zu Unternehmensübernahmen gesprochen und in diesem Zusammenhang auch VW genannt. In der Tat bin ich der Meinung, dass hier ein Stück mehr Mobilität ermöglicht werden muss und dass man keine Investitionen in einen Closedshop tätigen sollte.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Was bedeutet das denn konkret?)

- Herr Schmidt, wenn Sie mir zuhören, bekommen Sie auch meine Antwort mit. Wenn Sie aber dazwischenschreien, können Sie nichts verstehen.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Was meinen Sie, wie es sich anhört, wenn ich schreie!)

Bevor Sie losbellen, sollten Sie sich ein Argument erst einmal anhören. Das zeigt nur, dass Sie gar nicht zuhören, sondern nur etwas abspulen wollen. Sie haben an der Sache gar kein Interesse.

(Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da ist Herr Wulff in Niedersachsen aber anderer Meinung als Sie!)

Diese Geringschätzung einer parlamentarischen Auseinandersetzung deckt sich aber mit vielen Ihrer Verhaltensweisen.

(Zurufe von der SPD: Oh! - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Beleidigte Leberwurst!)

- Wenn Sie eine Frage stellen, müssen Sie auch die Antwort ertragen können oder Sie sollten ruhig sein.

   Ich wiederhole: Ich halte es für richtig, dass man die Übernahmerichtlinie, wie es der Kommissar vorgesehen hat, öffnet und die Möglichkeiten in diesem Bereich erweitert. Ich bin der Meinung, dass man auch beim VW-Gesetz - hier unterscheide ich mich von meinem Freund Walter Hirche - Öffnungsmöglichkeiten schaffen sollte. Der heutige Stand dieses Gesetzes entspricht nicht meiner Meinung.

(Beifall bei der FDP - Hubertus Heil (SPD): Herzlichen Dank! - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Sehr interessant!)

   Zurück zu meinen Fragen an Sie, weshalb Sie all diese Verstöße gegen Geist und Inhalt von Wettbewerbsrecht und -politik begehen. - Herr Kollege Heil, es wäre gut, wenn Sie mir Ihre geschätzte Aufmerksamkeit schenken würden; aber auch Sie, Herr Heil, wollen nicht zuhören, sondern nur absondern. - Die Antwort auf all diese Fragen ist immer die gleiche: Sie beugen sich den Kartell- und Monopolinteressen der Großindustrie und dem Druck der Verbände, der Lobby und vor allem der Gewerkschaften.

(Beifall bei der FDP)

Sie geben vor, die Interessen der arbeitslosen Verbraucher zu vertreten. In Wirklichkeit verraten Sie ihre Interessen. Unsozialer und widersprüchlicher kann eine Politik gar nicht sein.

   Wir, die Fraktion der FDP, haben in unserem Antrag gefordert, dass verhindert werden muss, „dass die GWB-Novelle zur industriepolitischen Spielwiese dieser Bundesregierung wird“. Nun ist es gelungen, die ehedem geplante, schon unanständige und jede Rechtsstaatlichkeit missachtende Einschränkung der gerichtlichen Überprüfung der Ministererlaubnis zu verhindern. Mir ist unbegreiflich, wie Sie überhaupt zu einer solch fundamentalen Demokratieprinzipien widersprechenden Anmaßung kommen konnten. Welch ein Verständnis haben Sie überhaupt? Wo wollen Sie hin? Wollen Sie - um mit Hayek zu sprechen - wieder zu einer Knechtschaft?

   Ihr Bekenntnis zum Wettbewerb ist nur vorgegeben; das zeigt das Beispiel Telekommunikationsgesetz. Sie wissen genau, dass eine Wettbewerbsbehörde ihrer Aufgabe nur dann entsprechen kann, wenn sie ihre Entscheidungen unabhängig treffen kann.

(Beifall bei der FDP - Hubertus Heil (SPD): Macht sie auch!)

Entsprechend der diesem fundamentalen ordnungspolitischen Prinzip abgeleiteten Haltung haben es bisher alle Bundesregierungen abgelehnt, Einzelweisungen an das Kartellamt zu geben, unabhängig von der komplizierten Frage, ob dies rechtlich zulässig ist oder nicht. Sie brechen mit dieser Tradition, indem Sie in das TKG explizit ein Einzelweisungsrecht einbauen. Das ist der Weg zu einer anderen Wirtschaftsverfassung,

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Ernst Hinsken (CDU/CSU))

weg von marktpolitischer Ordnung, hin zu industriepolitischer Lenkungswirtschaft. Das ist Ihr Ziel. Wohin das führt, wissen wir: Der Kampf um Subventionen, Protektion und Privilegien ersetzt die Bewährung von Leistung am Markt.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Das ausgerechnet von Ihnen!)

Ihnen ist klar, dass die Regulierungsbehörde durch das Einzelweisungsrecht des Ministers faktisch zu einer Abteilung des Ministeriums wird, dass sie ihre Unabhängigkeit verliert. Ist Ihnen klar, dass Sie damit die Entscheidung der Behörde in hohem Maße politisieren? Die Sache bekommt erst recht einen unappetitlichen Geschmack, wenn man sich vergegenwärtigt, dass hier erhebliche Interessen des Bundes als Eigentümer berührt sind; 43 Prozent der Telekom gehören immer noch dem Bund.

(Hubertus Heil (SPD): Reden Sie mal mit Herrn Kinkel!)

   Jetzt wollen Sie auch noch die Kompetenz für die Regulierung der Energiemärkte direkt auf die RegPT übertragen. Im Zweifel gilt dann auch hier ein Einzelweisungsrecht des Ministers. Wieder ist die Frage: Wo wollen Sie hin?

   Meine Damen und Herren, Sozialdemokraten und Grüne haben schon ein feindlich zu nennendes Verhältnis zum Wettbewerb.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Quatsch!)

Sie betrachten den Wettbewerb und das Wettbewerbsrecht als Instrument der Beliebigkeit, das man dann heranzieht, wenn es in die Interessen der jeweils zu begünstigenden Gruppen und Verbände hineinpasst, aber genauso gut ad acta legt, wenn die politische Druckkulisse es als opportun erscheinen lässt. Das Wettbewerbsrecht ist aber mehr als irgendein beliebiges Gesetz: Es ist ein zentraler Teil unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsverfassung. Es darf nicht zum Spielball politischer Interessen werden. Wettbewerb macht den Kern einer marktwirtschaftlichen Ordnung aus. Die marktwirtschaftliche Ordnung wiederum ist die Ordnung der Freiheit.

   Sie statten das Kartellamt nicht personell angemessen aus. Es ist vielleicht auch ein Zeichen, dass der Minister lieber auf Reisen geht und heute nicht bei dieser Debatte über die Magna Charta der Sozialen Marktwirtschaft im Parlament ist, sondern sie an andere abtritt. Sie haben nie ein einwandfreies Verhältnis zur Wettbewerbsordnung gehabt! Ich empfehle Ihnen: Lassen Sie Karl Marx im Museum in Trier!

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Das ist eine richtig gruftige Haltung! Wirtschaftspolitischer Grufti!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat der Kollege Hubertus Heil von der SPD-Fraktion.

Hubertus Heil (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute eigentlich über den Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamtes, auch wenn das in den letzten Minuten nicht immer deutlich wurde.

   Ich möchte an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für diesen wirklich sehr guten und sehr umfassenden, detaillierten Bericht zu danken.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wenn man einmal hineinschaut, geht der Bericht von der Elektrizitätswirtschaft über die Telekommunikationsbranche bis zur deutschen Marzipanindustrie - die interessiert mich aus körperlichen Gründen. Aber im Ernst: Wenn man einen Strich unter den Bericht macht, Herr Schauerte, und nicht nur immer der Regierung einen zu verpricken versucht, wie das Ihre Aufgabe ist, dann ist festzustellen,

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Ich wäre ja froh, wenn wir gut wären!)

dass Deutschland bescheinigt wird, dass es im Großen und Ganzen eine funktionierende Wettbewerbsordnung und auch eine funktionierende Wettbewerbsaufsicht hat, die internationale Vergleiche nicht zu scheuen braucht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das heißt nicht, dass wir uns auf dem Erreichten ausruhen wollen, aber es gibt uns die Gelegenheit, in dieser Debatte einmal über ein paar grundsätzliche Dinge zu reden.

   Herr Brüderle - bestellen Sie Herrn Kinkel übrigens einen schönen Gruß, wenn Sie mit ihm telefonieren; er arbeitet jetzt bei der Telekom -,

(Heiterkeit bei der SPD - Jörg Tauss (SPD): Er war mal in der Regierung! Oberregulierer!)

Sie haben eben gesagt, dass die Wettbewerbspolitik - -

(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)

- Genug gebrüllt! Hören Sie mir bitte zu. Ich habe das eben auch versucht.

(Rainer Brüderle (FDP): Ich habe eben zugehört!)

   Sie haben eben gesagt, dass die Wettbewerbspolitik - das unterstreichen auch wir Sozialdemokraten; darüber gibt es gar keinen Streit - ein zentrales Element unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ist. Das weiß die SPD spätestens seit 1959. Ich möchte Sie aber ganz herzlich darum bitten, dass Sie sich, wenn Sie über Wettbewerbspolitik reden, nicht immer nur die Bereiche herauspicken, die Ihnen passen, und andere Bereiche sanft verschweigen. Ich möchte daran erinnern, dass Sie es waren, die die Entwicklung hin zum Wettbewerb im Gesundheitswesen durch Ihr Veto gegen das Aufbrechen des Monopols der Kassenärztlichen Vereinigung unterbunden haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich verbinde mit Ihrer Partei Karl-Hermann Flach und viele andere große Liberale, die sich heute darüber aufregen müssten, welche alten Zöpfe bei der Handwerksordnung, die schon 1969 abgeschnitten werden sollten, Sie verteidigt haben. Ich frage mich, was das eigentlich für eine FDP ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Heil, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brüderle?

Hubertus Heil (SPD):

Sehr gern.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Hier wird die Debattenzeit für die FDP aufgebläht! Das ist unerträglich!)

Rainer Brüderle (FDP):

Herr Kollege Heil, zu Ihrer Anmerkung zur Gesundheitspolitik: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass Wettbewerb erfordert, dass auf beiden Seiten des Marktes, bei Angebot und Nachfrage, auch tatsächlich Wettbewerb herrschen muss? Wenn Sie bei der Kassenärztlichen Vereinigung eine Öffnung vornehmen wollen, dann müssen Sie aber auch das Monopol der gesetzlichen Krankenversicherung, die über 90 Prozent der Nachfrage abdeckt, abschaffen und hier für Wettbewerb sorgen. Sonst haben Sie keinen Wettbewerb.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Klaus Brandner (SPD): Die sind im Wettbewerb!)

Hubertus Heil (SPD):

Herr Kollege Brüderle, im Gegensatz zu den Kassenärztlichen Vereinigungen stehen die gesetzlichen Krankenversicherungen in Deutschland miteinander im Wettbewerb. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich will zu zwei Themen etwas sagen, die hier angesprochen wurden. Erstens. Es wurde über den Telekommunikationsmarkt geredet, und zwar von Rednern, die von diesem Thema offensichtlich nichts verstehen. Es ist uns unterstellt worden, dass wir den Gesetzentwurf zum Wohl der Monopolisten geändert hätten. Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, was die Telekom und die Mitbewerber über die Änderungen sagen, die wir im Gesetzentwurf tatsächlich vorgenommen haben. Wir haben hinsichtlich der Regulierung bei den Vorleistungsprodukten eine Regelung eingeführt, die dem Regulierer ein wirklich scharfes Schwert für die Marktöffnung an die Hand gibt. Alle, die sich auf diesem Markt ein wenig auskennen, wissen, dass die ein ganz gewaltiger Schritt ist, um bei der erfolgreichen Liberalisierungsstrategie im Telekommunikationsmarkt voranzukommen. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen und nicht einfach nur Ihre ideologischen Feindbilder abzuspulen. Sie haben sich einer Debatte um ein Telekommunikationsgesetz verschlossen, weil es Ihnen lieber ist, uns über ein Feindbild in eine Ecke zu stellen, anstatt sich auf den Hosenboden zu setzen und im Wirtschaftsausschuss konkrete Änderungsanträge zu stellen. Das ist die Realität.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Zum anderen möchte ich nun etwas zu dem sehr sensiblen Thema Pressefusionskontrolle sagen.

   (Abg. Jörg Tauss (SPD) meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

- Herr Kollege Tauss.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Wollen Sie dem Kollegen Tauss eine Zwischenfrage gewähren?

Hubertus Heil (SPD):

Dem Kollegen Tauss gewähre ich gerne eine Zwischenfrage, wenn es nicht zum Thema Datenschutz ist.

Jörg Tauss (SPD):

Das haben wir doch anderweitig befriedigend geklärt, lieber Kollege Heil.

   Ich will beim Thema Presse auf Äußerungen unseres verehrten Kollegen Schauerte über den Kauf einer Zeitung durch die SPD zurückkommen. Es ist vermutlich wilder Neid, dass die SPD im Gegensatz zur CDU erfolgreiche Unternehmensbeteiligungen hat.

(Lachen des Abg. Hartmut Schauerte (CDU/CSU))

- Das ist nachprüfbar. - Der guten Ordnung halber: Können Sie mir bestätigen, dass nicht die SPD, sondern ein äußerst erfolgreiches Beteiligungsunternehmen, das der SPD gehört, gegenwärtig die Frage prüft, das in Rede stehende Presseorgan zu erwerben? Ich bitte Sie diesbezüglich um Sachaufklärung. Möglicherweise wird das dem Kollegen Schauerte dann auch gleich klar.

Hubertus Heil (SPD):

Herr Kollege Tauss, ich sage gerne etwas zu diesem Thema; denn jeder, der sich auch nur ein wenig für die Geschichte interessiert, muss sich über die Demagogie - diesen Begriff verwende ich hier bewusst -

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): So ist es doch! - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Das ist unfair!)

bei diesem Thema nicht nur ärgern, sondern wirklich aufregen.

   Die deutsche Sozialdemokratie hat eine sehr stolze Geschichte. Sie hat sich ihr ganzes Vermögen und ihre gesamten Beteiligungen in ihrer Geschichte ehrlich erarbeitet.

(Beifall bei der SPD)

Ich will darauf hinweisen, dass es in der Geschichte bereits zwei politische Kräfte von ganz rechts und ganz links gab, die die SPD 1933 und nach dem Krieg enteignet haben. Heute verfügt die SPD wieder über Beteiligungen - beispielsweise an Zeitungen -, ohne jedoch redaktionell Einfluss zu nehmen, was mich hin und wieder ärgert, wenn ich die „Hannoversche Allgemeine“ lese oder an einige Zeitungen in Ostdeutschland denke.

   Wir haben diese Beteiligungen deshalb, weil Arbeiterzeitungen gegründet wurden, weil Kommunisten und vorher Nationalsozialisten uns enteignet haben und weil wir nach der deutschen Einheit zu Recht wieder Anteile zugesprochen bekommen haben.

(Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Von welcher Regierung denn?)

Wir haben uns das selbst erarbeitet. Sie haben sich schwarze Koffer zuschieben lassen. Das ist der Unterschied.

(Lebhafter Beifall und Bravo-Rufe bei der SPD - Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Heil, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schauerte?

Hubertus Heil (SPD):

Sehr gern.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Bitte schön.

Hartmut Schauerte (CDU/CSU):

Herr Kollege Heil, ich bin mehr als erstaunt darüber, dass Sie mir, der ich einen sehr sachlichen Beitrag geleistet habe,

(Beifall des Abg. Ernst Hinsken (CDU/CSU) - Lachen bei der SPD)

der mit dem hier zu behandelnden Sachverhalt wirklich sehr eng verbunden war - es geht um Pressebeteiligungen und Meinungsvielfalt -, Demagogie unterstellen und dass Sie mit einer solchen Retourkutsche reagieren. Sie sind offensichtlich tief verletzt.

   Können Sie bestätigen, dass wir heute ein modernes Demokratieverständnis haben und dass wir darauf hinarbeiten sollten, dass sich Parteien an der Produktion und Veröffentlichung von Meinungen sowohl in den Printmedien als auch in den Rundfunk- und Fernsehanstalten so weit wie möglich nicht beteiligen sollten?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Können Sie auch bestätigen, dass es aufgrund dieses mittlerweile eigentlich unbestrittenen modernen Demokratieverständnisses mehr als eigenartig ist, dass die SPD genau diesen Teil ihrer Beteiligungen jetzt auch noch vergrößert?

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Es stimmt überhaupt nicht, dass das unbestritten ist! Das ist Ihre demagogische Meinung!)

Wäre es nicht modern, sich sukzessive daraus zurückzuziehen und in die Bereiche zu investieren, in denen man nicht in den Verdacht kommen kann, über Medien Meinungen verändern, beeinflussen oder manipulieren zu wollen?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Hubertus Heil (SPD):

Herr Kollege Schauerte, zu Ihrer ersten Frage will ich Ihnen sagen, dass die deutsche Sozialdemokratie in Sachen Demokratieverständnis keine Belehrungen aus der konservativen Ecke braucht.

(Beifall bei der SPD - Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Offensichtlich doch!)

- Nein.

   Zweiter Punkt - das sage ich Ihnen in aller Ruhe -: Diese Debatte hat einen ganz konkreten Hintergrund. Sie versuchen in Hessen und Niedersachsen durch die Änderung des Presserechts in diesem Bereich gerade, in das Eigentum der SPD einzugreifen.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Weil es nötig ist! Das ist gut für die Demokratie!)

Ich sage Ihnen Folgendes: Erstens. Dieses Eigentum ist in der Geschichte meiner Partei rechtmäßig erarbeitet worden. Zweitens. Im Gegensatz zu dem, was Sie den Menschen diesbezüglich immer weismachen - oder besser: schwarzmachen - wollen, nehmen wir in diesem Bereich keinen Einfluss auf die inhaltliche Gestaltung.

(Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Das ist doch gar nicht wahr! - Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Sie wissen doch, dass das nicht stimmt!)

Sie versuchen ständig, das an die Wand zu malen. Die Realität sieht anders aus. Schauen Sie sich einmal an, welche Meinungskartelle aus der rechten Ecke es in Hamburg beim letzten Wahlkampf gegeben hat!

(Beifall bei der SPD)

   Herr Kollege Schauerte, ich mache Ihnen ein sachliches Angebot. Über die 7. GWB-Novelle, die jetzt ansteht, sollten auch die Berichterstatter in Ruhe und jenseits dieser aufgeregten Debatte miteinander reden.

(Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Sie haben angefangen!)

Sie haben Recht: Das GWB ist das Grundgesetz der Marktwirtschaft. Weil es der Sache dient, haben wir viele Novellen im Bereich des GWB miteinander, also über die Parteigrenzen hinweg, erarbeitet.

   Ich bitte Sie deshalb ganz herzlich, mit uns sachlich über die Situation am Zeitungsmarkt zu reden. Die Unterstellung, wir, die SPD, würden uns an diesem Bereich zu schaffen machen, weil wir, wie Sie sagten, unser Medienimperium ausbreiten wollen,

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Ja, das ist so!)

ist schlicht und ergreifend eine Unverschämtheit, Herr Schauerte. Das nenne ich Demagogie.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Beim Thema Pressefusionskontrolle - darauf hat die Kollegin Hustedt hingewiesen - können und müssen wir sehr sensibel miteinander darüber diskutieren, wie die Lage ist. Wir alle wollen - ich finde, das sollte niemandem in diesem Haus abgesprochen werden - Meinungsvielfalt und Wettbewerb auf dem Zeitungsmarkt in Deutschland. Wir müssen allerdings zur Kenntnis nehmen, dass sich auf dem deutschen Zeitungsmarkt eine Reihe von Dingen verändert hat und wir nicht nur eine konjunkturelle Krise haben. Nach einem Boom der Konjunktur im Zeitungsgeschäft im Jahre 2000 bestehen nun strukturelle Probleme, über die man ernsthaft, sachlich und in Ruhe miteinander reden muss.

   Zu diesen strukturellen Problemen gehören erstens ein verändertes Leseverhalten gerade bei jüngeren Leserinnen und Lesern von Zeitungen, zweitens ein Rückgang der Werbe- und Anzeigenmärkte, weil die Zeitungen in Deutschland einem härteren Wettbewerb mit elektronischen Medien ausgesetzt sind, und drittens die Konkurrenz, die die Tageszeitungen durch das Internet erfahren. Wir müssen also darüber reden, in einer solchen Situation lebensfähige Einheiten zu schaffen, die am Markt bestehen können.

   Wir als Fraktion werden uns die Vorschläge des Bundeswirtschaftsministers, wenn sie im Kabinett beschlossen worden sind, sehr sorgfältig anschauen. Für uns gibt es im Gegensatz zu Ihnen keine Vorfestlegung in diesem Punkt. Wir werden das unideologisch prüfen,

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Das tun wir auch!)

weil es uns um die Sache geht. Wir wollen hier keinen Popanz aufbauen, Herr Schauerte. Wenn man das macht, dann wird man feststellen, dass es tatsächlich Handlungsbedarf gibt. Darüber, wie wir diese Handlungen ausgestalten, lassen Sie uns sachlich miteinander reden. Das Thema ist viel zu sensibel, als dass man es in einem billigen polemischen Streit im Parlament ausfechten sollte.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Beim Thema Pressefusionskontrolle werden wir mit allen Beteiligten diskutieren: den Zeitungsverlegern, den Gewerkschaften - Verdi hat sich hier sehr kritisch eingelassen -, dem Deutschen Journalisten-Verband, aber auch den Verbraucherorganisationen. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, was auf diesem Gebiet in Europa schon stattgefunden hat: Ein aus Australien stammender Medientycoon ist auf dem britischen und amerikanischen Markt groß eingestiegen. Er könnte dies auch auf dem deutschen Markt tun, ohne dabei mit dem deutschen Kartellrecht in Konflikt zu geraten; denn das GWB umfasst weder Australien noch Amerika noch Großbritannien. Weil das so ist, muss man darüber reden, wie die deutschen Verleger in Deutschland überlebensfähig sein können.

   Sind Sie denn im Ernst der Meinung, wir würden uns an der Pressefusionskontrolle zu schaffen machen, um Leuten, die Ihnen - wie der Springerkonzern - nahe stehen, einen Gefallen zu tun?

(Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Das ist doch die Grundlage der Regierungspolitik!)

Können Sie uns im politischen Wettstreit nicht einfach unterstellen, dass wir uns massiv Sorgen um den Zustand des deutschen Zeitungsmarktes machen? So viel Ernsthaftigkeit muss in einer solchen Debatte sein. Wir müssen uns doch in Ruhe darüber unterhalten können, wie die Situation ist.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Sie denken an Ihre Zeitungen, Herr Heil!)

Als Niedersachse weiß ich, dass nicht alles eigenständige Zeitungen sind. Wir haben es in diesem Bereich mit vielen Mantelteilen zu tun. Wir müssen sehr sorgfältig darüber reden, was an Möglichkeiten für Zusammenschlüsse unter der Bedingung geschaffen werden kann, dass die Zeitungen auch zukünftig ihre redaktionelle Eigenständigkeit bewahren.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Sie denken an Ihr Zeitungsimperium!)

   Es geht in diesem Bereich auch um Beschäftigung. Reden Sie einmal mit Journalistinnen und Journalisten darüber, was auf dem Zeitungsmarkt heute los ist. Reden Sie einmal mit Redaktionen, in denen es kaum noch fest angestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Dann nehmen Sie da mal den Wettbewerb heraus!)

Reden Sie mal mit Journalisten in Berlin, die in einem verdammt harten Wettbewerb miteinander stehen, was dazu führt, dass immer mehr ausscheiden. Sie können zwar sagen, dass dies ein Lehrsatz der Marktwirtschaft ist: Die Stärksten setzen sich durch. Wenn Ihnen aber wirklich an Vielfalt gelegen ist, dann bitte ich Sie, über das Thema Pressefusionskontrolle ein bisschen ernsthafter zu diskutieren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluss sagen: Der Bericht enthält eine Fülle von Hinweisen. Herr Brüderle hat gefragt, was Sozialdemokraten tun, um eine Antwort auf den Bericht zu geben, in dem mehr Wettbewerb gefordert wird. Ich verweise Sie nicht nur auf die Agenda 2010, sondern auch auf das Telekommunikationsgesetz, das wir morgen verabschieden werden und einen weiteren Schub für die Branche bringen wird. Wenn Sie es ablehnen, dann werden wir uns im Vermittlungsausschuss wiedersehen. Ich bin sicher, dass wir für die Telekommunikationsbranche noch vor dem Sommer einen vernünftigen Kompromiss zustande bringen werden, der für mehr und wirksamen Wettbewerb in Deutschland sorgen wird.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Den hätten Sie schneller haben können!)

   Wir werden zum Zweiten im Bereich der Energiewirtschaft durch die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes dafür sorgen,

(Rainer Brüderle (FDP): Machen Sie es doch gleich richtig!)

dass auch hier eine weitere Marktöffnung im Bereich von Strom und Gas stattfinden kann. Wir brauchen dafür eine staatliche Regulierung. Frau Kopp, mir ist es vollkommen egal gewesen, ob das Kartellamt oder die Regulierungsbehörde dafür zuständig ist. Ich kann nur Helmut Kohl zitieren. Wenn es etwas Vernünftiges ist, gilt der Satz: Wichtig ist, was hinten rauskommt.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Nein!)

Ich sage Ihnen auch: Es ist nicht ehrenwert, auf der einen Seite zu sagen, es werde massiv Personal aufgestockt, auf der anderen Seite aber immer mehr Regulierung im Interesse des Wettbewerbs - zu Recht - zu fordern. Dafür braucht man Personal. Wir brauchen die Regulierung für einen Übergang in diesen netzgebundenen Industrien, um im Interesse der Unternehmen, im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher und im Interesse des Wirtschaftsstandortes Deutschland Wettbewerb zu ermöglichen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Hubertus Heil (SPD):

Die SPD-Bundestagsfraktion, die Koalition und auch die Bundesregierung brauchen in Sachen Wettbewerb von Klientelparteien keine Belehrung. Wir verstehen mehr davon.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Ernst Hinsken von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Jörg Tauss (SPD): Jetzt kommt der Kartellexperte aus Amberg!)

Ernst Hinsken (CDU/CSU):

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte ist von dem Pressefusionsgesetz und dem Telekommunikationsgesetz sowie von den Energieproblemen geprägt. Auf der Tagesordnung steht aber etwas ganz anderes. Es geht um mehr. Es geht um den Bericht des Bundeskartellamtes. Dem möchte ich mich vorrangig widmen.

   Wer im Internet die Aufgaben des Bundeskartellamts abruft, stellt fest, dass der Schutz des Wettbewerbs zu den zentralen ordnungspolitischen Aufgaben in einer Marktwirtschaft gehört. Wettbewerb, so möchte ich ausdrücklich unterstreichen, ist das Herzblut einer funktionierenden Marktwirtschaft. Wettbewerb reguliert sich nicht von selbst. Es gilt zu verhindern, dass große Unternehmen ihre Marktmacht schrankenlos ausspielen.

(Beifall des Abg. Hubertus Heil (SPD))

   Deshalb möchte ich ein klares Bekenntnis zur Aufgabenstellung des Kartellamtes, des Gralshüters des Wettbewerbs, mit den 270 Beschäftigten ablegen. Das Bundeskartellamt hat sich im In- und Ausland einen ausgezeichneten Ruf erworben. Darauf kann es meiner Meinung nach zu Recht stolz sein.

   Verehrte Kolleginnen und Kollegen, dunkle Wolken ziehen auf.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Äußerst kritisch möchte ich deshalb aus aktuellem Anlass die auf europäischer Ebene beschlossene teilweise Verdrängung des nationalen Kartellrechts bewerten. Sie ist nicht nur ein Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip, sondern auch nachhaltig abzulehnen. Wir dürfen uns hier von der europäischen Ebene nicht das Heft aus der Hand nehmen lassen. Reine europäische Vorstellungen dürfen nicht einfach zu deutschem Recht erhoben werden. Nicht alles, was uns von der EU übergestülpt wird, ist immer gut. Es muss deshalb für uns, den Bundestag, ein großes Anliegen sein, den spezifischen Mittelstandsschutz im deutschen Kartellrecht auch auf europäischer Ebene zu verankern. Denn die Leitlinien zur horizontalen Wettbewerbsbeschränkung der EU-Kommission legen hier einen Maßstab zugrunde, der sich zum Nachteil des deutschen Mittelstandes auswirkt.

   Das europäische Kartellrecht geht nur gegen die Marktbeherrschung vor. Was wir aber brauchen, ist die im deutschen Recht geltende Beibehaltung des Schutzes vor Missbrauch der relativen Marktbeherrschung, wie die Bundesregierung dies - das möchte ich ausdrücklich anerkennen - zu Recht vorsieht. Da gibt es keinen Dissens. Besonders wichtig ist vor dem Hintergrund der fortschreitenden Europäisierung des Kartellrechts aber, dass die mühsam, auch mithilfe des Bundeskartellamtes, erstrittene nationale Regelungsfreiheit im Bereich der Missbrauchsaufsicht stärker genutzt wird. Hier ist die Bundesregierung gefordert.

   Das Bundeskartellamt steht jetzt vor der Aufgabe, die durch das europäische Recht sich verstärkenden Vermachtungen und Konzentrationsentwicklungen über eine aktive und stringente Anwendung insbesondere des § 20 GWB zu stemmen. In diesem Zusammenhang fordere ich die Bundesregierung dringend auf, bei der derzeit anstehenden Novellierung dafür zu sorgen, dass das Bundeskartellamt bei der Rechtsanwendung sozusagen über ein scharfes Schwert verfügt, um aus unserer Sicht erfolgreich zu sein. Denn bereits im Bericht der Monopolkommission, über den wir im vergangenen Jahr diskutiert haben, ist der Bundesregierung ins Stammbuch geschrieben worden, dass die Großen immer größer werden und die Kleinen - also Mittelstand und Handwerk - nach und nach verschwinden. Konkursverwalter haben Hochkonjunktur. Das ist besorgniserregend und das möchte ich nachdrücklich ansprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rainer Brüderle (FDP))

   Es ist nicht nachvollziehbar, dass kritische Stellungnahmen des Bundeskartellamtes zu Gesetzgebungsvorhaben der Bundesregierung vom Bundeswirtschaftsministerium meist nicht berücksichtigt werden, wie es besonders bei der Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes und der GWB-Novelle sichtbar wird. Der Kollege Schauerte hat dies bereits ausgeführt. Herr Brüderle, auch Ihnen möchte ich beipflichten. Sie haben hierzu Richtungweisendes gesagt.

(Lachen bei der SPD)

   Eines ist klar: Wir brauchen für den Standort Deutschland auch Großunternehmen. Der Staat darf diese aber nicht auf Kosten des Mittelstandes bevorteilen. Das ist ein Gebot für uns alle, unabhängig davon, auf welcher Seite des Bundestages wir sitzen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rainer Brüderle (FDP) - Zuruf von der SPD: Da hat er Recht!)

   Lassen Sie mich kurz, ebenso wie meine Vorredner, auf das Pressefusionsrecht eingehen.

(Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Lohnendes Thema!)

Nicht nur wegen des Erhalts der Meinungsfreiheit in ihrer derzeit sehr vielfältigen Form, sondern auch aus wirtschaftspolitischen Gründen lehne ich den Entwurf von Bundesminister Clement ab. Herr Heil, hier liegen Welten zwischen uns. Ich kann die von Ihnen hier vertretenen Meinungen, die sich mit denen von Bundeswirtschaftsminister Clement decken, nicht nachvollziehen.

   Viele mittelständische Verlagshäuser werden von der großen Konkurrenz geschluckt. Das schadet dem wirtschaftlichen Wettbewerb. Auch die werbetreibende Wirtschaft ist auf die Vielfalt der kleinen und mittleren Zeitungen angewiesen. Das, was Bundesminister Clement, aber auch Sie, Herr Andres, beabsichtigen, hat doch zur Folge, dass die Großen gestärkt werden,

(Hubertus Heil (SPD): Nein!)

dass es zu einer inhaltlichen Verarmung im Blätterwald kommt

(Dr. Uwe Küster (SPD): Das sagen ausgerechnet Sie!)

und dass es zudem weniger Wettbewerb gibt. Dies ist meiner Meinung nach ein ordnungspolitischer Sündenfall, den wir - insbesondere die CSU - auf keinen Fall mitmachen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rainer Brüderle (FDP))

   Besonders krass ist die Konzentration im Einzelhandel. Hier brennt Feuer auf dem Dach. Im vergangenen Jahr wurden im Einzelhandel 50 000 Mitarbeiter entlassen. So viele waren es noch nie in einem Jahr.

   Meines Wissens sind in den vergangenen Jahren fast 30 Prozent der Verkaufsfläche für hochwertige Markenartikel weggebrochen. Dieses Flächensterben des Fachhandels muss gestoppt werden. Auch hierbei gilt es, die Vielfalt so weit wie möglich zu erhalten. Es sind doch irreversible Schäden, wenn in den Innenstädten immer mehr Großfilialisten den Ton angeben und das Erscheinungsbild bestimmen. Hier dürfen wir nicht weiter zuschauen. Auch der Verbraucher will das nicht. Er will lebendige Innenstädte. Deutschland darf kein reines Discountland werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Rainer Brüderle (FDP))

   Es ist doch katastrophal, dass allein 2003 aus diesem Grund und aufgrund der katastrophalen rot-grünen Wirtschaftspolitik der Einzelhandel über 35 000 Geschäfte verloren hat. Das sind 35 000 Unternehmerschicksale.

   Es gilt, den Schutz vor dem Missbrauch der Nachfragemacht zu verbessern; denn die Großen schlagen oftmals bei ihren mittelständischen Zulieferern Sonderkonditionen heraus, von denen kleine Unternehmen nur träumen können. Es gilt deshalb, die Vielfalt und Selbstständigkeit im Mittelstand zu erhalten. Der Mittelstand braucht eine Renaissance, die ihm insbesondere über das Kartellrecht zuteil werden muss.

Lassen Sie mich zum Abschluss feststellen: Wettbewerb ist nur fair, wenn er auch leistungsgerecht ist. Die Bundesregierung sollte sich eines klar machen: Es geht nicht um Wettbewerb um jeden Preis, sondern um Wettbewerb in Vielfalt. Wir sind für Deregulierung, aber nicht um der Deregulierung willen. Das, was die Bundesregierung vorhat, führt nicht zu mehr Wettbewerb, sondern zu weniger Wettbewerbern. Das ist nicht unsere Politik und dementsprechend kämpfen und streiten wir. Im Ausschuss werden wir noch genügend Gelegenheiten haben, uns diesbezüglich auseinander zu setzen.

   Für Ihre Aufmerksamkeit darf ich mich herzlich bedanken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Danke schön. - Ich schließe damit die Aussprache.

   Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/1226 und 15/760 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 97. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 12. März 2004,
an dieser Stelle veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/15097
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