100. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 25. März 2004
Beginn: 9.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Wolfgang Thierse:
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Der Kollege Wilhelm Josef Sebastian feierte am 21. März seinen 60. Geburtstag. Ich gratuliere im Namen des Hauses nachträglich sehr herzlich.
Im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung ist von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen die noch offene Position des stellvertretenden Mitglieds zu besetzen. Hierfür wird die Kollegin Undine Kurth (Quedlinburg) vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist die Kollegin Kurth als stellvertretendes Mitglied in den Parlamentarischen Beirat gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in einer Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen
der Fraktion der CDU/CSU: Unterschiedliche
Auffassungen im Bundeskabinett zum Emissionshandel und zur
Ökosteuer
(siehe 99.
Sitzung)
ZP 2 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 15/2743 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96
GO
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Sibylle Laurischk, Joachim Günther (Plauen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Gesamtverkehrskonzept Südbaden - Bündelung von Schiene und Straße im Rheingraben
- Drucksache 15/2470 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
ZP 4 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Für die Einhaltung der grundlegenden Menschenrechte und Grundfreiheiten in Guantanamo Bay
- Drucksache 15/2756 -
ZP 5 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Fortsetzung des Engagements der Bundesregierung für den Wiederaufbau- und Stabilisierungsprozess in Afghanistan
- Drucksache 15/2757 -
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll - soweit erforderlich - abgewichen werden.
Des Weiteren soll der Tagesordnungspunkt 7 g - Menschenrechte in Tunesien - abgesetzt werden. Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Überweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der in der 63. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Rechtsausschuss zur Mitberatung überwiesen werden
... Gesetzentwurf zur Änderung des
Sozialgesetzbuches
- Achtes Buch - (SGB VIII)
- Drucksache 15/1406 -
überwiesen:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Gerade wird mir ein Zettel mit der Mitteilung gereicht, dass die Kollegin Silvia Schmidt (Eisleben) heute ihren 50. Geburtstag feiert. Herzlichen Glückwunsch!
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Abgabe einer Erklärung durch den Bundeskanzler
Deutschland 2010: Unser Weg zu neuer Stärke
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung drei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundeskanzler Gerhard Schröder.
Gerhard Schröder, Bundeskanzler:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor einem Jahr habe ich hier dem Deutschen Bundestag die Agenda 2010 vorgestellt. Mit ihr verfolgen wir ein klares Ziel: Deutschland zu neuer Stärke führen.
Mit dieser Politik kommen wir unserer Verantwortung nach, Deutschlands Zukunft nicht nur außenpolitisch zu sichern, sondern unsere Gesellschaft auch ökonomisch und sozial zu erneuern, damit Deutschland unter völlig veränderten Bedingungen ein Land des Wohlstands und der sozialen Gerechtigkeit bleibt, ein Land, das für eine Kultur der Zuversicht und des Fortschritts im Sinne praktizierter Vernunft steht, ein Land, das modern ist, weil es alle Quellen des Wissens erschließt und sie in einer offenen Gesellschaft allen zugänglich macht, ein Land, das aus diesen Gründen einen Platz in der Weltspitze einnimmt, nicht weil wir ein Recht auf diesen Platz hätten oder weil wir andere dominieren wollten, sondern weil es gerade durch die Praxis von Verantwortung und Erneuerung zur Weltspitze gehört.
Heute steht Deutschland auf diesem Weg bereits um einiges besser da als noch vor zwölf Monaten.
Die wirtschaftliche Stagnation der vergangenen drei Jahre ist überwunden,
die Investitionstätigkeit zieht wieder an, Auftragseingänge und Produktion der Industrie weisen aufwärts. Die deutsche Wirtschaft wird in diesem Jahr zum ersten Mal seit drei Jahren wieder wachsen. Im vergangenen Jahr hat die deutsche Exportwirtschaft so viele Waren und Dienstleistungen abgesetzt wie kein anderes Land der Welt. Der Rückgang der Erwerbstätigkeit kommt allmählich zum Stillstand.
Das sind ermutigende Erfolge, auf denen wir aufbauen können. Sie zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Aber es ist nichts, worauf wir uns ausruhen könnten.
Was mich allerdings noch mehr ermutigt und was ich wichtig finde, ist die Tatsache, dass wir in diesem einen Jahr gewiss unter Schwierigkeiten, aber doch gezeigt haben: Wir Deutschen sind fähig und bereit, unser Land zu reformieren und den Egoismus zu überwinden - den Egoismus der Einzelnen, aber vor allem den Egoismus der Interessengruppen.
Vor einigen Wochen schrieb die „New York Times“, die Deutschen hätten in der Reformdiskussion die Chance, sich darauf zu besinnen, dass sie nicht die Fähigkeit verloren hätten, hart zu arbeiten, Neues hervorzubringen und Opfer auf sich zu nehmen. Genau damit hätten sie das Wirtschaftswunder hervorgebracht. - Ich denke, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir können heute allen Schwierigkeiten und allen Problemen zum Trotz sagen: Wir Deutschen sind jetzt im Begriff, diese Chance, uns auf unsere eigenen Stärken zu besinnen, auch zu nutzen. Wir haben bewiesen, dass wir bereit sind zur Wahrheit und zur Lösung von Problemen, auch wenn sie schmerzhaft und auch wenn sie kompliziert sind. Wir haben damit die Blockierer und die Schwarzmaler widerlegt.
Aus meinen vielen, gelegentlich sehr kontroversen Gesprächen über den zweifellos schwierigen Umbau unseres Sozialstaates ist mir eine Begegnung besonders in Erinnerung geblieben. Es war eine Rentnerin aus Bocholt, die am Ende einer solchen Diskussion aufstand und sagte: Ich und viele, die in ähnlicher Lage sind wie ich, sehen ja ein, dass auch wir etwas beitragen müssen. Aber es ist nicht immer einfach für uns. Deshalb würden wir uns wünschen, dass die Politik und die Gesellschaft uns auch einmal ihre Anerkennung aussprechen. Noch wichtiger ist es, dass sie uns klar machen: Was wir jetzt beitragen, lohnt sich, weil unsere Kinder und unsere Enkelkinder etwas davon haben werden.
Mich hat das sehr beeindruckt. Ich finde, darüber sollte man in diesem Land nachdenken.
Es ist gewiss so, dass die heutige Rentnergeneration unser Land zur Stärke geführt hat. Diese Generation hat das Land wieder aufgebaut, als es in Trümmern lag. Diese Generation weiß, was Entbehrungen bedeuten. Wir wissen, dass für viele dieser heutigen Rentnerinnen und Rentner 10 oder 20 Euro weniger im Monat sehr wohl einen Unterschied in der Lebensqualität ausmachen. Deshalb ist mir keine Entscheidung zur Agenda 2010 so schwer gefallen wie die, auch Rentnerinnen und Rentner stärker zu belasten.
Ich weiß, was diese Rentnergeneration für das Gemeinwohl zu leisten bereit ist, und viele in unserem Land - vor allen Dingen diejenigen, denen es sehr gut geht - sollten sich ein Beispiel daran nehmen.
Diesen Menschen versprechen wir: Eine Politik des bloßen Umverteilens von unten nach oben wird es mit uns nicht geben. Umverteilen aber müssen wir, und zwar vom Gestern und Heute ins Morgen, in die Zukunft unserer Kinder und unserer Enkel.
Was ich dieser Generation, zumal dieser Rentnergeneration, gerne sagen würde, ist: Was wir zusammen begonnen haben, wird sich auszahlen: in Zukunftschancen, in Freiheit und Wohlstand für unsere Kinder und für deren Kinder.
Wir haben in dem zurückliegenden Jahr viel geschafft. Wir haben sehr viele Probleme, deren Bewältigung wir alle zusammen auf die lange Bank geschoben hatten und die über Jahrzehnte hinweg nicht gelöst worden waren, auf einmal angehen müssen. Das war nicht leicht und es ist nicht ohne Reibungsverluste verlaufen - ich weiß wahrlich, worüber ich in diesem Zusammenhang rede -, übrigens auch nicht ohne Fehler im Detail.
Klar ist allerdings auch: Wir sind noch längst nicht am Ende unseres Weges. Aber die wichtigste Zwischenbilanz, die wir heute ziehen können, lässt sich sehen: Wir haben uns und anderen bewiesen, dass auch in schwierigen Zeiten und in oft mühseligen und langwierigen Verfahren Veränderungen für das Gemeinwohl möglich und machbar sind. Wir haben gesehen: Wenn die politische Führung den Mut zur Veränderung aufbringt, dann besteht die Chance, dass wir auch die Bereitschaft der Menschen finden, solche Veränderungen mitzutragen. Notwendig - im wahrsten Sinne dieses Wortes - ist das für unser Land. Wir haben erkannt - diese Erkenntnis wächst in unserer Gesellschaft -, dass Veränderungen auch dann sein müssen, wenn sie im Einzelfall schmerzhaft sind, übrigens so schmerzhaft, wie es auch die diesen Veränderungen zugrunde liegende Wirklichkeit gelegentlich ist.
Wir wissen heute sehr viel genauer, mit welchen Blockaden wir es auf unserem Weg zur Erneuerung zu tun haben.
Wir haben begonnen, eine Verständigung über den notwendigen Weg zu erreichen. Es geht um eine Verständigung darüber, was dieses Land nach innen und nach außen sein will und sein wird: eine treibende Kraft der europäischen Integration, ein selbstbewusstes, aber nie überhebliches Mitglied der Völkerfamilie, ein wichtiger Partner im Kampf gegen Terrorismus und Gewalt, aber eben auch ein Anwalt für eine gerechte, weil kooperative Weltordnung.
Im Innern will und wird es ein Land sein, das seiner Kraft vertraut, der Kraft, die nach bitteren Erfahrungen von Diktatur, Krieg und Zerstörung Wiederaufbau und neuen Wohlstand geschaffen hat, ein Land, das diese Kraft in der Erneuerung wiedergewinnt und dabei den Egoismus überwindet, vor allem ein Land, das auch in der Veränderung eine soziale Gesellschaft bleiben will und bleiben wird, weil gerade das ein Teil unserer Kraft ist.
Ich weiß sehr wohl: Die Idee von der sozialen Gesellschaft hat heute eine Menge Gegner. In der Rechnung derjenigen, die predigen, dass in der Globalisierung nur ein ungezügelter Marktliberalismus konkurrenzfähig sei, zerfällt jede Gesellschaft in Gewinner und Verlierer. Ich denke aber auch an diejenigen, die den Sozialstaat alter Prägung um jeden Preis verteidigen wollen, die den Sozialstaat mit einem Sozialhilfestaat verwechseln und jede Reform als Angriff auf die Gerechtigkeit bekämpfen. Beide liegen falsch.
Deutschlands Weg zu neuer Stärke führt allein über die Verteidigung der sozialen Gesellschaft. Das setzen wir all denen entgegen, die Reformen nur als Verzicht begreifen, aber auch denjenigen, die immer nur Verzicht predigen, dabei aber ausschließlich an andere denken.
Bei der Besinnung auf unsere Stärken gibt es auch eine Rückbesinnung auf unsere Tugenden: Erfindergeist und Fleiß, Kreativität, auch Leistungsbereitschaft und auch die Tugend der Anständigkeit. In der öffentlichen Diskussion hat man das häufig „die deutschen Arbeitnehmertugenden“ genannt. Das ist aber falsch. Es müssen auch Arbeitgebertugenden sein.
Wir können den Menschen sehr wohl verständlich machen, dass staatliche Mittel, die wir für Zukunftsinvestitionen brauchen, nur dort eingespart werden können, wo sie bislang ausgegeben worden sind: bei den Subventionen und auch in den Sozialhaushalten.
Wir können ihnen genauso gut verständlich machen, dass schärfere Regeln bei der Arbeitsaufnahme sein müssen, weil es in einer sozialen Gesellschaft nicht sein darf, dass jemand, der die Annahme einer zumutbaren Arbeit verweigert, besser dasteht als jemand, der sich abmüht. Aber auch mein Verständnis endet dort, wo diejenigen, die wenig oder durchschnittlich verdienen, selbstverständlich Opfer für die Zukunft bringen, während sich einige Hundert Spitzenverdiener ungeniert Pensionsansprüche und Abfindungen in Millionenhöhe genehmigen.
Dieses Verhalten mag sogar nach Recht und Gesetz sein. Aber es ist nicht nach Moral und Anstand.
Auch in Zeiten der Globalisierung ist die Sozialbindung des Eigentums, wie sie im Grundgesetz steht, keineswegs hinfällig geworden. Wir haben den Umbau des Sozialstaates begonnen, und zwar mit dem Ziel, dass er auch in Zukunft denjenigen hilft, die sich nicht selber helfen können. Aber wir werden den umgebauten Sozialstaat viel besser als bisher nutzen, weil wir in Deutschland auf dieser Basis eine dynamische und wettbewerbsfähige Gesellschaft weiterentwickeln, die aber auch eine Gesellschaft des sozialen Zusammenhalts, der Freiheit, der Sicherheit und der Teilhabe sein wird. Deswegen werden wir die Mitbestimmung nicht kaputtmachen lassen, sondern weiterentwickeln.
Das sind die Themen der Zukunft: Innovationen, neue Patente, neue Verfahren und neue Märkte. Wir wollen Wachstum durch Modernisierung. Aber vor allem wollen wir Innovation für unsere Kinder bei Bildung, Forschung und Betreuung; denn das bringt Zukunftschancen.
Zwei Dinge sind es, die beim Aussprechen dessen, was ist, immer am Anfang stehen müssen. Erstens. Wir leben und arbeiten in einer offenen Volkswirtschaft, die sich Tag für Tag dem internationalen Wettbewerb zu stellen hat, und zwar zu Bedingungen, unter denen die Freiheit, Kapital global anzulegen oder zu investieren, ungleich größer ist als die Sicherheit eines Facharbeiters, einen angemessenen Arbeitsplatz zu finden. Zu behaupten, ein Land, das so stark von Außenwirtschaftsbeziehungen abhängig ist wie Deutschland, könne sich gleichsam von der Globalisierung abkoppeln, wäre grob fahrlässig. Aber zu fordern, dass wir deswegen alle Errungenschaften der Teilhabe, der Sozialverträglichkeit und des Schutzes der Lebensgrundlagen über Bord werfen sollten, wäre wiederum ein Anschlag auf all das, was uns stark gemacht hat und stark erhält.
Die zweite Entwicklungslinie, mit der wir es zu tun haben, ist: Wir leben in einer alternden Gesellschaft. Immer weniger Beschäftigte müssen für immer mehr Rentnerinnen und Rentner aufkommen.
- Auch wenn das nicht neu ist, muss es immer wieder einmal gesagt werden, damit Sie es ebenfalls verstehen.
Mir liegt daran, dass das bei uns im Land noch deutlicher wird.
1960 haben zehn Beschäftigte die Altersversorgung von einem Rentner bezahlt. Deswegen waren die Beiträge relativ niedrig. Bis heute sind die Beiträge deutlich gestiegen, weil nur noch drei bis vier Beschäftigte für einen Rentner aufkommen müssen. Bei ungebremster Entwicklung werden es 2030 nur noch zwei Beschäftigte sein, die für einen Rentner aufkommen müssen.
Seit den 60er-Jahren sind in Deutschland sowohl das Wirtschaftswachstum als auch die Geburtenrate ständig rückläufig. Natürlich hängt das eine mit dem anderen zusammen. Wenn die Bevölkerung schrumpft - das ist nicht nur ein deutsches Problem, sondern ein Problem, das alle europäischen Länder haben; alle diejenigen, die es zu lösen versuchen, haben damit ähnliche Schwierigkeiten wie, zugestandenermaßen, wir auch -, geraten nicht nur die sozialen Sicherungssysteme bei uns und in ganz Europa immer stärker unter Druck, sondern es wird auch immer schwieriger, den Wohlstand zu erwirtschaften, der unseren Sozialstaat überhaupt erst ermöglicht.
Gewiss, eine Bevölkerungspolitik, wie gerade wir in Deutschland sie in zwei Diktaturen erlebt haben - ich nenne nur die Stichworte; „Mutterkreuz“ hieß es bei den Nazis und „Abkindern“ in der früheren DDR -, ist das Gegenteil von einem Leben in Freiheit und Selbstbestimmung. Aber wir müssen aufpassen, dass unser Wunsch nach Freiheit uns nicht die Freude am Leben mit Kindern verdirbt.
Wer sich für ein Leben mit Kindern entscheidet, trifft damit immer eine Entscheidung, die über das eigene Leben und die eigenen Interessen hinausweist. Diese Entscheidung kann der Staat niemandem abnehmen. Aber dafür sorgen, dass die gesellschaftlichen Bedingungen stimmen, für die Eltern, aber noch mehr für die Kinder, das muss ein moderner Sozialstaat leisten.
Globalisierung und demographische Entwicklung lassen uns keine Alternative dazu, unseren Sozialstaat und die Marktwirtschaft zu reformieren. Es gibt natürlich Reformalternativen - die mag im demokratischen Wettstreit jeder selbst beurteilen -, aber es gibt keine Alternative zur Reform. Der Weg, den die Bundesregierung vorschlägt, ist klar umrissen. Es ist der Weg der ökologischen Modernisierung und der Weg der gesellschaftlichen Erneuerung.
Die Agenda 2010 ist eben kein bloßes Sparprogramm. Sie ist ein Programm, bei dem Geld eingespart wird und werden muss - das ist wahr -, aber es wird eingespart, um es im Sinne eines besseren Lebens verfügbar zu machen, also in die Zukunft zu investieren.
Die Agenda 2010 ist eine Antwort darauf, dass die Zeit der immer währenden Zuwächse der Wirtschaft, in der immer mehr an die Menschen im Land verteilt werden kann, vorüber ist. Das bloße Verteilen von Mitteln war auch nie der wirkliche Inhalt des Sozialstaates.
Wir geben pro Kopf der Bevölkerung mehr Geld für die Gesundheitsvorsorge aus als fast alle anderen Staaten der Welt. Trotzdem sind wir nicht gesünder. Unsere Aufwendungen für familienpolitische Leistungen sind, materiell gesehen, höher als in fast allen anderen Staaten der Welt. Trotzdem gibt es bei uns nicht mehr Kinder. Unsere Arbeitslosenversicherung und die Mittel zur Arbeitsförderung sind in der ganzen Welt wirklich einmalig. Trotzdem ist es in unserem Land seit mehr als 30 Jahren nicht gelungen, jedem, der arbeiten will und kann, einen Arbeitsplatz zu besorgen. Deswegen war und bleibt es richtig, immer wieder neu zu überprüfen, ob die gewaltigen Summen, die wir für die gewünschten Zwecke aufwenden, auch tatsächlich effizient genug eingesetzt werden.
Die Maßnahmen, die wir zum Teil gemeinsam beschlossen haben, zeigen erste Erfolge. Im Gesundheitswesen, bei Arztbesuchen und Überweisungen, aber auch bei Medikamenten und beim Aufbau und Ausbau von Gesundheitszentren, kommen wir zu strukturellen Verbesserungen. Auf diese Weise können Milliarden Euro eingespart werden. Aber der strukturelle Erfolg ist um ein Vielfaches wichtiger, denn Gesundheit beginnt bei der Vorsorge. Das heißt, jeder Einzelne steht für sich in der Verantwortung.
Gesundheit heißt aber auch Fürsorge. Alle Beteiligten, von der Pharmaindustrie über die Apotheker, die Ärzte und die Krankenkassen wissen inzwischen, dass wir von unseren Grundsätzen nicht zurückweichen werden.
Es bleibt dabei: Jeder und jedem muss das medizinisch Notwendige zur Verfügung stehen; aber Selbstbedienung bei den Gesundheitskassen lassen wir nicht zu, weder bei Herstellern und Verkäufern von Medikamenten noch bei Ärzten und Apothekern, aber auch nicht bei Patienten.
Bei der Rente haben wir die notwendigen Maßnahmen schon vor der Agenda 2010 eingeleitet, indem wir dafür gesorgt haben, dass sich auch diejenigen eine eigene Zusatzversorgung aufbauen können, die es aus eigenen Mitteln allein nicht schaffen würden. Regelungen, die zu umständlich sind, weil der Sicherheitsaspekt zu sehr in den Vordergrund gerückt wurde, werden wir ändern. Wir haben - die Debatten darüber waren gewiss kontrovers und für den einen oder anderen auch schmerzlich - einen Nachhaltigkeitsfaktor eingeführt.
Das musste sein, damit die Altersversorgung für die Rentner sicherer wird und für die aktiv Beschäftigten bezahlbar bleibt.
In der Steuerpolitik haben wir Impulse für Investitionen und Gerechtigkeit ausgelöst. Zu Jahresbeginn haben wir Arbeitnehmer und Unternehmen um insgesamt 15 Milliarden Euro entlastet.
Lassen Sie mich übrigens auch das einmal deutlich machen: Bei unserem Regierungsantritt 1998 lagen der Eingangsteuersatz bei 25,9 Prozent und der Spitzensteuersatz bei 53 Prozent. Nach der letzten Stufe zu Beginn des nächsten Jahres werden sie 15 bzw. 42 Prozent erreichen. Das sind die niedrigsten Werte seit Bestehen der Bundesrepublik.
Ich füge hinzu: Wer noch mehr will, sollte ganz klar sagen, wie er es bezahlen will.
Wir setzen diese Politik mit einer Reform der Besteuerung der Alterseinkünfte fort, wie es das Bundesverfassungsgericht verlangt hat. Die so genannte nachgelagerte Rentenbesteuerung wird dazu führen, dass die Beiträge zur Altersvorsorge von der Steuer abgesetzt werden können. Weil in dieser Debatte so viel Schindluder getrieben wird, lassen Sie mich sagen, meine Damen und Herren: Dazu ist erstens die Regierung und die sie tragende Mehrheit durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gezwungen - sie steht dafür in der Pflicht - und zweitens wird es in den Jahren 2005 bis 2010 zu einer Steuerentlastung von insgesamt 15 Milliarden Euro führen.
Es ist wahr, ich hätte mir durchaus vorstellen können, bei der Steuerreform schneller voranzugehen. Aber auch hier muss man in Erinnerung rufen, auch wenn Weihnachten schon etwas länger her ist: Mehr an Entlastung war mit der Opposition, die in der Länderkammer eine Mehrheit hat, nicht zu machen.
Meine Damen und Herren, wir haben ja in dieser Debatte wunderbare Erfahrungen gemacht. Als wir gesagt haben, lasst uns doch dafür sorgen, dass der ganze Entlastungsbetrag, also 22 Milliarden Euro, auf einmal Anfang 2004 wirksam wird, da ist uns gesagt worden - es waren ja alle dabei -: Das geht nicht, das halten die Länderhaushalte nicht aus. Ein paar Tage später kamen dann Pläne derer, die vorher sagten, es gehe nicht, auf den Tisch, die ein mehr als doppelt so hohes Entlastungsvolumen forderten. Das ist unseriöse Politik. Das kann man so nicht machen.
Ich hatte gesagt, dass es keine Alternative zu Reformen gibt. Aber es gibt sehr wohl Alternativen bei den Reformen. Die Ungerechtigkeiten, die Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und der FDP, mit Ihren verschiedenen Modellen planen, müssen einmal deutlich ausgesprochen werden. Zugleich müssen wir sagen: Wir machen das nicht.
Sie wollen zum Beispiel Spitzenverdiener steuerlich doppelt so stark entlasten wie Geringverdiener. Darüber hinaus sollen Menschen mit geringen Einkommen die hohen Kopfprämien zahlen, die Sie als Ihr Konzept einer Gesundheitsreform verkaufen.
Wir dagegen haben ein anderes Konzept: Wir senken die Steuern auf Arbeitseinkommen. Wir wollen, dass Kapital, das für Zinsgewinne angelegt wird, effektiv besteuert wird, weil die Arbeitskosten auch dadurch gesenkt werden können.
Die Arbeitnehmer und die Investoren können sich darauf verlassen: In Deutschland werden weniger Steuern gezahlt als in vielen Vergleichsländern, auch in vielen Vergleichsländern der jetzigen Europäischen Union. Die Beiträge zur Rente, also die Lohnzusatzkosten, sind eindeutig festgeschrieben und ich bin sicher, dass die Beiträge zur Krankenversicherung noch im Laufe dieses Jahres weiter sinken werden. Das, meine Damen und Herren, sind die hier und heute messbaren Erfolge der Agenda 2010.
Aber es gilt auch - das haben wir uns zum Ziel gesetzt -, Deutschland als Sozialstaat umzubauen und zurück an die Weltspitze zu führen, ökonomisch, ökologisch und sozial. Das ist nicht zuletzt deshalb nötig, um die Ressourcen freizubekommen, die wir brauchen, um in Zukunft zu investieren, Ressourcen, die wir nur verfügbar machen können, wenn wir die Staatsausgaben und die Ausgaben der sozialen Sicherungssysteme unter Kontrolle halten, und zwar im doppelten Sinne: erstens indem wir dafür sorgen, dass mit diesen Geldern effizient umgegangen wird, und zweitens indem wir bei Subventionen und Sozialausgaben darauf achten, wo sie wirklich nötig und vor allem im Sinne der Zukunftsgestaltung wichtig sind. Öffentliche Güter wie Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit, Gesundheit oder auch Kultur sind eben keine Waren, deren Wert sich nach dem Shareholder-Value-Prinzip ermitteln ließe.
Es sind auch keine Waren, die gleichsam von selbst auf dem Markt erscheinen. Gleichwohl haben die Bürgerinnen und Bürger ein Anrecht darauf, dass ihnen diese Güter erhalten bleiben und, wo immer nötig und möglich, weiterentwickelt werden. Das gilt in allererster Linie für die Bildung und die Betreuung unserer Kinder.
Bildung und Betreuung müssen für eine Gesellschaft, die über den Eigennutz hinausdenkt, von zentraler Bedeutung sein, und zwar aus drei gewichtigen Gründen:
Erstens. Deutschland ist ein Land, das über keine nennenswerten Rohstoffreserven verfügt und dessen Zukunft bestimmt nicht darin liegt, Billiglohnländern bei der Herstellung von Massenware Konkurrenz zu machen.
Seine Zukunft liegt auch nicht darin, mit denen, die jetzt neu in die Europäische Union kommen, um immer niedrigere Löhne zu konkurrieren. Das ist nicht die Zukunft unseres Landes, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Weil das so ist, können wir es uns schlicht nicht leisten, auch nur eine einzige junge Frau oder einen einzigen jungen Mann nicht seinen Begabungen entsprechend möglichst qualifiziert ausbilden zu lassen und zu beschäftigen.
Zweitens. Deutschland ist ein Land mit einer der höchsten Raten an Arbeitsproduktivität. Das hat uns stark gemacht und das muss so bleiben. Aber wir haben bereits heute einen Mangel an Fachkräften in bestimmten Branchen. Dieser Mangel wird sich in den nächsten Jahren drastisch ausweiten. Einer der Gründe dafür ist, dass wir es nicht vermocht haben, in unserem Land genügend Nachwuchs gut zu qualifizieren. Das ist eben nicht allein Aufgabe und Auftrag der Politik, sondern der ganzen Gesellschaft und - ich sage es sehr konkret - auch der deutschen Wirtschaft.
Die Frage der Qualifikation hängt auch mit der Tatsache zusammen, dass es gut ausgebildete Frauen gibt, die, obwohl sie gerne arbeiten würden, dies nicht tun können, weil sie keine Betreuungsangebote bekommen. Unser Schul- und Betreuungswesen zwingt sie dazu, sich im Zweifel ausschließlich für die Familie und gegen den Beruf zu entscheiden. Das kann und das darf nicht so bleiben.
Alle Sachverständigen sind sich darüber einig, dass eine unserer wesentlichen Wachstumsschwächen darin liegt, dass das Arbeitsvolumen in hoch qualifizierten Berufen zu gering ist. Diese Lücke lässt sich nicht allein - aber sie gehört dazu - durch Zuwanderung schließen, die wir in einem modernen Gesetz, von dem ich hoffe, dass es alsbald zustande kommt, regeln müssen. Sie lässt sich auch nicht durch ständige Mehrarbeit schließen. Das sage ich, obwohl ich weiß, dass sie im Einzelfall sein muss. Sie lässt sich auf Dauer nur schließen, indem wir mehr in die Fähigkeiten unserer Kinder, also der jungen Generation, investieren und indem wir gut ausgebildeten Frauen, die Kinder haben wollen, endlich die Möglichkeit geben, eine Familie zu haben und gleichzeitig arbeiten zu können.
Drittens brauchen und wollen wir Kinder - sie sind das Wertvollste, was wir haben -; denn Fortschritt und technologische Entwicklung kann es nur in einer Gesellschaft geben, die der Neugier und auch der Experimentierlust von Kindern Raum gibt. „Kinder“ ist also ein anderes Wort für Zukunft und für Zuversicht.
Kinder bereichern unser Leben und sorgen dafür, dass wir nicht stehen bleiben, gleichsam im Eigennutz verstocken.
Aus den Erfahrungen vergleichbarer Länder wissen wir, dass es keinen Königsweg gibt, der von einer bestimmten Politik zu einer größeren Bereitschaft führen würde, sich für Kinder zu entscheiden. Wir wissen auch: Dort, wo es ausreichend Krippenplätze und auch Ganztagsschulen gibt, sind die Geburtenraten höher als bei uns. Wir müssen jedenfalls feststellen, dass Deutschland in dieser Frage längst nicht auf der Höhe der Notwendigkeiten und auch nicht auf der Höhe der Möglichkeiten ist.
Wir sind nicht dort, wo wir sein sollten, weil einerseits Familienpolitik nie ausschließlich mit Geld und schon gar nicht nach dem Gießkannenprinzip gemacht werden kann und weil andererseits jede Diskussion über Geburtenraten und Erziehung bei uns sofort in ideologische Glaubenskämpfe ausartet. Da wird oftmals in plumpester Demagogie Betreuung mit Verwahrung verwechselt. Als wenn es darum ginge!
Da wird die Notwendigkeit, dass Kinder schon im Vorschulalter das Lernen lernen, als staatlicher Eingriff in die Hoheit der Eltern verunglimpft.
Schließlich: Lehrer und Pädagogen sind die wichtigsten Vermittler des Wandels. Wir sollten uns darauf konzentrieren, ihre Ausbildung zu verbessern und ihre Fähigkeiten auf die Höhe der Zeit zu bringen.
Dabei darf es keinen Streit um Kompetenzen geben. Eine Politik des unbedingten Ja zu Kindern und Familie müssen wir nicht erst im Vermittlungsausschuss - jeder weiß, wie es da zugeht - behandeln.
Wir werden deshalb unsere Initiative für den Bau von Ganztagsschulen weiterführen. Wir werden dafür sorgen, dass unsere Initiative zum Ausbau der Kinderbetreuung gemeinsam mit den Kommunen und Ländern zum Erfolg führt.
Wir setzen dabei nicht nur auf Einrichtungen, sondern auch auf individuelle Betreuung durch qualifizierte Tagesmütter. Daher wollen wir die wichtige Aufgabe von Tagesmüttern weiter stärken und auch damit das Betreuungsangebot verbreitern.
Meine Damen und Herren, Bildung ist der Schlüssel zu Fortschritt und Sicherheit im 21. Jahrhundert. Es gibt nur eine Antwort auf die Frage, womit wir in einer globalisierten Ökonomie gutes Geld für gute Arbeit verdienen können: mit Spitzenqualität und Spitzentechnologie. Ohne ein breit gefächertes Verständnis für andere Sprachen und andere Kulturen werden wir unsere offene Gesellschaft nicht weiterentwickeln und sie übrigens auch nicht gegen Extremismus wirklich verteidigen können.
Schon daraus wird klar, dass wir die skandalöse Benachteiligung, die Kinder aus unterprivilegierten Familien oder auch aus Migrantenhaushalten in unserem heutigen Schulwesen erfahren, beenden müssen.
Das ist übrigens keine Erkenntnis linker oder grüner Systemveränderer, sondern eine Erkenntnis der in dieser Hinsicht ganz unverdächtigen OECD. Wir müssen die Länder und ihre Kultusminister dazu anregen, sich diesen Aufgaben zu stellen. Der Bund wird ihnen dabei entgegenkommen.
Bildung beginnt in der Schule; aber sie endet bekanntlich nicht dort. In der Schule sollen die Kinder mit auf den Weg bekommen, dass lebenslanges Lernen Lust und nicht Last ist.
Aber wir müssen schon heute eine lernende Gesellschaft sein. Die Berufschancen des Einzelnen und die Marktchancen unserer Volkswirtschaft hängen entscheidend davon ab, wie wir ständig neues Wissen in unsere Arbeit und in die Wirtschaft einbringen.
Für die Älteren bedeutet dies: Wir müssen aufhören, sie aus der Arbeit herauszudrängen.
Wir brauchen ihre Erfahrung und müssen sie immer wieder mit Angeboten zur Auffrischung ihres Wissens begeistern.
Für die Jüngeren geht es um eine gute Berufsausbildung. Noch ist es so, dass uns alle Welt um unser duales Ausbildungssystem beneidet. Aber der Mangel an betrieblichen Ausbildungsplätzen bringt dieses hervorragende Modell in größte Gefahr.
Wir wissen: Viele Unternehmen tun sehr viel mehr, als sie müssten. Andere aber meinen, sie könnten und dürften sich der Verpflichtung zur Berufsausbildung entziehen.
Die Bundesregierung und die sie tragende Mehrheit dieses Hohen Hauses wird das nicht zulassen.
Wir haben nie gesagt, dass eine Ausbildungsumlage dazu da ist, der Wirtschaft das Leben schwer zu machen. Aber wir werden sie brauchen, wenn es zu keiner anderen befriedigenden Lösung kommt.
Ich kann nur davor warnen: Mit einer Diskussion über die Instrumente darf sich niemand - auch und gerade in der Wirtschaft - aus seiner Verantwortung für die Ausbildung davonschleichen.
Was wir heute leisten müssen, ist eine umfassende Innovation. Dafür hat unser Land beste Voraussetzungen. 2003 war Deutschland Exportweltmeister. Bei den internationalen Patenten sind wir weltweit führend. Bei den Schlüsseltechnologien stehen wir hervorragend da. Die Biotechnologie hat in Deutschland einen rasanten Aufstieg erfahren. Inzwischen sind wir hier europaweit Spitze. Viele innovative Unternehmen mit vielen Tausend Beschäftigten sind in diesem Bereich entstanden. Das Gleiche gilt für die Informations- und Kommunikationstechnologie, für die Nanotechnologie, für optische Technologien und für die Energieforschung.
Wir wissen: Der Weg der ökologischen Modernisierung unseres Landes ist richtig.
Denn für uns ist klar: Nur der sparsame Umgang mit allen natürlichen Ressourcen erhält künftigen Generationen Lebensspielräume und Handlungsmöglichkeiten. Das große Werk der Erneuerung kann nicht von der Politik allein geleistet werden. Es ist Aufgabe der ganzen Gesellschaft. Deshalb haben wir zusammen mit Vertretern der Wissenschaft, der Wirtschaft und der Gewerkschaften die Initiative „Partner für Innovation“ ins Leben gerufen, um gemeinsam Ideen dafür zu entwickeln, wie wir unser Land in Zukunft an der Spitze halten und - wo immer nötig - nach vorn bringen können. Nächste Woche werden erste konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Startchancen für innovative Unternehmen, für einen leichteren Zugang zu Wagniskapital, zum weiteren Abbau von Bürokratie und zur Umsetzung neuer Ideen in marktfähige Produkte vorliegen.
Deutschland hat fantastische Ingenieure, Naturwissenschaftler und Techniker. Auf dieses Talent und die Begeisterung der vielen Menschen, die hier leben, ist Verlass.
Aber wir müssen immer wieder dafür sorgen, dass sie in Deutschland die notwendigen Bedingungen vorfinden, um unsere Zukunft gestalten zu können. Investitionen in Forschung und Entwicklung sind für ein Hochtechnologieland wie das unsere überlebenswichtig.
Wir haben es uns deshalb zum Ziel gesetzt, die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung bis 2010 auf 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. Dafür müssen Bund, Länder und Kommunen mehr in diese Bereiche investieren.
Diese Mittel können weder im Wege einer Neuverschuldung aufgebracht werden noch können wir darauf warten, dass höhere Wachstumsraten zu mehr Steuereinnahmen führen. Wir können nicht immer nur sagen - in diesem Bereich erst recht nicht -: Es ist kein Geld da. Stattdessen müssen wir sehen, wo Subventionen aus der Vergangenheit in Zukunftsinvestitionen umgeschichtet werden können.
Ich mache einen Vorschlag, der nur zusammen mit der Mehrheit der Länderkammer zu realisieren ist. Mein Vorschlag betrifft die Eigenheimzulage. Die Förderung von Wohneigentum durch den Staat war historisch sinnvoll und nützlich. In früheren Jahren musste vor allem für junge Familien dringend benötigter Wohnraum geschaffen werden. Zudem ging es darum, Eigentum in privater Hand zu bilden und dadurch unsere Städte und Gemeinden für eine wachsende Bevölkerung auszubauen. Dafür haben wir viel Geld ausgegeben und geben es immer noch aus. Diese Voraussetzungen gelten heute aber so nicht mehr. Wir haben in Deutschland keine Wohnungsnot mehr und die Bevölkerungszahl nimmt - unabhängig von dem, was wir jetzt diskutieren - langfristig eher ab als zu.
Aus diesem Grunde ist es sehr viel sinnvoller, das für die Eigenheimzulage verwendete Geld für mehr Innovationen und damit für die Chance auf neue Arbeitsplätze auszugeben.
Das wäre eine Investition in die Zukunft unserer Kinder und angesichts der Mehrheitsverhältnisse in unserem Land, der Mehrheitsverhältnisse in der zweiten Kammer bitte ich Sie, mitzuhelfen, dass wir dieses Geld, das wir dort so nicht mehr brauchen, in die Zukunft unseres Landes investieren können.
Auf diese Weise könnten der Bund und die Länder bis 2010 insgesamt rund 4 Milliarden Euro sparen. Die Kommunen würden um 700 Millionen Euro entlastet. Der Bund würde seinen Anteil in die Förderung von Forschung und Entwicklung investieren, sodass wir das 3-Prozent-Ziel bis 2010 nach und nach erreichen können.
Von den Ländern würden wir erwarten, dass sie ihren Anteil für Bildungsaufgaben, vor allem für bessere Schulen, verwenden. Die Kommunen könnten mit ihrem Anteil das Betreuungsangebot für Kinder verbessern.
In diesem Zusammenhang begrüße ich ausdrücklich den Vorschlag des Bundesbankpräsidenten Welteke, einen Teil der Goldreserven der Bundesbank zu verkaufen
und für Bildung und Forschung einzusetzen.
Mit dem Wettbewerb „Brain up! Deutschland sucht seine Spitzenuniversitäten" geben wir darüber hinaus einen wichtigen Impuls für die Entwicklung von Spitzenuniversitäten. Wir haben in unsrem Land gute Universitäten und Forschungseinrichtungen. Wir sind in der Breite sehr stark. Das sollten wir in der internationalen Diskussion wieder einmal mit berechtigtem Stolz deutlich machen. Wir brauchen auch international attraktive Zentren. Nur so werden wir Deutschlands kluge Köpfe hier halten und aus dem Ausland zurückholen können.
Meine Damen und Herren, es sind viele falsche Propheten unterwegs, die uns vermeintlich gute Ratschläge geben, auf welchen Kurs wir Deutschland bringen sollen.
- Ich meinte eigentlich gar nicht ausdrücklich Sie,
aber wenn Sie sich diesen Schuh schon anziehen, dann vermutlich deshalb, weil er Ihnen passt.
Wir reden nicht von denen, die nichts verändern wollen. Wer alles so lassen will, wie es ist, wird am Ende nur noch den Mangel verteilen - weil nichts mehr erwirtschaftet würde, was sich verteilen ließe. Das sage ich durchaus dem einen oder anderen unserer Freunde.
Nein, ich meine jene, die uns raten, unsere kooperative Wirtschaftsordnung von Teilhabe und Tarifautonomie, von Mitbestimmung und Mitverantwortung über Bord zu werfen. Sie glauben, dass nur ungezügelter Wirtschaftsliberalismus Innovationen hervorbringt, auf die es im globalen Wettbewerb ankommt.
Ich sage dazu: Wir haben ein erfolgreiches Modell des Wirtschaftens, des Arbeitens und des Zusammenlebens. Es basiert auf dem Zusammenwirken von Staat, Wirtschaft und Arbeitnehmern, die Mitverantwortung tragen und deshalb auch ein Recht auf Mitsprache haben.
Dieses Modell bleibt der Schlüssel für unsere Wettbewerbsfähigkeit und damit für unsere Zukunft. Nichts wäre verkehrter, als es einzureißen.
Was wir stattdessen brauchen, ist ein neues Verhältnis von Freiheit, Verantwortung und Sicherheit, und zwar in diesem bewährten System und nicht gegen das System.
Was wir brauchen, ist ein neues Verständnis von Gerechtigkeit. Das sage ich all denjenigen, die über die Gerechtigkeit der Politik der Agenda 2010 so kontrovers und so intensiv diskutieren.
Ein neues Verständnis von Gerechtigkeit heißt: eine Gerechtigkeit, die sich nicht nur auf den Ausgleich zwischen den heute im Berufsleben Stehenden beschränkt, sondern sich über mindestens drei Generationen erstreckt - die Älteren, die unser Land aufgebaut und die Grundlagen für unseren Wohlstand gelegt haben, die heute Aktiven, die mit ihrer Leistung unseren Lebensstandard sichern, und die Generation unserer Kinder und Enkel, die es uns nicht verzeihen würden, wenn wir nicht auch an ihr Wohlergehen dächten.
In dieser über Generationen hinweg reichenden Verantwortung handeln wir. Das macht den inhaltlichen Sinn der Agenda 2010 aus, der exakt darin besteht, Ressourcen nicht heute zu verzehren, sondern sie auch zu investieren, damit unsere Kinder und deren Kinder Lebenschancen haben und bekommen.
Dem entspricht ein Mehr an Verantwortung eines jeden Einzelnen für sich in der jetzigen Generation, aber auch für seine Lebenspartner und seine Familie und nicht zuletzt für das Gemeinwesen. Das ist der Grund, warum das Motto heißt: Egoismus überwinden und neuen Gemeinsinn fördern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, neue Freiheit und neue Verantwortung bedeuten immer auch neue Unsicherheiten. Das gilt in Zeiten des ökonomischen und sozialen Wandels erst recht. Es gilt erst recht in einer Welt neuer Risiken und neuer Bedrohungen, in der Welt, in der wir leben.
Ich war gestern in Madrid und habe dort an dem Staatsakt für die Opfer des niederträchtigen Terroranschlags vom 11. März teilgenommen. Es war eine wichtige Gelegenheit, dem spanischen König, der gewählten Regierung und der Bevölkerung unsere Anteilnahme und unsere Solidarität zuzusichern.
Es war, jedenfalls für mich, auch eine wichtige Gelegenheit, das spanische Volk gegen schlimme Diffamierungen in Schutz zu nehmen,
Diffamierungen, die auch bei uns veröffentlicht wurden und besagen, die Spanier hätten vor dem Terrorismus Reißaus genommen und sich in eine Be-schwichtigungspolitik geflüchtet.
Meine Damen und Herren, Spaniens jüngere Geschichte gehört zu den stolzesten Erfahrungen Europas. Noch vor 30 Jahren lebten die Spanier unter der Franco-Diktatur. Dass Spanien die Strukturen dieser Diktatur überwinden und zu einer lebendigen Demokratie werden konnte, hat ganz wesentlich mit der europäischen Perspektive und der europäischen Hilfe für die spanischen Demokraten zu tun.
Sie werden verstehen, dass ich an dieser Stelle ganz besonders den früheren Bundeskanzler Willy Brandt hervorhebe. In diesen schweren Stunden hat das spanische Volk wirklich Besseres verdient, als von Außenstehenden verhöhnt zu werden, nur weil es seine demokratische Reife unter Beweis gestellt hat.
Meine Damen und Herren, das Beispiel Spanien ruft uns in Erinnerung, wie weit wir in Europa vorangeschritten sind. Noch vor drei Jahrzehnten war die Demokratie im westlichen Teil unseres Kontinents keineswegs eine Selbstverständlichkeit. In Osteuropa gab es bis 1989 Diktatur und Unterdrückung, Stacheldraht und Schießbefehl. Am 1. Mai dieses Jahres wird die Europäische Union zehn neue demokratische Staaten in ihre Mitte aufnehmen. Wir - damit meine ich unsere Generation, die Generation derer, die heute, ob in Opposition oder Regierung, politisch handeln - haben heute die große Chance, Europa nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch zu einigen. Ich denke, das ist eine historisch einmalige Gelegenheit. Wir dürfen und werden sie nicht verstreichen lassen oder im kleinlichen Hader zerreden.
In diesem Prozess kommt dem deutsch-französischen Verhältnis eine ganz besondere Bedeutung zu. Heute ist der Dialog mit unseren französischen Freunden in allen wichtigen außen- und europapolitischen Fragen so eng wie vielleicht nie zuvor in der Geschichte. Das zeigt übrigens auch die Einladung Präsident Chiracs zur Teilnahme an den Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie am 6. Juni, dem so genannten D-Day.
Zum ersten Mal überhaupt nimmt ein deutscher Bundeskanzler - gemeinsam mit den Vertretern der westlichen Siegermächte - an dieser Feier teil. Ich stehe nicht an, zu sagen, dass mich diese Einladung des französischen Präsidenten persönlich sehr berührt hat und dass ich ihm dafür sehr dankbar bin. Ebenso bewegt hat mich die Einladung des polnischen Ministerpräsidenten Leszek Miller zum 60. Jahrestags des Warschauer Aufstands am 1. August dieses Jahres. Meine Damen und Herren, diese Gesten betrachte ich als einen Beweis für das tiefe Vertrauen, das unsere europäischen Freunde Deutschland und damit den Deutschen heute entgegenbringen.
Wir werden dieses Vertrauen übrigens nur erhalten können, wenn wir uns immer wieder der Sensibilitäten in unserer gemeinsamen Geschichte bewusst sind und alles, aber auch alles, vermeiden, was in diesen Ländern, die so sehr unter Deutschland gelitten haben, missverstanden werden könnte.
Der eine oder andere in diesem Hohen Hause wird es mir vielleicht nachsehen, wenn ich an dieser Stelle daran erinnere, welche Debatten wir vor etwa einem Jahr geführt haben, als wir miteinander über Sicherheit und über die Beteiligung bzw. Nichtbeteiligung an einem Krieg gestritten haben. Sie werden verstehen, dass ich ganz selbstbewusst sage: Wir waren damals auf dem richtigen Weg und wir sind es auch heute.
Unser Land - das ist im Übrigen weithin anerkannt - ist vorbildlich engagiert, wenn es darum geht, Frieden und Sicherheit zu schaffen. Wir setzen vor allem auf zivile Mittel, etwa internationale Einsätze deutscher Polizisten. Wir sind aber auch der drittgrößte Beitragszahler der Vereinten Nationen und nicht zuletzt dient diesem Ziel auch unsere Entwicklungspolitik. Und: Wenn alle friedlichen Mittel ausgeschöpft sind, sind wir bereit, auch militärische Mittel einzusetzen; mir liegt daran, dass das in einer solchen Debatte klar wird.
Mehr als 7 000 unserer Soldaten helfen heute unter Einsatz ihres Lebens, den Frieden in der Welt zu sichern. Wie notwendig das ist, zeigt uns nicht zuletzt das Wiederaufflammen der Gewalt im Kosovo. Afghanistan hat seit Januar eine neue Verfassung - ein Zeichen der Hoffnung für die Menschen dort und ein Mehr an Sicherheit für die gesamte Region. Wir wollen, dass dieser Stabilisierungsprozess weiter voranschreitet. Deutschland wird deshalb in der nächsten Woche in Berlin Gastgeber der dritten großen Afghanistan-Konferenz sein. Auch das zeigt das große Vertrauen, das Afghanistan, aber auch die gesamte internationale Gemeinschaft uns entgegenbringt.
Wir haben auch ein vitales Interesse an der Stabilisierung des Irak. Das verlangt eine Verbesserung der Sicherheitslage dort. Deshalb beteiligen wir uns - durchaus substanziell - an der Ausbildung irakischer Polizisten. Darüber hinaus wird Deutschland eine wichtige Rolle bei der wirtschaftlichen Entwicklung des Irak übernehmen.
Meine Damen und Herren, den Kampf gegen den internationalen Terrorismus - gleich, ob islamistisch oder anderweitig religiös oder politisch motiviert - werden wir dauerhaft nur gewinnen, wenn es uns gelingt, den Gewalttätern ihre Basis zu entziehen, und zwar sowohl die finanzielle und logistische als auch die ideologische Basis. Terroristen sind abhängig von Finanzierung, Waffenlieferungen, logistischer Unterstützung. Genauso klar muss aber sein: Terrorismus kann dort am besten gedeihen, wo Menschen aus Wut, aus Verzweiflung oder aus Überzeugung die Gräueltaten der Terroristen unterstützen oder zumindest dulden.
Zur Bekämpfung des Terrorismus sind daher verschiedene Komponenten miteinander zu verbinden. Dabei steht eines im Vordergrund: Alle Maßnahmen - ob polizeilich, nachrichtendienstlich, militärisch oder politisch - müssen viel enger als in der Vergangenheit im europäischen Kontext und darüber hinaus aufeinander abgestimmt sein. Wir müssen in Europa vor allen Dingen durch präventive Maßnahmen für einen besseren Schutz der Menschen sorgen. Dazu gehört eine intensivere Zusammenarbeit der Sicherheitsorgane in Europa. Heute Abend werden wir im Europäischen Rat verschärfte Maßnahmen zur gemeinsamen Terrorismusbekämpfung beschließen.
Zu einer Politik der Prävention gehört aber auch die Integration der Menschen, die mit anderen kulturellen und religiösen Hintergründen zu uns gekommen sind.
Das ist ein politisches Gebot, damit wir unsere offene Gesellschaft erhalten und weiterentwickeln können. Das ist aber auch ein Gebot der ökonomischen Vernunft und ebenso ein Gebot der Sicherheit und der Gefahrenabwehr. In diesem Zusammenhang sage ich in aller Deutlichkeit: Terroristische Verschwörer und Personen, von denen eine Gefahr für unsere Sicherheit ausgeht, haben in Deutschland nichts zu suchen.
Der Bundesinnenminister hat noch einmal deutlich darauf hingewiesen, dass mögliche Sicherheitslücken im Ausländerrecht, so es sie denn gibt, geschlossen werden müssen und auch geschlossen werden. Das betrifft sowohl die Visumerteilung als auch die Ausweisung und Abschiebung von Ausländern, die eine Gefahr für unsere Sicherheit darstellen. Wenn dies aus tatsächlichen Gründen nicht möglich ist - das sage ich, um missverständlichen Interpretationen zu begegnen -, dann sollten diese Personen obligatorisch besonderen polizeilichen Meldeauflagen und Wohnsitzbeschränkungen unterliegen.
Um der bestehenden Bedrohungslage konsequent zu begegnen und Gefahren für unser Land abzuwehren, wird die Bundesregierung eigene Vorschläge unterbreiten. Regierung und Opposition müssen in diesen wichtigen Fragen der Sicherheit unseres Landes gemeinsam und entschlossen handeln. Niemand sollte versuchen, den anderen in die Defensive zu treiben. Das würde der gemeinsamen Aufgabe nicht gerecht.
Bei all dem, was wir hier tun, muss klar sein: Es gibt keine Bürgerrechte ohne Sicherheit. Es gibt aber auch keine Sicherheit ohne Bürgerrechte.
Gerade im Kampf gegen den Terrorismus muss es heißen: Sicherheit ist ein Bürgerrecht. Die Abwehr terroristischer Bedrohungen stellt uns vor neue Herausforderungen; das ist wahr. Das darf uns aber nicht dazu verleiten, Verantwortung zu verwischen, auch nicht zwischen dem Bund und den Ländern. Ich betone deshalb: Innere Sicherheit ist vor allem Sache der Polizei und des Bundesgrenzschutzes.
Nur sie verfügen über die erforderliche Ausbildung und die entsprechende verfassungsrechtliche Legitimation. Natürlich kann die Bundeswehr auch weiterhin zu Amts- und Nothilfe bei schweren Katastrophen und Unglücksfällen im Inland eingesetzt werden. Für den Fall, dass nur die Bundeswehr aufgrund ihrer besonderen Fähigkeiten eingreifen kann, etwa bei einem terroristischen Angriff aus der Luft, hat die Bundesregierung, hat der Bundesverteidigungsminister Vorsorge getroffen. Wir haben das Luftsicherheitsgesetz auf den Weg gebracht und dabei die notwendigen Einrichtungen bei der Bundeswehr geschaffen, um solchen terroristischen Gefahren auch begegnen zu können. Darauf können sich die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes verlassen.
Es muss aber auch klar sein - es hilft nicht, darüber hinwegzureden; das unterscheidet uns -: Für polizeiliche Aufgaben sind unsere Soldaten nicht ausgebildet. Die Bundeswehr wird auch in Zukunft nicht zur Hilfspolizei werden.
Kein Land der Welt ist heute in der Lage, die neuen Herausforderungen alleine zu bewältigen. Wir brauchen dafür ein starkes multilaterales System, wir brauchen die Vereinten Nationen. Allerdings müssen die Vereinten Nationen reformiert werden, wenn sie die vor ihnen liegenden Aufgaben lösen wollen. Generalsekretär Kofi Annan hat mit seiner Reforminitiative das richtige Signal gesetzt. Es geht dabei auch um die Reform des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Dieser wird seiner Rolle nur gerecht, wenn er repräsentativer zusammengesetzt ist als heute. Deshalb beteiligt sich Deutschland aktiv an der Diskussion und setzt sich für eine Reform zur Erweiterung des Sicherheitsrates ein. Wichtige Staaten des Südens sollten zukünftig einen ständigen Sitz erhalten. Das Gleiche gilt für die Industrieländer, die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit wesentlich beitragen. Deutschland ist bereit, als ständiges Mitglied des Sicherheitsrates Verantwortung zu übernehmen.
Meine Damen und Herren, die vergangenen zwölf Monate haben die Bundesregierung auf vielfältige Weise in ihrer Politik bestätigt. Das ist aber nicht der Grund, warum wir das alles tun. Wir wollen Deutschland vielmehr auf einen zukunftsträchtigen Weg bringen. Vieles, was wir vorgeschlagen und umgesetzt haben, stieß zunächst auf Ablehnung. Dieser Prozess ist - das weiß ich sehr wohl - nicht zu Ende. Das muss man in einer aufgeregten Mediengesellschaft gelegentlich um der Sache willen in Kauf nehmen. Aber aus Ablehnung wird - dessen bin ich mir sicher - mehr und mehr Einsicht in die Notwendigkeit dieser Reformmaßnahmen werden. Und aus Einsicht wird dann mehr und mehr Zustimmung werden.
Die breite politische Debatte, die wir mit den Reformen angestoßen haben, ist nicht so angelegt, dass die eine oder andere Partei gleich ihren unmittelbaren Nutzen daraus ziehen könnte oder sollte. Ich bin davon überzeugt: Diese Debatte um die Notwendigkeit der Veränderung wird unserem Land nutzen; denn wenn sich die Menschen intensiver an der politischen Diskussion beteiligen, dann wird es für die Lobbys und Interessengruppen schwerer, ihre Egoismen im Stillen zu verfolgen und durchzusetzen.
Es ist wahr: In der Vergangenheit ist vieles, was nötig gewesen wäre, versäumt worden. Niemand sollte sich von der Verantwortung dafür freisprechen; ich tue das jedenfalls nicht. Deshalb müssen die Reformen jetzt durchgeführt werden. Es darf kein Zuwarten geben, weil alles sehr viel schlimmer würde, wenn wir das täten. Heute sage ich: Die Bundesregierung wird deshalb die Notwendigkeit der Maßnahmen immer wieder und immer intensiver erklären und dadurch dafür sorgen, dass das Wort Reform wieder einen guten Klang bekommt, nämlich den Klang von Verantwortung, von Vertrauen und vor allem von Zukunftsorientierung und damit verbundener Zuversicht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe meinen Amtseid als Bundeskanzler dafür geleistet, meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen, Schaden von ihm zu wenden und seinen Nutzen zu mehren.
Dafür kämpfe ich seit mehr als fünf Jahren und das wird so weitergehen.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile nun der Vorsitzenden der Fraktion der CDU/CSU, Kollegin Angela Merkel, das Wort.
Dr. Angela Merkel (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, ich habe Ihnen 75 Minuten lang aufmerksam zugehört
und mich zunehmend gefragt, ob Sie und Ihre Bundesregierung die wirkliche Situation in unserem Lande eigentlich kennen.
Ich glaube, dass das wesentliche Problem dieser Gesellschaft nicht darin besteht, dass sie aufgeteilt ist in Beharrer und Spalter, in Erneuerer und Veränderer auf der einen Seite und Ignoranten auf der anderen Seite. Ich glaube, dass das wesentliche Problem dieser Zeit
die vertikale Spaltung dieser Gesellschaft ist - zwischen einer Bundesregierung, die abgekapselt irgendwo in einer irrealen Welt agiert,
und einer Bevölkerung, die dieser Bundesregierung nichts mehr glaubt, ihr nicht vertraut und sie als nicht verlässlich ansieht. Das ist das Problem dieses Landes.
Sie haben in Überschriften geredet. Sie waren schön und teilweise auch zutreffend.
Aber das Problem ist: Sie haben sich in diese Überschriften geflüchtet, ohne dass Sie an der entscheidenden Stelle den Mut zum konkreten Handeln aufbringen.
Wo in Ihrer Regierungserklärung war der Arbeitnehmer, der Angst hat, weil sein Betrieb ins Ausland verlagert wird? Wo waren die Menschen in den neuen Bundesländern,
die merken, dass die Lebensverhältnisse immer noch nicht angeglichen sind? Wo war der Steuerzahler, der seine eigene Steuererklärung nicht versteht?
Wo war der Selbstständige, der - im letzten Jahr stärker als in jedem anderen Jahr der Bundesrepublik Deutschland - Sorge haben musste, dass auch er Konkurs anmelden muss?
Wo war die Krankenschwester, die für ihre Überstunden einen großen Teil an Abgaben und Steuern abführen muss?
Wo war der Polizist, der bei seiner täglichen Arbeit seinen Kopf hinhält?
Die einzelnen Menschen haben sich in dieser Regierungserklärung nicht wiedergefunden.
Was war der Sinn, Herr Bundeskanzler?
- Es ist eben unheimlich schwer, die Wahrheit zu ertragen.
Präsident Wolfgang Thierse:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte darum, auch der Oppositionsführerin auf angemessene Weise zuzuhören.
Dr. Angela Merkel (CDU/CSU):
Was, Herr Bundeskanzler, war der Sinn Ihrer Regierungserklärung? Es hätte sein können, dass Sie eine Zwischenbilanz ziehen wollten: Was ist erledigt, was ist unerledigt? Dabei wäre herausgekommen, dass noch vieles von dem, was Sie vor einem Jahr vorgetragen haben, offen ist. Es hätte auch sein können, dass diese Regierungserklärung dazu dient, uns aufzuzeigen, wie es weitergehen soll. Wir haben 45 Minuten gewartet, bis Sie uns verraten haben, dass Sie nächste Woche etwas dazu sagen wollen, wie man Existenzgründungen erleichtern kann. Warum haben Sie das nicht hier und heute getan? Das wäre doch ein guter Anlass für diese Regierungserklärung gewesen.
Wenn aber die Regierungserklärung beides nicht wollte - weder Zwischenbilanz noch Blick in die Zukunft -, dann hätte man doch wenigstens erwarten können, dass Sie das tun, was Sie am Sonntag auf dem SPD-Parteitag versprochen haben: Sie wollen „sich ehrlich machen“. Was heißt denn, Sie wollen „sich ehrlich machen“? Dazu gehörte doch erst einmal, zuzugeben, dass Sie bis dahin gelogen und betrogen haben.
Neue Stärke für Deutschland - das ist meine feste Überzeugung - kann nicht mit alten Schwächen entstehen. Deshalb muss mit ihnen aufgeräumt werden.
Herr Bundeskanzler, in der Gesellschaft finden Sie zurzeit keine Unterstützung, weil die Menschen den Glauben in die positiven Wirkungen Ihrer dauernden Veränderungen verloren haben und keine Gewissheit mehr über das, was kommt, kennen. Und in Ihren eigenen Reihen mangelt es an Unterstützung, weil Sie selbst immer wieder - wie auch heute - den parteiinternen Kritikern die Argumente frei Haus liefern. Sie tun immer wieder so, als sei schon alles geschafft, als seien die wesentlichen Veränderungen bereits umgesetzt und als sei alles paletti.
Sie wundern sich, wenn sich die eigenen Leute auf Ihre Worte verlassen und anschließend - wenn Sie drei Monate später sagen, dass wieder reformiert werden müsse - nicht verstehen, was das für eine Welt ist.
Das ist Ihr Problem. Diesem Teufelskreis konnten Sie auch heute nicht entrinnen.
Niemand bei uns zweifelt daran, dass die Agenda 2010 der erste richtige Schritt für notwendige Reformen in Deutschland war. Aber ich füge hinzu: Regierungspolitik von Rot-Grün in einer zweiten Legislaturperiode muss mehr sein, als nur die Fehler aus der ersten zu beseitigen. Sonst verdient die Agenda ihren Namen nicht.
Deshalb sind wir der festen Überzeugung, dass diese Agenda nicht ausreicht. Es muss weitergehen. Die Frage ist: Wie kann es weitergehen und warum reicht sie nicht aus? Sie reicht nicht aus, weil wir seit August 2002 - das ist noch nicht so lange her - 730 000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland verloren haben. Allein im vergangenen Jahr gab es 300 000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse weniger. Aus genau diesem Grunde sinken auch die Krankenkassenbeiträge leider nicht so schnell, wie wir es erwarteten.
Sie haben keine Antwort auf die Frage, wie es mit der Pflegeversicherung weitergeht. In Ihrer Regierungserklärung fehlten schon die Befunde - Politik beginnt mit dem Betrachten der Realität - über dieses Land und damit war es von vornherein ausgeschlossen, dass die richtigen Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt werden.
Worum geht es den Menschen in diesem Land? Der Erfolg von Politik wird sich daran messen lassen müssen, ob es in einer Situation der Globalisierung gelingt, für uns in Deutschland Bedingungen zu schaffen, unter denen wir unseren Wohlstand für die Älteren, die Jüngeren und die Familien aufrechterhalten können.
Die Frage, wie wir den Wohlstand aufrechterhalten, was wir machen müssen, um uns den neuen Bedingungen anzupassen, ist die Frage, die uns und jeden in diesem Hause umtreiben muss.
Deshalb geht es nicht um Veränderung an sich. Es geht auch nicht um „Reformitis“ oder darum, irgendjemandem Schmerzen zuzufügen. Es geht nicht um Aktionismus, sondern es geht darum, im Sinne unserer deutschen Interessen für Deutschland das Beste aus der Globalisierung zu machen. Das ist die Aufgabe.
Nun hat der neue SPD-Vorsitzende am Sonntag davon gesprochen, dass wir alle Suchende sind. Ich glaube schon, dass niemand das Patentrezept hat. Aber, meine Damen und Herren, wer wirklich sucht, der findet auch.
Ich verlange von Ihnen gar nicht, dass Sie die Konzepte der Opposition studieren, ich verlange nicht, dass Sie sich anschauen - es wäre schön, aber man kann es eben nicht verlangen -, was wir zur Weiterentwicklung der sozialen Marktwirtschaft, zu einer neuen sozialen Marktwirtschaft im Zusammenhang mit der Globalisierung gesagt haben. Ich verlange von Ihnen auch nicht, dass Sie heute die Seite zwei einer großen deutschen Boulevardzeitung lesen,
mit der Sie sich nicht mehr abgeben. Aber was ich von Ihnen verlange, Herr Bundeskanzler, ist, dass Sie wenigstens das lesen, was Ihnen Ihre eigenen Sachverständigen, die Sie bezahlen, ins Stammbuch schreiben, anstatt die Zeit mit Selbstfindungsprozessen, Selbsterfahrungsprozessen, Selbstzweifelprozessen und Suchprozessen zu vergeuden, die längst hätten beendet werden müssen, weil alles schwarz auf weiß in Ihren eigenen Regierungsunterlagen steht. Das ist das, was man erwarten kann.
Für uns, die Union, gibt es keinen Zweifel, dass auch unter den Bedingungen der Globalisierung die soziale Marktwirtschaft die Antwort auf die Frage ist, wie eine menschliche Gesellschaft zu erreichen ist.
Das Wort „soziale Marktwirtschaft“ ist interessanterweise in Ihrer gesamten Regierungserklärung nicht vorgekommen.
Wir fühlen uns dem Erbe Ludwig Erhards und Konrad Adenauers verpflichtet und wir werden es in eine neue Zeit übertragen, weil dies die menschlichste und erfolgreichste Gesellschaft formiert, die wir uns vorstellen können. Davon sind wir überzeugt.
Es führt kein Weg daran vorbei, dass sich die Verzweiflung des vergangenen Jahres an der LKW-Maut, am Dosenpfand, am Transrapid, an Beraterverträgen, Skandalen um die Bundesagentur für Arbeit und vielem anderen dieser Art festmacht. Es gibt auch keinen Zweifel, dass wir uns Vorgänge dieser Art - von denen Sie keinen einzigen erwähnt haben - nicht leisten können, wenn Deutschland wieder mit seiner Wertarbeit „Made in Germany“ einen guten Ruf in der Welt bekommen soll. Wir als Opposition werden dafür sorgen, dass dieser gute Ruf wiederhergestellt wird - trotz des Gemurkses in Ihrer Regierungsarbeit, Herr Bundeskanzler. Das ist das Problem.
Weil die Regierungsarbeit und die Zerstrittenheit der Opposition - -
- Mein Gott, Sie sind aber wirklich leicht zu befriedigen.
Weil die Zerstrittenheit der rot-grünen Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen so elementar ist und langsam auf die gesamte Regierungsarbeit wirkt, wissen wir, dass wir als Opposition eine riesige Verantwortung haben.
Wir könnten es uns sehr leicht machen. Wir könnten im Bundesrat vieles blockieren.
Aber wir wissen: Deutschland darf nicht stillstehen. Deutschland muss vorankommen. Deshalb werden wir als Opposition nicht nur weiter Verantwortung übernehmen, sondern wir werden sogar mehr Verantwortung übernehmen, um den Stillstand in diesem Land zu beenden.
Wir haben schon im vergangenen Jahr Verantwortung übernommen. Wir haben uns am Gesundheitskonsens beteiligt. Im Übrigen gibt es bei uns inzwischen keinen einzigen Landesverband, der in diesem Punkt Änderungsanträge stellt. Wir stehen zu diesem Gesundheitskompromiss, obwohl er von der Gesundheitsministerin schlampig umgesetzt worden ist und damit eine Vielzahl von Problemen hervorruft, die nicht notwendig gewesen wären.
Wir haben uns mit den Koch/Steinbrück-Vorschlägen am Subventionsabbau beteiligt. Wir haben mit Ihnen um eine vernünftige Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe gerungen. Das war extrem schwierig. Wir haben versucht, eine vernünftige Balance von Strukturreformen und Steuersenkungen zu erreichen, und wir haben im Übrigen auch jedem der Auslandseinsätze zugestimmt, Herr Bundeskanzler, und zwar aus Verantwortung für den Frieden in der Welt und aus Überzeugung.
Ich glaube, dass wir deshalb mit etwas Stolz feststellen können: Wir sind die konstruktivste Opposition, die es jemals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gegeben hat.
Wir müssen dem Land helfen, auch in diesem Jahr und trotz der vielen Wahlen. Deshalb, Herr Bundeskanzler, unterbreite ich Ihnen den zweitbesten Vorschlag für unser Land: ein konkretes Angebot, das konkreteste Angebot, das eine Opposition machen kann. Ich biete Ihnen an, dass wir, wo immer dies möglich ist, im Sinne einer nationalen Kraftanstrengung notwendige Strukturreformen anpacken: erstens die Steuerpolitik.
Wir haben heute interessanterweise Ihren Vorschlag zur Eigenheimzulage gehört. Dazu kann man nur feststellen: Seien Sie uns dankbar, dass wir verhindert haben, dass die Eigenheimzulage schon im Dezember von Herrn Eichel verfrühstückt worden ist. Sonst hätten Sie gar nichts mehr vorzuschlagen.
Herr Bundeskanzler, wir haben eine andere Vorstellung von der Bedeutung des Steuersystems in Deutschland und davon, was das Vertrauen der Menschen in dieses System wiederherstellen würde. Deshalb sagen wir: Wir brauchen einen grundsätzlichen Neuanfang im Steuersystem; wir brauchen einen Abbau der Subventionstatbestände im Einkommensteuersystem
zugunsten einer wirklichen Entlastung der Bürgerinnen und Bürger.
Unsere Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch. Die Vorschläge der FDP dazu liegen auch auf dem Tisch; sie gehen zum Teil sogar weiter. Wir - Friedrich Merz, ich denke, auch Herr Solms und Kurt Faltlhauser - sind bereit, noch morgen zu beginnen, mit Ihnen darüber zu verhandeln. Sie müssen sich dann bekennen, ob Sie wirklich das Vertrauen der Menschen ins Steuersystem wieder erlangen wollen oder ob Sie das Ganze auf die lange Bank schieben und alle Subventionstatbestände für Konsumzwecke verfrühstücken wollen. Das ist nicht unser Weg.
Man hat von Ihnen so viel Widersprüchliches gehört: von den Grünen im Grundsatz ein Ja, von Herrn Eichel einmal ein Ja und einmal ein Nein.
Ich kann nur sagen: Machen Sie Gebrauch von Ihrer Richtlinienkompetenz! Sagen Sie: Jawohl, wir sind bereit; wir haben zwar keinen eigenen Gesetzentwurf, aber wir nehmen objektiv die Anträge der Opposition an und sind bereit, darüber zu sprechen. Wir wollen das zum Wohle Deutschlands machen. - Das wäre ein wirklicher Fortschritt für Deutschland.
Im Übrigen sind wir wie Sie der Meinung, dass Steuerstrukturreformen allein nicht ausreichen. Wir haben immer gesagt: Wir brauchen weitere Reformen.
Herr Bundeskanzler, es ist geradezu rührend, dass Sie hier erwähnen, die Kommunen setzten die Regelungen zur Kinderbetreuung nicht um. Dabei trägt die Bundesregierung die Schuld daran, dass aufgrund der Hartz-Gesetze gar kein Geld für die Kinderbetreuung zur Verfügung steht; deshalb können die Kommunen nichts machen.
Sorgen Sie dafür, dass das endlich auf die Reihe kommt!
Ich komme auf den 14. März des vergangenen Jahres zurück. Wir haben von Ihnen bis heute keinen einzigen Vorschlag zu einem Optionsmodell beim Kündigungsschutz gehört. Ein solches wurde am 14. März 2003 von Ihnen, Herr Bundeskanzler, persönlich angekündigt.
Zweitens. Wir ringen zurzeit um etwas, was ich als Kernbereich der Agenda 2010 verstanden habe, nämlich um die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe.
Ich kann nur sagen: Bei diesem Thema wird sich entscheiden, ob Sie für die Zukunft weiter einen unsinnigen Zentralisierungsglauben für richtig halten oder ob Sie den regionalen Einheiten die Möglichkeit eröffnen, das Wichtige, das Richtige für die Menschen im Lande zu tun. Das ist die Frage, vor der wir stehen.
Herr Müntefering, ich sage ganz bewusst: ob Sie die Möglichkeit eröffnen. Wir haben extra gesagt: Wir wollen den Kommunen beide Optionen eröffnen.
Sie haben aber verhindert, dass es im Sinne der Kommunen zu einer Grundgesetzänderung kommt - das hat wirklich zu geschehen -, damit sie finanzielle Sicherheit bekommen. Das ist die Wahrheit! Herr Clement hat es schon zugestanden: Sie persönlich haben es verhindert.
Warum spreche ich so ausführlich über die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe? Ich spreche darüber, weil hier ein Schlüssel zur Beantwortung der Frage liegt, ob arbeitslose Menschen in diesem Lande eine Hoffnung haben, ob „Fordern und Fördern“ zur Realität wird oder ob wir langsam die Arme sinken lassen und sagen: Wir können nichts tun.
Wir brauchen - das ist meine feste Überzeugung - im Zuge der Globalisierung einen Paradigmenwechsel. Wir werden Arbeiten haben, die weniger Geld auf dem Arbeitsmarkt erbringen, als Menschen für ein menschenwürdiges Leben brauchen. Wir werden vor der Frage stehen, ob wir diesen Menschen den Zugang zur Arbeit völlig verweigern oder ob wir aber bereit sind, im unteren Lohnbereich zusätzliche staatliche Transferzahlungen mit erarbeitetem Einkommen zu verbinden.
Genau dies wissen die Klugen in Ihren Reihen schon heute. Ein Mann wie Hubertus Schmoldt hat gesagt: Wir werden das in den unteren Lohnbereichen brauchen, weil die Globalisierung ansonsten nicht qualifizierte Arbeit woandershin abwandern lässt und Menschen in Deutschland keine Chance mehr haben. Wir werden um den von uns vorgeschlagenen Weg erbittert kämpfen, weil er im Sinne der betroffenen Menschen in Deutschland ist.
Wir werden noch um einen weiteren Punkt erbittert ringen. Herr Bundeskanzler, Sie selbst haben in Ihrer Regierungserklärung vom 14. März 2003 gesagt:
... Art. 9 verpflichtet die Tarifparteien zugleich, Verantwortung für Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt zu übernehmen. ... Ich erwarte also, dass sich die Tarifparteien entlang dessen, was es bereits gibt - aber in weit größerem Umfang -, auf betriebliche Bündnisse einigen ... Geschieht das nicht, wird der Gesetzgeber zu handeln haben.
Das ist nicht geschehen.
Wer behauptet, dass der letzte Tarifabschluss der IG Metall dies in großem Umfang möglich macht, der lügt sich in die Tasche.
Die gemeinsame Verantwortung der Tarifparteien - ich bin ganz sicher, dass wir darüber wieder sprechen werden - wird dadurch, dass weite Teile der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer den Streik als Instrument ausschließen, heute zum Teil zu einer Farce, weil man nach zu hohen Tarifabschlüssen gleich im Hinterkopf hat, Arbeitsplätze in das Ausland zu verlagern. Diesen Weg werden wir nicht mitgehen. Wir werden jedenfalls alles tun, um das zu verhindern.
Wir, der Deutsche Bundestag, sind zuvörderst verpflichtet, den Menschen in Deutschland wieder eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu geben. Wenn die Möglichkeit, von Tarifverträgen abzuweichen, Arbeitsplätze in Deutschland sichert, dann ist es unsere nationale Aufgabe, genau dafür die rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Das ist meine, das ist unsere feste Überzeugung.
Drittens. Wir brauchen neben den Reformen des Steuersystems und des Arbeitsmarktes eine Weiterentwicklung der sozialen Sicherungssysteme. Ich habe heute von Ihnen nichts dazu gehört. Wir haben zwar die Gesundheitsreform mitgetragen,
aber wir wissen, dass das nicht ausreicht. Wir alle waren uns einig, dass diese Reform unter günstigen Arbeitsmarktbedingungen und bei vernünftigen Strukturreformen in diesem Bereich bis 2006 tragen kann. Wir haben gesagt: Langfristig muss das Gesundheitswesen radikal reformiert werden. Nach meiner festen Überzeugung wird eine Reform des jetzigen Systems mit den gleichen Belastungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wie wir sie jetzt haben, nicht möglich sein.
Wir brauchen eine Weichenstellung.
Wenn es nach Ihnen geht, dann soll es die so genannte Bürgerversicherung sein. Dann müssen Sie uns aber auch folgende Fragen beantworten - das haben Sie bisher nicht getan -: Ist es wahr, dass mit der Einführung einer Bürgerversicherung die Beitragsbemessungsgrenze um rund ein Drittel angehoben werden muss? Ist es wahr, dass durch eine Bürgerversicherung die Beiträge gerade für die Leistungsträger in unserer Gesellschaft - die Facharbeiter, die Meister in den Betrieben und die qualifizierten Angestellten - bis zu 70, 80 Euro erhöht werden? Ist es wahr, dass mit der Einführung einer Bürgerversicherung sämtliche Einkünfte der Arbeitnehmer aus Mieten, Pachten und Zinsen neben der Einkommensteuer auch noch mit einem Krankenkassenbeitrag von 12 oder 13 Prozent belastet werden? Ist es wahr - das hört man manchmal aus Ihren Reihen -, dass die volle Belastung der Betriebsrenten ein erster Schritt in Richtung Bürgerversicherung war?
Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn das alles wahr ist, dann ist das richtig, was Ihnen Ihre Sachverständigen ins Stammbuch geschrieben haben, nämlich dass durch die Bürgerversicherung bis zu 1 Million Arbeitsplätze verloren gehen und dass durch eine Umstellung auf eine Gesundheitsprämie - das sind Ihre, nicht meine Sachverständigen - bis zu 1 Million Arbeitsplätze geschaffen werden können. Ich sage Ihnen, wofür wir uns entscheiden werden: Wir werden uns für Arbeitsplätze in Deutschland und nicht für den Killer von Arbeitsplätzen - eine falsche Kopplung der Lohnzusatzkosten an die Arbeitskosten - entscheiden.
Dass das ein Problem ist, Herr Bundeskanzler, haben Sie uns zumindest im vorigen Jahr noch gesagt. Sie haben gesagt: „Es kann nicht so bleiben, dass dem Arbeitnehmer in Deutschland von einem zusätzlich verdienten Euro sofort 70 Cent weggenommen werden“ - so ist es doch zurzeit -
„und damit kein Anreiz für Arbeit besteht.“
Dieser Sachverhalt muss sich ändern, sonst wächst in Deutschland nur noch die Schwarzarbeit. Das ist die Realität.
Viertens. Es ist richtig, dass wir Innovationen brauchen, dass wir unseren Wohlstand überhaupt nur sichern können, wenn wir hoch qualifizierte Arbeitsplätze in Deutschland haben. Es ist auch richtig, dass Männer genauso wie Frauen an dieser hohen Qualifizierung teilhaben müssen und dass sie die Chance haben müssen, im Land Arbeit zu finden, und nicht gezwungen sein dürfen, ihre Zukunft außerhalb des Landes zu suchen.
Ich bin schon ein bisschen enttäuscht darüber, dass nach dem Ende des ersten Vierteljahres dieses Jahres, nach einer angekündigten Innovationsoffensive, heute, Ende März, gar nichts dazu gesagt worden ist.
Es ist nichts dazu gesagt worden, wie unsere Hochschulen aussehen sollen,
nichts dazu, ob wir endlich das Verbot von Studiengebühren abschaffen, nichts dazu, wie wir einheitliche Leistungsstandards erreichen wollen, nichts darüber, wie denn die einzelnen Technologien weiter gefördert werden sollen.
„Wir sind Spitze in der Biotechnologie“ haben Sie vorhin gesagt, Herr Bundeskanzler. Beschäftigen Sie sich bitte einmal mit den Chancen der Grünen Gentechnologie in Deutschland.
Befassen Sie sich bitte ganz einfach einmal mit der Tatsache, dass weltweit 67 Millionen Hektar für Versuche mit gentechnisch veränderten Organismen im Freiland zur Verfügung stehen, während es bei uns im Lande nur 500 Hektar sind. Glauben Sie, dass wir in einem zukunftstechnischen Bereich, in einem Bereich, in dem mit Sicherheit hohe Renditen erwirtschaftet werden, jemals Spitze sein können, wenn wir so an die Sache herangehen? Ich glaube das nicht. Deshalb müssen wir darüber reden.
Sie haben über den Abbau von Subventionen gesprochen. Man muss ja schon ganz gut wegschauen, wenn man das, was Sie bei der Steinkohle vorhaben, als Abbau von Subventionen bezeichnen will.
Herr Bundeskanzler, es wäre schön, Sie würden uns in diesem Hause einmal erklären, wie Sie eigentlich die Förderung von regenerativen Energien im Zusammenhang mit Subventionen und einem effizienten Energiestandort Deutschland in der Welt sehen. Kein Wort! Fehlanzeige!
Wir haben jetzt pro Kilowattstunde einen Aufschlag von 0,38 Cent für erneuerbare Energien. Ich bin für erneuerbare Energien.
Ich stehe auch zu dem Ziel der Verdoppelung der Nutzung der erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2010. Aber ich glaube schon, dass wir uns einmal überlegen müssen, in welchem Maße wir Windenergie fördern wollen und welchen Aufschlag auf den Strompreis wir uns leisten können.
Diese Frage kann man nicht wegdrängen. Sie wird darüber entscheiden, ob in Deutschland investiert wird, ja oder nein.
Herr Trittin, ich habe selbst intensiv mit am Kioto-Protokoll verhandelt.
Ich bin wirklich für Klimaschutz.
Ich bedauere es zutiefst, dass nicht nur die Vereinigten Staaten von Amerika dieses Protokoll nicht ratifizieren, sondern dass vor allen Dingen auch Russland dieses Protokoll nicht ratifiziert. Wenn das so bleibt, wenn es Ihnen nicht gelingt, Herrn Präsidenten Putin dazu zu bewegen, das zu ändern - das wäre eine gute europäisch-russische Maßnahme -, dann - das wissen Sie - kann dieses Protokoll nicht in Kraft treten.
Wir haben das Kioto-Protokoll nicht verhandelt, um in Deutschland anschließend keine energieintensive Industrie mehr zu haben. Das war nicht mein Ziel. Das ist nicht unser Ziel. Deshalb muss der Handel mit Zertifikaten für CO2-Emissionen so angelegt sein, dass er Deutschland nicht in eine schlechtere Wettbewerbsposition in Europa bringt als andere Länder.
Sie treffen auf dem Gipfel am Wochenende wieder alle: Fragen Sie den französischen Präsidenten, wie es sich mit der Chemieindustrie verhält; fragen Sie den österreichischen Bundeskanzler, wie die Wachstumsraten sind. Ich bin dankbar, dass Sie wenigstens einen Minister in Ihren Reihen haben, der den Verstand in diesem Bereich noch nicht verloren hat. Wir werden ihn unterstützen, wo immer wir können.
Es geht bis zum Jahre 2012, Herr Bundeskanzler, um vieles. Wenn die Wirtschaft erst einmal den Standort Deutschland verlässt und Investitionen woanders getätigt werden, dann sind eine Vielzahl von Arbeitsplätzen, die für Deutschland so wichtig sind, nicht mehr zurückzuholen. Bei Investitionen geht es um Vertrauen in dieses Land. Da ich von Vertrauen spreche, habe ich eine Bitte. Nachdem Sie wieder nichts über die neuen Bundesländer gesagt haben,
tun Sie auch etwas anderes nicht mehr: Versprechen Sie den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht dauernd Sachen, die Sie nicht einhalten können. Das Versprechen in Ammendorf haben Sie im Vorfeld einer Wahl abgegeben.
Jeder, der ein wenig Ahnung von Wirtschaft hat, wusste, dass dieses Versprechen nicht zu halten ist.
Ich sage Ihnen: Trinken Sie lieber wieder mit Ihren Cousinen Kaffee. Aber enttäuschen Sie die Menschen nicht, wenn es um Arbeitsplätze in den neuen Bundesländern geht.
Fünftens, Herr Bundeskanzler, muss und wird die Union auch mehr Verantwortung in der Europa-, Außen- und Sicherheitspolitik übernehmen. Ich habe Ihre Ausführungen an einer Stelle nicht verstanden.
Ich frage Sie: Wer verhöhnt das spanische Volk? Nennen Sie Ross und Reiter.
Ich weiß, dass jeder außer den Terroristen mit dem spanischen Volk leidet, und ich weiß, dass niemand außer den Terroristen das spanische Volk verhöhnt. Es ist meine Grundüberzeugung, dass das für jeden hier in diesem Hause gilt.
Ich wünsche mir und Ihnen, dass auf dem Gipfel, der jetzt am Wochenende ansteht, ein klares gemeinschaftliches europäisches Signal gegeben wird, dass es null Toleranz gegenüber jeder Form von Terrorismus gibt. Hier besteht Gemeinsamkeit zwischen den Demokraten in diesem Lande. Diese muss gewahrt werden, sonst sind wir den Terroristen gnadenlos ausgeliefert. Das will niemand.
Ich kann Ihnen sagen: Trotz aller Kontroversen in den Diskussionen im letzten Jahr fühlen wir uns in unserer Auffassung bestätigt, dass es zu einem gemeinsamen Europa überhaupt keine Alternative gibt und dass es keine Gemeinschaft der Demokraten in dieser Welt gibt, wenn sich Europa gegen Amerika stellt. Deshalb ist es richtig, dass auch Sie auf einen vernünftigen Weg zurückgekehrt sind und zu einem freundschaftlichen und kameradschaftlichen Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika kommen. Ich bin froh darüber.
Ich glaube, dass es gerade in diesen Tagen, in denen auch Europa zur Zielscheibe des Terrorismus wird, von historischer Bedeutung ist, dass wir am 1. Mai die Wiedervereinigung Europas feiern können. Die Aufnahme der zehn neuen Mitgliedstaaten stellt mehr dar als nur eine Aufnahme in den Binnenmarkt. Es ist der Sieg von Demokratie und Freiheit in ganz Europa. Deshalb sind die Schwierigkeiten, die wir haben werden, klein gegen das, was wir gewonnen haben. Freiheit und Demokratie haben gesiegt und wir alle können stolz darauf sein.
Dann werden wir noch immer Diskussionen führen. Wir sind froh, dass wir inzwischen Einigkeit haben,
dass Zuwanderung von Höchstqualifizierten in unser Land notwendig ist, dass Zuwanderung aber an anderer Stelle gesteuert und begrenzt werden muss. Wir sind froh, dass der Bundesinnenminister gesagt hat, dass man angesichts der neuen Bedrohung schauen müsse, wo in unserem Recht Lücken bestehen, um zu verhindern, dass diejenigen, die verdächtig sind, terroristische Taten zu begehen, einreisen, bzw. um sie ausweisen zu können.
Ich sage ausdrücklich: Wir verhandeln diese Fragen der Zuwanderung in dem Geist, dass wir eine Lösung herbeiführen wollen, die Zuwanderung steuert und begrenzt, die Integration verbessert, den Kindern endlich zu vernünftigen Sprachkenntnissen verhilft und unser Land sicherer macht. Wie bei allem, was wir tun, sagen wir: Wenn die Vorteile die Nachteile überwiegen, dann werden wir einem entsprechenden Kompromiss natürlich zustimmen.
Herr Bundeskanzler, wir werden auch noch eine Weile kontrovers über das Thema Bundeswehr und die Übernahme von Aufgaben im Zusammenhang mit der inneren Sicherheit diskutieren. Ich finde, wir sollten hier von Beschimpfungen wie „Hilfspolizei“ Abstand nehmen. Dazu sind die Fragen zu ernst. Sie selbst haben dankenswerterweise ein Luftsicherheitsgesetz eingebracht. Wir meinen, dass ähnlich komplizierte Fälle im Zusammenhang mit biologischen und chemischen Waffen auftreten können. Es ist doch unstrittig, dass sich innere und äußere Sicherheit nicht mehr wie zu Zeiten des Kalten Krieges trennen lassen. Es ist unstrittig, dass man neue Antworten braucht, wenn man den Veränderungen gerecht werden will. Wenn wir eine sichere Grundlage und zu diesem Zweck eine Änderung des Grundgesetzes fordern, dann ist das nichts anderes als die Antwort auf eine veränderte Sicherheitslage. Bitte denken Sie darüber nach. Ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg.
Meine Damen und Herren, jede politische Partei wird angesichts der großen Aufgaben unseres Landes und unserer Zeit in erheblichem Maße herausgefordert. Ich sage gerade in Bezug auf den Terrorismus: Ich habe mir zum Ende des Kalten Krieges nicht vorstellen können, dass wir mit solchen Arten von Bedrohung würden fertig werden müssen. Ich habe nicht gesehen, dass - damit müssen wir uns auseinander setzen - wir es mit Gegnern zu tun haben würden, die ihr eigenes Leben nicht achten und die bereit sind, es preiszugeben, um unsere Art zu leben zu vernichten.
Da in diesen Tagen manchmal Hannah Arendt zitiert worden ist, möchte auch ich einen Satz von ihr zitieren. Sie hat gesagt: Der Sinn von Politik ist Freiheit. Ich glaube, dass der Sinn von Politik für uns ist, unser freiheitliches Leben in einer gerechten Gesellschaft voranzutreiben.
Deshalb sollten wir uns im Geiste der Freiheit auf einige Ziele für Deutschland einigen. Ich finde, unser Land sollte in Bezug auf wirtschaftliches Wachstum, öffentliche und private Investitionen, eine niedrige offene und verdeckte Arbeitslosigkeit und die Qualität von Bildung und Ausbildung in zehn Jahren jeweils wieder unter den ersten Drei in Europa sein. Das wäre ein lohnendes gemeinsames Ziel, auf das wir hinarbeiten könnten.
Wenn wir uns darauf einigen könnten, dann würden die Menschen wieder sagen: Es lohnt sich, eine individuelle Veränderung, auch eine schwierige, anzunehmen. Ich bin überzeugt: Wenn wir uns auf diese Ziele einigen könnten, dann könnten wir es schaffen, dass es am Ende des Weges niemanden mehr gibt, der arbeitsfähig ist und trotzdem kein Arbeitsangebot von der Gesellschaft bekommt. Dann könnten wir es schaffen, dass niemand in den Vorruhestand gedrängt wird, obwohl er findet, dass er der Gesellschaft mit seiner Leistung dienen könnte. Dann könnten wir es schaffen, dass die Schwarzarbeit in unserem Lande wenigstens um die Hälfte zurückgeht, weil es sich wieder lohnt, für gutes Geld zu arbeiten. Dann könnten wir es schaffen, dass wir, was die Ergebnisse der PISA-Studie angeht, von den Finnen nicht mehr weit entfernt sind und dass unsere Kinder die gleiche Chance auf Ausbildung haben. Dann könnten wir es schaffen, dass wir nicht mehr nach Amerika fahren müssen, um deutsche Wissenschaftler, die dort forschen, zu treffen, weil sie wieder bei uns ein Zuhause haben.
Ich habe Ihnen heute die zweitbeste Lösung angeboten, die Lösung, die wir als Opposition anbieten können.
Wir arbeiten konstruktiv mit. Ich habe Ihnen konkrete Angebote unterbreitet.
Herr Bundeskanzler, ich will Ihnen die beste Lösung natürlich auch nicht verschweigen.
Sie haben heute gezeigt, dass Sie die Überschriften kennen. Aber Sie haben auch gezeigt, dass Sie die Bodenhaftung, wenn es um die Politik für dieses Land geht, verloren haben.
Weil Sie die Bodenhaftung verloren haben, können Sie die Sorgen und Ängste der Menschen nicht wahrnehmen. Wer diese aber nicht wahrnimmt, kann die Menschen nicht auf den notwendigen Weg mitnehmen.
Deshalb sage ich: Herr Bundeskanzler, die beste Lösung für unser Land ist Rücktritt und Neuwahlen.
Dann wären wir in der Lage, das zu tun, was notwendig ist.
Herzlichen Dank.
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile dem Vorsitzenden der SPD-Fraktion, dem Kollegen Franz Müntefering, das Wort.
Franz Müntefering (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Merkel,
Sie sind eine großzügige Vorsitzende. Das konnte ich während Ihrer Rede feststellen. Ich hätte nämlich nicht gedacht, dass Sie in diesen wichtigen Tagen Ihrem Redenschreiber Urlaub geben.
Anders ist nicht zu erklären, warum Sie heute Morgen eine solche Rede hier gehalten haben.
Sie haben gesagt, dass wir in dem vergangenen Jahr manchmal hinter unseren Möglichkeiten geblieben sind und dass wir hätten besser sein können. Das ist ein schönes Lob; das ist auch nicht falsch. Natürlich können wir noch besser werden. Es tut mir aber Leid, dass ich dieses Lob an Sie nicht zurückgeben kann; denn Sie haben Ihr Niveau heute Morgen gehalten.
Die Art und Weise, wie Sie über Europa und über die Rolle, die der Bundeskanzler in Europa spielt, gesprochen haben, hat deutlich gemacht, dass Sie für eine solche Aufgabe nie und nimmer geeignet wären. Europa können Sie nicht, Frau Merkel.
Es ist sehr gut, dass man in den Protokollen nachlesen kann, welche Reden vor einem Jahr gehalten wurden. Sie haben in Ihrer Rede vom 14. März 2003 angekündigt, dass die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik eine historische Ausrichtung bekommen sollte. Sie haben in dieser Rede am 14. März des vergangenen Jahres die militärische Option für den Irak ausdrücklich nicht ausgeschlossen.
Ich sage hier noch einmal für meine Fraktion und die deutsche Sozialdemokratie: Wir sind stolz darauf, dass Gerhard Schröder und die Koalition im letzten Jahr entschieden haben, nicht am Irakkrieg teilzunehmen. Das war eine historische Leistung von großer Bedeutung.
Sie haben an diesem 14. März angekündigt, im Jahre 2004 einen Vorschlag zu machen, wie die Systeme der sozialen Sicherung wetterfest gemacht werden könnten. Ein solcher Vorschlag ist bisher nicht zu erkennen. Sie haben heute gewisse Punkte kurz angesprochen, die damit zu tun haben könnten: die Kopfpauschale und kurze Anmerkungen zur Rente und zur Pflege. Sie haben aber keine zusammenhängende Feststellung gemacht, wie die Systeme der sozialen Sicherung aus Ihrer Sicht der Dinge aussehen sollen.
- Ich spreche über das, was Sie im letzten Jahr gesagt haben. Herr Kauder, man muss sich an dem messen lassen, was man selbst angesprochen hat.
Sie haben an diesem 14. März des vergangenen Jahres auch angesprochen, dass es weitere steuerliche Entlastungen geben solle. Sie haben dann Ende letzten Jahres - wir haben es noch in guter Erinnerung - sehr unterschiedliche Konzepte auf dem Tisch gehabt. Kurz vor Weihnachten war Herr Merz ganz oben auf Ihrer Hitliste.
Dazu gab es dann große Beschlüsse. Dann kam aber Herr Glos dazwischen. Dann hat Herr Kirchhof eine Rolle gespielt. Inzwischen ist nichts mehr von all dem übrig geblieben, was Sie angekündigt haben. Gott sei Dank können Sie solche Spiele nur im Sandkasten machen. Es ist schon gut für das Land, dass Frau Merkel in der Opposition ist und wir regieren.
Frau Merkel, Sie haben eben die Krankenschwestern angesprochen. Das war eine besonders schöne und interessante Stelle.
Dabei geht es darum, wie viele Steuern Krankenschwestern zahlen müssen. Herr Merz - er geht gerade hinaus -, aber auch Sie und Herr Stoiber haben, als Sie sich an dem bewussten Sonntag nicht einigen konnten, im Nachhinein festgestellt, dass die Steuerfreiheit für Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschläge Zug um Zug gestrichen wird. Dazu sage ich Ihnen - das ist auch der Ehrlichkeit wegen ein hochinteressanter Punkt -: Man kann an dieser Stelle so denken. Nur, Sie sollten hier nicht sagen, was Sie dazu gesagt haben. Wir in dieser Koalition stehen dafür, dass eine Senkung des Spitzensteuersatzes auf keinen Fall dadurch ermöglicht wird, dass Krankenschwestern und Busfahrer in Zukunft ihre Zuschläge versteuern müssen, Frau Merkel.
Sie haben in dieser Rede am 14. März letzten Jahres gesagt: Reden ist Silber, Handeln ist Gold. - Herzlichen Glückwunsch zur Silbermedaille, Frau Merkel!
Für mehr reicht es nicht.
Wir haben in diesem Jahr gehandelt. Wir haben eine Reihe schwieriger und auch komplizierter Gesetze eingebracht und haben sie im Deutschen Bundestag
und nach heftigen Kämpfen manchmal auch im Bundesrat beschlossen.
Wir haben die Steuerreform durchgesetzt und haben über das hinaus, was vorgesehen war, erreicht, dass zum 1. Januar dieses Jahres
28 Prozent derer, die einkommensteuerpflichtig sind, keine Lohnsteuer mehr zahlen müssen.
Wenn Sie darüber sprechen, wer wie viel von seinem Lohn abgezogen bekommt, sollten Sie keine Durchschnittsrechnung vornehmen, sondern sich anschauen, was die Koalition für diejenigen getan hat, die unten sind: Der Grundfreibetrag wurde von 6 322 auf 7 644 Euro erhöht und der Eingangssteuersatz wurde von 25,9 auf 15 Prozent gesenkt. Davon haben Sie zwar oft gesprochen; das haben Sie aber nie durchgesetzt. Das ist Sache dieser Koalition.
Während Sie sich in Sachen Steuerreform in die Büsche geschlagen haben und manchmal nicht wissen, ob Sie uns jetzt links oder rechts überholen sollen, haben wir praktische Dinge getan. Wenn Sie im Vermittlungsausschuss mitgemacht hätten, hätten wir den im Rahmen der Steuerreform vorgesehenen Nachlass um 7 Milliarden Euro, der erst im nächsten Jahr wirksam wird, schon in diesem Jahr umsetzen können.
Wir haben im Hinblick auf den Arbeitsmarkt Entscheidungen getroffen, die für uns nicht immer leicht waren. Vieles von dem, was wir beschlossen haben, ist bei uns zum Teil unter Ächzen geschehen und nicht schnell in leichten Entscheidungen. Wir haben dafür gesorgt, dass auf dem Arbeitsmarkt im Bereich der Zumutbarkeit und des Kündigungsschutzes größere Flexibilität - wir glauben, letztlich auch zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer - gegeben ist. Wir haben etwas getan, Sie haben nur darüber geredet.
Wir haben die Handwerksordnung novelliert, wollten jedoch noch ein Stück weiter gehen. Wir haben es ermöglicht, dass erfahrene Gesellen in Zukunft eigene Unternehmen, eigene Handwerksbetriebe gründen können. Diese Entscheidung war richtig. Sie wurde auf Ihrer Seite übrigens besonders heftig von der FDP bekämpft.
Wir haben bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau zusammen mit der Deutschen Ausgleichsbank ein spezielles Förderprogramm für den Mittelstand eingerichtet. Wir haben dafür gesorgt, dass es Geld für die Städte und Gemeinden gibt, um Ganztagsschulen einzuführen. Dieses Geld könnte übrigens noch intensiver als bisher von den Städten und Gemeinden angefordert werden. Das wäre schon gut.
Wir haben mit unserer Gemeindefinanzreform dafür gesorgt, dass in diesem Jahr 2,5 Milliarden Euro mehr bei den Städten und Gemeinden ankommen.
All diese Dinge haben wir vom letzten Jahr bis heute konkret umgesetzt,
manchmal unter Ächzen, manchmal beklatscht. Dieser Weg ist nicht einfach, aber richtig und führt uns nach vorn.
Was haben Sie in dieser Zeit gemacht? Frau Merkel, als Sie eben über das Gesundheitswesen gesprochen und versucht haben, Frau Schmidt die Verantwortung für das zu übertragen, was bezüglich der Umsetzung der Gesundheitsreform passiert ist, habe ich mir Herrn Seehofer angeschaut und gesehen, wie ihm die Röte langsam ins Gesicht gestiegen ist, weil er gewusst hat, dass der Vorwurf an die völlig falsche Adresse gerichtet war.
Dieses Gesundheitsmodernisierungsgesetz haben wir miteinander beschlossen. Es beinhaltet Akzente von uns und Akzente von Ihnen. Deshalb möchte ich zu zwei Punkten etwas anmerken. Hinsichtlich des Wettbewerbs im Gesundheitswesen sind wir weit hinter dem zurückgeblieben, was wir uns vorgestellt hatten, nämlich zu ermöglichen, dass die Krankenversicherungen mit den Ärzten und Gesundheitseinrichtungen klare und wettbewerbsfähige Verträge schließen. Es ist wichtig, das noch einmal anzusprechen, weil Sie die Förderung des Wettbewerbs immer für sich in Anspruch nehmen.
Manchmal denkt man - und manche von uns sagen das auch -, Sie seien an dieser Stelle ideologisch und sozusagen Ordnungspolitikerin. Das sind Sie überhaupt nicht. Sie sind einfach ganz kleinkarierte Lobbyistin. Etwas anderes sind Sie nicht.
Wenn es um Wettbewerb geht, Herr Westerwelle und Frau Merkel, kennen Sie keine Verwandten und keine Ideologiebücher mehr. Sie kennen dann nur noch diejenigen, die Ihnen nahe sind.
Wir haben die Praxisgebühr beschlossen. Frau Merkel, ich will Ihnen dabei aber gern den Vortritt lassen. Es wäre anständig von Ihnen gewesen, hier wenigstens einmal deutlich zu sagen, dass wir dieses Gesetz gemeinsam beschlossen haben,
dass die Idee dieser Praxisgebühr aber von der CDU/CSU vorgebracht und deren Einführung erzwungen worden ist. Das ist nun einmal schlicht die Wahrheit.
Wir laufen vor den gemeinsamen Beschlüssen nicht weg. Es wäre aber schon gut, wenn die Dinge nicht so verdreht würden, wie Frau Merkel das eben wieder versucht hat.
Ohne Sie wäre die Positivliste möglich gewesen.
Auch die haben Sie mit Ihren Mehrheiten im Bundesrat verhindert.
Man kann dazu unterschiedlicher Meinung sein. Ich möchte das hier nur festhalten, damit draußen die richtigen Botschaften ankommen.
In Sachen Tarifautonomie haben Sie jüngst noch einmal Ihr wahres Gesicht gezeigt. Ich glaube, an diesem Punkt geht es in der Gesellschaft in der Tat um eine Weichenstellung.
Es geht darum, ob man will, dass in dieser Gesellschaft jeder Einzelne für sich kämpft und kämpfen muss, oder ob es so etwas wie eine Bündelung von Interessen gibt. Wir glauben, zur Demokratie gehört es dazu, dass man weiß, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer unterschiedliche Interessen haben. Es ist keine Schande, darüber zu sprechen. Wir glauben aber auch, dass versucht werden muss, die unterschiedlichen Interessen in einem gemeinsamen System auszugleichen. Wir sind überzeugt, dass es für die Bundesrepublik Deutschland richtig war, dass es starke Arbeitnehmer- und Arbeitgebergruppen gegeben hat und gibt, die diesen Interessenausgleich zum Wohle der ganzen Gesellschaft organisieren.
Es ist nicht immer leicht, damit umzugehen. Aber die Alternative dazu ist letztendlich, dass in jedem Betrieb jeder für sich selbst kämpft. Das wäre für die Gesellschaft und für die Unternehmen nicht gut.
Ich fasse zusammen: Wir wollen, dass die Tarifautonomie erhalten bleibt. Wir wollen, dass die Betriebe, die darauf angewiesen sind, von den tariflichen Vereinbarungen abzuweichen, dies können, wenn die Tarifparteien dies gemeinsam akzeptieren. Das wird an vielen Stellen, Hunderte Male gemacht. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland sind nicht die fünfte Kolonne, die dabei ist, die Betriebe kaputtzumachen. Vielmehr versuchen sie, ihren Betrieb und ihre Arbeitsplätze und die der Kolleginnen und Kollegen zu sichern. So ist das.
Auch wenn man sich mit dem einen oder anderen in ganz konkreten Punkten zu streiten hat - das tun wir und das lassen wir nicht aus -: Wir wollen, dass auch in Zukunft die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland ihre Interessen bündeln können, vertreten können, erstreiten können und, wenn es nötig ist - hoffentlich selten -, erstreiken können. Das gehört zur Demokratie in diesem Lande. Dazu stehen wir.
Nun habe ich etwas zur CDU/CSU, aber noch nichts zur FDP gesagt. Es soll auch nicht viel sein. Aber ich habe gestern eine Pressemitteilung gelesen. Da hat Herr Westerwelle sich gemeldet
und gesagt, wenn er die Bundestagswahl 2006 nicht erfolgreich bestehe, dann wolle er nicht mehr Parteivorsitzender sein.
Ich habe unserer Kreativgruppe den Auftrag gegeben, ein Plakat daraus zu machen. Die Idee haben wir schon. Auf dem Plakat wird stehen: Wählen Sie FDP! Sonst bin ich beleidigt und bleibe nicht länger Vorsitzender der FDP. - Das wird im Jahre 2006 auf den Plakaten stehen.
Es wäre ehrlicher, Sie würden heute schon gehen.
Denn was Sie da angekündigt haben, weckt eine Hoffnung. Sie können davon ausgehen: Wir werden dafür sorgen, dass Sie im Jahre 2006 Ihren Abschied als Parteivorsitzender nehmen können.
Machen Sie unter Ihren Schuhen zwischen der 1 und der 8 ein Komma! Das ist die Perspektive.
- Dass Herr Gerhardt darüber lacht, das weiß ich. Das hat er wahrscheinlich damals schon getan. Das ist nicht neu.
Ich sehe das an Ihren beiden Gesichtern; es ist sehr aufschlussreich, Sie hintereinander sitzen zu sehen.
Wir haben in diesem Jahr eine ganze Menge erreicht. Wir haben den negativen Trend im Lande gestoppt. Die Arbeitslosigkeit ist nicht weiter angestiegen -
entgegen manchem, was Sie draußen immer wieder behaupten. Die Beschäftigtenzahlen sind höher als im Jahre 1998. Das ist so.
Der Rückgang der Arbeitslosigkeit gerade bei den Jugendlichen liegt in der Größenordnung von 50 000. Das ist eine gute Entwicklung. Das ist ganz entscheidend ein Verdienst von Wolfgang Clement, der im Bereich des Arbeitsmarktes ganz besonders für die jungen Menschen in diesem Land etwas getan hat und auch weiter tut.
Es gab im letzten Jahr 1,6 Millionen Existenzgründungen in Deutschland. Die Preise der teuren Arzneimittel sind gesunken.
Frau Merkel, in Ihrer Rede vom 14. März letzten Jahres haben Sie angekündigt, die Rentenversicherungsbeiträge würden im Jahre 2003 auf 19,9 Prozent steigen. Sie sind nicht gestiegen. Sie sind bei 19,5 Prozent geblieben. Das ist eine Größenordnung von 4 Milliarden Euro.
Sie können sich darauf verlassen, dass wir erreichen, was wir vorhaben: die Lohnnebenkosten niedrig zu halten und die Renten- und Krankenversicherungsbeiträge nicht steigen zu lassen.
Die Botschaften der letzten Stunden besagen, dass gerade in den letzten Tagen wieder einige Krankenkassen - es sind große dabei - Schritt für Schritt ihre Beiträge senken.
Auch das ist ein Verdienst von Ulla Schmidt. Ich möchte ihr an dieser Stelle ein Dankeschön sagen.
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Müntefering, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schauerte?
Franz Müntefering (SPD):
Er ist Sauerländer. Das muss ich machen.
Hartmut Schauerte (CDU/CSU):
Herr Müntefering, herzlichen Dank. Sie haben gerade gesagt, wir hätten im letzten Jahr 1,6 Millionen Existenzgründungen in Deutschland gehabt. Diese Zahl habe ich mehrfach gehört. Sie kann nicht richtig sein. Bitte überlegen Sie einmal mit: Insgesamt gibt es in Deutschland nur 3,3 Millionen Selbstständige. Würde die Zahl, die Sie genannt haben - 1,6 Millionen -, stimmen, wären im letzten Jahr etwa 50 Prozent unserer Betriebe neu dazugekommen. Das müssen Sie sich einmal vorstellen. Diese Zahl ist grundfalsch. Überprüfen Sie sie bitte einmal!
Franz Müntefering (SPD):
Gut, klären wir die Zahl miteinander. Die 1,6 Millionen beinhalten auch diejenigen, die als Ich-AGs angefangen haben. Diese Personengruppe gehört dazu.
25 Prozent derer, die arbeitslos waren, haben sich selbstständig gemacht. Sie sind hier eingerechnet. Das ist so richtig und auch gut. Die Menschen, die aus der Arbeitslosigkeit heraus den Impuls gewonnen haben, sich - auch wenn es ihnen schwer fiel - selbstständig zu machen, zählen wir im Bereich der Existenzgründungen mit. Das ist doch klar.
Wir haben uns für das Jahr 2004 vorgenommen, die Agenda 2010 weiter umzusetzen. Wir wissen, dass wir hier noch eine Menge wichtiger Aufgaben vor uns haben, zum Beispiel bei Hartz IV, also bei der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. An der Stelle Ihrer Rede, als Sie, Frau Merkel, dazu etwas gesagt haben, bin ich darauf gekommen, dass Ihr Redenschreiber wohl in Urlaub gewesen sein muss; denn hier haben Sie ein bisschen viel durcheinander geworfen. Sie haben davon gesprochen, dass die Kommunen die Ganztagseinrichtungen gar nicht finanzieren könnten, weil sie noch kein Geld durch die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe bekommen hätten. Frau Merkel, die entsprechenden Einnahmen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro können erst im Jahre 2005 wirksam werden, weil die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe erst im Jahre 2005 stattfindet. - Jetzt nicken Sie freundlich; eben haben Sie das aber etwas anders dargestellt. Lesen Sie das einmal nach!
Was die Art und Weise der Organisation angeht, stelle ich fest: Wir haben gemeinsam ein Gesetz verabschiedet, in dem wir davon ausgehen, dass die Arbeitsgemeinschaften zwischen der Bundesagentur und den Städten und Gemeinden dieser Aufgabe gerecht werden. Es geht darum, dass die jetzigen Arbeitslosenhilfeempfänger und Sozialhilfeempfänger, die arbeitsfähig sind, stärker an die Vermittlung herangeführt werden. Dafür werden wir beide Stellen brauchen: die Bundesagentur und die Städte und Gemeinden. Nur wenn beide vernünftig zusammenarbeiten, kann man dieses Problem überhaupt lösen.
Der Streit darüber, wie man das vernünftigerweise machen sollte, ist nicht wirklich ausgetragen worden. In der Nacht, in der der Vermittlungsausschuss getagt hat, haben wir darüber lange gesprochen. Wir waren nicht der Meinung von Herrn Koch, der gesagt hat, das müsse kommunalisiert werden. Mein Eindruck ist, dass auch viele von Ihnen das nicht so sehen. Aber ich will Ihnen etwas sagen, was in der Öffentlichkeit nicht sehr bekannt ist. Denn als es in der Nacht darum ging, diesen Streit zu schlichten, um hier zu einer Lösung zu kommen, habe ich einen Vorschlag gemacht: Sehr geehrter Herr Koch, führen Sie doch einen Feldversuch durch. In Hessen und Sachsen wird kommunalisiert; alle übrigen Länder gehen den anderen Weg. Das wäre eine schöne, feine und saubere Lösung gewesen. Daraufhin hat Herr Koch gesagt: Nein, so sei das alles nicht gemeint gewesen.
- Frau Merkel, weil ich das gehört habe, will ich Ihnen sagen: Ich weiß nicht so recht, ob Sie an dieser Stelle wirklich behilflich sein wollen und ob manche von Ihnen nur chaotisieren wollen.
Unsere dringende Empfehlung an die Städte und Gemeinden und an die Kreise ist, sich jetzt mit der Bundesagentur zusammenzusetzen und gemeinsam zu entscheiden, wie das zu organisieren sei. Wenn wir beide der Meinung sind - das sind wir offensichtlich -, dass man Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammenführen muss, dann müssen wir dies nach pragmatischen Gesichtspunkten und ohne parteipolitisches Taktieren tun.
An dieser Stelle müssen wir eine Lösung finden, die für das ganze Land angemessen ist. Dazu gehört, dass es in den nächsten Tagen und Wochen vor Ort eine intensive Debatte über die Frage geben muss, wie die Arbeitsgemeinschaften zwischen der Bundesagentur und den Städten und Gemeinden organisiert werden können. Wir sind auf beide angewiesen. Beide sollen ihren gerechten Anteil an der Arbeit, aber auch an den Möglichkeiten haben, hier mitzubestimmen.
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Müntefering, der Kollege Rauen würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Peter Rauen (CDU/CSU):
Herr Müntefering, als neuer SPD-Vorsitzender mögen Sie sich ja über vieles hinwegsetzen können. Aber hier im Hause sitzen etliche Kolleginnen und Kollegen, die viele Jahre im Vermittlungsausschuss tätig gewesen sind. Es war immer völlig selbstverständlich, dass über Ergebnisse und Gespräche im Rahmen des Vermittlungsausschusses nicht in der Öffentlichkeit berichtet wurde. Ich bitte auch Sie, sich zukünftig daran zu halten.
Franz Müntefering (SPD):
Herr Rauen, ich nehme die Mahnung gern auf. Meine Erwartung an Sie, an Herrn Koch und an Frau Merkel und alle anderen, die an dem Verfahren beteiligt sind, ist allerdings, dass Sie sich fair verhalten; das ist meine herzliche Bitte.
Wenn wir fair miteinander umgehen, muss man nicht über die Dinge sprechen, die hinter verschlossenen Türen besprochen wurden. Es ist nicht in Ordnung, nach draußen so zu tun, als ob diese Koalition uneinsichtig wäre, als ob wir nicht wollten, dass das Optionsmodell in fairer Weise zustande kommt.
Das ist meine Replik auf das, was Frau Merkel vorhin gesagt hat; sprechen Sie einmal mit ihr darüber. Herr Rauen, ich könnte auch sagen: Es ist unverantwortlich, in diesem Stadium der Verhandlungen so zu tun, als ob Parteitaktik bei Ihnen oder bei uns das dominierende Motiv wäre. Wir wollen vernünftige Lösungen, im Interesse der Arbeitslosen und im Interesse der Agentur sowie der Städte und Gemeinden. Miteinander können wir das schaffen.
Wir werden in diesem Jahr eine große, energische Anstrengung unternehmen, um dafür zu sorgen, dass kein junger Mann und keine junge Frau von der Schulbank in die Arbeitslosigkeit übergeht.
Dazu gehört das JUMP- und das JUMP-Plus-Programm von Wolfgang Clement, dazu gehört aber auch der Bereich der Ausbildung und dazu gehört auch, dass möglichst viele junge Leute in die Universitäten gehen. Ich sage Ihnen und all denen, die uns noch nicht zustimmen: Wenn es diese Gesellschaft nicht schafft, einen Weg zu finden, zu verhindern, dass die jungen Menschen nach der Schule arbeitslos werden, dann versündigen wir uns an dieser jungen Generation und lassen zu, dass ein Sockel von Sozialhilfekarrieren entsteht, der für dieses Land und für die Kinder, die daraus erwachsen, verheerend ist.
Wir wollen erreichen, dass die jungen Menschen, die die Schule beendet haben, manche erfolgreich, manche nicht - ich sage es einmal in meiner Sprache -, arbeiten lernen, sich qualifizieren können, eine Ausbildung bekommen und in ihrem Leben die Möglichkeiten, die sie haben, nutzen können. Das Schlimmste, was man tun kann, ist, einem jungen Menschen, der mit 16 oder 18 Jahren aus der Schule kommt, zu sagen: Du hast dich angestrengt, es hat nicht gereicht. Setz dich hin, krieg Stütze, halt den Mund, stör uns nicht. Das kann nicht die Politik in diesem Lande sein. Deshalb muss an dieser Stelle etwas passieren.
Frau Merkel, weil Sie mir manchmal so leicht mit Beton begegnen: Denken Sie einfach einmal darüber nach, was Sie dazu beitragen können - auch im Bundesrat -, an dieser Stelle in Deutschland wirklich etwas zu erreichen. Dazu gehört mehr als nur die Frage der Ausbildung; das weiß ich. Wir werden das Gesamtthema dieses Jahr auf der Tagesordnung behalten.
Im Verlauf des letzten Jahres wurden 500 000 junge Menschen arbeitslos. Die Fluktuation war hoch, es gab aber auch einen großen Sockel von arbeitslosen jungen Menschen ohne Ausbildung. Wer in dieser Gesellschaft jedoch keine Ausbildung hat, dessen Chancen, ins Erwerbsleben hineinzuwachsen, werden immer kleiner; darüber müssen wir hier doch nicht streiten. Deshalb sage ich: Wir müssen alles dafür tun, dass auf freiwilligem Weg, durch Tarifverhandlungen und Tarifverträge und unter Einsatz der Kammern erreicht wird, dass alle jungen Menschen diese Chance bekommen. Die Potenziale dazu sind in dieser Gesellschaft vorhanden. Im letzten Jahr wurden 560 000 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen. Zum Schluss blieb eine Lücke von gerade einmal 20 000. Wer 560 000 hinbekommt, kann auch noch diese 20 000 hinbekommen. Mehr wollen wir nicht, aber dass das zustande kommt, wollen wir.
Wir werden in diesem Jahr eine Debatte über die Pflege führen. Heute lasse ich dieses Thema weg, aber wir werden intensiv darüber zu debattieren haben. Ich glaube, dass da ein gesellschaftliches Problem besteht, an dem sich deutlich machen lässt, dass nicht alle Probleme, die diese Gesellschaft hat, mal eben durch ein Bundesgesetz von hier aus erledigt werden können. Stattdessen müssen wir die Gesellschaft dafür gewinnen, „Eigenverantwortung“ nicht als „Rückzug auf sich selbst“ zu verstehen, sondern als die Aufgabe, in eigener Initiative oder in Verbänden oder Organisationen selber Aufgaben zu übernehmen, zum Beispiel im Bereich der Pflege. Diese Gesellschaft muss davon wegkommen, zu glauben, alle Probleme ließen sich durch ein Bundesgesetz lösen. Deshalb wird das Thema Pflege nicht nur gesetzliche Initiative erfordern, sondern auch eine intensive gesellschaftliche Debatte.
Ähnlich ist es mit der Bürgerversicherung. Sie haben gefragt, ob das denn wahr sei, Frau Merkel. Sie können den Stand der Dinge nicht so genau kennen, deshalb will ich Ihnen kurz sagen: Wir haben beschlossen, dass wir den Weg hin zur Bürgerversicherung gehen. Das Ziel sind Vertiefung und Verbreiterung des ganzen Systems unter den Gesichtspunkten Gerechtigkeit für den Einzelnen und Leistungsfähigkeit des Einzelnen. Das ist eine gute Alternative zum Weg hin zur Kopfpauschale, den Sie einzuschlagen versuchen. Wir sind bei diesem Punkt keineswegs schon fertig. Wir werden unseren Weg präzisieren. Das wird noch einige Zeit dauern. In diesem Jahr wird es in der Bundesrepublik Deutschland ganz sicher kein Gesetz mehr dazu geben.
Der Gedanke, der dahinter steht, dass nämlich der Kernbereich der Systeme der sozialen Sicherung bei uns solidarisch finanziert bleiben soll, ist richtig.
Das müssen Sie inzwischen doch dazugelernt haben. All die jungen, schicken Millionäre, die es vor einigen Jahren gab und die uns stolz erzählt haben, dass sie ihre komplette Alterssicherung über die Aktienmärkte abgesichert hätten, wurden eines Besseren belehrt. Zum guten Schluss muss aus den sozialen Systemen klassischer Art, der Finanzierung aus der Steuerkasse und der Eigenverantwortung des Einzelnen, indem er zuzahlt, ein vernünftiger Mix entstehen. Bei diesem Ziel, das wir umzusetzen versuchen, müssen wir immer im Blick behalten, dass der Kern der Sozialversicherung solidarisch finanziert bleiben muss. Man kann es drehen, wie man will, das Beste ist: Menschen für Menschen, Generation für Generation. Eine bessere Lösung bei der Alterssicherung gibt es nicht. Das muss im Kern so erhalten bleiben.
Wir werden auch das Thema Innovation nicht vergessen. Keine Sorge, Sie werden bald wieder damit konfrontiert sein. Schließlich wissen wir genau, dass die Zukunftsfähigkeit unseres Landes entscheidend davon abhängt, wie in den Bereichen Qualifizierung, Forschung und Technologie in diesem Lande weiter verfahren wird. Bei den Investitionen in diesem Bereich hat es in den 90er-Jahren eine Stagnation, zum Teil sogar einen Abbruch gegeben. Daran waren Sie beteiligt. Sie waren damals an der Regierung. Wir sind klüger geworden.
Wir haben, seitdem Edelgard Bulmahn dem Bildungsministerium vorsteht, dessen Etat um etwa 30 Prozent erhöht. Diese Investitionsmittel fehlen uns natürlich an anderer Stelle. Trotzdem sagen wir den Rentnerinnen und Rentnern und der Gesellschaft insgesamt: Was wir heute in die Forschung, in die Technologie und in die Entwicklung neuer Arbeitsplätze und neuer Produkte investieren, das ist die Investition in die Zukunftsfähigkeit des Landes überhaupt. Man kann nichts Besseres tun, als in diesen Bereich zu investieren.
Wir werden diesen Weg weitergehen. Das wird hart werden, weil das bedeutet, mehr Geld zur Verfügung zu stellen, um im Jahr 2010 auf 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu kommen. Aber ganz Europa muss diesen Weg gehen und die deutsche Wirtschaft ebenso. Das kann der Bund nicht alleine schaffen, das müssen auch die Länder und die Gemeinden als große Aufgabe verstehen. Wir werden zu diesem Thema an dieser Stelle also weiter über das diskutieren, was in den nächsten Jahren und vielleicht noch in diesem Jahr erforderlich und nötig ist.
Meine Damen und Herren, wir werden bei dem, was wir in diesem Jahr und in den nächsten Jahren zu tun haben, darauf zu achten haben, dass wir das Wünschbare im Blick behalten und es nicht vergessen, dass wir aber gleichzeitig das Notwendige erkennen und das Machbare tun. Das sind die Zielkonflikte, die Spannungsverhältnisse, mit denen wir es zu tun haben. Wir wissen, dass man sich vieles anders wünschen würde und dass vieles über das hinausgehen müsste, was wir heute tun oder tun können. Wir wissen, dass bestimmte Dinge getan werden müssen. Wir machen das, was heute notwendig ist, damit wir auf einem guten Weg in die Zukunft gehen können. Das wird anstrengend bleiben; das ist überhaupt keine Frage. Aber wir haben im Jahr 2003 ein gutes Stück auf dem richtigen Wege zurückgelegt und haben etwas von dem weggeräumt, was in den 90er-Jahren in Deutschland liegen geblieben ist.
Es ist wahr, dass wir spät dran sind. In den vergangenen Wochen und Monaten haben ich und andere oft darüber gesprochen, wie es war und dass in der Vergangenheit tatsächlich etwas liegen geblieben ist. Ich finde, es reicht nun, den Blick zurückzuwerfen; jetzt muss der Blick nach vorne gerichtet werden. Wir müssen das tun, was in diesem Jahr und was für die Zukunft erforderlich ist. Wir dürfen uns nicht mit den Dingen aufhalten, die weit hinter uns liegen, sondern müssen mutig und entschlossen die Dinge in Angriff nehmen, die der Bundeskanzler heute in seiner Rede beschrieben hat und die in diesem Jahr auf der Agenda stehen.
Im vergangenen Jahr habe ich in meiner Rede zur Agenda gesagt: Herr Bundeskanzler, Sie haben für die Agenda 2010 die volle Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion. Herr Bundeskanzler, das wird auch so bleiben.
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun Dr. Guido Westerwelle für die FDP-Fraktion.
Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Müntefering, Sie haben am Schluss Ihrer Rede davon gesprochen, Sie hätten vieles von dem, was liegen geblieben sei, abgeräumt und erledigt. Der Herr Bundeskanzler hat sich in seiner Regierungserklärung gerühmt, er habe die Steuersätze in seiner Regierungszeit gesenkt. Für uns von der Opposition möchte ich dazu sagen: Wenn Sie uns nicht blockiert hätten und wenn Sie nach der Wahl nicht alles aufgehoben hätten, dann hätten wir seit sieben Jahren niedrigere Steuersätze, einen demographischen Faktor bei der Rente und ein modernes Arbeitsrecht.
Herr Kollege Müntefering, ansonsten kann man Ihnen zu der Regierungserklärung des Bundeskanzlers gratulieren. Das ist der Sieg der Müntefering-SPD. Diejenigen, die geschrieben haben, es werde nach dem Parteitag der Sozialdemokraten keinen Wechsel in der Politik geben, sind heute eines Besseres belehrt worden. Das Einzige, was von der Agenda 2010 in Wahrheit noch übrig gelassen wurde, ist der Name selbst.
Sie warnen vor einem angeblich drohenden ungezügelten Marktliberalismus. Wer bei einer Staatsquote von 57 Prozent den ungezügelten Marktliberalismus kommen sieht, der hat die soziale Marktwirtschaft nicht verstanden.
- Ich weiß, dass Sie den Unterschied zwischen dem Brutto- und dem Nettoinlandsprodukt nicht kennen; das ist mir schon klar.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme zu den entscheidenden Punkten, die herausgearbeitet worden sind. Vor einem Jahr hat der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung darüber gesprochen, dass das Tarifvertragsrecht verändert werden müsse, und er hat die Ausbildungsplatzabgabe abgelehnt. Ein Jahr später kündigen Sie die Ausbildungsplatzabgabe an und verabschieden sich vom Ziel der Liberalisierung des Tarifvertragsrechts. Das ist eine völlige Veränderung Ihrer bisherigen Politik,
ein Agenda-Wechsel und nicht die Fortsetzung der Agenda 2010. Sie haben Ihrer Regierung neue Vorzeichen gegeben und sich wieder einmal neu erfunden. Damit haben Sie sich zwar in die Seele der Sozialdemokratie hineingeredet, von Deutschland und den Problemen haben Sie sich aber erneut verabschiedet.
Sie haben die Agenda 2010 zu Grabe getragen und die alte SPD ausgegraben.
Reden wir einmal über die Ausbildungsplatzabgabe. Die Wahrheit ist bekanntermaßen konkret. Die von Ihnen angekündigte Ausbildungsplatzabgabe wird ja nicht nur in Ihren eigenen Reihen als falsch angesehen. Ich bin gespannt, was von Herrn Clement übrig bleibt, wenn das alte Lieblingsprojekt der Müntefering-SPD, das von Ihnen auf Parteitagen immer wieder vorgeschlagen wird, jetzt kommt.
Durch die Ausbildungsplatzabgabe wird nicht ein einziger Ausbildungsplatz in Deutschland geschaffen. Sie wird nur dazu führen, dass noch mehr mittelständische Unternehmen in die Pleite geraten. Genau das müssen wir in Deutschland verhindern. Im letzten Jahr gab es über 40 000 Pleiten, insbesondere im Mittelstand. Sie leiden unter einem argen Realitätsverlust, da Sie das verschweigen. Wer Pleite geht, kann nicht ausbilden. Stärken Sie gerade die Unternehmen im Mittelstand, dann wird auch mehr ausgebildet! Ein plumper Appell an Patriotismus reicht für eine Regierung, die handeln sollte, nicht.
Es ist schon interessant, wie diese Debatte seit dem Parteitag der Sozialdemokraten intoniert worden ist. Die Ausbildungsplatzabgabe wird kommen; das ist eine Frage der Zeit. Sie werden sich bemühen, den entsprechenden Text geschickt zu formulieren. Das einzige Ergebnis wird sein, dass weniger Ausbildungsplätze entstehen, anstatt mehr Ausbildungsplätze zu schaffen.
Dieses Land wird nicht neue Ausbildungs- und Arbeitsplätze dadurch bekommen, dass neue Steuern und Abgaben erfunden werden. Dieses Land bekommt nur dann neue Ausbildungs- und Arbeitsplätze, wenn wir das Steuerrecht modernisieren und vereinfachen und die Steuern- und Abgabenlast in Deutschland insgesamt senken.
Davon ist bei Ihnen überhaupt nicht mehr die Rede. Ganz im Gegenteil: Das Thema Steuersenkung haben Sie heute ad acta gelegt. Sie haben uns heute mitgeteilt, Sie sehen keine Spielräume für Steuersenkungen. Ganz im Gegenteil: Sie haben sogar Steuererhöhungen angekündigt. Wenn Sie nämlich die Eigenheimzulage streichen wollen, um damit Ihre Haushaltslöcher zu stopfen und die notwendigen Ausgaben in der Bildung zu finanzieren, weil Sie an anderer Stelle nicht die Kraft zum Sparen haben, dann ist das nichts anderes als eine faktische Steuererhöhung. Wer die steuerlichen Ausnahmetatbestände beseitigen will, der muss in niedrigere Steuersätze investieren und darf damit nicht die Haushaltslöcher von Herrn Eichel stopfen. Das kann die Bürgerinnen und Bürger teuer zu stehen kommen.
Auch das ist eine bemerkenswerte und völlig neue Gegenüberstellung. Die Eigenheimzulage wird jetzt als Gegenrechnungsposten für Bildung und Wissenschaft eingesetzt. Sie tun so, als ob wir uns in Deutschland zwischen niedrigeren Steuern und einem besseren Bildungssystem entscheiden müssten. Dieses Land braucht beides: niedrigere Steuern und ein besseres Bildungssystem.
Was Deutschland aber nicht braucht, sind Ihre Steinkohlesubventionen in Höhe von 16 Milliarden Euro. Sie sind erst vor kurzem von Ihnen angekündigt und zugesagt worden, Herr Bundeskanzler.
Die Subventionen für die Steinkohle haben einen ganz einfachen Grund. In Nordrhein-Westfalen, wo Herr Müntefering herkommt, gibt es bald Kommunalwahlen. Die Subventionen sind nichts anderes als der Versuch, sich bei den Funktionären Ihrer eigenen Anhängerschaft im Ruhrgebiet Ruhe erkaufen zu wollen. Das ist höchst unvernünftig. Das ist eine Form von politischer Korruption, was hier stattfindet. Das Gefährliche dabei ist, dass Sie hier von Egoisten und Lobbyisten reden, Sie selber aber in Wahrheit der verlängerte Arm der Steinkohlefunktionäre und der Gewerkschaften in dieser Regierung zulasten des Ruhrgebiets geworden sind.
Reden wir bitte einmal über die bemerkenswerte Diskussion, die schlaglichtartig den neuen Kurs der SPD klar macht: die Patriotismusdebatte. Diese wurde übrigens nur noch durch Ihren neuen Generalsekretär getoppt, Herr Kollege Müntefering. Er hat nicht nur wie der Bundeskanzler von mangelndem Patriotismus bei der deutschen Unternehmerschaft gesprochen, sondern er hat das Wort von den Vaterlandslosen in einer Presseerklärung benutzt. Ausgerechnet Sozialdemokraten sprechen von vaterlandslos!
Es ist bemerkenswert, dass Sie solche Begriffe in den Mund nehmen.
- Das kann ich Ihnen sagen. Vaterlandslos und unpatriotisch sind nicht Unternehmen, die sich vor der Pleite schützen wollen. Vaterlandslos und unpatriotisch ist Ihre Politik, die Unternehmen ins Ausland treibt. Das ist die eigentliche Lage in Deutschland.
Herr Müntefering, sparen Sie sich Ihre Zahlenspiele mit 1, 8 und 18. Bei der Allensbach-Umfrage in der letzten Woche lag die FDP bei 8 Prozent und die SPD bei 24 Prozent. Ich gebe zu: Sie sind im Augenblick näher an den 18 Prozent als wir; das ist leider wahr.
Ich will an dieser Stelle auf einen Punkt zu sprechen kommen, über den Sie nicht reden wollen: die Lage in Deutschland. Ich lese Ihnen aus einem Brief vor, der mir in dieser Woche von einem deutschen Unternehmer übergeben worden ist. Er wurde von Gersau in der Schweiz angeschrieben. Dort heißt es offen und völlig unverbrämt:
Hohe Steuerbelastungen führen in Deutschland dazu, dass der Erblasser nur sehr beschränkt über seinen Nachlass verfügen kann. Teilweise wird dadurch die geordnete Übergabe des Lebenswerks an die Nachkommenschaft erschwert oder gar vereitelt. Das Kanton Schwyz kennt keine Erbschaftsteuern. Wir sind deshalb in der Lage, Ihnen Lösungen anzubieten, bei denen der Nachlass ungeschmälert den Nachkommen übergeben werden kann. Wir sind gerne bereit, Ihren Mandanten die Möglichkeit und Vorteile eines allfälligen Umzuges nach Gersau aufzuzeigen.
Damit werben unsere Nachbarländer. Sie aber verabschieden sich vom Ziel der Steuersenkung und kündigen innerhalb von 14 Tagen auch noch die Ausbildungsplatzabgabe, die Erhöhung der Erbschaftsteuer und die Wiedereinführung der Vermögensteuer an. Das ist der falsche Weg für dieses Land.
Deswegen hatten Sie völlig Recht, als Sie auf Ihrem Parteitag gesagt haben, das sei ein Kulturkampf zwischen Opposition und Regierung. Es ist ein Kulturkampf, das ist wahr. Es ist der Kampf der rot-grünen Neidgesellschaft gegen eine Anerkennungskultur, die Leistung befördert, belohnt und nicht bestraft. Wir sitzen alle in einem Boot, aber einige müssen auch rudern. Sonst kann man niemals soziale Gerechtigkeit in Deutschland finanzieren.
Deswegen will ich Ihnen sagen: Erbschaftsteuer, Vermögensteuer, Mehrwertsteuer - Frau Simonis, immerhin eine Ministerpräsidentin, hat angekündigt, dass die Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte erhöht werden sollte -, all das sind Vorschläge, die Sie auf Ihre neue Agenda setzen. Sie haben sich nach einem Jahr Agenda 2010 von der Politik der Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft verabschiedet. Sie sind auf dem Weg zurück zur alten SPD. Das mag Ihnen das Leben mit den Sozialdemokraten leichter machen, das Leben für die Deutschen in Deutschland wird schwerer. Das ist das traurige Ergebnis dieser heutigen Debatte.
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun die Kollegin Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen.
Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Westerwelle, das, was Sie uns gerade vorgetragen haben, war die Rede vom letzten Jahr, vom vorletzten Jahr und vom vorvorletzten Jahr. Es gibt nur einen Unterschied: Sie haben nicht mehr diese Schuhe mit der Zahl 18 an, von denen Herr Müntefering geredet hat, sondern Sie laufen jetzt lieber in Stoppersocken, damit es ein bisschen weicher ist.
Herr Westerwelle, wenn Sie hier über Lobbypolitik reden, dann möchte ich daran erinnern, warum Sie beim Gesundheitskonsens ausgestiegen sind,
den die Union und die anderen Parteien mit allen Abstrichen mitgetragen haben. Sie sind ausgestiegen, weil es plötzlich für Ihre Lobbypolitik zugunsten der Pharmaindustrie eng wurde. Das ist die Politik, die Sie betreiben: ein bisschen Klientel-, ein bisschen Lobbypolitik, aber keine Konzepte, sondern nur die alten Reden vom letzten und vom vorletzten Jahr.
Damit werden Sie nicht durchkommen.
Schauen wir uns kurz das an, was die Union heute gesagt hat. Ich habe der sehr detaillierten Rede von Frau Merkel genau zugehört und ein bisschen ins Publikum geschaut.
Es gab Leute, die geklatscht haben, es gab Leute, die mit innerer Beteiligung geklatscht haben, und es gab Leute, die gar nicht geklatscht haben. Da saß Herr Schäuble, der immer dann, wenn es Beifall geben sollte, mit seinem Taschentuch hantierte,
und da saß Herr Merz, der sich immer dann, wenn es Beifall geben sollte, umschaute, ob das jetzt wirklich sein muss. Das ist die Situation in der Union. Sie haben versucht, uns innere Zerstrittenheit vorzuwerfen. Aber da hatten Sie einen freudschen Versprecher und sprachen von der Zerstrittenheit innerhalb der Opposition. Das ist richtig. Merkel, Merz, Stoiber, Koch, Schäuble -
alle gegeneinander.
Es geht in der Union schon lange nicht mehr um Konzepte. Das haben Sie heute wieder bewiesen. Es geht in der Union eigentlich nur noch darum, was man sagen kann, damit man jemand anderen aus dem eigenen Laden besonders hart trifft. Das ist die Realität. Wir kümmern uns um Deutschland.
Wir kümmern uns um die Konzepte und darum, wie es vorangeht. Sie kümmern sich um sich selbst. Ihr Laden ist nichts anderes als eine Was-nützt-Merkel-Partei. Damit müssen wir uns auseinander setzen.
Frau Merkel, ich will an eines erinnern. Ich habe am letzten Sonntag Ihr Interview in der „Welt am Sonntag“ gelesen.
In dem Interview wurden Sie gefragt, Frau Merkel: War das Ja zum Irakkrieg eigentlich richtig?
Frau Merkel hat darauf geantwortet: Wir wollen nicht mehr darüber reden, sondern lieber nach vorne blicken. Das ist alles Vergangenheit.
Frau Merkel, ich bin überzeugt davon,
dass die Menschen in diesem Land ein Recht darauf haben, zu erfahren, ob Sie immer noch derselben Meinung sind wie damals. Ich bin überzeugt davon, dass die Menschen ein Recht darauf haben, zu erfahren, was gewesen wäre und was heute wäre, wenn Sie damals regiert hätten. Dann hätten Hunderte von deutschen Soldaten im Irak in einem Krieg gestanden, der sich auf nichts anderes gründet als auf Lügen. Das ist die Realität.
Wir wollen von Ihnen wissen, Frau Merkel, wie Sie heute dazu stehen. Das kann man wohl verlangen.
Ähnlich ist es im Hinblick auf Ihre Auslassungen zu Europa, Frau Merkel.
Sie haben hier festgestellt, dass gerade in Osteuropa am 1. Mai gefeiert wird. Das glaube ich auch. Aber es gibt, ehrlich gesagt, einige Leute, denen das Feiern im Halse stecken geblieben ist.
- Dass sie nicht feiern können, Herr Glos, hat mit jemandem aus Ihren eigenen Reihen zu tun, nämlich mit Frau Steinbach.
Frau Steinbach wird nicht nur in dieser Republik, sondern auch in Polen als diejenige wahrgenommen, die mit einem Zentrum für Vertreibung
das zarte Pflänzchen der guten deutsch-polnischen Beziehungen zerstören will.
Frau Steinbach sorgt für Verunsicherung. Wir wollen aber ein gemeinsames Europa, in dem es solche Verunsicherungen und Verunglimpfungen der Geschichte nicht gibt. Wir wollen, dass die Brücke über die Oder beschritten werden kann; wir wollen nicht, dass neue Mauern gebaut werden.
Wenn Sie wirklich wollen, dass am 1. Mai auch in Polen aus vollem Herzen gefeiert werden kann, dann erwarte ich von Ihnen, dass Sie Frau Steinbach und Herrn Koch, der genauso argumentiert, endlich stoppen.
Frau Merkel, auch das, was Sie in der Innenpolitik machen, ist nicht besser. Ihre Konzepte dienen dem Eigennutz und spiegeln den Streit in den eigenen Reihen wider. Es geht dabei um die Kopfpauschale und um den Bundespräsidenten.
Das war ein Theater. Man könnte fast sagen, es ging darum, wer in der Klamotte, die dabei aufgeführt worden ist, die beste Nebenrolle hatte: Angela, Edmund oder Guido? Herr Westerwelle, ich glaube, Sie können froh sein, dass wir den Meisterzwang weitestgehend abgeschafft haben. Sonst wären Sie mit Ihrem Meisterstück und der Meisterprüfung bei der Aufstellung eines Kandidaten für die Bundespräsidentenwahl sicherlich nicht durchgekommen.
Aber eines muss klar sein, wenn Sie in der Innenpolitik - auch bei der inneren Sicherheit - wieder die alten Kamellen bringen. Wir haben die Anschläge in Madrid erlebt. Viele Menschen in unserem Land haben Angst.
Ich meine, das müssen wir sehr ernst nehmen.
Meine eigenen Kinder, die jeden Tag mit dem Zug fahren, haben danach gefragt, was das eigentlich für sie bedeutet und ob sie auch gefährdet sind. Deswegen sage ich: Wir haben verstanden, dass die Menschen Angst haben; es muss klar sein, dass eventuell bestehende Gesetzeslücken geschlossen werden müssen.
Ich will Ihnen aber sagen, was auch klar sein muss! Es reicht nicht, einmal kurz nachzudenken, ohne sich mit der Sache wirklich zu beschäftigen, und dann die alten Klamotten wieder herauszuholen. Die beste alte Klamotte, die Sie immer wieder herausholen, ist der Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Glauben Sie, wir hätten in Deutschland auch nur ein bisschen mehr Sicherheit, wenn wir einen Panzer vor einen Bahnhof stellen und Wehrpflichtige in Zügen patrouillieren lassen?
Das ist nicht der richtige Weg. Es geht vielmehr darum, über die Möglichkeiten nachzudenken, mit denen die Sicherheit wirklich erhöht werden kann. Es geht nicht um Symbolpolitik und um alte Kamellen.
Ich habe von Ihnen auch nichts zu dem gehört, Frau Merkel, was die meisten Leute im normalen Leben in dieser Republik am allermeisten umtreibt. Das sind die Fragen, wie es unseren Kindern geht und wie es mit der Kindererziehung und der Bildung weitergeht. Dazu haben Sie nichts gesagt. Sie haben sich ein bisschen über Forschung und Innovationen ausgelassen, aber Sie haben die Fragen der Familien übergangen und außen vor gelassen. Das ist wahrscheinlich die neue Art der Familienpartei CDU.
Wenn wir es weiterhin zulassen, dass 72 Prozent der Kinder aus besser gestellten Familien Abitur machen und dass diejenigen, die aus den Unterschichten stammen, nicht weiterkommen, weil sie keine Chancen haben, dann ist das ein Skandal. Das ist eine richtige Sauerei. Dazu sage ich: Man muss sich gemeinsam anstrengen; das kann man nicht einfach übergehen - auch nicht im Deutschen Bundestag - nach dem Motto: Wir sind ja nicht zuständig.
Lassen Sie uns kurz nach Bayern schauen - Claudia wird es mir verzeihen -:
Nur 30 Prozent der Jugendlichen dort machen Abitur. In Großbritannien, in den USA und im Rest der Republik ist das anders. Ehrlich gesagt, ich kann mir nicht vorstellen, dass die Bayern wirklich blöder sind als alle anderen.
Es kommt darauf an, dass wir dann, wenn die Kinder ganz klein sind, anfangen. Deswegen ist es so wichtig, sich um die Kinderbetreuung der unter Dreijährigen zu sorgen. Ich persönlich finde: Dabei soll man nicht nur mit Bitten, mit den Wünschen nach Zusammenarbeit und mit Parolen arbeiten. Ich glaube, was die unter Dreijährigen angeht, brauchen wir für bestimmte Gruppen ganz klar einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung, damit sich in diesem Bereich wirklich etwas ändert, damit in Deutschland wirklich mehr Kinderbetreuungsplätze entstehen und damit das Geld, das in die Kassen der Kommunen fließt, wirklich für Kinderbetreuungsplätze eingesetzt wird. Das ist nötig, um die gesellschaftliche Realität zu verändern. Man sollte nicht hinterher reparieren, sondern unten, bei den ganz Kleinen, anfangen.
Es kommt auf die Migrantenkinder und auf die Kinder aus den Unterschichten an.
Außerdem kommt es darauf an, dass in Deutschland Beruf und Familie endlich vernünftig vereinbart werden können.
Ich weiß, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie immer ein bisschen ideologisch gesehen wird, gerade in Ihren Reihen. Darüber ist man leider noch immer nicht hinweg. Man kann es auch einmal ganz ökonomisch betrachten: 1 Euro, der in Kinderbetreuung investiert wird, bringt am Ende 4 Euro, die man wieder herausbekommt. Die Frauenerwerbstätigkeitsquote hat nämlich auch mit dem Wachstum der Gesellschaft zu tun. Das kann man in anderen Ländern erkennen. Schauen Sie nach Frankreich! Wenn wir wirklich Wachstum wollen, dann müssen wir die Rahmenbedingungen an genau dieser Stelle ändern und dann dürfen wir nicht auf ein paar Chimären schauen.
Sie haben die Grüne Gentechnik angesprochen - normalerweise reden Sie gern über die Atomenergie -: In diesen Bereichen wird es weder zu Wachstum noch zu neuen Arbeitsplätzen kommen. Dem entgegenzuwirken ist nicht die Aufgabe der Politik. Wir müssen vielmehr die Rahmenbedingungen ändern. Dafür sind wir da; das ist unsere Aufgabe.
Wollen wir wirklich, dass mehr Kinder geboren werden? Natürlich wollen wir das! Ich finde, wir sollten alles dafür tun. Wir sollten unsere Kinderbetreuung und unsere Schulen verbessern; wir sollten dafür sorgen, dass man in Deutschland wieder Lust bekommt, mit Kindern zu leben. Ich glaube, das können wir, und ich glaube, das würde der Kultur in unserem Land wirklich gut tun.
Ich komme auf das Thema Zuwanderung zu sprechen. Über ein Zuwanderungsgesetz wird jetzt intensiv verhandelt. Ich hoffe sehr, dass wir zu einem Ergebnis kommen. Ich sage Ihnen dazu auch eines: Wenn man die Integration von Zuwanderern nur mit Strafen und mit Sanktionen in Zusammenhang bringt, dann werden wir nicht weiterkommen.
Die Integration ist die zentrale gesellschaftliche Frage, die wir in vielen Stadtteilen und an vielen Orten dieser Republik beantworten müssen. Wenn wir es nicht schaffen, die gesellschaftliche Integration zu verbessern, dann fällt unsere Gesellschaft auseinander. Deswegen geht es hier darum, Angebote zu machen, die angenommen werden müssen. Aber es geht nicht darum, dort Strafen anzudrohen, wo keine Angebote sind. Darauf wird es in den anstehenden Verhandlungen ankommen.
Außerdem kommt es auf die Bewältigung der humanitären Fragen an. In einer offenen Gesellschaft muss man über die Frage der Humanität reden. Ich hoffe, dass wir auf diesem Gebiet zusammenkommen. Ich hoffe auch, dass wir auf dem Feld der Arbeitsmigration einen kleinen Schritt vorankommen. Viele sagen dazu jetzt: Der Tiger, der springen soll, ist nur noch sehr klein. Ich bin trotzdem überzeugt: Dieses Gesetz wird ein erster, ein wichtiger Schritt sein. Ich hoffe sehr, dass wir nicht nur unserer Gesellschaft, sondern auch der Wirtschaft den Gefallen tun, dass in diesem Bereich etwas vorangeht.
Ich bin der Meinung, dass wir der Wirtschaft nicht jeden Gefallen tun sollten. Manchmal hat man das Gefühl, dass jeden Tag etwas Neues oder auch immer wieder das Alte gefordert wird und dass, nachdem die Forderungen erfüllt worden sind, ein paar Wirtschaftsfunktionäre wie die beiden Onkel in der „Muppet-Show“ auf dem Balkon sitzen und meckern. Dazu kommen ein paar Ehrengäste: Frau Merkel und besonders Herr Westerwelle.
In der gegenwärtigen Situation in Deutschland stehen 30 000 Jugendliche ohne Ausbildungsplatz da. Angesichts dessen frage ich mich: Worin besteht der Beitrag der Wirtschaft dazu, damit es in unserem Land weitergeht?
Herr Westerwelle, der Bundeskanzler hat im letzten Jahr nicht gesagt, dass er gegen eine Ausbildungsplatzumlage sei. Er hat vielmehr gesagt: Wenn wir keine andere Möglichkeit haben, wenn die notwendigen Ausbildungsplätze nicht entstehen, dann müssen wir für eine gesetzliche Regelung sorgen. Genau das müssen wir jetzt möglicherweise tun, und zwar nicht weil wir das wollen oder weil wir darüber nachgedacht haben, wie wir der Wirtschaft besonders gut schaden können, sondern weil es keine andere Möglichkeit gibt, dafür zu sorgen, dass betriebliche Ausbildungsplätze in ausreichendem Maße in Deutschland entstehen. Es geht darum, dass die Jugendlichen nicht auf die Straße geschickt werden oder auf dem Sofa sitzen, dass sie also nicht zu denjenigen gehören, die keine Chance haben. Deswegen muss für eine ausreichende Zahl an Ausbildungsplätzen gesorgt werden.
Wenn man sich die heutigen Äußerungen zu den sozialen Fragen anschaut, dann stellt man wieder fest, dass es mit der Einigkeit in der Union nicht weit her ist. Zur Rentenversicherung ist von Ihnen nicht viel gesagt worden. Sie trauern noch immer um den demographischen Faktor. Wenn dieser in die Rentenformel eingeführt worden wäre, dann läge der Beitragssatz in der Rentenversicherung heute deutlich über 21 Prozent. Tatsächlich liegt er bei 19,5 Prozent. Sie können Ihre Trauer ruhig weiter pflegen. Aber uns interessiert schon, welches Konzept Sie eigentlich haben, welche Vorstellungen Sie haben, wie es mit der Rentenversicherung weitergehen soll. Ich glaube, das interessiert auch die Bürgerinnen und Bürger.
Wie es mit der Gesundheitsreform weitergehen soll, haben Sie deutlich gemacht, jedenfalls diejenigen von Ihnen - es sind nur ein paar -, die die auf dem letzten Parteitag gefassten Beschlüsse mittragen. Herr Seehofer gehört sicherlich nicht dazu. Die Alternative ist: Kopfpauschale oder Bürgerversicherung. Ich habe mir alle Ihre Konzepte - das Herzog-Konzept, das Merz-Konzept und den Masterplan von CDU und CSU - genau angeschaut und dabei ist mir eines aufgefallen: In allen Konzepten kommt zwar die Kopfpauschale vor, aber an keiner Stelle wird deutlich, wie der soziale Ausgleich funktionieren soll, vor allem wie er bezahlt werden soll. Frau Merkel, das sagt mir, dass Sie gar keinen sozialen Ausgleich wollen. Das ist es, was Sie tatsächlich vorhaben. Sie wollen eine andere Republik. Sie sollten so ehrlich sein und das auch sagen.
Wenn wir über die Zukunft der Gesellschaft reden, dann müssen wir zwei Dinge berücksichtigen. Zum einen wird die Gesellschaft älter. Man sollte nicht verschweigen, dass aufgrund dessen die meisten Arbeitsplätze in Zukunft im Gesundheits- und Pflegebereich entstehen werden. Dort werden qualifizierte Menschen aus unserem Land gebraucht, die auch bereit sind, die Arbeit zu tun. Zum anderen wird sich die Gesellschaft verjüngen. Darauf hoffen und setzen wir, weil auch dadurch Arbeitsplätze entstehen werden, zum Beispiel in Kindergärten, in Schulen und im Bereich der Dienstleistungen für junge Familien, in denen Frauen berufstätig sind. Frau Merkel, solche Arbeitsplätze haben nichts mit Symbolthemen zu tun.
Ich möchte noch einmal auf die Grüne Gentechnik zu sprechen kommen. Das, was Sie vorschlagen - wahrscheinlich ist das ein Beitrag zur deutsch-amerikanischen Freundschaft -,
wird letztlich nur dazu führen, dass amerikanische Unternehmen ihr Saatgut in Deutschland besser verkaufen können. Wahrscheinlich haben Sie das gemeint, als Sie über die Grüne Gentechnik und ihre Chancen geredet haben.
Wir müssen uns in der Tat um die Arbeitsplätze kümmern, die hier entstehen können. Es gibt einen sehr großen Bereich, in dem ziemlich viele Arbeitsplätze entstanden sind. Das ist der Umweltbereich. Die Koalition hat sich entschieden, nicht nur für eine soziale, sondern auch für eine ökologische Erneuerung zu sorgen. Es geht nicht mehr um die Auseinandersetzung aus den 70er-Jahren, also nicht um Arbeitsplätze gegen Umwelt, sondern um Arbeitsplätze, die tatsächlich entstehen. Es geht um Arbeitsplätze, die entstehen, weil wir die Lohnnebenkosten durch die Ökosteuer gesenkt haben. Es geht um Arbeitsplätze, die entstehen, weil wir in Wärmedämmung investiert haben. Es geht um 100 000 Arbeitsplätze, die im Bereich der erneuerbaren Energien entstanden sind.
Sie können das alles ruhig als grünen Vorgarten bezeichnen. Aber schauen Sie sich einmal an, was BMW, die Deutsche Lufthansa und die Deutsche Bahn vereinbart haben, in welche Zukunfts- und Innovationstechnologien sie investieren wollen. Diese Unternehmen gehen davon aus, dass es in Zukunft zwei große Problembereiche gibt. Der eine ist der Transport - und Logistikbereich - hier muss man über neue Wege diskutieren - und der andere ist eine neue Brennstofftechnologie. Das hat nichts mit grünem Vorgarten zu tun. Hier kann man vielmehr Geld in Deutschland verdienen. In diese Projekte sollte man investieren.
Wenn man über Logistik der Zukunft redet, dann redet man auch über eine andere Lebensweise. Es wird in Zukunft immer öfter so sein, dass man die CD bei Amazon, die Bücher bei Libri, die Unterwäsche beim Otto-Versand und die Gartengeräte bei Manufactum bestellt.
Das alles kommt dann irgendwie an. Hoffentlich muss dann nicht jemand den ganzen Tag zu Hause sein und auf das Paket warten.
Es gibt also große Herausforderungen an die Logistik in Deutschland. Ich glaube, dass wir da vorn sein können, auch wenn es ein paar große Unternehmen in Deutschland nicht geschafft haben, das Mautsystem so schnell auf eine vernünftige Grundlage zu stellen, wie sich das wahrscheinlich alle hier gewünscht hätten. Diese Chance bei der neuen Logistik sollten wir ergreifen. Da sollten wir aktiv werden.
Ich will ein Thema ansprechen, das in diesen Tagen in der Öffentlichkeit eine große Rolle spielt, nämlich den Emissionshandel. Frau Merkel, Sie haben in Ihrer Zeit als Umweltministerin nicht besonders viele große Erfolge gehabt. Ein großer Erfolg war sicherlich die Unterzeichnung des Kioto-Protokolls. Es geht hierbei nicht um eine grüne Hobbyveranstaltung oder etwas, das wir uns gerade ausgedacht haben, sondern es geht um eine internationale Verabredung, es geht um eine europäische Verabredung. Wir wollen nicht vor allen anderen herlaufen, sondern es geht um unsere Verpflichtung zum Klimaschutz und gleichzeitig um die Rücksichtnahmen auf die Interessen der Industrie. Herr Töpfer ist dafür. Viele der Unternehmen haben bei den Verhandlungen darüber zu erkennen gegeben, dass sie sich vorstellen können, innerhalb dessen, was verabredet worden ist, tätig zu werden. Aber eines muss man auch sagen: Die Industrie selbst war mit ihrer Selbstverpflichtung natürlich sehr viel ehrgeiziger, als das heute der Fall zu sein scheint.
Wir werden am Ende eine Verabredung haben - da bin ich sehr zuversichtlich -, bei der wir die wirtschaftlichen Interessen mit dem Klimaschutz vereinbaren. Es geht darum, dass die Emissionen reduziert werden. Wir haben diese Verantwortung international, wir haben sie europäisch und wir werden ihr in Deutschland - da können Sie ganz sicher sein - gerecht werden.
Herr Töpfer ist dafür. Frau Merkel war dafür - das muss man sicherlich sagen -, aber jetzt ist Merkel nur noch für Merkel. Sie werden sich ja wahrscheinlich noch ein bisschen über die Kanzlerfrage unterhalten, über Merz, Merkel, Stoiber, Koch, wie auch immer das ausgehen mag.
- Nach dem heutigen Tag - das kann man sicherlich so sagen - ist wieder alles offen.
Wir als Regierung werden es Ihnen in diesem Streit nicht leicht machen. Sie können ihn in aller Ruhe führen.
Wir werden uns weiter für gesellschaftlichen Zusammenhalt und dafür einsetzen, dass das Land erneuert wird, aber gegen eine reine Ökonomisierung der Gesellschaft, wie Sie sie wollen. Sozialstaatsreformen kann man nicht nur mit dem Taschenrechner machen. Man muss sie auch mit dem Herzen machen. Wir wollen den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft. Wir wollen die soziale und ökologische Erneuerung. Sie können in dieser Zeit mit den besagten Herren frühstücken. Sie frühstücken, wir regieren.
Sie reden über die Kanzlerfrage, wir handeln. Daran werden Sie sich gewöhnen müssen, auch über das Jahr 2006 hinaus. Wie heißt es ab jetzt? - Wenn Sie regieren würden, wäre das Mist. Dann muss man am Ende einer Rede jetzt auch immer noch sagen: Glück auf!
Ich danke Ihnen.
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun der Kollege Michael Glos für die CDU/CSU-Fraktion.
Michael Glos (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Ihrer Erlaubnis würde ich gern wieder an die Regierungserklärung des Bundeskanzlers und daran anknüpfen, wie Deutschland zu mehr Stärke kommt.
Während Ihrer Rede, Herr Bundeskanzler, war eine gewisse Unlust spürbar, nicht nur bei Ihnen selbst, sondern auch auf der linken Seite.
Über der Veranstaltung lag irgendwie so ein Hauch von Tausendundeiner Nacht.
Wenn man alles das, was Sie gesagt haben, für bare Münze nähme, dann wären die Verhältnisse in unserem Land in Ordnung. Leider ist das nicht so.
Die Rede heute hat gezeigt - den Eindruck habe ich -, dass man Reformen eigentlich satt hat und vom Reformbedarf ein Stück Abstand nehmen will, um wieder in ein ruhigeres Fahrwasser zu kommen. Herr Bundeskanzler, Sie haben vor der letzten Bundestagswahl eine Zeit lang - wir haben es erlebt - die Politik der ruhigen Hand praktiziert. Ich muss sagen: Ihre Hand ist ruhig geblieben, nur Deutschland hat dabei das Zittern gelernt. Das ist die eigentliche Schwierigkeit.
Es geht nicht um die Befindlichkeit Einzelner, sondern es geht insgesamt darum, wie wir unser Land, das in einem sehr schwierigen Zustand ist, wieder nach vorne bringen.
Ich glaube auch nicht, dass Sie, Herr Müntefering, jetzt alle Reformen stoppen und verwässern sollten, um Ihre Partei zufrieden zu stellen. Vielmehr muss meiner Meinung nach noch mehr getan werden, als im Zuge der Agenda 2010 getan worden ist.
Es wäre eine Selbsttäuschung, zu glauben, wenn sich Deutschland nicht mehr bewegte, würde sich auch um uns herum nichts mehr bewegen. Die anderen bewegen sich weiter. Wenn ich mir die SPD anschaue, habe ich den Eindruck - ich weiß, dass es sehr viel Mühe bereitet hat -, dass die gesamte Bewegung auf dem Laufband stattgefunden hat. Wenn man das schneller stellt, kommt man zwar furchtbar ins Schwitzen, was der eigenen Gesundheit dienen mag, aber trotzdem wird man feststellen, dass man im Ergebnis überhaupt keinen Schritt nach vorne gekommen ist. Aber in unserem Land brauchen wir ganz dringend ein Vorankommen.
- Ich weiß, Herr Tauss, dass Ihre Zwischenrufe aufgrund Ihrer Stimme immer durchdringen.
Aber der Inhalt ist meistens sehr schlecht.
Schließlich lassen Sie mich hierzu noch sagen: Es gibt Bewegung in diesem Land, nämlich die Bewegung von Arbeitsplätzen: Wir haben 300 000 Arbeitsplätze weniger. Nun weiß ich, dass nicht alle Arbeitsplätze abgewandert sind, sondern ein Teil auch entfallen ist. Frau Kollegin Merkel und ich hatten unlängst ein Gespräch mit Vertretern der großen Energieerzeuger. Diese sagten, bevor sie auslaufende Kraftwerksleistungen ersetzten, müsse man natürlich analysieren, was in diesem Land künftig noch produziert und wie viel Energie dafür gebraucht wird. Wenn Arbeitsplätze wegfallen, entfällt natürlich auch immer mehr Energiebedarf. So kann ich den Bedarf überall herunterbrechen. Ich glaube aber, damit kann ein Land auf Dauer nicht leben und zurechtkommen. Deshalb meine ich, dass die Bewegung, das Vertreiben von Arbeitsplätzen gestoppt werden muss.
Vor allen Dingen muss man in der Bundesregierung damit aufhören, sich selbst gegenseitig zu blockieren. Ich hoffe, Sie lösen den Konflikt zwischen Clement und Trittin in dem Sinne auf, dass Arbeitsplätze in Deutschland bleiben,
und nicht in dem Sinne, dass das Parteiprogramm einer Partei verwirklicht wird. Ihre Rede, Frau Göring-Eckardt, war mit Verlaub, gnädige Frau, keine Rede, die jemanden ermutigt hätte, in Deutschland zu investieren. Das war eigentlich eine Zusammenfassung der Vorurteile und Bedenken, die es gibt. Vielleicht war diese Rede auch nach innen gerichtet und ist mit Blick auf einen Parteitag der Grünen gehalten worden.
Wenn wir alle nur für unsere eigene Klientel und unsere eigenen Anhänger sprechen und dabei die deutschen Interessen aus dem Auge verlieren, kommen wir in unserem Land nicht vorwärts.
Das Jahr seit Verkünden der Agenda 2010 war auch von SPD- und koalitionsinternen Flügelkämpfen geprägt, die bis heute anhalten. Da werden Sie, Herr Müntefering, ein Stück Arbeit zu leisten haben. Ich sehe auch mit einer gewissen Sorge, dass sich innerhalb der SPD Abspaltungstendenzen breit machen. Da gibt es einen Menschen, der Ernst heißt und aus Schweinfurt kommt; er ist dort der IG-Metall-Häuptling.
Ich beobachte seine Umtriebe und würde den Mann an Ihrer Stelle ganz schön ernst nehmen, wie sein Name schon sagt. Die Genossen von den Gewerkschaften meinen es zum Teil ernst und sagen das nicht einfach so dahin. Die haben nicht kapiert, dass wir uns ändern müssen, um so zu bleiben, wie wir sind, und stellen natürlich innerhalb der SPD eine starke Kraft dar. Ich kann nur hoffen, dass Sie sich nicht beirren lassen. Die große Sozialdemokratische Partei hat ja eine Tradition, gemäß der sie für Arbeit in Deutschland und nicht nur für Machterhalt eintritt. Wenn es nicht anders geht, dann konzentrieren Sie sich auf Ihre Kernkompetenzen. Nach der verlorenen Wahl, die mit Blick auf Deutschland, wie ich hoffe, bald kommt, können Sie dann ja aus der Kernkompetenz heraus, falls wir nach vielen Jahrzehnten mal versagen sollten, wieder neu nach der Macht greifen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme noch einmal auf den Bundeskanzler zurück. Herr Bundeskanzler, Sie haben am 14. März 2003 erklärt - ich zitiere -:
Unser Land muss wieder zu einem Zentrum der Zuversicht in Europa werden …
So weit Ihre Aussage. Unter Ihrer Führung, Herr Bundeskanzler, ist unser Land zu einer Nation der Verzagtheit und Mutlosigkeit geworden. Das bereitet Sorge. Ich glaube, in Deutschland ist nur die Stimmung schlechter als die Lage. Natürlich ist eine schlechte Stimmung typisch deutsch. Aber wenn man eine Regierung hat, die nicht mit Wahrheit und Klarheit operiert, die den Menschen Sand in die Augen streut, dann muss man sich nicht wundern, wenn sich Investoren und Konsumenten zurückhalten.
Der SPD-Parteitag
war gut. Das war einer Ihrer langen Sätze, Herr Kollege Müntefering.
- Sie kopieren ihn schon.
Auch der SPD-Parteitag hat natürlich nichts nach vorne gebracht. Er hat im Grunde neuen Richtungsstreit vorprogrammiert; denn es wird einen Richtungsstreit geben zwischen den Traditionalisten, die glauben, man könne die heile Welt, die heile Gewerkschaftswelt in einen abgeschotteten Bereich zurückbringen, und denen, die einsehen, dass wir uns ändern müssen, damit die deutsche Volkswirtschaft wieder stark wird.
Ich nenne Ihnen einmal die Verunsicherungen, die auf uns lasten:
Die Verunsicherung Nummer eins resultiert aus der bewussten Realitätsverweigerung vor der Bundestagswahl 2002, als es hieß: Alles in Ordnung. Man muss den Menschen vorher sagen, was auf sie zukommt und was sich tut.
Die Verunsicherung Nummer zwei resultiert aus der vorsätzlichen Täuschung der Menschen über den wahren Reformbedarf unseres Landes. Es hieß nämlich damals: Weiter so, Deutschland!
Die Verunsicherung Nummer drei geht zurück auf die Konzeptionslosigkeit, die Flickschusterei und das permanente Nachbessern und Verändern der Reformansätze, wie wir es im letzten Jahr erlebt haben.
Ich bin der Meinung, dass die Bilanz der Agenda 2010 ein Jahr nach ihrer Ankündigung leider nicht gut ist. Verbraucher und Investoren halten sich zurück, der erhoffte psychologische Schub, den wir brauchen, ist leider ausgeblieben. Ich befürchte, dass es auch in diesem Jahr zu keinem grundlegenden Wandel kommen wird, weil die Wirtschaftslage sehr viel schlechter ist, als es regierungsamtlich dargestellt wird. Wenn Sie sich mit Unternehmen bzw. deren Repräsentanten - ganz egal, ob großen Unternehmen, Handwerksbetrieben oder dem Mittelstand - unterhalten, stoßen Sie immer auf die gleiche schlechte Stimmung und die gleiche Zukunftsangst. Ich befürchte, dass die Verlagerung von Arbeitsplätzen unseres Landes gerade durch die EU-Osterweiterung rascher vorangehen wird, als es vorher der Fall gewesen ist.
Die offizielle Arbeitslosenstatistik ist geschönt. Wir wissen, dass wir in Wirklichkeit 5 Millionen Arbeitslose haben. Die Zahl von 4,3 Millionen, die jetzt genannt wird, ist nur statistischen Tricks zu verdanken. Wir wissen, dass wir im letzten Jahr mit 40 000 Unternehmensinsolvenzen - nicht nur beim Mittelstand, sondern auch bei großen Firmen, bis hin zu Holzmann - einen neuen Pleiterekord erreicht haben. Es ist vorhin schon gesagt worden: Wer pleite ist, kann nicht mehr ausbilden. Die Zahl der Ausbildungsplätze steigt nicht, wenn eine neue Bürokratie aufgebaut wird. Im Gegenteil, viele Firmen werden glauben, sich von der Ausbildung freikaufen zu können. Dadurch ist die Wirkung für die jungen Leute noch verheerender als ohnedies.
Herr Bundeskanzler, Sie dürfen gerne gehen; ich habe Verständnis für Ihre Zeitprobleme.
- Dafür bedanke ich mich sehr. - Ich habe Ihnen allerdings eineinviertel Stunden in der Hoffnung zugehört, dass ich viel Neues dabei lerne, weil ich noch immer neugierig bin.
Aber lassen Sie mich bitte zum Inhalt meiner Rede zurückkommen. Ich meine, dass die Prognose von 2 Prozent Wirtschaftswachstum, die Sie abgegeben haben, Herr Bundeskanzler, leider unrealistisch ist. Die Forschungsinstitute rücken schon davon ab. Der Höhenflug der Börse vom Jahresanfang ist schon gestoppt. Die Neuemissionen werden zurückgezogen; auch heute gab es wieder eine entsprechende Nachricht. All das ist nicht gut für die Stimmung im Land. Die Beschimpfung von Unternehmern führt überhaupt nicht weiter. Die Diskussion über die „vaterlandslosen Gesellen“ fand ich lächerlich. Wenn dem so wäre, Herr Bundeskanzler, dann wären Sie der Reiseleiter der vaterlandslosen Gesellen;
denn Sie hatten in China 100 Unternehmer dabei, um sie auf die dortigen Investitionsmöglichkeiten hinzuweisen. Sie würden es sich nie antun, vaterlandslose Gesellen zu führen. Sie haben es sich schon angetan, die SPD zu führen.
Ich weiß, dass man sehr rasch missverstanden werden kann.
Ob Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze oder Haushaltskonsolidierung: Bei allen entscheidenden makroökonomischen Daten befindet sich Deutschland leider auf einem Abstiegsplatz in Europa. Ich glaube, wir sollten uns die Lage nicht künstlich schönreden. Das führt nämlich zu überhaupt nichts.
Seit Wochen schon werden der Eurokurs und die Zinsen zu einem möglichen Aufschwunghindernis erklärt. Diese Faktoren spielen natürlich eine Rolle. Ich will die Wirkung des gestiegenen Eurokurses überhaupt nicht bagatellisieren. Aber die Ausrede, soundso viel Prozent unserer Exporte gingen in die USA, kann ich nicht gelten lassen; denn die Importe in unser Land sind sehr viel billiger geworden.
Wissen Sie, wer inzwischen vaterlandslos geworden ist? - Das sind die deutschen Verbraucher. Sie glauben Sprüchen wie „Geiz ist geil“ und kaufen die Konsumgüter im Allgemeinen bei großen Handelsketten, deren Produkte zum großen Teil aus China kommen. Das zeigt auch, wie schwierig es ist, bei solchen Sachverhalten zwischen Wirkung, Wechselwirkung und Gegenwirkung zu unterscheiden.
Betrachten wir einmal den Euro: Für einen Euro hat man anfänglich 1,19 Dollar bekommen. Jetzt liegt der Kurs zwischen 1,23 und 1,25 Dollar. Das kann es also auch nicht gewesen sein, was so viel verändert hat. Ich meine daher, dass unsere Probleme nicht allein durch externe Faktoren, sondern vor allen Dingen - darauf will ich eigentlich hinaus - durch die Verwerfungen im Innern bedingt sind.
Auch die schonungslose Bestandsaufnahme, was in unserem Land tatsächlich los ist, und eine Analyse der gegenwärtigen Situation haben gefehlt. Vielleicht war es deswegen für Sie so schwierig, Herr Bundeskanzler, die Agenda 2010 in Ihren eigenen Reihen durchzusetzen. Ich meine, dass Deutschland gewaltig über seine Verhältnisse lebt. Die Produktivitätszuwächse unserer Volkswirtschaft reichen nicht mehr aus, um den unvermeidbaren Strukturwandel zu bewältigen, neue Arbeitsplätze zu schaffen und sich im globalen Wettbewerb zu behaupten. Dass Deutschland in diesem Bereich Boden verloren hat, das werden selbst Sie, Herr Kollege Stiegler, anschließend in Ihrer Rede nicht bestreiten können.
Ein Staat lebt über seine Verhältnisse, wenn er seine konsumptiven Ausgaben - darunter verstehe ich vor allen Dingen Sozialleistungen und Personalkosten - nicht mehr durch Steuereinnahmen, sondern durch Kreditaufnahme und Vermögensveräußerungen finanziert. Die Flucht in immer höhere Steuern und Abgaben ist dem Staat allerdings verwehrt, wie das unaufhaltsame Wachsen der Schattenwirtschaft, die gestiegene Neigung zur Steuerumgehung, die Kapitalflucht und vor allen Dingen die verstärkte Verlagerung von Betrieben ins Ausland letztendlich zeigen.
Deswegen hat es auch der Finanzminister so schwer, dem ich gestern Abend versprochen habe - im Moment ist er leider nicht anwesend -, etwas Nettes über ihn zu sagen.
Er schwitzt ebenfalls im Hamsterrad und kommt aus den genannten Gründen keinen Meter vorwärts.
Es besteht kein Zweifel: Wenn ein Staat über seine Verhältnisse lebt, dann muss die junge Generation die Zeche zahlen. Das spüren die Jungen im Land. Das Problem, dass vielleicht die eine oder andere Fachkraft nicht zuwandern kann, wird überbewertet. Ein großes Problem ist allerdings, dass leistungsfähige junge Leute diesem Land den Rücken kehren. Ihre Zahl beträgt 150 000 im Jahr; darunter befinden sich die Bestqualifizierten. Das gibt für die Zukunft Anlass zu Sorgen, Herr Bundeskanzler. Darüber müssen wir sehr ernsthaft diskutieren.
Noch ein Wort zu den Steuern und Abgaben. Ich habe unlängst - ich kann es belegen - eine Beschwerde einer jungen Frau bekommen, die - wie ihr Mann - berufstätig ist. Weil sie die Beste in ihrer Abteilung war, hat sie eine Prämie von 8 000 Euro erhalten. Davon wurden ihr lediglich 2 400 Euro überwiesen. Fachkräfte, die aufgrund ihrer Qualifikation die Möglichkeit haben, beispielsweise in die USA oder nach Großbritannien zu gehen, ziehen weg, weil sie kein Verständnis dafür haben, wie es in diesem Land zugeht.
Sie haben vorhin die Bundesbank gelobt, aus deren Bericht für den Monat März ich zitieren will:
Im vergangenen Jahr erreichten die staatlichen Defizite und Schulden in Deutschland neue Höchststände. ... Der überwiegende Teil der Probleme ist struktureller Natur und kann deshalb nur durch einen entschlossenen Konsolidierungskurs und tief greifende Reformen überwunden werden.
Deswegen sollten Sie, Herr Bundeskanzler, mit den Reformen weitermachen.
Noch ein paar harte Fakten: Im Jahr 2003 betrug das Defizit im öffentlichen Gesamthaushalt rund 85 Milliarden Euro. Das sind circa 170 Milliarden DM. Neue Hiobsbotschaften zuhauf: zuletzt, dass der Bundesbankgewinn, der mit 3,5 Milliarden Euro prognostiziert war, wegbricht. Das sind alles geringe Größen; keiner regt sich mehr darüber auf. Der gesamtstaatliche Schuldenstand beträgt 1,37 Billionen Euro und wächst ständig weiter. Wie sollen da die jungen Leute Hoffnung bekommen?
Mit einer Defizitquote von 3,9 Prozent hat Deutschland den Referenzwert des europäischen Stabilitätspaktes beträchtlich verletzt. Wir werden diesen nicht so schnell wieder erreichen. Seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland war diese Defizitquote nur in den Jahren 1975 und 1981 höher. In beiden Jahren stellte die SPD den Bundeskanzler, wie Sie vielleicht noch wissen.
Das nur zu der Geschichte - sie wird immer wieder erzählt -, dass all diese Schulden während der Kohl-Zeit durch die deutsche Wiedervereinigung entstanden seien. Die Fehler sind zum großen Teil von Sozialdemokraten hausgemacht.
- Vielen Dank, Herr Tauss, dass Sie „Ja“ sagen.
Auch die im Haushaltsrecht verankerte Obergrenze der Neuverschuldung nach Art. 115 Grundgesetz wurde deutlich überschritten. Die Schulden des Bundes erreichten Ende 2003 eine Höhe von 760 Milliarden Euro. Das heißt, mehr als jeder sechste Euro des Bundeshaushalts wird inzwischen für Zinsen ausgegeben. Damit kann die junge Generation nicht leben.
Deswegen ist Konsolidierungspolitik soziale Politik. Das sollten wir den Menschen klar machen.
Alles andere ist falsch und belastet die Zukunft.
In den öffentlichen Sozialversicherungssystemen sieht es ähnlich aus. Nach mehrfacher Senkung der Schwankungsreserve in der Rentenversicherung - Sie wissen das - ist das Minimum inzwischen unterschritten worden. Statt wie erhofft die Krankenversicherungsbeiträge zu senken, gibt es jetzt die Diskussion, welche Krankenkassen überschuldet sind. Ich hoffe, es gibt ein paar, die die Beiträge senken können.
Herr Bundeskanzler, eines wollte ich hier klarstellen: Ich habe mich vor einem Jahr anlässlich der Diskussion über die Gesundheitsreform dafür bedankt, dass Sie sich quasi bei Horst Seehofer entschuldigt haben - ich fand das sehr wichtig -, der im vorletzten Bundestagswahlkampf eine schwere Zeit durchgemacht hat, weil er im Rahmen der Krankenversicherung das Instrument der Selbstbeteiligung eingeführt hat. Wir spüren jetzt: Dies ist wohl die einzige Möglichkeit, die die Menschen zu sparsamerem Handeln veranlasst.
Nur darf man dann nicht sagen - das waren nicht Sie, sondern Herr Müntefering, glaube ich, und andere Redner der Koalition -:
An all dem, was die Leute ärgert, ist Seehofer schuld, und für das, was gut läuft, ist ursächlich Frau Schmidt verantwortlich. Richtig ist: Gemeinsam ist man zu einer Lösung gekommen. Wir haben damit ebenso wie später im Vermittlungsausschuss gezeigt, dass wir wollen, dass konsolidiert wird und dieses Land in Ordnung kommt, und dass wir keine Blockierer sind. Wir bohren natürlich keine Löcher in die Bordwand eines Schiffes, auf dem wir selber sitzen. Nur, wenn manches in der administrativen Umsetzung falsch läuft, dann können wir uns dafür nicht in Anspruch nehmen lassen.
Aber grundsätzlich stehen wir zu Ihrem Konsolidierungskurs. Bei all dem, was für die Konsolidierung und die Zukunft wichtig ist, können Sie sich auf uns stärker verlassen als auf die Sozialdemokraten. Wir wissen, was wir unserem Vaterland schuldig sind.
Anlass zur Besorgnis bietet auch die geringe Investitionsquote der öffentlichen Haushalte. Wohin das führt, merken die Leute, die immer häufiger über Schlaglöcher und auf Autobahnen fahren müssen, auf denen es mehr Staus als rasch fließenden Verkehr gibt. Der Verfall der Infrastruktur, der mit dem Sparen am falschen Platz einhergeht, wird uns, aber vor allen Dingen die künftige Generation belasten.
Ich meine, die Sozialleistungsquote ist viel zu hoch. Auf diesem Gebiet muss konsolidiert werden. Wir können uns diese hohe Quote auf Dauer nicht leisten. Dass es schwierig ist, dies bei den Betroffenen umzusetzen, wissen wir selber und alle diejenigen, die konsolidieren müssen.
Wir müssen vor allen Dingen das riesige Defizit auf dem Arbeitsmarkt und im Bereich der Zukunftsinvestitionen beseitigen, das besteht, weil bei uns zu viel in den öffentlichen Konsum fließt und zu wenig für produktive, zum Wachstum unseres Kapitalstocks beitragende Ausgaben zur Verfügung steht.
Ich sage es Ihnen noch einmal, Herr Bundeskanzler: Wer so wirtschaftet, versündigt sich an der jungen Generation.
Das dürfen wir uns nicht vorwerfen lassen. Wir sind praktisch an den Grenzen des Wohlfahrtsstaates angelangt. Dieser Wohlfahrtsstaat produziert aufgrund der zuvor beschriebenen Umstände nicht mehr Wohlstand, sondern er produziert immer mehr Ungerechtigkeit und macht den künftigen Generationen das Leben schwer.
Deswegen tragen wir die Begrenzung der Sozialausgaben mit. Deswegen verspreche ich Ihnen noch einmal unsere Unterstützung bei allen vernünftigen Reformen. Ob Rot-Grün den Mut dazu hat, all die Vorhaben durchzuführen, die mannigfaltig auf dem Tisch liegen und zu denen Ihnen viele Experten raten, wird sich zeigen. Wenn Rot-Grün nicht den Mut hat, das zu tun, was getan werden muss, hoffe ich, dass man dann zumindest den Mut hat, den Weg frei zu machen, damit andere versuchen können, es im Interesse unseres Landes besser zu machen.
Das wäre auch für uns - wenn Neuwahlen wären und wir gewonnen hätten - kein leichter Weg.
Wir wissen, dass er ungeheuer schwer und mühevoll zu gehen ist und dass es schlimm ist, wenn man den Menschen gewohnte Leistungen entziehen muss. Das wissen auch wir in Bayern, wo das derzeit eine Rolle spielt, weil wir einen ausgeglichenen Haushalt haben wollen. Die Menschen dabei mitzunehmen ist nicht leicht. Ich finde aber, dass das getan werden muss.
Herr Müntefering, Sie sind quasi eine Art Reservekanzler. Machen Sie dem Kanzler das Leben nicht allzu schwer! Wenn Sie unterstützen, dann unterstützen Sie eine vernünftige, zukunftsgerichtete Politik.
Tun Sie vor allen Dingen das, was der Bundeskanzler zwar versprochen, aber leider nicht getan hat! Er hat gesagt: Erst das Land und dann die Partei. Demnach hätte er auf die Kanzlerschaft verzichten und den Parteivorsitz behalten müssen.
Danke schön.
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort dem Kollegen Ludwig Stiegler, SPD-Fraktion.
Ludwig Stiegler (SPD):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Michael Glos ist heute offenbar in der Verfassung,
wie er uns die Wirtschaft beschreibt: lustlos und depressiv.
Ich bitte Ulla Schmidt um ein Rezept für Johanniskraut - das ist jetzt immer noch verordbar -, um seine Stimmung aufzuhellen.
Auf Michael Glos trifft zu - Wie hat Luther gesagt? -: „Aus einem traurigen A... kommt kein fröhlicher F...“
Er hat Depressionen,
weil in Passau mehr Polizisten vor der Halle demonstriert haben, als drinnen Gäste waren. Das schlägt auf seine Stimmung.
Michael Glos leidet an noch einer Krankheit, an der „Dementia politica“.
Das ist nahe der retrograden Amnesie. Er stellt sich hierher, macht uns Vorschläge, erinnert sich aber scheinbar nicht an die Zeit, als seine Partei zusammen mit Theo Waigel und anderen dieses Land regiert hat. Wie kann man hier anderen Ratschläge erteilen, wenn man selbst in seiner Regierungszeit die Dinge, die man jetzt von anderen fordert, nicht erreicht hat?
Nur ein paar makroökonomische Daten: Wenn Sie damals die Preisstabilität erreicht hätten, die wir heute haben, hätten Sie Feste gefeiert. Dann wäre der Tanz ums Goldene Kalb ein kleiner Event gewesen.
Heute wird darüber nicht geredet.
Sie jammern über Schulden. Ich empfehle dazu den März-Bericht der Bundesbank. Darin ist eine wunderbare Kurve über die Verschuldungsentwicklung abgebildet.
Als Sie die Regierung übernahmen, standen die Schulden bei 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Als Sie sie an uns übergaben, waren es über 60 Prozent. Das ist Verschuldungspolitik. Die haben Sie gemacht. Sie haben kein Recht, mit dem Finger auf andere zu zeigen.
Das Gleiche gilt für die Beschäftigung. Wer sich die Statistik anschaut, sieht: Die Rekordhalter in der Arbeitslosigkeit waren Sie im Februar 1997, obwohl Sie Hunderttausende ABM gemacht haben, um die Statistik zu verschönern. Sie haben weiß Gott kein Recht, mit dem Finger auf die heutige Regierung zu zeigen. Bei uns sinkt die Arbeitslosigkeit. Sie sollten das nicht kritisieren. Sie sollten sich mit uns darüber freuen, dass das gelingt.
Das Gleiche gilt für die Beiträge. Die höchste Beitragsbelastung hatten wir in Ihrer Zeit. Der Rentenbeitrag lag über 20 Prozent. Alle Trends zeigten nach oben. Wir haben die Rückentwicklung bei den Beiträgen eingeleitet.
Über die Steuern hat Franz Müntefering schon das Notwendige gesagt. Bei Ihnen gab es die höchste Steuer- und Abgabenlast. Das haben wir für Arbeitnehmer, aber auch für Unternehmer - auch für das Handwerk, Ernst Hinsken - deutlich geändert. Ihr würdet euch rühmen und preisen lassen, wenn ihr das nur in Ansätzen erreicht hättet.
Bei Forschung und Entwicklung ging es zu Ihrer Zeit nach unten, zu unserer Zeit nach oben.
Was die Lebensverhältnisse anbetrifft: Während Ihrer letzten Legislaturperiode sind die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer Jahr für Jahr gesunken. Zu unserer Zeit sind sie Jahr für Jahr gestiegen - nicht wegen großartiger Tarifverträge, sondern wegen der Steuer- und Beitragspolitik.
Sie sind schlechte Ratgeber. Als Sie handeln konnten, haben Sie nichts zustande gebracht. Deshalb brauchen wir Ihre guten Ratschläge heute nicht.
Sie sollten nicht die Sonthofen-Strategie weiterführen, sondern fragen: Wie kommen wir weiter?
Ich bin dem Bundeskanzler dafür dankbar, dass er darauf hingewiesen hat, dass es nicht nur Arbeitnehmertugenden, sondern auch Arbeitgebertugenden gibt. Es gibt auch die Verantwortung der Wirtschaft. Man darf daran erinnern, wer die Probleme der letzten Jahre mitzuverantworten hat.
Wer hat denn die Börsenblase verursacht, die mit 700 Milliarden Euro geplatzt ist? Das waren doch die famosen Investmentbanker, die den Hals nicht voll kriegen konnten und die damit eine ganze Volkswirtschaft in Mitleidenschaft gezogen haben.
Dann wollten sie sich mit hohen Abfindungen verdrücken. Sie waren doch immer stolz, den Shareholder-Value gefördert zu haben. Schau dir an, was aus der stolzen Deutschen Bank, was aus der Hypo-Vereinsbank geworden ist - dank dem Management dieser großartigen Leute. Sie haben allen Anlass, Buße zu tun und zu schauen, dass die Veranstaltung wieder in Ordnung kommt.
Meine Damen und Herren, wir wollen dafür sorgen, dass diejenigen, die etwas unternehmen wollen, wieder auf die Beine kommen.
Sie beklagen die Konkurse. Creditreform sagt uns: 75 Prozent der Konkurse haben Fehler im Management zur Ursache - mangelndes Controlling, keine anständige Buchhaltung, keine Unternehmensplanung, keine strategische Ausrichtung. Wir verlangen Qualitätsverbesserungen nicht nur bei den Arbeitnehmern. Auch die Unternehmer und Mittelständler haben an sich zu arbeiten. Da gab es viele Schönwetterkapitäne, die ihre Schiffe in stürmischem Wasser auf Grund gesetzt haben. Das alles kann man nicht, wie Sie es versuchen, der Politik anlasten. Reden Sie mit Ihren Freunden in der Wirtschaft! Suchen Sie die Auseinandersetzung!
Lassen Sie uns den Mittelstand auffordern, jetzt nicht etwa vor dem Rating davonzulaufen, sondern die Ratinganforderungen dazu zu nutzen, die Unternehmen zu optimieren! Da ist unglaublich viel nicht in Ordnung. Das müssen wir miteinander wieder auf Vordermann bringen.
Schauen Sie sich die Eigenkapitalausstattung der Unternehmen an. Viele haben zwar in den letzten Jahren keinen Gewinn gemacht. Aber in früheren Jahren ist auch zu viel entnommen worden - dank der schlechten Beratung durch die Steuerberater: Schütt aus, hol zurück! Eine Eigenkapitalausstattung des Mittelstands von im Durchschnitt 5,8 Prozent kann nicht in Ordnung sein. Diese Probleme verhindern jetzt den Aufschwung. Diese Probleme lösen wir. Daran haben Sie überhaupt nicht gerührt.
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Stiegler, lassen Sie eine Zusatzfrage des Kollegen Hinsken zu?
Ludwig Stiegler (SPD):
Eine Frage von Herrn Hinsken immer.
Ernst Hinsken (CDU/CSU):
Herr Kollege Stiegler, Sie haben eben darauf verwiesen, dass zu 75 Prozent Managerfehler die Ursache von Insolvenzen sind.
Ludwig Stiegler (SPD):
Ja, laut einer Feststellung von Creditreform.
Ernst Hinsken (CDU/CSU):
Ich frage Sie: Warum hat die Zahl der Insolvenzen in der Bundesrepublik Deutschland vor zwei Jahren bei unter 30 000 pro Jahr gelegen und warum hat sie im letzten Jahr und in diesem Jahr bei über 40 000 gelegen? Haben hier nur Managerfehler eine Rolle gespielt oder sind nicht in erster Linie die katastrophale wirtschaftliche Lage und die verfehlte Wirtschaftspolitik der Bundesregierung schuld, dass diese Unternehmen in den Konkurs getrieben wurden?
Ludwig Stiegler (SPD):
Das sind Ihre berühmten Ablenkungsmanöver, nach dem Motto: Ist es gut gegangen, waren es die Manager; Sie dürfen sich dann bedienen. Ist es nicht gut gegangen, ist der Staat schuld.
Aber erst in schwierigen Zeiten zeigt sich, ob jemand ein Unternehmer oder nur ein Schönwetterkapitän ist bzw. ob jemand etwas kann oder eine Pflaume ist.
Hier ist eine Prüfung erforderlich. Sie wissen genauso gut wie ich, wie viele Betriebe keine ordentliche Buchhaltung und Unternehmensplanung vorweisen können und in den letzten Jahren Fehler beim Investitionsverhalten gemacht haben. Ich wehre mich dagegen, dass Sie diese Situation schamlos ausnutzen wollen, um der Politik das Versagen anderer in die Schuhe zu schieben, statt mitzuarbeiten und Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sich sowohl Existenzgründer als auch bereits bestehende mittelständische Unternehmen am Markt behaupten können, wenn sie ihre Fehler aufgearbeitet haben und daher in Zukunft mehr leisten können, als sie bisher bewiesen haben.
Meine Damen und Herren, zusammen mit der KfW unternehmen wir große Anstrengungen, um den Unternehmen die Möglichkeit zu geben, Fehler der Vergangenheit auszubügeln. Ich erinnere an die KfW-Programme „Unternehmerkredit“, „Unternehmerkapital“, die Nachrangdarlehen, all die mezzaninen Finanzierungsinstrumente und die True-Sale-Initiative, durch die die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass der Wirtschaft Mittel zufließen, wodurch diejenigen, die etwas unternehmen wollen, vorankommen. Auch die Banken sollten wir gemeinsam ermuntern, die neuen Angebote der KfW anzunehmen und den Mittelständlern bei der Finanzierung von Investitionen und neuen Projekten zu helfen. Das wäre eine Investition in den Aufschwung. Wenn Sie aber Trübsal blasen und schwarz malen, tun Sie nichts für den Aufschwung.
Wenn wir also gemeinsam unsere Banken und Sparkassen - die Genossenschaftsbanken und Sparkassen sind in diesem Bereich noch am besten - und auch die Großbanken dazu bringen, den Mittelstand wieder zu entdecken, dann kommen wir vorwärts; denn derzeit gibt es mehr Ideen, als in Produkte und Arbeitsplätze umgesetzt werden. Das ist die andere Seite der Medaille. Auf der einen Seite geht es also um die Kalkulierbarkeit der sozialen Systeme und der Steuern, auf der anderen Seite aber auch um das Freimachen von Mitteln für neue Investitionen.
Meine Damen und Herren, das sollten wir miteinander angehen. Hier darf man nicht, wie Herr Braun, sagen: Leute, wandert aus! Man muss vielmehr sagen: Bleibt da! Teilweise seid ihr durch eure Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer reich geworden. Jetzt habt ihr für sie auch eine Verpflichtung. Werdet ihr gefälligst gerecht!
Hier zu Ende zu produzieren und sich dann zu verdrücken, das ist die Mentalität, die auf den Kapitalmärkten herrscht. Dagegen spüren viele Mittelständler eine regionale Verantwortung. Wir sollten ihnen durch unsere Programme - ob im Bund, in den Ländern oder in den Gemeinden - helfen, voranzukommen. Der Unterschied zwischen Ihnen und uns - hier handelt es sich um einen richtigen Paradigmenwechsel - ist folgender: Sie wollen, fehlgeleitet von Professor Sinn, aus Deutschland eine Niedriglohngesellschaft machen.
Wir wollen, angeleitet von Bundeskanzler Gerhard Schröder und von Franz Müntefering, zu Innovationen beitragen und Deutschland zu einem Hochlohnland entwickeln, das sich weltweit mit seinen Produkten behaupten kann.
Wir können im Wettbewerb mit China oder anderen nicht mit einfachen Produkten bestehen, sondern wir müssen all das herstellen, was andere nicht, noch nicht, nicht so gut, nicht mit der gleichen Zuverlässigkeit oder der Termintreue liefern können; das ist der richtige Weg. - Aber Ihr Weg ist der folgende: Manager werden nach amerikanischem Vorbild bezahlt, die Arbeitnehmer hingegen bekommen tschechische oder chinesische Löhne. Das kann nicht angehen und da werden Sie bei uns auf Granit beißen.
Was die einfacheren Arbeitsplätze betrifft, haben wir, Frau Merkel, im Vermittlungsausschuss gemeinsam ein Programm beschlossen. Ich hatte heute manchmal den Eindruck, Sie wüssten gar nicht mehr, was wir in der Nacht alles miteinander
beschlossen haben. Sonst könnten Sie hier nicht so reden. Was wir beschlossen haben, entspricht zwar nicht der Koch-Linie - Sie wollten ja ganz herunter mit den Löhnen -, aber wir haben damit den einfacheren Arbeitsplätzen im unteren Tarifsegment eine Chance in Deutschland eröffnet; das werden auch Sie nicht bestreiten können.
Eine Kombination von Markteinkommen und Transfereinkommen wird es auch in Zukunft geben. Was wir aber nicht mitmachen werden, ist Ihre „neue soziale Marktwirtschaft“. Was Sie vorhaben, ist offensichtlich eine reaktionäre, alte Wirtschaftsordnung: eine Wirtschaft ohne Tarifverträge, auf die man sich stützen kann, eine Wirtschaft ohne Betriebsverfassung, eine Wirtschaft mit flächendeckenden Lohnkürzungen. Das kann nicht unser Ziel sein! Damit werden wir das Land nicht voranbringen, sondern damit würden wir uns eher rückwärts bewegen.
Ich denke, wir sollten uns miteinander der Chancen besinnen. Noch haben wir einen hohen Exportüberschuss und die Wirtschaft ist auf allen Märkten vertreten. Wir arbeiten mit anderen Ländern zusammen. Noch haben wir in vielen Bereichen Technologievorsprünge. Aber nur wenn wir jetzt diese Konzentration auf Forschung, auf Entwicklung, auf Technologietransfer miteinander schaffen, werden wir auch in Zukunft dieser kleiner werdenden jüngeren Generation die notwendigen Mittel geben können, damit sie die älter werdende Gesellschaft ertragen und tragen kann, ohne dass sie daran verzweifeln muss oder wir Älteren daran verzweifeln müssen.
Das ist die entscheidende Frage, vor der wir hier stehen und die wir miteinander lösen müssen.
Sie glauben immer, wenn Sie Trübsal blasen, würden Ihnen die Wählerinnen und Wähler zufliegen. - Das mag vorübergehend gelingen. Der Stoiber hat sich preisen lassen als der, der die Insel der Seligen regiert, auf der es keine Probleme gibt. Die Bayern wissen inzwischen, dass es anders ist: Er hat nach der Landtagswahl etwas ganz anderes gemacht, als er vorher den Leuten versprochen hat.
Mit diesem Manöver - tarnen und täuschen - werden Sie nicht länger durchkommen. Sie müssen sich der Wahrheit stellen.
Wir müssen vor allem die wirtschaftlichen Chancen nutzen, die sich uns bieten. Dieses Land hat ideale Chancen. Mein Gott, welches Land der Erde sollte nicht in Verzweiflung geraten, wenn schon Deutschland keine Chance hätte, mit den Problemen fertig zu werden? Hören Sie deshalb endlich auf, schwarz in schwarz zu malen! - Sie sind schon schwarz genug.
Nehmen Sie zur Kenntnis: Schwarz ist die Farbe des Winters, rot-grün ist die Farbe des Frühlings und des Sommers.
Lassen Sie uns die Winterstarre und die Depression überwinden und neue Aktivität entfalten. Raus aus dem Gebüsch! An die Arbeit!
Michael Glos, nimm dein Johanniskraut, dann geht es dir auch wieder besser! Glückauf!
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Dr. Wolfgang Gerhardt.
Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle sind von Optimismus beseelt und ich als Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion ohnehin. In den Wirren der Zeit ist man als Liberaler zu Optimismus geradezu verpflichtet. Das muss mir deswegen niemand einreden, Herr Kollege Stiegler.
Optimismus trägt nur, wenn man die Strukturschwächen klar diagnostiziert, die Kennziffern benennt und sich über die wahre Lage nicht täuscht.
Der Bundeskanzler hat vorgetragen - ich fasse das angesichts der Kürze der Zeit sehr zusammen -, wir seien Exportweltmeister. Das ist richtig und falsch zugleich. Wir sind nicht mehr Exportweltmeister in dem Sinne, dass wir wie früher Produkte exportieren, die in Deutschland hergestellt werden. Wir sind Exportweltmeister, weil uns in der Wertschöpfungskette noch die Chance geboten wird, in Deutschland Produkte herzustellen, wir aber gleichzeitig Produkte in anderen Ländern herstellen lassen - ich nenne das Stichwort Globalisierung -, denen wir deutsche Labels aufkleben.
Herr Bundeskanzler, ich nenne Ihnen ein Beispiel, das Herr Professor Sinn in seinem Buch „Ist Deutschland noch zu retten?“ aufzeigt. Es handelt sich um ein bestimmtes Auto, das mir sehr gefällt. Das müsste eigentlich in der Firma hergestellt werden, zu der Sie schon immer eine große politische Anhänglichkeit bewiesen haben. Tatsächlich wird es in der Slowakei von slowakischen Ingenieuren und Arbeitnehmern hergestellt, erscheint aber in der Bilanz des deutschen Exportweltmeisters. Das ist zwar für die Slowakei gut, es kann aber nicht unsere ökonomische Zielvorstellung davon sein, dass Plätze für Deutschland in der Wertschöpfungskette im Zuge der Globalisierung verloren werden. Deshalb ist der Titel Exportweltmeister eine Täuschung.
Auf dem letzten Kongress der IG Metall traf ich Betriebsratsvorsitzende, die mir begeistert erklärt haben: Wir sind Exportweltmeister und deshalb können wir bei der nächsten Tarifverhandlungsrunde zulegen. Uns geht es doch eigentlich gut. - Wenn Sie mit dem Begriff Exportweltmeister die Öffentlichkeit und sich nicht täuschen wollen, dann müssen Sie dem entgegentreten und bei diesem Begriff differenzieren. Das gehört zu dieser Debatte.
Ich komme nun zu einigen Daten. Da ich nicht die Zeit habe, mich über Daten zu streiten, nehme ich die Daten, die Sie zum Europäischen Gipfel vorgelegt bekommen haben. Sie haben in Lissabon eine Strategie beschlossen, Europa bis 2010 zum dynamischsten, innovativsten und am meisten auf Wissen basierten Raum der Welt zu machen. Damals haben Sie verkündet: Das kriegen wir hin; mit einem Wachstum von 3 Prozent nähern wir uns der Vollbeschäftigung.
Jetzt ist in den Kommuniqués zu lesen, das Wachstum habe im letzten Jahr 0,8 Prozent betragen, bestenfalls werde es bei 1,25 Prozent liegen. Das Wachstum in Deutschland wird wahrscheinlich noch darunter liegen. Das Defizitkriterium ist nicht eingehalten worden. Das Pro-Kopf-Inlandsprodukt der Europäischen Union beträgt 72 Prozent des Pro-Kopf-Inlandsprodukts der Vereinigten Staaten. Wir wissen, dass Sie die Wirtschaftspolitik der Vereinigten Staaten nicht sonderlich mögen, aber dennoch sollten Sie einmal darüber nachdenken, warum wir nur 72 Prozent erreichen.
In Europa haben wir einen Produktivitätszuwachs von 0,5 bis 1 Prozent, die Vereinigten Staaten haben dagegen einen von 2 Prozent. Daraus ergibt sich doch - das ist bis jetzt unausgesprochen geblieben -, dass wir nicht dynamisch und nicht wettbewerbsfähig genug sind. Politische Führung geht nicht ohne ökonomische Kompetenz.
Ökonomische Kompetenz will sich bei Ihrer Partei nicht einstellen. Das hat der Parteitag am Wochenende wieder gezeigt.
Das, was wir mit Europa erreichen wollen - das ist doch auch in Ihrem Interesse -, dass wir nämlich eine Global-Player-Rolle einnehmen, wodurch wir Armut bekämpfen und Stabilität und soziale Sicherheit schaffen können, wird von Ihnen in Ihrer Politik nicht berücksichtigt. Sie tragen dazu nicht bei.
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. Es ist uns nicht wirklich gelungen, die Steuern zu senken und die sozialen Sicherungssysteme wirklich zu reformieren. Herr Bundeskanzler, Sie haben die sozialen Sicherungssysteme doch nicht richtig reformiert. Die Agenda 2010 ist eine Schmalspurreform. Wir haben noch die Großbaustelle bei den Langzeitarbeitslosen. Wir haben noch keinen Wettbewerb im Gesundheitswesen. Der ganze Streit der Linken in Ihrer Partei hat sich darauf beschränkt, ob das Rentenniveau in der gesetzlichen Rentenversicherung bei 46 oder 43 Prozent liegen soll. Wenn das das letzte Großprojekt der deutschen Linken war, dann zeigt das, dass die intellektuelle Armut gar nicht mehr zu überbieten ist.
Die Rente ist noch nicht sozial sicher, selbst wenn wir all die Reformen hätten. Sie haben sie aber noch nicht durchgeführt. Deshalb sind Sie in der heutigen Regierungserklärung ganz deutlich hinter den Zielen der Agenda 2010, die Sie im letzten März verkündet haben, zurückgeblieben.
Das kann man ganz klar feststellen.
Sie haben auch nichts gesagt, was darüber hinausgeht, außer in einem Punkt, den ich jetzt aufgreifen möchte, weil er in richtiger Weise angesprochen worden ist, weil aber die Konsequenzen offen geblieben sind. Das größte Innovationspotenzial in einer Gesellschaft liegt bei den Kindern. Selbst wenn wir niedrigere Steuern hätten und alles so geregelt wäre, wie ich mir das vorstelle, gäbe es überhaupt noch keinen Optimismus im Land, wenn es nicht Menschen gäbe, die diese Signale aufnehmen. Gehen wir von dem Innovations- und Fragedruck der Kinder, also der nachwachsenden Generation, aus. Das haben Sie richtig beschrieben.
Dem werden Sie mit Ihrer Erklärung und der Konsequenz daraus aber nicht gerecht. Der wettbewerblichen Neugier der Kinder, die sich im Bildungssystem bis hin zu den Universitäten mit immer größerem Frage- und Forderungsdruck stufenweise entfaltet, bieten Sie in Ihrer sozialdemokratischen und rot-grünen Vorstellungswelt überhaupt kein adäquates Bildungssystem an: Es ist nicht wettbewerblich organisiert, die Abschlüsse qualifizieren nicht ausreichend
und es führt nicht in überschaubarer Zeit zu einem Studienabschluss.
Das Angebot, Ganztagsschulen einzurichten, um eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erreichen, ist doch nicht die Antwort auf die Kernfrage des Bildungswesens.
Die Kernfrage des Bildungswesens lautet, ob Rot-Grün diesem Bildungswesen wettbewerbliche Strukturen geben will, die der Entwicklung der Talente bei den Kindern entsprechen. Herr Bundeskanzler, bei aller verfassungsrechtlichen Zuständigkeit der Länder kann man Ihre Glaubwürdigkeit in dieser Kernfrage hier im Hause überprüfen. Wenn Sie glaubwürdig sein wollen, dann müssen Sie den Hochschulen Autonomie geben, das Hochschulrahmengesetz des Bundes ändern und den Hochschulen die Auswahl ihrer Studentinnen und Studenten selbst überlassen.
Diese politische Kernentscheidung müsste in diesem Bundestag getroffen werden. Damit würde ein Signal für die Wettbewerbsfähigkeit des Bildungswesens gegeben.
Hier redet niemand von der Opposition, der nicht wünschte, dass Deutschland wettbewerbsfähiger würde. Ich wünsche mir auch, dass wir weniger Arbeitslose haben. Ich habe mich aber nie zu der Bemerkung des Bundeskanzlers verstiegen, mich daran messen zu lassen, wie weit ich die Arbeitslosenzahl senken werde. Herr Bundeskanzler, Sie müssen es nicht mehr erwähnen; jeder weiß es ja. Ich käme mir an Ihrer Stelle aber doch komisch vor: Sie haben hier eine solche Regierungserklärung abgegeben, ohne sich an die allererste Regierungserklärung, die Sie abgegeben haben, zu erinnern. Da haben Sie gesagt, Sie wollten an der Zahl der Arbeitslosen in Deutschland gemessen werden, und meinten im übertragenen Sinne, Sie hätten es nicht verdient, in diesem Amt zu bleiben, wenn Ihnen die versprochene Senkung nicht gelänge. Herr Bundeskanzler, wenn Sie sich daran gehalten hätten, dann hätten Sie heute Morgen hier gar nichts mehr erklären dürfen.
Das alles hat auch mit der Sozialfrage zu tun. Ihre Partei diskutierte die Sozialfrage auf dem Parteitag nach dem Motto: Der größte Sozialpolitiker ist derjenige, der anderen so tief in die Tasche greift, dass er etwas zur Umverteilung herausholen kann.
Das ist in Ihren Reihen unausrottbar. Ich glaube, dass sich die Kompetenz der Politik und die soziale Kompetenz einer Gesellschaft an der Zahl der Arbeitsplätze zeigt und nicht an der Höhe der sozialen Sicherungsmaßnahmen, wie Sie in der SPD sie permanent diskutieren.
Das ist hier kein Wettbewerb, bei dem die einen Positives für Deutschland wollen und die Opposition in Gestalt der FDP-Bundestagsfraktion, die ich zu vertreten habe, alles schlechtreden will. Sie haben jetzt bereits seit einigen Jahre die Regierungsverantwortung und müssen sich fragen lassen, ob Sie im Kern eine neue Beschäftigungsdynamik, eine größere Wettbewerbsfähigkeit, ein stärker wettbewerbliches Bildungswesen, ein besseres Gesundheitswesen und die Lissabon-Strategie zustande gebracht haben.
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit.
Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Ich komme sofort zum Schluss. - Man kann nicht mit diesem geringen Anspruch sagen, es sei nicht mehr viel zu besorgen; es sei nur noch die Eigenheimzulage zu streichen, damit Investitionen im Bildungswesen finanziert werden könnten.
Nein, die Agenda 2010 war schmal genug. Dieses Land kommt nur dann wieder auf die Beine, wenn die politische Führung - das meine ich bezogen auf alle Gruppierungen und Parteien - die notwendige Courage hat, die Öffentlichkeit unnachgiebig und wiederholt mit großen Veränderungen vertraut zu machen
und ihr klare Ziele und Perspektiven zu benennen. Dem sind Sie heute nicht gerecht geworden. Das war eine reine Modernisierungsrhetorik.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Nun hat die Kollegin Thea Dückert, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine drei Minuten Redezeit möchte ich für einige Bemerkungen nutzen.
Erste Bemerkung. Frau Merkel hat dem Kanzler vorgeworfen, er würde lügen und betrügen und sich nicht um Menschen wie beispielsweise die Krankenschwester und den Polizisten kümmern. Sehr geehrte Frau Merkel, ich möchte Ihnen an dieser Stelle sagen, was ich für Betrug halte. Ich halte es zum Beispiel für Betrug, wenn die Mitglieder Ihrer Partei mit Herrn Merz an der Spitze durchs Land reisen und der deutschen Bevölkerung eine Vereinfachung des Steuersystems versprechen, aber nicht gleichzeitig die Rechnung präsentieren. Das Versprechen mit der Steuererklärung auf einem Bierdeckel können Sie nicht einlösen. Das halte ich für einen Betrug an der deutschen Bevölkerung.
Ich halte es auch für Betrug, wenn Sie auf der Grundlage des Herzog-Konzepts bei der Gesundheitsreform Änderungen vorschlagen, die den Menschen nicht schaden, sondern nutzen sollen. Bei diesem Vorschlag mit der Kopfpauschale - das ist das Gleiche wie mit der Steuererklärung auf dem Bierdeckel nach Herrn Merz - bleiben Sie uns den sozialen Ausgleich schuldig. Grob gerechnet, ergibt sich nach Ihren Konzepten eine Finanzlücke von etwa 50 bis 60 Milliarden Euro. Frau Merkel, wissen Sie, was das ist? Genau wie die Sache mit dem Bierdeckel ist das eine Zechprellerei gegenüber der deutschen Bevölkerung.
Immer wenn es bei Reformkonzepten um die harten Fakten geht, muss man auch die Finanzierung berücksichtigen. Dabei fällt mir jedes Mal - ich höre immer gut zu - ein Spruch von Lichtenberg ein: Ach, wäre es doch heiße Luft gewesen. Allein, es war nur ein wehendes Vakuum. - Das sage ich Frau Merkel als Physikerin.
Zweite Bemerkung. Wir haben ein gutes Beispiel für die typische Politik der Opposition erlebt. Als der Kanzler den konkreten Vorschlag gemacht hat, durch Subventionsabbau, die Streichung der Eigenheimzulage, Mittel für die Bildung freizusetzen, was haben wir von Ihnen gehört? Sie haben sich dazu nicht geäußert. Ich hätte gerne gewusst, ob Sie diesen Vorschlag für diskussionswürdig und interessant halten. Nein, Sie haben mit stolzgeschwellter Brust darauf hingewiesen, dass Sie im Bundesrat im Winter letzten Jahres die Streichung von Subventionen vereitelt haben. So wird ein Schuh daraus. Wenn Sie den Bundesrat nicht permanent als Bremse nutzen würden, dann wären wir in Deutschland mit den Reformen schon weiter: beim Subventionsabbau, bei der Steuerreform, der Entlastung der Kommunen und der Einschränkung der Frühverrentung. Auch die Gesundheitsreform sähe heute anders aus und wir hätten mehr Wettbewerb im System.
Frau Merkel, Sie haben uns einen Einblick in die Art gegeben, wie Sie Politik machen. Wir durften einen Blick auf Ihre schwarze Agenda werfen. Sie haben das mit dem Begriff Paradigmenwechsel verschleiert. In Wirklichkeit ist Ihr Rezept für eine hoch entwickelte Gesellschaft der Wechsel hin zu einem Niedriglohnland, um zum Beispiel mit Tschechien konkurrieren zu können.
Ich halte das für dummes Zeug, ökonomischen Unsinn und arbeitsmarktpolitisch für nicht hilfreich.
Danke schön.
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun der Kollege Laurenz Meyer, CDU/CSU-Fraktion.
Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war schon spannend, heute in der Debatte zu sehen, dass sich die Regierungskoalition überhaupt nicht mit der Regierungserklärung des Bundeskanzlers beschäftigt hat, sondern ausschließlich mit der Rede von Frau Merkel.
Woran liegt das? Sie hat als Einzige die Punkte angesprochen, mit denen sich die Menschen in Europa beschäftigen.
Während sich die Leute in Europa mit dem Gesundheitssystem, dem Rentensystem, dem Steuersystem und den Arbeitsmarktgesetzen auseinander setzen, haben Sie sich die letzten Monate ausschließlich mit dem Fiasko bei der Maut und dem Dosenpfand beschäftigt. Herr Trittin, der Gott sei Dank noch hier sitzt,
hat davon gesprochen, dass der Arbeitsplatzabbau in der Getränkeindustrie gewollt sei. Er hat es inzwischen geschafft, selbst ein so gutes Instrument wie den Emissionshandel zu einem Instrument zu machen, mit dem in Deutschland Arbeitsplätze systematisch vernichtet werden sollen. Ich bin gespannt, ob Herr Clement durchhält.
Es wäre allerdings das erste Mal, dass er durchhält; denn bisher hat er praktisch nichts vorzuzeigen.
Es wurde wieder davon gesprochen, dass Deutschland Exportweltmeister sei. Herr Gerhardt hat das Richtige dazu gesagt, nämlich dass wir nur deshalb Exportweltmeister sind, weil wir so viel im Ausland produzieren und unsere Produkte nur dadurch konkurrenzfähig sind. Das hat Herr Braun im Kern - lesen Sie es nach - ausgesprochen. Dafür wird er heute von Herrn Stiegler verhauen. Der Generalsekretär der SPD, Herr Benneter, hat das gestern noch im Rundfunk gemacht. Der Bundeskanzler hat sich aber schon einen Tag vorher mit Herrn Braun ausgesprochen und um gutes Wetter gebeten.
Ich finde, diese Scheinheiligkeit ist wirklich durch nichts mehr zu überbieten: hinten herum telefonieren und gutes Wetter machen und nach vorne schimpfen, um die eigenen Wähler zu bedienen. Das ist scheinheilig bis zum Gehtnichtmehr.
Herr Müntefering, lassen Sie mich bitte einen Punkt ganz klar ansprechen, weil wir gerade beim Stichwort „scheinheilig“ sind.
Was war eigentlich los, als in Österreich eine Koalition der Österreichischen Volkspartei mit den Freiheitlichen von Herrn Haider am Himmel auftauchte? Österreich sollte ausgestoßen und nicht mehr an EU-Konferenzen beteiligt werden. Jetzt ist die Schwesterpartei der SPD in Österreich mit Herrn Haider in Kärnten ins Bett gestiegen - und kein Wort von der deutschen SPD zu diesem aus ihrer Sicht vorher noch skandalösen Vorgang!
Das nenne ich scheinheilig bis zum Gehtnichtmehr. In der Zukunft sollten Sie Ihre Glaubwürdigkeit an der Garderobe abgeben.
Herr Schröder hat gesagt, Deutschland stehe heute besser da als noch vor zwölf Monaten. Ich frage mich, woraus er das schließt. Anschließend hat er sich ausgiebig mit der Situation insbesondere von Frauen beschäftigt, die berufstätig sein und gleichzeitig Kinder haben wollen. Er hat allerdings keine konkreten Vorschläge gemacht. Sie, die Frauen in der SPD-Fraktion, haben allen Ernstes für das, was er vorgetragen hat, geklatscht. Das ist doch wirklich die Höhe. Seit zwei Jahren versprechen Sie den Frauen mickrige 4 Milliarden Euro für die Ganztagsbetreuung in ganz Deutschland.
Seit zwei Jahren ist aber kein müder Euro geflossen. Seit zwei Jahren nur Rederei! Rot und Grün haben in den letzten zwei Jahren nichts, aber auch gar nichts getan,
um die Situation von Familien mit Kindern zu verbessern.
Wenn das, was der Bundeskanzler heute hier vorgetragen hat, Ihr Familienbild ist, dann muss ich Ihnen sagen: Das ist ein antiquiertes Familienbild.
Denn politisches Taktieren hat bei der Entscheidung von jungen Familien, ob sie berufstätig sein wollen oder nicht, wenn sie Kinder haben, überhaupt nichts zu suchen. Wir müssen beides möglich machen. Das ist unsere Philosophie.
- Dass Sie sich aufregen, kann ich verstehen. Das ist offensichtlich ein Schuss ins Schwarze.
Der Bundeskanzler hat die Situation in Frankreich angesprochen. In Frankreich ähneln die finanziellen Rahmenbedingungen denjenigen, die wir in unserem Steuerkonzept vorschlagen.
Die jungen Familien werden ganz wesentlich finanziell entlastet. Es gibt kein Entweder-oder von Ganztagsbetreuung und finanzieller Entlastung. In Frankreich findet beides statt und das hat sich ausgewirkt. Wenn wir nicht beides gleichzeitig machen, werden wir keine Erfolge haben.
Mit den 4 Milliarden Euro können Sie gerade einmal Einrichtungen für das Kochen des Essens bezahlen, aber nicht die Ganztagsbetreuung und den Ganztagsunterricht. Da müssen Sie schon wesentlich tiefer in die Tasche greifen. Es hilft auch nicht, das den Gemeinden zuschieben zu wollen, wie Sie es machen.
- Sie werden sich noch freuen, wenn Sie im September nicht zur Oberbürgermeisterin gewählt werden, weil Sie dann nämlich nicht für das geradestehen müssen, was der Bundeskanzler Ihnen auf die Nase drücken will.
Sie werden dann anschließend wieder hier sitzen und sich freuen, dass Sie nicht gewählt worden sind - was für Stuttgart allerdings besser ist.
Des Weiteren ist angesprochen worden, dass endlich die Situation von Migranten und unterprivilegierten Familien im heutigen Schulsystem angegangen werden müsse.
Wenn Sie überall in Deutschland für die Bildungspolitik zuständig wären, dann Gnade uns Gott!
Bei den PISA-Studien ist herausgekommen, dass in meinem Heimatland Nordrhein-Westfalen - Sie müssten das Ihrer Fraktion erzählen, Herr Poß - die deutschen Kinder schlechtere Ergebnisse erzielt haben als die Ausländerkinder in Bayern.
Das ist die Situation. Die Ausländerkinder in Bayern haben bei der PISA-Studie bessere Ergebnisse erzielt als die deutschen Kinder in Nordrhein-Westfalen.
- Sie wissen das gar nicht. Ich weiß, dass Sie das trifft. Aber stellen Sie sich einmal vor, Sie wären in Deutschland für die Bildungspolitik zuständig.
Dann ginge es darum, wie Sie die Finanzierung sichern wollen, und um die Eigenheimzulage. Frau Merkel hat es schon angesprochen: Stellen Sie sich vor, sie wäre bei einem Ihrer zwei Versuche gestrichen worden. Das ist wie früher beim Jäger 90 und den Grünen. Bei jeder Finanzierung wurde der Jäger 90 angeführt. Jetzt ist es die Eigenheimzulage. Die CDU/CSU-Fraktion wird aber die Eigenheimzulage nicht antasten, solange nicht wesentlich niedrigere Steuern für den Einzelnen dies möglich machen.
Die heutige Debatte hat wieder gezeigt, dass Sie versuchen, die Probleme nicht mehr anzusprechen, und dass Sie weder über das Thema Gesundheit noch über Steuern und Arbeitsmarktveränderungen in anderen Ländern eine erfolgreiche Diskussion führen.
Dadurch wollen Sie Ihre eigene Basis beruhigen und vielleicht die Austrittswelle vorübergehend stoppen.
Den Spagat, den Sie bisher in der Partei versucht haben und der schon mit zwei Beinen nicht geklappt hat, versuchen Sie nun mit vier Beinen. Deswegen meine ich, Sie sollten wirklich wissen, was für Deutschland angesagt ist, nämlich eine klare Analyse. Sie sollten zumindest Maßnahmen vorschlagen und sich an der Diskussion beteiligen, die wir Ihnen zu den von uns aufgeführten konkreten Handlungsfeldern vorschlagen.
Sie haben doch den Vorteil, dass die Opposition klare und präzise Vorstellungen vorgelegt hat.
Sie sind damit in einer viel besseren Situation als jemals eine Regierungspartei vor Ihnen.
Heute ist hier gesagt worden: Wir machen so weiter wie bisher. - Das müssen die Bürger in unserem Land als nichts anderes als eine Drohung empfinden.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat die Kollegin Nicolette Kressl, SPD-Fraktion.
Nicolette Kressl (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gesellschaftspolitische Innovationen, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, hervorragende Bildung und Ausbildung und eine ausgezeichnete Lehre und Forschung sind die großen Herausforderungen für die nächsten Jahrzehnte, vor denen wir stehen. Deshalb habe ich erwartet, dass irgendjemand von der Opposition, der CDU/CSU, wenigstens den Hauch einer Konzeption für eine gesellschaftspolitische Erneuerung bringt.
Frau Merkel hat in ihrer Rede dazu nur einen halben Satz gesagt, in dem sie beschrieben hat, was nach ihrer Meinung in der Kinderbetreuung nicht angeht. Was Herr Meyer gerade vorgetragen hat, war nun wirklich - -
Es ist eigentlich nicht zu beschreiben.
Fangen wir mit der PISA-Studie an. Herr Meyer, ich würde Ihnen dringend empfehlen, Nachhilfeunterricht zu nehmen. Denn das, was Sie ausgeführt haben, ist ein Beleg für die Richtigkeit der PISA-Studie.
Wenn Sie nämlich die Pisa-Studie richtig lesen, dann werden Sie zum Beispiel erkennen, dass in keinem anderen Land außer in Deutschland - im Übrigen ganz besonders in Bayern - die soziale Herkunft eines Kindes, ob Mädchen oder Junge, darüber entscheidet, ob es berufliche Ausbildungs- und Fortbildungschancen hat. Das ist der Kernpunkt der PISA-Studie. Dazu haben Sie kein einziges Wort gesagt.
Ich empfehle Ihnen dringend, Studien so zu lesen, wie sie sind, und nicht die wichtigen Teile zu verschweigen.
Wenn ich davon ausgehen muss, dass Sie es eigentlich gelesen haben, aber hier nicht erwähnen, dann ist das für mich wieder einmal der Beweis dafür, welches Menschenbild Sie haben und wie Sie soziale Gerechtigkeit definieren. Ich sage Ihnen: Sozialdemokraten würden mit jungen Leuten und deren Chancen nie so umgehen. Ich bin froh, dass wir die Verantwortung für das haben, was in diesem Bereich läuft.
Hinzu kommt: Sie erzählen in Ihren Sonntagsreden immer unheimlich viel von Familie und von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie von Bildung und Ausbildung.
Heute geht es hier in einer wichtigen Debatte um genau das; dennoch wird in den Beiträgen Ihrer Hauptrednerinnen und -redner die Frage der Vereinbarkeit nicht behandelt. Daraus kann ich nur schlussfolgern: Es handelt sich hierbei für Sie immer noch um das gesellschaftspolitische Sahnehäubchen, nach dem Motto: Wenn wir noch etwas übrig haben, dann machen wir da etwas.
Der Kernpunkt ist aber, dass Bildung, Ausbildung und Qualifikation nicht nur mit Gesellschaftspolitik, sondern auch mit Wirtschaftspolitik zu tun haben. Mit der Frage, wie wir die Startchancen junger Menschen verbessern können, geht die Entscheidung einher- das will ich Ihnen deutlich sagen -, welche Köpfe in Deutschland in Zukunft für die Wettbewerbsfähigkeit des Landes sorgen.
Ich bin deshalb so froh, dass der Bundeskanzler wichtige Teile seiner Rede genau dieser Frage gewidmet hat.
Wir haben nämlich erkannt, dass es sich nicht um das Sahnehäubchen handelt, sondern dass es hierbei um den Kernpunkt bei der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung geht.
Ich will Sie auf eine Studie des IAB, des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit, verweisen, die verdeutlicht, dass in den Jahren 1995 bis 2010 1,5 Millionen Arbeitsplätze für ungelernte Kräfte verloren gehen werden. Das heißt: Sowohl die Frage der sozialen Gerechtigkeit für die Menschen und deren Lebenschancen als auch die Frage der wirtschaftlichen Entwicklung hängen damit zusammen, ob wir die Potenziale, die es bei uns gibt, in Zukunft auch wirklich nutzen können.
Wir lassen noch viel zu viele Potenziale bei den jungen Menschen, die wir nicht ausreichend und nicht früh genug fördern, brachliegen.
Für uns ist die Frage der Betreuung, der Erziehung und der frühkindlichen Bildung entscheidend.
Deshalb sieht unser Programm vor, dass die 1,5 Milliarden Euro aus den Ersparnissen durch die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe in die Kassen der Kommunen fließen.
Wenn Sie gestern einmal in die Zeitung geschaut haben, dann wissen Sie: Familienministerin Renate Schmidt hat mit den kommunalen Spitzenverbänden vereinbart, dass wir die Verantwortung dafür übernehmen, dass die 1,5 Milliarden Euro - insgesamt 2,5 Milliarden Euro - tatsächlich bei den Kommunen ankommen. Auch Franz Müntefering sagt es immer wieder: Dazu stehen wir. Gleichzeitig können wir mit den Kommunen den Ausbau der Kinderbetreuung für unter Dreijährige organisieren.
Ich will Ihnen noch etwas sagen: Ich kann gut verstehen, dass die Kommunen nach 16 Jahren Ihrer Regierungspolitik etwas misstrauisch sind.
Wenn ich mit den Kommunen über den Ausbau der Kinderbetreuung rede, dann erinnern sie mich immer an Ihre Regierungszeit.
Wir haben damals mehrmals beantragt, dass der Bund Verantwortung für die Kosten zur Gewährleistung des Rechts auf einen Kindergartenplatz übernimmt; bei den Kommunen ist allerdings nichts angekommen. Es war Ihre Regierungszeit, die die Kommunen so misstrauisch gemacht hat.
Der Umstand, dass es den Kommunen nicht leicht fällt, zu vertrauen, veranlasst uns, eine Finanzierungsgarantie zu geben. Die Tatsache, dass Sie im Vermittlungsausschuss mitverantwortlich dafür sind, hat dazu geführt, dass sich bei der Gewerbesteuerreform keinerlei strukturelle Verbesserungen ergeben haben. Auch das haben Sie zu verantworten. Es ist scheinheilig, sich hierhin zu stellen und zu fragen, wie es den Kommunen geht, wenn Sie im Vermittlungsausschuss eine strukturelle Gewerbesteuerreform verhindern.
Im Übrigen haben Sie schon Jahre zuvor die Gewerbesteuer so weit ausgehöhlt, dass es überhaupt nötig war, strukturelle Reformen vorzunehmen.
Ich finde, Sie sollten wirklich den Mund halten, wenn es um die Frage geht: Wie unterstützen wir die Kommunen bei der Kinderbetreuung?
Es geht aber nicht nur um die Förderung von Kindern. Wir lassen natürlich auch Potenzial brachliegen, wenn wir nicht für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sorgen. In volkswirtschaftlicher Hinsicht dürfen wir es nicht mehr zulassen, dass die Gesellschaft zwar inzwischen über die am besten qualifizierten Frauen verfügt, dass wir ihnen aber nicht die Möglichkeit geben, ihre Potenziale, ihre Kreativität und ihr Können in die Wirtschaft einzubringen, weil es uns nicht gelingt, ihnen in ausreichendem Maße Betreuungsmöglichkeiten schon im Bereich der unter Dreijährigen anzubieten. Ich halte das für einen ganz wesentlichen wirtschaftspolitischen Faktor. Deswegen weisen wir ständig darauf hin, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht das Sahnehäubchen ist, sondern zu einer arbeitsmarktpolitischen Schlüsselfrage unserer Gesellschaft und insbesondere zu einer entscheidenden Standortfrage für die Kommunen werden wird.
Wir müssen ebenfalls das Potenzial der jungen Schulabgängerinnen und Schulabgänger besser nutzen. Auch hier geht es um die Kombination von sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftspolitischen Fragen.
Wie soll denn das Vertrauen der jungen Menschen in den Staat, insbesondere in die staatlichen Institutionen und seine Verantwortlichen, wachsen können, wenn wir, die wir in Staat und Gesellschaft Verantwortung tragen, ihnen nicht das Vertrauen geben können, dass wir alles für ihre Zukunftschancen tun? Wir müssen den jungen Menschen das Vertrauen geben, dass wir alle Anstrengungen unternehmen, damit sie einen Ausbildungsplatz bekommen. Wenn Sie als einzige Alternative eine Kürzung der Ausbildungsvergütungen vorschlagen, dann muss ich sagen, dass ich das nicht nur für verantwortungslos, sondern auch für einfallslos und für nicht kreativ halte.
Es ist ebenfalls wichtig, dass wir uns bei der Erneuerung der Gesellschaft um die Potenziale und die Erfahrungen der Älteren kümmern. Deshalb finde ich es richtig gut, dass Edelgard Bulmahn und ihr Haus einen Schwerpunkt auf die Entwicklung und Finanzierung der Weiterbildung legen. Damit werden wir uns auch in den Fraktionen beschäftigen; denn wir müssen nicht nur Jugendlichen und Kindern, sondern auch den Älteren Zukunftschancen geben. Unsere Gesellschaft muss sich darauf verlassen können, dass auch Letztere ihre Kreativität und ihr Potenzial in unseren Wirtschaftskreislauf und in unsere Gesellschaft einbringen.
Ein wichtiger Teil unseres Konzeptes betreffend den Umgang mit den Zukunftschancen der Menschen ist, dass wir entsprechende Rahmenbedingungen durch Ganztagsbetreuung, beispielsweise durch das Ganztagsschulprogramm, schaffen wollen. Lassen Sie mich noch ein, zwei Worte über Ihre unsäglichen Aussagen verlieren. Zum einen ist es logisch, dass das Ganztagsschulprogramm nicht sofort anlaufen konnte; denn die Länder konnten entgegen unseren Erwartungen nicht rechtzeitig pädagogische Konzepte vorlegen.
Zum anderen haben inzwischen schon 900 Schulen Mittel aus dem Ganztagsschulprogramm beantragt.
Diese 900 Ganztagsschulen gäbe es ohne dieses Programm nicht.
Sie, die Sie 16 Jahre lang im Rahmen Ihrer Bundeskompetenz gar nichts gemacht haben, behaupten, dies sei zu wenig.
Aber in Wirklichkeit - das finde ich prima - wollen immer mehr Gemeinderäte und Gemeinderätinnen sowie immer mehr Elternbeiräte dieses Programm nutzen, weil sie wissen, dass es Geld gibt.
Wenn ich eines weiß, dann ist es das: In drei Jahren wird es eine Entwicklung geben, die Sie mit Ihrer Ideologie - Gott sei Dank - nie wieder zurückdrehen können.
Darauf bin ich stolz. Unser Ganztagsschulprogramm hat dazu geführt, dass Eltern sagen: Es gibt eine Chance, dass das mitfinanziert wird, und darum kämpfen wir jetzt.
Die Ganztagsschule ist nicht nur ein Ort, an dem es Nachmittagsunterricht gibt,
sondern dort ist auch die Zeit für individuelle Förderung; das ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Da können die Kinder, die in der Familie nicht ausreichend gefördert werden, Förderung erfahren. Das ist das, was vorhin im Zusammenhang mit PISA beschrieben worden ist. So werden ihre Chancen verbessert.
Hören Sie mit dieser Polemik gegen das Programm auf! Seien Sie lieber froh darüber, dass wir da für das Land insgesamt etwas nach vorn gebracht haben!
Zu dieser Konzeption insgesamt gehört für uns auch Folgendes: Wir wollen die äußeren Rahmenbedingungen verbessern und Eltern und Familien, Frauen und Männern die Möglichkeit geben, innerhalb der Rahmenbedingungen, die wir setzen, ihr Leben so zu gestalten, wie sie es wollen. Hören Sie mit dieser ideologischen Behauptung auf, wir wollten eine Form bevorzugen! In Wirklichkeit ist es in diesem Land doch so, dass durch fehlende Angebote indirekt eine Form von Zusammenleben und Erziehen vorgeschrieben wird. Wenn die Angebote da sind, dann sollen Frauen und Männer wählen können. Wir wollen die Rahmenbedingungen dafür schaffen.
Zu der Konzeption gehört, dass wir sagen: Dafür sind wir verantwortlich. - Wer das als Hineindrängen des Staates in die Familie diffamiert, so wie Sie das gemacht haben, verkennt Bedürfnisse und Entwicklungen in dieser Gesellschaft. Das ist der große Unterschied zwischen uns. Wir wissen, was in der Gesellschaft läuft,
wir wissen, was die Menschen brauchen, und setzen die entsprechenden politischen Rahmenbedingungen.
Aber wir wissen natürlich auch, dass wir uns nicht alles leisten können. Wir wollen Startchancen geben und Rahmenbedingungen setzen. Verantwortlich dafür, dass die Chancen genutzt werden, sind - das sagen wir immer dazu - die Menschen selbst. Aber wie können Menschen ihre Verantwortung wahrnehmen, wenn wir nicht die Rahmenbedingungen dafür schaffen?
Ich bin davon überzeugt: Mit den Konzeptionen, die der Bundeskanzler im Bereich Bildung, Ausbildung, Qualifikation, Erziehung und Betreuung vorgestellt hat, werden wir Veränderungen im Land schaffen, sodass die Menschen Wahlfreiheit haben und die jungen Menschen Startchancen bekommen. Damit machen wir einen guten Anfang für eine noch bessere wirtschaftliche Entwicklung.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat die Kollegin Petra Pau.
Petra Pau (fraktionslos):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich grundsätzlich auf die Regierungserklärung eingehe, will ich eines klarstellen: Bundeskanzler Schröder hat über demographische Probleme gesprochen und hat sich dabei eines unglaublichen Vergleichs bedient. Er hat die Nazizeit und die DDR-Zeit gleichgesetzt.
Er sprach vom Mutterkreuz im Dritten Reich und vom Abkindern in der DDR. - Ich weise das für die PDS im Bundestag zurück.
Ich bedaure, dass ausgerechnet ein SPD-Kanzler so geschichtslos und demagogisch daherredet.
Wenn wir schon bei Wahrheiten sind: Zur Wahrheit in der Bundesrepublik im Jahr 2004 gehört, dass wir eine unerträglich hohe Kinderarmut haben und dass mit der Umsetzung der Agenda-Gesetze die Kinderarmut tagtäglich steigt.
Nun zur Regierungserklärung. Bundeskanzler Schröder hat seiner Regierungserklärung den schönen Titel „Deutschland 2010: Unser Weg zu neuer Stärke“ gegeben. Die Rede schließt an die Agenda 2010 an, die hier vor Jahresfrist vorgestellt wurde. Sie muss sich daher an dem messen lassen, was seither geschehen ist. Sie wissen es: Die Agenda 2010 wird vielfach als Abschied der SPD von sozialdemokratischen Urwerten wie Solidarität und Gerechtigkeit bewertet. Die PDS teilt diese Kritik grundsätzlich. Dieser Weg zu neuer Stärke führt ins Abseits.
SPD und Grüne sagen, sie wollen den Sozialstaat retten. Aber zugleich bauen sie ihn ab. Sie sagen, Solidarität sei wichtig. Aber sie geben sie preis. Sie sagen, Gerechtigkeit sei gut. Aber sie werden immer ungerechter. Wir haben uns im vergangenen Jahr hier über die Gesundheitsreform, über die Rentenreform, über die Arbeitsmarktreform, über die Steuerreform und vieles mehr, was Rot-Grün als Agenda 2010 bezeichnet, gestritten. Alle so genannten Reformen sind beim Praxistest durchgefallen. Für die wirklich Betroffenen wurde nichts besser, aber vieles teurer.
Die Stärke einer Gesellschaft misst sich an den Schwachen. Das war einmal ein sozialdemokratisches Credo. Davon entfernt sich die SPD immer mehr. Heute stärken Sie die Starken und schwächen die Schwachen.
„Unser Weg zu neuer Stärke“, wie Sie sagen, hat große Gewinner und viele Verlierer. So ein „Deutschland 2010“ will ich nicht.
Dabei geht der Opposition zur Rechten - wir haben es heute wieder gehört - das ganze Abbauprogramm ja noch nicht weit genug. Ihr Militärprogramm ist ohnehin mächtiger und gewaltiger.
- Um auf den Zuruf des Abgeordneten Joseph Fischer einzugehen: Die rot-grüne Steuerreform hat Berlin mehr Millionen gekostet als der unsägliche Bankenskandal, den CDU und SPD verursacht haben.
Es gehört zu den Wahrheiten, die gesagt werden müssen, wenn wir über Berlin reden: Ihre Agenda macht die Bürgerinnen und Bürger der Hauptstadt arm. Das ist schlecht.
Nun habe ich aufmerksam vernommen, was der neue SPD-Vorsitzende, Herr Müntefering, in seiner Antrittsrede versprochen hat. Ich fasse zusammen: Die SPD hält an ihrem Kurs fest: Schröders Sozialabbau wird fortgesetzt, Schilys Innenpolitik wurde gelobt und Strucks Bundeswehr soll noch weiter ins Ausland ziehen. Allein diese 3-S-Politik lässt einen gruseln. Noch schlimmer ist: Die neue Mitte der neuen SPD hält ihren neuen Weg auch noch für neu. Dabei ist vieles nur geklaut, nämlich bei der CDU/CSU und bei noch schlechteren Vorbildern abgeschrieben.
Vor diesem Hintergrund frage ich mich allerdings: Was soll Deutschland im UNO-Sicherheitsrat? Um nicht missverstanden zu werden: Ich bin sehr für eine Aufwertung der UNO. Sie war vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges eine historische Errungenschaft und sie wird immer wichtiger. Allerdings lehrt das Beispiel USA: Wirtschaftliche Größe ist kein Synonym für Recht und militärische Stärke ist kein Ersatz für Politik. Wenn also die Bundesrepublik in den UN-Sicherheitsrat strebt, dann muss sie mehr bieten als einen Anspruch. Es müssen Alternativen aufgezeigt werden. Die sind aber nicht erkennbar. Der Bundeskanzler hat auch heute keine vorgestellt.
Das trifft übrigens auch auf alles zu, was derzeit über das Zuwanderungsgesetz und Ihre nette Kungelrunde zu hören ist. Angekündigt hatte Rot-Grün ein Bürgerrecht, das Ausländer nicht länger als Lückenbüßer und Störenfriede betrachtet. Nun droht ein Abschieberecht nach bayerischem Duktus.
Wer in Verdacht gebracht wird, er könnte Terrorist werden, soll außer Landes entsorgt werden. Deshalb bin ich sehr gespannt, wie sich Bündnis 90/Die Grünen hier verhalten werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie kennen meine grundsätzliche Kritik an der zunehmenden Militarisierung der Politik. In der künftigen EU-Verfassung wurde sie sogar als Pflicht festgeschrieben.
Deshalb lehnt die PDS den Entwurf auch ab.
Aber auch hierzulande gibt es genügend Zeitzünder. Insbesondere die CDU/CSU lässt keinen Anlass aus, diese zu schärfen. Deshalb wiederhole ich noch einmal für die PDS: Es gibt keinen Grund, das Grundgesetz zu ändern und die Bundeswehr im Innern einzusetzen. Es gibt auch keinen Grund, die überholte Wehrpflicht durch andere Zwangsdienste zu ersetzen. Es gibt weiterhin keinen Grund, durch ein Entsendegesetz Kriegseinsätze am Bundestag vorbei zu beschleunigen. Die PDS im Bundestag lehnt dies daher ab.
Die PDS bleibt dabei: Die Agenda 2010 weist in eine falsche und für viele in eine fatale Richtung. Sie belastet Kranke, Arme und Alte über Gebühr und sie entlastet jene, die - wie es auf Sozialdemokratisch so schön heißt - „breite Schultern haben“. Die PDS setzt dem ihre „Agenda sozial“ entgegen und eine Rentenreform, die den Namen Reform auch verdient. Sie ist gerechter, weil sie allen ein würdiges Leben im Alter bietet. Sie ist solidarisch, weil sie die Lasten teilt. Sie ist modern, weil sie das Rentensystem umbaut, anstatt die Rentner zu schröpfen.
Deshalb gilt mein Schlusssatz all jenen, die sich mit dem Kurs des Kanzlers und seiner Kritiker von rechts nicht abfinden wollen. Das Beste wäre: Wir treffen uns am 3. April in Köln, Stuttgart und Berlin zu den geplanten Großdemonstrationen gegen die Entsorgung des Sozialstaates.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Wilhelm Schmidt, SPD-Fraktion.
Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Den Letzten beißen die Hunde - wenn noch Hunde da wären. Aber warten wir einmal ab.
Ich wollte zum Schluss einige wenige Sätze sagen, weil ich geradezu erschrocken bin über das, was die Opposition in dieser Debatte heute geboten hat. Wir haben festgestellt, dass Sie außer Polemik mit dem Höhepunkt der Rede von Herrn Meyer nicht viel zu bieten hatten.
Interessant, wie ich jedenfalls aus meiner Sicht feststellen muss, ist, dass Frau Merkel sich in Allgemeinplätzen ergangen hat und nicht einmal den Schneid gehabt hat, dem Hohen Hause und damit der Öffentlichkeit die Schweinereien mitzuteilen, die Sie, wie wir in den letzten Tagen und Wochen gehört haben, schrittweise unternähmen, wenn Sie Regierungsverantwortung tragen würden.
Sie haben sich gedrückt und das muss auf den Tisch. Ich wollte die Zeit nutzen, um das klar zu machen.
Was würde denn passieren, wenn die Union mit der FDP im Kreuz in diesem Lande regieren würde?
Die Tarifautonomie würde geschleift werden. Dass Arbeitnehmerrechte abgebaut werden würden, ist eine milde Formulierung. Die Entmachtung der Gewerkschaften ist doch Ihr erklärtes Ziel. Dass wir in den letzten 50 Jahren in diesem Lande gut gefahren sind, weil wir den sozialen Frieden hergestellt und aufrechterhalten haben - der Kanzler und auch Franz Müntefering haben darauf hingewiesen -, ist die Dimension, an der wir uns orientieren. Wir orientieren uns nicht an dem, was Sie von uns verlangen.
Man kann schon über die Substanzlosigkeit der anderen Seite und darüber erschrecken, wie wenig Mitverantwortung übernommen wird. Sie haben in den vergangenen Monaten unter dem Druck der Öffentlichkeit mit uns gemeinsam im Vermittlungsausschuss, aber auch bezogen auf die Gesundheitsreform außerhalb des Vermittlungsausschusses, den einen oder anderen Reformschritt eingeleitet. Das ist wohl wahr. Die Art, in der Sie sich aber hinterher von unbequemen Teilen, die in der Öffentlichkeit kritisiert und diskriminiert worden sind, verabschiedet und nicht Ihre Mitverantwortung wahrgenommen haben, ist skandalös. Das sagen wir Ihnen auch sehr deutlich; wir finden das unanständig.
Ich denke, auch Sie haben in der Zwischenzeit festgestellt, dass bei dem einen oder anderen Punkt, der von Ihnen mit viel Getöse in die Öffentlichkeit getragen worden ist, nichts an Glaubwürdigkeit übrig geblieben ist. Ich weise auf einen Punkt hin, den Ludwig Stiegler bereits angesprochen hat: die Steuerreform. Was ist denn aus der merzschen Bierdeckelreform geworden? Die Reform von Herrn Merz hat ja nicht einmal den März erreicht! Sie haben sie vorher sicherheitshalber selber abgeräumt. Heute bekommen wir von Frau Merkel in der Öffentlichkeit eine ganz vage Einladung dazu, das, was Sie jetzt nicht mehr machen können oder wollen, nun gemeinsam zu machen. So billig ist das aber nicht zu haben.
Sie müssen sich da schon eine andere Vorgehensweise überlegen und dann in einer offenen Veranstaltung mit uns darüber sprechen. Es geht doch nicht an, dass Sie immer so tun, als wenn die ohnehin schon niedrigen Steuersätze noch weiter gesenkt werden könnten, und wir dann die nützlichen Idioten sind, die nach Finanzierungsmöglichkeiten für die Umsetzung Ihrer Ideen suchen. So haben wir nicht gewettet, nur dass das einmal klar ist.
Ihr Bundespräsidentenkandidat Köhler hat von einer großen nationalen Anstrengung gesprochen. Diese Anstrengung wäre bei Ihnen wahrhaftig nötig; davon haben wir heute Morgen aber überhaupt nichts gemerkt. Es ist wichtig, dass Sie Ihre Substanzlosigkeit, die sich seit Wochen in den Fragestunden zum Thema Volmer-Erlass und auch heute Morgen zeigt, überwinden. Wir fordern Sie auf, in diesem Parlament ernsthaft mitzuarbeiten und die Polemik in der Öffentlichkeit zu beenden.
Ich will aber auch darauf hinweisen, dass wir in der öffentlichen Debatte mehr denn je gemeinsam versuchen müssen, die Maßstäbe zurechtzurücken. In einem Jahr, in dem Marie Juchacz 125 Jahre alt geworden wäre, sollten wir uns ab und zu einmal daran erinnern, mit welcher Energie und unter welchem Druck unsere Vorgänger in diesem Hause arbeiten mussten, um nach zwei verlorenen Weltkriegen Reformen durchzusetzen. Aber wir tun hier so, als ob wir am Abgrund stehen würden, als ob nächste Woche niemand mehr sein Brot bezahlen könnte und das absolute Chaos in diesem Land ausbrechen würde. Das ist Ihre Wortwahl. Dadurch werden die Menschen verunsichert. Wir finden es unanständig und unredlich, wie Sie mit der Öffentlichkeit umgehen. Auch das lassen wir uns nicht mehr bieten.
Wir fordern Sie also auf: Nehmen Sie auch Rücksicht auf die Menschen! Es nützt nichts, ständig zu polemisieren. Was wir in diesem Lande brauchen, ist die Zusammenarbeit. Darauf setzen wir. Das hat der Kanzler in seiner Rede zu Recht zum Ausdruck gebracht. Ich will betonen: Trotz aller politischen Unterschiede und trotz der Tatsache, dass Sie leider nicht in der Lage sind - so auch heute nicht -, die notwendige Substanz für die politische Auseinandersetzung aufzubringen, brauchen wir die Gemeinsamkeit und die Zusammenarbeit. Wir dürfen diese Demokratie nicht vor die Hunde gehen lassen. Bei manchen hat man in der öffentlichen Auseinandersetzung ab und zu den Eindruck, dass sie das bewirken.
Ich fordere auch bei Ihnen wenigstens einen Hauch von Anstand in der politischen Auseinandersetzung ein. Dieses Land braucht unsere Zusammenarbeit. Die Menschen wollen keine Polemik und sie wollen keine Auseinandersetzung, die nur an der Oberfläche stattfindet. Sie wollen konkret wissen, wie es in diesem Lande weitergeht. Auf diese Fragen haben wir die Antworten heute erneut gegeben. Wir wollen die Innovationen voranbringen. Wir wollen die Bildungsangebote - das hat Frau Kressl, wie ich finde, ausgezeichnet ausgeführt - für die jungen Menschen verbessern. Wir wollen die Wirtschaft stabilisieren und Arbeitsplätze schaffen. Darum sind die Prozesse im Rahmen der Umsetzung der Agenda 2010 in den vergangenen Monaten ein wichtiger, aber nicht der einzige Baustein. Wir wollen und müssen die Reformen an dieser Stelle fortsetzen. Dazu treten wir an. Wir lassen uns auf diesem Weg nicht bremsen.
Dass sich der Ton in der Auseinandersetzung in den letzten Tagen und Wochen verändert hat, ist darauf zurückzuführen, dass wir gemerkt haben, dass wir in den hektischen Monaten des vergangenen Jahres, in denen wir die Reformprozesse umgesetzt haben, nicht alles in dem Maße erklärt haben, wie es normalerweise der Fall gewesen wäre. Das Entscheidende ist aber, dass wir trotz allem den Weg nicht verändern dürfen. Wir müssen diesen Weg fortsetzen. Wir wollen allerdings die Menschen mehr als bisher davon überzeugen.
Wir müssen zu Veränderungen in der Pflegeversicherung, in der Rentenversicherung und bei den Innovationen kommen, um unser Land zukunftsfest zu machen. Das ist ein ganz wichtiger Schritt. Darum setzen wir an dieser Stelle auf die Zivilgesellschaft. Die organisierte Zivilgesellschaft ist seit 141 Jahren bis heute für die SPD sehr wichtig. Wir wollen die Menschen in den Organisationen, Verbänden und Vereinen erreichen und mitnehmen. Wir wollen sie davon überzeugen, dass dieser Weg der einzig richtige ist. Fakten, die wir alle zur Kenntnis nehmen können, belegen dies.
Dass der Krankenversicherungsbeitrag inzwischen gesunken ist, ist ein ermutigendes Zeichen. Dass wir inzwischen einige Länder überzeugt haben, das Ganztagsschulprogramm umzusetzen, ist ebenfalls ein ermutigendes Zeichen. Hier können uns die Sozialverbände, die Sportverbände und die Organisationen im Bereich der Kultur und in anderen Bereichen unterstützen. Das soll nicht geschehen, um die Politik dieser Regierung in den Vordergrund zu rücken, sondern um für die Menschen in diesem Land etwas zu tun.
Das ist der einzige Maßstab, der gilt.
Zur Zivilgesellschaft gehören auch die Unternehmen. Das muss man diesen immer wieder klar machen. Es kann nicht angehen, dass die Aufgabenverteilung in diesem Lande lautet: Wir schotten uns ab und machen unseren eigenen Kram und für die unangenehmen Dinge des Lebens ist die Politik zuständig. So haben wir erstens nicht gewettet und zweitens funktioniert es so auch nicht. In enger Zusammenarbeit mit den Unternehmerverbänden und anderen müssen wir klar machen, dass wir aufeinander angewiesen sind. Es geht nicht, auf der einen Seite Profite einzustreichen, ohne auf der anderen Seite Mitverantwortung für Arbeits- und Ausbildungsplätze in diesem Lande zu übernehmen. Die Verantwortung hierfür liegt auch in den Unternehmen. Ich kann nur zitieren, was der Trigema-Chef, Wolfgang Grupp, gerade in diesen Tagen gesagt hat:
Die Arbeitslosen sind nicht von der Regierung gemacht, sondern von den Unternehmern.
Er setzt fort:
Unter Deutschlands Unternehmern herrscht Verantwortungslosigkeit und ein fataler Hang zum Abkassieren. Deutschland braucht verantwortungsvolle Leistungsträger.
Das ist natürlich viel zu pauschal; das weiß ich wohl. Aber es setzt ein Zeichen dahin gehend, dass es in dieser Zeit auch verantwortungsbewusste Unternehmerinnen und Unternehmer gibt. Auf diese bauen wir und auf deren Mitmachen setzen wir, damit wir das, was wir für das Land und seine Menschen als wichtig erachten, umsetzen können.
Die Agenda 2010 hatte also von Anfang an einen deutlichen zivilgesellschaftlichen Ansatz; ich bekräftige ihn hiermit. Ich finde, dass wir die Menschen wieder dazu bringen sollten, sich bereitwillig für die Gemeinschaft einzusetzen. Wir brauchen diesen Gemeinschaftsgeist. Er hat Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten stark gemacht. Wir appellieren, dass alle in der Politik, alle in der Gesellschaft und alle in der Wirtschaft mitwirken, um diese Dinge, die wir im Interesse der nächsten Generation auf den Weg bringen müssen, zu vollenden.
Meine Damen und Herren, wir sind auf dem richtigen Weg. Die Union bzw. die Opposition ist vielfach leider auf dem Holzweg. Ich hoffe, dass sie bereit ist umzukehren.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich schließe die Aussprache.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 100. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 26. März 2004,
an dieser Stelle veröffentlicht.]