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15. Wahlperiode
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   108. Sitzung

   Berlin, Donnerstag, den 06. Mai 2004

   Beginn: 9.00 Uhr

   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Präsident Wolfgang Thierse:

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

   Der Kollege Gernot Erler feierte am 3. Mai seinen 60. Geburtstag. Ich gratuliere ihm im Namen des Hauses nachträglich sehr herzlich.

(Beifall)

   Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in einer Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern.

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP gemäß Anlage 5 Nr. 1 Buchstabe b GO-BT zu den Antworten der Bundesregierung auf die dringlichen Fragen in Drucksache 15/3037

(siehe 107. Sitzung)

ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren

(Ergänzung zu TOP 27)

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Griefahn, Eckhardt Barthel (Berlin), Ulla Burchardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Antje Vollmer, Volker Beck (Köln), Grietje Bettin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Schaffung eines internationalen Instruments zum Schutz der kulturellen Vielfalt unterstützen

- Drucksache 15/3054 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Zum Übereinkommen Nr. 185 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) über Ausweise für Seeleute und zur vereinfachten Freistellung vom Visumserfordernis

- Drucksache 15/3053 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Karl-Josef Laumann, Dagmar Wöhrl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Zum Übereinkommen Nr. 185 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) über Ausweise für Seeleute und zur vereinfachten Freistellung vom Visumserfordernis

- Drucksache 15/3043 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Horst Friedrich (Bayreuth), Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Zum Übereinkommen Nr. 185 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) über Ausweise für Seeleute und zur vereinfachten Freistellung vom Visumserfordernis

- Drucksache 15/3057 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Burchardt, Jörg Tauss, Rainer Arnold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Grietje Bettin, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Aufbruch in den Nanokosmos - Chancen nutzen, Risiken abschätzen

- Drucksache 15/3051 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, Christoph Hartmann (Homburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Forschung und Entwicklung in der Nanotechnologie voranbringen

- Drucksache 15/3074 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Rainer Funke, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Völkermord im Sudan verhindern

- Drucksache 15/3040 -

Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

ZP 6 Erste Beratung des von den Abgeordneten Cornelia Pieper, Christoph Hartmann (Homburg), Ulrike Flach, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Berufsbildungsgesetzes

- Drucksache 15/3042 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicolette Kressl, Jörg Tauss, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Grietje Bettin, Dr. Thea Dückert, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Ausbildungschancen für alle jungen Frauen und Männer sichern - durch einen konzertierten Ausbildungspakt

- Drucksache 15/3055 -

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Christel Happach-Kasan, Hans-Michael Goldmann, Dr. Volker Wissing, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Projekt des Umweltbundesamtes zur so genannten verdeckten Feldbeobachtung stoppen

- Drucksache 15/2668 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (f)
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

   Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.

   Ferner sollen der Tagesordnungspunkt 19 - Flächendeckende Postdienstleistungen - abgesetzt und der Tagesordnungspunkt 20 - 60. Jahrestag des Kriegsendes im Jahr 2005 - ohne Debatte aufgerufen werden. Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? - Kollegin Lötzsch erhebt Widerspruch. Bitte schön.

Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Um genau 8.33 Uhr

(Volker Kauder (CDU/CSU): War es eine Funkuhr?)

erreichte mich ein Fax, aus dem hervorging, dass der Tagesordnungspunkt 20 zum 60. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus - so formuliere ich es - ohne Debatte behandelt werden soll. Ich meine zwar, dass die ursprünglich vorgesehene späte Platzierung auf der Tagesordnung um etwa 21.45 Uhr dem Thema ebenfalls nicht unbedingt angemessen war, denke aber, dass es diesem Parlament drei Tage vor dem 59. Jahrestag der Befreiung Deutschlands vom Hitler-Faschismus gut angestanden hätte, über den vorliegenden Antrag des Bündnisses 90/Die Grünen und der SPD zu debattieren, die Positionen auszutauschen und sich vor allen Dingen in einer solchen Debatte zu fragen, welche aktuellen Bezüge wir herstellen, welche Lehren wir daraus ziehen und wie wir die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes zu mehr Zivilcourage auffordern können.

   Dass Zivilcourage erforderlich ist, haben gerade die Ereignisse am 1. Mai gezeigt. Die NPD hatte zu einem Aufmarsch in Berlin aufgerufen. Viele Bürgerinnen und Bürger und sicherlich auch Gäste der Stadt haben sich diesem Aufmarsch entgegengestellt. Der Naziaufmarsch, der in meinem Wahlkreis Lichtenberg erfolgreich gestoppt werden konnte, hat aber auf sehr beunruhigende Weise gezeigt, dass das braune Gedankengut noch vorhanden ist.

   Nicht nur aus diesem Grunde hätte es dem Bundestag heute - ich wiederhole: drei Tage vor dem 59. Jahrestag der Befreiung Deutschlands vom Hitler-Faschismus - gut angestanden, über dieses Thema zu debattieren, statt den Tagesordnungspunkt 20 ohne Debatte zu behandeln. Ich beantrage eine Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt.

   Vielen Dank.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

Präsident Wolfgang Thierse:

Gibt es dazu weitere Wortmeldungen? - Dann stimmen wir über diesen Antrag ab. Wer ist damit einverstanden, dass Tagesordnungspunkt 20, wie vorgesehen, ohne Debatte aufgerufen wird? - Wer stimmt dagegen? - Damit ist so beschlossen mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU, Grünen und FDP gegen die Stimmen der beiden fraktionslosen Abgeordneten.

   Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:

- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und damit zusammenhängender Steuerhinterziehung

- Drucksache 15/2573 -

(Erste Beratung 95. Sitzung)

- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und damit zusammenhängender Steuerhinterziehung

- Drucksache 15/2948 -

(Erste Beratung 105. Sitzung)

a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss)

- Drucksachen 15/3077, 15/3079 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Schultz (Everswinkel)
Elke Wülfing

b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)
gemäß § 96 der Geschäftsordnung

- Drucksache 15/3078 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Walter Schöler
Antje Hermenau
Dr. Günter Rexrodt

   Es liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP vor.

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesminister der Finanzen, Hans Eichel, das Wort.

Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den aufgeregten Diskussionen der letzten Tage haben wir heute Gelegenheit, zur Sacharbeit zurückzukehren. Unser Entwurf eines Gesetzes zur Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und damit zusammenhängender Steuerhinterziehung ist ein weiterer Reformbaustein im Rahmen unserer Politik für mehr Beschäftigung. Mehr Beschäftigung zu schaffen ist die zentrale Herausforderung für Deutschland. Mit der Agenda 2010 hat die Bundesregierung deshalb lange überfällige Reformen auf dem Arbeitsmarkt und in den sozialen Sicherungssystemen auf den Weg gebracht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Für viele Bürgerinnen und Bürger sind diese Reformen mit spürbaren Einschnitten und Belastungen verbunden. Aber sie sind notwendig, um vor dem Hintergrund des sich intensivierenden internationalen Wettbewerbs unseren Wohlstand zu sichern und - ich betone das - wieder zu mehren. Ich bin zuversichtlich, dass der Arbeitsmarkt bald von der sich abzeichnenden wirtschaftlichen Erholung profitieren wird. Er ist - wie übrigens auch die Steuern - immer ein nachlaufender Indikator der wirtschaftlichen Entwicklung: Wenn es abwärts geht, verläuft die Entwicklung bei den Steuereinnahmen und auf dem Arbeitsmarkt noch eine Weile geradeaus. Wenn es aufwärts geht, vollzieht sich in diesen Bereichen eine ähnliche Entwicklung, allerdings zuerst auf einem unteren Level. Später machen sich die Auswirkungen der anspringenden Konjunktur dann auch bei den Steuereinnahmen und auf dem Arbeitsmarkt richtig bemerkbar. Weitere Erfolge bei der Schaffung zusätzlicher legaler Beschäftigung hängen aber davon ab, ob es uns gelingt, die illegale Beschäftigung wirksamer als bisher zurückzudrängen. Dazu dient der vorliegende Gesetzentwurf.

   Wenn wir Schwarzarbeit intensiver bekämpfen können, gewinnen alle: Bürger, Unternehmen und das Gemeinwesen. Es ist sehr schwierig, den Umfang der Schwarzarbeit - darüber ist auch in den Anhörungen diskutiert worden - exakt abzuschätzen. Das liegt ja gerade im Wesen dieser Sache. Dass es sich aber um einen sehr hohen Milliardenbetrag handelt, ist nicht zuletzt - ich beziehe mich hier nicht auf die Erkenntnisse von Herrn Professor Schneider, sondern auf unsere eigenen - auf der Basis der regelmäßig durch die Bundeszollverwaltung durchgeführten Schwerpunktkontrollen offensichtlich, die immer erfolgreicher werden. Danach ergaben sich bei aktuellen Prüfungen in vielen Branchen 15 bis 20 Prozent Verdachtsfälle. Das bedeutet erhebliche Ausfälle an Steuern und Sozialabgaben. Das bedeutet aber auch, dass die Ehrlichen höhere Steuern und Abgaben zahlen müssen. Das ist volkswirtschaftlich schädlich.

   Schwarzarbeit schädigt gesetzestreue Unternehmer und Arbeitnehmer ganz konkret. Sie drängt ehrliche Unternehmer gerade in der Bauwirtschaft aus den Märkten. Dies zerstört viele legale Jobs. Aber auch die Schwarzarbeiter sind zum Teil mehr Opfer als Täter; denn Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung gehen oft mit Arbeitsbedingungen einher, die eindeutig als menschenverachtende Ausbeutung zu bezeichnen sind. Hier gibt es nichts zu beschönigen.

   Einen Aspekt möchte ich noch besonders hervorheben: Schwarzarbeit schwächt die Chancen gerade für gering qualifizierte Arbeitskräfte, einen neuen, legalen Arbeitsplatz zu finden.

   Wenn vor diesem Hintergrund prominente - Gott sei dank sind es nur wenige - Politiker Schwarzarbeit als Steuernotwehr gegen den Staat verharmlosen, dann kann man sich über so viel Torheit nur wundern.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie können ja über einzelne Gesetze denken, was sie wollen. Wir haben zum Beispiel eine Menge getan - ich komme darauf gleich zurück -, um die Steuern zu senken. Aber eines darf doch nicht sein: dass in einem demokratischen Staat demokratisch beschlossene Gesetze nicht angewandt und durchgesetzt werden. Das kann doch auch nicht im Interesse derjenigen liegen, die mit den konkreten Regelungsinhalten möglicherweise nicht einverstanden sind.

   Es wird in einer Gesellschaft immer welche geben - vielleicht sogar einige große Unternehmen -, die das anders sehen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Widerstand gegen Gesetze kommt doch von Ihrer Seite! Die Grünen haben doch Widerstand geleistet! Heuchler!)

Zu einem Rechtsstaat gehört aber, dass beschlossene Gesetze auch durchgesetzt werden. Wer das als Politiker nicht einsieht - das will ich ganz deutlich sagen; Sie wissen schon, wen ich meine -, der untergräbt die Basis, auf der wir gemeinsam stehen. Das kann niemand wollen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Mit der eben zitierten Aussage wird wissentlich unterschlagen, dass die Bundesregierung bereits in den vergangenen Jahren die Besteuerung und wesentliche Regelungen betreffend den Arbeitsmarkt deutlich beschäftigungsfreundlicher ausgestaltet hat, als sie zu Zeiten der Vorgängerregierung jemals waren. Dank der Steuerreform 2000 gibt es inzwischen historisch niedrige Steuersätze bei der Einkommensteuer. Im Unternehmensteuerbereich haben wir die Körperschaftsteuer für thesaurierte und ausgeschüttete Gewinne deutlich reduziert. Mit einer Steuerquote von knapp über 20 Prozent ist Deutschland in der Europäischen Union der Fünfzehn das Land mit der niedrigsten Steuerquote. Selbst in der Europäischen Union der Fünfundzwanzig gibt es nur wenige Länder, die eine niedrigere Steuerquote als wir haben.

   Wenn wir uns die um die Sozialversicherungsabgaben erweiterte Abgabenquote anschauen, erkennen wir ebenfalls: Wir liegen mit 36,2 Prozent im europäischen Mittelfeld. Die Bundesregierung hat zudem die Arbeitsmärkte modernisiert und sie hat durch die Regelungen zur Ich-AG sowie vor allem durch die Minijobs eine unbürokratische Möglichkeit für mehr legale Beschäftigung geschaffen. Die Brücke in den ersten Arbeitsmarkt ist deutlich verbreitert worden.

   Diese Strukturreformen müssen und werden wir konsequent fortsetzen; aber wir dürfen nicht übersehen, dass mehr legale Beschäftigung durch die gewerbsmäßige und organisierte Schwarzarbeit gefährdet wird, die sich nur mit verstärkter Kontrolle wirksam zurückdrängen lässt.

   Im Interesse aller steuerehrlichen Bürger und Unternehmer haben wir deshalb eine abgestimmte Strategie zur Bekämpfung der Schwarzarbeit entwickelt. Sie hat drei Säulen: eine Brücke in die Legalität für die Bürgerinnen und Bürger, die Schaffung leistungsfähiger Strukturen im Zoll zur Bekämpfung der gewerbsmäßigen Schwarzarbeit und die transparente Bündelung der Rechtsvorschriften zur Schwarzarbeit, wobei auch Regelungslücken geschlossen werden.

   Die leistungsfähige Kontrolle und Ahndung richten sich dabei gegen die gewerbsmäßige Schwarzarbeit. Es geht zum Teil um organisierte Wirtschaftskriminalität, die wir nicht verniedlichen dürfen.

   Außerhalb des Gesetzentwurfs haben wir im organisatorischen Bereich bereits Änderungen vorgenommen, mit denen moderne und schlagkräftige Strukturen aufgebaut werden. Dafür haben wir das gemeinsame Dach „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ geschaffen. In der „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ arbeiten nach Zusammenführung des in diesem Bereich tätigen Personals der Bundesagentur für Arbeit und der Zollverwaltung derzeit über 5 000 Personen. Künftig werden es 7 000 sein. Die „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ ist flächendeckend an 113 Standorten vertreten. Bei der Oberfinanzdirektion Köln haben wir eine zentrale Abteilung als serviceorientierten Ansprechpartner für alle Bürger und alle betroffenen Behörden eingerichtet.

   Durch dieses Gesetz werden die Regelungen zur Verfolgung von Schwarzarbeit und der damit einhergehenden Steuerhinterziehung auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt. Um künftig deutlich zu beschreiben, was Schwarzarbeit tatsächlich ist, definiert das Gesetz erstmals den Begriff der Schwarzarbeit entsprechend dem allgemeinen Sprachgebrauch.

   Außerdem werden erstmals die Kontrollregelungen aus den verschiedenen Vorschriften, insbesondere des Sozialgesetzbuchs, inhaltlich zusammengeführt. Dabei werden die Prüfungs- und Ermittlungsrechte der Zollverwaltung erweitert, damit die Verfolgung der Schwarzarbeit und der illegalen Beschäftigung noch effektiver und effizienter durchgeführt werden kann. Die Zusammenarbeit der Zollverwaltung mit den Länderfinanzbehörden wird ebenfalls weiter ausgebaut.

   Bereits heute wird Schwarzarbeit strafrechtlich verfolgt. Sie ist regelmäßig mit Steuerhinterziehung, Betrug zulasten der Leistungsträger, der sozialen Sicherungssysteme, oder Verstößen gegen das Ausländerrecht verbunden und insoweit strafbar. Einige Strafbarkeitslücken werden durch das Gesetz geschlossen, damit ganz deutlich wird, dass Schwarzarbeit kein Kavaliersdelikt ist.

   Noch eine weitere Klarstellung: Wir wollen nicht die Hilfeleistungen durch Angehörige und Nachbarschaftshilfe in den Mittelpunkt rücken und diese schon gar nicht kriminalisieren. Das war auch nie ein Ansatzpunkt dieses Gesetzes. Wie Sie wissen, haben wir - ich habe darauf hingewiesen, dass es uns darum geht, den Bürgerinnen und Bürgern den Weg in die Legalität zu erleichtern - mit den Minijobs gerade für die Privathaushalte ganz einfache und im Übrigen auch preiswerte legale Regelungen geschaffen. Ich kann nur hoffen - daran müssen wir alle arbeiten -, dass diese Regelungen in Anspruch genommen werden. Nachbarschaftshilfe ist selbstverständlich zulässig, solange keine nachhaltige Gewinnerzielungsabsicht vorliegt.

   Schwarzarbeit muss im Interesse aller Steuerehrlichen bekämpft werden, um wieder mehr Raum für legale Beschäftigung zu schaffen. Wir alle in diesem Hause - ich sage das auch in Richtung Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände - sollten deswegen an einem Strang ziehen, auch wenn wir in Einzelheiten unterschiedlicher Meinung ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   7 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Zollverwaltung, die für die Kontrolle zuständig sind, können zwar mehr als bisher tun. Schwerpunktmäßig muss auch viel mehr getan werden, zum Beispiel auf Baustellen, wo es vielfach besonders kriminell zugeht, oder in Branchen, über die ich vorhin gesprochen habe. Letzten Endes hängt der Erfolg all dessen, was wir hier diskutieren und beschließen, davon ab, ob wir ein gesellschaftliches Klima haben, in dem der gesetzestreue und steuerehrliche Bürger nicht der Dumme ist. Mit anderen Worten: Das normale Verhalten unserer Gesellschaft sollte sein, den Gesetzen zu entsprechen. Es nutzt am Schluss allen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile Kollegin Elke Wülfing, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Elke Wülfing (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben eben davon gesprochen, dass Sie Politik für mehr Beschäftigung machen oder machen wollen. Ich habe heute Morgen die Arbeitslosenzahlen gesehen. Daran kann man das nicht so richtig ablesen. Auch an der Erwerbstätigenstatistik kann man das nicht so richtig ablesen. Ich habe vielmehr das Gefühl, dass der einzige Wirtschaftszweig, der wirklich wächst, die Schattenwirtschaft ist.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Betrug der geschätzte Umsatz 1998 noch 280 Milliarden Euro, so lag er im Jahr 2003 schon bei 370 Milliarden Euro. Das ist eine Steigerung um 32 Prozent in sechs Jahren rot-grüner Bundesregierung.

   Sie haben zwar immer wieder den untauglichen Versuch unternommen, mit höheren Strafen und mit mehr Bürokratie die Schattenwirtschaft und die Schwarzarbeit zu bekämpfen; aber man hat fast das Gefühl: Je mehr Sanktionen Sie erfunden haben, desto stärker wuchs die Schattenwirtschaft.

   Zum 1. Januar 1999 haben Sie das Arbeitnehmer-Entsendegesetz - das war noch ein Gesetz aus unserer Regierungszeit - verschärft. Vom 30. August 2001 ist Ihr Gesetz zur Eindämmung illegaler Betätigung im Baugewerbe, das uns die unsägliche Bauabzugsteuer gebracht hat.

(Hans Eichel, Bundesminister: Bayern, Hessen und Baden-Württemberg! - Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das haben Bayern und Hessen beantragt!)

- Ich bin mit meinem Vortrag doch noch gar nicht fertig, Frau Scheel.

(Ute Kumpf (SPD): Wenn Sie schon so falsch anfangen!)

Das mit der Bauabzugsteuer war für uns ein Aha-Erlebnis. Ich war damals Berichterstatterin und war darüber erschrocken, wie es gewirkt hat. Es war so, wie Sie das immer wieder machen: Sie überziehen 100 Prozent der Unternehmen mit einer Riesenbürokratie. Dann stellen Sie fest, dass vielleicht ein Bruchteil wirklich illegal arbeitet.

   Vom September 2001 ist Ihr Gesetz zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung im gewerblichen Güterkraftverkehr. Am 1. August 2002 ist das Gesetz zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit in Kraft getreten. Die Generalunternehmerhaftung ist darin enthalten; der Straf- und Bußgeldrahmen wurde erhöht.

   Zum 1. Januar 2004 gab es noch ein Gesetz, nämlich das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, das der Zollverwaltung die Aufgabe der Bekämpfung der Schwarzarbeit zuwies. Damit ist auch das Arbeitnehmer-Entsendegesetz unter Ihrer Regierung zum dritten Mal geändert worden.

   Ich will damit sagen: Wir haben in fünf Jahren das sechste Gesetz gegen die Schattenwirtschaft, und zwar mit dem bezeichnenden Namen „Gesetz zur Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und damit zusammenhängender Steuerhinterziehung“, weil alle anderen Gesetze anscheinend nichts gebracht haben.

   Nun will der Bundesfinanzminister hierdurch gern 1 Milliarde Euro einfahren. Das Geld ist im Haushalt schon verbraten. Der Personalaufwand wird immer höher. 7 000 Beamte von Zoll- und Arbeitsverwaltung sollen in einer Bundesstrafverfolgungsbehörde mit einer Bundesdatenbank jetzt so richtig auf die Menschen losgelassen werden. Das heißt, die Kosten des Kontrollstaates steigen stark.

(Zuruf von der SPD)

- Das interessiert Sie vielleicht nicht so sehr. - Die Mehreinnahmen, die man sich davon erwartet, stehen weiter in den Sternen.

   Nach dieser Erfahrung von fünf ziemlich unwirksamen Gesetzen ist der rot-grünen Bundesregierung anscheinend immer noch nicht bewusst, weswegen die Schattenwirtschaft zurzeit der einzig stark wachsende Wirtschaftszweig ist. Der Hauptgrund der wachsenden Schattenwirtschaft ist die zu hohe Belastung der Bruttolöhne mit Steuern und Abgaben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Florian Pronold (SPD): Dann hätte die Schwarzarbeit zu Ihrer Regierungszeit noch viel höher sein müssen!)

Hohe Beitragslasten für Arbeitnehmer und Arbeitgeber und nach wie vor zu hohe Steuersätze scheinen bei vielen Bürgern zunehmend die Auffassung zu verstärken, dass man sich irgendwie dem Zugriff des Staates entziehen dürfte.

   Es liegt aber auch daran, dass der Abgabenkeil zwischen den Kosten des Auftraggebers und dem Nettoeinkommen der Ausführenden einfach zu hoch ist. Hieraus entsteht für beide Seiten der Anreiz, Lösungen zu finden, die, ganz marktwirtschaftlich, für beide Seiten einen Vorteil bieten zumeist, indem Fiskus und Sozialkassen außen vor gelassen werden. Woran liegt das? Man braucht sich nur einmal ein Beispiel anzuschauen: 1966 musste ein Malergeselle 1,7 Stunden arbeiten, um seine eigene Handwerksstunde bezahlen zu können. 1980 waren es schon vier Stunden und im Jahr 2002 dann schließlich ganze sechs Stunden. Daran liegt es, dass legale Arbeit durch Schwarzarbeit ersetzt wird. Je höher die Steuer- und Abgabenlast ist, umso stärker ist die Abwanderung von legaler Arbeit in die Schwarzarbeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Nun hatte sich diese Bundesregierung ja freundlicherweise vorgenommen und auch im Koalitionsvertrag festgeschrieben, die Sozialabgabenquote auf unter 40 Prozent zu senken. Das ist ihr leider nicht gelungen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Wie so vieles nicht!)

Zwar haben Sie mithilfe einer viermaligen Erhöhung der Ökosteuer versucht, immer mehr Steuergelder in die Sozialversicherungen hineinzupumpen. Aber warum haben Sie es gemacht? Weil Sie den Menschen nicht erklären wollten, dass unsere Sozialversicherungssysteme dringend reformbedürftig sind. Genutzt hat es Ihnen auch nichts; denn die Abgabenquote ist wieder bei 42 Prozent angelangt. Das heißt, auf jedem Arbeitsverhältnis in Deutschland lasten weiterhin brutto zu hohe Kosten und netto bleibt dem Arbeitnehmer zu wenig übrig. Das fördert Schwarzarbeit.

   Außerdem sind natürlich übertriebene Regulierungen des Arbeitsmarktes ein weiterer Grund für das Anwachsen der Schwarzarbeit, denn diese kennt keine Regulierungen. Die Ausführung legaler Tätigkeiten erfordert kaum noch zumutbare Kenntnisse. Fragen Sie einmal Gastwirte, wie es ihnen geht. Es ist erforderlich, dass man eine riesige Zahl von Vorschriften überblickt; das kann aber kaum einer. Diese Regierung hat dazu beigetragen, aber natürlich auch die Tarifparteien. Schauen Sie sich einmal einen Tarifvertrag an: Den werden auch Sie nicht von vorne bis hinten verstehen. Schließlich haben auch die Gerichte gerade durch Urteile zu arbeitsrechtlichen Vorschriften dazu beigetragen. All dies stößt auf fehlendes Verständnis und mangelnde Akzeptanz. Deswegen sinkt die Bereitschaft der Bürger, Steuern und Abgaben zu zahlen, immer weiter. Wir brauchen deshalb dringend ein neues Arbeitsrecht, damit sich legale Arbeit endlich wieder lohnt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Das gilt natürlich auch für Sozialhilfe- und Arbeitslosenhilfeempfänger. Es müssen Kombilöhne für Geringverdiener und einfach strukturierte Arbeit eingeführt werden. Es ist nämlich nicht zu erklären, warum ein arbeitsfähiger Sozialhilfeempfänger pro Kind 50 Euro im Monat verliert, wenn er eine Arbeit aufnimmt. Das macht Beschäftigung gegenüber der Sozialhilfe unattraktiv und führt ebenfalls zur Schwarzarbeit. All diese Ursachen machen deutlich, dass die Schattenwirtschaft unweigerlich steigen musste. Sie wird weiter steigen, wenn die Anreizsysteme von dieser rot-grünen Bundesregierung weiterhin so falsch gestaltet werden, wie es zurzeit geschieht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion legt Wert darauf, zu betonen, dass wir das Ziel dieses Gesetzes selbstverständlich begrüßen. Wer würde das nicht tun?

(Florian Pronold (SPD): Dann hätten Sie auch einmal einen Satz dazu sagen können!)

- Ich bin noch nicht fertig. Ich habe immer noch zweieinhalb Minuten Zeit.

   Der Gesetzentwurf selber setzt jedoch einseitig auf Repression - wie alle seine Vorgänger - und bekämpft nicht die wirklichen Ursachen der Schwarzarbeit. Die repressiven Maßnahmen stoßen an die Grenzen ihrer Wirksamkeit; denn ein entsprechendes Unrechtsbewusstsein kann bei dieser Politik der rot-grünen Bundesregierung nicht vorhanden sein.

(Florian Pronold (SPD): Durch solche Reden wird es auch nicht gefördert!)

- Sehr geehrter Herr Pronold, Sie werden wahrscheinlich gleich Gelegenheit haben, sich hier hinzustellen und einmal zu begründen, warum Sie die Menschen mit immer mehr Repression belasten wollen, statt sie von Lohnzusatzkosten und Lohnnebenkosten zu entlasten, damit den Arbeitnehmern endlich mehr Geld in der Tasche bleibt und der Arbeitsplatz in Deutschland brutto nicht mehr so teuer ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   An der Berechtigung der Kritik an dem Gesetzentwurf gibt es gar keinen Zweifel; denn - die Anhörung hat es sehr deutlich gemacht - er ist ganz offensichtlich ein ziemliches Sammelsurium. Wenn Sie ihn mit den Ländern besser abgestimmt hätten, dann wäre es gut gewesen. Aber Sie haben in 43 Änderungsanträgen selber festgestellt, dass die Zusammenarbeit zwischen Zoll, Polizei, Strafverfolgungsbehörden und Finanzbehörden offensichtlich nicht in Ordnung ist. In Ihren Anträgen wird höchstens zum Teil auf die organisierte Kriminalität und die Geldwäsche - Punkte, auf die wir großen Wert legen und immer großen Wert gelegt haben - eingegangen. Genau diese Kriminalität ist aber das Problem und nicht die Menschen, die Schwarzarbeit leisten.

(Joachim Poß (SPD): Die CDU ist das Problem! - Florian Pronold (SPD): Die Partei der schwarzen Koffer!)

In diesem Punkt sind Sie unseren Anträgen nicht wirklich gefolgt. Auch deswegen werden wir diesen Gesetzentwurf ablehnen.

   Außerdem scheint Ihnen Folgendes Spaß zu machen: Sie haben unter Clement eine neue Handwerksordnung geschaffen. Was machen Sie jetzt mit diesem Gesetz? Die neue Handwerksordnung - dazu wird sicher Herr Hinsken, der in dieser Debatte ebenfalls noch sprechen wird, einiges sagen wollen - wird von Ihnen von innen ausgehöhlt; denn eine fehlende Eintragung in die Handwerksrolle oder ins Gewerberegister soll von Ihnen von der Schwarzarbeit ausgenommen werden. Das schadet dem Handwerk und fördert die Ich-AGs. Mit uns nicht, meine sehr geehrten Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Außerdem verletzten Sie den Grundsatz „in dubio pro reo“, „im Zweifel für den Angeklagten“, indem Sie Unternehmen von öffentlichen Aufträgen ausschließen wollen, wenn es nur ein Verdachtsmoment gibt.

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ein begründetes Verdachtsmoment!)

So steht es im Gesetz. Wir sind nicht der Meinung, dass das richtig ist. Ich denke, ein Unternehmen muss erst verurteilt worden sein, ehe es von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden darf. Das hat unser Rechtssystem so vorgesehen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Besonders kurios ist die Pflicht zur zweijährigen Aufbewahrung von Rechnungen für private Auftraggeber.

(Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Das macht doch jeder!)

Dazu möchte ich nur eines anführen. Professor Reiß von der Uni Erlangen hat uns dazu in seiner Stellungnahme zu der Anhörung deutliche Worte ins Gewissen geschrieben. Ich will Ihnen das nicht vorenthalten; es ist zu schön:

Die Einführung einer bußgeldbewehrten Aufbewahrungspflicht für private Auftraggeber ist trotz des hehren Zieles schlicht lächerlich. Von solchen Mätzchen sollte ein Gesetzgeber Abstand nehmen, wenn er noch den Anspruch erhebt, ernst genommen zu werden.

Das ist alles Zitat, nicht meine Erfindung.

Man darf gespannt sein, welche Aufklärungsmaßnahmen der Gesetzgeber noch vorschlagen wird, damit die geneigte Bevölkerung wenigstens von dieser völlig neuartigen Verpflichtung erfährt. Oder soll sie erst durch die Verhängung von Bußgeldern aufgeklärt werden?

   Ich brauche dem nichts hinzuzufügen

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

als das, was unsere Fraktionsvorsitzende, Angela Merkel, zu solchen Themen immer sagt: Sie können hinter jeden Bürger einen Kontrolleur stellen, der Bürger wird sich immer eine Finte ausdenken, wie er sich dieser Kontrolle entziehen kann. - Ich finde, wo sie Recht hat, hat sie Recht, und sie hat fast immer Recht, in allen Bereichen, zu denen sie sich äußert.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Betonung liegt auf „fast“!)

Sie äußert sich sehr oft und ich bin sehr, sehr glücklich darüber.

   Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion lehnt diesen Gesetzentwurf ab. Sie macht allerdings sehr deutlich, dass wir ein Gesamtkonzept zur Bekämpfung der Schwarzarbeit brauchen.

Bei der Bekämpfung der Schwarzarbeit darf man aber nicht in einseitiger Art und Weise auf repressive Maßnahmen setzen, sondern man muss präventive und repressive Maßnahmen in ausgewogener Weise miteinander verbinden.

   Des Weiteren müssen wir die Staatsausgaben endlich in den Griff bekommen, Herr Eichel. Die Staatsquote muss mittelfristig wieder geringer als 40 Prozent sein. Dann haben wir Spielraum für Steuersenkungen.

   Da wir beim Steuerkonzept sind, möchte ich herzlich darum bitten, dass Sie sich unser „Konzept 21“ einmal anschauen. Ich denke, diesem Konzept könnten Sie gut folgen.

(Horst Schild (SPD): Völlig unausgegoren!)

   Wir brauchen unbedingt ein steuerpolitisches Gesamtkonzept; denn unsere Steuern sind weiterhin zu hoch. Wir brauchen außerdem die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes.

Präsident Wolfgang Thierse:

Liebe Kollegin, Sie haben Ihre Redezeit schon deutlich überschritten.

(Florian Pronold (SPD): Bitte noch ein bisschen! Es war gerade so schön! - Franz Müntefering (SPD): Lass sie noch weiterreden! - Jörg-Otto Spiller (SPD): Dann geht es jetzt über in Schwarzarbeit!)

Elke Wülfing (CDU/CSU):

Danke für den Hinweis.

   Ich denke, dass der Gesetzentwurf zu Recht deutlich kritisiert worden ist. Trotzdem danken wir den Kolleginnen und Kollegen für die faire Beratung und auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die viele Arbeit.

   Wir lehnen den Gesetzentwurf aus den genannten Gründen ab. Wir brauchen ein schlüssiges Gesamtkonzept zur Bekämpfung der Schwarzarbeit. Es darf nicht allein so sein, dass die Bürger bestraft werden. Sie müssen auch von Lohnzusatzkosten entlastet werden. Dann wird die Schwarzarbeit zurückgehen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Christine Scheel, Bündnis 90/Die Grünen.

Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Wülfing, es geht nicht um die Frage: Repressionen, ja oder nein?

(Elke Wülfing (CDU/CSU): Warum machen Sie es dann?)

Es geht hier und heute vielmehr darum, einen gesetzlichen Beitrag zur Bekämpfung der organisierten und vor allem der gewerblichen Schwarzarbeit zu leisten. Darum geht es und um nichts anderes.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Zuruf von der CDU/CSU: Genau das machen Sie nicht! Das ist das Problem!)

   Es ist die typische Nummer der Union, die wir schon aus anderen Zusammenhängen kennen: Mit fadenscheinigen und an den Haaren herbeigezogenen Begründungen wird versucht, ein Gesetz schlechtzureden, weil man nicht weiß, wie man sich verhalten soll.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Weil es Murks ist!)

Das ist Ihr Spiel: Auf der einen Seite wollen Sie Schwarzarbeit bekämpfen, fügen jedoch hinzu: Aber nicht so. Auf der anderen Seite gibt es keine Vorschläge von Ihnen, wie es besser geht.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Wir haben einen Entschließungsantrag eingebracht, Frau Kollegin! Da steht alles drin!)

   Heute liegt ein Gesetz vor, mit dem das Problem der großen Schattenwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland angegangen wird. Es ist spannend, zu beobachten, wie selbst Gesetze diffamiert werden, die aus unionsregierten Ländern kommen. Frau Kollegin Wülfing, die Bauabzugsteuer ist eine Erfindung von Herrn Koch aus Hessen und Herrn Stoiber aus Bayern. Wir haben diese Idee aufgenommen, sie verbessert und umgesetzt, teilweise gegen die Stimmen der Union. Es ist schon interessant: Zuerst bringen Ihre eigenen Ministerpräsidenten, die Sie sehr schätzen, Gesetzentwürfe ein. Aber wenn es konkret wird, dann tauchen Sie jedesmal ab.

(Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Von Stoiber lernen heißt siegen lernen!)

Das verstehe ich unter Scheinheiligkeit. Wir müssen deshalb sagen: So, wie sich die Opposition in diesem Land verhält, kommen wir - auch bei dem Thema, über das wir heute reden - keinen Schritt weiter.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Es ist ein sehr ernstes Thema, über das wir heute reden; denn organisierte gewerbliche Schwarzarbeit ist kein Kavaliersdelikt, sondern organisierte Wirtschaftskriminalität. In dem heute zu verabschiedenden Gesetz zur Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und auch der damit verbundenen Steuerhinterziehung, die man nicht unterschätzen darf, definieren wir Schwarzarbeit und grenzen sie von der Nachbarschaftshilfe und Selbsthilfe ab. Wir wollen die Bereiche treffen, die für unsere Wirtschaft schädlich sind; darüber haben wir in diesem Hohen Hause immer wieder gesprochen. Wir müssen aus Wettbewerbsgründen dafür sorgen, dass diejenigen, die sich in diesem Land bereichern und die dem Wettbewerb schaden, strafrechtlich besser verfolgt werden können, als es bisher der Fall gewesen ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Ziel dieses Gesetzes ist es, alle Versuche - auch die strafrechtlichen Regelungen - zur Bekämpfung der Schwarzarbeit, die bislang unternommen worden sind, in einem Gesetz zusammenzuführen. Es werden Prüfaufgaben beim Zoll zusammengefasst. Wir haben im Rahmen der Ausschussberatungen von den Sachverständigen, die in diesem Betrugsbekämpfungsbereich arbeiten, Anregungen aufgenommen, die Zusammenarbeit der ermittelnden Behörden, der Kriminalpolizei, des Zolls, der Steuerfahndung sowie der Staatsanwaltschaften, besser und gezielt zu regeln. Das liegt im Interesse dieser Behörden. Dies liegt auch im Interesse der Politik und müsste auch im Interesse der Opposition liegen. Das sollte man nicht kleinreden.

(Elke Wülfing (CDU/CSU): Weil das Gesetz so schlecht gemacht ist)

Man sollte vielmehr Farbe bekennen, ob man will, dass all diese Behörden besser zusammenarbeiten. Wenn man das will, sollte man diesem Gesetzentwurf auch zustimmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Zuruf von der CDU/CSU: Sie machen doch genau das Gegenteil!)

   Es wird gemeinsame Ermittlungsgruppen der Behörden gegen die organisierte gewerbliche Schwarzarbeit geben. Der Personaleinsatz beim Zoll wird erheblich verbessert. Die im Gesetzentwurf zusammengeführten und zum Teil erhöhten Strafmaße zur Bekämpfung der gewerblichen Schwarzarbeit sollen auf der einen Seite das Unrechtsbewusstsein verstärken und von der Organisierung gewerblicher Schwarzarbeit abschrecken. Auf der anderen Seite wollen wir den Weg zu einer unternehmerischen Entscheidung für legales Verhalten stärker betonen.

   Das ist der Sinn und Zweck dieses ganzen Unterfangens; denn wir alle wissen doch, dass gerade der Konkurrenzkampf im Rahmen privater oder öffentlicher Vergabeverfahren - ich denke beispielsweise an Bauaufträge - sehr häufig zu illegalem Verhalten verleitet. Deswegen brauchen wir in Deutschland bei Vergabeverfahren einen fairen Kostenwettbewerb, der unter Ausschluss von illegalem Verhalten erreichbar ist. Auch dem dient dieses Gesetz. Wir wollen illegales Verhalten beenden und dafür sorgen, dass das strafrechtliche Risiko erhöht wird, bei der Organisierung von Schwarzarbeit entdeckt und dann auch bestraft zu werden.

   Ich bin mir bewusst, dass legales Verhalten angesichts erheblicher Gewinnvorteile durch illegales Verhalten allein durch Strafandrohungen nicht erreichbar ist; das ist natürlich richtig. Aber die Steigerung des Entdeckungsrisikos mit erheblichen strafrechtlichen Folgen und mit der Androhung von finanziellen Vermögensverlusten kann den Prozess hin zu mehr Ehrlichkeit im Wettbewerb verbessern. Es geht darum, dass man diesen Prozess insgesamt verbessert, dass man sagt: Wir sind für Ehrlichkeit im Wettbewerb, und zwar zum Schutz derjenigen Unternehmen, die in diesem Staat einen ordentlichen Beitrag zum Sozialversicherungsaufkommen, aber auch zu den Steuereinnahmen leisten. Das ist ein richtiges Ansinnen. Deswegen kann ich nur sagen: Ich verstehe wirklich nicht,

(Hans Michelbach (CDU/CSU): Sie verstehen so vieles nicht!)

dass sich die Union diesem Anliegen nicht anschließen kann.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Dass Sie so vieles nicht verstehen, ist das Problem!)

Es geht auch um die Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität und vielem mehr.

   Natürlich bleibt das ordnungspolitische Ziel eines fairen, funktionsfähigen Wettbewerbs und niedrigerer Lohnnebenkosten bestehen; das ist völlig richtig. Das hat aber mit diesem Gesetz nichts zu tun; das muss man an anderen Stellen regeln. Wir tun dies teilweise mit großen Anstrengungen. Aber all die Reformbemühungen und Reformvorschläge, die in der Vergangenheit auf dem Tisch gelegen haben, um dieses Ziel zu erreichen, haben Sie abgelehnt.

(Elke Wülfing (CDU/CSU): Das ist Quatsch!)

Es ist scheinheilig, andere Gesetze anzuführen, Forderungen aufzustellen, zu glauben, dass man mit diesen Begründungen ein so gutes Gesetz ablehnen kann, und dann, wenn Maßnahmen auf dem Tisch liegen, diese immer wieder abzulehnen.

   Ich kann Sie nur auffordern: Stimmen Sie diesem Gesetzentwurf zu! Wir erfüllen damit eine ordnungspolitische Aufgabe. Wir leisten hiermit einen weiteren Beitrag zur Bekämpfung der Schwarzarbeit. Ich hoffe, dass sich die Opposition dem - ich muss es wirklich noch einmal sagen - nicht entzieht und Sie dieses Gesetz nicht schlechtreden, sondern Ihren Beitrag leisten, indem Sie sagen: Das ist gut so. Auch wir wollen daran arbeiten. Deswegen unterstützen wir in dieser Frage die Regierung.

   Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Carl-Ludwig Thiele, FDP-Fraktion.

Carl-Ludwig Thiele (FDP):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zunächst zu Ihnen, Herr Finanzminister Eichel: Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu, dass wir eine Politik für mehr Beschäftigung in Deutschland benötigen. Ich muss aber gleichzeitig feststellen: Sie sind seit fünfeinhalb Jahren mit Rot-Grün an der Regierung und die Arbeitslosigkeit in Deutschland hat einen noch nie da gewesenen Höchststand erreicht.

(Widerspruch bei der SPD)

Wir teilen zwar alle Ihre Zielsetzung, aber die als Folge Ihrer Politik eingetretene Wirklichkeit ist das genaue Gegenteil dieser Zielsetzung.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Ich möchte einen zweiten Punkt ansprechen. Wir sind alle darüber froh, dass sich im Bereich der geringer bezahlten Tätigkeiten durch die Regelung der Minijobs für Millionen von Menschen in unserem Land die Möglichkeit eröffnet hat, sich etwas weiß, also durch legale Tätigkeit, hinzuverdienen zu können.

   Ich möchte allerdings an die Vorgeschichte dieses Gesetzes erinnern: Es war die rot-grüne Regierung, die 1998/99 die damalige 630-Mark-Regelung abgeschafft hat.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Was hat man sich dabei wohl gedacht!)

Jetzt möchte ich mich ganz konkret an Sie, Herr Finanzminister Eichel, wenden. Das Land Hessen hatte damals eine neue Landesregierung und Sie aus dem Amt gewählt. Sie haben dann zu Recht gesagt, Sie akzeptierten die Entscheidung des Wählers. Keine Entscheidung, die im Bundesrat auf die Stimmen des Landes Hessen angewiesen ist, solle mithilfe Hessens zum Gesetz werden. Danach haben Sie Ihre Eintrittskarte ins Kabinett dadurch gezogen, dass Sie dafür gesorgt haben, dass die 630-Mark-Arbeitsverhältnisse mit den Stimmen Hessens abgeschafft wurden. Das hat Millionen von Menschen in unserem Land massiv betroffen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Und es bedurfte wirklich jahrelanger Anstrengungen, bis sich ein Teilerkenntnisprozess bei Ihnen - von der FDP und der Union getrieben - im Vermittlungsverfahren konkretisieren konnte, sodass die 400-Euro-Minijobregelung eingeführt wurde. Hier haben Sie Verantwortung getragen und wir haben versucht, Korrekturen vorzunehmen. Je stärker wir über den Bundesrat die Gelegenheit bekommen, Ihre Politik zu korrigieren, desto besser ist das für unser Land. Das hat man auch an dieser Regelung gesehen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Schwarzarbeit ist Realität in Deutschland. Naturgemäß lässt sie sich statistisch nicht erfassen. In der Antwort auf eine Anfrage der FDP wurde im Frühjahr letzten Jahres bereits darauf hingewiesen, dass gut 350 Milliarden Euro - das sind mehr als 16 Prozent dessen, was in unserem Land pro Jahr erwirtschaftet wird - durch Schwarzarbeit erwirtschaftet werden. Weit mehr als 9 Millionen Menschen sollen zumindest teilweise in der Schattenwirtschaft tätig sein.

   Die FDP tritt dafür ein, dass schwere Fälle von gewerblicher Schwarzarbeit konsequent, auch durch Zollfahnder, verfolgt werden. Hierbei geht es häufig um organisierte Wirtschaftskriminalität. Dadurch werden die Firmen im Wettbewerb benachteiligt, schlechter gestellt und möglicherweise aus dem Markt gedrängt, Firmen, die ihre Steuern und Abgaben gesetzmäßig zahlen. Deshalb ist es richtig, dass schon jetzt Schwarzarbeit verboten ist. Verstöße dagegen werden auch schon jetzt strafrechtlich verfolgt.

   Die FDP begrüßt daher die Zielsetzung des Gesetzentwurfs, Schwarzarbeit, insbesondere in banden- und gewerbsmäßig organisierter Form, zu bekämpfen. Allerdings ist die FDP der Auffassung, dass dieser Gesetzentwurf nicht geeignet ist, zur Umsetzung dieses Ziels entscheidend beizutragen. Der Gesetzentwurf spiegelt Lösungsmöglichkeiten vor, die die Schwarzarbeit nicht nennenswert bekämpfen können; denn solange nicht an die Ursachen der Schwarzarbeit gegangen wird, bleiben alle diese Gesetzesvorhaben nur an der Oberfläche.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es, dass ein neues Unrechtsbewusstsein gegenüber Schwarzarbeit geschaffen und durch Hilfestellungen für die Bürgerinnen und Bürger rechtmäßiges Verhalten gefördert werden soll. Von Hilfestellungen für die Bürger finde ich in diesem Gesetzentwurf nichts. Durch noch mehr Ordnungsmaßnahmen und noch mehr Bürokratie werden keine weiteren Anreize gesetzt, statt schwarz weiß zu arbeiten.

   Seit 1998 hat Rot-Grün eine Gesetzesinitiative nach der anderen zur Bekämpfung der Schwarzarbeit beschlossen: das Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte, das Gesetz zur Eindämmung illegaler Betätigung im Baugewerbe, das Gesetz zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung im gewerblichen Güterkraftverkehr, das Gesetz zur Erleichterung der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung und Schwarzarbeit und das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt.

   Dies sind nur die Gesetze, die sich konkret damit beschäftigt haben. Dabei habe ich noch die einzelnen Vorschriften in anderen Gesetzen außer Acht gelassen, die zusätzlich beschlossen worden sind. Nur können wir an dieser Stelle keine Effekte feststellen. Wir können aber feststellen, dass die Schwarzarbeit in Deutschland trotz dieser weiteren Regulierungswut zunimmt.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Ja!)

   Wir haben an dieser Stelle nämlich kein Gesetzes-, sondern ein Vollzugsdefizit. Daher werden noch mehr Gesetze gegen illegale Betätigung und Beschäftigung die Probleme nicht lösen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie werden vor allen Dingen nicht gelöst, solange Sie nicht an die Ursachen der Schwarzarbeit gehen. Der Staat kann mit schärferen Kontrollen und neuen Befugnissen für die Zollbehörden zur Bekämpfung der Schwarzarbeit kein neues Unrechtsbewusstsein bei den Bürgern schaffen. Dieses wird nicht eintreten, solange es in unserem Lande bei zu hohen Steuern und Abgaben und einer überbordenden Bürokratie bleibt. Man muss deshalb an die Ursachen der Schwarzarbeit gehen. Man muss die Gesetze der sozialen Marktwirtschaft wieder entdecken, damit sich unser Land von sich heraus wieder entwickeln kann.

   Worin liegen denn die Ursachen der Schwarzarbeit? - Wir haben eine viel zu hohe Steuer- und Abgabenbelastung. Der viel wirksamere Weg zur Bekämpfung der Schwarzarbeit wäre eine Rückführung der Steuer- und Abgabenbelastung. Hier muss angesetzt werden. Es ist doch für einen Kfz-Gesellen oder Maler überhaupt nicht verständlich, dass er, gemessen an seinem Bruttolohn, sechs Stunden arbeiten muss, um sich eine einzige Stunde seiner eigenen Arbeitszeit überhaupt leisten zu können.

(Florian Pronold (SPD): Dann sind die Löhne zu niedrig!)

Das Problem besteht doch darin, dass den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern von dem, was sie brutto erarbeiten, netto zu wenig verbleibt. Das liegt daran, dass die Steuer- und Abgabenquote, vor allem aber die Staatsquote in unserem Land viel zu hoch ist. Dieses bezieht sich gerade auch auf die einfachen Tätigkeiten.

   Deshalb ist es gut, dass wir mit den 400-Euro-Jobs - auf die bin ich schon eingegangen - eine Regelung gefunden haben. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber auch an der Stelle könnte mehr geschehen.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): So ist es!)

Warum sind Sie eigentlich nicht bereit, im Bereich der privaten Haushalte das Übel an der Wurzel zu packen? Warum lehnen Sie die von der FDP immer wieder geforderte Regelung ab, hauswirtschaftliche Arbeitsverhältnisse dadurch anzuerkennen, dass die Abzugsfähigkeit dieser Kosten für einen privaten Haushalt bis zu 12 000 Euro im Jahr sichergestellt wird? An dieser Stelle ist pure Ideologie im Spiel, mit der Sie eine vernünftige Regelung verhindern.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   In dem Gesetzentwurf der FDP zur Einführung einer neuen Einkommensteuer haben wir in § 26 vorgesehen, dass im Kalenderjahr nachgewiesene Aufwendungen von bis zu 12 000 Euro vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden können, wenn eine Person in einem hauswirtschaftlichen Beschäftigungsverhältnis, insbesondere zur Pflege des Steuerbürgers, seiner Kinder oder sonstiger Angehörigen, tätig ist. Voraussetzung dafür ist aber, dass das Arbeitsverhältnis sozialversicherungspflichtig ist und eine Lohnsteuerkarte vorliegt. Wir wollen, dass der private Haushalt in diesem Rahmen als Arbeitgeber offiziell anerkannt wird, weil dies ein wirksamer Weg ist, vielen Menschen aus der Schattenwirtschaft, aus der Schwarzarbeit herauszuhelfen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Meine sehr verehrten Damen und Herren von Rot-Grün, wann lernen Sie endlich, dass es andere Möglichkeiten als nur repressive Maßnahmen der Strafverfolgung gibt, Bürger steuerehrlich zu machen? Sie haben hier - das muss der Öffentlichkeit vielleicht doch noch etwas bekannter werden - in § 14 Umsatzsteuergesetz eine Regelung vorgesehen, die jeden Grundstückseigentümer verpflichtet, seine Rechnungen zwei Jahre aufzubewahren, was es bisher überhaupt nicht gegeben hat. In der Begründung dazu heißt es:

Um eine bessere Kontrolle der Versteuerung dieser Umsätze zu ermöglichen, wird der private Empfänger einer ... sonstigen Leistung im Zusammenhang mit einem Grundstück zur Aufbewahrung der erhaltenen Rechung verpflichtet.

Es heißt weiter: Das

soll eine umfassende Kontrolle der Versteuerung der Umsätze durch den leistenden Unternehmer ermöglichen.

   Wollen Sie denn wirklich jedem Gartenarbeiter hinterhergehen und den Grundstückseigentümer verpflichten, die Rechnung für die Leistung, die der Gärtner in seinem Garten erbracht hat, aufzubewahren? Wo leben wir denn? Dadurch werden wir zu einem Überwachungsstaat, den ich wirklich für total falsch halte.

Wir fordern eine drastische Vereinfachung des Wirtschafts-, Arbeits-, Sozial- und Steuerrechts. Die Arbeitskosten müssen gesenkt werden. Wir benötigen eine umfassende Reform der Arbeitsmarktbedingungen. Die Steuerbelastung muss gesenkt werden. Hier muss angesetzt werden.

   Wenn man in Ihrem Gesetzentwurf dann noch liest, dass dadurch in diesem Jahr zusätzliche Einnahmen für den Staat in Höhe von 1 Milliarde Euro erzielt werden sollen, stellt man fest, dass sich an dieser Stelle doch nur das Chaos der Luftbuchungen des Finanzministers fortsetzt. Ihr Haushalt stimmt vorne und hinten nicht; Sie müssen einen Nachtragshaushalt aufstellen. Aber die Mehreinnahmen von 1 Milliarde Euro dürfen Sie getrost wieder herausrechnen, weil Sie sie durch dieses Gesetz nicht bekommen werden.

   Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, ich kann Sie nur bitten: Stellen Sie sich der Wirklichkeit in unserem Lande, nehmen Sie sie zur Kenntnis und bringen Sie Reformen voran, die in unserem Land zu mehr Arbeit, mehr Beschäftigung, mehr Sozialabgaben und mehr Steuereinnahmen führen! Dann kann es aufwärts gehen. Das bedeutet aber, dass wir einen anderen Politikstil brauchen, als Sie ihn bisher an den Tag gelegt haben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Franz Müntefering (SPD): Ab ins Haus der Geschichte! - Weiterer Zuruf von der SPD: Das habt ihr 40 Jahre lang nicht hingekriegt!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Reinhard Schultz, SPD-Fraktion.

Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das waren ja große Töne, die hier bereits am frühen Vormittag zu hören waren. Sie alle liefen darauf hinaus, die Probleme der illegalen Beschäftigung, der Schwarzarbeit, der Schattenwirtschaft und der Hinterziehung von Steuern und Sozialbeiträgen in gigantischem Umfang eher zu verniedlichen, als wirklich den Finger darauf zu legen, welch ein Krebsgeschwür das für unsere Gesellschaft bedeutet.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Ich verstehe es gut, dass Sie, Frau Wülfing, und auch Sie, lieber Herr Kollege Thiele, so vorgehen. Denn das, was Sie in Ihrer Regierungsverantwortung auf diesem Gebiet zustande gebracht haben, war nur durch Verniedlichung gekennzeichnet. Lassen Sie mich an das von Ihnen zitierte Entsendegesetz erinnern, das Norbert Blüm unter dem Druck der Öffentlichkeit im allerletzten Moment gerade noch durch das Parlament gebracht hat, als es auf allen Regierungsgroßbaustellen von Kolonnen ausländischer Arbeiter wimmelte und der Einzige, der dort Deutsch verstand, der holländische Bauleiter war.

(Elke Wülfing (CDU/CSU): Das hat sich nur nicht geändert!)

Diese Situation gab es hier in Berlin. Gleichzeitig waren Hunderttausende Bauarbeiter arbeitslos. Das haben Sie organisiert.

(Elke Wülfing (CDU/CSU): Trotz Ihrer vielen Gesetze hat sich das überhaupt nicht geändert!)

   Die Umsetzung der europäischen Entsenderichtlinie durch die Verabschiedung des Entsendegesetzes so lange hinauszuzögern lag unmittelbar in Ihrem eigenen Interesse. Das war schändlich. Darüber ist damals auch öffentlich diskutiert worden. Jetzt können Sie nicht so tun, als hätten Sie auf diesem Gebiet eine glorreiche Vergangenheit - im Gegenteil.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Sie haben uns hier einen Riesennachholbedarf hinterlassen.

   Herr Thiele, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass während unserer Regierungsverantwortung eine Reihe von Gesetzen verabschiedet wurde; denn es ist ein Riesenproblem, eine mafiös organisierte Struktur am Bau und in anderen Bereichen zu packen.

(Elke Wülfing (CDU/CSU): Das hat doch nichts genützt! Das hat überhaupt nichts genützt!)

In diesem Bereich stellen sich die beteiligten Personen ja nicht etwa und entschuldigen sich, wie es der zerknirschte Autofahrer tut, der dabei erwischt worden ist, dass er bei Rot über die Ampel gefahren ist. Hier bestehen vielmehr Strukturen, deren Drahtzieher meistens überhaupt nicht erwischt werden können, und die dadurch gekennzeichnet sind, dass in einer Kette von Verschachtelungen von Subunternehmertätigkeiten am Ende eine illegale Kolonne steht, die durch Schwarzarbeit, vorbei am Fiskus und an den Sozialsystemen, riesige Gewinne macht. Darum geht es.

   Da wir derzeit eine heftige Diskussion über den angeblichen Widerspruch zwischen einer auf Wachstum ausgerichteten Haushalts- und Finanzpolitik auf der einen Seite und der Notwendigkeit der Konsolidierung der Staatsfinanzen auf der anderen Seite führen, kann ich nur feststellen: Im Lichte unserer heutigen Diskussion besteht dieser Widerspruch eigentlich nicht. Denn wenn wir eine sparsame Haushaltsführung, den Abbau überkommener Subventionen, eine richtige Schwerpunktsetzung auf der Ausgabenseite und eine Senkung der Steuer- und Abgabenlast im Rahmen des Möglichen betreiben und gleichzeitig alle Einnahmen, auf die der Staat und die Sozialversicherungen Anspruch haben, mobilisieren, dann, so denke ich, ist es möglich, sowohl die Finanzen zu konsolidieren als auch Wachstum zu finanzieren. Darum geht es hier.

   Es geht um Beträge von mehreren Milliarden Euro, die am Fiskus und an den Sozialversicherungssystemen vorbeigeschleust werden, die uns schlicht und einfach fehlen und die uns in steigendem Maße in eine finanzielle Notlage bringen. Wenn wir diese Mittel mobilisieren könnten, wäre so manche schwierige Diskussion über Einschnitte in das soziale Netz genauso wenig erforderlich wie die immer wiederkehrende Diskussion über Senkungen auf der Ausgabenseite, was beispielsweise die Investitionen im Bundeshaushalt, in den Haushalten der Länder und in denen der Städte und Gemeinden betrifft.

   Das ist der richtige volkswirtschaftliche bzw. gesamtwirtschaftliche Zusammenhang, über den hier diskutiert werden muss. Dazu gehört erstens der Kampf gegen den zunehmenden Umsatzsteuerbetrug, den wir auf europäischer Ebene führen. Dazu gehört zweitens, dass Maßnahmen gegen die Flucht vor der Zinsbesteuerung in das Ausland durchgeführt werden.

Mit unseren Maßnahmen, die eine Brücke hin zur Steuerehrlichkeit beinhalten, haben wir einen ersten Schritt getan. Aber wir müssen das sicherlich weiterentwickeln. Drittens gehört dazu der Kampf gegen Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung. Ich erinnere daran - Minister Eichel hat es gesagt -: Ein Gesamtumsatz zwischen 350 und 400 Milliarden Euro wird illegal erwirtschaftet. Einen Bruchteil davon durch eine gezielte Strategie zu mobilisieren würde uns schon deutlich weiterhelfen. Allein wenn wir 20 Prozent dieser Arbeitsverhältnisse in eine legale Beschäftigung überführen könnten, würde zumindest zunächst einmal ein großer Teil der Haushaltsprobleme bei uns, in den Städten und Gemeinden, in den Ländern, bei den Sozialsystemen deutlich besser gelöst werden können als bisher.

   Allein wenn wir eine langfristige Strategie gegen mafiös organisierte Schwarzarbeit am Bau verfolgten, wären - bei vorsichtigem Optimismus - etwa 40 Milliarden Euro für die Sozialsysteme und den Fiskus mobilisierbar. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen, aber auf mittlere Sicht. Um diese Größenordnung geht es, nicht um die 2,5 Milliarden Euro, die im Zusammenhang mit der Streichung des Sparerfreibetrags genannt werden. Diese 40 Milliarden Euro sind die Dimension, um die es hier geht, sage ich einmal - etwas ironisch - aus aktuellem Anlass. Das ist eine große Chance.

   Wir wissen ganz genau, dass besonders im Bereich der haushaltsnahen Dienstleistungen, der kleineren Handwerksleistungen rund ums Eigenheim, im Wesentlichen nicht kriminelle Energie der Beweggrund für Schwarzarbeit ist. Natürlich spielen dabei hohe Preise für Handwerker und die fehlende Bereitschaft oder das fehlende Bewusstsein eine Rolle, die modernen Möglichkeiten geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse - das ist fast kostenneutral für den Privathaushalt - zu nutzen. Da muss Aufklärung geleistet werden. Ich bin überzeugt, dass wir auf dem Gebiet weiterkommen.

   Im Bereich der Schwarzgastronomie sind wir weitergekommen: Gerade aus dem Bereich der Gastronomie kommt der höchste Anteil von Anmeldungen bei der Minijob-Zentrale. Die haben sich umgestellt, weil bei ihnen das Entdeckungsrisiko verhältnismäßig hoch ist. Wenn wir in anderen Bereichen das Entdeckungsrisiko erhöhen würden, würden auch die sich umstellen. Um aber die gesamte Dimension aufzuzeigen: Lediglich 15 Prozent aller geleisteten Schwarzarbeit entstehen im Zusammenhang mit privaten Haushalten - 85 Prozent sind gewerblich und organisiert. Das sind die Dimensionen, um die es hier tatsächlich geht. Deswegen ist es natürlich richtig zu sagen: Wir wollen die Leistungen rund um die privaten Haushalte nicht kriminalisieren. Da wird auch kein Zollbeamter hinter den Zaun gestellt.

(Elke Wülfing (CDU/CSU): Dann lassen Sie die doch ganz raus!)

Es geht nicht um den Rentner, der den Zaun anstreicht; es geht nicht um den Nachhilfelehrer und es geht nicht um die Putzfrau. Dort wird nicht mit dem Strafrecht zugeschlagen; das sind nach wie vor Bußgeldtatbestände. Vielmehr geht es uns um die organisierte kriminelle Schwarzarbeit. Diese muss stärker strafrechtlich verfolgt werden

(Elke Wülfing (CDU/CSU): Dann müssen Sie ein anderes Gesetz schreiben!)

und dazu müssen wir eine angemessene Organisation der für die Verfolgung zuständigen Behörden aufbauen.

(Beifall bei der SPD)

Organisierte Schwarzarbeit geht häufig mit anderen Formen organisierter Kriminalität einher: Geldwäsche, Menschenhandel, Steuerbetrug in großem Umfang. Ich widerspreche Ihnen, Frau Wülfing, und der Opposition ausdrücklich, wenn Sie versuchen, auch diese Formen schwerer Kriminalität mit dem Hinweis auf zu hohe Steuern, Sozialabgaben oder sogar zu hohe Löhne zu erklären.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) - Elke Wülfing (CDU/CSU): Das haben wir doch gar nicht gemacht! Das wissen Sie ganz genau!)

Diejenigen, die auf Baustellen, im Unterhaltungsgewerbe oder anderswo, häufig in einer Kette von kriminellen Beziehungen, Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung nutzen oder anbieten, würden das auch bei Niedrigsteuersätzen und auch dann tun, wenn wir die Sozialbeiträge halbieren würden. Sie werden es weiterhin machen, solange es im Einzelfall auch nur einen geringfügigen illegalen Ertrag bringt. Denn die Grundlage für das massenhafte Auftreten von Schwarzarbeit bildet der Umstand, dass es sich rechnet, und nicht die absolute Höhe der Sozialversicherungsbeiträge. Solange es überhaupt Sozialversicherungsbeiträge gibt, lohnt es sich, massenhaft Schwarzarbeit zu organisieren. Insofern ist es ein Irrglaube und folgen Sie einer falschen Spur, wenn Sie auf angeblich zu hohe Sozialabgaben, zu hohe Steuern verweisen. Es geht hier um kriminelle Energie und die Abschöpfung eines nicht kontrollierten Marktes.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist mit dem Steuerrecht oder mit dem Sozialversicherungsrecht nicht zu bekämpfen. Da hilft nur ein flächendeckender robuster Kampf mit allen möglichen polizeilichen Mitteln;

(Elke Wülfing (CDU/CSU): Dann hätten Sie ein besseres Gesetz machen müssen!)

darum geht es, wie in anderen Fällen organisierter Kriminalität auch.

   Wir haben mit diesem Gesetz sichergestellt, dass alle Formen gewerbsmäßiger Schwarzarbeit ausdrücklich Straftatbestände sind, die der Strafverfolgung unterliegen. Die Strafen werden empfindlich sein. Daten von Unternehmen oder Einzelpersonen, die Schwarzarbeit in großem Umfang durchführen oder zulassen, werden in einer zentralen Erfassungsstelle zusammengeführt. Wer als Unternehmer Schwarzarbeiter oder illegal Beschäftigte einsetzt und dabei erwischt wird, wird von der Teilnahme an Ausschreibungen öffentlicher Aufträge für längere Zeit ausgeschlossen. Sie weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der arme Organisator von Schwarzarbeit so schnell ja gar nicht verurteilt werden könne. - Ja, während der fünf Jahre, die das Verfahren dauert - weil er mit einer halben Kompanie von Rechtsanwälten bis in die dritte Instanz geht -, organisiert er weiter Schwarzarbeit. Diesen Missstand wollen wir nicht.

(Beifall bei der SPD)

Wenn gesichert ist, dass derjenige verurteilt werden wird, wird er von der Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen.

   Wir müssen leider noch immer das Phänomen beobachten - das richte ich besonders an die Adresse der öffentlichen Auftraggeber -, dass der Zoll, der offensichtlich sehr wirksam kontrolliert, auch auf öffentlichen Baustellen Schwarzarbeiter und illegal Beschäftigte entdeckt; es waren in den letzten Wochen einige Fernsehsendungen dazu zu sehen. Der Grund ist natürlich, dass bei der Angebotsausgestaltung ein Preisdumping in Schwung kommt, bei dem sich, da nach dem niedrigsten Preis gegangen wird, nur derjenige durchsetzen kann, der illegal Beschäftigte arbeiten lässt. Das darf nicht sein. Wir von Bund, Ländern und Kommunen müssen als öffentliche Hand Vorbild sein. Wir müssen bei uns eine Selbstkontrolle einbauen, damit künftig auch darauf geachtet wird, wie im Rahmen von Bauaufträgen die Arbeiten abgewickelt werden. Das ist wichtig, damit wir glaubwürdig sind.

(Beifall bei der SPD)

   Ich habe bereits in der ersten Lesung angekündigt, dass wir vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus der Praxis des Zolls, der Arbeitsverwaltung, der Kriminalpolizei, der Gewerkschaften, des Handwerks und der Industrie das Gesetz im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens weiter verbessern und die Einwände und Anregungen des Bundesrats berücksichtigen werden. Ich will, weil Sie hier die stolze Opposition geben, auf Folgendes hinweisen: Wir haben - mit Ausnahme eines einzigen, relativ unbedeutenden Tatbestandes - alle Anregungen der Bundesländer in diesem Gesetz umgesetzt. Sie dagegen haben sich aus dem allgemeinen Konsens populistisch herausgestohlen. Zwischen Bundesrat und der Mehrheit in diesem Haus besteht eine große Gemeinsamkeit, was die Notwendigkeit des Kampfes gegen organisierte Schwarzarbeit angeht - bis hin zum Wortlaut des Gesetzes. Denn wir wissen, dass wir beim Vollzug vor Ort diesen Konsens brauchen.

(Beifall bei der SPD)

   Wir haben aus eigenem Antrieb sichergestellt, dass zwischen Zoll, Steuerfahndung und Polizei im Kampf gegen gewerbliche Schwarzarbeit und andere Formen organisierter Kriminalität eine lückenlose Zusammenarbeit erfolgt, dass alle wichtigen Informationen wechselseitig weitergegeben werden, dass gemeinsame Ermittlungsteams aufgestellt werden können und dass alle Beteiligten Zugriff auf die bestehenden oder neu einzurichtenden Datenbanken haben, wenn das für ihre Ermittlungen notwendig ist. Wir haben darüber hinaus sichergestellt, dass sich die Zollbeamten Zutritt zu Baustellen, Fahrzeugen und Räumlichkeiten verschaffen können, in denen sie Personen oder Unterlagen vermuten, die für die Ermittlungen wichtig sind. Auch hier gab es in der Vergangenheit Lücken.

   Wir haben - entgegen dem ursprünglichen Gesetzentwurf - daran festgehalten, dass Bauarbeiter, Arbeitnehmer ihren Sozialversicherungsausweis bei sich führen müssen. Wir wissen, dass der Sozialversicherungsausweis ein fälschungsanfälliges Dokument ist. Aber in Verbindung mit einem anderen, fälschungssicheren Personaldokument, zum Beispiel dem Personalausweis, hat er natürlich eine Aussagekraft. Wir appellieren, so schnell wie möglich eine elektronisch lesbare Jobcard einzuführen, die auch die notwendigen Sozialversicherungsdaten enthält. Das würde die Kontrolle auf den Baustellen natürlich sehr erleichtern.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Wir haben festgestellt, dass die Gerichte bei der Bemessung der Bußgelder, die sie bisher für Schwarzarbeit verhängt haben, häufig an der unteren Grenze geblieben sind. Damit haben sie mit dazu beigetragen, dass Schwarzarbeit im gesellschaftlichen Bewusstsein eher als eine Petitesse, als ein Kavaliersdelikt angesehen wird. Wir haben jetzt sichergestellt, dass die Bundesregierung durch Rechtsverordnung den Bußgeldrahmen für Schwarzarbeit festlegt und das Strafmaß für bestimmte Tatbestände nicht unterschritten werden darf. Die Höhe der Bußgelder sorgt dafür, dass es empfindliche Strafen gibt, die eine abschreckende Wirkung entfalten werden.

Inzwischen gibt es neue Formen von Menschenhandel - auch darüber haben wir im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens diskutiert -, der nicht mehr nur zum Zwecke der Prostitution oder des Mädchenhandels durchgeführt wird, sondern bei dem Menschen zu dem Zweck verschleppt werden, in Deutschland ohne Entgelt arbeiten zu müssen. Sie erhalten lediglich Frühstück, müssen in Baufahrzeugen übernachten, werden dort eingeschlossen und müssen ansonsten Stunde um Stunde malochen. Das ist kein seltenes Phänomen. Deswegen weiten wir - nicht in diesem Gesetz, sondern in einem Gesetz, das morgen auf der Grundlage einer EU-Richtlinie in erster Lesung eingebracht wird - den Begriff des Menschenhandels rechtlich aus: Die Strafverfolgung wird auf Tatbestände wie den Menschenhandel zum Zweck der erpressten Arbeit ausgedehnt, damit diese besser als in der Vergangenheit verfolgt werden können.

(Beifall bei der SPD)

   Die organisatorischen Voraussetzungen sind bereits zum 1. Januar dieses Jahres geschaffen worden. Die Zuständigkeiten bei der Bekämpfung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung wurden auf den Zoll verlagert. Durch die Zusammenführung von 2 500 Bediensteten der Arbeitsverwaltung und 2 500 Bediensteten des Zolls entsteht - Minister Eichel hat darauf hingewiesen - eine schlagkräftige Struktur. Weitere 2 000 Bedienstete sollen mobilisiert werden. Mit 133 Standorten entsteht ein dichtes Netz.

   Das ist eine stattliche Polizeimacht. Wenn sie die technischen Mittel an die Hand bekommt - mit diesem Gesetz geben wir sie ihr an die Hand -, dann kann man in die Schlacht gegen organisierte Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung ziehen und dabei auch Erfolg haben. Die gesetzlichen, organisatorischen und personellen Voraussetzungen sind geschaffen. Ich bin überzeugt davon, dass wir Erfolg haben werden.

   Wir wollen, dass ehrliche Unternehmen mit ehrlichen Preisen wieder eine Chance im Wettbewerb bekommen. Das ist auch für das Rechtsbewusstsein in den Wettbewerbs- und Marktbeziehungen ganz wichtig. Wir wollen, dass den Sozialversicherungen und dem Fiskus, dem Bund, den Ländern und den Gemeinden, durch die Austrocknung illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit Milliardenbeträge zur Finanzierung von Wachstum und Zukunftsaufgaben zufließen. Ich bin überzeugt davon, dass dieses Gesetz einen Beitrag dazu leistet, diese ganz wichtige Schlacht zu gewinnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Das Wort hat nun Kollege Stefan Müller, CDU/CSU-Fraktion.

Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Herr Kollege Schultz, niemand von der CDU/CSU bestreitet, dass Schwarzarbeit in Deutschland Besorgnis erregende Ausmaße angenommen hat. Richtig ist, die Schattenwirtschaft hat in Deutschland mittlerweile ein Volumen von - wir haben die Zahlen des Öfteren schon gehört - rund 370 Milliarden Euro erreicht. Das entspricht in etwa 16 Prozent des offiziellen Bruttoinlandsproduktes.

   Richtig ist auch, dass analog zu dem weiteren Anstieg der Schwarzarbeit die Bereitschaft, in der Schwarzarbeit tätig zu sein, weiter gestiegen ist. Schwarzarbeit wird von vielen Privaten - ob uns das gefällt oder nicht - zunehmend als Korrekturmöglichkeit des kleinen Mannes verstanden und leider Gottes akzeptiert. Eine aus dem vergangenen Jahr stammende Umfrage zeigt, dass mehr als die Hälfte der Deutschen Verständnis dafür zeigt, dass Privatleute Schwarzarbeiter beschäftigen.

   Die Folgen für die öffentlichen Kassen sind natürlich enorm. Durch die Schwarzarbeit entstehen dem deutschen Staat jedes Jahr immense Einnahmeausfälle. Die vom Zoll für das Jahr 2003 ermittelte Schadensumme beläuft sich auf knapp 350 Millionen Euro. Insofern ist die Notwendigkeit staatlicher Eingriffe unbestritten.

   In den Beratungen Ihres Gesetzentwurfes haben wir immer wieder deutlich gemacht: Das mit dem Gesetzentwurf verfolgte Ziel, nämlich die Schwarzarbeit nachhaltig zu bekämpfen, wird von uns ausdrücklich begrüßt und findet unsere Unterstützung. Allerdings, meine Damen und Herren von Rot-Grün, erschien der Gesetzentwurf von vornherein nicht geeignet, das von Ihnen selbst gesteckte Ziel zu erreichen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Durch den vorliegenden Gesetzentwurf wurde versucht, zwei Dinge miteinander zu verbinden. In der Anhörung hat einer der Sachverständigen davon gesprochen, dass es sich um ein Gesetz „zur Bekämpfung von Raubtieren und Mäusen“ handelt. Sie haben mit dem Gesetzentwurf versucht, einerseits die gewerbsmäßige Schwarzarbeit - sie hat in einigen Branchen, beispielsweise der Bauwirtschaft, zugegebenermaßen bedrohliche Ausmaße angenommen - zurückzudrängen und andererseits das rechtmäßige Verhalten im Privatbereich zu fördern.

(Florian Pronold (SPD): Was ist daran schlecht?)

   Dass gewerbliche Schwarzarbeit zurückgedrängt und bekämpft werden muss, ist unbestritten.

(Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Aber Mäuse in der Speisekammer sind auch nicht so angenehm!)

Dass Instrumente zur Bekämpfung der gewerblichen Schwarzarbeit notwendig sind, ist ebenso unbestritten; das wird auch von uns nicht infrage gestellt. Aber die Instrumente, die Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, mit diesem Gesetzentwurf an die Hand nehmen, führen zu keiner Verbesserung der Strafverfolgung für gewerbliche Delikte. Im Gegenteil: Sie erschweren in einigen Teilbereichen sogar die Kriminalitätsbekämpfung.

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was?)

   Andererseits sind die im Gesetzentwurf festgelegten Vorschriften nicht dazu geeignet, das Unrechtsbewusstsein der Privatleute tatsächlich herzustellen. Es reicht nicht aus, Rechtsvorschriften in einem neuen Gesetz zu bündeln und Regelungslücken zu schließen. Es reicht eben nicht aus, neue Straftatbestände zu schaffen. Es reicht auch nicht aus, in großen Tageszeitungen und Magazinen ganzseitige Anzeigen zu schalten, um auf die Auswirkungen von Schwarzarbeit hinzuweisen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Herr Schultz, Sie haben gerade davon gesprochen, dass nur 15 Prozent der Schwarzarbeit auf Private entfällt. Insofern ist es doch erst recht kontraproduktiv, wenn Sie gerade private Haushalte mit einem Mehr an Bürokratie überziehen, so wie es jetzt geschieht. Die bußgeldbewehrte Aufbewahrungspflicht von zwei Jahren für Privatleute bedeutet einen immensen Bürokratieaufwand.

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn Sie Rechnungen in die Schublade legen, ist das wohl nicht zu bürokratisch!)

Ich möchte darauf hinweisen, dass es Ihr Bundeswirtschaftsminister ist, der hier ständig über Bürokratieabbau philosophiert. Wenn aufgrund falscher Politik das Unrechtsbewusstsein nicht vorhanden ist, dann stoßen repressive Maßnahmen des Staates an die Grenzen ihrer Wirksamkeit.

Präsident Wolfgang Thierse:

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schultz?

Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU):

Bitte schön.

Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD):

Lieber Herr Kollege Müller, ich möchte von Ihnen - trotz Ihres jugendlichen Alters - gerne wissen, wie Sie persönlich es handhaben, wenn Sie eine Rechnung für ein Gewerk erhalten, für das in der Regel zwei Jahre Gewährleistung gilt: Werfen Sie dann diese Rechnung weg oder bewahren Sie sie auf? Fühlen Sie sich dadurch, dass Sie dies tun, zusätzlich belastet, nur weil es jetzt außerdem gesetzlich vorgeschrieben ist?

Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU):

Ich stelle Ihnen eine Gegenfrage:

(Lachen bei der SPD)

Wenn es nach Ihrer Anschauung ohnehin gemacht wird, warum müssen Sie es dann überhaupt gesetzlich regeln?

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich rede hier von hohen Rechnungsbeträgen. Wir haben im Gesetzgebungsverfahren angeregt, für geringe Beträge eine Bagatellgrenze einzuführen. Warum haben Sie sich dem verschlossen? Warum brauchen Sie eine gesetzliche Regelung für etwas, das nach Ihrer Meinung ohnehin schon gemacht wird? Das leuchtet mir beim besten Willen nicht ein.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Volker Kauder (CDU/CSU): Setzen! Sechs!)

   Dieser Gesetzentwurf - das ist schon angesprochen worden - steht in einer fragwürdigen Tradition von fünf vorhergehenden Gesetzen zur Bekämpfung der Schwarzarbeit. All diesen Gesetzen sind zwei Dinge gemeinsam: Erstens. Bei allen gesetzgeberischen Maßnahmen in der Vergangenheit haben Sie immer ausschließlich auf Repression und Strafe gesetzt.

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Irgendwie haben Sie alle den gleichen Redeentwurf! Das ist eigenartig!)

Zweitens. Alle Gesetze sind in ihrer beabsichtigten Wirkung, die Schwarzarbeit nachhaltig zu bekämpfen, schlicht und ergreifend gescheitert. Die Schattenwirtschaft ist in den letzten Jahren immer weiter angestiegen.

(Carl-Ludwig Thiele (FDP): Richtig!)

Alle bisherigen Gesetze haben den Anstieg deswegen nicht bremsen können, weil sie ausschließlich auf Strafe und Verfolgung gesetzt und an den Ursachen des Problems nichts geändert haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Wir haben im Finanzausschuss eine mehrstündige Anhörung durchgeführt. Dabei ist deutlich geworden, dass die Ursachen für Schwarzarbeit sind: eine zu hohe Steuer- und Abgabenbelastung, eine zu hohe Regulierungsdichte und Bürokratie und eine zu hohe Verunsicherung aufgrund der Steuer- und Sozialgesetzgebung. Kurz gesagt: ein Versagen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Meine Damen und Herren Kollegen von Rot-Grün, das ist Ihr Versagen. Wie erklären Sie sich sonst, dass allein in den letzten vier Jahren die Wertschöpfung in der Schattenwirtschaft um 25 Prozent gestiegen ist?

(Peter Dreßen (SPD): Warum haben wir denn so hohe Beiträge von euch übernommen?)

Fehlende Planungssicherheit aufgrund politischer Entscheidungen, eine daraus folgende hohe Verunsicherung in der Bevölkerung und zudem das seit langem bestehende Gefühl der Ungerechtigkeit vor allem durch die Steuerbelastung - daran haben Sie nichts geändert. Das alles sind Gründe für die Zunahme der Schwarzarbeit in unserem Land.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Er ist viel zu intelligent, als dass er es selbst glauben würde!)

In den Gesetzesberatungen ist deutlich geworden, dass eine Strategie, die ausschließlich auf Abschreckung und Verfolgung ausgerichtet ist, nicht zum Ziel führt. Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen immer wieder, dass verschärfte Razzien und höhere Strafen regelmäßig ins Leere laufen

(Joachim Poß (SPD): Was wollen Sie denn machen?)

und allenfalls dem harten Kern der Schwarzarbeit zu Leibe rücken.

   Eine Bekämpfung der Symptome alleine über eine intensivere Strafverfolgung verursacht vor allem höhere Kosten. Wir haben dankenswerterweise eine Aufzeichnung des Bundesfinanzministeriums bekommen. Danach sind allein zwischen 1998 und 2002 die Personal- und Sachkosten im Bereich der Bekämpfung der Schwarzarbeit um fast 44 Prozent gestiegen. Eine Bekämpfung der Symptome führt aber nicht zu höheren Einnahmen, zumindest dann nicht, wenn die Bekämpfung der Ursachen außen vor bleibt. Herr Bundesfinanzminister, insofern sind die Mehreinnahmen von 1 Milliarde Euro, die Sie ansetzen, mit einem großen Fragezeichen zu versehen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Das ist wie bei der Maut!)

Auch das ist eines der Haushaltsrisiken, mit denen sie kalkulieren müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Meine sehr verehrten Damen und Herren von Rot-Grün, das von Ihnen vorgelegte Gesetz ist ein Etikettenschwindel und findet daher nicht unsere Zustimmung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Jerzy Montag, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schwarzarbeit in Deutschland - gewerbliche, organisierte, bandenmäßig verfasste Schwarzarbeit in Deutschland - ist kein Kavaliersdelikt.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Das kann man unterstreichen!)

Diese Kriminalität verursacht uns allen, der Gesellschaft, immense, in die Milliarden gehende Schäden. Deswegen ist es völlig richtig, dass diese gewerbliche, organisierte, bandenmäßig verfasste Schwarzarbeit tatkräftig bekämpft wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Das Gesetz, über das wir heute entscheiden, geht insofern den völlig richtigen Weg, als sein Ziel die Schaffung leistungsfähiger Strukturen im Zoll zur Bekämpfung dieser gewerbsmäßigen Schwarzarbeit ist. Das Gesetz erfüllt dieses Ziel und ist daher richtig. Deswegen ist es aber auch völlig unverständlich, warum Sie, Meine Damen und Herren von der Opposition, Sonntagsreden gegen die Schwarzarbeit halten, aber diesem Gesetz nicht zustimmen wollen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Weil es unausgegoren und nicht richtig ist, Herr Jerzy Montag!)

Es gibt nicht nur Gesetze, die zu 100 Prozent richtig sind. Wir müssen uns darauf konzentrieren - das sage ich in allem Ernst und in aller Sachlichkeit auch zu Ihnen von der Opposition -, was die Zielrichtung ist und was mit dem Gesetz tatsächlich erreicht wird. Die bandenmäßig verfasste, gewerbliche Schwarzarbeit wollen Sie alle - wie wir - bekämpfen und Sie behaupten auch gar nicht, dass dieses Gesetz ein falsches Argument sei. Es ist auch kein falsches, sondern ein richtiges Argument, und deswegen ist es nicht in Ordnung, dass Sie Fensterreden gegen die Schwarzarbeit halten, aber dem Gesetz nicht zustimmen wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Meine Damen und Herren von der Opposition, genauso wie es keinen Sinn macht, auf Biegen und Brechen gute Gesetze schlechtreden zu wollen, muss es in diesem Hause erlaubt sein, dieses Gesetz auch bei Zustimmung nicht auf Biegen und Brechen in allen Punkten gutheißen zu müssen. Deswegen erlauben Sie mir, dass ich einige kritische Anmerkungen zu diesem Gesetz mache.

(Beifall der Abg. Elke Wülfing (CDU/CSU))

   Es trifft zu, was der Kollege Schultz ausgeführt hat: Die so genannte kleine Arbeit im privaten Bereich, die, wenn sie legal wäre, in den Bereich der Minijobs fiele, macht ungefähr 15 Prozent aus. Bei denjenigen, die einer solchen Beschäftigung nachgehen, ist ein fehlendes Unrechtsbewusstsein festzustellen; allerdings möchte ich ihnen nicht mit erhobenem Finger beibringen, dass dies höchst kriminell ist. Solche Dienst- und Werkleistungen sind auch nach der derzeitigen Gesetzeslage nicht in Ordnung; sie sollen und müssen legal ausgeübt werden. Dafür gibt es bereits ein entsprechendes Instrumentarium.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Und wenn nicht?)

   Es ist aber meiner Meinung nach sowohl bei der Definition der Schwarzarbeit als auch bei der Beschreibung der Aufgaben der Zollverwaltung in den §§ 1 und 2 des Gesetzentwurfs nicht ausreichend gelungen, die so genannte kleine Arbeit, die - ich wiederhole mich -, wenn sie in legalen Beschäftigungsverhältnissen verrichtet würde, den Minijobs entspräche, von der großen Zahl von Handlungen im Bereich der Wirtschaftskriminalität abzugrenzen, die wir gemeinsam bekämpfen wollen.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Das ist falsch, Herr Montag!)

Dies ist meiner Meinung nach ein bedauerlicher Fehler im Gesetzentwurf.

(Beifall der Abg. Elke Wülfing (CDU/CSU))

- Es bringt nichts, an dieser Stelle Beifall zu klatschen, Frau Kollegin; denn Sie haben im Gesetzgebungsverfahren keinerlei konstruktive Verbesserungsvorschläge dazu unterbreitet.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD - Elke Wülfing (CDU/CSU): Weil Sie das kritisiert haben!)

Ihre Zustimmung in diesem Zusammenhang ist für mich ein Lob von falscher Seite.

   Zu einem zweiten Punkt möchte ich kritisch Stellung nehmen: Es ist völlig richtig gewesen, dass § 266 a StGB - bisher die Bestrafung von Arbeitgebern, die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung vorenthalten - ausgeweitet wird, um die Strafbarkeit auch in den Fällen zu schaffen, in denen die Arbeitgeber ihre eigenen Verpflichtungen bezüglich der Arbeitgeberanteile nicht erfüllen. An dieser Stelle gab es eine Gesetzeslücke und es war völlig richtig, sie zu schließen. Dazu stehe ich.

   Aber im Falle des vorliegenden Gesetzentwurfs verbirgt sich die Ausnahme in den Tiefen der Sozialgesetzgebung. Arbeitgeber machen sich nicht schon mit dem ersten Cent strafbar, den sie vorenthalten; vielmehr greift die Strafbarkeit erst bei einer höheren Summe. Auch in dieser Ausnahme, die in der Sache richtig ist, ist es nicht gelungen, den Bereich der Minijobs von der gewerblichen Schwarzarbeit abzugrenzen.

   Insgesamt ist meines Erachtens festzustellen, dass mit dem Gesetz die richtige Richtung eingeschlagen wird. Die 85 Prozent, von denen der Kollege Schultz gesprochen hat, werden mit diesem Gesetz ins Visier genommen. Die Milliardenschäden, die die Schwarzarbeit im gewerblichen Bereich verursacht, können damit - das hoffe ich sehr - effektiv bekämpft werden. Die Zollverwaltung braucht dafür Kompetenzen, die ihr mit diesem Gesetz zugewiesen werden.

   Wir werden aber in Zukunft sehr sorgfältig prüfen müssen, ob in der Praxis - wie Sie es geschildert haben, Herr Kollege Schultz, und wie ich es hoffe - diejenigen in kleinen Arbeitsverhältnissen, auf die das Gesetz nicht angewendet werden soll, tatsächlich von den Kontrollmaßnahmen des Zolls verschont bleiben. Wenn dies der Fall ist - wie ich es hoffe -, dann würden wir mit dem Gesetz das richtige Ziel verfolgen und auch erreichen. Wenn wir hinsichtlich der Abgrenzung Nachbesserungsbedarf erkennen sollten, dann können wir dem noch Rechnung tragen. Deswegen erfolgt auch von meiner Seite die volle Zustimmung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf.

   Danke.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile Kollegin Petra Pau das Wort.

Petra Pau (fraktionslos):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesagentur für Arbeit hat die aktuelle Statistik zur Arbeitslosigkeit vorgestellt. Das Ergebnis ist niederschmetternd: Die Zahl der Erwerbslosen hat - saisonbereinigt - zugenommen. Der Beschäftigungsabbau hat sich beschleunigt. Die rot-grünen Hartz-Versprechen sind wie eine Seifenblase geplatzt.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

Die PDS hatte es prophezeit, weil die so genannte Arbeitsmarktreform die Arbeitslosen und nicht die Arbeitslosigkeit bekämpft. Deshalb haben wir hier eine grundlegende Differenz zu Rot-Grün, aber auch zur Opposition zur Rechten.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Keine grundlegende Differenz haben wir, wenn es darum geht, die wuchernde Schwarzarbeit zurückzudrängen. Das habe ich hier schon vor Wochen betont und ich wiederhole: Schwarzarbeit ist weder ausgleichende Gerechtigkeit noch selbst bestimmter Widerstand. Schwarzarbeit ist unter dem Strich asozial. Der Schaden für die Sozialsysteme ist enorm, und nicht nur für diese. Allerdings - auch das wiederhole ich -: Asozial sind vor allem jene, die aus organisierter Schwarzarbeit Kapital schlagen, und erst in zweiter Linie jene, die sich zu Dumpinglöhnen verdingen. Deshalb muss es bei der Ahndung von Schwarzarbeit auch entsprechende Prioritäten geben.

   Nun hat der neue Entwurf eines Gesetzes gegen Schwarzarbeit den Bundesrat durchlaufen und wir beraten über ihn heute erneut und abschließend. Wie Sie wissen, haben auch die rot-rot regierten Bundesländer Berlin und Mecklenburg-Vorpommern dem Gesetzentwurf grundsätzlich zugestimmt. Aber es gab auch Kritik. In diesem Zusammenhang möchte ich noch zwei Punkte anmerken. Erstens. Es gibt in nahezu allen Bundesländern interdisziplinäre Ermittlungsgruppen gegen Schwarzarbeit. Zu den anerkannt erfolgreichen gehört die Berliner Ermittlungsgruppe. Umso unverständlicher ist es, wenn dieser regionale Sachverstand künftig weniger wichtig sein soll, als es nötig wäre. Das versteht niemand.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) - Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt doch gar nicht! Er bleibt!)

   Mein zweiter Kritikpunkt betrifft die Prioritäten. So richtig es ist, Schwarzarbeit zu ahnden, so wichtig ist es auch, Schwarzarbeit zu vermeiden.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

Es gibt aber Hunderttausende Menschen, die regelrecht in Schwarzarbeit gedrängt werden, weil ihnen legale Arbeit in der Bundesrepublik verwehrt wird. Das hat viel mit dem Ausländerrecht bzw. -unrecht zu tun. Das hängt aber auch mit den Hängepartien beim EU-Recht zusammen. Ich möchte dazu nur anmerken: Die Grünen haben zu Recht die Verhandlungen mit der CDU/CSU über ein modernes Einwanderungsrecht aufgegeben; denn egal worum es geht, CDU und CSU verstehen eigentlich immer nur Polizei oder Terrorabwehr.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Nun noch eine abschließende Bemerkung: Die Ächtung von Schwarzarbeit hat viel damit zu tun, ob es allgemein gerecht oder ungerecht zugeht. Obsiegt das Gefühl „Jeder ist sich selbst der Nächste“ und „Wer hat, der hat“, dann findet auch Schwarzarbeit bereitwillige Geber und Nehmer. Das Gefühl von Ungerechtigkeit ist aber weit verbreitet. Das Schlimme ist: Es ist nicht nur ein Gefühl. Die rot-grüne Agenda 2010 nährt Unrecht und die Programme der Unionsparteien sowie der FDP lassen sogar noch Schlimmeres befürchten. Das ist ein tiefer Widerspruch; denn Sie können nicht Wasser predigen und die Weintrinker belohnen.

   Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie, auf die heute veröffentlichten Schätzungen zu schauen, wie viele Menschen vom 1. Januar 2005 an vom Arbeitslosengeld II, diesem arm machenden Geld, betroffen sein werden bzw. überhaupt keine Bezüge mehr bekommen werden. Was sagen Sie eigentlich diesen Menschen im Hinblick auf ihre Zukunftsperspektiven?

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Ernst Hinsken, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ernst Hinsken (CDU/CSU):

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zuerst möchte ich ganz kurz auf das eingehen, was Sie, Herr Kollege Montag, ausgeführt haben. Ihre Rede ist voller Widersprüche gewesen. Einerseits haben Sie die Kriminalität angesprochen, die auf dem hier zur Diskussion stehenden Gebiet zu verzeichnen ist, und wollen die entsprechenden Vorschriften verschärfen und mehr reglementieren. Andererseits wollen Sie - wie beim Handwerksrecht - bewährte Regelungen ändern. Dagegen sind wir; das machen wir nicht mit.

   Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, die Welt, in der wir leben, ist schon seltsam: Die Wirtschaft stagniert und die Schwarzarbeit galoppiert. Allein in den letzten sechs Jahren hatte die Schwarzarbeit einen Zuwachs um 32 Prozent zu verzeichnen. Das gab es in keinem anderen Land der Europäischen Union. Folgende Feststellung muss uns allen doch zu denken geben: Es gibt in Deutschland nur eine einzige Wachstumsbranche, nämlich die Schwarzarbeit. Sie ist obendrein der am schnellsten wachsende Wirtschaftsbereich in der Bundesrepublik Deutschland. Neueste Arbeitsmarktstatistiken zeigen - das ist das Schlimmste dabei -: Die Zahl der legal Erwerbstätigen sinkt, während die Zahl der Schwarzarbeiter steigt.

   Für uns alle ist es sehr wichtig, festzustellen: Für fast jeden zweiten Mitbürger ist die Schwarzarbeit ein Kavaliersdelikt. Es ist Aufgabe der gesamten Politik, Zusammenhänge verstärkt klar zu machen; denn den meisten Mitbürgern ist nicht bewusst, dass die Schwarzarbeit einer der Totengräber für den ehrlich arbeitenden kleinen und mittleren Unternehmer und für den Arbeitslosen ist, die gern arbeiten würden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

   Der Anteil der Schattenwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt ist seit 1998 in 17 OECD-Mitgliedstaaten zurückgegangen, zum Beispiel in Italien, in Großbritannien, in Frankreich, in den USA und in Japan. Diese Länder machen uns vor, wie man es macht. Unter den weltweit führenden Industriestaaten ist Deutschland zusammen mit Österreich, was die Zunahme der Schwarzarbeit angeht, in der Zwischenzeit - das wollten wir eigentlich nur bei der Fußballweltmeisterschaft 2006 werden - Weltmeister geworden. Das ist wahrlich ein trauriger Rekord.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Unbestritten ist: Schwarzarbeit muss entschieden bekämpft werden. Das wurde bereits von den Vorrednern, Frau Wülfing, Herrn Müller und anderen, gesagt. Auch in unserem Staat muss gelten: Gib dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gott gebührt. Es geht auf Dauer nicht, dass der Ehrliche der Dumme ist.

   Man muss aber richtig ansetzen. Sie würden dann richtig ansetzen, wenn Sie sich Verschiedenes von dem zu Eigen gemacht hätten, was dem heutigen Entschließungsantrag unserer Fraktion zu entnehmen ist.

   Der renommierte Wirtschaftsprofessor Schneider aus Linz sagte in einem Interview mit dem „Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung“ von gestern, dass dem Staat durch Schwarzarbeit jährlich Steuereinnahmen mindestens in Höhe von 50 Milliarden Euro entgehen. Was die Sozialsysteme der Bundesrepublik Deutschland angeht, ist dieser Betrag mindestens genauso hoch.

   Ich muss noch einmal sagen: Sie von Rot-Grün packen die Sache falsch an. Statt nur auf Repression zu setzen, müssen die Ursachen der Schwarzarbeit viel stärker bekämpft werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dazu gehören in erster Linie die Senkung von Steuern und Abgaben, die Flexibilisierung und Entrümpelung des Arbeitsmarktes und der Abbau von Bürokratie. Wenn der Bürger wieder mehr in der Tasche hat, dann wird er nicht in die Schwarzarbeit getrieben. Herr Finanzminister Eichel, auch das muss berücksichtigt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Rot-Grün stellt Bürger und Unternehmen unter den Generalverdacht der Schwarzarbeit. Das ist für sie ein Schlag ins Gesicht. Die Mehrzahl verhält sich nämlich gesetzestreu. Herr Eichel, je länger diese Bundesregierung aber nicht in der Lage ist, die Probleme unseres Landes zu lösen, desto weniger werden sich die Bürger mit dem Staat identifizieren. Die Bürger wollen nicht, dass der Staat alles bis ins Kleinste regelt und sie als unmündig hinstellt.

   Rot-Grün plant jetzt unter dem Deckmantel der Bekämpfung der Schwarzarbeit einen weiteren Angriff auf das Handwerksrecht. Das zeigt doch deutlich, worum es Ihnen überhaupt geht: Das Handwerk soll weiter zerschlagen werden. Ich sage Ihnen: Mit uns nicht!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Durch die Ich-AGs wird der Schwarzarbeit in diesem Bereich doch bereits Tür und Tor geöffnet.

Alle Warnungen wurden in den Wind geschlagen. Wie viele Kontrolleure will die Bundesregierung eigentlich beschäftigen, um nachzuprüfen, ob jeder einzelne Ich-AGler wirklich nur 25 000 Euro Arbeitseinkommen im Jahr hat?

   Völlig unverständlich ist auch, dass die Bundesregierung Verletzungen der handwerklichen Eintragungspflichten und der gewerberechtlichen Anzeigepflichten nicht mehr als Schwarzarbeit verfolgen will. Bewährte Vorschriften, Herr Kollege Montag, die seit 1957 gelten, sollen abgeschafft werden. Sie von Rot-Grün vergessen - das möchte ich Ihnen noch einmal zurufen; damit will ich Ihnen ins Gewissen reden -: Wer sich nicht richtig beim Gewerbeamt anmeldet, der ist auch bereit schwarzzuarbeiten.

   Ihr Hü und Hott ist nicht nachvollziehbar. Erst Mitte 2002 wurden die bestehenden Bußgeldvorschriften in einem Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit erheblich verschärft. Jetzt sollen sie auf einmal nicht mehr notwendig sein. Das versteht in den Betrieben niemand. So etwas ist auch nicht nachvollziehbar. Ich nenne nur ein Beispiel: Wenn jemand ohne Führerschein oder ohne Anmeldung des Autos fährt, wird er bestraft. Hier dagegen sagt man: Kavaliersdelikt; das ist nicht erforderlich. - Das versteht wirklich niemand mehr. Machen Sie doch endlich eine Politik, die die Leute noch nachvollziehen können, die sie kapieren!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Ganz gefährlich wird es bei der von Rot-Grün geplanten Bußgeldbewehrung für den Fall, dass jemand mit Schwarzarbeit gegen die Zulassungspflicht bei gefahrengeneigten Handwerken verstößt. Gerade die Gefahrengeneigtheit war doch für Bundesminister Clement im letzten Jahr noch das wichtigste Kriterium für die Einstufung von Gewerken in die Anlage A. Nach der Gewerbeordnung werden Verstöße als Straftatbestand mit Freiheitsstrafe oder einer saftigen Geldstrafe geahndet. Schließlich geht es hier um Gefahren für die Gesundheit oder das Leben Dritter. Das alles wird von Ihnen vergessen. Das ist für Sie von vorgestern. Sie schlagen das alles in den Wind. Eine Bußgeldbewehrung soll die Schwarzarbeit eindämmen. Geht das nicht völlig an der Realität vorbei und gefährdet das nicht die Existenz Zehntausender von Betrieben?

   Ich sage Ihnen von der Bundesregierung voraus: Dieses Gesetz ist völlig ungeeignet, die Schwarzarbeit wirksam zu bekämpfen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Es ist eine Binsenweisheit: Eine Krankheit heilt man nicht, indem man an den Symptomen herumdoktert. Man wird nur gesund, wenn den Ursachen der Leiden entschlossen zu Leibe gerückt wird. - So ist es auch bei der Schwarzarbeit. Wir brauchen einen Mix aus Repression und Prävention; denn Schwarzarbeit geht nur zurück, wenn die Anreize dafür verschwinden. Die Devise muss deshalb lauten: Legale Arbeit muss sich endlich wieder lohnen. Mit dem Gesetzentwurf, den Sie mehrheitlich durchdrücken werden, werden Sie das nicht schaffen. Es ist höchste Zeit, dass wir wieder das Ruder in die Hand bekommen,

(Lachen bei der SPD)

um hier danach zu trachten, dass es auch für diejenigen, die von der Schwarzarbeit negativ betroffen sind, wieder besser wird.

   Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile Kollegen Florian Pronold, SPD-Fraktion, das Wort.

Florian Pronold (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Hinsken, wenn jeder zweite Bürger Schwarzarbeit für ein Kavaliersdelikt hält, dann kann das etwas damit zu tun haben, welche Reden im Deutschen Bundestag vonseiten der Opposition gehalten werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie alle geben hier nur Lippenbekenntnisse ab. Sie sagen, Sie stimmten mit uns in der Zielsetzung überein und wollten mit uns gemeinsam die Schwarzarbeit bekämpfen, aber dann klingen 99 Prozent Ihrer Redeinhalte so, als würde ein Rechtsanwalt irgendwo vor Gericht jemanden verteidigen, der gerade wegen Schwarzarbeit angeklagt ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Da haben Sie mir intellektuell nicht richtig folgen können!)

   Liebe Frau Kollegin Wülfing, ich hatte fast den Eindruck, dass Sie hier in einem neuen Wettbewerb antreten und Schutzheilige werden möchten: Elke, die Schutzheilige für die Schwarzarbeiter und die Steuerhinterzieher. Anders kann man Ihren Redebeitrag nicht werten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Das ist eine unverschämte Diffamierung!)

   Wenn ich mir vor Augen führe, was vonseiten der FDP außerhalb dieses Hauses geäußert wird, nämlich dass Schwarzarbeit sozusagen Notwehr gegenüber dem Staat ist, dann frage ich mich wirklich: Welches Rechtsbewusstsein wird den Bürgerinnen und Bürgern vermittelt? Wie kann man sich ernsthaft darüber wundern, wenn in diesem Haus solche Redebeiträge gehalten werden? Wundern muss man sich dann eher darüber, dass nur jeder zweite Bürger Schwarzarbeit für ein Kavaliersdelikt hält.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Wenn die Höhe der Steuerbelastung ausschlaggebend für die Höhe des Anteils der Schwarzarbeit wäre, dann müsste die Schwarzarbeit doch zurückgehen, weil wir im Vergleich zu Ihrer Regierungszeit die Bürgerinnen und Bürger und die Unternehmen massiv und deutlich steuerlich entlastet haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Sie vergessen die vielen erhöhten Abgaben!)

Wenn dieser einfache Wirkungszusammenhang richtig wäre, dürften wir momentan überhaupt kein Problem haben.

   Dann sagen Sie, die Sozialabgabenquote sei zu hoch. Rechnen Sie doch einmal an einem konkreten Beispiel unter Zugrundelegung der derzeit gezahlten Löhne für eine Handwerkerstunde durch, wie hoch die Entlastung wäre, wenn Ihr Vorschlag, die Quote auf 40 Prozent zu senken, umgesetzt würde! Dann kostet eine Handwerkerstunde - da gibt Ihnen der Kollege Dreßen gerne Nachhilfe; er hat es nämlich einmal ausgerechnet - 20 Cent weniger. Sie aber glauben allen Ernstes, dass das einen Anreiz zu mehr legaler Beschäftigung geben würde. Glauben Sie angesichts der unterschiedlichen Lohnstruktur zwischen dem, was schwarz gezahlt wird, und dem, was bei legaler Beschäftigung zu verdienen ist, wirklich, dass eine Verbilligung einer Handwerkerstunde um 20 Cent zu einer massenhaften Bewegung von Schwarzarbeit hin zu legaler Beschäftigung führen würde? Es gibt nur zwei Wege dorthin:

   Erstens müssen wir Politiker alle gemeinsam deutlich machen, dass jede Form von Schwarzarbeit eine gesellschaftliche Fehlentwicklung ist, die es zu verurteilen gilt, und alles, was in diesem Bereich passiert, massiv abgelehnt wird.

   Zweitens muss auch wirklich kontrolliert werden.

(Elke Wülfing (CDU/CSU): Wie in der DDR!)

Denn dort, wo keine Kontrolle stattfindet, ist dem Missbrauch immer Tür und Tor geöffnet. Es wundert mich, dass Sie, die Sie sonst immer so vehement für Recht und Ordnung kämpfen, dann, wenn es darum geht, Recht und Ordnung auch wirklich durchzusetzen - das kann man nur über Kontrolle -,

(Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Gerade Sie reden von Recht und Ordnung!)

hier anführen, dass eine Mordsbürokratie entstehe. Das passt doch hinten und vorne nicht zusammen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Sie wollen doch überbürokratisieren!)

   Die Union muss wirklich aufpassen. Wenn im Sozialkundeunterricht gefragt wird, warum man denn die Unionspolitiker als die Schwarzen bezeichnet, würde heute wohl geantwortet werden: weil die immer schwarz sehen und alles nur schwarz malen, oder: wegen des vielen Schwarzgeldes in Hessen.

(Beifall bei der SPD)

Zukünftig wird vielleicht auch noch geantwortet: weil die für die Schwarzarbeit sind.

(Albert Deß (CDU/CSU): Bei Ihnen sehen die Wähler rot!)

Sie müssen auch im eigenen Interesse darauf aufpassen, in welchem Licht Sie in Zukunft selber stehen.

(Beifall bei der SPD)

   Ich bitte Sie inständig: Wenn Sie das von uns vertretene Ziel wirklich ernsthaft mittragen, dann stimmen Sie dem vorliegenden Gesetzentwurf zu, in dem wir fast alle Vorschläge des Bundesrates, in dem Sie die Mehrheit haben, eingearbeitet haben.

(Elke Wülfing (CDU/CSU): Der ist so schlecht!)

Machen Sie deutlich, dass Sie Schwarzarbeit wirklich bekämpfen wollen, und geben Sie nicht irgendwelche Lippenbekenntnisse ab. Zeigen Sie auch mit Ihrem Abstimmungsverhalten hier der Schwarzarbeit die rote Karte und geben Sie nicht immer nur Lippenbekenntnisse ab.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Roland Gewalt, CDU/CSU-Fraktion.

Roland Gewalt (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Damen und Herren Kollegen von der rot-grünen Koalition, wenn man Ihre Wortbeiträge Revue passieren lässt, kommt man zu der Feststellung, dass Sie offensichtlich unsere Änderungsanträge, die wir im Innenausschuss und im Finanzausschuss gestellt haben, nicht einmal gelesen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir, meine Damen und Herren, haben eine Verschärfung der Strafvorschriften gefordert. Diese haben Sie abgelehnt. Wir haben für die Bekämpfung der Schwarzarbeit die Zulassung der Überwachung der Telekommunikation gefordert. Auch das haben Sie abgelehnt. Hier von einer Zurückhaltung der Union zu sprechen ist nun wirklich deplatziert.

   Herr Minister Eichel hat heute noch einmal das Ziel formuliert, das er mit diesem Gesetz verfolgt. Er hat gesagt, dass für ihn die Bekämpfung der organisierten Kriminalität im Zusammenhang mit Schwarzarbeit im Vordergrund steht. In diesem Gesetzesziel stimmen wir nahtlos mit der Bundesregierung überein. Nur, meine Damen und Herren, dieses Gesetzesziel erreicht Ihr Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz nicht.

(Albert Deß (CDU/CSU): Sie erreichen überhaupt nichts!)

Ganz im Gegenteil: Es erschwert sogar die Bekämpfung der organisierten Kriminalität.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Experten aus den Landeskriminalämtern, Herr Montag, und Innenminister der SPD - gar nicht einmal von uns - haben immer wieder auf die gravierenden Schwachstellen dieses Gesetzentwurfes hingewiesen.

(Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Das haben wir alles berücksichtigt!)

Sie sind damit im Bundesfinanzministerium auf taube Ohren gestoßen. Offenbar war der Finanzpolitiker Eichel der Auffassung, bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität im Bereich der Schwarzarbeit den Rat von Fachleuten nicht zu benötigen.

   Es verwundert daher nicht, dass der Berliner Innensenator, Dr. Ehrhart Körting, ein Parteifreund von Ihnen, seine geharnischte Kritik am rot-grünen Gesetzentwurf über die Berliner Presse artikulierte. Der Berliner „Tagesspiegel“ titelte: „Innensenator kritisiert Gesetzentwurf zur illegalen Beschäftigung: Kampf gegen organisierte Kriminalität wird erschwert“.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Wann war das? Das war vor der ersten Lesung!)

   In der Tat bremst der rot-grüne Gesetzentwurf vor allem die Landeskriminalämter in ihrem Kampf gegen die organisierte Kriminalität regelrecht aus. Datenschutzrechtliche Vorschriften verhindern, dass der Zoll wichtige Erkenntnisse über Menschenschmuggel, Urkundenfälschung und Subventionsbetrug an die hierfür nach wie vor zuständigen Landeskriminalämter unbürokratisch weiterleiten kann. Selbst bei einem so wichtigen Anliegen wie der Bekämpfung der organisierten Kriminalität überzieht die Bundesregierung den Datenschutz derart, dass er letztlich zum Täterschutz wird.

(Elke Wülfing (CDU/CSU): So ist es!)

   Meine Damen und Herren, der Bundesrat hat Sie fast einstimmig aufgefordert, den Informationsaustausch zwischen Polizei und Zoll im Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz deutlich zu erleichtern. Auch bei einer Anhörung im Finanzausschuss wurde von den Experten der Kriminalpolizei bis hin zum Zoll unisono eine vollständige - ich betone: vollständige - Rücknahme der datenschutzrechtlichen Bestimmungen eingefordert. Zumindest in der SPD-Fraktion scheint das - Herr Kollege Schultz, Sie haben in der Anhörung darauf hingewiesen - Wirkung gezeigt zu haben. Mit Ihren Änderungsanträgen, mit denen der Gesetzentwurf der Bundesregierung nachgebessert wurde, nähern Sie sich den Änderungswünschen der CDU/CSU-Fraktion wenigstens in Teilbereichen an. Aber Ihr grüner Koalitionspartner verhindert offensichtlich, gerade was die datenschutzrechtlichen Bestimmungen angeht, noch immer ein akzeptables Ergebnis. Die Polizei hat zwar jetzt Zugang zur Datenbank „Schwarzarbeit“ des Zolls, aber nur mit massiven Beschränkungen, die die Arbeit behindern. Dies macht gerade eine Fortführung der Arbeit der ausgesprochen erfolgreich tätigen gemeinsamen Ermittlungsgruppen von Zoll und Kriminalpolizei äußerst schwierig. Es ist doch geradezu grotesk, wenn der Kriminalpolizeibeamte einer solchen Ermittlungsgruppe nicht auf die gleiche Datenbank Zugriff nehmen kann wie der neben ihm arbeitende Mitarbeiter des Zolls, der im gleichen Fall ermittelt. Das geht nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Wer die organisierte Kriminalität im Bereich der Schwarzarbeit bekämpft, hat es zwangsläufig auch mit anderen schweren Straftaten wie Menschenschmuggel oder Drogendelikten zu tun, die nicht in den Zuständigkeitsbereichs des Zolls fallen. Deshalb besteht die Notwendigkeit einer entsprechenden Datenübermittlung. Nur dann ist es den gemeinsamen Ermittlungsgruppen möglich, ihre Arbeit zu tun. Diese Arbeit wird durch den Gesetzentwurf behindert. Deshalb werden wir ihm auch nicht zustimmen.

   Ein weiterer Schwachpunkt des rot-grünen Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes ist, dass Täter, die Schwarzarbeit in großem Stil organisieren, strafrechtlich kaum anders eingeordnet werden als Gelegenheitstäter. So sieht es der rot-grüne Gesetzentwurf vor. Wenn man, wie es ein Experte bei der Anhörung formulierte, „Raubtiere zur Strecke bringen will“, dann muss man auch bei der Formulierung des Gesetzestextes ein größeres Kaliber wählen. Wer gewerbsmäßig Schwarzarbeit organisiert, wer in großem Ausmaß Leistungen zu Unrecht erlangt, wer professionell Belege fälscht oder wer die Mithilfe eines Amtsträgers ausnutzt, der darf nicht mit einer Geldstrafe davonkommen, wie es Ihr Gesetzentwurf vorsieht. Hier muss, auch zur Abschreckung, eine Mindestfreiheitsstrafe ins Gesetz, die Sie aber abgelehnt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Auch der Referentenentwurf des Finanzministeriums, der der Gesetzesvorlage vorausging, sah noch im Oktober letzten Jahres eine entsprechende Strafschärfung vor. Auf wundersame Weise ist diese sehr sinnvolle Regelung dann aber in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung herausgestrichen worden. Änderungsanträge der CDU/CSU, die strafschärfenden Tatbestände in das Gesetz wieder aufzunehmen - sie waren im Referentenentwurf ursprünglich enthalten -, wurden von Ihnen abgelehnt. Es reicht eben nicht - wie Sie es heute hier blumig getan haben -, mit starken Worten der organisierten Kriminalität bei der Schwarzarbeit den Kampf anzusagen. Es müssen im Gesetzgebungsverfahren dann auch die notwendigen Strafvorschriften geschaffen werden, die Sie aber nicht eingeführt haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Lieber Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Roland Gewalt (CDU/CSU):

Bei Berufsverbrechern werden Sie mit dem erhobenen Zeigefinger wenig Eindruck hinterlassen.

   Die CDU/CSU-Fraktion wird Ihren Gesetzentwurf ablehnen, weil er Berufsverbrechern keine Schranken setzt, was aber notwendig wäre, um die organisierte Kriminalität zu bekämpfen.

(Peter Dreßen (SPD): Das ist etwas ganz Neues!)

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich schließe die Aussprache.

   Wir kommen zur Abstimmung über die von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwürfe zur Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und damit zusammenhängender Steuerhinterziehung, Drucksachen 15/2573 und 15/2948. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, die genannten Gesetzentwürfe als Gesetz zur Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und damit zusammenhängender Steuerhinterziehung in der Ausschussfassung anzunehmen, Drucksachen 15/3077 und 15/3079. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.

   Wir kommen zur

   dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Dazu liegt eine persönliche Erklärung der Kollegen Montag, Winkler und Dümpe-Krüger vor. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen sowie der beiden fraktionslosen Abgeordneten gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.

   Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/3081? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion der CDU/CSU abgelehnt.

   Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/3080? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen der FDP mit den Stimmen der anderen Abgeordneten des Hauses abgelehnt.

   Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:

Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Maria Eichhorn, Dr. Maria Böhmer, Antje Blumenthal, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch (Drittes SGB VIII-Änderungsgesetz - 3. SGB VIII-ÄndG)

- Drucksache 15/1114 -
(Erste Beratung 56. Sitzung)

Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Sozialgesetzbuches - Achtes Buch - (SGB VIII)

- Drucksache 15/1406 -
(Erste Beratung 63. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (12. Ausschuss)

- Drucksache 15/3000 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Marlene Rupprecht (Tuchenbach)
Andreas Scheuer
Jutta Dümpe-Krüger
Klaus Haupt

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Kollegin Maria Eichhorn, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Maria Eichhorn (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Kinder- und Jugendhilfegesetz, das nun schon über zehn Jahre besteht, hat sich bewährt und zu einer Qualifizierung der Angebote im Interesse der Kinder, der Jugendlichen und der Familien beigetragen. Die Kommunen, aber auch die Träger der Jugendhilfe haben seither viel geleistet.

   Allerdings müssen wir feststellen, dass die Ausgaben enorm angestiegen sind. Ständig neue Ausgabenbelastungen und wiederholte Eingriffe in die Einnahmenseite drohen die kommunale Selbstverwaltung auszuhöhlen. Die Finanzlage der Kommunen hat sich so zugespitzt, dass manche Städte und Gemeinden nicht mehr in der Lage sind, einen ordnungsgemäßen Haushalt vorzulegen.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Das ist leider wahr!)

Der Kostenanstieg in der Kinder- und Jugendhilfe hat daran leider einen großen Anteil. Innerhalb von zehn Jahren, von 1992 bis 2002, sind die Kosten um rund 6 Milliarden Euro - das sind 41 Prozent - gestiegen. Dem können wir nicht tatenlos zusehen. Zahlreiche Hilferufe von Landräten, Oberbürgermeistern und Bürgermeistern erreichen uns.

   Der Bayerische Landkreistag hat eine Reihe von Fällen gesammelt, die der Gesetzgeber so nicht gewollt hat. Gute Ansätze des Kinder- und Jugendhilfegesetzes führen in einigen Fällen zu einem Missbrauch von Leistungen. Das können wir nicht hinnehmen. Die Union hat daher einen Antrag zur Beseitigung der Auswüchse in den Bundestag eingebracht.

   In einem Zeitungsartikel vom 29. Februar dieses Jahres hat Frau Ministerin Renate Schmidt Handlungsbedarf eingeräumt. Es kam sogar im März zu einem gemeinsamen Entschließungsantrag der Länder Bayern und Nordrhein-Westfalen. - Die Ministerin ist leider nicht da. Ich sehe auch keine Staatssekretärin. -

(Marion Caspers-Merck, Parl. Staatssekretärin: Die Staatssekretärin ist da!)

Diese beiden Länder, Nordrhein-Westfalen und Bayern, hatten sich stellvertretend für die B- und die A-Länder immerhin in zehn Punkten geeinigt und dabei Forderungen unseres Antrages aufgegriffen. Umso unverständlicher und unbegreiflicher ist es daher, dass Rot-Grün unseren Gesetzentwurf im Ausschuss abgelehnt hat.

   Die Ziele des Kinder- und Jugendhilfegesetzes sind erstens die Befähigung der Eltern, Kinder zu eigenverantwortlichen Menschen zu erziehen, zweitens die Unterstützung der Eltern in schwierigen Erziehungssituationen und drittens die nachhaltige Förderung der Erziehung in Familien. Das SGB VIII verlangt erheblich mehr als die Gewährung von Hilfen. Es verpflichtet uns vor allem zu einer nachhaltigen Förderung der Erziehung in den Familien. Der Leistungsbereich der Förderung der Erziehung stagniert, weil ihm die Aufgaben der Jugendhilfe kaum Entwicklungsmöglichkeiten lassen. Dabei wissen wir alle: Prävention hilft, Probleme zu verhindern.

   Die Jugendämter sind aber immer weniger in der Lage, diagnostische und pädagogische Hilfe zu leisten und als Fachbehörde Eltern und Erziehern beizustehen. Sie werden in erster Linie nur noch als Kostenträger gesehen. Dies gilt insbesondere für die Eingliederungshilfe. Daher wollen wir mit unserem Gesetzentwurf insbesondere eine Änderung der §§ 35 a und 41 SGB VIII erreichen. Die Jugendämter erhoffen sich von einer Änderung des SGB VIII klare gesetzliche Regelungen. Die Erfahrung aus der Praxis zeigt, dass eindeutige Altersgrenzen und klar geregelte Zuständigkeiten dabei die wichtigsten Instrumente sind.

   In Zeiten knapper Gelder müssen die Leistungen nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz verstärkt nach Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Maßnahmen hinterfragt werden. Eltern, die wirtschaftlich dazu in der Lage sind, ist es durchaus zuzumuten, sich an den Kosten der Kinder- und Jugendhilfe zu beteiligen.

   Ein besonderer Handlungsbedarf besteht bei § 35 a SGB VIII. Hier haben sich innerhalb von nur fünf Jahren, von 1997 bis 2002, die Ausgaben mehr als verdoppelt. So werden aufgrund des Tatbestandes einer seelischen Behinderung Jugendämter derzeit per Gerichtsbeschluss zur Finanzierung einer teuren Eliteprivatschule im Ausland verpflichtet.

(Jutta Dümpe-Krüger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was für eine unzulässige Verallgemeinerung!)

Dies führt zu Mitnahmeeffekten und falschen Anreizwirkungen. Von bestimmten Interessengruppen wird diese Vorschrift sogar als freier Markt verstanden.

   Die Jugendämter und letztlich der Steuerzahler dürfen nicht als goldener Esel missbraucht werden. Es geht darum, bei den Paragraphen, welche zu einem erheblichen Kostenanstieg geführt haben, klar abzugrenzen.

   Bei der Beratung des Gesetzentwurfs im Ausschuss wurde von Ihnen, meine Damen und Herren von Rot-Grün, ein Änderungsbedarf bei den §§ 35 a und 41 SGB VIII mit dem Hinweis verneint, dass die Zahl der Hilfen nur gering sei.

(Christel Humme (SPD): 3 Prozent!)

Sie haben aber in der Anhörung erlebt, dass zum Beispiel der Jugendamtsleiter der Stadt Regensburg mit konkreten Beispielen das Gegenteil bewiesen hat. Eine Kostensteigerung bei den teilstationären Hilfen innerhalb von zwei Jahren um 340 Prozent - Sie haben richtig gehört - ist wahrlich kein geringer Anstieg.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)

   Jetzt werden Sie sagen: Das ist ja nur ein Einzelfall. - Es ist aber kein Einzelfall, wie uns zahlreiche Kommunalpolitiker bestätigen.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Wohl wahr!)

Hier wird eine Regelung missbraucht und diesen Missbrauch müssen wir verhindern.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   In der ersten Lesung hat Frau Staatssekretärin Riemann-Hanewinckel Gesprächsbereitschaft signalisiert. Aber was hilft die Gesprächsbereitschaft, ja sogar ein gemeinsames Papier von Nordrhein-Westfalen und Bayern, wenn Ihre konkreten Beschlüsse fehlen? Sie haben die Zustimmung aus taktischen Gründen verweigert;

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Hört! Hört!)

denn wie man hört und wie Ihre Ministerin im Ausschuss bestätigt hat, wollen Sie in einem anstehenden Gesetz zur Kinderbetreuung einige von uns gemachte Vorschläge aufgreifen.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): So machen sie das!)

Warum stimmen Sie dann diesem Gesetzentwurf nicht schon heute zu? Wir würden wertvolle Zeit für die Kommunen gewinnen

(Christel Humme (SPD): Aber nicht für die Jugendlichen!)

und den Kommunen Kosten sparen helfen, wenn Sie hier und heute unserem Gesetzentwurf zustimmten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Taktische Finessen sind angesichts der katastrophalen Haushaltslage der Kommunen völlig unverständlich und unmoralisch. Wir wollen auch in Zukunft jungen Menschen eine Chance auf positive Entwicklungsmöglichkeiten eröffnen. Daher gilt es stärker als bisher, die knapper werdenden Ressourcen ziel- und zweckgerichtet einzusetzen. Die Kernaufgabe der Jugendhilfe, nämlich die Förderung der Erziehung in der Familie, muss wieder in den Mittelpunkt des Gesetzes und der Aufgaben der Jugendämter gestellt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Marlene Rupprecht, SPD-Fraktion, das Wort.

Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle, die Kolleginnen und Kollegen des Bundestages, des Bundesrates - eine Vertreterin aus Bayern ist da - und der Bundesregierung und alle Fachleute, sind uns einig - das wurde in der Anhörung im Dezember deutlich -, dass sich das Kinder- und Jugendhilfegesetz - SGB VIII - grundsätzlich bewährt hat.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Es war und ist auch nach 13 Jahren immer noch ein sehr modernes Gesetz. Es stellt nämlich die Interessen der Kinder und Jugendlichen und deren Familien in den Mittelpunkt. Beginnend schon in verschiedenen Absätzen des § 1 bis hin zu den letzten Paragraphen stehen immer die Interessen der Kinder und Jugendlichen im Zentrum des Gesetzes. Das ist das Moderne und Erhaltenswerte an diesem Gesetz.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Durch dieses Gesetz werden dem Träger der Jugendhilfe und dem Jugendamt Aufgabenfelder zugewiesen. Sie sind Gestalter, Dienstleister und Wächter mit hoheitlichen Pflichten zum Schutz der Kinder. Diese Aufgaben sind im Gesetz eindeutig geregelt.

Wir diskutieren heute vor dem Hintergrund öffentlicher Medienkampagnen, anders kann ich das nicht bezeichnen. So wie vor einem Jahr der Sozialhilfeempfänger Florida-Rolf werden jetzt die Intensivpädagogik in Griechenland und das Internat in Schottland - es geht um Millionärskinder, die unberechtigt von der Jugendhilfe finanziert wurden - von den Medien aufgegriffen. Es sind also Skandale und sicher auch einige Missbrauchsfälle an die Öffentlichkeit gelangt, wobei ich mich allerdings immer frage, wie in diesen Fällen der Datenschutz gewahrt wird, der im Kinder- und Jugendhilfegesetz eindeutig festgeschrieben ist.

   Vor dem Hintergrund dieser Medienkampagnen haben wir heute einen Gesetzentwurf des Bundesrates und einen der CDU/CSU zur Änderung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes zu beraten. Jedem steht es frei - das ist völlig legitim -, zu überprüfen, ob das, was vor 13 Jahren beschlossen und als Zielsetzung festgelegt wurde, den heutigen Ansprüchen und Gegebenheiten noch entspricht, ob die Ziele, die wir damals festgelegt haben, tatsächlich noch erreicht werden können.

   Die hier vorliegenden Gesetzentwürfe müssen daraufhin überprüft werden, ob die vorgesehenen Änderungen dem Sinn und Gehalt des Gesetzes entsprechen oder ob sie das Kinder- und Jugendhilfegesetz in der Substanz verändern. Diese Frage müssen Sie beantworten.

   In der Begründung des CDU/CSU-Gesetzentwurfs - das ist nicht von mir - heißt es:

Angesichts der prekären Finanznot der öffentlichen Kostenträger werden von den Kommunen deshalb bundesweit seit längerem u. a. gesetzliche Änderungen im Kinder- und Jugendhilfegesetz mit dem Ziel der Kostendämpfung massiv reklamiert.

Die Kostendämpfung ist das einzige Ziel Ihres Entwurfes.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Andreas Scheuer (CDU/CSU): Völliger Blödsinn!)

   Sie stellen nicht die Frage, ob mit den Hilfen, die bisher gewährt wurden, das Ziel des Kinder- und Jugendhilfegesetzes erfüllt worden ist.

(Andreas Scheuer (CDU/CSU): Alte Kamellen! Warum wollen denn Sie reformieren, Frau Kollegin?)

Ist es tatsächlich so umgesetzt worden? Darüber reden wir heute. Ich werde mir Ihre Entwürfe daraufhin genau anschauen. Sie enthalten einige ganz tolle Punkte.

   An einigen Stellen sind die Vorgaben des Gesetzes bisher erfüllt worden. In § 80 SGB VIII - Jugendhilfeplanung - heißt es: Man muss im Rahmen der Jugendhilfeplanung den Bestand feststellen, den Bedarf ermitteln und ein Angebot vorhalten, das nicht nur kurz-, sondern auch mittelfristig den Bedarf deckt.

(Andreas Scheuer (CDU/CSU): Ihnen fällt nichts Neues ein! Immer die alte Leier!)

Das, was bisher gemacht worden ist, muss kontinuierlich fortgeführt werden.

   Gehen Sie raus in die Lande. Die Jugendhilfeplanung ist in der Praxis sehr unterschiedlich umgesetzt worden. Deshalb sind auch bei den Angaben zur Kostenexplosion keine Gründe, Ursachen und Fallzahlen genannt worden. Da müssen Sie alle passen und können das nicht angeben. Jeder einzelne Jugendamtschef kann das machen, wie er will, kann vorgeben, was er will. Erfüllen Sie deshalb die im Gesetz vorgeschriebene Aufgabe der Jugendhilfeplanung - und das kontinuierlich.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Weiterhin ist in Ihrem Gesetzentwurf die Einführung von Altersbegrenzungen enthalten. Dahinter steckt folgendes Menschenbild - das findet man immer wieder -: Als sei der Mensch geklont, lernt er im gleichen Rhythmus, entwickelt sich im gleichen Rhythmus und ist mit 18 schlagartig erwachsen.

(Andreas Scheuer (CDU/CSU): Oh mein Gott!)

   Das entspricht schlicht und ergreifend nicht der Realität. Deshalb ist im bestehenden Gesetz in § 41 SGB VIII die Regelung enthalten, dass Jugendhilfemaßnahmen über das 18. Lebensjahr hinaus bis maximal zum 21. Lebensjahr fortgesetzt werden können.

(Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Das ist die sozialistische Urlehre der 60er- und 70er-Jahre!)

Selbst danach können noch Beratung und Unterstützung gewährt werden, wenn sie beim Übergang ins Erwachsenenleben benötigt werden. Dies geht von einem Menschenbild aus, das nicht geklont ist, sondern orientiert sich an dem tatsächlichen Leben der Menschen. Das ist immer noch das Moderne an dem Gesetz.

   Nun komme ich zu § 35 a SGB VIII. Sie schlagen vor, die Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche wesentlich einzuschränken. Wenn Sie dem bisherigen § 35 a SGB VIII Schwammigkeit vorwerfen, gilt das für die neue Regelung noch mehr.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn § 35 a SGB VIII beinhaltet eindeutig Leistungen aufgrund seelischer Behinderungen, die nach internationalen Standards, also nach festgelegten Klassifikationen, gewährt werden. Wer sie nicht kennt, kann sich im Internet darüber informieren. Dort findet man alle Klassifikationen, nach denen sich ein Facharzt richten muss. Daher ist Ihr Vorschlag bezüglich § 35 a SGB VIII nicht zielführend.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Kollegin Rupprecht, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Eichhorn?

Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD):

Aber natürlich.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Bitte schön, Frau Eichhorn.

Maria Eichhorn (CDU/CSU):

Frau Kollegin, würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass es in § 35 a SGB VIII darum gehen soll, die Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche an die im Sozialhilfegesetz bestehende Eingliederungshilfe für körperlich und geistig behinderte Kinder und Jugendliche anzugleichen, um einen einheitlichen Standard zu schaffen, damit es nicht, wie dies derzeit der Fall ist, zu Missbrauch kommt?

Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD):

Frau Eichhorn, ich weiß nicht, an welchen Stellen Sie Missbrauch feststellen.

(Andreas Scheuer (CDU/CSU): Dann waren Sie bei der Anhörung nicht dabei! - Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Siehe Schottland!)

- Ja, Schottland. - Wenn das Jugendamt Hilfe gewährt, muss für Maßnahmen nach den §§ 27 bis 35 SGB VIII in jedem Fall ein Hilfeplan erstellt werden. Wenn das tatsächlich geschieht, wäre eine Überweisung nach Schottland theoretisch möglich. Aber das wäre allerdings nur eine Alternative. Die Entscheidungshoheit hat das Jugendamt. Wenn das Jugendamt allerdings nicht den Mut hat, zu sagen: „Diese Maßnahme ist nicht geeignet und es ist deshalb eine andere vorzuschlagen“, dann ist es nicht Sache des Gesetzgebers, dieses Vollzugsdefizit zu beseitigen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Andreas Scheuer (CDU/CSU): Das machen die Ämter schon lange nicht mehr! Das machen die Gerichte!)

   Ich möchte auf einen weiteren Aspekt des § 35 a SGB VIII eingehen, der immer geflissentlich übersehen wird - deshalb müssten wir den Gesetzentwurf des Bundesrates eigentlich an die Länder zurückverweisen -: In § 35 a SGB VIII haben Sie all das aufgenommen, was eigentlich die ursächliche Aufgabe anderer Institutionen, zum Beispiel der Schule, ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Mit Ihrem Menschenbild gehen Sie davon aus, dass ein Kind, das eingeschult wird, alles perfekt kann; wenn es das nicht kann, wird es ausgesondert. Wenn man aber das Menschenbild hat, dass man einem Kind - egal, wie es ist - alle Förderungen zukommen lässt, die es braucht, damit es die Schule erfolgreich bewältigen kann, dann können in der Schule die Kinder, die dort nicht hineinpassen, nicht aussortiert werden. Ich meine Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, mit Lese-Rechtschreib-Schwäche, mit Rechenschwäche und Hochbegabte. Das ist übrigens eine tolle Mischung; das muss ich wirklich sagen.

   Wie ich gestern von einem Fachmann gehört habe, werden in den Förderschulen für Hör- und Sprachbehinderte inzwischen sogar die Einzeltherapiestunden abgesetzt, weil man für Einzeltherapeuten kein Geld mehr hat. Man setzt diese Stunden ab und bemüht sich darum, dass die Krankenkasse das finanziert. Das heißt, wir müssen die Länder auffordern, ihren Pflichtaufgaben im Schulbereich nachzukommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dann fällt ein großes Problem weg, das sich heute aufgrund des § 35 a SGB VIII stellt. Ein Kind mit Lese-Rechtschreib-Schwäche oder Rechenschwäche, das nicht behandelt wird, kann auffällig werden, ihm kann eine seelische Behinderung drohen. Nur dann erfüllen diese Kinder die Voraussetzungen des § 35 a SGB VIII. Ich glaube, Sie wollen, dass das eine Aufgabe der Länder ist.

   Zu Ihren Vorschlägen. Die Kostendämpfung, die Sie wollen, ist nur durch Streichungen zu erreichen. Wenn ich Leistungen streichen möchte, gehe ich davon aus, dass Maßnahmen durchgeführt wurden, die nicht notwendig waren, dass also auch Kinder, die keinen Hilfebedarf hatten, Leistungen erhalten haben. In solchen Fällen sind Streichungen gerechtfertigt. Oder Sie gehen davon aus, dass zum Beispiel die Schule diese Leistung hätte erbringen müssen. Dann muss man sich mit den dortigen Verantwortlichen streiten oder billigend in Kauf nehmen, dass diese Kinder keine Hilfe bekommen, dass sie zukünftig Problemfälle auf dem Arbeitsmarkt sind und dass sie später von der Jugendgerichtshilfe Leistungen erhalten, die sie vorher nicht bekommen haben.

   Wenn Sie Kindern Hilfsmaßnahmen verweigern, die dringend Hilfe brauchen, muss ich sagen, dass Sie schlicht und ergreifend eine Sünde an zukünftigen Generationen begehen. Was ist also zu tun? Nur so wird ein Schuh daraus: Wir müssen die Vollzugsdefizite abbauen. Das heißt, wir müssen in der Jugendhilfeplanung Strukturen schaffen und Familienleitbilder erstellen. All dies müssen wir tun, damit Familien und Kinder die Strukturen bekommen, die sie brauchen, und damit für die Kinder, die Einzelfallhilfe benötigen, tatsächlich Geld da ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann muss ein Hilfeplan für den Einzelfall erstellt werden.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Kollegin Rupprecht, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage? - Dann bitte ich Sie, anschließend zum Schluss zu kommen.

Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD):

Ja.

Maria Eichhorn (CDU/CSU):

   Frau Kollegin Rupprecht, verstehe ich Sie richtig, dass bei den von Ihnen zitierten Paragraphen kein Änderungsbedarf besteht? Wie begründen Sie dann die von Ihnen geäußerte Meinung, dass in eben diesen Paragraphen, die Sie zu zerpflücken versuchen, Änderungsbedarf besteht?

Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD):

Frau Eichhorn, wunderbar! Wenn Sie noch zwei Sätze gewartet hätten! Ich hätte das gleich angefügt. Als Erstes habe ich genannt: Strukturen aufbauen, wo das noch nicht geschehen ist, wo die Jugendhilfeplanung noch nicht gemacht worden ist. Dann wird weniger Einzelfallhilfe gebraucht. Das Zweite ist: originäre Aufgaben anderer Institutionen zurückzuverweisen, siehe das Beispiel Schule. Das Dritte ist: Da, wo man im Vollzug glaubt, dass das Gesetz nicht präzise genug ist, müssen wir als Gesetzgeber vielleicht so präzise formulieren,

(Maria Eichhorn (CDU/CSU): Also doch!)

dass auch nicht der leiseste Hauch eines Missverständnisses aufkommen kann,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

beispielsweise dann, wenn das Jugendamt eine Entscheidung trifft. Wir wollen aber keine Veränderungen, die zu einem Abbau von Leistungen, die Kinder dringend brauchen, führen. Das ist an der verkehrten Stelle gespart! Ein Kind, das einen Knochenbruch hat, schicken Sie auch nicht wieder heim statt zum Chirurgen, sondern Sie sagen: Jawohl, da muss etwas getan werden. - Ich finde, ob ein Knochenbruch oder eine Wunde an der Seele, das ist egal. Hauptsache, das Kind wird gesund und wächst gesund auf, als eigenständige Persönlichkeit. Dann können wir mit ihm als Erwachsenem auch etwas in unserer Demokratie anfangen. Alles andere ist nicht zielführend, deswegen lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus Haupt von der FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Klaus Haupt (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zwölf Jahre nach dem In-Kraft-Treten des Kinder- und Jugendhilfegesetzes ist eine kritische Überprüfung sicherlich sinnvoll. Das gilt besonders, wenn Kostendämpfung möglich erscheint. Wer jedoch bei der Jugendhilfe sparen will, darf nicht vergessen, dass Ausgaben für unsere Kinder und Jugendlichen Investitionen in die Zukunft unserer Gesellschaft sind

(Beifall bei der FDP)

und falsches Sparen an dieser Stelle schlimme Folgen haben kann. Außerdem ist im Blick zu behalten, dass die Kinder- und Jugendhilfe im Ausgabenblock des Sozialbudgets unseres Landes ohnehin einen eher bescheidenen Anteil einnimmt und auch ihr Anteil an den Ausgaben der Kommunalhaushalte keineswegs hoch liegt. Vor diesem Hintergrund sind Vorschläge zu Leistungseinschränkungen bei der Jugendhilfe stets kritisch zu prüfen.

   Die auf Initiative der FDP durchgeführte Ausschussanhörung hat wertvolle und aus meiner Sicht differenzierte Beiträge zur Meinungsbildung geliefert.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte mich bei den Fachleuten bedanken, die mit sehr hilfreichen, sachkundigen Informationen zur Bewertung der vorgeschlagenen Änderungen beigetragen haben.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Mehrheit der Sachverständigen hat gegen mehrere Änderungsansätze des Gesetzentwurfes überzeugende Argumente angeführt, weshalb wir im Ausschuss die Streichung der betreffenden Artikel beantragt haben.

   So können die vorgesehenen Einschränkungen der Hilfen für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche sowie die Verlagerung dieses Leistungsbereiches in die Sozialhilfe von der FDP nicht mitgetragen werden.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD)

Sie würden zu einer Verschlechterung der Hilfen und zu einer Kostenverlagerung, aber kaum zu einer Einsparung führen, vielleicht sogar zu zusätzlichen Folgekosten, wenn die Aufgaben weniger zielgruppengerecht erfüllt werden. Die bisherige Unterscheidung der Zuständigkeiten für geistig und körperlich Behinderte auf der einen und seelisch Behinderte auf der anderen Seite ist zwar nicht vollends überzeugend, es ist aber nach Anhörung der Experten zu bezweifeln, dass aus dem System der Sozialhilfe heraus mit gleicher Qualität Hilfen für die betroffenen Kinder und Jugendlichen erbracht werden könnten wie bisher durch die Kinder- und Jugendhilfe und ihre Rehaträger.

Sehr wohl wären durch den Gesetzentwurf Leistungseinschränkungen für seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Kinder und Jugendliche zu befürchten und damit ihre Integration gefährdet. Kostenreduzierungen in diesem Bereich sind, wie sich in einigen Kommunen gezeigt hat, durch Verbesserung und Vereinheitlichung der Auslegung sowie durch Professionalisierung der Gesetzesanwendung insgesamt möglich.

   Die im Gesetzentwurf vorgesehene Änderung des § 41 SGB VIII lehnen wir ab. Grundsätzlich sollte der Schwerpunkt der Jugendhilfe auf der Förderung von Kindern und Jugendlichen liegen.

(Beifall der Abg. Kerstin Griese (SPD))

Schon heute ist rechtlich sichergestellt, dass die Maßnahmen vor der Volljährigkeit beginnen müssen. Allerdings müssen Jugendhilfemaßnahmen für junge Volljährige in Ausnahmefällen auch künftig über die Vollendung des 21. Lebensjahres hinaus fortgesetzt werden können. In vielen Fällen kann eine Fortsetzung von Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe über das 21. Lebensjahr hinaus sinnvoll sein, etwa bei Jugendlichen, die Strafvollzug oder Psychiatrie hinter sich haben, oder bei Frauen im Falle ungewollter Schwangerschaft oder von Zwangsheirat.

(Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD): Genau!)

Eine erfolgreiche pädagogische Arbeit auch mit jungen Erwachsenen ist, wie man Studien entnehmen kann, sehr wohl möglich. Im Übrigen ist die im Gesetzentwurf getroffene Feststellung, dass Maßnahmen für junge Erwachsene zur Regel und zum enormen Kostenfaktor geworden seien, nicht generell zutreffend.

   Die Einführung von Landesrechtsvorbehalten zur Verlagerung von Aufsichtskompetenzen, die Veränderung von Zuständigkeitsregelungen und die Erhebung von Gebühren wären aus unserer Sicht zu befürworten. Auch die stärkere Heranziehung zu den Kosten bei stationären Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe sieht die FDP positiv. Diese Thematik hat eine Kleine Anfrage der FDP vertieft.

   Dem Gedanken, das Kindergeld bei der Erhebung eines Kostenbeitrages für Jugendhilfeleistungen anzurechnen, wenn das Jugendamt den Lebensunterhalt für Kinder trägt, stehe ich ebenfalls aufgeschlossen gegenüber. Es gibt keinen Grund, die bisherige relative Schlechterstellung der Eltern, die ihre Kinder selbst erziehen, beizubehalten.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Die FDP begrüßt den Vorschlag der Aufwertung der Jugendhilfeplanung im Hinblick auf einen kontinuierlichen Prozess und einen höheren Gesamtstellenwert.

   Der Vorschlag, durch Landesrecht veränderte Zuständigkeiten für die Aufsicht über Tageseinrichtungen für Kinder zu ermöglichen, kann einen positiven Beitrag zur Verwaltungsvereinfachung leisten. Allerdings darf es nicht zu Interessenkollisionen auf der Ebene der örtlichen Träger der Jugendhilfe kommen.

(Beifall bei der FDP)

   Meine Damen und Herren, die FDP hat im Ausschuss in diesem Sinne zahlreiche Änderungsanträge zu dem vorliegenden Gesetzentwurf eingebracht, um das in der Anhörung vermittelte Expertenwissen in den Gesetzgebungsprozess einfließen zu lassen. Diese Änderungsanträge sind nicht berücksichtigt worden. In der Gesamtabwägung enthält der Gesetzentwurf aus unserer Sicht schwerwiegende Defizite, die zu einer erheblichen Verschlechterung im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe führen, ohne dass im Endeffekt sicher mit echten Einsparungen zu rechnen wäre. Die FDP lehnt den Gesetzentwurf daher trotz einiger guter und sinnvoller Gedanken ab.

   Danke.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt die Kollegin Jutta Dümpe-Krüger, Bündnis 90/Die Grünen.

Jutta Dümpe-Krüger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Kinder- und Jugendhilfegesetz ist ein modernes und gutes Gesetz, und zwar deshalb, weil es die Hilfen leistet, die notwendig sind.

(Maria Eichhorn (CDU/CSU): Weil es von uns gemacht worden ist, deswegen ist es gut!)

Was wir nicht gebrauchen können, ist ein KJHG light unter ausschließlich finanziellen und nicht unter fachlichen Gesichtspunkten.

   Zu § 35 a: Der Gesetzentwurf von CDU/CSU sieht vor, dass die Leistungen für seelisch Behinderte oder von Behinderungen bedrohte Kinder und Jugendliche an die Anspruchsvoraussetzungen des Bundessozialhilfegesetzes angeglichen werden sollen. Warum das aus fachlicher Sicht der falsche Weg wäre, ist sehr deutlich geworden: Die Zuweisung von seelisch behinderten jungen Menschen in die Sozialhilfe ist nicht angemessen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Grund dafür ist, dass es im Bereich der Sozialhilfe eine völlig andere Logik der Hilfeplanung gibt als im KJHG. Wenn es um rein materielle Versorgung geht, dann ist das Sozialamt zuständig. Wenn es aber um pädagogische und erzieherische Hilfen geht, dann ist die Jugendhilfe zuständig, und das aus gutem Grund: Sie kann das am besten. Sie erbringt die Hilfe, die speziell auf die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen zugeschnitten ist. Aus fachlicher Sicht gibt es also keinen Grund für eine Veränderung. Warum will die Union trotzdem eine? Meine Kollegin Rupprecht hat schon darauf hingewiesen: ausschließlich aus Kosteneinsparungsgründen.

   Die Einführung eines so genannten Wesentlichkeitskriteriums, wie ihn der Gesetzentwurf der Union vorsieht, würde bedeuten, dass Kinder und Jugendliche von einer wesentlichen Behinderung bedroht sein müssen, dass ihre Fähigkeit zur Teilhabe an der Gesellschaft wesentlich eingeschränkt sein muss, dass der Eintritt einer seelischen Behinderung „mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten“ sein muss und anderen Kindern und Jugendlichen mit einer seelischen Behinderung Eingliederungshilfe gewährt werden „kann“.

   Die Einführung des Begriffs der wesentlichen Behinderung würde keine Klärung, sondern Unklarheiten mit sich bringen. Der Versuch, in wesentliche, nicht wesentliche oder weniger wesentliche Behinderungen zu unterscheiden, würde die Schwelle der Anspruchsvoraussetzungen erhöhen und es würde zu Abgrenzungsschwierigkeiten kommen. Wir alle müssten befürchten, dass eine solche Gesetzesänderung der Vorwand für undifferenzierte Leistungskürzungen wäre. Das heißt, für Kinder und Jugendliche ginge unter Umständen wertvolle Zeit verloren, weil Eltern Hilfen für ihre Kinder vor Gericht erst einklagen müssten, und zwar weil wir, der Gesetzgeber, diese Unklarheiten geschaffen hätten. Das darf nicht passieren.

   Eine in der Anhörung gemachte Aussage möchte ich hier besonders unterstreichen: Die Jugendhilfe darf nicht zur „behindertenfreien Zone“ werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Was den Bereich der Teilleistungsstörungen angeht - Stichwörter „Legasthenie“ und „Dyskalkulie“ - ist klar: In erster Linie ist natürlich die Schule dafür zuständig, Kindern Lesen und Rechnen beizubringen. Die Schulen unterstehen der Länderhoheit. Das funktioniert mal mehr und mal weniger gut. Wir haben gelernt, dass eine gute örtliche Kooperation zwischen dem Jugendhilfesystem und der Schule das Wichtigste ist. Ich habe die Expertenmahnung noch sehr gut im Ohr, dass es in diesem Bereich einen großen Forschungsbedarf gibt und dass wir uns, weil wir in diesem Bereich relativ wenig wissen, davor hüten sollten, einschneidende Änderungen vorzunehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   In Bezug auf § 41 KJHG - Hilfen für junge Volljährige - beabsichtigt die Union folgende Neuregelungen: ein generelles Maßnahmeende von Jugendhilfeleistungen mit Vollendung des 21. Lebensjahres, keine Ersthilfe mehr ab dem 18. Lebensjahr und die Weiterführung einer Maßnahme über das 18. Lebensjahr hinaus nur noch als Kannleistung. Die Mehrheit der Experten in unserer Anhörung war der Ansicht, dass die Einführung des § 41 eine wichtige Errungenschaft des KJHG ist.

   Aus der Praxis wissen wir, dass die Jugendämter diese Hilfegewährung restriktiv handhaben. Es gibt zwei Wege, um Kosten einzusparen: entweder die Hilfen im Standard reduzieren oder überhaupt keine Hilfen mehr anbieten. Wenn zum Beispiel die jungen Volljährigen nicht mehr von der Jugendhilfe betreut werden, dann werden sie überhaupt nicht mehr betreut. Damit ist diese Hilfeart vom Tisch. Trotzdem brauchen diese Jugendlichen noch Hilfe. Wenn wir all diese Jugendliche durch das Sieb fallen lassen, dann ist das im ersten Moment sicherlich billiger. Langfristig sind aber nicht nur die Folgekosten höher, sondern auch der gesellschaftliche Schaden ist riesig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Die Aufwendung öffentlicher Mittel für Jugendhilfe - das sage ich klipp und klar - ist keine Wohltat des Staates. Hilfeleistungen für Jugendliche sind Ausdruck der öffentlichen Mitverantwortung für das Heranwachsen junger Menschen. Alle Leistungskürzungen, die nur dazu führen, dass bestehende Problemlagen verschärft werden, sind abzulehnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Zu § 10 KJHG: Die Union will, dass Leistungen für junge Volljährige nur noch als Folgeleistung des § 27 SGB VIII, nicht aber des § 35 a SGB VIII möglich sein sollen. Damit wäre der Vorrang der Jugendhilfe aufgehoben und in den Zuständigkeitsbereich des Bundessozialhilfegesetzes verschoben. Dieser Vorstoß ist mir schon allein deshalb unverständlich, weil es nur sehr wenige dieser Fälle gibt.

   Ich appelliere an Sie, noch einmal über die Frage nachzudenken, warum erzieherische Hilfen auch für junge Volljährige notwendig und wichtig sind.

Sie sind wichtig, weil sich von diesen Leistungen betroffene junge Menschen häufig in einer sehr kritischen Lebensphase befinden. Wenn es dann zu einem Zuständigkeitswechsel des Rehaträgers käme, wäre das gleichzeitig mit einem Einrichtungswechsel verbunden. Das würde Effekte begonnener Hilfe in hohem Maß infrage stellen. Wir wissen, dass besonders Mädchen davon betroffen wären.

   Ich habe folgendes Beispiel aus der Anhörung im Kopf: Ein Mädchen kommt in die Klinik, weil es sexuell missbraucht wurde und daraufhin versucht hat, sich das Leben zu nehmen. Die junge Frau steht kurz vor ihrem 18. Lebensjahr und wollte eigentlich Abitur machen. Wenn sie nun in der Klinik 18 Jahre alt wird und der Sozialhilfeträger für sie zuständig würde, dann käme sie anschließend in ein Wohnheim für psychisch Kranke, die mit 40, 50 oder noch mehr Jahren sehr viel älter als sie sind. Das ist nicht die Hilfe, die diese junge Frau benötigt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Maria Eichhorn (CDU/CSU): Das stimmt ja gar nicht!)

Was sie braucht, sind geeignete Hilfen, speziell auf junge Menschen ausgerichtet, damit sie ihr Leben wieder in den Griff bekommt, ihren Schulabschluss machen kann und anschließend hoffentlich einen guten Start in ihr weiteres Leben findet.

(Maria Eichhorn (CDU/CSU): Das kann sie auch mit dem neuen Gesetz!)

   Ich möchte abschließend feststellen: Jugendhilfe darf man nicht nach Kassenlage betreiben. Finanznot darf nicht dazu führen, dass Rechtsansprüche und Qualitätsstandards in der Kinder- und Jugendhilfe eingeschränkt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Unser gemeinsames Ziel muss es sein, junge Menschen zu fördern und dafür zu sorgen, dass alle annähernd die gleichen Chancen haben. Wir sind in der Pflicht, sie bei der Entwicklung ihrer Persönlichkeit zu unterstützen, damit sie ein selbstbestimmtes Leben führen können.

   Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Andreas Scheuer von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Andreas Scheuer (CDU/CSU):

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Diskussion um die Novellierung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes hat im Laufe der Beratungen einige sehr überraschende Entwicklungen und Wendungen genommen. Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün, sahen noch in der ersten Lesung am 3. Juli 2003 keinen Handlungsbedarf. Sie blockten ab. Die Frau Staatssekretärin Riemann-Hanewinckel wies in der Debatte sogar darauf hin, dass die Bundesregierung Gespräche darüber grundsätzlich ablehne. Sie wollten auf diesem Gebiet nichts reformieren und zeitgemäß anpassen.

   Sie versuchten, die Problembereiche mit dem Argument - wir haben es auch heute wieder gehört - einfach wegzuwischen, dass für Kostensteigerungen im Kinder- und Jugendhilfebereich die Jugendämter selbst verantwortlich sind, weil diese mit dem KJHG falsch umgehen. Sie sehen bei den Missbrauchsfällen weg und ignorieren, dass die Jugendämter nur noch Auszahlstellen sind, wodurch keine freien Mittel für die wichtige Prävention übrig bleiben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Dann folgte am 10. Dezember 2003 eine Anhörung. Oh Wunder, plötzlich kamen leichte Signale in Richtung Änderungswillen. Es mag an den von uns vorgeschlagenen Experten aus der Praxis gelegen haben, dass Sie sich in der Folge für das Thema erwärmen konnten. Ein sehr erfahrener Jugendamtsleiter - er selbst ist sogar SPD-Parteimitglied - bestätigte uns die richtige Richtung unseres Vorschlags.

(Widerspruch bei der SPD)

- Frau Humme, sehr viele Experten bestätigten uns die Richtigkeit unseres Vorschlags. -

(Christel Humme (SPD): Nicht in allen Punkten!)

Es mag vielleicht auch an den SPD-Bürgermeistern und SPD-Landräten liegen - es soll ja noch einige geben, aber nach den anstehenden Kommunalwahlen in diesem Jahr werden es wieder etwas weniger sein -,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

die Druck machten, hier etwas voranzutreiben.

(Christel Humme (SPD): Was?)

   Dann kam die Ausschussberatung, bei der kleinere Kompromisslinien zu erkennen waren. Man konnte also hoffen, dass durch die Anhörung ein Anflug von Erleuchtung bei Ihnen Einzug gehalten hatte. Ob das dazu führt, dass die Hilfe zielgenau bei den Kindern, Jugendlichen und Jugendämtern ankommt, glaube ich nicht; denn die bei Ihnen zu erkennenden Reförmchen werden wieder an der Praxis vorbeigehen.

   Auch ein Entschließungsantrag von Bayern und Nordrhein-Westfalen im Bundesrat hat Sie dann wohl im weiteren Verlauf zum Meinungsumschwung gezwungen. Da kann man nur sagen: Es geht doch. Wenn der Druck von allen Seiten kommt, dann können Sie sich anscheinend doch bewegen. Dies geschieht zwar langsam, aber ich halte mich an die Devise: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

   Frau Kollegin Rupprecht, jetzt komme ich zu Ihnen. Ich durfte mit Ihnen, hoch geschätzte Frau Kollegin, eine Podiumsdiskussion in Kelheim im schönen Niederbayern bestreiten. Dort waren nicht die Kämmerer und nicht die Finanzexperten der Kommunen unsere Ansprechpartner, sondern die Jugendamtsleiter, die Praktiker,

(Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD): Nicht die Praktiker, die Amtsleiter!)

die Kommunalpolitiker und die Jugendpolitiker aus Bayern. Ich hätte eigentlich nach meinen Erläuterungen unseres Vorschlags gleich nach Hause fahren können, denn die Union wurde in allen Punkten bestätigt. Sie aber, Frau Kollegin, mussten die sehr bescheidenen und realitätsfernen Vorschläge der Koalition vortragen, was allgemeine Heiterkeit bei den beteiligten Experten auslöste.

(Beifall bei der CDU/CSU - Lachen bei der SPD)

Grundtenor dieser Jugendamtsleiter war: Die Vorstellungen von Rot-Grün gehen völlig an der Praxis vorbei.

   Wenn Sie nicht einmal die guten Ratschläge der Jugendamtsleiter, der Praktiker aufnehmen, dann machen Sie wie gewohnt Politik an den Menschen vorbei. Deshalb brauchen Sie sich auch nicht darüber zu beklagen, dass Sie bei Umfragen in diesem Land so mies dastehen. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, haben in diesem Punkt keine Achtung vor der Eigenverantwortung der Kommunen und damit werden Sie zum Totengräber der kommunalen Selbstverwaltung. Das ist Fakt.

(Beifall bei der CDU/CSU - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Das ist eine unglaubliche Übertreibung! Aber das kennen wir ja von Ihnen!)

   Kommen Sie nicht mit dem Argument - das haben wir heute wieder gehört -, das sei ein sozialer Kahlschlag, oder mit ähnlichen Phrasen. Das ist plump und billig. Wenn ich mir die Stellungnahmen der Jugendamtsleiter bzw. der Kommunen ansehe, dann stelle ich fest, dass wir mit unserem Vorschlag völlig Recht haben.

(Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD): Lesen Sie mal die Stellungnahmen genau!)

- Ganz ruhig, Frau Kollegin Rupprecht, Blutdruck herunterfahren!

   Sie, Frau Kollegin Rupprecht, setzen jetzt noch eins drauf und kommen mit einem Tagesbetreuungsausbaugesetz. Sie sagen, es gebe keinen Reformbedarf, das Gesetz habe sich bewährt und Sie machten so weiter. Der Entwurf liegt aber schon in der Schublade des Ministeriums. Tagesbetreuungsausbaugesetz ist wieder so ein durchgestyltes Mammutmarketingwort. Mit dem Entwurf wollen Sie noch schnell die Novellierung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes mit einigen kosmetischen Änderungen abarbeiten. Wie stümperhaft Sie arbeiten, beweist dieser Entwurf. Sie wollen dieses Gesetz draufpacken, das auf den falschen Zahlen durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe - Hartz IV - basiert. Die Finanzierung ist unsicher.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Scheuer, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Rupprecht?

Andreas Scheuer (CDU/CSU):

Den Absatz will ich noch beenden, danach gerne.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Bitte schön.

Andreas Scheuer (CDU/CSU):

Darüber hinaus weiß mittlerweile jedes Kind über das Desaster von Hartz IV, das Hickhack und die Verschiebung Bescheid. Die Umsetzung ist unsicher und fraglich. Die Ministerin hat im Ausschuss Auskunft gegeben. Sie präsentieren uns Phantombuchungen und einen Entwurf zur Tagesbetreuung und auch noch zum SGB VIII, um das Ziel von Rot-Grün doch noch in dieser Legislaturperiode zu erreichen - Sie wissen, diesen Ausspruch zitiere ich sehr gerne -: die Lufthoheit über den Kinderbetten.

(Beifall bei der CDU/CSU - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Ziemlich unangemessen, der ganze Beitrag!)

   Bitte.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Kollegin Rupprecht, bitte schön.

Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD):

Herr Kollege Scheuer, ich habe gerne mit Ihnen die Podiumsdiskussion geführt, weil Fachwissen gefragt war, nicht nur die Präsentation von Bildzeitungszitaten. Ich kann auf eine Erfahrung von zwölf Jahren in der Jugendhilfeplanung in meiner kommunalen Gebietskörperschaft zurückblicken und habe deshalb eine fundierte Basis.

   Nun zu Ihrer Aussage, dass wir etwas nachschieben, weil das Bestehende schlecht ist. Wenn gerade Sie in Bayern geprüft hätten, ob Sie bezüglich der Tagesbetreuung und der Tagespflege Ihrer Verpflichtung nachgekommen sind, nach § 80 SGB VIII - Jugendhilfeplanung - den Bestand festzustellen, dann hätten Sie bemerkt, dass Sie die Augen zumachen, dass Sie sich ins Eckchen hocken und sich schämen müssten, weil Sie nichts dergleichen gemacht haben. Sie haben weder den Bedarf noch den Bestand festgestellt. Und Sie wollen uns unterstellen, dass wir etwas schlecht gemacht haben!

   Deshalb meine Frage.

Andreas Scheuer (CDU/CSU):

Ach, doch noch eine Frage?

Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD):

Ja, Herr Scheuer, die Frage kommt jetzt: Warum glauben Sie, dass Sie mit Ihren Maßnahmen die Umsetzung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes präzisieren?

   Meine zweite Frage lautet: Können Sie uns detailliert vortragen, wie Sie mit den §§ 35 a und 41 SGB VIII die Einführung der so genannten Maßnahmen der Schule im Rahmen der Jugendhilfe wieder rückgängig machen wollen? Wie wollen Sie das in Ihrer Reform mit dem § 35 a erreichen? Denn der Bund ist dafür der falsche Ansprechpartner.

Andreas Scheuer (CDU/CSU):

Frau Kollegin, angesichts der Tatsache, dass die Podiumsdiskussion in Kelheim drei Stunden gedauert hat, könnte ich mir jetzt den Spaß erlauben, ausgiebig über den § 35 a zu diskutieren. Ich hoffe, dass sehr viele Landräte, Bürgermeister und Jugendamtsleiter die heutige Debatte vor dem Fernsehgerät verfolgen. Denn wenn Sie ehrlich sind, müssen Sie doch zugeben, dass die Podiumsdiskussion für Sie katastrophal verlaufen ist. Die Jugendamtsleiter bestätigen nämlich, dass unser Vorschlag richtig ist.

   Für uns ist nichts Besseres vorstellbar - das ist uns in der Anhörung bestätigt worden -, als den Wortlaut des § 35 a zusammen mit den Praktikern zu erarbeiten und entsprechend umzusetzen. Hier diskutieren wir zunächst über unseren Vorschlag wie auch über Ihren Entwurf eines Reformgesetzes, in dem Sie den § 35 a kosmetisch etwas verändern. Sie werden sicherlich auf einen Kuhhandel hinauswollen. Wir werden sehen, wie Sie sich im Zusammenhang mit dem § 35 a winden und zu einer Einigung kommen wollen.

(Beifall der Abg. Maria Eichhorn (CDU/CSU) - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Keine Antwort ist auch eine Antwort!)

- Herr Schmidt, vielleicht kennen Sie den vom Ministerium erarbeiteten Gesetzentwurf noch nicht. Aber weil Sie die Verantwortung und die Kosten immer wieder auf die unteren Ebenen abschieben - Sie schreiben die Gesetzentwürfe und die anderen sollen zahlen -, erlauben Sie mir eine Randbemerkung. Dem Entwurf des TAG ist hinsichtlich der finanziellen Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte zu entnehmen, dass dem Bund keine Kosten entstehen würden. Für die Länder und Kommunen werden Kosten in Höhe von 1,61 Milliarden Euro erwartet.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Wer zahlt das? Wir! Das haben wir doch gesagt!)

Die Einsparungen belaufen sich auf 219 Millionen Euro. Da muss doch jedem Kommunalpolitiker die Farbe aus dem Gesicht weichen, wenn er von solchen Plänen erfährt.

(Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Gut formuliert!)

   Im Deutschen Bundestag findet kein Wunschkonzert der Maßnahmen statt; wir müssen vielmehr positiv und realitätsnah agieren. Die Debatte über die Novellierung des SGB VIII hat eines bewirkt, nämlich dass auch Sie endlich den Handlungsbedarf sehen.

   Wir wollen mit unserem Gesetzentwurf erreichen, dass mit dem KJHG einerseits weniger Mitnahmeeffekte, weniger Missbrauchsfälle, weniger Gutachteritis und Rechtsstreitigkeiten und andererseits mehr Transparenz, mehr Klarheit der Strukturen, mehr Effizienz, mehr Eigenverantwortung für die Kommunen, mehr Möglichkeiten hinsichtlich der fachlichen Kompetenz der Jugendämter, mehr Gerechtigkeit und mehr Geld für die präventiven Maßnahmen unserer Jugendämter einhergehen. Das wäre mit unserem Gesetz erreicht. Deshalb muss jeder, der den Kindern und Jugendlichen helfen will, unserem Gesetzentwurf zustimmen.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Kerstin Griese von der SPD-Fraktion das Wort.

Kerstin Griese (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich meine Rede beginne, muss ich Ihnen mitteilen, dass die Ministerin in der heutigen Debatte nicht anwesend sein kann, weil sie an der Beerdigung ihres Fahrers teilnimmt. Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass Staatssekretärin Beck seit Beginn der Debatte anwesend ist.

   Nun zu unserem Thema. In dieser Debatte geht es um eine gute Kinder- und Jugendpolitik, deren Zielsetzung ist, dass Kindern und Jugendlichen Chancen geboten und dass sie frühzeitig gefördert werden. Unser Ziel als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist es, Familien zu stärken und zu unterstützen, damit Kinder und Jugendliche gut aufwachsen können. Dafür haben wir eine öffentliche Verantwortung, der wir mit dem Kinder- und Jugendhilfegesetz nachkommen. Dabei handelt es sich um einen bewährten und wichtigen Baustein in der Kinder- und Jugendhilfepolitik. Ich freue mich, dass wir uns zumindest darüber einig sind, dass es sich dabei um einen Erfolg handelt.

   Mit Ihrem Gesetzentwurf erreichen Sie aber das Ziel einer guten Kinder- und Jugendpolitik nicht, Herr Scheuer.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie schaffen damit einzig und allein einen Verschiebebahnhof zulasten der betroffenen Kindern und Jugendlichen. Das begründen Sie mit den gestiegenen Kosten bei den kommunalen Leistungen, also mit rein fiskalischen Argumenten. Uns geht es aber darum, zu erkennen, wo wir qualitative und strukturelle Verbesserungen und Veränderungen vornehmen müssen und wo wir bewährte Strukturen erhalten können.

   Lassen Sie mich etwas zu den Kostensteigerungen anführen; denn Sie, Frau Eichhorn, haben auch wieder von einer Kostenexplosion gesprochen. Mehr als die Hälfte der Kostensteigerungen in den vergangenen zehn Jahren ist auf den seinerzeit geschaffenen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz zurückzuführen, den wir sicherlich alle befürworten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Maria Eichhorn (CDU/CSU): Nicht auf § 35 a bezogen!)

Die andere Hälfte der Kostensteigerungen ist auf den von uns Fachpolitikern gemeinsam gewollten Ausbau der Familienunterstützenden Erziehungshilfen zurückzuführen. Das ist der Hintergrund und das sollte man bedenken, bevor man von einer Kostenexplosion spricht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die Hilfen für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche sowie für junge Volljährige, um die es hier hauptsächlich geht, sind zwei Herzstücke des Kinder- und Jugendhilfegesetzes. Das sieht auch die Fachwelt so. Herr Scheuer, bei der von Ihnen angesprochenen Anhörung war ich sowohl körperlich als auch geistig anwesend. Ich habe sie sogar geleitet und sehr genau zugehört. Nahezu alle Sachverständigen haben sich negativ zu dem Vorhaben der Union geäußert. Nur drei Ihrer Sachverständigen haben sich etwas positiver dazu geäußert.

(Andreas Scheuer (CDU/CSU): Sie haben die eingeladen, die durch Gutachtertätigkeit ihr Geld verdienen!)

   Es liegen uns auch sehr viele Stellungnahmen vor. Ich möchte nur auf die schriftliche Stellungnahme des Deutschen Caritasverbandes verweisen, der der Meinung ist, dass Ihre Vorschläge sachlich und jugendpolitisch nicht vertretbar seien. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten wörtlich aus dieser Stellungnahme:

Die beabsichtigten Leistungseinschnitte würden insbesondere jene Kinder und Jugendliche treffen, die auf fachliche Hilfe und ein sozialpädagogisches bzw. jugendhilfespezifisches Setting für ihre positive Entwicklung angewiesen sind.

Auch der Deutsche Caritasverband hat Ihnen also seine Ablehnung Ihres Vorhabens deutlich gemacht.

   In der Anhörung haben die Sachverständigen bestimmte Fragen gestellt, über die Sie noch einmal nachdenken sollten. Zum Beispiel wurde gefragt, was es den Kommunen eigentlich nutzt, wenn die Kosten vom Jugendamt auf das Sozialamt verlagert werden, oder was es ihnen eigentlich nutzt, wenn in einem Bereich Kosten eingespart werden, in dem - wenn Kinder und Jugendliche ohne Hilfe bleiben - dann noch weit kostenintensivere Maßnahmen von Staat und Gesellschaft notwendig werden. In der Anhörung hat zum Beispiel der Vertreter der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter deutlich gesagt, dass Ihr Gesetzentwurf nicht zielführend ist und dass er ihn deshalb nicht unterstützt. So viel zu Ihrem Argument, dass alle Jugendämter eigentlich für Ihren Vorschlag seien.

   Mir ist es ganz wichtig, dass wir uns die in der Kinder- und Jugendhilfe vorhandene Qualität nicht von denjenigen beschädigen oder sogar zerstören lassen, die sich darauf verstehen, das System auszunutzen. Deshalb sind wir auch zu Änderungen bereit, die die Zielgenauigkeit verbessern und eine verstärkte Heranziehung der Eltern bei den Kosten ermöglichen. Bei stationärer Hilfe - auch das muss deutlich gesagt werden, weil hier so getan wird, als ob es das noch nicht gäbe - müssen die Eltern schon heute Kostenbeiträge in Höhe von bis zu 800 Euro im Monat zahlen. Wir wollen das entbürokratisieren und vermögende Eltern stärker fordern.

   Ich warne vor dem Populismus einiger Boulevardzeitungen und auch davor, sich deren Argumentation zu Eigen zu machen. Es ist zwar richtig, dass es einzelne Fälle gegeben hat, in denen geschickte Eltern, die nicht zu den finanziell und sozial Schwachen gehören, das System ausgenutzt haben. Aber die übergroße Mehrheit derjenigen Kinder, die in den Maßnahmen sind, brauchen Hilfe. Es sind sogar eher die finanziell oder sozial schwachen Familien, deren Kinder eine bessere Unterstützung bräuchten und die oft nicht die juristischen Kniffe kennen, um an die entsprechenden Hilfen heranzukommen.

   Noch eine Bemerkung zu der Dokumentation des Bayerischen Landkreistages, in der 25 Fälle aufgeführt sind, in denen die Kinder- und Jugendhilfe angeblich unberechtigterweise gewährt worden ist. Wenn Sie sich die Fälle genau ansehen - das geht vor allen Dingen an die Adresse der bayerischen Kolleginnen und Kollegen -, dann stellen Sie fest, wo das eigentliche Problem liegt: Die Schule ist ihren Aufgaben nicht gerecht geworden. Das Jugendamt hätte sich um die Hälfte der Fälle gar nicht kümmern müssen, wenn die Schule die Fördermöglichkeiten wahrgenommen hätte. Insofern ist der Weg falsch, beim Kinder- und Jugendhilfegesetz anzusetzen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Mir ist es wichtig, sachlich klarzustellen - ich bin dem Kollegen Haupt ausdrücklich dankbar, dass er das an Beispielen aufgezeigt hat -, dass es sich bei Ihren Vorschlägen nur um einen reinen Verschiebebahnhof handelt: von der Schule in die Jugendhilfe, dann in die Sozialhilfe oder in die Hilfen zur Erziehung, was wieder nur den Kinder- und Jugendhilfeetat beanspruchen würde. Mit einem reinen Verschiebebahnhof kommen wir nicht weiter. Wir brauchen kompetente Ansprechpartner. Bei der seelischen Behinderung von Kindern und Jugendlichen sind das die Jugendämter und nicht die Sozialämter. Ich stimme Ihnen zu, wenn Sie die Nachhaltigkeit der Maßnahmen fordern. Im Ziel sind wir uns also völlig einig. Aber Nachhaltigkeit der Maßnahmen bedeutet auch, dass man dort ansetzen muss, wo die kompetenten Ansprechpartner sind. Am besten wäre es, die Probleme dort zu lösen, wo sie in den meisten Fällen auftauchen, nämlich in der Schule.

   Unser Ziel ist, öffentliche Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen zu übernehmen. Das steht auch so im 11. Kinder- und Jugendbericht. Wir sollten uns in dieser Debatte vor Augen führen, dass in der PISA-Studie unter anderem festgestellt worden ist, dass in Deutschland die Bildungschancen noch immer massiv von der sozialen Herkunft abhängig sind. Das zeigt aber auch: Unsere Politik, die dort ansetzt, wo es darum geht, die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen zu verbessern, ist richtig.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Das Motto der Ministerin „Auf den Anfang kommt es an“ ist richtig; denn gerade bei den Kleinen und den Kleinsten muss man für bessere Chancen und für mehr Förderung sorgen. Auch die Familien werden so gestärkt. Das hilft den Kindern und Jugendlichen in diesem Land eindeutig mehr als Kürzungen der Maßnahmen und irgendwelche Verschiebebahnhöfe.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Mit uns wird es keine Kinder- und Jugendhilfe nach Kassenlage, sondern nur eine qualitative und realitätsnahe Weiterentwicklung des Kinder- und Jugendhilferechts geben. Wir machen deutlich - das finde ich wichtig -, dass Staat und Gesellschaft Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen tragen,

(Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD): Art. 6 Grundgesetz!)

und zwar gerade dann, wenn es sich um Kinder mit besonderen Problemen handelt, die zu Hause wenig gefördert werden. Diese Verantwortung sollten wir wahrnehmen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat nun die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Wir als Abgeordnete der PDS lehnen den Gesetzentwurf von CDU und CSU ab. Sie von der CDU und der CSU machen gern Steuersenkungsvorschläge, aber recht selten Sparvorschläge. Diesen Sparvorschlag - endlich kommt einmal einer von Ihnen - machen Sie ausgerechnet an der falschen Stelle: Sie wollen ausgerechnet bei Kindern und Jugendlichen 150 Millionen Euro bis 250 Millionen Euro - das haben Sie ausgerechnet - einsparen.

   Ich will Ihren Sparvorschlägen einmal eine andere Zahl entgegensetzen, damit wir alle wissen, worüber wir hier reden. Der Kollege Friedrich Merz aus den Reihen der CDU hat ein Steuerkonzept vorgelegt, dessen Umsetzung zur Folge hätte, dass 32 Milliarden Euro in den öffentlichen Kassen fehlten. Sie sollten sich lieber Gedanken darüber machen, wie Sie die öffentlichen Kassen füllen, als darüber, wie sie bei Kindern und Jugendlichen sparen können.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

   Sie wollen ausgerechnet bei denjenigen Kindern und Jugendlichen sparen, die es besonders schwer haben, ihren Weg in die Gesellschaft zu finden, die es besonders schwer haben, sich zu entwickeln und zu bilden. Ich finde, das hat mit christlicher oder sozialer Politik wenig zu tun.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos) und der Abg. Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD))

   Richtig ist, dass die Kommunen stöhnen. Richtig ist, dass vielen Kommunen das Wasser bis zum Hals steht. Nicht umsonst haben Bürgermeisterinnen und Bürgermeister vor dem Bundesrat und an anderen Stellen demonstriert. Aber die Schlussfolgerung kann doch nicht darin bestehen, nun bei Kindern und Jugendlichen zu sparen; sie muss vielmehr darin bestehen, die Reform der Kommunalfinanzen endlich auf den Weg zu bringen und den Kommunen wieder Finanzmittel in die Hand zu geben, damit man eben nicht auf solche Ideen kommt.

   Wir dürfen aber nicht die Augen vor der Tatsache verschließen, dass wir in Zukunft sicherlich noch mehr Geld für Kinder- und Jugendhilfe brauchen werden. Meine Kollegin Petra Pau ist schon in der Debatte heute Morgen darauf eingegangen, dass das Portemonnaie vieler Familien aufgrund der Agenda 2010 und insbesondere des Hartz-IV-Gesetzes noch dünner werden wird, als es jetzt schon ist. Wir alle wissen, dass schlechte materielle Verhältnisse, also wenig Geld in der Familienkasse, nicht gerade dazu beitragen, dass Kinder problemlos aufwachsen können.

   Mit dem Kinder- und Jugendhilfegesetz hat die Bundesrepublik Deutschland ein sehr gutes Gesetz. Sie von der CDU/CSU würden den Kindern und Jugendlichen in unserem Land einen sehr schlechten Dienst erweisen, wenn es Ihnen gelänge, für Ihren Gesetzentwurf eine Mehrheit zu finden. Ich hoffe und gehe davon aus, dass es Ihnen nicht gelingen wird. Wir von der PDS lehnen den Gesetzentwurf der CDU/CSU entschieden ab.

   Vielen Dank.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos) - Andreas Scheuer (CDU/CSU): Wir sind tief getroffen!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Thomas Dörflinger von der CDU/CSU-Fraktion.

Thomas Dörflinger (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir führen die heutige Debatte nicht isoliert, sondern in einem Kontext. Dieser Kontext ist beispielsweise in der von Union und FDP gemeinsam beantragten gestrigen Aktuellen Stunde deutlich geworden. Zu diesem Kontext gehört, dass jeder in diesem Hohen Hause, egal für welche fachpolitische Richtung er steht, die Aufgabe hat, mit Bezug auf die gesamtstaatliche Finanzierbarkeit unseres Gemeinwesens einen Gedanken daran zu verschwenden, was - erstens - wünschenswert, was - zweitens - notwendig und was - drittens; das ist das Entscheidende - finanzierbar ist.

   Die Zeiten, in denen wir uns zwischen Regierung und Opposition - unabhängig davon - wer regiert, darüber streiten konnten, wer denn nun die höchsten Ausgaben vorschlägt und wer die besten und kostenintensivsten Vorschläge für eine ganz bestimmte Fachrichtung machen kann, sind ein für alle Mal vorbei.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen kann ich den Tenor von manchem Beitrag in der heutigen Debatte nicht verstehen.

   Der Kollege Scheuer sagt zu Recht, dass der Beratungsverlauf zwischen der Einbringung unseres Gesetzentwurfs vom 3. Juni des vergangenen Jahres und dem heutigen Tag doch erstaunliche Wendungen genommen hat. Nur frage ich mich nach dem einen oder anderen Beitrag heute, insbesondere von Ihrer Seite, meine Damen und Herren, ob wir mittlerweile nicht wieder am Ausgangspunkt angekommen sind.

   Wenn ich das, was Sie und insbesondere Kollegin Rupprecht heute vertreten haben, mit dem in Übereinstimmung zu bringen suche, was im Referentenentwurf zum TAG - ich habe ihn dabei - zum Thema SGB VIII steht, dann gibt es zwei Möglichkeiten:

(Maria Eichhorn (CDU/CSU): Zwei Welten!)

Entweder ist das richtig, was Sie heute vorgetragen haben, oder das, was darin steht.

(Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD): Beides!)

Beides zusammen geht nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU - Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD): Doch! Sie müssen lesen können!)

   Mehrere Redner von Ihnen haben gesagt, die Kostensteigerung sei nicht dramatisch. Das hat auch Staatssekretär Ruhenstroth-Bauer im Bundesrat vorgetragen. Die zuständige Fachministerin aus Nordrhein-Westfalen sagt, die Kosten seien zwischen 1995 und 2001 von 780 Millionen Euro auf 1 Milliarde Euro gestiegen. Das liegt nicht nur am Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz.

(Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD): Unter anderem!)

Dazu gehören noch einige andere Faktoren.

   Sie reden davon, dass mit unserem Gesetzentwurf ein Kahlschlag verbunden ist. Ausweislich der Begründung kalkulieren wir Einsparungen zwischen 150 und 250 Millionen Euro. Ausweislich Ihres TAG sind Ihre Vorschläge 219 Millionen Euro schwer. Wenn die von uns genannte obere Grenze zum Tragen kommt - nehmen wir das einmal an -, dann besteht zwischen der vernünftigen Lösung nach Ihren Vorstellungen mit 219 Millionen Euro und dem Kahlschlag, den Sie uns vorwerfen, eine Differenz von 31 Millionen Euro.

(Maria Eichhorn (CDU/CSU): Hört! Hört! Zwei Welten! - Andreas Scheuer (CDU/CSU): Genau!)

Das erschließt sich mir nicht.

   Sie tragen mit großen Worten vor, beim SGB VIII bestehe kein Änderungsbedarf. Das haben Sie in der ersten Lesung gesagt, das haben Sie bei der Anhörung im Ausschuss weitgehend vertreten und das haben Sie heute wiederholt. Wieso machen Sie jetzt im Zusammenhang mit dem Ausbau der Tagespflege Änderungsvorschläge zum SGB VIII, zum Kinder- und Jugendhilfegesetz, wenn doch kein Änderungsbedarf besteht?

(Andreas Scheuer (CDU/CSU): So ist es!)

Nur eines von beiden kann richtig sein. Beides zusammen geht nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU - Andreas Scheuer (CDU/CSU): Frau Humme wird uns das erklären!)

   Ich bin jetzt auf etwas gespannt. Wenn Sie den Entwurf zum Ausbau der Tagespflege in den Deutschen Bundestag eingebracht haben werden - ich muss dazusagen: unter der Voraussetzung, dass Sie die Finanzierung geklärt haben -, werden wir eine Anhörung dazu durchführen. Ich mache Ihnen jetzt einmal den folgenden Vorschlag: Wir laden die gleichen Expertinnen und Experten, die Sie und wir zum Gesetzentwurf der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und zu der Bundesratsinitiative eingeladen haben, wieder ein und konfrontieren sie mit Ihren Vorschlägen zum KJHG. Ich will von dem Professor, der von Ihnen eingeladen wurde und in der Anhörung gesagt hat - ich verzichte jetzt auf die Namensnennung - es gebe keinen Änderungsbedarf bei § 35 a, es gebe in weiten Teilen des KJHG keinen Änderungsbedarf, dann hören, wie er Ihren Gesetzentwurf beurteilt, in dem genau zu diesen Bereichen Änderungsbedarf signalisiert und formuliert wird, was zumindest teilweise mit dem identisch ist, was wir vorschlagen.

(Jutta Dümpe-Krüger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist einer, der das so gesehen hat!)

   Nun war die Rede davon, dass wir den Kommunen etwas Handlungspielraum zurückgeben wollen,

(Christel Humme (SPD): Die Chance haben Sie im Vermittlungsausschuss vertan!)

und zwar nicht nur unter finanziellen, sondern auch unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten. Ich traue den Jugendämtern in den beiden Landkreisen in meinem Wahlkreis, den dort beschäftigten Damen und Herren nämlich einen gewissen Sachverstand zu. Ich traue ihnen zu, zu differenzieren, wann eine wesentliche Behinderung nach der Formulierung unseres Gesetzentwurfes vorliegt und wann nicht.

   Jetzt lese ich Ihnen den § 35 a in der Neufassung nach Ihrem Gesetzentwurf vor:

Hinsichtlich der Voraussetzungen nach Absatz 1 Nummer 1 hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Stellungnahme eines Arztes, der über besondere Erfahrungen auf dem Gebiet seelischer Störungen verfügt, eines psychologischen Psychotherapeuten oder eines Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten einzuholen. Diese ist auf der Grundlage der Internationalen Klassifikation der Krankheiten in der vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information herausgegebenen deutschen Fassung zu erstellen. Dabei ist auch darzulegen, ob die Abweichung Krankheitswert hat oder auf einer Krankheit beruht. Die Leistung darf nicht von der Person oder dem Dienst oder der Einrichtung, der die Person angehört, die die Stellungnahme abgibt, erbracht werden.

Man hätte auch das Blatt Papier und den Stift, mit dem die Stellungnahme geschrieben wird, noch detailliert beschreiben können.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Da dokumentiert sich Ihr tiefes Misstrauen gegenüber den Fachleuten vor Ort.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Geben Sie dem Jugendamt doch Handlungs- und Entscheidungsfreiheit!

(Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD): Dann sagen Sie doch, dass sie missbraucht wird! - Weitere Zurufe von der SPD)

- Entscheidungsfreiheit vor Ort, Frau Rupprecht, ist das Gebot der Stunde, und zwar nicht nur unter finanziellen Gesichtspunkten, sondern auch deswegen, weil eine Behörde vor Ort in der Regel besser zu entscheiden vermag als ein Bundesgesetzgeber in Berlin.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Der sollte sich darauf beschränken, Rahmenbedingungen zu schaffen, während die untergeordneten Dienststellen bzw. Länder- oder Regionalebenen dann anschließend die Ausführung übernehmen.

   Lassen Sie mich eine Schlussbemerkung machen, meine Damen und Herren: Mitglieder aus allen Fraktionen befinden sich in einem Diskussionsprozess - Stichwort Föderalismuskommission -, in dem wir darüber nachdenken, wie wir die Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern neu regeln können. Sie wissen genauso gut wie ich, dass es unabhängig davon, wer in den einzelnen Bundesländern regiert, durchaus Bestrebungen gibt, beispielsweise den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe vom Bund auf die Länder zu verlagern. Wir sind uns wahrscheinlich unter den Fachpolitikerinnen und Fachpolitikern aller Fraktionen dieses Hohen Hauses einig,

(Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD): Hoffentlich!)

dass idealerweise weiterhin der Bund zuständig sein sollte. Aber, meine Damen und Herren, dann müssen wir uns im Benehmen mit den Ländern - mit den A-Ländern genauso wie mit den B-Ländern - auch in der Weise als reformfähig erweisen, dass wir berechtigte Anliegen, die von Ländern und Kommunen an uns herangetragen werden, nicht einfach aus ideologischen Gründen ignorieren, sondern sie in ein ordnungsgemäßes Gesetzgebungsverfahren einbringen und anschließend auch umsetzen.

(Zuruf von der SPD: Das tun wir!)

Ansonsten tun wir unserem eigenen Anliegen, die Zuständigkeit beim Bund zu belassen, keinen Gefallen.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat die Kollegin Christel Humme von der SPD-Fraktion das Wort.

Christel Humme (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Es ist schon erstaunlich, meine Herren und Damen von der Union, dass Sie nach der Anhörung, die wir durchgeführt haben, und den vielen fachlichen Diskussionen, die wir geführt haben, Ihrer Linie treu bleiben: Sie täuschen nämlich die Öffentlichkeit bewusst und nehmen dabei in Kauf, dass die gesamte gute Jugendhilfe vor Ort in Misskredit gebracht wird.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Andreas Scheuer (CDU/CSU): Das weisen wir mit Abscheu von uns! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

   Ich bringe noch einmal kurz in Erinnerung, worüber wir eigentlich reden: Wir reden über einen Gesetzentwurf des Bundesrates, der aus Bayern stammt und den sich die Oppositionsfraktion CDU/CSU zu Eigen gemacht hat. Bezüglich der von Ihnen in diesem Gesetzentwurf unterbreiteten Vorschläge kann man nur feststellen, dass sie nicht zur Problemlösung beitragen, sondern die Kinder- und Jugendhilfe ins Mark treffen.

(Andreas Scheuer (CDU/CSU): Warten wir mal ab, wie Sie beim TAG argumentieren!)

   Die heutige Debatte hat deutlich gemacht - dafür bin ich Frau Dümpe-Krüger und den anderen Vorrednerinnen dankbar -, dass Kinder- und Jugendhilfe eine Daueraufgabe sein muss und nicht nach Kassenlage der kommunalen Haushalte gestaltet werden darf.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Maria Eichhorn (CDU/CSU): Das bestreitet auch keiner!)

Das hat auch die Anhörung der Fachleute ganz klar vor Augen geführt.

(Maria Eichhorn (CDU/CSU): Prävention müsste vorn drinstehen, nicht Reparatur!)

Darum danke ich Ihnen, Herr Haupt, dass die FDP zusammen mit uns im Ausschuss den Gesetzentwurf der CDU/CSU abgelehnt und damit einen wesentlichen Beitrag zur Versachlichung der Debatte geleistet hat. Ich denke, das ist ein guter Ansatz für die weitere Diskussion, die wir hier noch führen werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Sie behaupten, Sie wollten die Kommunen entlasten. Dieses Argument zieht sich als roter Faden durch all Ihre Reden. Wenn wir aber genauer hinsehen, stellen wir fest, dass Ihre Vorschläge weder dem Kassenwohl noch dem Kindeswohl dienlich sind. Ihre Vorschläge sind - das konnte man in den Boulevardzeitungen ja auch nachlesen - sehr populistisch. Mehr noch - das behaupte ich noch einmal -: Sie täuschen die Öffentlichkeit in mehrfacher Hinsicht. Das will ich Ihnen jetzt an einigen Punkten deutlich machen.

(Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): So viel Zeit haben Sie gar nicht!)

   Sie argumentieren - auch Sie, Frau Eichhorn - nach wie vor, die Kosten der Kinder- und Jugendhilfe seien stark gestiegen

(Maria Eichhorn (CDU/CSU): Lesen Sie es halt nach!)

und deshalb sei es Zeit für Einschnitte. Was Sie verschweigen - das hat auch meine Kollegin Griese gerade noch einmal deutlich gemacht -, sind die Gründe für diese Kostensteigerung. Allein 50 Prozent des Kostenanstiegs gehen auf das Konto des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz.

(Maria Eichhorn (CDU/CSU): Das hat aber nichts mit § 35 a zu tun!)

Das heißt, Sie kritisieren die Kostenexplosion und verschweigen, dass einer der wesentlichen Gründe der von uns allen gewollte und sinnvolle Ausbau der Betreuung war. Das nenne ich Täuschung der Öffentlichkeit Nummer eins.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Auch der Grund für die zweiten 50 Prozent des Kostenanstiegs wurde eben schon dargelegt. Es gibt in unserem Land leider immer mehr Kinder, die Hilfe bei der Integration in die Gesellschaft brauchen, beispielsweise Kinder und Jugendliche mit Lernschwächen; Frau Rupprecht hat das sehr deutlich gemacht. Sie und alle anderen haben auch deutlich gemacht, dass es eigentlich Aufgabe der Schulen wäre, hier zu helfen.

   Sie fordern aber nicht - darum sind wir strikt gegen Ihren Gesetzentwurf; wir reden hier nicht über irgendwelche zukünftigen Gesetze, sondern über Ihren Gesetzentwurf -,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

dass die Länder helfen, die Schulen zu stärken, sondern im Gegenteil: Sie sehen einen Verschiebebahnhof vor, und zwar in Richtung Sozialhilfe. Das gefährdet meiner Ansicht nach die Qualität der Jugendhilfe und entlastet die Kommunen in keiner Weise.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dies ist meiner Meinung nach die Täuschung der Öffentlichkeit Nummer zwei.

(Maria Eichhorn (CDU/CSU): Wir fordern nur gleiche Standards!)

   Sie kritisieren die teure Unterbringung in einem Internat im Ausland auf Kosten des Staates und beklagen, dass Eltern, die über ein hohes Einkommen verfügen, nicht zur Kasse gebeten werden. Ich frage Sie allen Ernstes: Warum nutzen die Jugendämter nicht die Möglichkeit, die bereits heute im Kinder- und Jugendhilfegesetz besteht, die Eltern an den Kosten zu beteiligen? Das wäre - wir haben es gerade gehört - bis zu 800 Euro im Monat möglich. Warum tun sie das nicht?

(Maria Eichhorn (CDU/CSU): Weil Gerichtsentscheidungen dem entgegenstehen, Frau Humme! Leider!)

Das ist Ihre Täuschung der Öffentlichkeit Nummer drei.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Sie sagen weiterhin, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, Sie möchten die Maßnahmen für junge Volljährige einschränken. Aber was würde passieren, wenn hilfebedürftige Jugendliche künftig ohne Hilfe blieben? Die Folge wäre nicht eine Kosteneinsparung, sondern eine Kostenexplosion an anderer Stelle; Herr Haupt hat darauf hingewiesen. Denn jedes Kind, dem wir heute die nötige Hilfe verwehren, bekommt morgen vielleicht keinen Ausbildungsplatz, hat übermorgen keine Arbeit und schließlich keinen eigenen Rentenanspruch. Das verursacht das Vielfache der Kosten einer Jugendhilfemaßnahme, Kosten, die dann wiederum bei den Kommunen anfallen. Mit Ihren Vorschlägen entlasten Sie nicht die Kommunen, sondern Sie erweisen ihnen einen Bärendienst. Das ist die Täuschung der Öffentlichkeit Nummer vier.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, mit Ihrem Gesetzentwurf spielen Sie sich als Anwalt der Kommunen auf. Sie haben ja die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass die Landräte heute vor den Bildschirmen sitzen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Dann können sie das rot-grüne Trauerspiel live miterleben!)

Tatsächlich aber haben Sie in den vergangenen Monaten jeden von uns eingebrachten vernünftigen Vorschlag zur Entlastung der Kommunen verhindert.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Das stimmt doch nicht! Sie gehen mit verbundenen Augen durch die Welt!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Kollegin Humme - -

Christel Humme (SPD):

Einen kleinen Moment, diesen Gedanken möchte ich noch zu Ende führen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Bitte.

Christel Humme (SPD):

Wir wollten mit der Weiterentwicklung der Gewerbesteuer die kommunalen Finanzen nachhaltig verbessern. Sie, meine Damen und Herren von der Union, haben das im Vermittlungsausschuss verhindert.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Außerdem verweise ich auf das 10-Milliarden-Euro-Defizit des merzschen Steuerkonzepts.

   Sie predigen also die Entlastung der Kommunen, aber wenn es darauf ankommt, verhindern Sie sie. Das ist die Täuschung der Öffentlichkeit Nummer fünf.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Kollegin Humme, darf ich Sie jetzt trotzdem unterbrechen? Die Frau Kollegin Eichhorn möchte gern eine Zwischenfrage stellen, wenn Sie das genehmigen.

Christel Humme (SPD):

Gerne.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Bitte schön.

Maria Eichhorn (CDU/CSU):

Frau Kollegin Humme, würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass die beabsichtigte Änderung des § 41 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes auf folgendem Tatbestand beruht: Nach dem Willen des Gesetzgebers sollten Jugendhilfeleistungen für Jugendliche über 21 Jahren die Ausnahme sein; mittlerweile ist aber genau das Gegenteil der Fall, es ist nämlich zum Regelfall geworden.

(Zuruf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das stimmt nicht!)

Diesen Missbrauch und diese vom Gesetzgeber nicht gewollte Entwicklung wollen wir wieder ins Lot bringen, nicht mehr und nicht weniger.

Denn die Fachleute, die die Praxis kennen, sagen uns, dass nach dem 21. Lebensjahr Hilfen nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz zwar sehr viel Aufwand erfordern, aber wenig Erfolg bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Christel Humme (SPD):

Frau Eichhorn, wir müssen in der Tat an unterschiedlichen Anhörungen teilgenommen haben.

(Petra Selg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das glaube ich auch!)

Denn in der Anhörung wurde sehr deutlich gemacht, dass die Hilfen für junge Volljährige, die von den Jugendämtern gewährt werden, auch heute durchaus eine Ausnahme darstellen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich bin der Meinung: Wenn diese jungen Menschen unsere Hilfe brauchen - dazu zählen auch die, die 21 Jahre und älter sind; denn nach dem Gesetz liegt die Grenze bei 27 Jahren -, dann haben wir die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, ihnen diese Hilfe zu gewähren. Ich glaube, die Fachleute haben uns deutlich gemacht, dass wir dorthin auf dem richtigen Weg sind.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Frau Eichhorn, ich glaube schon, dass die Menschen merken, wenn sie getäuscht werden.

(Maria Eichhorn (CDU/CSU): Von Ihnen!)

Vielleicht ist das auch ein Grund, warum Bayern, das ursprünglich den Gesetzentwurf über den Bundesrat eingebracht hatte, zusammen mit Nordrhein-Westfalen am 2. April einen Antrag zur Änderung des KJHG in den Bundesrat eingebracht hat. Schauen Sie sich diesen Antrag an! Die wesentlichen Punkte Ihres Gesetzentwurfs sind darin nicht enthalten. Das Kinder- und Jugendhilfegesetz soll vielmehr weiterentwickelt werden, um die Qualität der Kinder- und Jugendhilfe zu sichern, aber auch um die Mittel effizient einzusetzen. Manchmal lohnt es sich, einen Zeitraum von einem Jahr für die Diskussion zu nutzen, um zu sinnvollen Ergebnissen zu kommen.

   Nachdem wir Ihren Gesetzentwurf entsprechend beschieden haben, lassen Sie uns jetzt im Bundestag an dem gemeinsamen Ziel arbeiten, die Qualität der Kinder- und Jugendhilfe zu sichern.

(Zuruf der Abg. Maria Eichhorn (CDU/CSU))

- Es ist besser, weil es die Kinder und Jugendlichen und nicht die Kassenlage in den Vordergrund stellt. Unsere beiden Fraktionen verfolgen da einen ganz unterschiedlichen Ansatz.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir wollen die Kommunen da entlasten, wo es sinnvoll und richtig ist. Wir wollen mehr Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Familien.

   Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Andreas Scheuer (CDU/CSU): Vorwärts, Genossen, wir müssen zurück!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Ich schließe die Aussprache.

   Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch auf Drucksache 15/1114. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3000, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung - bei Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion und Ablehnung aller anderen Fraktionen - abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

   Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Sozialgesetzbuches, Achtes Buch, auf Drucksache 15/1406. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3000, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung - bei Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion und Ablehnung aller anderen Fraktionen und Abgeordneten - abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

   Wir kommen nun zu den Beschlussempfehlungen des Vermittlungsausschusses. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um die Beratung von fünf Beschlussempfehlungen des Vermittlungsausschusses erweitert werden. Diese Punkte sollen jetzt als Zusatzpunkte 9 bis 13 aufgerufen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.

   Zusatzpunkt 9:

Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Vierunddreißigsten Gesetz zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes (34. ÄndGLAG)

- Drucksachen 15/1854, 15/2230, 15/2558, 15/3058 -

Berichterstatter im Bundestag:
Abgeordneter Hans-Joachim Hacker

Berichterstatter im Bundesrat:
Staatsminister Gernot Mittler.

[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 108. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 7. Mai 2004,
an dieser Stelle veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/15108
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