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15. Wahlperiode
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   109. Sitzung

   Berlin, Freitag, den 07. Mai 2004

   Beginn: 9.00 Uhr

   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Präsident Wolfgang Thierse:

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b sowie die Zusatzpunkte 6 und 7 auf:

21. a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung und Förderung des Fachkräftenachwuchses und der Berufsausbildungschancen der jungen Generation (Berufsausbildungssicherungsgesetz - BerASichG)

- Drucksache 15/2820 -

(Erste Beratung 102. Sitzung)

aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (17. Ausschuss)

- Drucksache 15/3064 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Willi Brase
Werner Lensing
Grietje Bettin
Cornelia Pieper

bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)
gemäß § 96 der Geschäftsordnung

- Drucksache 15/3065 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus-Peter Willsch
Dr. Günter Rexrodt
Carsten Schneider
Alexander Bonde

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (17. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper, Christoph Hartmann (Homburg), Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Ausbildungsplatzabgabe verhindern - Wirtschaft nicht weiter belasten - Berufsausbildung stärken

- Drucksachen 15/2833, 15/3064 -

Berichterstattung:
Abgeordnete Willi Brase
Werner Lensing
Grietje Bettin
Cornelia Pieper

ZP 6 Erste Beratung des von den Abgeordneten Cornelia Pieper, Christoph Hartmann (Homburg), Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Berufsbildungsgesetzes

- Drucksache 15/3042 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicolette Kressl, Jörg Tauss, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Grietje Bettin, Dr. Thea Dückert, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Ausbildungschancen für alle jungen Frauen und Männer sichern - durch einen konzertierten Ausbildungspakt

- Drucksache 15/3055 -

   Zu dem Entwurf eines Berufsausbildungssicherungsgesetzes, über den wir später namentlich abstimmen werden, liegen ein Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau sowie ein Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen und ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor.

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Willi Brase, SPD-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Willi Brase (SPD):

Guten Morgen, Herr Präsident! Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach einer Repräsentativbefragung des Instituts für Schulentwicklungsforschung der Universität Dortmund, an der 3 300 Erwachsene teilgenommen haben, haben 57 Prozent der Bundesbürger angesichts der Lehrstellenproblematik das Vorhaben der Koalitionsfraktionen, eine Ausbildungsplatzumlage zu erheben, begrüßt. Nur 20 Prozent waren dagegen.

(Beifall bei der SPD)

   Eine gleichzeitig von den Schulforschern vorgenommene Elternbefragung ergab, dass 42 Prozent der Väter und Mütter in Sorge sind, ihr Kind werde nach Abschluss der Schule keinen angemessenen Ausbildungsplatz finden. Vor zehn Jahren waren bei einer vergleichbaren Umfrage desselben Instituts lediglich 32 Prozent der Eltern dieser Auffassung.

   Darüber, dass Handlungsbedarf besteht, müssen wir in diesem Haus hoffentlich nicht streiten.

(Beifall bei der SPD - Hans Michelbach (CDU/CSU): Bei dieser Regierung ist das kein Wunder!)

Die Dramatik der Situation sei kurz am Rückgang der eingetragenen Ausbildungsverhältnisse dargestellt. Im Jahr 2003 war im öffentlichen Dienst ein Minus von 7,1 Prozent, in den freien Berufen ein Minus von 7 Prozent und im Handwerk eines von 2,3 Prozent zu verzeichnen. Ich denke, diese Zahlen sprechen eine klare Sprache. Sie werden zudem von Jahr zu Jahr schlechter. Dies wird auch im Berufsbildungsbericht der Bundesregierung deutlich zum Ausdruck gebracht.

   Allen Kritikern entgegnen wir: Es geht nicht an, dass sich niemand von ihnen dazu äußert, wie das Problem auf andere Weise zu lösen ist. Die Bedenkenträgerei feiert Urständ in nie gekanntem Ausmaß und - machen Sie sich nichts vor - sie geht zulasten der jungen Leute. Das nehmen wir nicht mehr hin.

(Beifall bei der SPD - Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Es ist nicht zu fassen! - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Wo ist denn der Herr Clement? - Zurufe von der FDP: Wo ist denn der Minister?)

   Daher ist ein Berufsausbildungssicherungsgesetz erforderlich. Dieses Gesetz hat zum Ziel, dass auch im Ausbildungsjahr 2004/2005 alle jungen Menschen eine Ausbildungschance erhalten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dabei haben freiwillige untergesetzliche Regelungen Vorrang. Wir schlagen deshalb einen Ausbildungspakt 2004 vor und sind der Auffassung, dass ein solcher freiwilliger Ausbildungspakt Sinn macht und dann gegebenenfalls die Umlage ersetzen kann.

   Lassen Sie mich dazu aber einige Punkte anmerken. Wir müssen die Diskussion in der Öffentlichkeit verfolgen. Aus dem Berufsbildungsbericht 2004 geht hervor, dass nach wie vor 26,7 Prozent der ausbildungsfähigen Betriebe im Westen Deutschlands und 25,7 Prozent im Osten nicht ausbilden. Allein diese Tatsache macht deutlich, dass wir alle Anstrengungen unternehmen müssen. Wenn wir die ausbildungsfähigen Betriebe veranlassen könnten, Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, dann hätten wir sehr viel für die jungen Leute getan.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Sie haben sicherlich mitbekommen, dass wir einen Ausbildungspakt 2004 vorschlagen, den wir auch im Hinblick auf das Gesetz berücksichtigen werden. Wir wollen aber eine verbindliche Vereinbarung und ich möchte zwei Gründe nennen, warum sich eine solche Vereinbarung positiv von allen Bemühungen der letzten Jahre abheben könnte. Erstens. Wir wollen mit einem solchen Ausbildungspakt erreichen, dass alle jungen Menschen in berufliche Ausbildung kommen. Wir wollen nicht, dass nach den Kriterien „Ausbildungsfähigkeit“ und „Ausbildungswilligkeit“ aussortiert wird. Es geht darum, wie gesagt, allen jungen Menschen eine Perspektive zu geben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Zweitens. Wir können uns beispielsweise Folgendes vorstellen: Wenn Herr Braun, der Präsident des DIHK, anbietet, 50 000 neue Ausbildungsplätze zu schaffen, und wenn das auf die Ebene der örtlichen Kammern heruntergebrochen und dort finanziert wird, dann ist das nach unserer Auffassung eine verbindliche Zusage, also mehr als eine Willenserklärung. Wenn wir in den Verhandlungen über den Ausbildungspakt dafür sorgen, dass die dafür notwendigen Kriterien festgelegt werden, dann haben wir etwas Gutes für die jungen Menschen geschaffen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Tarifliche Vereinbarungen werden von uns ausdrücklich begrüßt. Wir haben das im Gesetz berücksichtigt und werden das auch in den notwendigen Gesprächen über den Ausbildungspakt 2004 auf den Weg bringen. Das Kampfgeschrei mancher Unternehmensvertreter ist doch nicht sachdienlich. Entscheidend ist vielmehr, dass den jungen Menschen Ausbildungsplätze in ausreichender Zahl zur Verfügung gestellt werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   In den letzten Wochen ist viel über unsere Ansätze diskutiert worden. Es lohnt sich nicht, auf alle gängigen Gegenargumente einzugehen. Das dümmste Argument ist das von der angeblich weiteren Verstaatlichung der Berufsausbildung durch die Abgabe.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Brase, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Thiele?

Willi Brase (SPD):

Nein.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Ich halte diese Argumentation für falsch und verlogen. Wir sind der Meinung, dass durch die Abgabe mehr betriebliche Ausbildungsplätze geschaffen werden. Das bedeutet weniger Staat. Und das ist auch gut so in diesem Lande.

(Beifall bei der SPD)

   Ein weiteres Argument, das vor allem von der Wirtschaft immer wieder angeführt wird, ist die fehlende Ausbildungsreife der jungen Leute. Es besteht kein Zweifel daran, dass dies ein sehr ernsthaftes Problem ist, das - möglicherweise - noch größer zu werden droht. Es steht ebenso außer Frage, dass die Abgabe allein keine Lösung hierfür ist. In diesem Punkt will ich den Kritikern durchaus Recht geben. Nur leider sitzen Sie einem Irrtum auf: Keiner von uns hat jemals das Gegenteil behauptet. Ich glaube vielmehr, dass andersherum ein Schuh daraus wird. Die Ausbildungslücke wächst Jahr für Jahr, und zwar in erster Linie deshalb, weil die Unternehmen aus kurzfristigen Kostengründen handeln. Alles andere ist Augenwischerei oder bewusste Täuschung des Publikums. Wie sonst sind die immer zahlreicher werdenden Meldungen zu erklären, dass Jugendliche mit mittlerer Reife oder sogar Hochschulreife keinen Ausbildungsplatz finden? Wir brauchen ein Berufsausbildungssicherungsgesetz aus folgendem Grund: Wir müssen die Dominanz des kurzfristigen Denkens zurückdrängen; denn es geht auch darum, eine Erosion der Facharbeitermärkte zu verhindern. Schließlich werden wir in wenigen Jahren wesentlich mehr qualifizierte und gut ausgebildete junge Leute für unsere Wirtschaft in Deutschland brauchen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Man kann nicht ständig gegen die Verstaatlichung der beruflichen Bildung wettern, zugleich nach Senkung der Steuerquote rufen und dann, wenn es um die Bereitstellung von mehr Mitteln geht, den Staat bemühen wollen. Wir wollen die Bereitschaft der Wirtschaft fördern - das ist wichtig -, die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen, damit die jungen Leute auch im schulischen System so ausgebildet werden, dass sie die für das Ergreifen eines Berufs notwendige Ausbildungsfähigkeit haben.

   Wir halten es für verantwortungslos, wenn gesagt wird: Die mangelnde Ausbildungsreife ist allein das Problem von Staat und Familie. Ich glaube, es macht Sinn, über den Tellerrand hinauszuschauen. Vielen Jugendlichen fehlt es vor allem deshalb an sozialer und betrieblicher Reife, weil sie keine Ausbildungs- und Beschäftigungsperspektiven haben. Wie sollen sie sich denn in Vorstellungsgesprächen hoch motiviert präsentieren, wenn dies die 100. oder 150. Bewerbung ist?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wie sollen die Jugendlichen in der Schule Biss zeigen, wenn sie mitbekommen, wie es auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt aussieht? Die Wirtschaft trägt Mitverantwortung für die Zukunftsperspektiven der Jugendlichen und damit auch für deren fehlende Motivation. Wir wollen Anschluss statt Ausschluss; wir wollen alle jungen Leute mitnehmen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Mangelnde Ausbildungsreife muss daher bedeuten: massive Verstärkung der Angebote der Arbeitgeber im Bereich der Berufsausbildungsvorbereitung. Hier muss, gerade mit Blick auf den angebotenen Ausbildungspakt, etwas Konkretes mit Substanz auf den Tisch kommen. Eine Quantifizierung in diesem Bereich wäre ein weiteres verbindliches Merkmal für den zukünftigen Ausbildungspakt. Dadurch würde gerade den schwächeren, benachteiligten Jugendlichen wieder eine Perspektive gegeben.

   Wenn die Lücke nicht geschlossen wird, dann hat die Bundesregierung gesetzeskonform zu prüfen, die Anwendung und Erhebung der Abgabe in Kraft zu setzen sowie die Schaffung und Förderung zusätzlicher betrieblicher Ausbildungsplätze und den Leistungsausgleich auf den Weg zu bringen.

   Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf und den Entschließungsanträgen zum Angebot eines Ausbildungspaktes 2004 und der Einrichtung einer Stiftung „Berufliche Bildung und lebensbegleitendes Lernen“ nehmen wir die Verantwortung für unsere jungen Menschen sehr ernst und sorgen dafür, dass die Umsetzung des Beschlusses des Europäischen Rates von Lissabon, die Zahl der Jugendlichen ohne Ausbildung bis 2011 um die Hälfte zu verringern, endlich eine realistische Perspektive bekommt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die Subsidiarität unserer Vorgehensweise - der Pakt, der die Anwendung des Gesetzes überflüssig machen kann - ist richtig. Sie ist eine moderne Antwort auf veränderte Verhältnisse. Wir geben den Unternehmen damit die Gewissheit, auch in Zukunft über qualifizierten Fachkräftenachwuchs zu verfügen. Den jungen Menschen geben wir mit diesem Gesetz zusammen mit der anstehenden BbiG-Novellierung die Sicherheit und die Zuversicht, die bestmögliche Qualifikation für ihr zukünftiges Arbeitsleben und für ihre soziale Sicherung zu bekommen. Deshalb bitte ich um Zustimmung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Guido Westerwelle, FDP-Fraktion, das Wort.

Dr. Guido Westerwelle (FDP):

Herr Kollege Brase, Sie haben in Ihrer Rede zu Recht darauf hingewiesen, wie ernst und wichtig das Thema ist, das wir jetzt zu beraten haben. Vor diesem Hintergrund stelle ich für die Freien Demokraten fest, dass wir es als einen Skandal empfinden, dass auf der Regierungsbank nur eine einzige Bundesministerin vertreten ist. So geht die Regierung mit dem Deutschen Bundestag um!

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Wir wissen, dass sich die deutsche Öffentlichkeit dafür interessiert, wie die Politik, wie die Regierung Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen wollen. Wir streiten darüber, ob Ihr Weg, eine mit Bürokratie verbundene Abgabe einzuführen, richtig ist. Wir werden diesen Gesetzentwurf selbstverständlich ablehnen. Sie werden durch diese Maßnahme in Wahrheit nur mehr Mittelständler in die Pleite treiben und keinen einzigen neuen Ausbildungsplatz schaffen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Das ist doch keine Kurzintervention!)

   Zu einem politischen Diskurs gehört ein Minimum an Umgang miteinander und ein Minimum an Respekt gegenüber dem Deutschen Bundestag. Die Tatsache, dass die Regierung hier nicht vertreten ist, - -

(Widerspruch auf der Regierungsbank)

- Sie, die Parlamentarischen Staatssekretäre, sind - um das einmal klar zu sagen - die Auszubildenden der Bundesregierung. Entschuldigen Sie bitte, wenn ich das an dieser Stelle sagen muss.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wenn Sie von der Regierungsbank aus Zwischenrufe machen, dann kriegen Sie auch was zurück.

   Die Tatsache, dass die Regierungsbank leer ist, ist nicht nur eine Respektlosigkeit gegenüber dem Deutschen Bundestag, sondern auch gegenüber den Menschen in Deutschland, die Arbeit und Ausbildung suchen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Brase, Sie haben die Möglichkeit zur Erwiderung.

(Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Der soll uns sagen, warum der Clement nicht hier ist! - Gegenruf des Abg. Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Herr Schauerte, es ist ja schön, dass wenigstens Sie da sind!)

Willi Brase (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stelle fest, dass die zuständige Bundesministerin dort sitzt und gleich zu uns sprechen wird. Wir freuen uns darauf; denn sie wird die richtigen Worte sagen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich stelle weiterhin fest, dass nach unserer Auffassung die Bundesregierung ausreichend vertreten ist.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Das glauben Sie selbst nicht!)

Ich weise es entschieden zurück, wenn Parlamentarische Staatssekretäre als Auszubildende der Bundesregierung bezeichnet werden; das ist kein fairer Umgang miteinander, Herr Kollege Westerwelle.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Sie sind nicht Mitglieder der Bundesregierung!)

   Uns geht es darum, dass wir mit einem Bündel von Maßnahmen, wie ich sie zum Teil dargestellt habe und wie wir sie in der Debatte noch verdeutlichen werden, endlich dazu kommen, dass sich Unternehmen in dieser Republik ihrer Verantwortung stellen. Man kann nicht immer nur von Sozialhilfeempfängern und Arbeitslosengeldempfängern Verantwortung verlangen und ihnen Verpflichtungen auferlegen, aber bei den Unternehmen auf reine Freiwilligkeit setzen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Jugendlichen sind dann die Dummen, die in die Röhre gucken. Das machen wir nicht mit!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile Kollegin Maria Böhmer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Dann kommen wir vielleicht wieder zur Sache zurück!)

Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist in der Tat unerhört, dass die Bänke der Regierung in dieser Art und Weise leer bleiben.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Das ist doch Unsinn!)

Parlamentarische Staatssekretäre sind in dieser heutigen Debatte kein Ersatz für die zuständigen Minister.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Die CDU/CSU-Fraktion erwartet - das sage ich in aller Deutlichkeit -, dass der Wirtschaftsminister unmittelbar im Parlament erscheint und an dieser Aussprache teilnimmt;

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

denn er ist für das Chaos, das wir in diesem Land haben, mit verantwortlich und er muss hier Farbe bekennen, was seine Haltung zur Ausbildungsplatzabgabe angeht. Noch gestern hat er in der Öffentlichkeit deutlich gemacht, dass er gegen diese Abgabe ist, dass er nichts davon hält. Ich werte das als einen stillen Protest. Wir erwarten, dass er hier erscheint.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Was Sie uns heute bieten, ist absurdes Theater;

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Das müssen Sie nun gerade sagen, Sie, die Sie dieses Theater veranstalten! Sie machen hier Theater!)

denn Sie wollen ein Gesetz beschließen, von dem Sie selbst sagen, dass es nicht in Kraft treten soll. Das hat dieser Bundestag noch nie erlebt und das ist ein Verfahren, das letztlich auf dem Rücken der jungen Leute, der Unternehmen und der Zukunft unseres Landes ausgetragen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Sie haben kurzfristig einen Antrag eingebracht und bieten an, einen freiwilligen Ausbildungspakt mit der Wirtschaft einzugehen. Aber die behauptete Vorrangigkeit eines solchen Paktes gibt es nicht. Wer genau hinschaut, erkennt, dass Sie keinen Millimeter nachgeben werden; denn die Bundesregierung wird letztlich entscheiden, ob die Wirtschaft die Anforderungen an diesen Ausbildungspakt erfüllt oder nicht. Das ist nicht Freiwilligkeit, das ist Zwang.

(Nicolette Kressl (SPD): Verbindlichkeit!)

Deshalb haben die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft dieses Angebot mit Recht klar abgelehnt.

   Was Sie hier tun, ist im Grunde genommen das Entscheiden einer Machtfrage, nichts anderes.

(Peter Dreßen (SPD): Ach Gott! Erzählen Sie keinen Stuss!)

Sie können es in den Kommentaren heute wie auch in denen der letzten Tage nachlesen. Es ist ein Vorhaben, das dazu dient, dass Ihr neuer Parteivorsitzender das Gesicht nicht verliert.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Unsinn!)

So ist es in der „Welt“ nachzulesen

(Lachen bei der SPD)

und so ist es heute in der „Süddeutschen“ nachzulesen. Was Sie hier verabschieden, ist nichts anderes als eine Maßnahme zur Erhaltung Ihrer Macht und zur Durchsetzung der Vorstellungen des Parteivorsitzenden. Hier geschieht nichts im Interesse der Auszubildenden; denn diese Ausbildungsplatzabgabe ist kontraproduktiv.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollegin Böhmer gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tauss?

Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU):

Ich kenne den Kollegen Tauss so gut, dass ich mir schon vorstellen kann, was er sagen will. Darauf verzichten wir heute.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Sehr geehrter Herr Müntefering, Sie handeln selbst wider besseres Wissen. Sie haben in der „Süddeutschen Zeitung“ von Dienstag gesagt - ich zitiere -:

Das Ziel, ausreichend Lehrstellen zu schaffen, „kann man auch leichter erreichen als mit der Umlage“.

Sie haben Recht. Man kann es leichter erreichen. Aber warum handeln Sie denn nicht entsprechend? Warum lassen Sie denn nicht von diesem unsinnigen Gesetz ab, das einen Irrweg ohnegleichen darstellt? Warum lassen Sie der Wirtschaft nicht den Spielraum, den sie braucht, um Ausbildungsplätze zu schaffen?

(Lilo Friedrich (Mettmann) (SPD): Dabei kommt ja nichts heraus!)

   Sie haben gesagt, es komme nichts dabei heraus. Im letzten Jahr sind 500 000 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen worden.

(Peter Dreßen (SPD): Es waren einmal 600 000!)

Ich finde, das verdient Anerkennung. Deshalb möchte ich mich bei all denjenigen herzlich bedanken, die sich bemüht haben und von Betrieb zu Betrieb gegangen sind, sowie bei den Handwerksmeistern, die in einer wirtschaftlich schwierigen Lage noch Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt haben. Ihnen allen gilt unser Dank für ihr Eintreten für eine bessere Ausbildungsperspektive der Jugendlichen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Unser Ziel ist es - darin müssen wir alle in diesem Land übereinstimmen -, dass all den jungen Menschen, die ausbildungswillig und ausbildungsfähig sind, eine Lehrstelle zugesichert wird.

(Zurufe von der SPD: Wie denn?)

Durch die Ausbildungsplatzabgabe wird es keinen einzigen zusätzlichen Ausbildungsplatz geben.

(Nicolette Kressl (SPD): Was für einen Vorschlag haben Sie denn?)

Das ist nicht nur die Auffassung der CDU/CSU-Fraktion, der FDP und der Wirtschaft. Diese Aussage hat Harald Schartau, SPD-Vorsitzender in Nordrhein-Westfalen, gemacht. Peer Steinbrück, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, spricht von Gift für den Standort Deutschland. Dazu wird es durch das Gesetz kommen, das Sie uns heute vorlegen. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Bei genauerer Untersuchung des Gesetzentwurfes zur Ausbildungsplatzabgabe stoßen wir auf absurde Regelungen. Die Ausbildungsquote von 7 Prozent, die Sie bundesweit zugrunde legen, ist völlig willkürlich festgelegt. Das Gesetz droht damit auch verfassungsrechtlich zu scheitern. Schließlich betragen die Verwaltungskosten 160 Millionen Euro.

(Willi Brase (SPD): Das ist falsch! Das ist gelogen!)

Frau Ministerin Bulmahn, Sie haben gestern Ihr großes Projekt im Bereich der Nanotechnologie verteidigt. Diese wird aber mit weniger als 160 Millionen gefördert. Das heißt, die Relationen stimmen hier einfach nicht mehr.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Ulla Burchardt (SPD): Das ist doch falsch, was Sie hier erzählen!)

   Mit Ihrem Gesetz stoßen Sie eine Entwicklung an, die dazu führen wird, dass die duale Ausbildung ausgehöhlt wird. Sie wird deshalb ausgehöhlt werden, weil viele Unternehmen angesichts einer drohenden Ausbildungsplatzabgabe von 500 Euro abwägen werden, ob sie für teures Geld tatsächlich ausbilden oder sich freikaufen. Im Ausland hat man nach Einführung einer solchen Abgabe die Erfahrung gemacht, dass viele Unternehmen diesen Weg beschreiten. Das heißt, das duale System wird geschwächt und wir kommen zu einer Verstaatlichung der beruflichen Ausbildung.

(Ulla Burchardt (SPD): Grober Unfug!)

Damit bahnen Sie einen Weg, der für die jungen Menschen und für die Wirtschaft fatal ist. Das ist schädlich für unser Land.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Der eigentliche Fehler liegt darin, dass Sie den Hauptgrund für die anhaltenden Probleme auf dem Ausbildungsmarkt nicht sehen wollen: Es ist die Wachstumsschwäche in Deutschland. Diese Situation schlägt voll auf den Ausbildungsmarkt durch. Es ist angesichts dessen kein Wunder, dass immer weniger Ausbildungsplätze von den Unternehmen bereitgestellt werden können. Das möchte ich betonen. Die Unternehmen kann hier kein Vorwurf treffen.

(Peter Dreßen (SPD): Das ist aber neu!)

Wer nämlich wirtschaftlich vor dem Aus steht, kann nicht noch zusätzliche Ausbildungsplätze schaffen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Gehen Sie einmal durch die Innenstädte und in die Einkaufszentren. Sie werden sehen: Einzelhandelsgeschäfte schließen, alteingesessene Familienbetriebe müssen schließen. Das heißt, Ausbildungsplätze fallen weg und die Chancen für junge Leute verringern sich. Ursache ist Ihre chaotische Wirtschaftspolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Wir sind in der Tat mit einer dramatischen Situation ohnegleichen konfrontiert: Mehr als eine halbe Million junger Menschen, darunter fast 200 000 allein in den neuen Bundesländern, suchen einen Job. Der Hälfte von ihnen fehlt jegliches Ausbildungszertifikat.

(Peter Dreßen (SPD): Was machen Sie dagegen? Sagen Sie doch, was Sie dagegen machen!)

   Wir müssen einmal fragen, worin die Gründe dafür bestehen. Die Defizite liegen in der vorberuflichen Bildung, in der Schule und im Elternhaus. Wir wissen seit PISA um die mangelhaften Deutschkenntnisse; so haben 200 000 Schüler jedes Jahrgangs schwere Lese- und Schreibprobleme. Außerdem verlassen 100 000 Schüler die Schule ohne Abschluss. 85 000 von ihnen kommen aus der Hauptschule. XXXXX

Die Bugwelle der Klasse der Hoffnungslosen wächst von Jahr zu Jahr. Ihre Ausbildungsabgabe wird nichts daran ändern; denn damit lassen Sie gerade die lernschwachen jungen Leute, die dringend der Förderung bedürfen, im Stich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Heinz-Peter Meidinger, der Bundesvorsitzende des Philologenverbandes,

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Ausgerechnet!)

spricht von der Ausbildungsplatzabgabe als einem „großen Ablenkungsmanöver der Politik“. Denn

die eigentliche Frage, die Förderung von schwachen Schülern,
(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Das ist doch Länderaufgabe! Machen Sie doch was!)
die nicht in der Lage sind, eine Ausbildung zu machen, wird völlig außer Acht gelassen.

   Ich sage Ihnen: Hier muss endlich umgesteuert werden,

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Ja, genau!)

und zwar besser, als Sie es tun. Wir müssen die Jugendlichen während der Schulzeit fördern,

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Jawohl! Länderaufgabe!)

statt nach der Schulzeit mit teuren Reparaturmaßnahmen zu versuchen, sie in eine Ausbildung zu bringen. Es muss am Anfang investiert, statt am Ende mit Milliardenbeträgen repariert werdem.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Not tut die möglichst frühe Verzahnung von Schule und Berufspraxis.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Sehr gut! Sprechen Sie mit den neun CDU- und CSU-Kultusministern!)

Wir brauchen längere Praxismodule schon in der Schulzeit; das ist der richtige Weg. Diese müssen später bei der Berufsausbildung anerkannt werden.

   Dringend notwendig ist - dazu haben wir Ihnen einen konkreten Vorschlag gemacht - die Reform des Berufsbildungsrechts. Dieses schleift seit langer Zeit, Frau Bulmahn. Sie haben uns zuerst mit Worten und dann mit Eckpunkten abgespeist. Heute sollen wir im Bundestag auch noch begrüßen, dass Ihr Berufsbildungsgesetz erst nächstes Jahr novelliert wird. Die Zeit rennt uns davon; so kann man eine Aufgabe nicht schleifen lassen und vernachlässigen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Ulla Burchardt (SPD): Das müssen Sie gerade sagen!)

   Stimmen Sie unserem Entwurf einer Novelle des Berufsbildungsgesetzes, wenn dieser zur Abstimmung ansteht, zu!

   Zum Schluss habe ich noch eine dringliche Bitte. Ich hoffe, dass Sie zuhören und nicht nur schreien. Ich habe hier einen der vielen Briefe, die ich aus dem ganzen Land erhalten habe; ich schätze, viele von uns haben solche Briefe bekommen. Er kommt von einem mittelständischen Unternehmer vom Bodensee.

(Nicolette Kressl (SPD): Haben Sie auch Briefe von arbeitslosen Jugendlichen?)

Dieser Unternehmer schreibt:

Wir appellieren im Interesse der Jugendlichen an jene vernünftigen Politiker und Meinungsbildner, die ein solch unsinniges Gesetz ablehnen, sich vehement für die Ablehnung einzusetzen.

Wir tun das. Folgen auch Sie diesem Appell!

   Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Jörg Tauss, SPD-Fraktion, das Wort.

(Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Mein Gott, das darf ja nicht wahr sein!)

Jörg Tauss (SPD):

Frau Kollegin Böhmer, es ist gut, wenn wir uns hier demnächst auch mit der Reform der beruflichen Bildung beschäftigen. Auch das ist ein Projekt, das Sie 16 Jahre lang liegen gelassen haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Für inakzeptabel halte ich die Tatsache, dass Sie die Tausenden von jungen Menschen, die berufsreif sind - wir reden nicht von den anderen; um die kümmern wir uns weiterhin, was auch die Aufgabe des Staates ist; Länder und Bund tun hier viel -, hier in dieser Form verhöhnen. Sie sind die Opfer der Entwicklung und nicht die Täter. Aus diesem Grunde habe ich die herzliche Bitte, dass diese Beschimpfung der Jugendlichen nicht fortgesetzt wird.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Zweitens. Sie haben völlig Recht mit Ihrer Bemerkung, dass die SPD ihren Partei- und Fraktionsvorsitzenden selbstverständlich gerne stützt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aber mit großer Freude sehen wir, dass auch die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft unsere Position teilt. Ich zitiere einmal wörtlich aus den Beschlüssen der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft. Da heißt es:

Betriebliche und überbetriebliche Ausbildung wird auf der Grundlage eines kontinuierlichen Lastenausgleichs zwischen den Betrieben finanziert. Die öffentlichen Arbeitgeber sind den privaten Arbeitgebern gleichzustellen. Das soll im Berufsbildungsgesetz verankert werden.
(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Kommt jetzt die Pointe?)

   Ich freue mich, dass offensichtlich auch die CDA gesehen hat, dass der Partei- und Fraktionsvorsitzende der SPD gestützt werden soll. Herzlichen Dank an Ihre Kolleginnen und Kollegen von der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft, die die Probleme so sieht wie wir!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollegin Böhmer.

Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU):

Herr Kollege Tauss, ich habe keine andere Intervention von Ihnen erwartet. An Ihren Äußerungen ist nichts Überraschendes; wir kennen das ja schon. Aber ich weise ganz klar Ihren wiederholten Vorwurf zurück, wir würden Jugendliche verhöhnen. Uns geht es darum, dass die Qualifizierung der jungen Leute besser gelingt und dass die Jugendlichen nicht durch eine Scheinlösung ins Abseits gestellt werden.

Genau das tun Sie nämlich, indem Sie die Probleme der lernschwachen Jugendlichen stets tabuisieren. Ihre Politik des Unter-den-Teppich-Kehrens hat zu dieser Misere geführt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Widerspruch bei der SPD - Gegenruf von der FDP: Sie verhöhnen die jungen Leute! - Gegenruf des Abg. Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Jetzt verhöhnen Sie uns auch noch!)

   Sie haben einen Beschluss der CDA zitiert. Dazu muss ich sagen: Sie haben zwar ein gut sortiertes Archiv - es ehrt Sie, dass Sie Informationen sammeln -, aber Sie müssen auch wissen, was wo und wann gesagt worden ist. Herr Tauss, der von Ihnen zitierte Beschluss ist jahrzehntealt

(Lachen bei der SPD)

und bezieht sich auf völlig andere wirtschaftlichen und rechtliche Gegenbenheiten. Wir ziehen hier an einem Strang. Dass Sie im Jahr 2004 eine Äußerung aus dem Jahr 1977 zitieren, zeigt, dass Sie in die falsche Richtung denken und nicht fähig sind, dieses Land zu regieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Modell Deutschland! Helmut Schmidt!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Grietje Bettin, Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Eckart von Klaeden (CDU/CSU): War sie schon geboren, als das stattfand, was Herr Tauss zitiert hat?)

Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wer sich nicht um die Jugend kümmert und wer die Jugendlichen allein lässt, der stellt sich selbst ins Abseits. Wo bleiben Ihre konkreten Änderungsvorschläge? Wieder haben Sie nur die Interessen der Wirtschaft im Kopf. Die Interessen der jungen Menschen erwähnen Sie hier mit keinem Wort.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, sind für mehr verantwortlich als nur dafür, die Interessen der Wirtschaft zu vertreten. Sie tragen in den von Ihnen regierten Ländern - das ist die Mehrzahl - die Verantwortung für die Qualität unseres Bildungssystems. Sie sind aber nicht bereit, beispielsweise über die Abschaffung der Eigenheimzulage zugunsten einer Verbesserung der Bildung mit uns zu diskutieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Was wollen Sie dann? Die Jugend soll nach Ihren Vorstellungen die Zeche für alles zahlen. Da machen wir nicht mit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Eines kann ich aber mit Freude feststellen: Das Gesetz wirkt schon, noch bevor wir es beschlossen haben. Anders ist es wohl kaum zu erklären, warum wir jetzt zwei Alternativvorschläge zur Schaffung neuer Ausbildungsplätze auf dem Tisch liegen haben: einen Vorschlag von Beck und Steinbrück und einen Vorschlag vom DIHK-Präsidenten Braun. Beide Initiativen verlangen jedoch, dass wir den Gesetzentwurf zurückziehen. Aber das werden wir nicht tun. Ich sage Ihnen auch, warum.

   Erstens können wir es uns schlicht nicht leisten, noch einmal Zehntausende junger Menschen in Unsicherheit und Zukunftsangst zu stürzen. Zweitens können wir uns den absehbaren Mangel an Fachkräften nicht leisten. Drittens können wir uns die wirtschaftlichen und sozialen Probleme nicht leisten, die entstehen, weil jungen Menschen der Berufseinstieg vorenthalten wird und damit enorm viele Begabungsreserven brachliegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, die Ausbildungsplatzumlage ist - ich wiederhole es gern so lange, bis Sie es verstanden haben - keine Strafabgabe. Sie schafft einen fairen und sozial gerechten Ausgleich zwischen ausbildenden und nicht ausbildenden Unternehmen. Kleinere Betriebe mit weniger als zehn Mitarbeitern sind von der Zahlung der Umlage befreit. Zur Kasse gebeten werden logischerweise vor allem die großen Ausbildungsverweigerer unter den Firmen.

   In den vielfältigen Verhandlungen zum Gesetz haben wir unter anderem erreicht, dass schulische Ausbildungen mit hohem betrieblichen Anteil und akademische Berufsausbildungen im Gesetz gesondert berücksichtigt und unter Umständen sogar gefördert werden. Auch für soziale Einrichtungen wie Krankenhäuser oder Pflegeeinrichtungen und für die finanziell häufig angeschlagenen Kommunen gelten entlastende Sonderregelungen.

   Wir begrüßen natürlich jede Initiative - das will ich ausdrücklich betonen -, die betriebliche Ausbildungsplätze schafft. Der vorgeschlagene Pakt vom DIHK-Präsidenten Braun ist dazu vielleicht geeignet. Deswegen haben wir in dem vorliegenden Antrag vorgesehen, dass verbindlich und schriftlich vereinbarte freiwillige Regelungen der Wirtschaft Vorrang vor der Anwendung des Gesetzes haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Ich bin durchaus optimistisch, dass dies gelingen kann.

   Was ist aber, wenn im Herbst trotz allem wieder Zehntausende von Jugendlichen dastehen, die keinen Beruf erlernen können, weil es wieder einmal nicht genug Ausbildungsplätze gibt? Sollen wir wieder appellieren? Sollen wir noch mehr Programme auflegen? Aus genau diesem Grund haben wir ins Gesetz geschrieben, dass es nicht zur Anwendung kommt, solange genügend betriebliche Ausbildungsplätze vorhanden sind. Fehlen sie, gibt es die Umlage.

   Auch der Vorschlag von Beck und Steinbrück geht teilweise in die richtige Richtung. XXXXX

Positiv finde ich etwa die regionale Ausrichtung der Vorschläge und die Einbindung der Handwerkskammern oder auch die Erhöhung des Praxisanteils bei vollzeitschulischen Ausbildungen. Das Konzept ist aber bislang völlig unverbindlich. Es setzt auf die Freiwilligkeit aller Akteure. Auf die setzen natürlich auch wir, deshalb das Auslösekriterium.

   Kritisch sehe ich die Ausweitung der außerbetrieblichen statt der betrieblichen Ausbildung. Außerdem soll in diesem Konzept die öffentliche Finanzierung der Berufsausbildung ausgeweitet werden. Aber gerade diesen Trend zur Verstaatlichung der Berufsbildung müssen wir stoppen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Deswegen halte ich diesen Vorschlag unterm Strich für ungeeignet.

   Wir wollen die Sicherung der dualen Berufsausbildung mit deren inhaltlicher und struktureller Reform kombinieren. Wir wollen ein Gesetz schaffen, das Anreize setzt, auszubilden, und das die Möglichkeit für junge Menschen verbessert, eine betriebliche Ausbildung zu erhalten. Die anstehende Reform des Berufsbildungsgesetzes, zwei Entschließungsanträge und das Umlagegesetz werden einiges zur Sicherung der dualen Ausbildung beitragen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Unter anderem wollen wir die Anrechnung informell erworbener Kompetenzen verbessern und die Ausbildungsvorbereitung und die Berufsausbildung besser miteinander verzahnen. Das erleichtert Jugendlichen mit Anlaufschwierigkeiten die berufliche Qualifikation.

   Neben dem Gesetz zur Umlage liegt ein Entschließungsantrag vor, in dem wir anregen, eine Stiftung „Betriebliche Bildungschance“, StiBB, einzurichten. Mit ihr wollen wir Einzelpersonen, Unternehmen und Sozialpartnern Anreize geben, das Umlagevermögen zu ergänzen. Wir wollen einen gesellschaftlichen Prozess anregen, der über das Bereitstellen privater Mittel weit hinausgeht.

   Lassen Sie mich abschließend ganz klar sagen: Das Gesetz, das wir heute verabschieden,

(Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Ist ein Unfug!)

greift erst, wenn im Herbst wieder große Ausbildungslücken entstehen. Leider deuten im Moment - das muss man sehen - noch alle Zahlen darauf hin. Setzen Sie sich mit uns gemeinsam dafür ein, dass die Wirtschaft ihre Zusagen endlich wahr macht und langfristig ausreichend Ausbildungsplätze zur Verfügung stellt! Nicht zu vergessen ist dabei: Hätte die Wirtschaft dies freiwillig früher getan, hätten wir über eine Umlage gar nicht erst reden müssen.

   Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Christoph Hartmann, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Christoph Hartmann (Homburg) (FDP):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Brase, Sie haben von der Verantwortung der Wirtschaft gesprochen.

(Hans-Werner Bertl (SPD): Ja, richtigerweise!)

Wo ist denn die Verantwortung der Bundesregierung, wenn der Bundeswirtschaftsminister nicht hier ist?

(Hans-Werner Bertl (SPD): Der ist bei der IHK! Auch wichtig!)

Wo ist die Verantwortung der Ministerpräsidenten, wenn Steinbrück und Beck nicht hier sind? Die sind ja nicht zufällig nicht hier. Die sind deswegen nicht hier, weil sie dieses Gesetz ablehnen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Hans-Werner Bertl (SPD): Und Stoiber? Wo ist der?)

Sie haben Recht: Diesem Ausbildungsplatzverhinderungsgesetz, in dem Sie in 24 Paragraphen 23 Änderungen vorgenommen haben, kann man nicht zustimmen.

   Die Zeit der Alchemisten ist vorbei. Aus Eisen kann man eben mit noch so viel Hokuspokus kein Gold machen.

(Zurufe von der SPD: Ha, ha, ha!)

Die Ausnahmen, die Sie vorgesehen haben - insolvente Betriebe, notverwaltete Gemeinden, Krankenhäuser und Kirchen -, sind für die Betroffenen gut. Aber für den Mittelstand, der 500 Euro pro Ausbildungsplatz bezahlen muss, ist dieses Gesetz nicht gut. Für ihn ist dies eine Katastrophe. Sie setzen Ihre wirtschaftspolitische Geisterfahrt fort.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Unternehmen, die keine Bewerber finden, sollen zahlen. Firmen, die keine geeigneten Bewerber finden, sollen zahlen. Hochschulen, die zum Beispiel Doktoranden ausbilden, aber nicht dual, sollen zahlen. Sie bringen mittelständische Unternehmen zusätzlich in Existenznöte.

(Hans-Werner Bertl (SPD): Ja, die Hochschulen bringen wir in Existenznöte!)

   Gestern rief mich eine Zeitarbeitsfirma aus meinem Wahlkreis im Saarland an. Sie beschäftigt zehn Mitarbeiter in der Verwaltung und einen Auszubildenden. Das bedeutet eine Ausbildungsquote von 10 Prozent. Insgesamt sind es 600 Mitarbeiter, wovon 590 verliehen werden. Ihre Ausbildungsquote von 7 Prozent gilt aber für alle. Das heißt, dieses Unternehmen müsste 41 weitere Auszubildende bei nur zehn Mann Stammbelegschaft einstellen.

Aber wie sollen sie überhaupt ausgebildet werden?

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Wer hat denn die anderen 500 ausgebildet? Diese Firmen sind doch Trittbrettfahrer! Das ist Unsinn!)

   Ich kann Ihnen sagen, was am Montag passieren wird, wenn dieses Gesetz verabschiedet wird. Die Alternative für diese Zeitarbeitsfirma heißt nämlich: entweder 250 000 Euro zahlen und damit in die Insolvenz gehen oder - das werden sie tun - die Arbeitsplätze nach Luxemburg verlagern.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Quatsch!)

Dieses Gesetz ist kein Ausbildungsplatzschaffer, dieses Gesetz ist ein Arbeitsplatzvernichter.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Keine Ahnung!)

   Ich möchte die Kommunen als Beispiel anführen. Der Oberbürgermeister von München - in Klammern: Er gehört der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands an - schrieb an die FDP-Fraktion:

Es kann doch nicht im Ernst wahr sein, dass die ... Ausbildungsabgabe im konkreten Ergebnis zu einer Bestrafung der Städte führt, beispielsweise der Stadt München, die seit Beginn des letzten Jahrhunderts weltweit beachtete Leistungen für die berufliche Bildung erbringt.

Herr Ude, es ist wahr; es sind Ihre Parteifreunde, die diesen Irrsinn durchsetzen wollen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Schauen wir doch ins benachbarte Ausland: In Frankreich und Dänemark gibt es die Ausbildungsplatzabgabe. In Deutschland beträgt die Jugendarbeitslosigkeit 10,3 Prozent, sie ist zugegeben zu hoch. In Dänemark liegt sie bei 10,6 Prozent und in Frankreich bei 20,1 Prozent, und zwar trotz Umlage. Die Ausbildungsquote in Deutschland beträgt 6,4 Prozent, in Dänemark beträgt sie 3 Prozent und in Frankreich 1,2 Prozent, trotz Umlage.

(Hans-Werner Bertl (SPD): Die Zahlen sind gar nicht vergleichbar!)

Sie erzählen uns immer wieder, dass die Bauwirtschaft eine freiwillige Umlage hat und dass das ein leuchtendes Beispiel ist.

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Hartmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Montag?

Christoph Hartmann (Homburg) (FDP):

Lassen Sie mich bitte diese Argumentation zu Ende führen, danach kann der Kollege gern eine Zwischenfrage stellen.

   Die Ausbildungsquote beim Bau beträgt 7,9 Prozent, das ist überdurchschnittlich hoch. Der Bau zählt aber zum Handwerk und die Ausbildungsquote beim Handwerk insgesamt liegt bei 9,8 Prozent. Jedem einzelnen Argument, das Sie hier anführen, geht die Luft aus.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   In der Probeabstimmung Ihrer Fraktion am Dienstag waren 20 Fraktionsmitglieder gegen dieses Gesetz. Es ist kein Berufsausbildungssicherungsgesetz, es ist ein Berufssicherungsgesetz für Herrn Müntefering.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Nicolette Kressl (SPD): Haben Sie auch mal ein Argument, Herr Hartmann? Irgendwas Fachliches? Gibt es auch ein fachliches Argument?)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Montag, Sie haben das Wort.

Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Kollege Hartmann, als Münchener Abgeordneter frage ich Sie, ob Sie bereit sind, das Parlament darüber in Kenntnis zu setzen, dass der Brief von Oberbürgermeister Ude nicht nur an Sie geschickt wurde und dass er sich darüber hinaus auf einen ersten Entwurf dieses Gesetzes bezogen hat.

(Nicolette Kressl (SPD): Aber der Herr Hartmann kennt sich wirklich aus!)

Möchten Sie das Parlament ferner darüber in Kenntnis setzen, dass in dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf aufgrund der Intervention von Oberbürgermeister Ude und vielen anderen Kommunalpolitikern all diese Probleme bereinigt sind

(Widerspruch bei der FDP)

und die Anstrengungen der Kommunen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit tatsächlich berücksichtigt werden?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Christoph Hartmann (Homburg) (FDP):

Herr Kollege, ich bedanke mich herzlich für diese Zwischenfrage, weil sie mir die Gelegenheit gibt, etwas klarzustellen.

(Peter Dreßen (SPD): Der hält sich doch für einen Schauspieler! Das sieht man dem an! - Weiterer Zuruf von der SPD: Arrogant!)

Die Ausnahme, die Sie für die Kommunen machen, gilt nur für notverwaltete Kommunen. Für alle anderen gilt diese Ausnahme nicht.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Sie haben wieder keine Ahnung!)

Das heißt, dieses Gesetz bestraft die Kommunen, die gut und wirtschaftlich arbeiten. Sie haben damit die Probleme nicht beseitigt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Sie differenzieren nicht nach Branchen, Sie differenzieren auch nicht nach Größe der Unternehmen oder nach Regionen. Dieses Gesetz ist Gleichmacherei, es geht an der Wirklichkeit vorbei. Dass Planwirtschaft nicht funktioniert, hat man in der DDR gesehen. Das was Sie jetzt hier einführen, ist Planwirtschaft light.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Nur Parolen! - Peter Dreßen (SPD): So ein Schwachsinn, was Sie da erzählen! - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Sind Sie eigentlich junger Politiker? Wo kümmern Sie sich um die Probleme junger Menschen?)

- Herr Kollege, ich kenne die Probleme schon deswegen, weil ich selbst Inhaber einer kleinen Firma bin, die ausbildet.

(Lachen bei der SPD - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Muss man sich dafür schon entschuldigen?)

- Ja, dafür muss man sich in diesem Haus wirklich mittlerweile entschuldigen.

(Beifall bei der FDP - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Lächerlich!)

   90 000 Schülerinnen und Schüler verlassen unsere Schulen ohne Abschluss. 25 Prozent - das wissen wir seit PISA - haben große Probleme beim Lesen und beim Rechnen. 15 Prozent schaffen die Ausbildung nicht. Wir brauchen flächendeckend theoriegeminderte, zweijährige Ausbildungsberufe. Schwächere Jugendliche brauchen eine Chance.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Meine sehr verehrten Damen und Herren, das zweite Problem ist die Höhe der Auszubildendenvergütungen.

(Jörg Tauss (SPD): Aha!)

- Herr Tauss, dieser Meinung ist übrigens nicht nur die FDP. Ich zitiere den Sprecher des Arbeitskreises Arbeit und Soziales der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, Herrn Höpfner: „Die Kosten der Ausbildung sind zu hoch.“

   Tausende von Auszubildenden verdienen in außerbetrieblichen Ausbildungen weniger als 200 Euro. Wir wollen, dass es betriebliche Ausbildungen gibt. Aber wir sind der festen Überzeugung, dass es besser ist, Menschen für 350 Euro auszubilden, als sie für 750 Euro nicht auszubilden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Nicolette Kressl (SPD): Sollen wir jetzt hier einen Tarifvertrag beschließen, oder was?)

   Die weiteren Hindernisse müssen weg: Die Ausbildungszeiten müssen entschlossen differenziert und flexibilisiert werden. Die immer noch reichlich vorhandenen bürokratischen Hemmnisse müssen abgebaut werden. Die Präsenz der Auszubildenden im Betrieb muss gesteigert werden.

   Dieses Ausbildungsplatzverhinderungsgesetz ist der falsche Weg. Es ist bürokratisch. Es ist planwirtschaftlich. Es belastet die Wirtschaft. Es ist unsozial, weil es Arbeitsplätze verhindert. Es stellt dem Kabinett eine einmalige Möglichkeit zur Verfügung, nämlich per Knopfdruck zu entscheiden, ob diese Ausbildungsplatzabgabe kommt. Damit öffnet es der Willkür Tür und Tor.

   Die Wirtschaft braucht aber Vertrauen, damit Arbeitsplätze entstehen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie bezeichnen Unternehmer, die Deutschland verlassen, als „vaterlandslose Gesellen“. Dieses Gesetz wird dazu führen, dass es weitere „vaterlandslose Gesellen“ nach Ihrer Definition gibt -

(Willi Brase (SPD): Ach Gott!)

nicht weil die Betriebe dieses Land verlassen wollten, sondern weil diese Betriebe dieses Land verlassen müssen.

(Anhaltender Beifall bei der FDP - Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Hans-Werner Bertl (SPD): Jetzt wird es wirklich langsam zur Schmierenkomödie! Das ist doch nicht auszuhalten - Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Mit einem solchen Unsinn profiliert man sich nur in der FDP-Fraktion! Das ist typisch!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Wenn wir fertig sind! - Anhaltender Beifall bei der FDP)

Bundesministerin Edelgard Bulmahn.

(Beifall bei der SPD)

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung:

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! In wenigen Monaten beginnt das neue Ausbildungsjahr. Für viele - zu viele - jugendliche Schulabgängerinnen und Schulabgänger gibt es bisher keinen Ausbildungsplatz.

   Wir wissen aber auch, dass der Wirtschaft in den kommenden Jahren aufgrund der demographischen Entwicklung immer mehr Fachkräfte fehlen werden. Der deutliche Rückgang der Jahrgänge von jungen Menschen, die in den Beruf gehen, ab dem Jahre 2009 führt nach Einschätzung aller Experten zu einem Fachkräftemangel von rund 3,5 Millionen Menschen allein in der Altersgruppe zwischen 30 und 45. Das ist gerade die Altersgruppe, von der die Innovationskraft der Wirtschaft abhängt.

   Meine sehr geehrten Damen und Herren auch von der Opposition, die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes hängt davon ab, ob wir auch 2010 und 2015 noch ausreichend qualifizierte Fachkräfte haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden im globalen Wettbewerb doch nicht mit unqualifizierten Menschen bestehen können.

(Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Auch nicht mit dieser Regierung!)

Deshalb sage ich Ihnen ganz ausdrücklich: Sie vertreten nicht die Interessen der Wirtschaft,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Die Interessen Deutschlands vertreten wir! - Gegenruf des Abg. Willi Brase (SPD): Wir vertreten die Interessen der Menschen!)

wenn Sie diese Entwicklung ignorieren und so tun, als gäbe es kein Problem und als könne man einfach so weitermachen. Das geht nicht.

   Nichts ist schlimmer für einen Jugendlichen, als ohne qualifizierte Ausbildung in das Leben starten zu müssen, auf das Abstellgleis geschoben und nicht gebraucht zu werden. Das ist für junge Menschen eine sehr harte Erfahrung.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist wohl wahr!)

Dieses Problem wird in den kommenden Jahren nicht geringer, sondern es wird ein noch brennenderes Problem werden,

(Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Vor allem mit diesem Gesetz!)

weil die Zahl der Jugendlichen noch bis zum Jahre 2010 steigt.

(Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Vor allem durch dieses Gesetz! - Elke Wülfing (CDU/CSU): So ist das!)

   Ein weiteres Problem. Nur rund die Hälfte der Betriebe mit mehr als zehn Beschäftigten bildet überhaupt noch aus.

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU):Endlich mal ein Gesetz, das die Welt verbessert!)

Wenn sich in einem dualen Berufsbildungssystem zu viele Unternehmen und Betriebe der Verantwortung für ihre eigene Zukunft entziehen, indem sie nicht genug qualifizierte Fachkräfte ausbilden,

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist schon seltsam, was Sie erzählen!)

dann entzieht sich dadurch das System der beruflichen Ausbildung seine eigene Existenzgrundlage.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Dazu habe ich von den Rednerinnen und Rednern der Opposition kein einziges Wort gehört, auch nicht von Ihnen, Frau Böhmer. Sie haben keinen einzigen konkreten Vorschlag gemacht, wo die Jugendlichen ausgebildet werden sollen.

(Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Sie kennen doch unsere Anträge! - Gegenruf von der SPD: Welche denn?)

Sie sollen zwar weder zusätzlich in den Betrieben noch in den Verwaltungen ausgebildet werden. Aber wo sollen sie denn ausgebildet werden? Fachkräfte fallen nicht vom Himmel; sie müssen ausgebildet werden. Daher brauchen wir Betriebe, die ausbilden!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Das merkt man bei dieser Bundesregierung, dass die nicht vom Himmel fallen!)

   Inzwischen, meine sehr geehrten Herren und Damen, werden öffentliche Mittel in Höhe von 10 Milliarden Euro in die berufliche Ausbildung investiert.

(Elke Wülfing (CDU/CSU): Was hat das mit diesem Gesetz zu tun, was Sie da erzählen? Nichts!)

Genau das ist die schleichende Verstaatlichung der beruflichen Ausbildung, die Sie hier immer beschwören. Wir wollen sie nicht. Ich halte eine Verstaatlichung für eine falsche Entwicklung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Im Gegenteil, wir müssen wieder mehr Betriebe für die berufliche Ausbildung gewinnen. Darum geht es.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der CDU/CSU: Aber doch nicht durch Strafen!)

Den Vorzug der Ausbildung in Betrieben und Schulen, den die Regierungsfraktionen und ich nicht preisgeben wollen, können wir nicht einfach durch eine staatliche Ausbildung ersetzen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das tun Sie aber!)

Deshalb macht mir die Entwicklung der letzten Jahre so große Sorge.

   In den letzten Jahren hat sich die Situation kontinuierlich verschlechtert. Im Jahre 2003 ist die Anzahl der Ausbildungsplätze wiederum zurückgegangen. Inzwischen sind in den alten Ländern rund 50 000 Ausbildungsplätze, in den neuen Bundesländern rund 26 000 weggefallen.

(Werner Wittlich (CDU/CSU): Es ist doch kein Wunder, wenn jedes Jahr Tausende Betriebe kaputtgehen!)

Damit befinden wir uns wieder auf dem Tiefstand der Jahre 1997 und 1998, den Jahren, in denen noch CDU/CSU und FDP dieses Land regiert haben. Das ist also eine Entwicklung, die nicht erst in den letzten drei, vier Jahren stattgefunden hat. Wenn Sie das sagen, haben Sie sich nicht die entsprechenden Zahlen angesehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Seit Anfang der 90-er Jahre gibt es diese Entwicklung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich erwarte schon, dass man sich wirklich ernsthaft mit dieser Entwicklung auseinander setzt. Darum bitte ich Sie.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Tun Sie es doch endlich mal!)

   Angesichts dieser Entwicklung einfach den Kopf in den Sand zu stecken - ich sage ganz offen, dass die Opposition hier diesen Eindruck erweckt -, das ist wirklich die schlechteste aller Lösungen.

(Zuruf von der SPD: Arrogant und aufgeblasen! Das kennen wir ja von denen!)

Vielmehr brauchen wir konkrete Vorschläge. Ich habe immer gesagt - das gilt auch für meine Kolleginnen und Kollegen -: Wenn es gute, konkrete Vorschläge gibt, dann bin ich offen, sie aufzugreifen. Denn es geht uns um das Ziel: Wir wollen mehr betriebliche Ausbildungsplätze schaffen. Wir wollen, dass alle Jugendlichen ausgebildet werden. Darum geht es doch.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   In den vergangenen Jahren haben wir zahlreiche Initiativen gestartet, um die Wirtschaft bei ihren Ausbildungsanstrengungen zu unterstützen. Allein seit 1999 haben wir - wenn ich auch dieses Jahr berücksichtige - 160 Berufe modernisiert bzw. neu geschaffen, im Übrigen auch Berufe mit zweijähriger Ausbildung.

(Peter Dreßen (SPD): Das weiß der junge Mann nicht! Das passt nicht in sein Bild)

Hier besteht überhaupt kein Grundsatzstreit. Die Unternehmen müssen das aber auch nutzen.

(Christoph Hartmann (Homburg) (FDP): Aber was für welche!)

- Herr Hartmann, schon vor zwei Jahren haben wir für Unternehmen die Möglichkeit geschaffen, für Teilqualifikationen auszubilden.

   Frau Böhmer, im Übrigen haben wir schon vor zwei Jahren das Berufsbildungsgesetz zum ersten Mal novelliert. Ich bedauere, dass Sie als zuständige stellvertretende Fraktionsvorsitzende das offensichtlich nicht einmal wissen; das ist - offen gesagt - nicht gerade ein Zeichen von Qualität.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Zuruf der Abg. Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU))

Wir haben die Benachteiligtenförderung verändert und ein besseres Konzept entwickelt, das wirklich greift. Ich sage ganz klar: Wir müssen auch die schulische Ausbildung deutlich verbessern. Nur wundert es mich schon, warum die Opposition mich persönlich, aber auch meine Fraktion, massiv angreift, weil wir, die Bundesregierung es wagen, zu fordern, dass die schulische Ausbildung verbessert werden soll,

(Nicolette Kressl (SPD): Sie war gegen das Ganztagsschulprogramm!)

es wagen, die Länder beim Ganztagsschulprogramm zu unterstützen. Sie haben sich dagegengestellt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Nicolette Kressl (SPD): So ist es!)

Dabei ist es doch eine wichtige Voraussetzung dafür, dass es besser wird. Was ist denn das für eine Politik? Sie haben ja Recht, dass die schulische Ausbildung nicht gut genug ist. Nur, dann tun Sie gefälligst auch etwas dafür, dass sie besser wird; unterstützen Sie uns dabei!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf der Abg. Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU))

   Ich finde es gut - das will ich ausdrücklich sagen -, dass die Fraktionen den Antrag eingebracht haben, der zum Inhalt hat, über den Gesetzentwurf hinaus einen Pakt für Ausbildung zu schließen. Ich halte das deshalb für so gut, weil ich persönlich davon überzeugt bin, dass freiwillige Lösungen immer besser sind als Gesetze. Auch das Gesetz über die Umlage nimmt deshalb genau diesen Grundgedanken auf und setzt auf Subsidiarität; das Subsidiaritätsprinzip gilt auch in diesem Gesetz: Zunächst wird darauf gesetzt, dass die Wirtschaft aus eigener Kraft, freiwillig, ein ausreichendes Ausbildungsplatzangebot schafft.

(Zuruf von der CDU/CSU: „Freiwillig“ vor allen Dingen!)

Das war von Anfang an der Kerngedanke und wird mit diesem Antrag noch einmal ausdrücklich unterstrichen: Die Wirtschaft ist und bleibt verantwortlich für die berufliche Ausbildung; das wird auch durch dieses Gesetz nicht geändert. Der Ball liegt jetzt im Feld der Wirtschaft: Stellt sie bis zum Herbst genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung, wird der Mechanismus des Gesetzes nicht ausgelöst und keine Umlage erhoben. Ich hoffe sehr, dass die Wirtschaft diesen Ball aufnimmt und dass sie mit Engagement und auch mit großer Bereitschaft daran mitwirkt, dass dieser Pakt ein Erfolg wird. Das ist die Zielsetzung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen es schaffen - da stehen wir gegenüber der jüngeren Generation in der Verantwortung, aber genauso gegenüber der Wirtschaft -, dass wir nicht bloß vage Versprechungen und gute Absichten äußern, sondern dass wir wirklich verbindlich das Ziel sicherstellen, alle jungen Menschen in Ausbildung zu bringen, um damit auch die qualifizierten Fachkräfte zu gewinnen, die wir brauchen.

   Die staatliche Seite - also auch der Bund, die Länder - bleibt dabei selbstverständlich im Boot. Die Bundesregierung wird die bestehenden Programme zur Ausbildungsförderung weiterführen; wir werden sie nicht kürzen, auch nicht einschränken. Wir werden auch in den kommenden Jahren die Ausbildung von benachteiligten Jugendlichen - also denjenigen mit schlechten Schulabschlüssen - finanziell unterstützen müssen. Das können und werden wir nicht allein der Wirtschaft übertragen; da muss auch die staatliche Seite kräftig mithelfen, damit es auch weiterhin gelingt. Deshalb werden wir das auch in Zukunft tun.

   Ich baue darauf, dass die Unternehmen ihrer Verantwortung aus eigener Kraft mit gutem Willen gerecht werden. Es kann und darf nicht dabei bleiben, dass nur ungefähr die Hälfte aller Betriebe überhaupt ausbildet, Jugendliche auf der Straße stehen und die Wirtschaft damit ihren entscheidenden Wettbewerbsvorteil verspielt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Mit dem Ausbildungspakt machen wir der Wirtschaft noch einmal ein ganz konkretes Angebot. Wenn es nicht zur Erhebung der Umlage kommt, dann deshalb, weil in unserer Gesellschaft endlich wieder - freiwillig - all die Kraft für Ausbildung mobilisiert wird, die - ich glaube: immer noch - in ihr steckt. Es wäre die beste Lösung für alle Beteiligten.

   Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Werner Lensing, CDU/CSU-Fraktion.

Hans-Werner Bertl (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die betriebliche Ausbildung ist nach wie vor eine großartige Gemeinschaftsleistung eines Teils unserer Wirtschaft. Wir alle wissen: Keine Delegation fährt von hier aus ins Ausland, ohne dort erfolgreich für praxisorientierte und betriebsnahe Ausbildung zu werben. Dazu passt, dass das duale System mittlerweile ein deutscher Exportschlager geworden ist.

   Wir erzählen aber nicht, dass sich in Deutschland nur noch 23 Prozent aller Unternehmen an der Ausbildung beteiligen. Wir erzählen nicht, dass jeden Sommer Karawanen von Ministern und Oberbürgermeistern durchs Land reisen und händeringend um Ausbildungsstellen werben und dass Kammerpräsidenten Tausende von Briefen an Unternehmen schicken, um Ausbildungsstellen zu mobilisieren.

(Eckhardt Barthel (Berlin) (SPD): Richtig!)

Wir erzählen nicht, dass im letzten Ausbildungsjahr unter den insgesamt 720 000 jugendlichen Bewerbern 330 000 so genannte Altbewerber waren, die schon mindestens einmal keine Ausbildungsstelle gefunden haben. Sie sind weiß Gott nicht alle ungeeignet gewesen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wir erzählen nicht, dass unser duales Ausbildungssystem tatsächlich kurz vor dem Kollaps steht und nur noch funktioniert, weil schon heute umgelegt wird: durch Vereinbarungen in der Bauindustrie, durch Vereinbarungen im Bereich Chemie und durch öffentliche Mittel in Höhe von 10 Milliarden Euro. Jetzt liegt es wieder einmal auf dem Tisch: das Angebot der Selbstverpflichtung der Wirtschaft. Ich sage Ja zur Selbstverpflichtung der Wirtschaft, aber nur wenn wir Beweise haben, dass sie eingehalten wird. Ich sage das nicht leichtfertig, aber die Bilanz der Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft ist eine Bilanz des Versagens und des Täuschens.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Sehen Sie sich den „Spiegel“ von vor drei Wochen an, dann wissen Sie um die Bilanz gebrochener Versprechen der Wirtschaft: Klimaschutz, Altautoverwertung, Dosenpfand, Gleichberechtigung, Benzinverbrauch, Lehrstellen. - Und dann kommt die Entschuldigung: Olaf Henkel erklärt die Selbstverpflichtung zur reinen Notwehr. Das heißt im Umkehrschluss, bei Nichterfüllung war es eine Notlüge und damit eine lässliche Sünde.

   Jetzt stehen wir vor der Frage: Was tun? Sollen wir nach dem Prinzip von Hoffnung und Glauben die Existenz von Tausenden von jungen Menschen in die Disposition einer möglichen Notwehrmaßnahme der Wirtschaft geben oder schaffen wir es, Verbindlichkeiten herzustellen?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Diesmal greifen wir zur Notwehr - Notwehr für die jungen Menschen in unserem Land, die einen Anspruch auf Ausbildung haben, und Notwehr für unsere Wirtschaft, die vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung schon in wenigen Jahren von uns Hilfe in Form von ausgebildeten und qualifizierten Fachkräften erwarten wird. Wir alle wissen, wie lange es dauert, junge Menschen zu qualifizierten Fachkräften in unserem Land auszubilden: drei bis dreieinhalb Jahre Ausbildung, zwei bis drei Jahren zusätzliche Qualifikation. Das heißt, es geht um einen Zeitraum zwischen fünf und sieben Jahren, in dem wir die Menschen ausbilden müssen.

   Vor diesem Hintergrund kann es doch nicht sein, dass die Wirtschaft die Regierung erpresst. Wir sitzen hier doch nicht an einem Pokertisch und zocken um die Zukunftschancen unserer Jugend,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

ganz nach der Devise: weg mit dem Gesetz, dann gibt es Lehrstellen. Vor dem Hintergrund so vieler gebrochener Versprechen können wir das nicht mehr glauben. In dieser Frage können wir der Wirtschaft nicht nur nicht trauen, nein, wir müssen die Wirtschaft überdies davor bewahren, sich selbst zu schaden.

(Lachen des Abg. Christoph Hartmann (Homburg) (FDP))

Sie braucht nämlich hoch qualifiziertes Personal.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Viele fragen nun: Muss das Gesetz so kompliziert sein? Ich sage: Ja, leider; denn jene, die das alles nicht wollen, haben dann um Ausnahmen gebeten. Dadurch wurde das Gesetz zwangsläufig kompliziert. Bei allen Klagen: Sind nicht die Handwerksordnung und das Industrie- und Handelskammergesetz ebenfalls hoch kompliziert? Trotzdem sollen wir, wenn es nach der Wirtschaft geht, davon die Finger lassen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Für mich viel entscheidender ist eine andere Frage: Wie kompliziert ist das Leben in einer Familie, deren Kinder ein, zwei oder drei Jahre vergeblich nach einer Ausbildungsstelle gesucht haben?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wie kompliziert - viel schlimmer: wie aussichtslos - verläuft das Leben eines jungen Menschen, dessen weitere Lebensplanung durch eine fehlende Ausbildung infrage gestellt wird? XXXXX

Welche gesellschaftlichen Kosten haben wir im Nachhinein zu tragen? Woher nimmt die Wirtschaft eigentlich in fünf, sechs, sieben oder acht Jahren Fachkräfte? Dann reicht eine Greencard nicht mehr.

Für mich immer wieder faszinierend ist in Gesprächen mit der Wirtschaft, mit dem Handwerk und dem Handel der Appell an die Politik: „Nehmt euch ein Beispiel an den anderen Ländern!“ Und dann hört man beliebig genehme Beispiele. Ich nehme jetzt auch einmal ein Beispiel und frage:

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Nehmen Sie Frankreich!)

Worin besteht eigentlich der Unterschied zwischen deutschen und dänischen Unternehmern? Louise Pihl vom dänischen Arbeitgeberverband sagt - das war gestern in der „Stuttgarter Zeitung“ zu lesen -, in Dänemark funktioniere ein solches System der Umlage, das vom dänischen Parlament 1977 beschlossen wurde, seit langem prima;

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Aber das Ergebnis ist verheerend!)

die solidarische Umlage habe die Bereitschaft der Arbeitgeber gestärkt, Ausbildungsplätze anzubieten.

(Christoph Hartmann (Homburg) (FDP): Die Dänen haben eine niedrigere Ausbildungsquote als wir!)

   Sind wir in unserem Land so viel anders als die Dänen? Haben wir eine andere Vorstellung von Verantwortung für die Generation unserer Kinder? Haben wir eine andere Moral, andere Vorstellungen von Wirtschaft? Leben und wirtschaften wir in unserem Land etwa auf Teufel komm raus nach der Devise: Uns fällt schon etwas ein, wenn es nicht mehr geht. Als letztes Mittel hilft bei uns immer der Gang der Lobby in das Parlament. Denen pressen wir, wenn es nötig ist, die Finanzierung der Fachkräfte aus den Rippen bzw. aus den Haushalten?

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Bertl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schauerte?

Hans-Werner Bertl (SPD):

Nein. - Das alles ist in den 60er- und 70er-Jahren passiert. Damals hatten wir das größte Umlagesystem in diesem Land. Damals haben die Beitragszahler mit ihren Beiträgen zur Bundesanstalt für Arbeit die Qualifizierung von Fachkräften, die die Wirtschaft dringend benötigt hat, bezahlt.

   So etwas kann eine Lösung sein. Dann muss aber ehrlich verhandelt werden, sonst verabschiedet sich die Wirtschaft aus der Verantwortung für die duale Ausbildung. Das wollen wir nicht. Für mich ist das Lamento über dieses Gesetz, welches wir in den nächsten Wochen zu erwarten haben, nicht von Belang. Wir haben es angepasst und die notwendigen Ausnahmen geschaffen. Ganz entscheidend ist, dass im Gesetz - einmalig in unserem Land - keine festen Zahlen definiert wurden. Auslösekriterium ist vielmehr der Tatbestand, den wir verbindlich haben wollen. Wir entwickeln so einen Weg zwischen Wirtschaft und Bundesregierung, der im Ergebnis etwas mit Moral - das kann auch in der Wirtschaftspolitik nicht schaden - zu tun hat:

(Beifall des Abg. Willi Brase (SPD))

Verantwortung für die Generation unserer Kinder verbindlich wahrzunehmen heißt: Her mit den Ausbildungsstellen! Dann liegt dieses Gesetz nicht als Drohung, sondern als Notwehr für die junge Generation in unseren Schubladen.

   Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Michael Kretschmer, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Michael Kretschmer (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesministerin stellt sich hier hin und sagt: Jeder Jugendliche soll einen Ausbildungsplatz bekommen.

(Beifall bei der SPD)

Vor einem Jahr hat der Bundeskanzler den Jugendlichen genau dasselbe versprochen. Was ist daraus geworden? Diese Bundesregierung will nur noch. Sie will die Jugendlichen unterbringen, sie will einen ausgeglichenen Haushalt, sie will die Halbierung der Arbeitslosigkeit - nur, in der Wirklichkeit sieht alles anders aus. Tatsache ist doch: Sie bekommen einfach nichts mehr hin.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Was ist die Lösung? Die Lösung besteht Ihrer Meinung nach in Verschleierung. Die Ausbildungsplatzabgabe ist ein dreistes Ablenkungsmanöver von den wirklichen Ursachen des Lehrstellenmangels. Seit 1998 sind über 191 000 Unternehmen in Deutschland wegen Ihrer Wirtschaftspolitik kaputtgegangen.

(Widerspruch bei der SPD)

Die Binnennachfrage war noch nie so gering wie heute. Der Einzelhandel klagt über eine enorme Kaufzurückhaltung. Das duale System, das hier und heute viel beschrieben worden ist, lebt aber von der Dynamik der Wirtschaft. Es kann kein konjunkturunabhängiges Lehrstellenangebot in diesem System geben.

(Jörg Tauss (SPD): Oh!)

   Wenn wir keine Verschulung wollen, was auch von Ihnen, Herr Tauss, oft genug erklärt worden ist, dann hat die Politik nur zwei Möglichkeiten. Die erste besteht darin, die Hemmnisse für die Ausbildung so gering wie möglich zu machen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das fängt bei der Ausbildungsvergütung an, geht weiter über die Abschaffung bürokratischer Regeln bis hin zur Schaffung zweijähriger Ausbildungsberufe, von denen uns Frau Bulmahn sagt, es gebe eine ganze Reihe. Von 350 Ausbildungsberufen in Deutschland sind ganze 30, also nicht einmal 10 Prozent, zweijährig.

Das ist die Realität in diesem Land.

(Beifall des Abg. Christoph Hartmann (Homburg) (FDP))

   Die zweite Möglichkeit besteht in einer Wirtschaftspolitik, die für Wachstum sorgt. Wenn das Wachstum gesichert ist, dann haben die Unternehmen in Deutschland eine Zukunft. Ein Unternehmen, das eine Zukunft hat, wird auch ausbilden. Denn Ausbildung bedeutet für die Jugendlichen, aber auch für die Unternehmen eine Investition in die Zukunft. In Deutschland besteht das Problem darin, dass die Unternehmen für sich keine Zukunft in diesem Land sehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wer das ignoriert oder umdreht, der handelt so, als wenn er die Erde noch einmal zur Scheibe erklären würde.

   Die Folgen werden besonders für die neuen Bundesländer dramatisch sein. Denn Fakt ist, dass die Ausbildungsquote in den neuen Ländern mit 5,9 Prozent wesentlich höher ist als in den alten Ländern mit 4,7 Prozent. Es ist die Arroganz der Macht, die dafür sorgt, dass Sie sich nicht fragen, woran das liegt und welche Möglichkeiten es gibt, bewährte Regelungen aus den neuen Bundesländern auf die alten zu übertragen und damit das Problem zu lösen. In den neuen Ländern haben sich - anders als in den alten Bundesländern - Kammern, Gewerkschaften, öffentliche Verwaltungen und Betriebe eine Reihe von Freiheiten zugestanden. Die Vergütung ist in Teilen geringer; denn wer ausbildet, darf nicht durch ein hohes Entgelt abgeschreckt werden. Ausbildungsplatzentwickler beraten die Betriebe und Ausbildungsverbünde unterstützen gerade die kleinen Unternehmen.

Die neuen Länder zeigen, dass es auch in einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld möglich ist, neue Ausbildungsplätze zu schaffen, wenn man den Beteiligten die Freiheit bietet, für sich selbst zu arbeiten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Deshalb quälen wir Sie seit Monaten mit unseren Vorschlägen zur Reform des Berufsbildungsgesetzes.

(Lachen der Abg. Nicolette Kressl (SPD))

Unsere Aufforderung an Sie kann nur lauten: Modernisieren Sie endlich die Berufsausbildung! Das ist unsere Antwort auf den Amoklauf von Rot-Grün bei der Ausbildungsplatzabgabe.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Das Problem in Ostdeutschland ist nicht die Ausbildungsquote, sondern die Unternehmenslücke. Das Institut für Wirtschaftsforschung Halle hat errechnet, dass gemessen an der Einwohnerzahl 100 000 Unternehmen fehlen. Eine Folge davon ist, dass es an Ausbildungsbetrieben mangelt.

   Tatsache ist deshalb, dass in Ostdeutschland staatliche Förderung zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze auch zukünftig unabdingbar ist. Deswegen gibt es ein Ausbildungsprogramm, mit dem zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen werden sollen, um den jährlich 15 000 Jugendlichen ab 16 Jahre, die ihre Ausbildung fern der Heimat beginnen und zwischen Ost- und Westdeutschland pendeln, eine Chance zu bieten. Bisher sind mit diesem Programm 14 000 Ausbildungsplätze entstanden. Aber ausgerechnet in diesem Jahr, in dem die Probleme sehr groß sind, will Rot-Grün das Programm kürzen und 4 000 Plätze streichen. Das nenne ich schofelig, und zwar zum einen gegenüber den Jugendlichen in unserem Land und zum anderen in der politischen Argumentation.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Sie erzählen uns, dass Sie die Ausbildungsplatzabgabe erst im Herbst auslösen wollen, wenn die Quote bis dahin nicht erreicht wird. Parallel dazu kürzen Sie aber das Programm, um eine sich selbst erfüllende Prophezeiung zu konstruieren. Das ist in der Tat schändlich!

   In Ost wie West gibt es Unternehmen mit einer hohen Ausbildungsquote. Ich habe unlängst eines davon besucht, das 80 Auszubildende hat und eine Ausbildungsquote von 6,3 Prozent - das liegt weit über dem ostdeutschen Durchschnitt - aufweist. In diesem Unternehmen wurde mir deutlich gesagt: Wir wollen die Jugendlichen übernehmen, aber das ist nur dann möglich, wenn die wirtschaftliche Entwicklung positiv verläuft.

   Das Unternehmen hatte vor wenigen Jahren 40 Auszubildende. Derzeit sind es 80 und in Zukunft werden es vielleicht 100 Auszubildende sein; das richtet sich immer nach der wirtschaftlichen Entwicklung. Deswegen fordern wir Sie auf: Kümmern Sie sich um die Wirtschaftspolitik! Sorgen Sie dafür, dass dieses Land vorankommt! Verzichten Sie auf die Ausbildungsplatzabgabe, schmeißen Sie sie in die Tonne! Sie schaden damit Deutschland und ganz besonders den neuen Bundesländern und dem Aufbau Ost.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - René Röspel (SPD): Wieder kein Wort zu den jungen Menschen!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Lieber Kollege Kretschmer, ich gratuliere Ihnen im Namen des ganzen Hauses sehr herzlich zu Ihrem heutigen Geburtstag.

(Beifall)

   Nun erteile ich Kollegin Thea Dückert, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn es um Ausbildung geht, wird häufig auch über die PISA-Studie geredet. Wenn man sich die Reden in diesem Haus zu Gemüte führt, sollten wir das bedenken. Herr Hartmann, ich habe während Ihrer Rede festgestellt - ich glaube, dieses Problem hat auch etwas mit der PISA-Studie zu tun -, dass Sie offenbar unseren Gesetzentwurf nicht gelesen haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Nicolette Kressl (SPD): Nicht verstanden!)

- Ja, oder Sie haben ihn nicht verstanden.

   Sie behaupten, die Ausnahmeregelungen zugunsten der Kommunen würden nur im Falle von Insolvenz oder finanziellen Problemen gelten. Lieber Herr Hartmann, lassen Sie sich Folgendes gesagt sein: Auch in unseren Reihen gibt es viele, die sich um die Kommunen sorgen. Wir haben lange über den vorliegenden Gesetzentwurf diskutiert und wesentliche Dinge festgelegt. Es wird berücksichtigt, wenn sich die Kommunen, egal ob kleine oder große, in der Ausbildung von jungen Leuten oder beispielsweise in Ausbildungsgängen engagieren, die nicht dem dualen System zugerechnet werden - wir haben alle entsprechenden Bereiche im Gesetz ausgenommen -, oder wenn sie in der Arbeitsmarktpolitik bzw. in der Arbeitsmarktintegration initiativ werden. Ich empfehle auch Ihnen von der FDP, unseren Gesetzentwurf zu lesen. Vielleicht kochen Sie dann Ihre Kritik auf kleinerer Flamme.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Frau Böhmer hat in ihrer Rede - auch dieses Problem scheint mir etwas mit der PISA-Studie zu tun zu haben - aus Briefen, die sie vonseiten der Wirtschaft bekommen hat, vorgelesen und wollte damit darstellen, in welcher Situation sich die Betriebe nach Einführung der Ausbildungsplatzumlage befinden werden. Liebe Frau Böhmer, auch hier sollte man die komplette Wahrheit sagen. Es ist richtig, dass auch wir solche Briefe erhalten haben und die Bedenken der Wirtschaft kennen. Aber wir haben auch viele Briefe erhalten, in denen junge Leute ihre jahrelange Odyssee bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz beschreiben. Wir haben Briefe von Ausbildungsträgern und Eltern bekommen, in denen beschrieben wird, dass junge Leute kein Ausbildungsplatzangebot erhalten, obwohl sie von Pontius zu Pilatus laufen und obwohl sie fit und ausbildungswillig sind. Das akzeptieren wir nicht.

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollegin Dückert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Pinkwart von der FDP-Fraktion?

Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident, das tue ich nicht; denn ich habe gerade von Frau Böhmer gelernt, dass wir in dieser Debatte keine Zwischenfragen zulassen. Ich möchte also fortfahren.

(Beatrix Philipp (CDU/CSU): Da ging es aber um Herrn Tauss!)

   Die neuen Zahlen belegen, dass die Lehrstellenlücke größer wird. Das ist ein riesengroßes Problem. Deswegen habe ich eben die Briefe angesprochen, in denen beschrieben wird, was aufseiten der Jugendlichen geschieht. Aber die Hinweise in den Briefen aus der Wirtschaft zeigen auch, dass wir in Zukunft unter einem Facharbeitermangel leiden werden. Wir müssen dieses Problem ebenfalls lösen. Diesem Zweck dient die Ausbildungsplatzumlage.

   Die Umlage ist - auch das sage ich - kein Selbstzweck. Ich weiß, dass es harte Debatten - auch in unserer Fraktion - über dieses Instrument gibt, das dem Erreichen des Ziels dient, mehr Ausbildungsplätze zu schaffen. Es gibt grundsätzliche Einwände, die sich darauf beziehen, dass die Eigeninitiative im Vordergrund stehen muss. Auch für uns ist Eigeninitiative wichtig; denn wir wollen ja das duale System fördern, weil es ein Pfund für Deutschland ist. Da wir diese in der Debatte über unseren Gesetzentwurf erhobenen Einwände sehr ernst nehmen, haben wir Folgendes hinzugefügt: Der von der Wirtschaft angekündigte Ausbildungspakt wird Vorrang haben. Des Weiteren werden tarifvertragliche Lösungen, die dem Schließen der Ausbildungsplatzlücke dienen, Berücksichtigung finden.

   Es ist wichtig, Folgendes deutlich zu machen: Wir akzeptieren die bestehende Ausbildungsplatzlücke nicht. Wir wollen das duale System fördern und die betriebliche Ausbildung stärken. Nur in dem Fall, dass die Wirtschaft nicht initiativ wird und nicht Ausbildungsplätze in ausreichender Zahl zur Verfügung stellt, werden wir das Instrument der Ausbildungsplatzumlage auf den Weg bringen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Zu der Debatte über die Ausbildungsplatzabgabe möchte ich Ihnen noch Folgendes sagen: Der momentan zu beobachtende öffentliche Machtpoker ist unseriös. Das, was uns die Wirtschaft anbietet, ist schizophren.

Sie sagt auf der einen Seite: Wir wollen den Pakt. Auf der anderen Seite sagt sie: Wir schließen diesen Pakt vermutlich nicht, wenn ihr dieses Gesetz verabschiedet. Das ist doch merkwürdig. Dieses Gesetz schreibt fest: Die Umlage greift nicht, wenn die Wirtschaft einen Pakt schließt. Gleichzeitig sagt die Wirtschaft: Wir wollen einen Pakt. Mit Hinweis auf das Gesetz will sie ihn aber nicht schließen. Das verstehe wer will.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Die Situation auf dem Ausbildungsmarkt ist viel zu ernst, um weiterhin solche Spielchen zu treiben.

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Spielchen? Wer macht denn Spielchen? Das ist doch unverschämt!)

- Spielchen macht die Wirtschaft, wenn sie die von mir gerade erwähnten Drohungen ausspricht. Spielchen macht die Wirtschaft, wenn sie sagt: Wir wollen den Pakt; aber wir schließen ihn nicht, wenn das Gesetz verabschiedet wird. Das ist ein Spielchen, das ist ein Machtpoker.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Die Bevölkerung hat das längst begriffen. 57 Prozent der Menschen in diesem Land sagen, dass in dieser Situation die mit diesem Gesetz beschlossene Umlage der richtige Schritt ist. Ein Großteil der Bevölkerung sagt aber auch: Eigeninitiative hat Vorrang. Dem schließen wir uns an.

   Wir haben uns mit vielen Einwänden auseinander gesetzt. Ich sprach schon vorhin von den Problemen der Kommunen. Wir sind darauf eingegangen. Wir haben uns natürlich damit auseinander gesetzt, wie es möglich ist, die betriebliche Ausbildung zielgerichtet zu unterstützen. Dabei haben wir zum Beispiel an kleine Unternehmen gedacht, was darin zum Ausdruck kommt, dass wir auch Bildungsverbünde unterstützen. Wir haben uns damit auseinander gesetzt, dass es um duale Ausbildung geht. Bei Ausbildungsgängen wie denen in der Pflege darf die Umlage natürlich nicht greifen.

   Alles in allem muss ich Ihnen sagen: Auch die in unserer Fraktion geäußerten Bedenken - einige haben eine sehr kritische Debatte geführt - sind mit den am Gesetzentwurf vorgenommenen Änderungen - Vorrang für die Eigeninitiative; Vorrang für einen Pakt; Konzentration auf betriebliche Ausbildung - beseitigt worden. Unsere Fraktion unterstützt dieses Gesetz. Ich hoffe, Sie machen da mit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Andreas Pinkwart das Wort.

Dr. Andreas Pinkwart (FDP):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Dückert hat eben zum Ausdruck gebracht, dass die Kommunen, insbesondere solche, die sich in einem Haushaltssicherungskonzept befinden, von diesem Gesetzentwurf nicht betroffen seien. Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass der beamtete Staatssekretär im Bundesbildungsministerium, Herr Catenhusen, im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages - er hat sich in dieser Woche annähernd zwei Stunden mit dem Gesetzentwurf und mit den Änderungsanträgen der Koalitionsfraktionen befasst - den vorliegenden Gesetzentwurf auf Nachfragen dahin gehend interpretiert hat, dass nicht nur Kommunen, die sich nicht in einem Haushaltssicherungskonzept befänden, abgabepflichtig seien, sondern dass auch Kommunen, die sich in einem Haushaltssicherungskonzept befänden, durchaus abgabepflichtig sein könnten.

   In § 10 dieses Gesetzentwurfs werden nämlich zwei Bedingungen an den Härtefall geknüpft. Dabei geht es nicht nur um die Tatsache, dass ein Arbeitgeber kommunalaufsichtlichen Notbewirtschaftungsmaßnahmen unterworfen sein müsse - ich verweise auf § 10 Abs. 1 dieses Gesetzentwurfs -, sondern auch darum, dass er gegenüber dem Bundesverwaltungsamt zusätzlich den Nachweis erbringen müsse, dass seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht hinreichend sei, um eine solche Abgabe zu erbringen.

   Herr Catenhusen war fest davon überzeugt, dass seine Heimatstadt Münster in Nordrhein-Westfalen nach dem vorliegenden Gesetzentwurf die Ausbildungsplatzabgabe zu zahlen habe, obwohl sie jetzt in ein Haushaltssicherungskonzept komme.

   Die Ankündigung von SPD und Grünen, die Kommunen seien nicht betroffen, entbehrt damit jeder Grundlage. XXXXX

Das Gegenteil ist der Fall. Ich fordere die Fraktionen auf, dies dann auch hier im Plenum und gegenüber der Öffentlichkeit deutlich zu machen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollegin Dückert, Sie haben Gelegenheit zur Reaktion.

Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Lieber Herr Kollege Pinkwart, das klang ziemlich kompliziert. Sie haben auch ziemlich lange gebraucht, um das zu formulieren.

(Lachen bei der CDU/CSU - Zuruf von der FDP: Das ist Ihr Gesetz!)

- Ich will Ihnen damit sagen: Es ist viel einfacher. Sie haben viele Worte für einen sehr einfachen Sachverhalt gebraucht.

   Wenn die Kommunen einem Haushaltssicherungsverfahren unterliegen - das ist der erste Punkt -, müssen sie - das ist der zweite Punkt - einen Antrag stellen. So einfach ist das. Das ist die Voraussetzung, die erfüllt werden muss.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Widerspruch bei der FDP - Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Sie kennen Ihr eigenes Gesetz nicht! Das ist ja peinlich!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile Kollegen Alexander Dobrindt, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Alexander Dobrindt (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet heute darüber, dass Wirtschaftsminister Clement für kommenden Mittwoch zur Ausbildungsoffensive 2004 einlädt:

Der Wirtschaftsminister hatte dem Vernehmen nach kein Interesse, Bulmahn einzubinden, weil er von ihrer Mitarbeit an einer vergleichbaren Initiative im vergangenen Jahr enttäuscht sei.

Wer will das dem Wirtschaftsminister verdenken?

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Die heutige Debatte bringt es immer mehr zum Vorschein: Ihr Gesetzentwurf zur Ausbildungsplatzumlage ist an Absurdität kaum zu überbieten. Anstatt die Rahmenbedingungen so zu ändern, dass Ausbildung in Deutschland wieder in größerer Zahl möglich wird, versuchen Sie, diejenigen zu bestrafen, die unter ohnehin schon großen Schwierigkeiten in Deutschland den Menschen Arbeitsplätze zur Verfügung stellen.

   Über ein Drittel der deutschen Unternehmen macht überhaupt keinen Gewinn mehr. 50 Prozent aller Mittelständler haben ihr Eigenkapital nahezu vollständig aufgebraucht. Laut der Produktionsstudie 2004 des Fraunhofer-Institutes will jedes zweite Unternehmen innerhalb der nächsten drei Jahre seine Produktion teilweise oder komplett nach Osten verlagern. Ihre Ausbildungsplatzabgabe macht vielen diese Entscheidung deutlich leichter, und zwar deswegen, weil Sie den bürokratischen Unsinn in unserem Land weiter verstärken, weil Sie die Belastungen für die Unternehmen hochschrauben und weil Ihre Politik nicht mehr verlässlich ist.

   Schauen Sie sich das Gezerre um die Ausbildungsplatzumlage auch heute wieder an! Seit Wochen erzählen Sie öffentlich, welche Wunderwaffe dieses Gesetz für die Schaffung neuer Ausbildungsplätze ist - einmal abgesehen von den ständigen Zwischenrufen unwesentlicher Regierungsmitglieder, die schon lange darauf hinweisen, dass es fahrlässig ist, dieses Gesetz zu verabschieden. Aber es liegt ohnehin die Vermutung sehr nahe, dass dieses Gesetz wohl eher einem einzigen Arbeitsplatz liegen soll, nämlich dem des Parteivorsitzenden der SPD.

(Ulla Burchardt (SPD): Ach Gott! Das ist doch gar nicht originell!)

- Hören Sie doch zu!

   Das „Handelsblatt“ schreibt in seiner gestrigen Ausgabe - das ist auch für Sie interessant -:

(Ulla Burchardt (SPD): Haben Sie auch einen eigenen Gedanken?)
SPD-Chef Müntefering hat noch rechtzeitig die Kurve gekriegt. Und das offenbar nicht nur aus taktischen Gründen, sondern aus der Einsicht heraus, dass die Abgabe viel Schaden anrichten würde und vermutlich nicht das gewünschte Ergebnis bringt.

   Ich persönlich glaube, dass das „Handelsblatt“ hier einer Fehlinformation aufgesessen ist. Von Einsicht kann überhaupt keine Rede sein. Sonst würden Sie diesen Gesetzentwurf - er ist ohnehin das Papier nicht wert, auf dem er steht - heute zurückziehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Diese Ausbildungsplatzabgabe wird zu gewaltigen Fehlsteuerungen innerhalb des Arbeitsmarktes führen. In Branchen, in denen überhaupt keine Arbeitsplätze zur Verfügung stehen, werden zukünftig mehr Menschen ausgebildet werden, um anschließend auf der Straße zu stehen und dann mit teurem Geld von der Bundesagentur für Arbeit in Umschulungen qualifiziert zu werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies richtig ist.

   Betriebe, die hart ums Überleben kämpfen und einfach nicht mehr die Kraft haben, Lehrlinge auszubilden, werden mit zusätzlichen Kosten und Bürokratie belastet. Dafür können sich gut verdienende Großkonzerne zukünftig über ordentliche Subventionen freuen, wenn sie Lehrlinge zusätzlich ausbilden und die anschließend auf die Straße setzen. Das ist Ihre Politik, meine Damen und Herren!

   Städten und Gemeinden - das ist angesprochen worden - steht das Wasser bis zum Hals. Sie werden bei der Bezahlung mit dabei sein und sie werden sich das Geld über die Gewerbesteuer bei den Unternehmen wiederholen. Auch das ist Ihre Politik.

   Sie schaden mit diesem Gesetz den Jugendlichen und Sie schaden der Wirtschaft. Es ist beschämend, wenn in dieser wirtschaftlich katastrophalen Situation, für die die Bundesregierung verantwortlich ist, ein bürokratisches Monstrum geschaffen wird, nur um Ihre Gewerkschaften und linken Ideologen zu bedienen, die gern einmal wieder die Lieder vom Klassenkampf singen würden. XXXXX

Das ist der wahre Grund.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Die eigentlich wichtige und richtige Aufgabe bleibt, dafür zu sorgen, dass junge Menschen in diesem Land wieder eine Perspektive bekommen, eine echte Zukunftschance, die ihnen auch nach einer erfolgreichen Lehre die Möglichkeit bietet, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu finden. Dazu muss die wirtschaftliche Wachstumsschwäche unterbrochen werden, die Jahr für Jahr - Sie müssen sich diese Zahl einmal vor Augen halten - 40 000 Unternehmensinsolvenzen verursacht und die heute die meisten Menschen davon abhält, sich überhaupt noch selbstständig zu machen.

   Viele Kollegen - auch ich gehöre dazu - sind in den Schulen sowie in den Unternehmen und Betrieben unterwegs, die ganz selbstverständlich ihre gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die sie in diesem Zusammenhang haben, wahrnehmen wollen und mit großen Anstrengungen - auch das muss gesagt werden - in den letzten Jahren bei den Nachvermittlungen zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen haben. Diese sagen in den Gesprächen aber auch immer wieder deutlich, dass sie an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angekommen sind, und fordern dringend eine Entrümpelung des Berufsbildungsgesetzes ein. Wir haben entsprechende Vorschläge gemacht, wie die Ausbildungsplatzsituation positiv beeinflusst werden kann. Ich fordere Sie auf, diesen unseren Vorstellungen zu folgen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Meine Damen und Herren, das einzig Entscheidende und Wichtige an dieser Debatte ist, dass die Hoffnung bleibt, dass das Engagement aller gesellschaftlichen Gruppen dazu führen wird, dass es Ende dieses Jahres 2004 keine Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz mehr gibt. Sie können aber sicher sein, dass, wenn es dazu kommt, Ihr Gesetzentwurf dazu nicht beitragen hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Petra Pau.

Petra Pau (fraktionslos):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Streit um eine Ausbildungsplatzumlage hat die Jahrhundertwende überdauert und hält an. Dabei wird er mit ganz eigenartigen Argumenten weitergeführt.

   Ich will gleich vornweg wiederholen, was ich in der ersten Lesung gesagt habe: Die PDS im Bundestag stimmt für eine Ausbildungsplatzumlage, obwohl, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, das vorliegende Gesetz nicht unbedingt das Gelbe vom Ei ist.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

Wir sind nicht etwa für die Umlage, weil uns nun plötzlich die Regelwut erfasst hätte. Wir sind für eine Ausbildungsplatzumlage, weil es zu viele Jugendliche gibt, die keine Lehrstelle bekommen. 35 000 Lehrstellen fehlen nach Ansicht der Bundesregierung; allein das wäre schon schlimm. Real sind es aber rund 200 000 und das ist schlimmer.

   Nun haben die Ministerpräsidenten Beck und Steinbrück - beide SPD - einen Ausbildungspakt ins Spiel gebracht. Das ist, wie ich finde, wahrlich keine neue Idee, zumal die Hoffnung, dass die Wirtschaft von sich aus ausreichend Lehrstellen anbietet, seit Jahren immer wieder getrogen hat. Deshalb ist der Steinbrück-Beck-Vorstoß aus meiner Sicht unglaubwürdig. Mir sind übrigens die SPD-internen Kontroversen weitgehend egal. Ich halte hier für das Protokoll nur fest, dass maßgebliche SPD-Politiker im Zweifel als Anwalt der Unternehmen und nicht als Anwalt der Zukunft operieren, ganz so wie Minister Clement beim Klimaschutz.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Unserer Meinung geht der so genannte Ausbildungspakt auch an der Sache vorbei. Zum Ersten soll der Pakt zu einem Drittel durch Steuergelder finanziert werden. Mit einem solchen Pakt würden also der unbefriedigende Status quo und die Flucht der Unternehmen aus ihrer Verantwortung noch legalisiert werden. Zum Zweiten soll der Pakt Ländersache sein. Das heißt, die Länder, die arm dran sind, bleiben auch arm, und die Länder, in denen mehr ausgebildet werden könnte, werden aus der Solidarität entlassen. Schließlich soll der Pakt auch noch eine Alternative zur Umlage darstellen nach dem Motto: Entweder-oder. Der Steinbrück-Beck-Vorstoß trägt also obendrein auch noch erpresserische Züge.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Tatsache ist: Drei von vier Unternehmen bilden nicht aus, obwohl viele von ihnen es könnten. Das ist unmoralisch, asozial und übrigens auch rechtlos. XXXXX

Regelrecht dumm wird es, wenn dieselben Unternehmen, die nicht ausbilden, nun drohen: Kommt die Umlage, dann bilden wir überhaupt nicht mehr aus. Dass die Opposition zur Rechten diesen Blödsinn auch noch durch alle Medien trägt, spricht nicht gerade für ihre PISA-Tauglichkeit.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Ich wiederhole für die PDS im Bundestag: Wir hätten gern ein besseres Gesetz. Deshalb haben wir entsprechende Änderungsanträge gestellt. Wir haben zwei Grundanliegen: Wir wollen, dass alle Jugendlichen, egal ob in Mecklenburg-Vorpommern, im Saarland oder in Bremerhaven, eine Chance bekommen und nicht von der Schulbank weg in ein ungewisses Schicksal entlassen werden. Zweitens wollen wir, dass diejenigen, die bisher ausbilden und es auch weiterhin tun wollen, nicht in finanzieller Hinsicht die Dummen sind, während andere sich durch Nichtstun eine goldene Nase verdienen.

   Deshalb ist die PDS für eine Ausbildungsplatzumlage; sie ist längst überfällig. Ich hoffe, dass Sie nicht unsere zwei Stimmen brauchen, um diese Umlage heute durchzubekommen, sondern bis zum heutigen Morgen genügend Überzeugungsarbeit dafür geleistet haben, dass Rot-Grün zu diesem Gesetzentwurf bis zur Umsetzung steht.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Nicolette Kressl, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Nicolette Kressl (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn jemand in der heutigen Debatte ausschließlich die Rednerinnen und Redner der Opposition gehört hätte, wäre ihm nicht klar geworden, um was es eigentlich geht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn was Sie gebracht haben, war ausschließlich Genörgel; Sie haben keinen einzigen konkreten Vorschlag gemacht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich will Ihnen sagen, um was es geht. Es geht um zwei wichtige Dinge: zum einen um Zukunftschancen für junge Leute - bedeutend für die Stabilität von Gesellschaft und Demokratie -

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

und zum anderen um die Zukunftsfähigkeit von Wirtschaft. Die Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft ist einerseits deshalb notwendig, weil wir dringend ausreichend Fachkräfte brauchen und im Hinblick darauf lang- und mittelfristig denken müssen, und andererseits deshalb, weil junge Leute - ich habe immer den Eindruck, das wird gerne vergessen -, wenn wir ihnen keine Ausbildung ermöglichen, Sozialkosten verursachen. Sie tun so, als ob nur Unternehmen und nicht alle Bürgerinnen und Bürger das letztlich über Steuermittel bezahlen müssten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das Schlechteste, was wir machen können, ist, die jungen Leute zu Sozialhilfeempfängern der Zukunft werden zu lassen, deren Kosten wir alle gemeinsam tragen müssen.

(Beifall bei der SPD)

   Wir diskutieren eigentlich gern mit Ihnen über den Weg, um das Ziel einer qualifizierten Ausbildung für alle zu erreichen. Das Problem ist nur, dass es nichts gibt, worüber wir mit Ihnen diskutieren könnten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie legen uns zwei Vorschläge vor. Der eine beinhaltet die Kürzung der Ausbildungsvergütung. Dazu kann ich nur sagen: Wir wissen genau, was Tarifautonomie heißt. Sie tun hier so, als könne der Bundestag per Gesetz beschließen, dass alle Ausbildungsvergütungen gekürzt werden. Wir haben uns aber in allen Bereichen für Tarifautonomie eingesetzt, selbstverständlich auch in diesem. Sie scheinen nicht zu wissen, wo welche Kompetenzen liegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ihr zweiter Vorschlag ist die Novellierung des Berufsbildungsgesetzes, die Sie als Alternative darstellen. Da kann ich Ihnen nur sagen: Herzlich willkommen im Klub! Schon am 9. Februar hat die Bundesbildungsministerin Eckpunkte zur Novellierung des Berufsbildungsgesetzes vorgelegt; denn wir wissen selbstverständlich, dass es Strukturveränderungen geben muss. Wir haben das bereits in unserem Koalitionsvertrag festgeschrieben. Wenn Sie auf diesem Weg jetzt langsam hinterherhüpfen und behaupten, Ihre Vorschläge seien Alternativen, dann können Sie doch nicht ernsthaft glauben, dass die Menschen nicht merken, dass Sie mit Ihren Vorschlägen in Wirklichkeit nur hinterherhinken!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Lassen Sie mich noch einmal Folgendes deutlich machen. Gerade weil es um die Zukunft junger Leute geht, hat Freiwilligkeit für uns in drei wichtigen Punkten Vorrang:

   Erstens hat Freiwilligkeit für uns Vorrang, weil erst am 30. September entschieden wird, ob die Instrumente der Umlage greifen. Am liebsten wäre uns, wenn wir am 30. September feststellen könnten, dass es genügend Ausbildungsplätze gibt, und vom Kabinett beschließen lassen könnten, dass wir die Instrumente nicht einsetzen müssen.

   Die zweite Säule der Freiwilligkeit: Die tariflichen Vereinbarungen sollen ausdrücklich Vorrang erhalten; denn wir wissen natürlich, dass in branchenbezogenen Tarifverträgen einige regionale und branchenspezifische Besonderheiten besser aufgegriffen werden können als durch ein Gesetz. Ich kann daher nur an die Tarifpartner appellieren: Tut etwas! Ihr könnt es besser als wir!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn ihr es allerdings nicht auf freiwilliger Basis hinbekommt, dann greifen die gesetzlichen Instrumente. - Für uns sind auch zukünftig freiwillige tarifliche Vereinbarungen besser als die Anwendung dieser Instrumente.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Die dritte Säule der Freiwilligkeit: In diesem Gesetz ist die Möglichkeit einer konzertierten Aktion verankert. Wirtschaft, Staat und andere wichtige beteiligte Partner sollen verbindliche Vereinbarungen hinsichtlich Ausbildungsplatzangeboten für junge Leute treffen. Auch dieser Teil des Paktes hat Vorrang vor den Instrumenten des Gesetzes. Es ist die größtmögliche Einbindung von Freiwilligkeit, ohne dass wir uns auf den Goodwill der Beteiligten verlassen müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die jungen Leute brauchen nicht Goodwill, sondern verbindliche freiwillige Vereinbarungen. Das ist der beste Weg.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wenn Sie sich diesen Pakt anschauen, dann werden Sie feststellen, dass viele der uns bekannten Probleme aufgegriffen wurden. Wir wissen, dass es junge Menschen gibt, die die Berufsreife noch erlangen müssen. Deshalb unterstützen wir ausdrücklich den Vorschlag, dass in Zusammenarbeit und unter Mitwirkung der Wirtschaft junge Leute über Praktikumsplätze zur Berufsreife geführt werden. Wir wissen, dass dies notwendig ist. Der Staat nimmt seine Verantwortung wahr, indem er entsprechende Leistungen erbringt. Das stellen wir uns unter einer konzertierten Aktion vor. Wir begrüßen diesen Teil des Paktes ganz ausdrücklich. Auch von Herrn Braun gab es einen entsprechenden Vorschlag.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wir müssen gemeinsam schauen - das begrüßen wir ebenfalls ausdrücklich, weil wir wissen, worauf es ankommt -, wie regionale Unterschiede überbrückt werden können und wie Angebot und Nachfrage im Bereich der verschiedenen Kammern besser zueinander gebracht werden können. Wir sind bereit, eine entsprechende Unterstützung zu leisten; denn es macht natürlich Sinn, dass beispielsweise die Kammer in Dresden mit der Kammer in Stuttgart zusammenarbeitet. Die Kammern können gemeinsam überlegen, wie Unternehmen, die verzweifelt junge Leute suchen, Informationen über die jungen Leute bekommen können, die in den neuen Bundesländern Ausbildungsplätze suchen. Es macht Sinn, Angebot und Nachfrage näher zusammenzubringen. Wir werden im Rahmen des Paktes unseren Teil dazu beitragen.

   Erst wenn wir erkennen würden - was ich nicht hoffe -, dass dieser Pakt nicht greift, würden wir zu dem Instrument einer solidarischen Umlagefinanzierung zwischen den Unternehmen greifen. Aber auch an dieser Stelle will ich ausdrücklich sagen: Die solidarische Umlagefinanzierung, die im Gesetz verankert ist, ist keine Strafabgabe. Damit soll vielmehr erreicht werden, dass Unternehmen, die viel und engagiert ausbilden, eine Förderung erhalten, die mit dem Geld derjenigen Unternehmen finanziert wird, die zu wenig oder gar nicht ausbilden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dies ist ein solidarisches Prinzip. Das eingenommene Geld geht also nicht in einen staatlichen Topf und wird nicht an die Schulen verteilt, sondern mit dem Geld der Unternehmen, die sich weniger stark engagieren, werden diejenigen Unternehmen unterstützt, die sich schon seit Jahren - viele davon überdurchschnittlich - bei der Ausbildung engagieren. Deren Leistung wird auf diese Weise stärker als bisher honoriert.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich will Ihnen einmal sagen, wie die Realität aussieht. Wenn Sie die mittelständischen Unternehmen fragen, was deren Problem ist, dann hört man die Antwort - wir haben das oft erlebt -, dass sie es nicht akzeptabel finden, dass sie seit vielen Jahren mit viel Engagement ausbilden, dass aber hinterher die Unternehmen, die nicht ausbilden, ihnen die Arbeitskräfte wegschnappen, weil sie etwas mehr zahlen. Dies zu verhindern ist Kern der Umlagefinanzierung, die in diesem Gesetz enthalten ist. XXXXX

Deshalb ist es wirtschaftsnah organisiert und orientiert sich an den Interessen der Unternehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich kann nur an die Wirtschaftsverbände appellieren: Sie haben uns das Angebot eines Paktes mit der Wirtschaft gemacht. Wir nehmen es gerne an. Lassen Sie uns gemeinsam zum Ziel kommen; denn das wäre die beste Lösung! Aber eines ist für uns als politisch Verantwortliche auch klar: Wenn wir diese Lösung nicht hinbekommen, dann wissen wir, worin unsere Verantwortung besteht. Dann nehmen wir im Zweifel unsere staatliche und politische Verantwortung wahr. Die jungen Leute haben genau dies verdient.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich dem Kollegen Hartmut Schauerte, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Hartmut Schauerte (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Vorbemerkung: Niemand sollte hier wechselseitig unterstellen, dass wir das Thema, über das wir heute beraten, nicht wirklich ernst nehmen und nicht nach einer Lösung suchen.

(Franz Müntefering (SPD): Pauschale Ausrede!)

Wir von der Union lassen uns in der Ernsthaftigkeit bei der Suche nach einer vernünftigen Lösung von niemandem übertreffen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Die zweite Bemerkung: Wir befinden uns im sechsten Jahr der Regierung der rot-grünen Koalition. In diesem sechsten Jahr der Regierung ist das Problem der Ausbildung so groß wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

182 000 Fehlplätze hat es in den zurückliegenden Jahren zu diesem Zeitpunkt im Jahr noch nie gegeben. Seitdem Sie regieren, vergrößert sich diese Lücke Jahr für Jahr.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wer ist hier eigentlich Täter und wer ist Opfer? Diese Frage wurde ja zu Anfang gestellt, Herr Kollege Brase. Opfer sind - bedauerlicherweise und ganz eindeutig - die Jugendlichen. Opfer sind die mittelständischen Unternehmen, deren wirtschaftliche Basis so gefährdet ist, dass ihnen das Ausbilden täglich schwerer fällt. Täter sind diese Bundesregierung und die Regierungsfraktionen. Sie sind nach sechs Jahren Regierung für das verantwortlich, was sich hier abbildet.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Franz Müntefering (SPD): Schauerlich!)

   Damit klar wird, wer hier Opfer und Täter ist, nur eine Zahl ins Verhältnis gesetzt: Wir haben in diesem Moment 25 000 weniger Angebote an Ausbildungsplätzen als im Vorjahr. Wir hatten aber in diesem Jahr 40 000 Pleiten mehr als im Vorjahr.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Wenn nur die Hälfte derer, die Pleite gegangen sind, nicht mehr ausbilden kann - was ja wohl wahrscheinlich ist, Herr Kollege Brase -, dann ist die Verschlechterung der Ausbildungssituation allein an der Zahl der wirtschaftlich und politisch bedingten Pleiten im Mittelstand festzumachen. Das ist Ihre Täterschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Damit Sie erkennen, wie richtig das ist, was wir hier vortragen, ein Beispiel, das Ihnen weh tut: In zwei Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland, in denen die CSU bzw. die CDU seit Jahren eine unzweifelhaft gute Wirtschaftspolitik macht, in Bayern und in Baden-Württemberg, gibt es keine Ausbildungsplatzlücke, sondern einen Ausbildungsplatzüberschuss.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

In allen anderen Ländern der Bundesrepublik Deutschland ist, je länger sie rot regiert worden sind, die Ausbildungsplatzlücke ständig größer geworden. Je länger Rot, desto größer die Ausbildungsplatzlücke! Wirtschaft können Sie nicht und deshalb können Sie auch keine Ausbildung!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Dann wird hier die These verkündet, dass die Sache in Dänemark, Herr Bertl, so hervorragend laufe. Die hätten eine Ausbildungsplatzabgabe und dort laufe es tadellos. Wissen Sie eigentlich nicht, wovon Sie reden?

(Hans-Werner Bertl (SPD): Doch!)

Dänemark hat - mit Abgabe - eine Ausbildungsquote von 3 Prozent; Deutschland hat - ohne Abgabe - eine Ausbildungsquote von 6,5 Prozent. Herzlichen Glückwunsch zu diesem Beispiel, das in der Tat in die Irre führt!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Ich kann nur hoffen, dass die Wirtschaft wegen dieses Gesetzes, das Sie heute aus parteipolitischen und machtpolitischen Gründen durchpeitschen, den angebotenen Pakt nicht verweigert. Ich habe große Sorge; denn unter Druck kommen freiwillige Lösungen verdammt schlecht zustande. Herr Brase, das wissen Sie als alter Gewerkschaftler. - XXXXX

Da Sie mich so kritisch anblicken, möchte ich eine interessante Bemerkung an Sie richten, Herr Brase: Je kleiner die Betriebe in Deutschland und je geringer der gewerkschaftliche Einfluss sind, desto höher ist die Ausbildungsleistung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Je größer die Betriebe und der gewerkschaftliche Einfluss in Deutschland sind, desto schlechter ist die Ausbildungsquote. Darüber sollten Sie hauptberuflich nachdenken und sich darum kümmern.

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Schauerte, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel?

(Zurufe von der SPD: Nein! - -Das ist hier eine Schmierenkomödie!)

Hartmut Schauerte (CDU/CSU):

Ja, natürlich.

Dirk Niebel (FDP):

Vielen herzlichen Dank, Herr Kollege Schauerte. Sie haben zu Recht die hervorragende Wirtschaftspolitik in Baden-Württemberg gelobt. Würden Sie mir bitte bestätigen, dass der Wirtschaftsminister in Baden-Württemberg, Dr. Walter Döring, von der FDP ist? Sie haben leider vergessen zu erwähnen, dass wir dort zusammen regieren.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP)

Hartmut Schauerte (CDU/CSU):

Herr Kollege Niebel, Sie haben Recht. Durch gute CDU-Wahlergebnisse haben wir es Ihnen ermöglicht, den Wirtschaftsminister zu stellen.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP - Beifall bei der CDU/CSU)

   Was bringt die Ausbildungsplatzabgabe? Sie bringt mehr Bürokratie und verteuert die Ausbildung. Die Ausbildung wird in Deutschland deutlich teurer werden. Sie ist eine Fehlsteuerung.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)

   Für diese Fehlsteuerung will ich Ihnen ein Beispiel nennen, über das bisher noch nicht diskutiert worden ist. Ich bin gestern - das soll mein letzter Punkt sein - mit einem Unternehmenschef aus der Finanz- und Versicherungsbranche zusammengekommen. Er hat mir erklärt, er zahle gegenwärtig pro Jahr für die Ausbildung in seinem Unternehmen 17 Millionen Euro und seine Betriebswirte hätten ausgerechnet, welche Auswirkungen die Ausbildungsplatzabgabe für sein Unternehmen haben würde. Sie sind zu folgendem überraschenden Ergebnis gekommen: Wenn er diese 17 Millionen Euro nicht mehr in die Ausbildung stecken und stattdessen die Ausbildungsplatzabgabe in vollem Umfang zahlen würde, müsste er dafür 7 Millionen Euro aufbringen. Er würde 10 Millionen Euro an der von Ihnen organisierten Ausbildungsplatzabgabe „verdienen“.

   Es ist eine katastrophale Fehlsteuerung zu erwarten, eigentlich gibt es sie jetzt schon. Kluge Leute sagen, die Größe der Ausbildungslücke, die wir jetzt zu Recht beklagen, sei zum Teil aus der wirtschaftlichen Entwicklung gespeist - darüber habe ich schon gesprochen - und sei zu einem großen Teil schon die Frühreaktion auf das Kommende. Sie verteuern die Ausbildung in Deutschland und erweisen den jungen Menschen keinen guten, sondern einen schlechten Dienst.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dies ist kein guter Tag für die Ausbildung in Deutschland, leider!

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Ich schließe die Aussprache.

   Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Sicherung und Förderung des Fachkräftenachwuchses und der Berufsausbildungschancen der jungen Generation, Drucksache 15/2820. Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3064, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau vor, über den wir zuerst abstimmen.

   Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 15/3113? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen aller Fraktionen gegen die Stimmen der beiden fraktionslosen Abgeordneten abgelehnt.

   Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen.

   Wir kommen zur

   dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Dazu liegt eine größere Zahl von persönlichen Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung vor. Ich will die Namen nicht im Einzelnen vortragen.

   Es wurde namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Plätze einzunehmen. - Sind alle Plätze besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.

   Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimme abgegeben? - Das ist der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.

   Ich bitte Sie, wieder Platz zu nehmen, damit wir mit den Abstimmungen weitermachen können.

   Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Wer für den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/3066 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen bei Enthaltung der beiden fraktionslosen Abgeordneten angenommen.

   Wer für den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/3067 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion und Enthaltung der FDP-Fraktion abgelehnt.

   Tagesordnungspunkt 21 b: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 15/3064 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Ausbildungsplatzabgabe verhindern - Wirtschaft nicht weiter belasten - Berufsausbildung stärken“.

   Der Ausschuss empfiehlt unter Ziffer 2 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 15/2833 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? -. Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und den Stimmen der beiden fraktionslosen Abgeordneten gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion angenommen.

   Zusatzpunkt 6: Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktion der FDP zur Änderung des Berufsbildungsgesetzes. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 15/3042 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist offenkundig nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

   Zusatzpunkt 7: Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/3055 mit dem Titel „Ausbildungschancen für alle jungen Frauen und Männer sichern - durch einen konzertierten Ausbildungspakt“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b sowie Zusatzpunkt 8 auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Cajus Julius Caesar, Dr. Maria Flachsbarth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Naturschutz im Miteinander von Mensch, Tier, Umwelt und wirtschaftlicher Entwicklung

- Drucksache 15/2467 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gitta Connemann, Peter H. Carstensen (Nordstrand), Dr. Peter Jahr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaft und Umweltschutz stärken

- Drucksache 15/2969 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Christel Happach-Kasan, Hans-Michael Goldmann, Dr. Volker Wissing, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Projekt des Umweltbundesamtes zur so genannten verdeckten Feldbeobachtung stoppen

- Drucksache 15/2668 -

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (f)
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Cajus Julius Caesar von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 109. Sitzung - wird am
Montag, den 10. Mai 2004,
an dieser Stelle veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/15109
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