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15. Wahlperiode
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   114. Sitzung

   Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2004

   Beginn: 9.00 Uhr

   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Präsident Wolfgang Thierse:

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, sich zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich)

Heute vor 51 Jahren protestierten in Ostberlin und in der DDR mutige Männer und Frauen gegen schlechte Arbeitsbedingungen, gegen Misswirtschaft und die Erhöhung der Arbeitsnormen, also gegen eine indirekte Senkung der Löhne durch die SED-Führung. Doch das waren nur die Anlässe für Massenproteste, die spontan das ganze Land erfassten und nicht mehr und nicht weniger forderten als Demokratie, politische Freiheit, gleiche Rechte für alle. Schon damals wurde vielen Menschen klar, dass diese politischen Ziele nur unter der Bedingung der deutschen Einheit zu erreichen sein werden. Dieser Aufstand hat viele Opfer gekostet: Für die einen wurde jede berufliche Zukunft abgeschnitten, andere mussten jahrelang ins Gefängnis, viele, zu viele bezahlten mit ihrem Leben für ihre Sehnsucht nach Freiheit, Gerechtigkeit und Einheit. Wir gedenken der Opfer des 17. Juni 1953.

   Erst seit die deutsche Einheit 36 Jahre später von einer anderen Generation Ostdeutscher erreicht worden ist, die dieselbe Sehnsucht, dieselben politischen Ziele hatten, werden wir den Menschen, die diesen Aufstand gewagt haben, wirklich gerecht. Sie waren geistige und politische Vorgänger und mutige Vorbilder der Bürgerbewegung des Herbstes von 1989. Sie lehren uns, dass Freiheit und Demokratie nicht von selbst entstehen, sondern erkämpft werden müssen, dass Freiheit und Demokratie die Prinzipien politischer Ordnung sind, die mehr als alle anderen dem Menschen gemäß sind. Und sie lehren uns hoffentlich auch, dass Freiheit und Demokratie keine Selbstverständlichkeiten sind, sondern immer wieder neu des Engagements bedürfen, immer wieder neu gelernt und verteidigt werden müssen. Auch deshalb wollen wir die Männer und Frauen, die Helden und Opfer des 17. Juni 1953 nie vergessen. – Ich danke Ihnen.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir nun in die Tagesordnung eintreten, möchte ich den beiden Kollegen Bernd Schmidbauer und Hans-Christian Ströbele jeweils zu ihrem 65. Geburtstag sowie der Kollegin Verena Wohlleben zu ihrem 60. Geburtstag nachträglich die besten Wünsche des Hauses aussprechen.

(Beifall)

   Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in einer Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:

1 Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung vor schweren Wiederholungstaten durch Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung

– Drucksache 15/3146 –

(siehe 113. Sitzung)

Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss (f)InnenausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

2 Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISESS 90/DIE GRÜNEN: Zurückweisung des Einspruches des Bundesrates gegen das Gesetz zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Nachhaltigkeitsgesetz)

– Drucksache 15/3307 –

(siehe 113. Sitzung)

3 Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Zurückweisung des Einspruches des Bundesrates gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG)

– Drucksache 15/3308 –

(siehe 113. Sitzung)

4 Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Zurückweisung des Einspruches des Bundesrates gegen das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Europäisches Haftbefehlsgesetz – EuHbG)

– Drucksache 15/3309 –

(siehe 113. Sitzung)

5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ursula Heinen, Julia Klöckner, Peter H. Carstensen (Nordstrand), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Über-, Fehl- und Mangelernährung wirksam bekämpfen

– Drucksache 15/3310 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (f)SportausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung

6 Erste Beratung des von den Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, Christoph Hartmann (Homburg), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Berufsausbildungsrechts

– Drucksache 15/3325 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

7 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren

(Ergänzung zu TOP 32)

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes (7. SGGÄndG)

– Drucksache 15/3169 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit und Soziale SicherungRechtsausschuss (Federführung strittig)Innenausschuss

b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Melderechtsrahmengesetzes

– Drucksache 15/3305 –

Überweisungsvorschlag:Innenausschuss

c) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau von Statistiken (Statistikabbaugesetz)

– Drucksache 15/3306 –

Überweisungsvorschlag:Innenausschuss (f)Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft

d) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau von Statistiken

– Drucksache 15/2416 –

Überweisungsvorschlag:Innenausschuss (f)Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidi Wright, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Winfried Hermann, Albert Schmidt (Ingolstadt), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Mehr Sicherheit für Radfahrer – insbesondere Schutz vor Unfällen mit LKW im Stadtverkehr

– Drucksache 15/3330 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)RechtsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

8 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache

(Ergänzung zu TOP 33)

a) Beratung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (6. Ausschuss): Übersicht 7 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht

– Drucksache 15/3334 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu der Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvR 412/04

– Drucksache 15/3341 –

Berichterstattung:Andreas Schmidt (Mülheim)

9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dietrich Austermann, Steffen Kampeter, Bernhard Kaster, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Ausweitung der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung in Zeiten knapper Kassen

– Drucksache 15/3311 –

Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss (f)RechtsausschussAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und LandwirtschaftAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans Büttner (Ingolstadt), Detlef Dzembritzki, Siegmund Ehrmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Volker Beck (Köln), Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Zum Gedenken an die Opfer des Kolonialkrieges im damaligen Deutsch-Südwestafrika

– Drucksache 15/3329 –

11 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Förderung von Regional- und Minderheitensprachen in Deutschland

– Drucksache 15/3328 –

Überweisungsvorschlag:Innenausschuss (f)Ausschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionAusschuss für Kultur und Medien

12 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bundesbericht Forschung 2004

– Drucksache 15/3300 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

13 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, Christoph Hartmann (Homburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Innovationsstrategie für Deutschland – Wissenschaft und Wirtschaft stärken

– Drucksache 15/3332 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und LandwirtschaftAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungHaushaltsausschuss

14 a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben

– Drucksache 15/2361 –

(Erste Beratung 89. Sitzung)

– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Dr. Wolfgang Schäuble, Hartmut Koschyk, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 35 und 87 a)

– Drucksache 15/2649 –

(Erste Beratung 100. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 15/3338 –

Berichterstattung:Abgeordnete Frank Hofmann (Volkach)Clemens BinningerSilke Stokar von NeufornErnst Burgbacher

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Clemens Binninger, Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Mehr Sicherheit im Luftverkehr

– Drucksachen 15/747, 15/3338 –

Berichterstattung:Abgeordnete Frank Hofmann (Volkach)Clemens BinningerSilke Stokar von NeufornErnst Burgbacher

15 – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung

– Drucksachen 15/2887, 15/2945 –

(Erste Beratung 105. Sitzung)

– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Dr. Norbert Röttgen, Hartmut Koschyk, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung vor schweren Wiederholungstaten durch nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung

– Drucksache 15/2576 –

(Erste Beratung 100. Sitzung)

– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung vor schweren Wiederholungstaten durch Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung

– Drucksache 15/3146 –

(Erste Beratung 113. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses(6. Ausschuss)

– Drucksache 15/3346 –

Berichterstattung:Abgeordnete Erika SimmJoachim StünkerDr. Jürgen GehbDr. Norbert RöttgenJerzy MontagJörg van Essen

16 Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung

– Drucksache 15/904 –

(Erste Beratung 63. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses(7. Ausschuss)

– Drucksache 15/3339 –

Berichterstattung:Abgeordnete Dieter GrasedieckGeorg Fahrenschon Kerstin Andreae Dr. Andreas Pinkwart

17 – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Wagniskapital

– Drucksache 15/3189 –

(Erste Beratung 111. Sitzung)

– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Besteuerung von Wagniskapitalgesellschaften

– Drucksache 15/1405 –

(Erste Beratung 73. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses(7. Ausschuss)

– Drucksache 15/3336 –

Berichterstattung:Abgeordnete Stephan HilsbergGeorg Fahrenschon

   Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.

   Ferner sollen die Tagesordnungspunkte 12 a und b – Gesamtstrategie für Südosteuropa – heute erst nach Tagesordnungspunkt 20 sowie der Tagesordnungspunkt 26 – Güterkraftverkehrsgesetz – am Freitag als letzter Tagesordnungspunkt beraten werden. Der Tagesordnungspunkt 28 – Futtermittelgesetz – soll ohne Debatte behandelt werden. Des Weiteren soll Tagesordnungspunkt 24 – Bundesanstalt für Immobilienaufgaben – abgesetzt werden.

   Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Überweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:

   Der in der 112. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zur Mitberatung überwiesen werden.

Antrag der Abgeordneten Dr. Rainer Stinner, Dr. Werner Hoyer, Ulrich Heinrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Für einen Helsinki-Prozess für den Nahen und Mittleren Osten

– Drucksache 15/3207 –

überwiesen:Auswärtiger Ausschuss (f)

   Sind Sie mit den genannten Vereinbarungen einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 sowie Zusatzpunkt 5 auf:

3 Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung

Eine neue Ernährungsbewegung für Deutschland

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ursula Heinen, Julia Klöckner, Peter H. Carstensen (Nordstrand), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Über-, Fehl- und Mangelernährung wirksam bekämpfen

– Drucksache 15/3310 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (f)SportausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung

Zu der Regierungserklärung liegen ein Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor.

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat die Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Renate Künast.

Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir geben in unserem Gesundheitssystem jährlich weit über 71 Milliarden Euro an Folgekosten für ernährungsmitbedingte Erkrankungen aus; so lauten die letzten Berechnungen. 71 Milliarden Euro pro Jahr – ich glaube, das ist eine Zahl, die uns beeindruckt.

   Es gibt noch andere Fakten, die einen beeindrucken können. Eine britische Studie besagt zum Beispiel, dass die heutige junge Generation die erste Generation sein wird, die vor ihren Eltern stirbt. Ein dreijähriges Mädchen erlag einem Herzinfarkt infolge von Übergewicht. Mit ihren drei Jahren wog sie 38 Kilogramm.

   Wenn wir uns die Schuleingangsuntersuchungen anschauen, erkennen wir: Übergewicht und seine Folgen sind ständig wachsende Probleme. Das sagen auch immer mehr Ärzte und Ärztinnen, die in diesem Bereich tätig sind.

   Wir haben es an dieser Stelle tatsächlich mit einem ernährungs- und gesundheitspolitischen Problem mit dramatischen Auswirkungen zu tun. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass weltweit rund 1 Milliarde Menschen übergewichtig sind. Das ist ein Sechstel der Weltbevölkerung. Davon leiden mindestens 300 Millionen Menschen unter Fettleibigkeit, Adipositas. Die WHO spricht von einer Epidemie, wohl wissend, dass es sich hierbei nicht um etwas Ansteckendes handelt. Sie sagt, dass sich unser Lebensstil so verändert hat, dass sich Übergewicht und Fettleibigkeit wie eine Epidemie auf der Welt ausbreiten. Wir alle wissen natürlich, dass das nur der eine Teil des Problems ist. Der andere Teil lautet, dass weltweit circa 840 Millionen Menschen an Unterernährung leiden.

   Schauen wir uns die USA an, die uns an dieser Stelle einen leichten Wink geben, wohin die Entwicklung noch gehen kann. In den USA betragen die Behandlungskosten für übergewichtige und fettleibige Menschen jährlich rund 117 Milliarden US-Dollar. Es wird davon ausgegangen, dass Fettleibigkeit und Bewegungsmangel schon 2005 das Rauchen als Todesursache Nummer eins in den Statistiken der USA überholen wird.

   In Westeuropa sterben jährlich schätzungsweise 200 000 Menschen an den Folgen von Fettleibigkeit. Die Zahlen für Deutschland sind ebenso alarmierend. Die neuesten Erhebungen des Robert-Koch-Instituts besagen, dass zwei Drittel der männlichen Bevölkerung und gut die Hälfte der weiblichen Bevölkerung leicht bis stark übergewichtig sind. Mindestens ein Drittel der gesamten Gesundheitskosten werden durch Krankheiten verursacht, die durch Fehlernährung, Bewegungsmangel und erhebliches Übergewicht beeinflusst werden. Das muss man sich vor Augen halten: mindestens ein Drittel der gesamten Gesundheitskosten.

   Wenn wir das nicht ändern, werden wir die Kosten des Gesundheitssystems nicht im Rahmen halten können. Bei ungebremstem Trend rechnen Experten damit, dass in 40 Jahren jeder zweite Erwachsene adipös, also fettleibig, ist. Das ist nicht zu finanzieren, ganz zu schweigen von vielen anderen Fragen. Untersuchungen aus den USA zeigen: Die Kosten für Arbeitsausfälle aufgrund ernährungsmitbedingter Krankheiten werden für Unternehmen zu einem ernst zu nehmenden negativen Wirtschaftsfaktor.

   Mit diesem Problem muss sich dieses Haus beschäftigen, auch wenn nicht alle zuhören.

(Zuruf von der CDU/CSU)

– Jetzt habe ich gemerkt, dass doch jemand zuhört. Ich wollte nur wissen, ob dieses Problem auch in der CDU erkannt wurde und jemanden interessiert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Julia Klöckner (CDU/CSU): Wir können beides! – Volker Kauder (CDU/CSU): Die Bundesregierung hat Abgeordnete nicht zu maßregeln! Merken Sie sich das!)

– Nein, Herr Kauder, das würde ich nie wagen.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Sie haben ja noch 20 Minuten Zeit, sich zu steigern!)

   Es geht hier auch um schweres individuelles Leid. Nach Aussagen von Kinder- und Jugendärzten hat sich – das wurde bei Schuleingangsuntersuchungen festgestellt – die Zahl der Übergewichtigen in den letzten zehn Jahren verdreifacht.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Das ist aber langweilig!)

– Wir wissen schon aus der Debatte über den demographischen Wandel, dass manche manches, was klar auf dem Tisch liegt, lange Zeit langweilig fanden. Das hindert die Bundesregierung aber nicht daran,

(Volker Kauder (CDU/CSU): Sie ist besonders langweilig!)

auf dieses Problem hinzuweisen und an einer Lösung zu arbeiten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Stellen Sie sich das vor: Bei den Schuleingangsuntersuchungen hat sich herausgestellt, dass sich die Zahl der übergewichtigen Kinder verdreifacht hat. Jedes fünfte Kind und jeder dritte Jugendliche ist übergewichtig. Man muss mittlerweile feststellen, dass zwischen 7 und 8 Prozent der Kinder und Jugendlichen so übergewichtig sind, dass es das Stadium der Krankheit erreicht hat und von Kinderärzten als krankhaft bezeichnet wird. Mit diesem Punkt müssen wir uns befassen.

   Verbunden sind damit schon bei Kindern und Jugendlichen Bluthochdruck, koronare Herzerkrankungen, orthopädische Erkrankungen und eine rasante Zunahme von Diabetes Typ II. Wir alle wissen, was das für diese Kinder heißt. Es bedeutet, dass das, was wir umgangssprachlich Altersdiabetes nennen, inzwischen immer mehr junge Menschen betrifft. Das Leben gerät im wahrsten Sinne des Wortes aus der Balance, so wie es umgekehrt bei Ess-Brech-Sucht und Magersucht aus der Balance gerät. Die Ursachen können biologischer, sozialer, psychologischer und kultureller Herkunft sein. Sie alle – aber insbesondere der Lebensstil – spielen eine Rolle. Es geht um die Situation im privaten und – wie in der Schule – im öffentlichen Raum.

   Immer mehr Kinder, die in die Schule kommen, haben auch aufgrund von Übergewicht motorische Defizite und Koordinationsstörungen. Das ist ein Hinweis auf reduzierte Entwicklungschancen. Darüber hinaus laufen diese Kinder Gefahr, ausgegrenzt zu werden.

   Wir sagen: Gesunde Ernährung und Gesundheit sind im Leben ein wichtiges Startkapital, unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. Sie sind auch eine wichtige Voraussetzung dafür, dass jedes Kind seine Möglichkeiten und Chancen für Ausbildung und seinen weiteren Lebensweg nutzen kann.

   Wir müssen auf einen Zusammenhang hinweisen, der definitiv inakzeptabel ist, weshalb das Thema auch nicht lustig ist oder an den Rand gedrängt werden darf: Es gibt einen evidenten Zusammenhang zwischen Armut, Herkunft, Bildung und Übergewicht. Auf diese Fakten müssen wir unser Augenmerk richten, weil es nicht sein darf, dass in Zukunft die Herkunft das Gewicht und damit die Chancen dieser Kinder bestimmt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass die Zahl der übergewichtigen Kinder bei Migrantenfamilien teilweise doppelt so hoch ist. Das heißt, wir haben es im Augenblick mit einem besonderen Integrationsproblem zu tun.

   Wir wissen, dass Startchancen für alle eine Frage der Gerechtigkeit sind. So vielfältig die Ursachen für Übergewicht sind, so vielfältig müssen auch die Gegenstrategien gestaltet werden. Hier sind alle gefragt: die Eltern, die Schule, die öffentliche Hand, Unternehmer und die Betroffenen. Wir müssen uns fragen: Was hat die Kinder aus dem Gleichgewicht gebracht? Wie können wir Gerechtigkeit herstellen?

   Es gibt vielfältige Ebenen. Eine Ebene sind die entsprechenden Daten. Wir haben in diesem Jahr eine neue nationale Verzehrserhebung begonnen. Sie soll Grundlage für eine regelmäßige Ernährungsberichterstattung sein. Das Robert-Koch-Institut führt zurzeit einen Kinder- und Jugend-Survey durch, der auch Auskunft über das Ernährungs- und Bewegungsverhalten geben soll, damit wir die notwendigen Daten erhalten. Diese Daten werden wir später verwenden können, um zu diskutieren: Wie sehen die Lebensmittel von morgen aus? Wie sollen verarbeitete Lebensmittel entwickelt werden, damit sie unserem Lebensstil angepasst werden? Dieser sieht so aus, dass immer weniger Energie verbraucht wird, während die Lebensmittel immer mehr Energie liefern.

   Wir wissen: Wir müssen bei der Werbung ansetzen. Gerade so genannte Kinderlebensmittel – in Wahrheit sind es Süßigkeiten – enthalten zu viel Fett und zu viel Zucker. Hier ist die Verantwortung der Wirtschaft gefragt, mit modernen Lebensmitteln den veränderten Lebensstilen gerecht zu werden. Wir brauchen strengere Regeln für die Lebensmittelwerbung und die Lebensmittelkennzeichnung, das heißt Regeln für die nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben über Lebensmittel. Das werden wir in Brüssel weiter unterstützen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   In Bezug auf die Gerechtigkeit ist eines selbstverständlich: Wir müssen eine Strategie entwickeln, die auf sämtliche Lebensbereiche der Kinder zielt und ihnen Startchancen gibt. Wir brauchen selbstverständlich einen internationalen Rahmen. Im Mai dieses Jahres haben die Mitgliedstaaten der WHO den Aktionsplan „Globale Strategie zur Ernährung, körperlichen Aktivität und Gesundheit“ verabschiedet. Unsere Maßnahmen entsprechen längst dieser globalen Strategie und werden es auch in Zukunft tun.

   Wir wissen: Prävention ist immer die beste Alternative und das Gebot der Stunde. Wir wissen: Der Lebensstil und unsere Kultur haben sich verändert. Fernsehen und Computer dominieren die Freizeit unserer Kinder. Wir wissen: Wenn heute Kinder im öffentlichen Raum spielen, spielen sie nicht einfach draußen, sondern sie befinden sich im Kindergarten, im Hort oder in der Schule. Deshalb müssen Ernährung und Bewegung ein Bestandteil dessen sein, was dort angeboten wird. Wir wissen: Fundiertes Wissen über Nahrung, Gesundheit und Ernährung muss zukünftig zum bildungspolitischen Standard gehören. Dieses Wissen muss gesellschaftliche Kernkompetenz sein, die entwickelt und gepflegt werden muss. Die Kinder sollen nicht nur Rechnen, Schreiben und Lesen lernen,

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Sehr einverstanden, Frau Künast!)

sondern auch wissen, wie sie ihr eigenes körperliches Wohlbefinden organisieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann (FDP))

Deshalb – Fachleute nennen das Setting-Ansätze – muss bei der Ernährungsbildung tatsächlich alles einbezogen werden: die sonstige Lebenswelt der Kinder, die Eltern und die gesamten Einrichtungen.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Kernkompetenz erwirbt man nicht mit Verordnungen!)

Wir wissen: Der Umgang mit Lebensmitteln, die Zubereitung und gemeinsames Essen sind eine elementare Kulturtechnik und ein gesellschaftlicher Wert. Dazu gehört, dass den Kindern die Beziehung zu den Lebensmitteln vermittelt wird, dass sie erfahren, wie Pflanzen wachsen, welche Bedeutung Lebensmittel für das körperliche Wohlbefinden haben und wie man das Wohlbefinden erreicht.

   Ich begrüße sehr, um es positiv zu formulieren, dass die Kultus- und Jugendministerkonferenzen jetzt angefangen haben, sich mit dem Thema Bewegung und Ernährung zu beschäftigen.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Schon lange!)

Ich muss aber feststellen, dass das für sie noch ein langer Weg ist.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Aber, aber!)

– Sie sagen: „Aber, aber!“

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Ich war schon vor 20 Jahren auf solchen Konferenzen!)

– Schauen Sie sich die aktuellen Papiere dazu an!

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Sehr gut!)

Sie sagen, wir könnten uns diesem Thema nicht verweigern; aber Sie tippen es immer in einem Halbsatz an.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Stimmt nicht!)

Sie machen sich viele Gedanken über die Frage, wie man denn Schulen finanziert und wie das Essen in diesem Zusammenhang zu integrieren ist. Dass es aber eine Frage der Gerechtigkeit ist, wenn in manchen Altersjahrgängen ein Viertel der Kinder übergewichtig ist – was viele Folgeprobleme verursacht – und im Sportunterricht die Reihe derer, die auf der Bank sitzen und nicht mitmachen, immer größer wird – das ist kein individuelles Problem –, das müssen Sie noch stärker berücksichtigen.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Wir können hingucken, wo die meisten herkommen! Gucken wir nach Berlin!)

– Ich weiß, woher das kommt. Familien mit Migrationshintergrund haben es an dieser Stelle besonders schwer.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Aha!)

Das hat auch etwas mit der Integration im Zusammenhang mit der Zuwanderung zu tun. Diese Menschen erleben einen doppelten Kulturwandel, der darin besteht, dass sie sich gleichzeitig in der deutschen Kultur und in der insgesamt veränderten Lebenswelt zurechtfinden müssen. Das heißt auch, dass nicht nur die Schulen, sondern auch Sportverbände und andere Einrichtungen Konzepte entwickeln müssen, wie man diese Menschen hier integriert und wie man dieses Problem angeht.

   Wir wissen alle, dass das auch etwas mit Landwirtschaft zu tun hat. Wir müssen wieder vermitteln, dass die gesündesten und besten Lebensmittel mit der besten Energiebilanz, die ideal zu unserem Leben passen, unverarbeitet sind und direkt vom Lande kommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hans-Michael Goldmann (FDP): Sehr richtig! Jetzt meinen Sie Rindfleisch?)

   – Nein, jetzt meine ich, wie man auf Neudeutsch sagt: „An apple per day keeps the doctor away.“ – Die Besonderheiten der Landwirtschaft und unserer Landschaften können und müssen von Kindern konkret erfahren werden.

   Wir haben als Bundesregierung in den letzten Jahren viele Maßnahmen ergriffen, bei denen klar ist, dass wir sie weiter verfestigen, fortführen und ausbauen werden. Wir haben die Kampagne „Kinderleicht! – Besser Essen! Mehr bewegen!“ zur Ernährungsaufklärung und für mehr Bewegung initiiert. Im Rahmen dieser Kampagne haben wir – weil die Länder gesagt haben, sie hätten kein Geld und seien noch nicht so weit – 200 Fortbildungsveranstaltungen für Erzieherinnen und Erzieher ermöglicht, um diesen für ihre Erziehungsaufgaben das Basiswissen zu vermitteln, das in der Erziehung sonst nicht mehr weitergegeben wird.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Das ist doch nicht Ihr Ernst!)

– Es ist so. Alle diese Kurse waren ausgebucht.

   Wir haben den Beratungsservice „Fit Kid“ für bessere Ernährungsangebote in Kitas und den Deutschen Präventionspreis für vorbildhafte Projekte der Prävention und Gesundheitsförderung eingeführt, an denen sich auch wichtige Stiftungen beteiligen. In diesem Jahr werden unter dem Stichwort Prävention Maßnahmen zum Thema Ernährung, Bewegung und Stressbewältigung prämiert, die sich speziell an Kinder und Jugendliche richten.

   Wir haben darüber hinaus mit dem Thema Gemeinschaftsverpflegung noch einen weiteren Ansatz verfolgt. Denn die Gemeinschaftsverpflegung nimmt zu und sie löst bei manchen Kindern und Erwachsenen das Problem erst aus. Deshalb beziehen wir in das 4-Milliarden-Euro-Programm „Zukunft, Bildung und Betreuung“, mit dem das Angebot an Ganztagsschulen in der Bundesrepublik erhöht werden soll, auch die Gemeinschaftsverpflegung mit ein, zum Beispiel wenn es darum geht, die entsprechenden Küchen zu bauen.

   Das ist aber noch nicht alles. Wir haben einen Anfang gemacht und verfolgen es wegen der riesigen Nachfrage auch weiter – wir haben es bereits im Haushalt verankert –, indem wir allen Schulen, die bereits einen Ganztagsbetrieb anbieten oder eine Ganztagsschule werden wollen, einen kostenlosen Beratungsservice über die Deutsche Gesellschaft für Ernährung anbieten, damit sie selbst das Thema Ernährung aufbereiten, sich entsprechend ausrüsten und lernen können, wie das Angebot gestaltet werden kann. Unser Angebot wird auch angenommen, weil das Problem an Schulen allgemein bekannt ist.

   Das „Deutsche Forum Prävention und Gesundheitsförderung“ erarbeitet zurzeit sogar Empfehlungen für gesundheitsförderliche Ganztagsschulen. Dieser Ansatz umfasst weit mehr als das Thema Ernährung. Wir arbeiten an den notwendigen wissenschaftlichen Grundlagen. Die Bundesregierung finanziert mit dem Modellvorhaben „Reform der Ernährungs- und Verbraucherbildung in Schulen“ die Erarbeitung solcher Konzepte. Wir finanzieren im Rahmen sozialökologischer Forschung die Entwicklung von Strategien, die die subjektiven Faktoren einbeziehen, und wir haben einen weiteren Fokus, und zwar die außerschulische Jugendbildung, in der wir zahlreiche Projekte – zum Beispiel von sportorientierten Jugendverbänden – unterstützen. Wie Sie alle wissen, haben die wirklich dicken Kinder das Problem, dass es für sie bisher kaum ein Angebot gibt. Wir brauchen in der Bundesrepublik ein flächendeckendes Angebot, das Sport, Soziales und Freizeit für diese Kinder miteinander verbindet, um sie in entsprechenden Gruppen in der Bewältigung ihres Problems zu unterstützen.

   Ich möchte beim Thema Ernährung eine Zielgruppe ansprechen, die eine besondere Rolle spielt und sozusagen am anderen Ende des Lebens steht. Dabei handelt es sich um die Seniorinnen und Senioren. Gesundheit ist auch für sie ein zentrales Gut, um diese Phase ihres Lebens wohlverdient genießen zu können. Viele ältere Menschen ernähren sich bekanntlich zu einseitig; sie trinken zu wenig und sie bewegen sich zu wenig. Das ist ein Problem, das – wenn sie sich nicht mehr selbst ernähren können – bei der Gemeinschaftsverpflegung in Heimen und Krankenhäusern auftritt.

   Wir wissen, dass zur Erhaltung der körperlichen und geistigen Fitness im Alter eine angepasste Ernährungsweise unabdingbar ist, weil sich die Bedürfnisse des Körpers massiv wandeln. Wie gravierend diese Folgen sein können, wurde während der letzten Hitzeperiode deutlich, als viele ältere Menschen mit folgenschweren Kreislaufbeschwerden in Krankenhäuser eingeliefert wurden. Deshalb haben wir die Kampagne „Fit im Alter – Gesund essen, besser leben“ begonnen, bei der sich die Bundesregierung gezielt an die älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger wendet und bei der wir die entsprechenden Verbände mit einbeziehen, die ihrerseits Handlungsbedarf festgestellt haben.

   Wir haben mit der finanziellen Unterstützung von Qualitätsstandards zur Ernährung und Flüssigkeitsversorgung älterer Menschen auch den nötigen wissenschaftlichen Hintergrund entwickelt, um allen ambulanten und stationären Institutionen zu Hilfe zu kommen.

Ursula Heinen (CDU/CSU):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, es ist unzweifelhaft: Ausgewogene Ernährung und Bewegung sind wichtige Themen. Die Zahlen sind bereits genannt worden: Jeder dritte Jugendliche und jedes fünfte Kind sind übergewichtig. Parallel dazu – das ist bei Ihnen leider etwas zu kurz gekommen – nimmt auch die Zahl der mangel- und der unterernährten Kinder oft aufgrund falscher Schönheitsideale zu. Deshalb muss das Thema „Ernährung und gesunde Lebensführung“ in der Tat aufgegriffen werden. Insofern haben Sie uns voll an Ihrer Seite und wir unterstützen Sie.

   Welches ist aber der richtige Weg?

(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann (FDP))

Wo ist der richtige Ort für eine solche Debatte? Wann ist der richtige Zeitpunkt für eine solche Debatte? – Sie haben uns heute keinen Gesetzentwurf präsentiert. Wir diskutieren auch nicht über ein herausragendes politisches Ereignis, und das, obwohl Regierungserklärungen eigentlich eine bedeutende verfassungspolitische Verbindlichkeit zukommen sollte.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Wir befürworten zwar Ihre Initiative. Aber wir möchten, dass sie in einem vernünftigen Verhältnis zu anderen Themen steht, dass auch über andere bedeutende Themen in angemessener Länge diskutiert werden kann.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir möchten vor allem, dass Sie die Rolle, die der Staat beim Thema Ernährung einnehmen kann, ehrlich beschreiben. Wer Übergewicht hat, trägt auch selbst Verantwortung. Wenn ich zu dick bin, ist das meine Schuld und nicht Ihre. Wenn ein Autofahrer zu schnell fährt, trägt er selbst die Verantwortung. Wer raucht, trägt selbst die Verantwortung. Wir können Schilder aufstellen und vor den Folgen überhöhter Geschwindigkeit warnen. Wir können Hinweise auf Zigarettenpackungen drucken. Wir können Angaben über Fette, Salze und Kohlenhydrate auf Lebensmittelverpackungen drucken.

Aber der Staat oder das Parlament können dem Einzelnen ebenso wenig das Rauchen abgewöhnen wie ihn zur Diät zwingen. Wir können lediglich Hilfestellung geben. In diesem Sinne begrüßen und unterstützen wir Ihre Initiative. Aber wir dürfen den Menschen nicht vorgaukeln, wir nähmen ihnen den Entzug beim Rauchen oder die Hungergefühle beim Diäten ab.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Dass Sie die gesamte Lebensmittelwirtschaft in einer Plattform zusammengebunden haben, ist eine gute Leistung und wir begrüßen insbesondere das Engagement der Unternehmen. Schade ist nur, dass Sie zunächst mit einer Zwangsabgabe gedroht und diese in Ihre Überlegungen einbezogen hatten. Davon sollten Sie auch bei zukünftigen Gesprächen und Verhandlungen Abstand nehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Gerade weil das Thema einer gesunden, ausgewogenen Ernährung und Lebensführung wichtig ist, gibt es einige Fragen, die wir hier besprechen müssen.

(Abg. Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bespricht sich mit Bundesministerin Renate Künast – Volker Kauder (CDU/CSU: Sie scheint es auch nicht zu interessieren! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Frau Ministerin! – Gegenruf des Abg. Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Zensor!)

   Erstens. Die Zahlen und Fakten zum Problem der Über- und Fehlernährung sind seit einem Jahr der Öffentlichkeit bekannt. Die Warnungen der WHO sind ebenfalls seit einiger Zeit bekannt. Im letzten Sommer haben Sie einen entsprechenden Kongress veranstaltet, aber erst heute kommen Sie mit dieser Initiative ins Parlament. Ich hoffe nur, dass Sie das nicht tun, weil das ein angenehmes, nettes, Sympathie schaffendes Thema ist, das von den unangenehmen Themen Ihrer Koalition ablenkt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Julia Klöckner (CDU/CSU): Genau!)

   Zweitens. Wir alle wissen, dass sich gesunde Ernährung nicht gesetzlich und schon gar nicht über den Bund regeln lässt. Aber das Wenige, was der Bund tun kann, muss er auch tun. Dazu gehört beispielsweise, die Zuständigkeiten zu bündeln und zu koordinieren. Auch hier stellt sich die Frage: Warum haben Sie das Initiativrecht, das Sie seit dieser Legislaturperiode besitzen, nicht schon längst eingesetzt?

   Aus unserer Kleinen Anfrage zum Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen, die meine Kollegin Julia Klöckner initiiert hat, geht eindeutig hervor: Das Verbraucherschutz- sowie das Gesundheitsministerium, das Bundesministerium für Bildung und Forschung und selbst das Bundesumweltministerium legen Programme zur Ernährungsaufklärung und Forschungsprogramme zu diesem Thema auf.

(Julia Klöckner (CDU/CSU): Unkoordiniert!)

Sowohl das Gesundheits- als auch das Verbraucherschutzministerium haben jeweils Millionenbeträge für Aufklärungsmaßnahmen zur Ernährung vorgesehen. Das ist doch ein klarer Hinweis auf Doppelstrukturen. Also beantworten Sie uns die Frage: Wer macht denn nun eigentlich was?

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Deshalb erwarten wir: Benennen Sie in der Bundesregierung trotz des Querschnittscharakters des Themas ein eindeutig federführendes Ministerium! Nehmen Sie eine klare Aufgabenteilung zwischen den Ministerien vor und gewährleisten Sie, dass diese Aufgabenteilung auch tatsächlich durchgehalten wird! Doppelarbeiten kosten nur Geld,

(Julia Klöckner (CDU/CSU): Und Zeit!)

und zwar Geld des Steuerzahlers, ohne irgendeinem Betroffenen tatsächlich zu nutzen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Was in der Debatte bislang völlig zu kurz gekommen ist und was auch Sie falsch dargestellt haben, sind die Leistungen der Bundesländer. Nicht erst gestern sind die Kultusminister bzw. die Länder – vielleicht die Kultusministerkonferenz – darauf gekommen, etwas zu tun. Die Länder sind schon sehr, sehr lange an solchen Programmen beteiligt. Beispielsweise gibt es in Baden-Württemberg schon seit 1980 entsprechende Ernährungsprogramme in den Kindergärten, seit 1985 bereits entsprechende Programme in den Schulen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Peter Dreßen (SPD): Keiner weiß was davon!)

Thüringen führt seit 1994 ein spezielles Programm für Kindertagesstätten durch. Lehrpläne sehen dort Unterrichtseinheiten zur Ernährung vor.

(Julia Klöckner (CDU/CSU): Wunderbar! Daraus kann man lernen!)

   Alle zuständigen Länderministerien – ich rate Ihnen, zuzuhören – stellen Jahr für Jahr sechsstellige Beträge bereit, Sachsen beispielsweise 430 000 Euro jährlich, um Projekte und Programme durchzuführen. Unterstützt werden diese Bemühungen durch Initiativen der Landwirtschaftskammern und der Verbraucherzentralen, aber eben auch durch die regionalen Landfrauen- und Landjugendverbände.

(Beifall bei der CDU/CSU – Julia Klöckner (CDU/CSU): Genau! Das Kind braucht halt einen anderen Namen!)

Das Rad, Frau Künast, müssen wir also wirklich nicht neu erfinden. Ganz im Gegenteil, Sie mischen sich eventuell massiv in die Kompetenzen der Länder ein und gefährden damit unter Umständen – das sagt Ihnen auch der Rechnungshof – das vorhandene Engagement der Bundesländer.

(Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Das ist jetzt die neue Masche!)

   Was ist also zu tun? Wir brauchen eine einheitliche Strategie zur Bekämpfung der Über- und Fehlernährung? Dazu zählt, wie Sie bereits gesagt haben, die Durchführung einer nationalen Verzehrstudie, die Aufschluss über Ernährungsgewohnheiten gibt. Aber achten Sie auch darauf, dass diese Studie, die immerhin 2,3 Millionen Euro kostet, wissenschaftlich transparent ist und wissenschaftlich begleitet wird.

   Wir müssen darüber hinaus die Prävention in den Vordergrund der Strategie stellen. Dazu gehören in der Tat die Bereitstellung von Material zur Ernährungsaufklärung für Schulen und Ärzte, die Förderung von Ernährungsberatung durch Kinderärzte usw. Aber auch hier ist auf die wissenschaftliche Begleitung zu achten. Bei der Kampagne „Kinder leicht“, die Sie vorhin erwähnt haben  dafür geben Sie immerhin ungefähr 1,85 Millionen Euro aus , sind alle Beteiligten über die Wirksamkeit sehr im Zweifel, weil es eben an wissenschaftlicher Begleitung dieser Kampagne fehlt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Das heißt, Sie wissen noch nicht einmal, ob die Broschüren und Materialien, die Sie Erziehern in Kindergärten an die Hand geben, überhaupt wirken.

   Wir wollen Bewegung und Sport bei Kindern und Jugendlichen in der Tat fördern. Mit den Ländern sollten Möglichkeiten der Ausdehnung des Schulsports entwickelt werden. Zudem kann der Bau von Spiel- und Sportstätten durch Änderung der Vorgaben beim Bau- und Planungsrecht erleichtert werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Es gibt also eine ganze Reihe von Möglichkeiten, etwas zu tun. Aber ich meine, dass Sie mit allen Beteiligten zusammenarbeiten sollten. Eine Plattform ist sicherlich ein richtiger Weg dorthin. Aber Sie dürfen dieses Thema nicht um der Show willen hier in den Bundestag bringen, sondern nur dann, wenn Sie es mit der Ernährung und mit der Bewegung unserer Kinder und Jugendlichen tatsächlich ernst meinen.

   Recht herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann (FDP))

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort der Kollegin Gabriele HillerOhm, SPDFraktion.

Gabriele Hiller-Ohm (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Krasser können die Gegensätze nicht sein. Im Westsudan sterben Kinder unter den Augen ihrer Mütter und Väter einen schrecklichen Hungertod. In Schweden wird Eltern das Sorgerecht entzogen, weil ihr fünfjähriges Kind mit 43 Kilogramm zu verfetten droht. Bilder von Krankheit und Tod durch zu wenig Nahrung begleiten uns seit langem in den Medien. Doch jetzt werden auch die gegenteiligen Folgen von Fehlernährung immer sichtbarer. Übergewicht ist zu einem gravierenden weltweiten Gesundheitsproblem geworden.

   Wie sieht es bei uns in Deutschland aus? Jeder Zweite in unserem Land ist inzwischen zu dick. Da die Grundlagen für Fehlernährung und Übergewicht bereits in der Kindheit gelegt werden, sind unsere Jüngsten besonders hart betroffen; denn aus dicken Kindern werden in der Regel dicke Erwachsene mit allen gesundheitlichen Risiken. Diese Risiken sind erheblich. Wenn wir nicht schnellstens gegensteuern, werden uns unsere Kinder immer seltener überleben. Dies ist ein ganz wichtiges Thema und es muss uns auch hier, im Plenum, interessieren.

   Ursachen des Dilemmas sind neben genetischer Veranlagung Fehlernährung und mangelnde Bewegung. Nicht nur wir Erwachsene, auch unsere Kinder werden immer träger. Sie toben weniger, schauen zu viel fern und sitzen zu lange vor ihren Computern. Dieses Verhalten beginnt immer häufiger schon bei den ganz Kleinen. Das bedrückende Fazit eines englischen Wissenschaftlers lautet: Unter Dreijährige sind inzwischen genauso inaktiv wie Büroangestellte.

Welche Bevölkerungsschichten sind besonders betroffen? Übergewicht wird mehr und mehr zu einem Problem der armen Bevölkerungsschichten. Wer wenig Geld hat, spart auch am Essen. Betroffene Familien ernähren sich in der Regel nicht ausgewogen. Sie essen zu einseitig und zu fett. Die gesundheitlichen Auswirkungen dieses Verhaltens sind den Betroffenen in der Regel nicht ausreichend bekannt. Übergewichtsprobleme nehmen in diesen gesellschaftlichen Schichten besonders zu. Betroffen sind vor allem Kinder. Das lässt sich an Schuleingangsuntersuchungen sehr deutlich aufzeigen. Die Lebensperspektiven der Kinder aus ärmeren Haushalten sind durch die zunehmende Übergewichtsproblematik deutlich eingeschränkt. Krankheiten mit negativen Auswirkungen auf das Berufsleben und sinkende Lebenserwartung sind vorprogrammiert.

   Hier müssen wir dringend etwas tun. Das ist nicht nur eine Frage der Gesundheit, sondern auch eine Frage von sozialer Gerechtigkeit, der wir uns nicht entziehen dürfen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Was können wir tun? Die Weltgesundheitsorganisation, die WHO, hat Ende Mai einen Aktionsplan zur Zurückdrängung des Problems der Fehlernährung verabschiedet. Darin werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, umfassende Aktionen gegen das Problem des Übergewichts zu schmieden. Ich freue mich darüber, dass die Bundesregierung dieser Initiative so prompt gefolgt ist und Deutschland jetzt zu den ersten Staaten gehört, die Ernst machen und eine neue Ernährungsbewegung in Gang setzen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die Statistik zur Fettleibigkeit in Deutschland zeigt: Wir brauchen in unserer Gesellschaft dringend konzertierte Aktionen für mehr Bewegung und eine gesündere Ernährung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Fraktion der SPD begrüßt deshalb ausdrücklich die Initiative der Bundesregierung, die wir mit dem von uns vorliegenden Entschließungsantrag unterstützen.

   Ich greife drei Punkte aus unserem Entschließungsantrag heraus:

   Erste Forderung: Alle Verantwortlichen an einen Tisch! Eltern, Ärzte, Kindergärten, Schulen, Krankenkassen, aber auch die Lebensmittelindustrie und die Werbewirtschaft müssen gemeinsam ihren Beitrag zur Lösung des Problems leisten. Niemand darf sich verweigern.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Das bestimmen Sie oder wie?)

   Zweite Forderung: Ressortübergreifende Vernetzung in der Bundesregierung stärken!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen ressortübergreifende Strategien zur Prävention ernährungsbedingter Krankheiten.

   Dritte Forderung: Kitas und Ganztagsschulen mit ausgewogenen Ernährungsangeboten ausstatten! Die von uns angeschobene Ganztagsschulbewegung wird in unserer Gesellschaft zu mehr Chancengleichheit beitragen und soziale Gerechtigkeit fördern. Ein ausgewogenes Ernährungsangebot in Schulen und Kindertagesstätten wird dazu beitragen, der Fehlernährung unserer Kinder mit all ihren schlimmen Folgen entgegenzuwirken.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Auch die Oppositionsfraktionen haben Anträge vorgelegt.

(Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Selbst die!)

In einigen Punkten sind wir nicht weit auseinander. Natürlich brauchen wir eine bessere Ernährungserziehung in den Schulen und Kindertagesstätten. Natürlich wollen auch wir die Forschung zur Ernährungsvorsorge intensivieren. Ganz klar: Das Verantwortungsbewusstsein von Vätern und Müttern muss gestärkt werden.

(Zuruf)

Ja, sicher doch! Mehr Sportangebote sind notwendig. Da hören die Übereinstimmungen aber auch schon auf.

   Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, fordern die Bundesregierung auf, verstärkt auf Eigeninitiative der Verbraucherinnen und Verbraucher, Wettbewerb und Marktöffnung zu setzen

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Richtig!)

und  ich zitiere aus dem Entschließungsantrag der FDP  „den eingeschlagenen Kurs der einseitigen politischen Steuerung des Konsums zu beenden“.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Sie brauchen meine Rede nicht vorwegzunehmen!)

Sie lehnen Eingriffe in das Marktgeschehen und Werbeeinschränkungen kategorisch ab. Der Markt wird es schon richten, meinen Sie. Tut er aber nicht, meine Damen und Herren!

(Lachen bei der CDU/CSU)

In Bezug auf die Übergewichtsproblematik gibt es zurzeit nämlich überhaupt keine Markteinschränkungen.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Das stimmt doch überhaupt nicht!)

Wir haben aber das Problem der Fehlernährung.

   An dieser Stelle, meine Damen und Herren von der FDP und der CDU/CSU, kommen Sie uns stets mit dem mündigen Bürger, der selbst entscheiden könne, was für ihn gut sei.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Der hat das Vertrauen in Ihre Partei verloren!)

Doch die Kaufentscheidungen der Verbraucherinnen und Verbraucher sind natürlich auch eng mit der Angebotsseite und mit der Vermarktung der Produkte verknüpft.

   Ich greife als Beispiel nur einmal das Thema Kinderlebensmittel heraus.

Wir fordern in Bezug auf die Bewerbung von Kinderlebensmitteln Klarheit und Wahrheit. Sie lehnen Werbeeinschränkungen bei Kinderlebensmitteln ab.

(Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Pfui! - Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch nicht wahr!)

Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der Opposition: Kennen Sie die neuesten Ergebnisse der Stiftung Warentest zu Kinderlebensmitteln nicht? Kein einziges der getesteten Produkte hält, was es verspricht.

(Julia Klöckner (CDU/CSU): Ich würde das Essen verbieten!)

Was die Werbung hier gerade in Bezug auf unsere Kinder macht, hat mit einer seriösen, verantwortungsvollen Produktinformation nicht im Geringsten etwas zu tun.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Um die richtigen Kaufentscheidungen fällen zu können, müssen die notwendigen Informationen bereitgestellt werden. Das ist doch klar. Wir hatten deshalb ein Verbraucherinformationsgesetz vorgelegt.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Haben wir auch!)

Sie torpedieren es, weil es Unternehmen finanziell zu sehr belasten könnte.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN  Widerspruch bei der CDU/CSU  Hans-Michael Goldmann (FDP): Stimmt doch gar nicht!)

So, meine Damen und Herren von der Opposition, sieht Ihr Engagement für die Verbraucherinnen und Verbraucher in Wahrheit aus. Wenn es zum Schwur kommt, kneifen Sie.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Frau Ministerin Künast setzt in der neuen Ernährungsbewegung auf freiwillige Selbstverpflichtung seitens der Wirtschaft.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Ernährungsplattform klingt besser!)

Wir unterstützen dies ganz ausdrücklich. Ich hoffe sehr, meine Damen und Herren, dass dieses Konzept aufgehen wird.

(Dr. Hermann Kues (CDU/CSU): Luftnummer!)

Ich bin aber ein wenig skeptisch, denn verantwortliches Handeln seitens der Lebensmittelindustrie und der Werbewirtschaft hörte bisher sehr oft dann auf, wenn es um den Profit ging. Ich nenne ein Beispiel: Die Hemmschwelle zum Alkoholkonsum bei Kindern und Jugendlichen wird durch kind- und jugendgerecht aufgemachte alkoholhaltige Süßgetränke, so genannte Alcopops, deutlich gesenkt. Die Verantwortlichen stört es ganz offensichtlich nicht, dass Deutschlands Kinder beim Alkoholmissbrauch schon heute den traurigen vierten Platz in Europa einnehmen.

   Natürlich haben Menschen in unserem Land die freie Wahl, das zu kaufen, was sie wollen, doch wir dürfen dabei den Einfluss der Werbung nicht außer Acht lassen. Jeder weiß doch, was von der Werbung zu halten ist, argumentieren Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Meinen Sie jetzt Ihre Plakate?)

Doch der starke Einfluss der Werbung wird inzwischen noch nicht einmal mehr von der wirtschaftsnahen Zeitung „Die Welt“ in Zweifel gezogen. Nach Bekanntwerden der jüngsten WHO-Schätzungen zum Übergewicht schreibt sie von einer Werbemaschinerie, die Kinderhirne impft und Kinder unentwegt zum Verzehr eigentlich ungesunder Lebensmittel verleitet.

   Wir brauchen eine neue Ernährungsbewegung in Deutschland. Wir brauchen aber auch eine neue Werteorientierung, die den Menschen und nicht vorrangig die Interessen der Wirtschaft in den Mittelpunkt stellt. Kommen wir unserer Verantwortung nach.

   Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Hans-Michael Goldmann, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Gitta Connemann (CDU/CSU) und Julia Klöckner (CDU/CSU))

Hans-Michael Goldmann (FDP):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht einmal ein Wort vorweg: Es wäre mir viel sympathischer, wenn wir von Ernährungsplattform e.V. reden würden und nicht von Ernährungsbewegung. Man müsste einmal darüber nachdenken, ob ein solcher Begriff in diesem Zusammenhang nicht vermieden werden könnte.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Geschätzte Frau Ministerin, ich fand es prima, dass Sie eine Regierungserklärung abgegeben haben. Ich bin da etwas anderer Meinung als die Kollegin von der CDU/CSU. Der Sachverhalt betrifft nämlich 80 Millionen Bürgerinnen und Bürger in unserem Land, Junge und Alte. Er betrifft einen riesigen Bereich unserer Wirtschaft, nämlich den Ernährungssektor insgesamt, einen der größten Arbeitgeber. Er betrifft sehr viele Arbeitsplätze. Deswegen ist es natürlich sehr richtig, sich mit den Problemen und den Herausforderungen zu beschäftigen, die sich in diesem Bereich ergeben.

(Beifall bei der FDP)

   Aber, liebe Frau Ministerin – das möchte ich einmal ganz schlicht sagen –, ich bin zutiefst enttäuscht von Ihrer Regierungserklärung. Sie sind den Ansprüchen, die man an eine Regierungserklärung stellt – „erklären“ heißt ja: Zusammenhänge darstellen und Wechselwirkungen aufzeigen sowie Tiefgang in eine Rede hineinbringen –, schlicht und ergreifend nicht gerecht geworden. Ihre Ausführungen, die Sie uns hier dargeboten haben, kann man nicht anders als sehr flach bezeichnen.

Wenn Sie sich Ihren Redetext – Sie haben ihn uns ja im Vorfeld zur Verfügung gestellt – noch einmal ansehen, dann werden Sie selbst feststellen, dass Sie erst auf Seite 13 Ihrer 14-seitigen Ausführungen einen gewissen Lösungsansatz entwickeln. Das ist erschreckend.

   Nein, das, was Sie uns hier vorgestellt haben, wird dem, was Sie fordern, nämlich Kernkompetenzen, überhaupt nicht gerecht.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir sind gerne bereit, Ihnen zu helfen. Auch wir möchten das bestehende Problem tiefgründig betrachten. Deswegen wollen wir auch in der Plattform gerne mitwirken. Aber den Weg, den Sie aufzeigen, lehnen wir entschieden ab. Der Weg der Bevormundung, den Sie immer wieder gehen, ist mit den liberalen Gedanken der Eigenverantwortung und des Selbst-Könnens nicht in Einklang zu bringen. Sie haben in Ihren Ausführungen wieder deutlich gemacht, dass Sie sich in dieser Frage auf einem Irrweg befinden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Zwangsabgabe, Werbeverbote, Diskriminierung – ich hatte heute Morgen das unendliche Vergnügen, im Fernsehen neben Frau Höfken zu stehen, als sie wieder die deutsche Lebensmittelwirtschaft attackiert hat. Ich finde es unerträglich, wenn hier behauptet wird, junge Menschen würden an dem Genuss bestimmter Produkte krepieren. Ich finde es unerträglich, wenn Sie Ihre Argumente darauf aufbauen, dass ein bedauernswertes dreijähriges Kind an Übergewicht stirbt. Das wird der Sache nicht gerecht. Hier geht es nicht darum, im Hau-drauf-Stil auf bestimmte Dinge hinzuweisen, sondern darum, zu bündeln, zusammenzuführen und Lösungswege zu entwickeln, die es – das will ich ganz deutlich sagen, Frau Künast – in vielfältiger Form schon gibt, aber die von unten kommen müssen. Wir werden diesem Problem im Verordnungsweg, im Gesetzgebungsweg nicht gerecht werden. Da haben Sie einen falschen Ansatz;

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

da missbrauchen Sie ein Problem, das es bei Kindern, Erwachsenen und auch bei Senioren gibt, in unverantwortlicher politischer Weise.

   Ich habe mit Erschrecken Ausführungen Ihrerseits noch einmal nachgelesen. Auch heute haben Sie wieder eine Studie zitiert, in der es heißt, dass die junge Generation die erste sei, die vor ihren Eltern sterbe.

(Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Ja! Es gibt diese Studie!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Goldmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dümpe-Krüger?

Hans-Michael Goldmann (FDP):

Ich gestatte gerne eine Zwischenfrage.

Präsident Wolfgang Thierse:

Bitte schön.

Jutta Dümpe-Krüger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Kollege, ich frage Sie, ob Ihnen bekannt ist und wie Sie bewerten, dass speziell das von der Ministerin angesprochene Problem der Altersdiabetes bei Kindern – ich rede nicht von der kindlichen Diabetes – ein Phänomen ist, das es noch nie zuvor gegeben hat und das wirklich ganz erschreckende Ausmaße angenommen hat, und ob Sie nicht auch der Ansicht sind, dass zu einer Veränderung und Rückführung in diesem Bereich ein ganzheitlicher Ansatz notwendig ist, wie ihn die Ministerin hier beschrieben hat.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Hans-Michael Goldmann (FDP):

Geschätzte Kollegin, ich bin sehr entschieden der Auffassung, dass Ihre Ministerin keinen ganzheitlichen Ansatz aufgezeigt hat, sondern einen staatsbezogenen Ansatz. Wenn Sie an den Diskussionen, die wir gerade in letzter Zeit zu dem Thema hatten, an den Veranstaltungen von der Lebensmittelwirtschaft, von Ärzten, von Kindertagesstätten und von Schulen teilgenommen hätten, wenn Sie im Rahmen der Grünen Woche bei den Landfrauen Ihre Unterschrift geleistet hätten – alles Aktionen, die auf mehr Aufklärung in diesem Bereich abzielen und darauf, das Wissen und das Können zu erhöhen –, dann würden Sie mir eine solche Frage nicht stellen. Selbstverständlich müssen wir uns um diese Dinge bemühen. Es gibt auch Studien darüber, die Ihnen bekannt sein müssten.

(Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Sie scheinen sie nicht zu kennen!)

Aber diese Studien haben etwas mehr Substanz als zum Beispiel die Studie, die die Frau Ministerin hier ins Gespräch gebracht hat. Sie zeigt im Grunde genommen einen simplen Mechanismus auf: Die junge Generation sei die erste, die vor ihren Eltern sterbe. Man darf es zwar hier nicht sagen, aber: Das ist doch Schwachsinn! Das wird doch dem Problem überhaupt nicht gerecht!

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Das zeigt doch das Problem auf, Herr Goldmann!)

Das Problem ist doch nicht, dass die junge Generation vor der älteren stirbt, sondern das Problem ist, dass es in dieser Gesellschaft eine Anzahl von jungen Menschen – eine zu große Anzahl – gibt, die sich aufgrund genetischer Veranlagung, sozialer Kompetenzen – wir haben vorhin die Migrationsfrage angesprochen – und schlicht und ergreifend aufgrund von Bewegungsmangel selbst in die Situation versetzen, dass ihnen keine freiheitliche Teilnahme an unserer Gesellschaft mehr möglich ist. Das ist das Problem, mit dem wir es zu tun haben. Dieses Problem lässt sich, wie ich schon gesagt habe, nicht von oben nach unten lösen, sondern einzig und allein von unten nach oben. Das weiß eigentlich jeder, der sich damit beschäftigt.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hatte es schon angesprochen: Der Problemkreis ist komplex. Es geht um mehr als um Übergewicht; es geht um Lebensstil und Gesundheit. Ernährung allein und insbesondere, liebe Kollegin Höfken, einzelne Lebensmittel sind nicht für die Entstehung von Übergewicht verantwortlich. Das ist keine Erkenntnis von mir. Das ist auch nicht neu. Das hat Professor Müller schon vor vielen Jahren in einer sehr interessanten Adipositaspräventionsstudie dargestellt, die in Fachkreisen jeder kennt. Das Ergebnis ist simpel: Gewichtsunterschiede von Kindern sind im Wesentlichen auf Unterschiede der körperlichen Aktivität bzw. Inaktivität, auf soziale Aspekte und mögliche genetische Risiken zurückzuführen.

   Frau Künast, Sie wollen einen neuen Lebensstil und neue Essgewohnheiten. Sie haben immer wieder „Wir wollen, wir wollen“ gesagt; aber nicht Sie müssen wollen, sondern die Bürger.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben uns doch Tiefgang versprochen! Wann kommt der denn mal?)

Sie wollen den Bürgern den Appetit verderben. Sie unterscheiden Lebensmittel in schlecht und gut, in böse und gut.

   Sie sollten sich einmal mit den Erkenntnissen der Amerikaner in diesem Bereich beschäftigen. Dort gibt es ein hohes Maß an Sorge, dass sich Kinder überhaupt nicht mehr ernähren, weil sie Angst davor haben, sich mit den falschen Lebensmitteln zu ernähren. Ich glaube, es geht darum, das rechte Maß zu finden. Jeder, der mit Kindern zu tun hat – hiervon gibt es unter uns ja einige –, weiß, dass Verbote – zum Beispiel: Iss keine Schokolade! – überhaupt nicht helfen. Es geht vielmehr darum, aufzuzeigen, was passiert, wenn das Kind zu viel Schokolade isst. Verteufeln hilft in diesem Bereich überhaupt nicht.

(Zuruf von der SPD: Das will auch niemand!)

   Ich hatte es schon angesprochen: In den USA zeichnen sich die Ergebnisse der Indoktrination in Bezug auf das Kalorienzählen – das, was Sie machen, ist Indoktrination – längst ab.

(Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist doch dummes Zeug ohne Tiefgang, was Sie da erzählen!)

Amerikanische Kinder fürchten sich davor zu essen. Das können Sie doch nicht wollen.

(Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Das ist doch lächerlich!)

– Das, was Sie ausgeführt haben, war hochgradig lächerlich, geschätzte Kollegin.

(Beifall der Abg. Dr. Christel Happach-Kasan (FDP))

Sie erklären, dicke Kinder hätten schlechte Startchancen. Diese Aussage ist in Ordnung; damit sind wir einverstanden. Aber sorgen Sie dafür, dass sich die Startchancen der Menschen verbessern! Stigmatisieren Sie diese Menschen nicht, sondern nehmen Sie sie in die Gesellschaft hinein,

(Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was erzählen Sie da für einen Unsinn!)

indem Sie diese Plattform dafür nutzen, den Weg von unten nach oben auszugestalten!

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Sie sagen, dass sich Kinder falsch ernähren. Wir wollen den Kindern sowie den Erzieherinnen und Erziehern vermitteln, wie man sich gesund ernährt. Wir Liberale wollen also einen ganz anderen politischen Weg beschreiten.

(Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben ja gar nicht zugehört!)

Das hat auch nichts damit zu tun, dass wir uns aus der staatlichen Verantwortung zurückziehen wollen, Frau Künast. Wenn Sie jetzt sagen, das sei Quatsch, zeigt dies wieder, dass Sie sich mit diesem Thema nicht beschäftigt haben,

(Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben nicht zugehört!)

sondern dieses Thema populistisch nutzen. Sie hüpfen im Bereich Ernährung, Verbraucherschutz und Landwirtschaft von einem Thema zum anderen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

Sie hinterlassen an vielen Stellen Schaden. Sie haben bei der Diskussion um BSE einen riesigen Schaden hinterlassen. Sie haben die Gesamtproblematik dieses Themas nie erkannt. Sie haben die Folgewirkungen dieses Themas überhaupt nicht richtig zur Kenntnis genommen. Sie wollen seit Beginn Ihrer politischen Arbeit in diesem Hause beim Thema Verbraucherschutz den Verbrauchern etwas vorgeben, was der Verbraucher überhaupt nicht nachvollzieht.

   Sie behaupten, wir wollten kein Verbraucherinformationsgesetz.

(Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Ja, genau! – Ute Kumpf (SPD): Ja doch!)

Das ist völliger Quatsch. Das stimmt schlicht und ergreifend nicht. Wir wollen eine Regelung, die den Verbraucher in die Lage versetzt, selbst Erkenntnis zu gewinnen. Wir wollen keinen Angriff auf unternehmerisches Tun, der die Marktposition der Unternehmen gefährdet und wieder nationale Alleingänge im Hinblick auf europäische Regelungen bedeutet. Genau das wollen wir nicht.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir wollen das Informationsbedürfnis befriedigen. Von einseitigen Schuldzuweisungen sind wir Gott sei Dank meilenweit entfernt. Wir wollen „Ernährungskönnen“, Ernährungsbewusstsein. Wir sprechen uns klipp und klar zum Beispiel gegen die Schuldzuweisung aus, dass die Lebensmittelwirtschaft verantwortlich dafür ist – da machen Sie es sich viel zu leicht –, dass es alkoholkranke Menschen gibt. Sie können doch nicht ernsthaft sagen, dass Alkoholismus etwas damit zu tun hat, dass jemand Wein herstellt.

(Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was ist denn mit den Alcopops? Die zielen doch auf Kinder ab!)

Sie können doch nicht ernsthaft sagen, dass Produkte wie Chips und Schokolade schon deshalb schlimm sind, weil der eine oder andere diese Produkte aus Unkenntnis nicht sachgerecht und ernährungsbewusst verwendet.

   Frau Künast, wir bieten Ihnen sehr nachdrücklich an: Lassen Sie uns gemeinsam Wege gehen, die darauf abzielen, den Verbraucher zu informieren und zu konditionieren, den jungen Menschen das Können an die Hand zu geben, sich bewusst zu ernähren und sich mehr zu bewegen, und die sozialen Defizite abzubauen! Seien Sie bitte ein Stück vernünftig und rücken Sie davon ab, von oben bestimmen zu wollen, was unten passiert! Dieser Weg ist zum Scheitern verurteilt.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Ulrike Höfken, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann den Grünen bestimmt nicht mangelnde politische Hartnäckigkeit vorwerfen und unserer Ministerin ganz gewiss nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das, was Sie betreiben, ist aber eine hartnäckige Realitätsverweigerung.

(Peter H. Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Hast du überhaupt nicht zugehört?)

Die Stiftung Warentest – bestimmt nicht irgendwelcher politischer Ideologien verdächtig – sagt zum Beispiel, Übergewicht und Fehlernährung seien eine Epidemie.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Das ist unwissenschaftlich!)

Ich denke, auch Ihnen wird das Lachen noch vergehen, wenn es um das Thema „dicke Kinder“ geht.

   Die alten Landwirtschaftsministerien unter Ihrer Regierung haben, obwohl das Ministerium auch damals Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hieß, die Frage der Ernährung auf die Landfrauen abgeschoben – die hat man dann nicht ernst genug genommen – oder haben Ernährung zu einer Privatangelegenheit gemacht.

(Julia Klöckner (CDU/CSU): Warum sind die nicht in der Plattform mit dabei?)

Wir aber werden Ernährung weiter auf die politische Tagesordnung setzen, und zwar als politisches Thema.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Ich sage dies dann noch einmal: Wir werden nicht billigend in Kauf nehmen, wie die Menschheit in den Klauen von Cola und von Hamburgern krepiert.

(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP – Hans-Michael Goldmann (FDP): Das ist unerträglich! Ich finde das unverschämt!)

Das ist leider nicht übertrieben. Die WHO, die Weltgesundheitsorganisation, hat sehr klar gestellt: Die Hauptursache von nicht übertragbaren Krankheiten ist eine falsche Ernährung. Diese Ursache bedingt 60 Prozent der Todesfälle. Mehr Menschen – das ist tragisch – leiden inzwischen an Übergewichtigkeit als an Hunger. Wir sehen Handlungsbedarf bei beiden Feldern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unverschämt!)

   Das ist übrigens nicht nur weltweit ein Problem. Die Situation in Deutschland und in Europa ist genauso alarmierend. Hier besteht Handlungsbedarf. Wir werden FDP, CDU und CSU dabei weiter in die Pflicht nehmen. Wir werden nämlich nicht zulassen, dass die Verbraucher und die verzweifelten Eltern mit diesen Problemen allein gelassen werden. Eigenverantwortung ist ein großes Thema der Grünen und auch der Bundesregierung, genauso wie Aufklärung, genauso wie Information. Wir brauchen aber dort, wo diese Probleme nicht mehr durch Selbstverantwortung gelöst werden können, Schutz und politische Steuerung. Übrigens ist die Initiative der Bundesministerin – auch das muss man ganz klar sagen – eine Initiative, die vor allem auf Eigenverantwortung zielt.

   Wir werden aber nicht zulassen, dass sich Bacardi und Co mit den Alcopops weiter auf die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen orientieren. Wir werden auch nicht zulassen, dass weiter Werbefeldzüge für unsinnige Diäten die Jugendlichen in die Magersucht treiben. Wir werden auch nicht dulden, dass Fehlernährung weiter durch Fehlinformationen unterstützt wird.

(Abg. Ulrike Höfken hält ein „Qoo“-Tetrapack hoch)

   Ich habe – das mache ich jetzt zum zweiten Mal – dieses Produkt „Qoo“ der Firma Coca Cola mitgebracht. Ich habe diese Firma nicht besonders auf dem Kieker, das ist nur ein gutes schlechtes Beispiel. Es kostet übrigens etwa 10 Euro pro Liter. Auf der Packung steht: „Der gesunde Trinkspaß“. Das ist eine ganz klare Fehlinformation. Die Stiftung Warentest sagt: Es ist für Kinder nicht geeignet. Darum sehen wir an solchen Punkten Handlungsbedarf.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dass die Milch übrigens 23 Cent pro Liter kostet und molkehaltige Functional-food-Produkte 4 Euro pro Liter kosten, auch das werden wir weiter versuchen zu verändern.

   Wir sagen Ihnen: Schieben Sie die politische Verantwortung nicht weiter von sich. Wir wollen hier weiter gemeinsam vorangehen. Wir lassen insbesondere der FDP nicht weiter durchgehen, dass sie kein Verbraucherinformationsgesetz, das diesen Titel wirklich tragen kann, keine Unterstützung für die Haushaltsmittel für Verbraucheraufklärung, keine EU-weiten Verbote für solch irreführenden Werbungen und keine Beschränkung für Alcopops will. Sie wollen am liebsten nichts tun.

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollegin Höfken, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Goldmann?

Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Bitte.

Hans-Michael Goldmann (FDP):

Durchaus geschätzte Kollegin Höfken, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass diese Firma, die Sie jetzt schon einige Male als Krepierverursacher und als denjenigen genannt haben, der irgendetwas in die Klauen nimmt, in besonderem Maße Sponsor von Jugendveranstaltungen, von Jugendsport und auch von Erwachsenensport ist und zum Beispiel im Rahmen der Fußballeuropameisterschaft in Portugal besonderen Verpflichtungen nachkommt?

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was hat das mit Ernährung zu tun?)

– Haben Sie das verstanden? Soll ich das noch einmal wiederholen?

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich werde noch ein anderes Beispiel nennen. Wenn ich aus dem Wedding zur Arbeit fahre, komme ich an einem großen Sportgelände vorbei, wo sich ganz besonders Coca-Cola gerade für junge Menschen engagiert, die sonst wenig Chancen in unserer Gesellschaft haben. Halten Sie es vor diesem Hintergrund nicht schlicht und ergreifend für unfair, dass Sie dieses Unternehmen, ohne dass es eine Chance hat, sich zu wehren, hier wegen seiner Produkte an den Pranger stellen,

(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

die im Grunde genommen keineswegs so negativ einzustufen sind, wie Sie das hier getan haben? Ist das nicht unfair?

   Ich frage auch den Herrn Präsidenten: Ist es zulässig, dass man hier einen der größten Arbeitgeber in Deutschland in dieser Form in den Dreck zieht?

Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sie haben jetzt Ihre Interessensverteidigung deutlich genug gemacht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich denke, Freikaufen nein, Mitverantwortung und Selbstverpflichtung ja. Das ist der Weg, den wir beschreiten wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Damit habe ich Ihre Frage beantwortet.

   Sie selbst haben in Ihrem Antrag die Instrumente der WHO-Strategie herausgestellt. Dann lassen Sie uns doch einmal sehen, was diese WHO-Strategie eigentlich bedeutet. Denn diese Instrumente, die Sie fordern, lehnen Sie gleichzeitig alle ab: zum Beispiel in Schweden ein Werbeverbot, das sich auf Kinder unter zwölf Jahren richtet, zum Beispiel eine Fettsteuer in Großbritannien, zum Beispiel in Finnland Besteuerungs- und Subventionsabbauinstrumente im Hinblick auf die Lösung der Probleme bei Fehlernährungen.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Verbote! Gebote! Jawohl!)

Die WHO-Strategie, die Sie selbst erwähnen, greift die Steuerungsinstrumente der Politik massiv auf.

   Wir sagen: Eigenverantwortung ja, Selbstverpflichtung ja, aber nicht, ohne dass ordnungspolitische Instrumente, da wo es nötig ist, einbezogen werden. Wir fordern Sie auf, die Bundesregierung und Frau Ministerin Künast in ihrer Initiative zu unterstützen. Wir fordern Sie auf, bei den Ländern, gerade in Baden-Württemberg, Einfluss zu nehmen, dass sie die Verbraucherzentralen bei ihren Bemühungen in der Ernährungsaufklärung, die Sie hier so herausstellen, unterstützen und nicht weiter abbauen.

(Ursula Heinen (CDU/CSU): Mecklenburg-Vorpommern!)

Wir fordern Sie auf, die Themen Gesundheit, Ernährung und Bewegung in Bildung und Ausbildung mit uns auf allen Ebenen zu verankern. Wir fordern Sie auf, in die Puschen zu kommen. Es ist Zeit dazu. Bewegen Sie sich mit uns!

   Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Goldmann, weil Sie auch mich gefragt haben, antworte ich Ihnen: Ich denke, wir sind uns einig, das Recht auf die freie Meinungsäußerung, das besonders in diesem Hause gilt, schließt die Kritik an Firmen, seien sie noch so groß, ein. Da sind wir uns einig.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Hans-Michael Goldmann (FDP): Meinen Sie große Kinder und Firmen?)

– Firmen, so groß sie auch sein mögen, können in diesem Hause kritisiert werden. Das ist das Recht auf freie Meinungsäußerung.

   Ich erteile jetzt das Wort der Kollegin Julia Klöckner, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Julia Klöckner (CDU/CSU):

Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon ziemlich bizarr, dass wir uns heute über das Thema Ernährung bzw. Übergewicht und Fettleibigkeit unterhalten müssen. Man stelle sich eine solche Debatte einmal vor 40 Jahren oder aus dem Blickwinkel von Menschen ärmerer Kontinente vor. Just an diesem Ort wird zu anderer Zeit über Entwicklungszusammenarbeit und Welthungerhilfe debattiert. Wir müssen uns mit einem Luxusproblem in Deutschland auseinandersetzen, und nicht nur in Amerika, wohin jüngst Staatssekretär Berninger reiste, um fettleibige Kinder zu besichtigen.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich weiß nicht, was es gebracht hat. Wenn für so etwas Steuergelder ausgegeben werden, mag es ja in Ordnung sein.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das hat nur Geld gekostet!)

– Gekostet hat es einiges. Die dort gewonnenen Erkenntnisse waren so groß, dass sie in die heutige Regierungserklärung eingeflossen sind. Man kann es bei dieser Erklärung aber nur Steuergelderverschwendung nennen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Wir müssen eins sehen – das ist das Fatale –: Niemals zuvor hatten wir so viele gesunde Lebensmittel, wie wir sie heute haben.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Richtig!)

Das müssen wir einmal hervorheben, bevor hier ein Schlag gegen diejenigen entsteht, die Nahrungsmittel herstellen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Man bekommt fast den Eindruck, dass dies die Haupttäter und Kriminelle sind, weil sie Nahrungsmittel anbieten. Dass wir jetzt eine Auswahl an Nahrungsmitteln und etwas in den Regalen haben, dafür können wir erst einmal dankbar sein. Wie wir uns dann ernähren, ist dann unsere Sache. Ich möchte nicht, dass mir irgendwann ein Ministerium mein tägliches Carepaket vorschreibt. Ich habe das Recht, mich anders zu ernähren, als es mir die Regierung vorschreiben will.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Unerhört!)

   Frau Ministerin, es ist richtig – ich lobe Sie also –, dass Sie dieses Thema aufgreifen. Von Ihrer Rede war ich aber schon enttäuscht. Sie haben lediglich eine beschreibende Situationsanalyse gegeben. Das haben wir hinlänglich lesen können, aber nicht nur von Ihnen. Dieses Thema ist nicht von Ihnen erfunden worden, sondern ist seit langem bekannt. Ich hätte mir von Ihnen das gewünscht, was unsere Kollegin, Frau Heinen, aufgegriffen hat, nämlich zu sagen, was zu tun ist. Das hat mir in Ihrer Regierungserklärung gefehlt. Wenn Sie schon eine solche Erklärungsform wählen, wäre das sehr angebracht gewesen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Sie haben dieses Thema aus meiner Sicht viel zu spät aufgegriffen und sich zu sehr an Werbe- und Imagewirksamkeit ausgerichtet. In Ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage ist nachzulesen, dass sich die einzelnen Ministerien des Themas viel zu unkoordiniert annehmen. Sie aber schreiben vorab ein 270-seitiges Buch mit dem Titel „Die Dickmacher – Warum die Deutschen immer fetter werden und was wir dagegen tun müssen“.

(Gitta Connemann (CDU/CSU): Hört! Hört! Wo kann man das erwerben? – Ursula Heinen (CDU/CSU): Wann gibt es das?)

– Das soll im September erscheinen und 17 Euro kosten. Es ist also nicht für die Schichten, die eigentlich betroffen sind.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Nur Ihr Konterfei, Frau Ministerin, ziert das Buch „Die Dickmacher“. Ich halte es für sehr unpassend, dass nur Ihr Konterfei auf dem Buchumschlag zu sehen ist. Die Frage ist: Worum geht es Ihnen eigentlich, wenn Sie Ihr Bild auf einem solchen Buch abdrucken lassen? Geht es Ihnen um das Thema oder um Ihre Selbstdarstellung?

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann (FDP))

   Ich möchte noch eine Frage stellen: Was passiert eigentlich mit der angekündigten Ernährungsplattform? Gott sei Dank haben Sie Ihre Idee eines Zwangs- und Straffonds für Nahrungsmittelhersteller verworfen, weil Sie damit nicht durchkamen.

(Renate Künast, Bundesministerin: Die hatte ich nie!)

– Wenn Sie die nie hatten, müssen Sie Ihre Pressemitteilungen besser kontrollieren; denn nachzulesen ist dies.

   Wie ernst meinen Sie es überhaupt mit dieser Plattform? Sie sagen, Sie wollen sich mit Ärzten, Ernährungsberatern, Sportlern, Vertretern der Ernährungsindustrie – nicht mit den Landfrauen; Frau Höfken hat die Landfrauen hervorgehoben; es wäre schön, wenn man sie auch einladen würde – an einen runden Tisch setzen und mit ihnen Lösungsansätze erarbeiten. Jetzt frage ich mich: Tagt diese Plattform seit einem Jahr im Geheimen oder wie können Sie in Ihrem Buch sonst deren Lösungskonzept vorlegen? Ich kann mir darauf keinen Reim machen. Schon der Untertitel Ihres Buches „Warum die Deutschen immer fetter werden und was wir dagegen tun müssen“ deutet auf das Vorliegen einer Lösung hin. Entweder haben Sie mit dem Verlag vereinbart, dass das bis September noch kommt, oder diejenigen, die an Ihrer Plattform mitarbeiten, bekommen gesagt, was sie zu denken und zu sagen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann (FDP))

   Für uns ist es wichtig, dass Sie uns bitte mit einer Ernährungsdiktatur verschonen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das beste Beispiel hierfür ist das von Ihnen angestrebte Verbot der Health Claims. Wir sind auch gegen irreführende Werbung. Dafür gibt es aber schon Gesetze.

(Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ach so! – Hans-Michael Goldmann (FDP): Die ist verboten!)

– Es gibt diese Gesetze und es wäre schön, wenn Sie sich diese einmal zur Hand nehmen und überprüfen würden. Ein Verstoß dagegen wird mit Strafen sanktioniert.

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und von der FDP)

– Vielleicht könnten wir einmal klären, wer hier reden darf.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Frau Kollegin, Sie sind sehr gut zu verstehen. Auch bei Ihren Vorrednern gab es von der Fraktion der CDU/CSU Zwischenrufe und der Redner war trotzdem zu hören.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Julia Klöckner (CDU/CSU):

Da gab es aber keine trilingualen Gespräche, um persönliche Ansichten auszutauschen.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Vielleicht diskutieren Sie lieber mit uns als mit dem Präsidenten! Kommen Sie doch einmal zur Sache! – Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Wir warten die ganze Zeit!)

– Sie warten die ganze Zeit. Wir warten noch, bis die Regierungserklärung neu aufgelegt wird und wir wissen, was Sie tun wollen.

   Beängstigend ist für uns, dass in Ihrem Buch auf 32 Seiten Bilder von Kalorienbomben gezeigt werden.

(Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meine Güte! Was soll denn das?)

Sie kennen das Buch wahrscheinlich noch nicht. Verständlich, Ihre Überraschung! Man kann Nahrungsmittel nicht in gut oder schlecht, in Bio oder konventionell unterteilen. Entscheidend sind der Lebensstil, der Bewegungsstil und die Ernährungweise.

   Besonders hervorzuheben ist die Verantwortung der Eltern. Ich weiß, dass Sie ein Problem mit Familienbildern haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie können doch nicht sagen, dass der Staat eingreifen muss, weil die Eltern es nicht schaffen, ihren Kindern das Richtige zu essen zu geben, zu kochen und sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen. Man kann nicht nur Symptome behandeln; Sie müssen auch an die Wurzel gehen. Es bringt nichts, wenn Sie die Kinder in teuere Kuren schicken. Nach drei Monaten kommen sie nach Hause und das Elend geht von vorne los.

   Es ist nicht richtig, dass Sie ein Feuerwerk von Plattformen, Kampagnen und Bewegungen initiieren, sie aber nicht koordinieren. Die eine Aktion kommt aus dem Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, die andere aus Ihrem Ministerium, Frau Künast. Das letztgenannte Ministerium lässt zu den Themen Broschüren drucken, zu denen das erstgenannte Ministerium schon längst Broschüren bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Auftrag gegeben hat und inzwischen verteilen lässt.

   Ich verstehe nicht, warum Sie, Frau Künast, sich jetzt als die Entdeckerin der Übergewichtsprävention feiern lassen und glauben, Sie hätten dieses Thema erfunden und in Kindergärten, Schulen und Familien eingebracht. Die Schulen arbeiten schon längst mit entsprechenden Unterrichtsmaterialien. Ich finde, Sie sollten sich diese Unterlagen, die mit Steuergeldern finanziert wurden, zunächst einmal anschauen und dann überlegen, was man noch ergänzen kann.

   Ich freue mich, dass das Innenministerium heute vertreten ist; denn der Sport spielt auch eine Rolle. Dazu haben wir bisher leider noch nichts gehört.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Bewegung ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Thema. Fördern Sie doch bitte die Sportvereine und diejenigen, die ehrenamtlich tätig sind und damit eine soziale Aufgabe erfüllen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Gradistanac (SPD): Wer hat denn die Übungsleiterpauschale eingeführt?)

   Es herrscht, gelinde gesagt, ein Chaos bei der Abstimmung zwischen den Ministerien. Imagekampagnen – auch das müssen wir bedenken –, die diejenigen ansprechen, die es gar nicht angeht, helfen wenig. Ich weiß, dass damit auch Wähler angesprochen werden sollen. Das ist fein und in der Demokratie erlaubt. Es hilft aber denkbar wenig, wenn die betroffenen sozialen Schichten, in denen sich fehl ernährte Kinder befinden, die die meiste Zeit vor dem Fernseher und nicht auf dem Spielplatz verbringen und zu zuckerreich und zu fett essen, nicht angesprochen werden.

   Wir brauchen Vorbilder. Es ist kontraproduktiv – auch das muss man berücksichtigen –, wenn Fußballspieler für Fast-Food-Ketten Werbung machen.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Fordern Sie ein Verbot?)

   Fatal ist aber noch etwas anderes – das haben sowohl Kollegin Heinen als auch Kollege Goldmann angesprochen –: Versuchen Sie bitte nicht, aus einer Aktion oder einer Initiative ein kleines Feuerwerk zu veranstalten; das verpufft nämlich sehr schnell. Wir müssen ganzheitlich denken. Der Mensch ist ein ganzheitliches Wesen, er hat verschiedene Dimensionen. Eine Dimension davon ist die Frage, wo unsere Nahrungsmittel herkommen. Der Bezug zu den Nahrungsmitteln ist von Bedeutung. Wenn die Nahrungsmittel importiert werden, ich nicht mehr weiß, wo sie herkommen, ich nicht weiß, dass die Kuh nicht lila ist, muss ich daraus die Schlussfolgerung ziehen, dass ich den Berufstand fördern muss. Sie aber lassen die Bauern und Landwirte dahinvegetieren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Die Förderung der Bauern und Landwirte stellt eine gesamtgesellschaftliche Bereicherung dar. Sie kappen die Wurzel und beklagen anschließend, dass keine Blüte entsteht. Sie müssen sich schon für ein Ziel entscheiden und nicht hin- und herspringen.

   Wir kommen noch einmal auf das Thema Bewegung zu sprechen. Frau Künast, Sie haben in einigen Reden, unter anderem bei der Ernährungsindustrie, gesagt, dass die Folgen von Fehlernährung durch das geringe Ausmaß an Bewegung verschärft würden. Wir hingegen sagen, es ist keine Frage von Haupt- oder Nebenursache, sondern diese Themen sind gleichrangig. Diese Gleichrangigkeit gilt auch für das Thema Mangel- und Unterernährung. Bitte verschonen Sie uns davor, jetzt das eine Thema bevorzugt zu behandeln und im nächsten Jahr die Mangel- und Unterernährung auf die Plattform zu ziehen.

   Sie zitieren sehr gerne aus Studien. Sie müssten auch die der Charité gelesen haben, nach der 20 bis 30 Prozent der Patienten unterernährt sind und mit einem Gewichtsverlust von 10 Prozent eine Verdoppelung der Gesundheitskosten einhergeht.

   Bitte lassen Sie uns dieses Thema gesamtgesellschaftlich betrachten. Sprechen Sie, Frau Künast, auch einmal mit der Gesundheitsministerin. Es wäre schön, wenn sie heute auch anwesend gewesen wäre. Schließlich betrifft es sie auch, weil sie Gelder für Materialien bereitstellt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

   Wir bieten Ihnen unsere Hilfestellung an, sagen Ihnen gerne, wer mit diesem Thema befasst ist. Wir helfen Ihnen auch beim Koordinieren der Ministerien, wenn es sein muss. Wir sind für eine verantwortungsvolle, weitblickende und nachhaltige Politik, die im Denken und Handeln ideologie- und radikalitätsfrei ist und gesamtgesellschaftlich angelegt ist. Wir sind für eine Politik, die von einem mündigen Bürger und einer mündigen Bürgerin ausgeht, die von einem mündigen Verbraucher und Kunden ausgeht. Bei der Umsetzung einer solchen Politik helfen wir Ihnen sehr gerne.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Elvira Drobinski-Weiß, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Elvira Drobinski-Weiß (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Mit Dicken macht man gerne Späße
Dicke haben Atemnot
Für Dicke gibt’s nichts anzuzieh’n
Dicke sind zu dick zum Flieh’n

So hieß es Ende der 70er-Jahre in einem Lied über Dicke von Marius Müller-Westernhagen. Der Text war damals umstritten, Übergewichtige fühlten sich diskriminiert.

   Nun, was für Erwachsene gilt, gilt in verstärktem Maße für Kinder und Jugendliche. Wir haben es heute schon mehrfach gehört: Jedes fünfte Kind und jeder dritte Jugendliche in Deutschland ist zu dick und muss sich deshalb solche Späße über Dicke anhören. „Fettwanst“, „Fettsack“, „Schwabbelkuh“ – der Hohn der Altersgenossen kennt kaum Grenzen. Die Opfer solcher Beschimpfungen befinden sich in einem Teufelskreis, denn Spott und soziale Ausgrenzung führen zu Minderwertigkeitskomplexen und diese wiederum zu weiteren Fressattacken.

   Chips, Pommes, Hamburger, Schokoriegel und andere Süßigkeiten – alles zu süß und zu fett. Von allem zu viel wird wahllos heruntergeschlungen. Viele dieser Kinder haben kein Verhältnis zum Essen, zur Nahrung und damit auch zu ihrem Körper: Sie essen nicht, weil sie Hunger haben, sondern sie stopfen in sich hinein, den ganzen Tag lang, einfach so nebenher. Nur noch in wenigen Familien wird gemeinsam gegessen. Viele dieser übergewichtigen Kinder ernähren sich unbeaufsichtigt in Burger- und Imbissketten. Wann sie wirklich hungrig sind und was ihr Körper braucht, um sich wohl zu fühlen, dafür haben diese Kinder jedes Gefühl verloren. Ein so gestörtes Körpergefühl spiegelt sich auch in der Freizeitgestaltung der Kinder und Jugendlichen wider: Fernsehen und mit dem Computer spielen – das ist bequem, da ist ein zu schwerer, unbeweglicher Körper auch nicht im Weg. Bewegung dagegen, Sport, das ist anstrengend und da sehen dann auch alle, wie dick und unbeweglich man ist.

   Dicke Kinder sind arme Kinder, dies stimmt im doppelten Sinn: Sie sind arm, weil sie gehänselt und ausgegrenzt werden, und sie sind arm, weil sie eher sozial schwachen Strukturen entstammen. Die ohnehin knappen Mittel fließen dann meist nicht in gesunde – weil letztendlich doch teurere – Lebensmittel. Die Kinder werden sich selbst überlassen, nicht beaufsichtigt, nicht zu gesundem Essverhalten oder einer aktiven Freizeitgestaltung angeleitet. Diese armen Kinder sind aber zugleich „reich“: Sie bekommen viel Taschengeld, das sie dann für Pommes und Süßigkeiten ausgeben.

   Falsche Ernährung verursacht Krankheiten – wir haben es vorhin vielfach gehört –: Bluthochdruck, Zuckerkrankheit, Gefäßverkalkung, Gelenkerkrankungen, erhöhte Cholesterinwerte, – bis hin zum Herzinfarkt reichen die gesundheitlichen Folgen. Neue Studien zeigen zudem auch ein erheblich erhöhtes Krebsrisiko, insbesondere des Krebses der Speiseröhre und des Dickdarms, gerade bei übergewichtigen Kindern und Jugendlichen. Solche Krankheiten können bei ihnen keine Alterssymptome sein, worauf Frau Ministerin Künast vorhin schon in sehr dramatischer Weise hingewiesen hat.

   Übergewicht ist nicht allein ein deutsches Problem. Über 1 Milliarde übergewichtige Erwachsene und 17 Millionen übergewichtige Kinder weltweit meldet die Weltgesundheitsorganisation, WHO, in ihrem jüngsten Bericht über globale Strategien der Ernährung. Sie spricht von einer Epidemie, und zwar einer Besorgnis erregenden Epidemie.

   „Dicke Kinder kosten die Kassen 30 Milliarden Euro“ – so titelte die „Welt am Sonntag“ Ende Februar. Durch falsche Ernährung verursachte Krankheiten sind eben auch ein Kostenfaktor für das deutsche Gesundheitssystem. Für die Behandlung dieser Krankheiten geben die gesetzlichen Krankenkassen jährlich also rund 30 Milliarden Euro aus. Es besteht also ein dringender Handlungsbedarf. Durch ein bewussteres Ernährungsverhalten ließen sich ernährungsbedingte Krankheiten eindämmen und damit auch Mittel einsparen, die an anderer Stelle sinnvoll verwendet werden könnten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir müssen unsere Kinder und vor allem deren Eltern – das ist mir in den Beiträgen heute immer viel zu kurz gekommen – für das Thema „gesunde Ernährung“ sensibilisieren. Wir müssen sie über die fatalen Folgen eines falschen Essverhaltens aufklären. Dies ist natürlich, wie schon vielfach gefordert, auch eine wichtige Aufgabe der Kindergärten und Schulen. Dies ist aber auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

   In unseren Antrag, den wir heute hier einbringen, sind all diese Überlegungen mit eingeflossen. Zumindest ein Ziel ist auch dank der Bemühungen von Ministerin Künast um das Thema „gesunde Ernährung“ bereits erreicht worden: Die Medien sind aufmerksam geworden. Am 2. Juni 2004 erschien ein „Stern“-Artikel mit dem Titel: „Generation XXL“. Im April gab es im ZDF drei Sendungen unter dem Titel „Dicke Kinder – gefährliche Zukunft?“ „Geo“ hat ebenso wie „Die Zeit“ darüber berichtet. Das heißt, die Berichterstattungen über ungesunde Ernährungsgewohnheiten und ihre Folgen nehmen zu.

   Unser Ziel muss es sein, den Trend zum Übergewicht durch Ernährungsaufklärung abzuschwächen und möglichst umzukehren. Bei diesem Ziel sind wir uns sicher alle einig. Deshalb bitte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Initiativen zum Erreichen dieses Ziels über alle Fraktionsgrenzen hinaus zu unterstützen.

   Pommes und Hamburger ersetzen kein Mittagessen. Genauso wenig sind Süßwaren und Knabberartikel Lebensmittel im eigentlichen Sinne des Wortes, nämlich Mittel zum Leben. Wäre es nicht eine Überlegung wert, ob ein ungesundes Essverhalten nicht auch finanziell unattraktiver gestaltet werden sollte? Ist es gerechtfertigt, dass Süßwaren und Knabberartikel mit dem ermäßigten Umsatzsteuersatz von 7 Prozent besteuert werden?

(Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Das besprechen Sie einmal mit Ihrem Finanzminister!)

Schließlich hat der Gesetzgeber bei der Einführung der Umsatzsteuer nach dem Mehrwertsteuersystem zum 1. Januar 1968 entschieden, dass fast alle Nahrungsmittel – ausgenommen die meisten Getränke – aus „sozialpolitischen Erwägungen“ mit dem ermäßigten Satz besteuert werden. Was damals Sinn machte, ist vielleicht nicht mehr aktuell. Solche „sozialpolischen Erwägungen“ könnten gute Gründe dafür sein, ungesunde Nahrungsmittel finanziell unattraktiver und gesunde dafür attraktiver zu machen.

   Auch in anderen Ländern wird über solche Maßnahmen nachgedacht. In Australien – vorhin wurden auch schon andere Länder genannt – ist eine Fettsteuer im Gespräch, eine Sonderabgabe auf Pommes, Hamburger, Süßigkeiten und Süßgetränke.

(Max Straubinger (CDU/CSU): Enzymsteuer! Künaststeuer!)

Dort sind bereits 60 Prozent der Bevölkerung übergewichtig. Die Zahl der Kinder mit Diabetes ist enorm angestiegen.

   Ich möchte mit dem nochmaligen Appell an alle hier im Haus schließen, unsere Initiativen für eine gesündere Ernährung, für mehr Bewegung sowie gegen Übergewicht und die dramatischen gesundheitlichen Folgen zu unterstützen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollegin Drobinski-Weiß, dies war Ihre erste Rede hier, nachdem Sie erst vier Wochen Mitglied des Deutschen Bundestages sind. Unsere herzliche Gratulation.

(Beifall – Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Danke!)

   Ich erteile nun Cornelia Behm, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kriegs- und Nachkriegsgenerationen sind noch immer geprägt vom Hunger, den sie erlitten haben; Frau Klöckner wies vorhin darauf hin. Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt; der Teller wird aufgegessen; Essen wirft man nicht weg – diese Worte haben sich tief in das kollektive Gedächtnis eingeprägt. Am Ende der Nachkriegszeit kam die Fresswelle. Essen hatte nach dem Zweiten Weltkrieg für die Menschen große Bedeutung.

   Bedingt durch die deutsche Teilung sind jedoch auch in den Lebensgewohnheiten unterschiedliche Entwicklungen in den zwei deutschen Staaten zu erkennen. Im Westen begann der Siegeszug der Fertiggerichte. Gute Butter und Schokolade waren Zeichen des Wohlstands. Das eigene Auto wurde zum Statussymbol. Schwere körperliche Arbeit wurde durch Technik ersetzt. – Im Osten war die Auswahl an Fertiggerichten durchaus überschaubar. Es wurde mehr selbst gekocht. Statt Butter gab es Margarine. Schlagsahne war lange Zeit Bückware. Wir stellten sie zu festlichen Anlässen her, indem wir Butter und Milch mit dem Mixer wieder zusammenfügten. Dafür aber gab es Schulmilch und Schulessen, und zwar flächendeckend. Ich bin wohl nicht verdächtig, DDR-nostalgisch zu sein, sondern schildere das ganz wertfrei.

   Mit dem Mauerfall veränderte sich die Situation in Ostdeutschland plötzlich gravierend. Es hielten Fertigprodukte mit einem hohen Gehalt an Fett, Zucker, Zusatzstoffen und Geschmacksverstärkern Einzug. Eine Folge: Der Geschmack der Konsumenten wandelte sich. Beispielsweise trinken heute jüngere Leute auch in Ostdeutschland viel süßere Produkte als meine Generation. Eine weitere Folge: Kinder kennen Obst- und Gemüsesorten kaum noch im Rohzustand. Sie wissen nicht, wie man mit ihnen umgeht und wie ihr unverfälschter Geschmack ist.

   Was besonders schlimm ist: Kinder sitzen im Zimmer, während draußen die Autos „spielen“. Kinder dürfen nicht mehr allein zur Schule radeln oder laufen, sondern werden gefahren. Dazu kommt, dass Schulschließungen aufgrund zurückgehender Schülerzahlen die Schulwege verlängern und Schulbusse erforderlich machen. Sport ist das Schulfach, welches am häufigsten ausfällt. Schulsportgemeinschaften, die diesen Mangel ausgleichen, fehlen.

   Das Ergebnis dieser veränderten Lebensgewohnheiten ist bei Kindern besonders gut messbar. Eine Analyse der Einschulungs- und Schulabgangsuntersuchungen des Gesundheitsdienstes im Land Brandenburg stellt fest, dass die 1999 im Land Brandenburg untersuchten sechs- und 16-jährigen Kinder und Jugendlichen durchschnittlich schwerer und größer sind sowie höhere Body-Mass-Indizes als zehn Jahre zuvor haben. Dementsprechend hat der Anteil übergewichtiger und stark übergewichtiger Kinder und Jugendlicher zugenommen. Das ist in hohem Maße besorgniserregend; denn bekanntermaßen werden aus dicken Kindern auch meist dicke Erwachsene mit all den gesundheitlichen Problemen.

   Die Bundesregierung hat bereits zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um die Dreiecksbeziehung zwischen Bewegung, Ernährung und Gesundheit ins rechte Lot zu bringen. Doch die Maßnahmen des Bundes allein reichen nicht aus.

(Julia Klöckner (CDU/CSU): Das stimmt!)

Deshalb hat Bundesministerin Künast zu einer neuen Ernährungsbewegung für Deutschland aufgerufen. Hier haben auch die Länder und Kommunen ihren Anteil zu leisten. Frei nach dem Motto „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ muss die Trendumkehr bei den Kindern ansetzen. Kinder müssen wieder raus an die frische Luft, müssen lernen, dass Essen Kultur ist und Bewegung Spaß machen kann. Hier haben die Länder ihre Aufgabe.

   Wir brauchen in Kitas und Schulen den Lerninhalt Ernährung. Kinder sollen neben dem Schulessen auch Schulmilch bekommen. Das darf nicht an der Bequemlichkeit der Hausmeister scheitern, wie es mir erst jüngst aus Brandenburg geschildert wurde. Kinder müssen regelmäßig Sportunterricht erteilt bekommen. Vereinssport darf nicht kaputt gespart werden.

Schulen, vor allen Dingen Grundschulen, müssen fußläufig erreichbar sein. Länder und Kommunen müssen für sichere Schulwege sorgen, damit Kinder wieder mehr laufen und radeln können. Es gibt viel zu tun.

   Bei den Haushaltsberatungen können Landes- und Kommunalpolitiker beweisen, wie ernst sie es mit den Investitionen in die Zukunft meinen. Ich bin auf eine neue Ernährungsbewegung in Deutschland gespannt.

(Julia Klöckner (CDU/CSU): Ich bin auch gespannt!)

   Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Ich bin Abgeordnete der PDS.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Wir wissen das!)

   Um die Sache gleich auf den Punkt zu bringen: Die Agenda 2010 macht krank und dick. Das werde ich gleich begründen. Doch vorher einige Worte zur Initiative für eine neue Ernährungsbewegung in Deutschland. Wir, die PDS, unterstützen die Initiative von Frau Künast in vielen Punkten. Zum Beispiel ist die Aufforderung an die Lebensmittelindustrie, kalorien- und fettärmere Lebensmittel herzustellen, sehr vernünftig. Die Frage, an der sich das messen lassen muss, ist nur, ob die Lebensmittelindustrie dieser Aufforderung folgen wird. Da bin ich eher skeptisch.

   Frau Künast, bei mir entsteht oft der Eindruck, dass Sie die Menschen einfach nur besser erziehen wollen. Das halte ich nur zum Teil für richtig und möglich. Es ist hier schon erörtert worden, dass es viele Gründe gibt, warum sich Menschen ungesund ernähren. Einen Grund möchte ich an dieser Stelle besonders betonen, da er in dieser Debatte zwar schon angesprochen wurde, aber etwas zu kurz gekommen ist.

   Armut befördert eine ungesunde Ernährung. Der Sozialhilfesatz in Deutschland reicht bei einer Familie nur 20 Tage lang für eine gesunde Ernährung. Zu diesem Ergebnis gelangten Forscher der Universität Gießen in einer Studie. Aus finanziellen Gründen verpflegten sich Sozialhilfeempfänger vorwiegend mit Brot, Kartoffeln und Teigwaren

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Eigentlich ziemlich gut!)

– so die Ernährungswissenschaftlerin Lehmkühler, die diese Studie erarbeitet. hat. Für ausreichend Obst und Gemüse reicht das Geld nicht. Die Wissenschaftlerin berichtet von den gravierenden Folgen, die diese Fehlernährung besonders bei Kindern hat. Mit dem Begriff „Streckphase“ beschreiben Betroffene, dass sie Geld und Essensreste oft bis zur nächsten Geldüberweisung strecken müssen, damit ihr Haushalt über die Runden kommt bzw. überhaupt etwas zum Essen und Trinken auf den Tisch kommt.

   Unabhängig von dieser Studie aus Gießen möchte ich noch eine andere von der Universität Kiel anführen, die zu ähnlichen Ergebnissen über das Ernährungsverhalten von Kindern kommt. Dort wurde festgestellt – das ist wirklich alarmierend –, dass Jungen und Mädchen aus ärmeren Familien oft übergewichtig seien und gleichzeitig aufgrund der Mangelernährung an Minderwuchs litten. Wir reden hier nicht über Uganda oder den Sudan, wir reden über eines der reichsten Länder der Welt, über Deutschland.

   Es gibt eine soziale Gruppe, die wegen der Agenda 2010 immer größer werden wird, die sich nicht gesund ernähren kann, selbst wenn sie es wollte, weil diese Menschen einfach nicht genug Geld in der Tasche haben. Eine Voraussetzung für eine neue Ernährungsbewegung ist also auch die Bekämpfung von Armut in Deutschland.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

   Was Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün, mit der Agenda 2010 beschlossen haben, ist ein Armutsprogramm für weite Teile der Bevölkerung und damit, Frau Künast, ein Armutszeugnis für die Bundesregierung.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Das ist blanker Unsinn! Das wissen Sie ganz genau!)

– Das ist überhaupt kein Unsinn. – Zu Beginn des nächsten Jahres wird das Arbeitslosengeld II eingeführt werden. Was bedeutet Arbeitslosengeld II? Das bedeutet die Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe auf dem Niveau der Sozialhilfe. Das bedeutet, dass ein Mensch im Osten Deutschlands, der Arbeitslosenhilfeempfänger war und Arbeitslosengeld-II-Bezieher wird, nur noch 331 Euro, ein Arbeitslosengeld-II-Bezieher in Berlin und im Westen 345 Euro im Monat zur Verfügung haben wird. Ich frage Sie, meine Damen und Herren, und Sie, Frau Künast: Wie soll man sich im Osten von 331 Euro bzw. im Westen und in Berlin von 345 Euro gesund ernähren? Wie wollen Sie auf der Basis des Arbeitslosengeldes II eine gesunde Ernährungsbewegung für Deutschland durchsetzen? Das ist die entscheidende Frage.

   Die Frage des Übergewichts ist vor allen Dingen eine soziale Frage. Wenn diese soziale Frage nicht gelöst, sondern verschärft wird, wird sie diese Ernährungsbewegung behindern bzw. verhindern.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

   Sehr geehrte Frau Künast, bei mir entsteht der Eindruck, dass die von Ihnen vorgestellte Initiative zwar sehr gut gemeint ist, dass Sie viele gute Ideen haben und auch viele Menschen auf eine vernünftige Weise zusammengebracht haben, dass aber die zentrale Frage der sozialen Absicherung nicht beantwortet wird. Sie wird vielmehr durch die Agenda 2010 verschärft. Wenn die rot-grüne Bundesregierung dieses Armutsprogramm nicht korrigiert, wird in Deutschland keine Grundlage für eine gesunde Ernährung entstehen. Sie muss die Agenda 2010 korrigieren, damit das Ziel von Frau Künast umgesetzt werden kann. Dabei werden wir Sie gerne unterstützen.

   Vielen Dank.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Marlene Mortler, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Marlene Mortler (CDU/CSU):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir reden heute zur besten Sende- und Redezeit im Plenum über Ernährung und Bewegung. Ich habe durchaus Verständnis für die Menschen in unserem Land, die sich fragen: Habt ihr in Berlin keine anderen Sorgen?

   Die sozialen Sicherungssysteme kollabieren.

(Manfred Helmut Zöllmer (SPD): Das ist doch Blödsinn!)

Die Schuldenberge wachsen und lassen unseren Nachwuchs schon in jungen Jahren alt aussehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Ministerin Künast kämpft gegen Kalorien und Kilogramm. Gleichzeitig kämpfen Millionen Menschen auf der Welt um das nackte Überleben. Das ist verrückt. Es muss uns auch zu denken geben, dass unter diesen Hungernden Millionen Bauern sind. Es sind Bauern, die Lebensmittel – also Mittel zum Leben – erzeugen. Das ist die eine Seite.

   Wir beschäftigen uns heute mit der anderen Seite, nämlich damit, dass ernährungsbedingte Krankheiten, die schon im Kindesalter auftreten, massiv auf dem Vormarsch sind. Ein neuer Umgang mit Essen und Trinken, mit Lebensmitteln und dem eigenen Körper ist in der Tat eine wichtige Zukunftsaufgabe.

   Die Zahlen der WHO sind genannt worden. Auch die in Großbritannien angedachte Fettsteuer ist bereits angesprochen worden. Ich selber konnte im Rahmen einer Delegationsreise in die USA feststellen, wie viele dicke Menschen bzw. Kinder dort leben. Ehrlich gesagt war auch ich schockiert.

   Der „Focus“ schreibt in seiner neusten Ausgabe über die Wenig-Fett- bzw. Wenig-Kohlenhydrate-Manie in den USA. Superfett und superdürr sind Extreme; es sind keine Lösungen. Darüber sind wir uns sicherlich einig. Essstörungen sind im Gegensatz zu Übergewicht psychosomatische Störungen, die vor allem in der Pubertät auftreten. Sie wachsen sich nicht aus. Vielen wird die Magersucht zum Lebensinhalt.

   Eine exzessive Beschäftigung mit Körper und Gewicht sowie Diäten sind unter Jugendlichen weit verbreitet. Untersuchungen zeigen, dass sich bereits Sieben- bis Zehnjährige zu dick finden und Diät halten.

   Ich zitiere in diesem Zusammenhang Sie, sehr verehrte Frau Künast:

Ernährungsbedingte Krankheiten verursachen erhebliche Kosten. Sie werden auf etwa ein Drittel der Gesamtkosten unseres Gesundheitswesens geschätzt. Die Zahlen müssten uns eigentlich wachrütteln.

So äußerte sich Frau Künast im Mai 2001 vor dem Bundesverband der Verbraucherzentralen in Berlin. Ich hoffe, dass Sie nun nach drei Jahren endlich aufgewacht sind und dieses ernste Thema auch ernsthaft angehen, und zwar nicht als Event, sondern bitte nachhaltig!

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Ich als Bäuerin, Landfrau, Erzeugerin und Hauswirtschafterin habe meine persönliche Regel und Lebenserfahrung. Die beste Medizin ist für mich, Produkte der Saison und solche aus der Region zu genießen, und zwar bedarfsgerecht und – das ist das Sahnehäubchen obendrauf – abwechslungsreich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich gebe zu, dass das zwar verdammt einfach klingt, aber – vor allem in Berlin – oft sehr schwer umzusetzen ist.

(Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Frau Künast kämpft dafür!)

   Ich erkenne Ihre Bemühungen durchaus an, die Menschen in Deutschland wieder zu einem verantwortungsvollen Ernährungs- und Einkaufsverhalten sowie zu ausreichender Bewegung zu motivieren. Darin sind wir uns einig.

   Meine Anerkennung gilt aber auch allen Bäuerinnen und Bauern in Deutschland. Sie erzeugen entweder auf konventionelle oder auf ökologische Weise hochwertige Nahrungsmittel. Auf den Teller darf nur, was unserer strengen deutschen Gesetzgebung entspricht. Frau Ministerin, es spricht für sich, dass Sie immer wieder stillschweigend akzeptieren, dass viele ausländische Produkte importiert werden, die unseren Standards nicht entsprechen. Über diese Importe verlieren Sie kein Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Was aber nutzt die Erzeugung hochwertigster Nahrungsmittel, wenn andererseits Wissen um den sachgerechten Umgang und die Verarbeitung immer mehr verloren geht? Meine Tochter hat es einmal auf den Punkt gebracht, als sie gesagt hat: Mama, viele verstehen, aus den besten Zutaten das schlimmste Essen zu kochen. Wenn wir ehrlich sind, dann müssen wir zugeben, dass der schleichende Abschied von unseren Schulküchen zur Beschleunigung des negativen Trends beim Ernährungsverhalten beigetragen hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dabei sind unsere Kinder doch begeistert und interessiert, wenn sie Lebensmittelerzeugung, Lebensmittelverarbeitung und gesundes Essen richtig vermittelt bekommen.

   Nicht erst seit Frau Künast gibt es Aktionen und Projekte. Ich denke an dieser Stelle an die Landfrauen. Sie tagen zur Stunde parallel in Berlin und beschäftigen sich mit dem Thema „Hauswirtschaft und Ernährung“ wirklich ernsthaft. Ich denke unter anderem an die bayerischen Landfrauen, die sich zu Ernährungsfachfrauen fortgebildet haben und die sich im Rahmen des Ernährungsprojekts „Landfrauen machen Schule“ mit unseren Produkten auseinander setzen. Ich denke insbesondere an die Fachfrauen für Kinderernährung in Baden-Württemberg. Dieses Bundesland stellt alleine 500 000 Euro pro Jahr für Aufklärung zur Verfügung. Ich denke weiter an die Gesundheitsinitiative „Bayern aktiv“, durch die Kinder spielerisch erleben, welche Wirkungen ihr Ess- und Bewegungsverhalten auf ihren Körper hat. Ich denke ebenfalls an Schülerunternehmen zur gesunden Pausenverpflegung – sie werden fachlich und finanziell in Bayern unterstützt – oder an das Projekt „anschub.de“. Hier haben das Kultusministerium, die Barmer Ersatzkasse und die Bertelsmann-Stiftung von 2004 bis 2007 die Initiative ergriffen. Alles, was in der Schule zu einer gesunden Lebensführung beitragen kann, wird in der Modellregion Bad Kissingen mit Lehrern, Schülern und Eltern erprobt. Bestehende Aktivitäten wie Suchtprävention, gesunde Ernährung und die „Bewegte Schule“ werden in einem Gesamtkonzept gebündelt und wissenschaftlich begleitet.

   Mehr Gesundheit bedeutet mehr Lebensqualität und mehr Leistung in der Schule und später im Berufsleben, aber auch weniger Folgekosten für den Staat. Und mehr Bewegung ist auch mehr Lebensqualität. Deshalb habe ich in der letzten Woche auch eine Initiative des Deutschen Kinderhilfswerkes unterstützt, bei der es um die Forderung nach dem Recht von Kindern auf Spielen geht. Das ist ein Grundrecht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir alle kennen ja die Schilder „Spielen verboten“. Das müsste eigentlich umgekehrt sein.

   Mit der Macht der Medien und der Werbung sind weitere Einflussfaktoren hinzugekommen. Kinder bestimmen – das wissen wir – immer öfter, was auf den Tisch kommt. Sie haben die Hosen an und sind viel beachtete Konsumenten.

   Es ist schon richtig, wenn wir im Zusammenhang mit Kinderlebensmitteln von mehr Fett und Zucker sprechen. Ich möchte an dieser Stelle trotzdem eine Lanze für die Ernährungsindustrie brechen. Erstens reagiert sie nur auf Verbraucherwünsche und zweitens gibt es weder gesunde noch ungesunde Nahrungsmittel. Vielmehr kommt es auf die Dosierung an. Ehrlich gesagt, auch ich esse lieber ein Stück fetten als mageren Käse, weil ich diesen wirklich genießen kann. Aber ich esse vom fetten Käse etwas weniger.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Auch wenn Werbung vieles beeinflusst: Eltern können mit ihren Kindern noch immer direkt reden. Deshalb brauchen wir mehr Eigenverantwortung. Sie ist sozusagen Pflicht. Aber wir wissen, dass die Familien nicht alles leisten können. Frau Ministerin, Sie haben sich ja eine hohe Hürde gesetzt. Wenn wir Ernährungserziehung wirklich ernst nehmen, dann müssen wir dafür sorgen, dass sie durchgängig und flächendeckend in allen Altersstufen erfolgt.

Nur dann macht sie Sinn. Leider sind wir bisher über den Projektcharakter nicht hinausgekommen. Das ist der nächste weitere wichtige Schlüssel.

   Ferner gilt es, die verschiedenen Zielgruppen unterschiedlich anzusprechen. Wir wissen, dass die altersmäßige Entwicklung heute so schnell geht, dass Kinder, die zwei Jahrgänge auseinander sind, kaum mehr unter einen Hut zu bringen sind. Was für den Neunjährigen vor zehn Jahren noch wahnsinnig cool war, ist für den Neunjährigen heute bereits uncool. Den Sechsjährigen trennen Welten vom Vierjährigen; für den Achtjährigen ist der Sechsjährige ein Baby. Das heißt, die Kinderzeit verkürzt sich, Kinder lassen sich immer früher immer weniger sagen, abgesehen davon, dass Jungen und Mädchen eh in verschiedenen Universen leben. Meine Herren, nehmen Sie es mir nicht krumm: Mädchen sind schneller reif, Jungen tun nur so.

(Beifall bei der CDU/CSU – Jella Teuchner (SPD): Das hält sich bis ins hohe Alter!)

Ist ein Produkt für Jungen gut, kaufen es Mädchen trotzdem; ist ein Produkt für Mädchen gut, mögen es Jungen noch lange nicht. Gesunde Ernährung geht den Jungen an der Backe vorbei. Aber alle Kinder wollen, dass es toll und vielfältig schmeckt, dass Essen sich im Mund gut anfühlt und dass man im Mund damit spielen kann. Meine Damen und Herren, alle wissen inzwischen, dass Milch gesund ist. Aber wenn wir sagen, „Milch macht schön“, dann ist das ein größerer Anreiz, Milch zu trinken. Das heißt, wir müssen die Kinder dort abholen, wo sie stehen.

   Sie, Frau Ministerin, stehen mit Ihrer Pattform noch in den Kinderschuhen und wir befürchten, dass nach der medienwirksamen Sensibilisierung für dieses Thema die Aufmerksamkeit ohne eine grundsätzliche Verbesserung der Situation verpufft.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Marlene Mortler (CDU/CSU):

Ich bin beim vorletzten Satz. – Ich ziehe hier eine Parallele zur Agrarwende. In Wirklichkeit hat diese viel beschworene Agrarwende das Höfesterben beschleunigt. Meine Damen und Herren, die Vermittlung von Basiskompetenz bei Kindern und Jugendlichen wird nicht nur zu einer bewussten Ernährung führen, sondern auch zum mündigen Verbraucher. Daran, sehr geehrte Frau Ministerin, werden wir Sie messen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Jella Teuchner, SPD-Fraktion.

Jella Teuchner (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im letzten Jahr hat die Fast-Food-Kette, die heute schon namentlich erwähnt worden ist, ihren Markenauftritt komplett umgestaltet. Sie sponsert Sportwettbewerbe. Spaß, Bewegung und gesunde Ernährung sind die Themen, mit denen das Unternehmen in die Öffentlichkeit tritt, in erster Linie natürlich aus wirtschaftlichem Eigeninteresse.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Die wollen Steuern zahlen!)

   In vielen Diskussionen gilt dieses Unternehmen als Synonym für schlechte Ernährung. Dass das Unternehmen sein Image ändern will – weg vom Burger hin zum knackigen Salat mit Michael Ballack als Markenbotschafter –, zeigt, dass die Diskussion um gute Ernährung mittlerweile in unserer Gesellschaft angekommen ist. Wir brauchen diese Diskussion. Ich denke, darüber sind wir uns alle einig. Wir sind uns auch darüber einig, dass gerade der steigende Anteil übergewichtiger Jugendlicher besorgniserregend ist. Wir dürfen aber nicht nur über Kinder und Jugendliche sprechen, denn deren Ernährung wird ja zum großen Teil durch die Eltern geprägt.

   Das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft hat die Leserinnen und Leser der Zeitschrift „Eltern“ zu ihren Essgewohnheiten befragt. Das Ergebnis bei einer Zielgruppe mit überdurchschnittlichem Bildungsniveau: 22 Prozent der Familien essen seltener als einmal am Tag gemeinsam. 61 Prozent der Kinder verlassen den Tisch, bevor alle aufgegessen haben.

   Das Büro für Technikfolgenabschätzung beschreibt in seinen Basisanalysen zum TAProjekt „Entwicklungstendenzen von Nahrungsmittelangebot und -nachfrage und ihre Folgen“ eine Zunahme der Verwendung von so genannten Convienienceprodukten; Zeit, Interesse und Fähigkeit zum aufwendigen Kochen in den privaten Haushalten nehmen deutlich ab.

   Nun sind Fertiggerichte und Tiefkühlkost nicht per se schlecht oder ungesund. Aber eines zeigt diese Entwicklung deutlich: Wir nehmen uns nicht mehr die Zeit, die Ruhe oder die Muße, zu kochen und zu essen. Oft haben wir sie leider aber auch nicht. Wir haben es mit einer Entwicklung zu tun, durch die sich das Ernährungsverhalten verändert; gleichzeitig bewegen wir uns weniger, allein schon deshalb, weil wir im Normalfall im Sitzen arbeiten. Das Wissen um die Ernährung und um die Lebensmittel an sich geht verloren. Auch das halte ich für einen wichtigen Punkt.

   Es wird immer wieder von Kindern berichtet, die nur lila Kühe zeichnen, weil sie noch nie eine lebende Kuh gesehen haben. Glauben Sie denn wirklich, dass noch alle Erwachsenen wissen, wann man zum Beispiel mehlige oder fest kochende Kartoffeln verwendet? Die verschiedenen Jahreszeiten merkt man am Obstregal ja auch nur noch an dem Preis für Erdbeeren.

   Veränderte Lebensstile, ein verändertes Bewegungsverhalten und vor allem fehlendes Wissen um gesunde Ernährung, das sind die Gründe dafür, dass wir heute diese Debatte führen müssen. Wir alle kennen die Folgen der Fehlernährung für den Einzelnen und für die Gesellschaft. Wir müssen feststellen, dass die Lösung dieses Problems dringlicher wird. Wenn Kinder und Jugendliche Krankheiten bekommen, die eigentlich nur bei Erwachsenen bekannt sind, dann ist es höchste Zeit, zu handeln.

   Wir müssen dazu alle ins Boot holen: Die Eltern, die Kindergärten, die Schulen, die Ärzte, die Krankenkassen, die Verbraucherverbände, die Lebensmittelindustrie und die Werbewirtschaft. Sie alle müssen mithelfen, das Wissen um die Ernährung aufzubauen und vor allem Bewegung zu fördern.

   Wir brauchen aber auch eine Verbraucherinformation, die das Wissen um eine gesunde Ernährung vermittelt. Außerdem brauchen wir ein Produktangebot, das den Anforderungen an eine gesunde Ernährung entspricht. Es wird zu fett und zu süß gegessen; trotzdem gibt es kaum einen ungesüßten Fruchtsaft. Stiftung Warentest hat festgestellt, dass Produkte für Kinder zu viel Zucker, zu viel Fett und zu viel Kalorien enthalten. Hier haben auch die Lebensmittelhersteller eine Verantwortung, die sie wahrnehmen müssen.

   Wir können die Zeit aber nicht zurückdrehen. Unser Lebensstil hat sich geändert. Unsere Aufgabe ist jetzt, die Menschen darin zu unterstützen, ein Ernährungsverhalten zu lernen, das diesem Lebensstil entspricht. Das ist keine Aufgabe, die man den Märkten einfach so überlassen kann. Im Entschließungsantrag der FDP werden die Handlungsaufforderungen der WHO zitiert: weniger Fett, Salz und Zucker in bereits bestehenden Produkten, die Förderung von gesunder Ernährung und Bewegung durch alle gesellschaftlichen Gruppen und eine Unterstützung zur Durchsetzung dieser Ziele. Aber können Sie mir eigentlich erklären, warum Sie im Forderungsteil Ihres Antrages genau diese Handlungsaufforderungen so vehement ablehnen?

   Frau Heinen, Sie haben in Ihrer Rede gesagt, dass Sie eine Bündelung und eine Federführung wollen; andererseits haben Sie beanstandet, das Ganze sei eine Einmischung in Länderkompetenzen. Diese Aussage war also nicht ganz eindeutig.

   Ich komme auf die Ausführungen von Frau Klöckner zu sprechen. Eigentlich hatte ich den Eindruck, dass Sie heute früh ganz schlecht gefrühstückt haben. Der Bereich Sport ist in der Rede der Ministerin nämlich sehr wohl behandelt worden. Ich möchte schon daran erinnern, wer die Übungsleiterpauschale in diesem Bereich erhöht hat. Das waren doch wir, während Sie all die Jahre vorher geschlafen haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir konzentrieren uns in der heutigen Debatte auf Übergewichtige und Fehlernährung. Defizite zeigen sich aber auch bei alten Menschen in Form von Unterernährung und Austrocknung. Es ist daher richtig, dass es neben dem Programm „Kinder leicht“ das Programm „Fit im Alter“ gibt. Wir werden beide Programme fortsetzen und weiterentwickeln. Sie allein reichen aber nicht aus. Wir brauchen eine neue Ernährungsbewegung in Deutschland, an der sich möglichst alle gesellschaftlichen Gruppen beteiligen.

Heute Vormittag sprechen wir uns alle in dieser Debatte für eine gesunde Ernährung aus. Es ist jetzt gerade 11 Uhr. Heute Mittag werden die meisten von uns leider wieder keine Zeit dazu haben, in Ruhe etwas zu essen. Ich bin mir sicher, dass wir das Plenum auch heute nicht für eine Mittagspause unterbrechen werden. Trotzdem gilt auch heute: Wenn mittags nicht alle Abgeordneten im Plenum sind, dann sind die, die fehlen, ein Vorbild: Sie nehmen sich die Zeit fürs Essen.

(Julia Klöckner (CDU/CSU): Oder das Kochen! – Volker Kauder (CDU/CSU): Das ist eine ganz neue Begründung für das Fehlen!)

Ich wünsche dazu Ruhe und Muße. Ich wünsche eine gesegnete Mahlzeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile dem Kollegen Friedrich Ostendorff für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen das Wort.

Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! 49 Prozent der Bevölkerung sind übergewichtig, 13 Prozent stark übergewichtig. Übergewicht hat zwei Hauptursachen: mangelnde Bewegung, falsche Ernährung. Wir essen nicht mehr, sondern wir essen falsch.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Richtig!)

   Landwirtschaft und Ernährung sind untrennbar miteinander verbunden. Sitzen aber womöglich auch Bauern und übergewichtige Kinder in einem Boot? Sowohl Kinder als auch Bäuerinnen und Bauern bekommen schmerzhaft zu spüren, was es bedeutet, wenn eine Gesellschaft die Wertschätzung für ihre Nahrung verliert.

   Fehlernährung ist auch Folge von Missachtung und Unkenntnis der Herkunft und Qualität unserer Nahrungsmittel.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Sehr richtig!)

Für uns Bauern bedeutet diese Haltung einen oft gnadenlosen Preiskampf, weil die Bereitschaft fehlt, für gute Produkte gute Preise zu zahlen.

   Der Bereich Ernährung ist elementarer Bestandteil einer sinnvollen Agrarpolitik. Das hat man bei der CDU-Wahlwerbung mit dem Apfel erkannt. Die einseitige Lobbypolitik vergangener CDU/CSU-Zeiten hat aber zu einer Entfremdung zwischen Landwirtschaft und Verbrauchern sowie vor allem von unserer Nahrung geführt. Leider arbeitet die Opposition auch heute noch daran, diesen Prozess zu verstärken.

   Ministerin Künast und wir sind mit einer Agrarwende angetreten, die die Landwirtschaft und vor allem ihre Produkte wieder in die Mitte der Gesellschaft rückt.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Deshalb sind wir froh darüber, Frau Klöckner, dass sich unser Staatssekretär auch über die Ernährungspolitik anderer Länder informiert.

(Julia Klöckner (CDU/CSU): Wir auch!)

   Meine Damen und Herren, wie Sie wissen, wollen wir eine transparente Landwirtschaft, die sich nicht verstecken muss. So entsteht eine Situation, von der Bauern und Konsumenten gleichermaßen profitieren. Die Menschen merken wieder, dass Nahrungsmittel auch Lebensmittel sein können, aber auch, was Qualität, Regionalität und Jahreszeit bedeuten.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)

Wir müssen das Bewusstsein unserer Kinder schärfen, sie zum Beispiel auch wieder auf die Höfe bringen,

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Sonntag!)

damit sie erleben können, woher ihr Essen kommt.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Jawohl!)

Kindergeburtstage auf dem Bauernhof anstatt, wie heute, im Fast-Food-Restaurant sind für Kinder sicherlich auch sehr spannend.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Albert Deß (CDU/CSU): Dann müsst ihr verdeckte Ermittler einsetzen!)

   Wir müssen mit unseren Produkten aber auch in die Schulen gehen. Das Programm für 10 000 Ganztagsschulen, das wir aufgelegt haben, bietet die Chance auf 5 Millionen gesunde, frische Mahlzeiten pro Tag.

   Meine Damen und Herren, ist es wirklich ein Fortschritt, dass die Küche der unwichtigste Raum in der Wohnung geworden ist? Ich habe immer bedauert, dass die Hauswirtschaftslehre aus den meisten Lehrplänen gestrichen wurde. Dies wurde sogar als Erfolg moderner Schulpolitik gefeiert. Moderne Ernährungslehre muss wieder Schulfach werden.

(Beifall der Abg. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das Wissen darüber, wie ein Haushalt zu organisieren ist und Lebensmittel bearbeitet werden, ist vielleicht ebenso wichtig wie das Wissen über Informatik.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tauss?

Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Nein, im Moment nicht; das können wir zum Schluss machen.

   Wir wollen Fast Food nicht abschaffen, aber unsere Kinder müssen lernen, was sie wann wie oft essen dürfen. Slow Food und Good Food statt Fast Food, das ist die Zukunft. Viele unserer Mitmenschen haben das Kochen verlernt. Die Nahrungsmittelindustrie bringt mit viel Werbung immer neue Convenience-Food-Angebote auf den Markt, die oft nur sehr entfernt ahnen lassen, aus welchem Urprodukt sie entstanden sind. Schlimmer: Sie verführen unsere Kinder zum schnellen Essen nebenbei und schwören sie frühzeitig auf einen industriellen Durchschnittsgeschmack ein.

   Gezielte Kinderwerbung, meine Damen und Herren, müssen wir ächten. Warum sollen Kinder fragen, woher Lebensmittel kommen, wenn man ihnen Fertiggerichte – diese sind zu süß oder zu salzig, enthalten zu viele Kalorien, sind zu ballastarm, zu fett, zu vitaminarm und auch zu teuer – vorsetzt?

(Beifall der Abg. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   1 Kilogramm konventionell angebaute Kartoffeln kostet 30 Cent, 1 Kilogramm Biokartoffeln 50 Cent, eine Tüte Chips, 200 Gramm, 99 Cent; heute Morgen noch im Edeka-Markt gesehen. Das heißt, die konventionell angebauten Kartoffeln, legt man den Preis der Tüte Chips zugrunde, kosten pro Kilogramm 4,95 Euro.

Unsere guten, frischen Produkte müssen wieder zurück auf die Speisekarte, auch deshalb, weil sie viel preiswerter sind. Richtige Ernährung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Hier geht Aufklärung vor Gewinnmaximierung; denn die Folgekosten müssen wir alle tragen.

   Meine Damen und Herren, rot-grüne Agrar-, Ernährungs- und Verbraucherpolitik will nicht nur regionale und verbrauchernahe Lebensmittelproduktion, sondern auch den Umgang mit guten Lebensmitteln fördern. Deshalb brauchen wir die Ernährungsplattform. Neben der auch sehr wichtigen Frage des Bewegungsmangels – hier gilt für uns alle: Jeder Gang macht schlank – sind frische Lebensmittel sicherlich ein entscheidender Hebel, einer falschen Ernährung durch Fertigprodukte zu begegnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort an den Kollegen Jörg Tauss.

Jörg Tauss (SPD):

Lieber Herr Kollege, ich freue mich sehr, dass auch unser Ganztagsschulprogramm gewürdigt worden ist. Die Würdigung des Ganztagsschulprogramms unter dem Gesichtspunkt der Einrichtung von Schulküchen, die dazu führen, dass die Schülerinnen und Schüler gesund ernährt werden, wäre doch möglicherweise der geeignete Anlass für die Opposition, endlich ihre diskriminierende Definition des Ganztagsschulprogramms als Suppenküchenprogramm aufzugeben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, es wäre höchste Zeit, hier wieder die Kirche ins Dorf zu stellen, sich für diese Polemik zu entschuldigen und deutlich zu machen, dass die Ganztagsschule selbstverständlich auch dazu da ist, die vernünftige Ernährung von Kindern sicherzustellen. Wenn wir davon in Zukunft ausgehen könnten, hätten wir in diesem Punkt schon einmal Einigkeit erzielt.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Wir sind für Kirchen im Dorf!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege Ostendorff, Sie können antworten.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Der meinte ihn doch gar nicht, sondern uns!)

Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Danke, Herr Tauss, für diesen Hinweis. Ich denke, dass wir hier einen sehr wichtigen Baustein dafür setzen, um unsere Kinder wieder an die Ernährung mit frischen und gesunden Produkten zu gewöhnen. Wir erleben, dass gerade die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Ganztagsschulen – hier spreche ich aus eigener Erfahrung; denn unser Betrieb beliefert seit vielen Jahren Kindertagesstätten und Schulen mit Produkten von unserem Hof – für die Vermittlung der Bedeutung von gesunden und frischen Nahrungsmitteln sehr wichtig sind; denn die Küchenleiterinnen und -leiter sind in der Regel sehr engagiert. Sie sind wichtige Multiplikatoren und sorgen dafür, dass auch die Kinder, die von zu Hause nicht genügend an diesem Punkt mitbekommen, angehalten werden, sich mit der Frage, wie sie sich richtig ernähren können, auseinander zu setzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann (FDP))

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Ich schließe die Aussprache.

   Die Entschließungsanträge auf den Drucksachen 15/3323 und 15/3324 sollen zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft und zur Mitberatung an den Sportausschuss, den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, den Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung und an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

   Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/3310 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

   Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 sowie Zusatzpunkt 6 auf:

4. Erste Beratung des von den Abgeordneten Uwe Schummer, Werner Lensing, Katherina Reiche, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung der dualen Berufsausbildung in Deutschland durch Novellierung des Berufsbildungsrechts

– Drucksache 15/2821 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)RechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsausschuss

ZP 6 Erste Beratung des von den Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, Christoph Hartmann (Homburg), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Berufsausbildungsrechts

– Drucksache 15/3325 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Maria Böhmer, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Deutschland gibt es erhebliche Probleme und Hindernisse in Bezug auf die Ausbildung und Beschäftigung junger Menschen. Wir alle kennen die Gründe dafür sehr genau. Die Probleme sind auch nicht mit der gestrigen Vereinbarung vom Tisch. Wir sind nämlich konfrontiert mit einer katastrophalen wirtschaftlichen Lage, mit zu hohen Lohnkosten und mit einer oft unzureichenden schulischen Vorbildung der Auszubildenden und einem veralteten Berufsbildungsrecht. In den letzten sechs Jahren hat die Koalition keines dieser Probleme gelöst. Im Gegenteil: Es ist schlimmer geworden, anstatt dass es besser geworden wäre.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Jörg Tauss (SPD): Sie glauben diesen Blödsinn wohl auch noch!)

   Jetzt muss dringend umgesteuert werden. Wir brauchen eine bessere Wirtschaftspolitik. Wer mehr Ausbildungsplätze will, muss der Wirtschaft die richtigen Chancen geben. Wir brauchen eine Verbesserung im Bereich des Berufsbildungsrechts. Alle Stellschrauben sind zu justieren, um jungen Menschen eine Chance zu geben. Ich spreche hier bewusst von Stellschrauben und nicht von Daumenschrauben;

(Beifall bei der CDU/CSU)

denn die Ausbildungsplatzabgabe, die Sie hier im Deutschen Bundestag verabschiedet haben, war ein großer Fehler. Dieses Gesetzt war getragen von einem tiefen Misstrauen gegenüber Unternehmern, Handwerkern und Selbstständigen in Deutschland. Eine Zwangsabgabe einführen zu wollen war der größte Fehler, den Sie je gemacht haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Christoph Hartmann (Homburg) (FDP))

   Zu einer vertrauensvollen Kooperation sind Sie noch immer nicht in der Lage. Das zeigt sich allein daran, dass Sie konstant die Anstrengungen ignoriert haben, die die deutsche Wirtschaft im letzten Herbst mit ihrem Programm „Chancengarantie 2003“ unternommen hat, um zusätzliche Ausbildungsplätze einzuwerben. Noch wichtiger ist, dass es gelungen ist, viele Jugendliche in echten Ausbildungsverhältnissen unterzubringen.

   Unter den jetzigen schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen, von denen wir alle wissen, was sie für jedes einzelne Unternehmen bedeuten, verpflichtet sich die Wirtschaft, 30 000 neue Ausbildungsplätze und 25 000 Praktikumsplätze bereitzustellen. Das ist unter den gegebenen Bedingungen mehr als beachtlich. Wir begrüßen das und sagen herzlichen Dank für diese Initiative der Wirtschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Christoph Hartmann (Homburg) (FDP) – Jörg Tauss (SPD): Vielen Dank! Vielen herzlichen Dank!)

   Dass die Selbstverpflichtung der Bundesregierung, Herr Tauss, auf tönernen Füßen steht, das wissen wir; denn Ihre Politik ist durch das Leitmotiv „Versprochen – gebrochen“ gekennzeichnet. In dieser Situation wird sich die Wirtschaft und werden sich die Jugendlichen wiederfinden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Ich will Sie an dieser Stelle ganz deutlich vor Selbstlob und Legendenbildung warnen. Ich zitiere die „Süddeutsche Zeitung“ von heute, die mit Blick auf den Ausbildungspakt auf Ihr Selbstlob eingeht:

Dieses Argument … lässt außer Acht, welche fatalen Auswirkungen die Debatte der vergangenen Monate bereits hatte. In der Realität, in den Betrieben also, hat das Projekt Ausbildungsabgabe zum Gegenteil des Gewünschten geführt: Die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze liegt heute um 23 000 niedriger als vor einem Jahr.

Dies sei, so die „Süddeutsche Zeitung“, vor allem als Folge des Vertrauensverlustes der Unternehmen in die Politik der rot-grünen Bundesregierung zu interpretieren. – So ist es und nicht anders.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Wäre es nach Ihnen gegangen, Frau Bulmahn und auch die rot-grüne Regierungskoalition, dann wäre heute die kontraproduktive Ausbildungsplatzgabe Gesetz und Realität.

(Werner Lensing (CDU/CSU): Das muss man sich einmal vorstellen!)

Nur weil die Union – das sage ich mit Fug und Recht – den Vermittlungsausschuss angerufen hat,

(Nicolette Kressl (SPD): So ein Blödsinn!)

haben wir den Weg freigemacht und dafür gesorgt, dass die Wirtschaft bereit war, einen solchen Ausbildungspakt zu schließen.

(Lachen der Abg. Nicolette Kressl (SPD))

- Sie können darüber lachen, liebe Frau Kressl; das zeigt, dass Sie noch nicht einmal das Verfahren kennen, nach dem im Bundesrat gearbeitet wird. Wenn wir nicht Nein gesagt hätten, gäbe es heute die Ausbildungsplatzabgabe mit einer monströsen Bürokratie.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Christoph Hartmann (Homburg) (FDP))

   Ich sage Ihnen auch ganz klar: Wir werden den Wunsch von Herrn Müntefering, der erklärt, dass die Ausbildungsplatzabgabe ruhen solle, auf keinen Fall erfüllen. Wir bleiben bei unserer Linie: Das Gesetz ruht nicht, es gibt keine Hängepartie; das Gesetz muss weg. So werden wir im Vermittlungsausschuss verfahren und Sie werden dort Farbe bekennen müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Christoph Hartmann (Homburg) (FDP))

   Liebe Frau Kressl, im „Spiegel“ konnte ich nachlesen, wie überrascht Sie waren, dass Herr Müntefering jetzt eine Kehrtwendung vollzogen hat, um sich, wie der „Spiegel“ schreibt, „ohne großen Gesichtsverlust aus der Affäre zu ziehen“. Liebe Frau Kressl, wir waren nicht überrascht; denn wir wissen, dass die SPD und die Grünen jeden Tag gut sind für ein Überraschungsei, das sie dem Land und den Bürgerinnen und Bürgern ins Nest legen. Seit fünfeinhalb Jahren widerlegen Sie mit aller Kraft die Lebensweisheit von Wilhelm Busch, die da lautet: „Stets findet Überraschung statt, da, wo man’s nicht erwartet hat.“ Von Ihnen könnten wir dagegen stets eine neue Kehrtwende erwarten.

(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss (SPD): Sie haben zu viele Überraschungseier gegessen!)

Wir brauchen ein modernisiertes Berufsbildungsrecht. Deshalb haben wir eine Gesetzesnovelle vorgelegt. Das duale Ausbildungssystem muss gestärkt werden. Es ist die tragende Säule unserer beruflichen Ausbildung. Es ist und war die Grundlage für eine gute wirtschaftliche Entwicklung – wir sind oft darum beneidet worden –, aber es muss den neuen Anforderungen angepasst werden.

   Wir kritisieren, dass die Bundesregierung bis heute keine Kabinettsvorlage – sie hat lediglich Eckpunkte vorgelegt – zustande gebracht hat. Frau Bulmahn, jetzt gibt es einen Referentenentwurf, mit dem Sie einen gefährlichen Weg beschreiten. Sie beschreiten den Weg einer langsamen, aber stetigen Aushöhlung der dualen Ausbildung; denn wenn Sie Vollzeitschulen mit der dualen Ausbildung in Schule und Betrieb gleichsetzen, dann ist das kontraproduktiv und unverantwortlich. Sie wissen genau: Die Vermittlungschancen junger Menschen mit vollzeitschulischer Ausbildung sind geringer als die derjenigen, die im dualen System ausgebildet wurden. Deshalb muss das duale System gestärkt werden, statt Irrwege zu beschreiten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Nicolette Kressl (SPD): Indem Sie Ausbildungsvergütungen kürzen!)

   Die FDP hat nachgezogen. Ich sage herzlichen Dank dafür, dass wir in vielen Fällen eine große Übereinstimmung haben.

(Jörg Tauss (SPD): Während Ihrer Regierungszeit gab es die bei diesem Thema nicht!)

Wir werden alles daransetzen, die Novellierung des Berufsbildungsrechtes so schnell wie möglich zu realisieren.

   Ich will vier Punkte nennen, auf die es uns ankommt – die Kollegen Schummer, Lensing und Dobrindt werden diese Punkte dann noch im Detail darlegen –: Wir wollen modernisieren, indem wir eine beschleunigte Überarbeitung und Neufassung von rund 350 Ausbildungsordnungen angegangen sind. Wir haben damit schon in unserer Regierungsverantwortung begonnen. Ich darf daran erinnern, dass wir allein 1997 mit Blick auf die neuen IT-Komponenten Ausbildungsordnungen für 49 Berufe neu geschaffen und vorgelegt haben. Aber wir brauchen schnellere Verfahren. Eine Dauer von derzeit acht Monaten ist zu lang. Deshalb schlagen wir eine Verfahrensstraffung vor.

(Jörg Tauss (SPD): Zwei Wochen!)

   Wir sprechen uns auch für gestreckte Prüfungen aus; denn es macht keinen Sinn, in Zwischenprüfungen nur den aktuellen Stand abzufragen, aber das Ergebnis nicht in die Abschlussprüfung eingehen zu lassen.

   Wir setzen auf Flexibilisierung durch eine Ausbildung in Stufen und wir wollen der Internationalisierung Rechnung tragen, indem wir sagen: Auch im Ausland erworbene Ausbildungen müssen angerechnet werden. Dazu brauchen wir einen europatauglichen Ausbildungspass.

(Jörg Tauss (SPD): Guten Morgen!)

- Lieber Herr Tauss, „Guten Morgen“ gilt für Sie;

(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

denn Sie haben bis heute noch nicht einmal einen Gesetzentwurf vorgelegt, über den wir im Parlament verhandeln könnten. Das ist ein Offenbarungseid.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Volker Kauder (CDU/CSU): Offenkundige Inkompetenz in Berlin, sagen die Sozialdemokraten!)

   Ich will zwei Punkte ansprechen, von denen ich denke, dass sie weit über die Frage hinausreichen, wie wir das Berufsbildungsrecht – dies muss dringlich erfolgen – reformieren. Wir müssen in einer Wissensgesellschaft darauf achten, dass die berufliche Ausbildung mit schulischer Bildung und anschließender Weiterbildung vernetzt ist. Auch hier treffen wir bei der Koalition auf einen Leerraum. Bis heute haben Sie kein schlüssiges Konzept für lebenslanges Lernen vorgelegt. Wir werden auch in dieser Sache eine Vorlage in das Parlament einbringen.

   Der letzte Punkt, den ich ansprechen will: Es muss uns alle umtreiben, dass die Bugwelle der Hoffnungslosen immer größer wird.

(Zurufe von der SPD: Aha! – Endlich!)

Sie haben in Ihrer Koalitionsvereinbarung 2002 geschrieben:

Unser Ziel ist: Kein junger Mensch darf nach der Schule in die Arbeitslosigkeit entlassen werden.

Wir haben derzeit 500 000 junge Menschen unter 25 Jahren, die arbeitslos sind. Denen ist mit all dem, was Sie bisher getan haben, nicht gedient und nicht geholfen worden. Sie müssen umsteuern. Wir wollen eine bessere schulische Vorbereitung, eine Modularisierung, -

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Frau Kollegin!

Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU):

– die auch in die Schule hineinreicht. Wir wollen eine stärkere Vernetzung zwischen Schule, beruflicher Ausbildung und Weiterbildung; nur so können die jungen Menschen in einem veränderten Ausbildungs- und Arbeitsmarkt bestehen.

   Wir haben Ihnen heute eine Novelle für das Berufsbildungsgesetz auf den Tisch gelegt.

(Jörg Tauss (SPD): Novelle? Ein Wisch, keine Novelle!)

Greifen Sie zu, wie Ihr Kollege Clement gesagt hat! Sie haben die Aufgabe, sofort tätig zu werden. Frau Bulmahn, zögern Sie dieses Gesetzgebungsvorhaben nicht unnötig hinaus! Handeln Sie jetzt! Das sind wir den jungen Menschen in unserem Land schuldig.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Edelgard Bulmahn.

(Beifall bei der SPD)

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Wenn es eine gesellschaftspolitische Aufgabe gibt, die wir vor allen anderen zu lösen haben, dann ist es die, sicherzustellen, dann jungen Menschen eine qualifizierte Ausbildung ermöglicht wird.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich bin froh, dass wir uns gestern mit einem nationalen Ausbildungspakt zwischen Bundesregierung und der Wirtschaft in aller Deutlichkeit dazu verpflichtet haben, zusätzliche Ausbildungsplätze für die jungen Menschen in Deutschland bereitzustellen und ihnen damit vor allen Dingen die Chance – die Lebenschance, die Ausbildungschance – zu geben, die sie brauchen. Der Ausbildungspakt ist deshalb vor allem ein Erfolg für die jungen Menschen.

   Der nationale Ausbildungspakt ist ein Riesenschritt. Wir müssen in diesem Jahr aber noch spürbare Effekte auf dem Ausbildungsmarkt erzielen; denn auf dem Prüfstand steht auch das duale System der beruflichen Bildung. Ohne zusätzliche betriebliche Ausbildungsplätze können wir weder sicherstellen, dass alle Jugendlichen ein Ausbildungsplatzangebot erhalten, noch, dass die Wirtschaft die qualifizierten Arbeitskräfte bekommt, die sie braucht.

   Meine sehr geehrten Damen und Herren, nur mit einer qualifizierten Ausbildung können wir junge Menschen für unsere Gesellschaft gewinnen. Nur so sichern wir den Jugendlichen die Teilhabe und die Möglichkeit, insbesondere ihre Berufschancen wahrzunehmen. Nur so können wir sicherstellen, dass wir in zehn und auch in 20 Jahren qualifizierte Menschen haben, die bereit sind, für dieses Land, für unsere Gesellschaft zu arbeiten, die bereit sind, den Wohlstand zu sichern und unserem Land eine Zukunftsperspektive zu geben.

   Eine qualifizierte Ausbildung sicherzustellen ist aber auch deshalb eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen Aufgaben, weil sich Unternehmen eben nur mit gut ausgebildeten Menschen im internationalen Wettbewerb behaupten können. Ich weise zu Recht immer darauf hin, dass wir schon nach den Daten, die uns jetzt vorliegen, aufgrund der demographischen Entwicklung davon ausgehen müssen, dass, wenn wir auf der jetzigen Entwicklungsstufe stehen blieben, in zwölf oder 13 Jahren rund 3,5 Millionen qualifizierte Fachkräfte fehlen würden. Deshalb muss es uns gelingen, das, was wir im Pakt vereinbart haben, umzusetzen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Es geht nicht nur um ein einfaches Plus, also um bloße Quantität. Es geht vor allem auch um die Weiterentwicklung der Qualität der beruflichen Bildung, und zwar auf allen Ebenen.

(Ulrike Flach (FDP): Dann wird es aber Zeit!)

Mehr Qualität in der beruflichen Bildung, dieses Ziel verfolgt die Bundesregierung mit dem Gesetz zur Reform des Berufsbildungsgesetzes. Ich habe im Februar 2004 die Eckwerte zur Reform der beruflichen Bildung vorgelegt. Wir haben vor anderthalb Jahren – einige in diesem Haus haben das offensichtlich vergessen – bereits eine kleine Novelle des Berufsbildungsgesetzes durchgeführt, die zum Beispiel die Schaffung von Qualifikationsbausteinen beinhaltete. Ich bedaure, dass offensichtlich auch diejenigen, die eigentlich Verantwortung für diesen Politikbereich tragen, das gar nicht zur Kenntnis genommen haben. Das wundert mich, ganz offen gesagt, ein wenig. Ich denke, man liest zumindest die Gesetze, für die man Verantwortung trägt und die man hier beschließt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tauss?

(Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Ungern!)

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung:

Aber selbstverständlich.

Jörg Tauss (SPD):

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Ich teile Ihre Einschätzung, was die Anforderungen an die künftige Berufsausbildung und die Qualität der Berufsausbildung – auch im internationalen Vergleich angeht, vollständig. Würden Sie mir unter diesem Gesichtspunkt vielleicht sagen, welchen Sinn es dann hat, wenn im Gesetzentwurf der CDU/CSU steht:

Zum anderen gibt es bei Lehrlingen

sie meinen wohl die Auszubildenden

und in den Betrieben nach wie vor ein Bedürfnis nach weniger komplexen Tätigkeiten.

Sind Sie wie die Union der Auffassung, dass wir in Zukunft mit weniger komplexen Tätigkeiten, mit weniger Qualifikation in den Betrieben zu rechnen haben, oder glauben Sie, dass das Ziel „mehr Qualität“ den Zukunftsanforderungen gerecht wird?

(Zurufe von der CDU/CSU)

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung:

Ich teile die Auffassung, die in dem Antrag zum Ausdruck gebracht wird, nicht. Ich halte sie, offen gesagt, auch für etwas schlicht. Ich bin der Auffassung, dass in der beruflichen Ausbildung immer mehr Qualifikationen gefordert werden. Es gibt eine klare Entwicklung in unserer Wirtschaft: Die Anforderungen an die Qualifikationen steigen.

   Ich halte es zweitens für wichtig, den Jugendlichen unterschiedliche Einstiegs- und Qualifikationswege anzubieten. Das System der beruflichen Bildung muss es den Jugendlichen ermöglichen, sich ausgehend von ihrer beruflichen Bildung weiterbilden zu können. Das ist ein wichtiger Eckpunkt des Gesetzentwurfs. Ich halte es für das Entscheidende, dass wir den Jugendlichen entsprechend ihrer Voraussetzung unterschiedliche Angebote und Wege eröffnen. Es reicht nicht aus, simpel zu sagen, man brauche einfach weniger komplexe Anforderungen. Wir brauchen unterschiedliche Wege.

   Ich mache es der CDU/CSU zum Vorwurf, dass sie ein Modell entwickelt hat, das zu schlicht ist. Es wird weder den Anforderungen der Jugendlichen noch denen der Wirtschaft gerecht.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zusatzfrage des Kollegen Kauder?

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung:

Auch diese gestatte ich, selbstverständlich.

(Jörg Tauss (SPD): Jetzt wird es wieder schlicht! – Gegenruf des Abg. Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Tauss, du warst schon dran! So schlicht kann es nicht mehr werden!)

Volker Kauder (CDU/CSU):

Frau Ministerin, ich stelle meine Frage im Nachgang zu dem, was Herr Tauss gesagt hat. Ich habe hier einen Artikel aus der „Stuttgarter Zeitung“, in dem der frühere Vorsitzende der SPD in Baden-Württemberg, Ulrich Maurer, sagt:

Leider ist das Ausmaß offenkundiger Inkompetenz so groß, dass wir nicht nur ein Problem mit dem falschen Kurs haben, sondern auch mit fehlendem Vertrauen ...

   Was sagen Sie zu diesem Vorwurf aus den eigenen Reihen?

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Christoph Hartmann (Homburg) (FDP))

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung:

Herr Kauder, ich besitze eine eigene Urteilsfähigkeit; ich hoffe, Sie auch. Oder müssen Sie sich schon auf Presseartikel beziehen, um sich ein Urteil bilden zu können? Ich stimme der darin genannten Beurteilung nicht zu. Da ich über eine eigene Urteilsfähigkeit verfüge, will ich noch einmal auf den Kern zurückkommen.

   Ich bedauere es, dass sich die CDU/CSU an der Anhörung zum Referentenentwurf, die heute stattfindet, nicht beteiligt. Stattdessen tut Frau Böhmer so, als ob es diesen Referentenentwurf gar nicht gäbe.

(Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): Es geht um eine Kabinettsvorlage!)

Ich möchte Sie ermuntern, sich konstruktiv an der Arbeit und an der Debatte über diesen Gesetzentwurf zu beteiligen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich denke, die Arbeit daran liegt im Interesse unserer gesamten Gesellschaft.

(Ulrike Flach (FDP): Sind wir denn dazu eingeladen?)

– Natürlich sind Sie dazu eingeladen, Frau Flach. Die Oppositionsparteien sollten sich konstruktiv daran beteiligen.

(Beifall bei der SPD)

   Deshalb sage ich auch noch einmal ausdrücklich, Frau Böhmer: Sie geben den Jugendlichen kein gutes Beispiel, wenn Sie Behauptungen in den Raum stellen, die der Sache überhaupt nicht entsprechen.

(Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): Das sind Fakten!)

Die Eckpunkte liegen seit 2004 vor. Sie hatten und haben ausreichend Zeit, sich damit auseinander zu setzen. Die Anhörung zum Referentenentwurf findet heute statt. Ich lade Sie noch einmal ausdrücklich ein, konstruktiv an dieser Reform mitzuarbeiten. Wir packen hier die umfassendste Reform des Berufsbildungsgesetzes seit den 60er-Jahren an. Das ist – das sage ich ausdrücklich – unsere Zielsetzung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wir wollen mit dieser Novelle erreichen, dass das duale Ausbildungssystem, die duale Berufsausbildung, auch weiterhin das Markenzeichen des deutschen Bildungssystems und der deutschen Wirtschaft bleibt. Eine qualitative Weiterentwicklung der beruflichen Bildung umfasst deshalb für uns Qualität, Modernität, Flexibilität und Internationalität.

   Wir wollen keine Königswege gesetzgeberisch vorgeben, sondern Flexibilität ausbauen und verstärken. Diesem Leitgedanken folgt auch der von uns vorgelegte Entwurf zur Reform der beruflichen Bildung. Dabei stehen folgende Ziele im Mittelpunkt: Wir wollen Innovation durch rasche Modernisierung. Mit modernen und passgenauen Ausbildungsberufen erschließen wir zusätzliche Ausbildungsmöglichkeiten und verschaffen wir der Wirtschaft mehr qualifizierte Fachkräfte.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Diese Bundesregierung hat seit 1999 bereits über 160 Ausbildungsberufe modernisiert bzw. neu geschaffen. Das zeigt, dass wir diese Aufgabe seit 1998 offensiv angegangen sind. Mehr als die Hälfte der Jugendlichen wird im Übrigen inzwischen in diesen modernisierten bzw. neu geschaffenen Berufen ausgebildet.

   Wir wollen Ausbildungschancen für alle. Mit neuen Förderstrukturen und einer schrittweisen Qualifizierung in anschlussfähigen Ausbildungsangeboten verbessern wir die Chancen für benachteiligte Jugendliche. Auch Stufenausbildungen gehören dazu. Im Übrigen gibt es seit diesem Jahr vier neue Berufe, die genau diesem Modell entsprechen.

   Wir werden mögliche Zeitverzögerungen bei der Modernisierung von Ausbildungsberufen noch weiter abbauen. Bei der Entwicklung von zweijährigen Berufen beispielsweise wird entschieden, wenn sich die Sozialpartner nicht auf einen Konsens einigen können.

   Es geht außerdem um die Berücksichtigung von Verbundausbildung und das Ermöglichen betrieblicher Abweichungen von Ausbildungsordnungen. Durch mehr Kooperation von Betrieben und beruflichen Schulen schaffen wir mehr Ausbildungsplätze und erhöhen die Ausbildungsqualität.

   Ein weiteres wichtiges Ziel: Mit der besseren Kooperation, mit der Verknüpfung von nationaler und internationaler Ausbildung, von Allgemein- und Berufsausbildung sowie von Ausbildung und Weiterbildung schaffen wir attraktive und anspruchsvolle Ausbildungsberufe.

   Innovation durch Kooperation erreichen wir dadurch, dass die Verantwortlichen in der Region, in den Ländern, aber auch in den Gremien des Bundes mehr Entscheidungs- und Handlungsspielräume erhalten. Das verstärkt im Übrigen auch den Wettbewerb um die erfolgreichsten Wege. In Zukunft, meine sehr geehrten Herren und Damen, können die Akteure vor Ort eine stärkere Kooperation der betrieblichen und schulischen Systeme vereinbaren. Das ist im Übrigen der Wunsch aller Landesregierungen, und zwar unabhängig von der Parteizugehörigkeit. Mit vielfältigen inhaltlichen und zeitlichen Kombinationen wird es möglich, die Ausbildungsqualität zu steigern, alle Ausbildungskapazitäten optimal zu nutzen und strukturellen Veränderungen in der Wirtschaft dadurch auch besser gerecht zu werden.

   Ein Paradigmenwechsel von der betrieblichen hin zur schulischen Ausbildung, wie Sie, Frau Böhmer, es hier dargestellt haben, findet nicht statt und ist auch nicht beabsichtigt.

(Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): Das steht drin!)

– Lesen Sie den Text vorher!

(Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): Natürlich habe ich ihn gelesen!)

Sie sollten den Jugendlichen kein schlechtes Beispiel geben, indem Sie hier etwas anderes darstellen, als in dem Text steht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir waren alle zu Recht darüber erschrocken, wie wenig Textverständnis einige Jugendliche haben. Wir sollten hier kein entsprechendes Beispiel geben.

(Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): Frau Bulmahn, Sie reden anders, als Sie handeln!)

In dem Referentenentwurf steht etwas völlig anderes als das, was Sie erzählt haben, Frau Böhmer.

(Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): Nein! Lesen Sie Ihre Eckpunkte! Lesen Sie Ihr Gesetz! – Zuruf des Abg. Jörg Tauss (SPD): Nichts Neues!)

Ich werde gleich noch einmal darauf eingehen.

   Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass sich inzwischen über eine halbe Million Jugendlicher in schulischen Berufsbildungsmaßnahmen befindet, davon circa 200 000 Jugendliche in vollzeitschulischen Berufsbildungsgängen, die zu einem beruflichen Abschluss führen sollen.

   Mit der Novelle des Berufsbildungsgesetzes eröffnen wir den Ländern die Möglichkeit, durch Vereinbarungen der Landesregierungen mit den Kammern zu erreichen, dass die Jugendlichen in Zukunft eine Kammerprüfung ablegen können. Das ist eine wichtige Voraussetzung für den Berufseinstieg.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jörg Tauss (SPD): Das wollen die da drüben nicht!)

   Mit der Verknüpfung von Aus- und Weiterbildung schaffen wir im Übrigen konkrete Perspektiven für das berufliche Fortkommen. Klar konturierte, durchlässige Wege für berufliche Entwicklung und aufeinander aufbauende Möglichkeiten zur beruflichen Höherqualifizierung sind dafür notwendig. Mit dem neuen Gesetz werden wir gesondert zu prüfende Zusatzqualifikationen einführen, die über das in Ausbildungsordnungen Festgelegte hinausgehen. Dies eröffnet leistungsstarken Jugendlichen zugleich die Option, Teile einer Aufstiegsfortbildung bereits während der Erstausbildung zu absolvieren.

   Außerdem werden wir Kompetenzstandards in der beruflichen Bildung einführen. Sie sind ein wirksames Instrument zur Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung und sie erhöhen die Chancen unserer Fachkräfte auf dem internationalen Arbeitsmarkt. Durch Kompetenzstandards können wir mehr Transparenz über Bildungsziele und fachspezifische Kompetenzen erzielen. So schaffen wir die Voraussetzung für mehr Vergleichbarkeit und eine adäquate Anerkennung.

   Als Antwort auf die Globalisierung muss die Berufsausbildung internationaler und vor allem europäischer werden. Internationalität muss auch heißen, mehr Mobilität zu ermöglichen. Mit dem neuen Berufsausbildungsgesetz werden Ausbildungsabschnitte im Ausland erstmals ein gleichwertiger Teil einer anerkannten Berufsausbildung im dualen System.

(Ulrike Flach (FDP): Das wurde auch Zeit!)

Deutschland beteiligt sich darüber hinaus an den europäischen Qualifikationen in der Europäischen Union. Dazu werden wir – das jedenfalls ist unsere Vorstellung – ein System zur Sicherstellung der Anerkennung entwickeln.

   Der vorgelegte Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion zur Modernisierung der beruflichen Bildung enthält nur zwei neue Punkte. Alles andere übernehmen Sie aus unserem Entwurf.

(Zustimmung des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD))

Daraus kann ich schließen – das finde ich durchaus erfreulich –, dass es eine große Übereinstimmung gibt.

(Werner Lensing (CDU/CSU): Nach dem, was Sie vortragen, habe ich Zweifel!)

– Herr Lensing, ich habe unseren Entwurf vorgetragen. An zwei Punkten gehen Sie darüber hinaus. Das lässt den Schluss zu, dass es eine große Übereinstimmung gibt. Ihre zwei zusätzlichen Vorschläge gehen zulasten der Auszubildenden und tragen nicht zur Verbesserung der beruflichen Ausbildung bei.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Zum einen handelt es sich um den Vorschlag, die Ausbildungsvergütung abzusenken. Im Gegensatz zu Ihnen nehmen wir die Tarifautonomie ernst.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Tarifautonomie hat auch Auswirkungen auf die nicht vertraglich gebundenen Auszubildenden, die von der Absenkung allein betroffen wären.

   Der zweite Vorschlag beinhaltet die Erhöhung der Dauer der Probezeit von drei auf sechs Monate bei gleichzeitiger Senkung der Ausbildungsdauer auf möglichst nur zwei Jahre. Auch das halte ich für nicht zielführend. Für viel wichtiger und entscheidender halte ich das, was wir bereits vor eineinhalb Jahren mit der letzten Novelle geschaffen haben, dass Jugendlichen nämlich verschiedene Einstiegsmöglichkeiten eröffnet werden, beispielsweise über sechsmonatige Qualifikationsbausteine – die Industrie hat die inhaltliche Ausgestaltung dieser Qualifikationsbausteine inzwischen klar festgelegt – oder Praktika. Dieser von uns beschrittene Weg bedeutet sowohl für die Wirtschaft als auch für die Jugendlichen einen wirklichen Fortschritt.

   Meine sehr geehrten Herren und Damen von der CDU/CSU, ich muss Ihnen sagen, dass Ihr Gesetzentwurf viel zu bürokratisch ist. Wir brauchen nicht mehr Bürokratie, sondern mehr Flexibilität in der beruflichen Bildung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb sage ich ausdrücklich: Denken Sie um! Dann können wir die Reform der beruflichen Bildung gemeinsam voranbringen, und zwar im Interesse aller Beteiligten, vor allem natürlich im Interesse der jungen Menschen, die eine berufliche Ausbildung benötigen, aber auch im Interesse unserer Wirtschaft.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat der Kollege Christoph Hartmann, FDP-Fraktion.

Christoph Hartmann (Homburg) (FDP):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Mai haben wir in diesem Haus über die Ausbildungsplatzabgabe diskutiert. Alle Redner der Regierungsfraktionen, angefangen bei der Bundesbildungsministerin, haben der Opposition vorgeworfen, sie habe keine Konzepte.

(Jörg Tauss (SPD): Das ist ja auch berechtigt!)

Jetzt legt ausgerechnet die Opposition Gesetzentwürfe vor, während sich Ihr Gesetzentwurf erst im Stadium des Referentenentwurfs befindet.

(Jörg Tauss (SPD): Bitte?)

Zur diesbezüglichen Anhörung ist die Opposition selbstverständlich nicht eingeladen. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Der von Ihnen geschlossene Ausbildungspakt wird von uns begrüßt. Die Ausbildungsplatzabgabe ist zunächst einmal auf Eis gelegt. In diesem Haus haben wir aber monatelang über die Ausbildungsplatzabgabe gestritten.

(Jörg Tauss (SPD): Umlage!)

Fraktionen und Ministerien sind damit beschäftigt gewesen. Wenn Sie diese Ressourcen in ein modernes Berufsausbildungsgesetz gesteckt hätten, wären wir heute sehr viel weiter und es läge nicht erst ein Referentenentwurf vor. Das wäre das richtige Signal gewesen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir alle sind der Meinung, dass die berufliche Bildung eine der tragenden Säulen des deutschen Bildungssystems ist. Wir müssen sie weiterentwickeln, wir müssen die wirtschaftlichen und die gesellschaftlichen Herausforderungen annehmen. 90 000 Schüler verlassen jedes Jahr unsere Schulen ohne Abschluss. Immer mehr Betriebe klagen darüber, dass sie keine geeigneten Bewerber finden. 15 Prozent der Auszubildenden schaffen die Ausbildung nicht.

   Die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze geht zurück. Woran liegt das? Es liegt nicht an der mangelnden Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen,

(Jörg Tauss (SPD): Nein!)

es liegt an den politischen Rahmenbedingungen,

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

an der schwachen Konjunktur, an den Insolvenzen, daran, dass unsere Schulen besser werden müssen – wir müssen auch schwächeren Jugendlichen die Möglichkeit geben, eine Berufsausbildung zu schaffen –, dass die Kosten der Ausbildung zu hoch sind; dass der Verwaltungsaufwand für die Ausbildung immens ist. Nur wenn wir die schulischen und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessern, nur wenn wir die Ausbildungshindernisse aus dem Weg räumen, nur dann wird das im gestern unterzeichneten Ausbildungspakt festgelegte Ziel wirklich zu erreichen sein.

   Wir brauchen die Modernisierung des Berufsausbildungsrechtes.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dazu zählt die Modularisierung der Berufsausbildung. Wir wollen einzelne Stufen haben, die aufeinander aufbauen, die mit der Berufsfähigkeit abschließen oder an die sich eine Fortsetzung der Berufsausbildung anschließen kann. Gerade das ist wichtig für Schulmüde, für theoretisch weniger Begabte, die sonst zu Ausbildungsabbrechern werden. Die Stufenausbildung ist viel besser als die Ersatzmaßnahmen JUMP Plus oder die Praktikumsvariante. Das ist ein Weg, den wir gehen sollten.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir brauchen mehr Flexibilität, gerade auch im Hinblick auf schwächere Jugendliche. Es gibt Theorieschwache, die es einfach nicht schaffen, in der vorgegebenen Zeit das bisher notwendige Pensum zu lernen. Für sie brauchen wir dreieinhalbjährige Berufsausbildungen. Wir brauchen aber auch theoriegeminderte zweijährige Berufsausbildungen; diese Notwendigkeit wird ja mittlerweile im ganzen Haus eingesehen.

   Allerdings will ich auf eines hinweisen, Frau Ministerin, weil Sie immer sagen, das gibt es ja schon.

(Jörg Tauss (SPD): Ja!)

Ja, das gibt es schon, aber das ist, lieber Herr Tauss, erst bei 10 Prozent der Berufsausbildungen der Fall. Das ist viel zu wenig. Da besteht Handlungsbedarf, das muss sehr viel stärker ausgebaut werden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörg Tauss (SPD): Wie viel Prozent wollen Sie denn? Nennen Sie einmal eine Prozentzahl!)

   In vielen Punkten sind wir ähnlicher Meinung wie die CDU/CSU: bezüglich der zweijährigen Berufsausbildungen, der Ausbildungsplatzabgabe und der Vernetzung der Berufsvorbereitung. Das sind Punkte, die wir schon in der letzten Legislaturperiode gefordert haben und für die wir in der letzten Legislaturperiode teilweise von Ihrer Seite gescholten worden sind. Aber wir sagen auch ganz klar, dass uns der Gesetzentwurf, den Sie vorgelegt haben, in einigen Punkten nicht weit genug geht. Wir brauchen mehr Flexibilität. So wollen wir den Kammern die Möglichkeit einräumen, die Berufsbildungsausschüsse erheblich zu verkleinern; so werden Aufwand, Zeit und Geld gespart.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir wollen – auch darauf will ich eingehen, weil Sie, Frau Ministerin, das ebenfalls angesprochen haben – die Ausbildungsvergütung flexibel gestalten, und zwar für die, die außertariflich beschäftigt sind; deswegen hat das nichts mit einem Eingriff in die Tarifautonomie zu tun. Es ist besser, wenn ein Jugendlicher für 350 Euro im Monat ausgebildet wird, als wenn er nicht ausgebildet wird, weil man ihm 750 Euro im Monat zahlen müsste.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir brauchen Entbürokratisierung von Vorschriften, zum Beispiel über Sozialräume, Pausen oder Beschäftigungszeiten. Ich kenne ein Beispiel einer jungen Frau, die eine Ausbildung als Tischlerin machen wollte. Der Ausbildungsvertrag war unterschrieben, aber er musste annulliert werden, weil in dem entsprechenden Ausbildungsbetrieb keine Damentoilette vorhanden ist.

(Jörg Tauss (SPD): Dieser Gag wird seit 30 Jahren erzählt und wird dadurch nicht besser! Also hören Sie einmal auf damit, mit Verlaub!)

– Herr Tauss, es tut mir Leid, dass Sie heute nicht reden dürfen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Es tut mir gar nicht Leid!)

Aber eines ist dazu zu sagen: Diese Geschichte ist keine Geschichte, die 30 Jahre alt ist, sondern das ist eine Geschichte, die aktuell ist.

(Jörg Tauss (SPD): Zeigen Sie das mal her! Nennen Sie den Fall! Das möchte ich wissen!)

   Sie haben zwar einige bürokratische Hindernisse beseitigt, aber der Weg ist konsequent weiterzugehen. Sie dagegen sind auf der halben Strecke stehen geblieben.

Hinzu kommt die Abschaffung der Verpflichtung, die in der Jugendauszubildendenvertretung Tätigen zu übernehmen, und zwar unabhängig von ihrer Qualifikation. Eine Jugendauszubildendenvertretung ist ab einer Zahl von fünf Auszubildenden einzurichten. Da überlegt sich doch jeder, ob er einen fünften Auszubildenden einstellt. Hier herrscht Handlungsbedarf. Wir brauchen ein modernes, zukunftsfähiges und wettbewerbsorientiertes Berufsbildungsrecht, das den Ansprüchen der Auszubildenden und der Arbeitgeber entspricht.

   Ein solches Konzept hat Ihnen die FDP heute vorgelegt. Legen Sie die Ausbildungsplatzabgabe nicht nur auf Eis, stoppen Sie sie endgültig! Jugendliche und Arbeitgeber brauchen Sicherheit. Arbeiten Sie mit an der Verbesserung der Berufsausbildung in Deutschland! Helfen Sie mit, das in die Jahre gekommene System zu reformieren, damit es modern, flexibel und zukunftsweisend wird!

   Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat die Kollegin Grietje Bettin, Bündnis 90/Die Grünen.

Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit unserer letzten Diskussion hier im Haus zum Thema Ausbildung hat sich in Deutschland doch wirklich noch einmal richtig etwas bewegt. Das sollte auch die Opposition anerkennen. Diese Größe besitzen Sie hier und heute aber leider nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Frau Böhmer, diese Dynamik gerade aufseiten der Wirtschaft hätten wir uns schon in den vergangenen Jahren gewünscht; denn dann wäre es gar nicht erst zu der von Ihnen angesprochenen riesigen Bugwelle an jungen Leuten in Deutschland gekommen, die heute ohne Berufsausbildung auf der Straße stehen und damit ohne Chance auf eine gesellschaftliche Teilhabe in Deutschland sind. Gerade deshalb begrüßen wir ganz ausdrücklich, dass mit dem vorgelegten Pakt auf halbfreiwilliger Basis – so möchte ich es einmal nennen – nun ein großer Schritt für die jungen Menschen in unserem Land gemacht werden konnte. 30 000 neue Ausbildungsplätze pro Jahr und zusätzliche Praktikumsplätze stellen eine wichtige Zielmarke dar; mehr allerdings derzeit auch noch nicht.

   Freiwillige Zusagen und Vereinbarungen sind für uns Grüne grundsätzlich immer wichtige politische Elemente. Dem steht aber eine lange Liste von Beispielen gegenüber, bei denen zwar auf verpflichtende Gesetze zugunsten freiwilliger Lösungen verzichtet wurde, es aber nicht funktioniert hat. Beispielhaft möchte ich den Klimaschutz oder die Vereinbarung zur Gleichberechtigung von Männern und Frauen in Betrieben nennen – Versprechen, die leider zu häufig nicht eingehalten wurden. Im Interesse der jungen Menschen, gerade aber auch im Interesse der Zukunftsfähigkeit unseres Landes darf das Thema Ausbildungspakt nicht in diese Liste von Themen eingereiht werden.

   Eine gewisse Skepsis und eine konstruktive Begleitung des weiteren Prozesses sind aus meiner Sicht notwendig. Hier sind wir alle auch als Abgeordnete vor Ort weiterhin gefordert. In Gesprächen mit Unternehmen nehme ich, wenn ich das mit dem Beginn der Diskussion über die Umlage vergleiche, ein echtes Umdenken wahr. Viele suchen nach konstruktiven Lösungen. Der gestrige einstimmige Beschluss der Vertreter der regionalen IHKn zum Ausbildungspakt zeigt das ganz deutlich.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Werner Lensing (CDU/CSU): Das war aber ein dünner Beifall!)

   Parallel dazu existiert mittlerweile auch ein hoher gesellschaftlicher Erwartungsdruck bezüglich der weiteren Entwicklung des gesamten Themas Ausbildung in Deutschland.

   Eines möchte ich aber noch einmal ganz deutlich sagen: Meine Hauptsorge gilt nach wie vor ganz besonders den jungen Menschen in unserem Land, die keine solche starke Lobby wie die Wirtschaft haben. Am Ende dieses Prozesses dürfen sie nicht mithilfe von Gummibegriffen wie Ausbildungswilligkeit oder Ausbildungsfähigkeit den schwarzen Peter zugeschoben bekommen;

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

denn schließlich konnten sie sich das Schulsystem in Deutschland, mit dem sie groß geworden sind, nicht aussuchen. Die Defizite sind allseits bekannt. Die Länder sind hier nach wie vor in der Pflicht, etwas zu tun. Dies ist auch im Ausbildungspakt festgehalten.

   Alle Jugendlichen, die schon lange oder für diesen Herbst auf einen Ausbildungsplatz warten und nach einem solchen suchen, sollten sich jetzt motiviert fühlen, weil nun doch Hoffnung auf einen Ausbildungsplatz besteht. Diese Hoffnung dürfen wir nicht enttäuschen. Natürlich weiß auch ich, dass Berufsbilder komplexer werden und dass die Ansprüche an die Auszubildenden steigen. Können wir aber wirklich guten Gewissens die Zugangsvoraussetzungen für viele auch sehr praktisch orientierte Berufe einfach ändern und zum Beispiel die Hochschulreife als Eingangsvoraussetzung für den Beruf des Friseurs einführen?

(Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): So ein Quatsch!)

Wie sollen bei jungen Leuten mit einem ordentlichen Real- oder Hauptschulabschluss Hoffnung und Bewerbungsmotivation entstehen? Ich bitte auch die Wirtschaft, das nicht aus den Augen zu verlieren.

   Nun aber zum zweiten zentralen Thema der heutigen Diskussion – dieses Thema war richtigerweise immer mit der Diskussion über die Ausbildungsumlage verknüpft –: der Reform der beruflichen Bildung, ganz konkret der Reform des Berufsbildungsgesetzes. Neben der reinen Anzahl an Ausbildungsplätzen ist die Struktur des dualen Systems entscheidend. Das duale System war und ist nach wie vor ein deutsches Aushängeschild und ein Standortvorteil. Aber auch dieser Teil des deutschen Bildungssystems muss den gesellschaftlichen Veränderungen angepasst werden. Dazu haben meine Vorrednerinnen und Vorredner schon einiges gesagt. Eine solche Modernisierung der Struktur kann aus meiner Sicht zu einem Mehr an Ausbildungsplätzen führen. Lassen Sie mich kurz unsere grünen Vorstellungen zu der Modernisierung der beruflichen Bildung skizzieren.

   Erstens. Wir müssen die Ausbildung für Menschen mit Lernschwierigkeiten verbessern. Eine Modularisierung in einzelne Qualifikationsteile wird für diese Gruppe extrem hilfreich sein. Für uns aber ist gleichzeitig wichtig, dass die Modularisierung nicht dazu führt, dass viele nur noch zu Hilfskräften ausgebildet werden. Wir wollen weiterhin den Anspruch auf volle Berufsbilder bei Erreichen bestimmter Leistungsstufen sicherstellen. Es muss verpflichtend geregelt sein, dass man über Teilqualifikationen letztendlich zu vollen Berufsbildern kommt.

   Zweitens. Für uns ist eine enge Kooperation der Lernorte notwendig. Dafür müssen auch die beruflichen Schulen autonom werden. Nur so können sie flexibel auf die Ausbildungssituation vor Ort reagieren.

   Drittens – das ist der letzte zentrale Punkt –: Sowohl für die berufliche Bildung als auch für alle anderen Bildungsbereiche brauchen wir eine effektive Qualitätssicherung. Gleiches gilt für die schon angesprochene Internationalisierung. Die Anrechnung von Ausbildung in verschiedenen Ländern muss zeitgemäß gelöst werden.

   Die Diskussion zur BBiG-Reform laufen nun schon seit einigen Monaten mal mehr, mal weniger intensiv. Wir Grüne haben hier klare Vorstellungen und werden uns – wie hoffentlich auch die Opposition – weiter konstruktiv am Novellierungsprozess beteiligen. Ich hoffe, dass sich Wirtschaft und Gewerkschaften gemeinsam als modernisierungsfähig erweisen. Der Entwurf der Union weicht inhaltlich natürlich in einigen Punkten von unseren Vorstellungen ab. Aber im Ausschuss werden wir noch Gelegenheit haben, darüber weiter intensiv zu diskutieren. Ich persönlich sehe nach wie vor die Chance, zügig und unideologisch zu einer durchgreifenden Reform des BBiG zu kommen.

   Abschließend noch ein kleiner Hinweis auf eine positive Aktion zum Thema Ausbildung und parteiübergreifende Zusammenarbeit. Am Dienstag war ich zusammen mit drei Kollegen der anderen Fraktionen – auch der Kollege Hartmann war dabei – auf einer Veranstaltung der Wirtschaftsjunioren. Diese haben es sich zum Ziel gesetzt, Vorreiter in diesem Prozess des gesellschaftlichen Umdenkens zu sein. Sie wollen in den eigenen Reihen 1 000 zusätzliche Lehrstellen schaffen, und zwar ohne Vorbedingungen. Die Wirtschaftsjunioren sehen klar, dass wir alle gut ausgebildete Menschen brauchen – jetzt und in Zukunft.

   Es ist ein besonders hoffnungsvolles Signal, wenn die junge Generation anfängt, sich um die Zukunft anderer junger Menschen zu kümmern. Ich freue mich, dass diese Initiative von allen Parteien, insbesondere von den jungen Kollegen im Bundestag unterstützt wird.

   Unterm Strich bin ich mit den verschiedensten Entwicklungen bei dem sehr wichtigen Thema Ausbildung im Interesse der zukünftigen Generationen ziemlich zufrieden. Wir alle dürfen uns aber noch nicht ausruhen und zurücklehnen. Noch ist der Dackel nicht gesattelt. Im Herbst wird eine erste Bilanz gezogen. Darauf warten wir gespannt.

   Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege Uwe Schummer, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Uwe Schummer (CDU/CSU):

Meine Damen! Meine Herren! Ich gratuliere Ihnen zunächst zur Einsicht, dass die Ausbildungsplatzabgabe gestrichen werden muss und Sie sich nur noch auf das Beerdigungsritual verständigen müssen. Wir begrüßen den Ausbildungspakt. Er wäre sicher schon früher möglich gewesen,

(Lachen des Abg. Jörg Tauss (SPD))

wenn dieses Thema bereits im letzten Jahr zur Chefsache erklärt worden wäre und Gerhard Schröder es nicht immer und zu lange zu einer nachgeordneten Angelegenheit nachgeordneter Ministerien gemacht hätte. Wir werden sehr sorgsam darauf achten, dass kein Verschiebebahnhof entsteht. So hatten wir im letzten Jahr 162 692 Eintritte in berufsvorbereitende Maßnahmen. In diesem Jahr sind bei den Arbeitsämtern gerade 71 716 berufsvorbereitende Maßnahmen ausgeschrieben. Das heißt, die Wirtschaft schafft es, neue Praktika und Einstiegskorridore zu organisieren, aber der Bund kürzt mehr als die Hälfte. Das werden wir nicht zulassen. Der Bund darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Natürlich ist der Ausbildungsmarkt im Zusammenhang mit der generellen Beschäftigung zu sehen. Wir haben im Jahresvergleich einen Abbau von 592 841 Beschäftigungsverhältnissen. Wir haben ein Arbeitsmarktproblem und dieses Arbeitsmarktproblem wirkt sich auch auf die Ausbildungszahlen aus. Lassen Sie uns trotzdem gemeinsam, sehr pragmatisch und zielführend, wie Frau Bettin es vorhin ausgeführt hat, eine Beratung über die Novellierung des Berufsbildungsgesetzes starten. Dem dient unser heutiger Entwurf.

   Bundeskanzler Schröder hat bereits in seiner ersten Regierungserklärung im November 1998 Folgendes gesagt: „Ausbildung, Ausbildungsordnungen und Ausbildungsinhalte werden wir flexibler gestalten.“ In der Koalitionsvereinbarung von 1998 heißt es: „Wir wollen ...die Modernisierung und Verbesserung der Attraktivität der beruflichen Bildung vorantreiben.“ Nach sechs Jahren ist es in der Tat Zeit, endlich damit anzufangen. Wir wollen die Berufsausbildung flexibilisieren. Dazu gehört die engere Kooperation der Ausbildungsorte, also zwischen der Berufsschule, der Kammer und dem Ausbildungsbetrieb. Es muss auch möglich sein, Ausbildungsinhalte stärker an den Menschen und an den betrieblichen Wirklichkeiten flexibel auszurichten, wenn hierdurch das Ausbildungsziel nicht gefährdet wird.

(Werner Lensing (CDU/CSU): Eindeutig!)

   Wir haben 1,3 Millionen Schulabgänger bis 29 Jahre, die überhaupt keine Berufsausbildung haben.

(Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): Eine Katastrophe!)

Das heißt, jedes Jahr produziert unser Bildungssystem 100 000 junge Menschen ohne eine berufliche Perspektive.

   Ich möchte einmal darstellen, wie sich die Berufsbilder entwickelt haben. In der Pflege wurden nach der letzten Neuordnung über 500 zusätzliche Theoriestunden angesetzt und es wurde die Tür für Hauptschüler zugeschlagen, obwohl gleichzeitig in Deutschland 20 000 Alten- und Krankenpfleger fehlen. Wir sind das einzige Land, das das dreijährige Berufsbild des Tankwarts kennt. Demnächst kommt noch der Diplomtankwart.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

   Die Union will daher Einstiegskorridore für praktisch Begabte. Das Saarland hat ein gutes Beispiel entwickelt. Die erste Stufe ist der Krankenpflegehelfer, was automatisch zertifiziert wird. Dann kommt die zweite Stufe und dann entwickelt man das Berufsbild des klassischen Kranken- oder Altenpflegers. Ein weiteres Beispiel ist die Entwicklung vom Kfz-Facharbeiter zum Mechatroniker, vom Änderungsschneider zum Konfektionsschneider. Die Stufenausbildung, die heute die Ausnahme ist, soll zur Regel werden: auf halber Strecke eine Zwischenzertifizierung, die motiviert, weiterzumachen. Wer dies nicht will oder kann, der soll die Möglichkeit erhalten, über Ausbildungsmodule die zweite Stufe nachzuholen. „Alles oder nichts“ darf es nicht mehr geben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Wir haben auch in der allgemeinen Bildung die Regel: Wer das Abitur nicht schafft, der erhält die mittlere Reife, wer diese nicht erreicht, hat den Hauptschulabschluss. Zertifizierungen sind Zwischenstationen und nicht das Ende einer Bildungskarriere. Hierbei bauen wir auch auf einen europatauglichen Ausbildungspass. Ausbildung und permanente Weiterbildung müssen stärker miteinander verzahnt werden. Dazu gehören auch Ausbildungsverbünde bis hin zu Ausbildungspartnerschaften mit Betrieben aus anderen EU-Ländern, die stärker rechtlich abzusichern sind.

   Wir brauchen eine Dynamisierung. Die Entwicklung eines Berufsbildes dauert im Konsensverfahren derzeit zu lange, weil sich Arbeitgeber und Gewerkschaften nicht immer einigen können. Im Schnitt dauert die Entwicklung eines neuen Berufsbildes zwei bis drei Jahre, im Metall- und Elektrobereich bis zu sieben Jahren. Deshalb haben wir ein Schlichtersystem entwickelt. Danach wird der Schlichter von beiden Seiten ernannt. Er soll nach sechs Monaten entscheiden. Wenn er nicht entscheiden will, dann entscheidet der Wirtschafts- und Arbeitsminister.

   Zwei Drittel aller Betriebe, die nicht ausbilden, verweisen auf die Kosten. Auch das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Wenn wir keine Billigausbildung, sondern Qualität haben wollen, dann müssen Betriebe gerade im ersten Ausbildungsjahr investieren.

Hier ist die Hürde zur Einstellung am höchsten.

   2003 betrug die Ausbildungsvergütung in den westdeutschen Ländern durchschnittlich 612 Euro. Die Spannweite reichte von 250 bis 950 Euro. Deshalb bitte ich darum, zu differenzieren: Auch die Kosten für die Ausbildungsvergütung sind ein Grund dafür, dass nicht genügend Ausbildungsplätze entstehen.

   Die Betriebs- und Tarifpartner sollen einen größeren Raum erhalten, Bündnisse für mehr Ausbildungsplätze zu schmieden. Dies könnte bedeuten, dass Einstiegsvergütungen um ein Drittel abgesenkt werden, wenn im Gegenzug zusätzliche Ausbildungsplätze entstehen.

   Der Ausbildungspakt alleine wird die Erosion der betrieblichen dualen Ausbildung nicht verhindern können. Er bedarf der Ergänzung in Form einer Modernisierung des Berufsbildungsgesetzes, das im Kern seit 1977 kaum verändert wurde. Im Interesse der Schulabgänger des Jahres 2004 bitte ich Sie: Folgen Sie unserer Gesetzesinitiative, aber folgen Sie uns zeitnah!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege Hans-Werner Bertl, SPD-Fraktion.

Hans-Werner Bertl (SPD):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag traf sich gestern zu einer Sondervollversammlung in Berlin. Gestern Nachmittag wurden von vier Präsidenten der Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft sowie von Ministerin Bulmahn und Minister Clement im Bundeskanzleramt die Unterschriften für den Ausbildungspakt geleistet.

   Seit über 20 Jahren erlebe ich Diskussionen zum Thema Jugendarbeitslosigkeit – jahreszeitlich bedingt nur kurzfristig in der Öffentlichkeit – und stelle fest, dass Politik für die Kompensation eines Mangels zuständig ist, die eigentlich von denen geleistet werden müsste, die zuständig sind und dies nicht wollen oder vielleicht manchmal nicht können.

   Seit einigen Wochen steht das Thema wieder im Fokus der Öffentlichkeit. Ich will Ihnen offen sagen: Ich bin so optimistisch, den Vertretern der deutschen Wirtschaft, die gestern ihre Unterschrift geleistet haben, zu trauen und zuzutrauen, dass sie es diesmal ernst meinen. Ich habe am 7. Mai in der Debatte über das Ausbildungsplatzsicherungsgesetz die im „Spiegel“ aufgeführte Liste des Versagens hinsichtlich der Selbstverpflichtungen der deutschen Wirtschaft zitiert und auf die Entschuldigung von Hans-Olaf Henkel hingewiesen, der diese Bilanz des Versagens als Notwehr gegenüber der Politik abgetan hat.

   Heute bin ich zuversichtlicher und will der deutschen Wirtschaft einen großen Vertrauensvorschuss geben. Ich glaube, dass sie ihr Versprechen diesmal halten will und dies auch schaffen wird. Meinen sie es ernst, ist das Erfüllen der Zusagen – angesichts der Tatsache, dass nur 23 Prozent der ausbildungsberechtigten Unternehmen auch tatsächlich ausbilden – sicherlich eine der leichtesten Übungen; es ist kein großer Kraftakt.

   Wir werden erleben, dass sich die Repräsentanten der Wirtschaft mit der Solidarität ihrer Mitglieder auseinander zu setzen haben – eine Erfahrung, die letztendlich ihre Legitimation dokumentieren wird.

(Beifall bei der SPD)

Wir in der Politik kennen solche Erfahrungen, aber wann hat es je in unserem Land eine Sondervollversammlung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages gegeben, um den jungen Menschen, die in wenigen Tagen ihre Schulen verlassen, ernsthaft zu helfen? Ich glaube, indem sie beim Bundeskanzler, im Fokus der Öffentlichkeit, ihre Unterschrift geleistet haben, sind sie eine große Verpflichtung eingegangen, auf deren Einhaltung jetzt geachtet werden muss.

(Beifall bei der SPD)

   Wir können zwar über den einen oder anderen Satz der Vereinbarung streiten, rätseln oder ihn so interpretieren, wie auch immer er in unsere Vorbehalte zu passen scheint. Was aber in diesem Jahr letztlich zählt, sind die realen Angebote, sind die zusätzlich gewonnenen Lebenschancen für junge Menschen und ist die Botschaft: „Wir brauchen euch! Wir lassen es nicht zu, dass ihr ins Abseits gestellt werdet.“ Die Bilanz wird von uns im Parlament zu bewerten sein. Im Lichte dieser Bilanz hat das Parlament die Souveränität, zu entscheiden, ob das auf Eis gelegte Gesetz aufgetaut wird oder weiter liegen bleibt. Das verstehe ich – ich will das deutlich zum Ausdruck bringen – nach wie vor nicht als Drohung. Auch das habe ich bereits in der Debatte am 7. Mai ausgeführt. Unser Motiv ist Notwehr

(Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): Das ist doch lächerlich! Misstrauen!)

zugunsten derjenigen, die eine Ausbildung brauchen, wie auch für diejenigen, die in wenigen Jahren die Ausgebildeten brauchen.

(Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Notwehr!?)

– Ja, Notwehr.

   In der Diskussion über unser duales System und in der Auseinandersetzung über den vorliegenden Gesetzentwurf hat es mich gewundert, wie filibusterhaft sich Teile der Medien, aber auch die Opposition seitenweise damit beschäftigt haben, Sinn oder Unsinn, Probleme der Anwendung und die Konsequenzen des Gesetzes für die Wirtschaft ausgiebig zu diskutieren.

Ich habe aber kaum einmal den Appell lesen können, nun endlich in diesem Land die Ärmel aufzukrempeln, sich zusammenzusetzen und ein Problem zu lösen,

(Beifall bei der SPD)

welches auch unter den gegenwärtigen, sicherlich nicht einfachen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in unserem Land lösbar ist.

   Ich sage Ihnen von der Opposition: Sie sollten darüber nachdenken, ob es Sinn macht, eine Regierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen dafür zu kritisieren, dass sie im Angesicht stetig steigender Jugendarbeitslosigkeit aus berechtigter Sorge zu einem Instrument greifen, welches eine Lösung sein kann und welches von uns so offen strukturiert worden ist, dass es die Verantwortung derjenigen in den Vordergrund stellt, die für Ausbildung zuständig sind. Ein solches Gesetz zu machen ist sicherlich ungewöhnlich und neu. Aber vielleicht wollte man es nicht verstehen.

(Werner Lensing (CDU/CSU): Der geballte Sachverstand steht gegen Ihre Ausführungen, Herr Kollege! – Widerspruch des Abg. Jörg Tauss (SPD))

Was ist daran falsch, wenn durch aktives, freiwilliges Handeln ein Gesetz überflüssig sein wird? Ist das nicht der eigentlich erwünschte Zustand einer Zivilgesellschaft, nämlich sich dort verantwortlich zu erklären, wo man Verantwortung auch wahrnehmen kann, oder geht es hier nur noch um Kritik und um das Skandalisieren ohne Rücksicht darauf, dass es hier letztendlich um Jugendliche geht?

(Beifall bei der SPD)

Wenn Letzteres der Fall ist, dann muss ich Ihnen sagen, dass das für mich billige und auch ein Stück weit erbärmliche Opposition ist; denn ein konstruktiver Vorschlag zur Beseitigung der Jugendarbeitslosigkeit, der echte Alternativen geboten hätte, ist von Ihnen nicht in die Diskussion eingebracht worden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die Zusage der Wirtschaft, bis 2007 jährlich 30 000 neue Ausbildungsplätze und 25 000 Praktikumsplätze für den Erwerb von betrieblichen Einstiegsqualifikationen anzubieten, ist ein positives Signal an junge Menschen

(Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): Das ist aber nicht Ihr Verdienst!)

– doch! – und auch für den Fortbestand des dualen Systems. Wir alle wissen, dass dieses hochgelobte System dringender Reformen bedarf. Ich bin davon überzeugt, dass es keine Selbstverpflichtung der Wirtschaft gegeben hätte, wenn wir nicht initiativ geworden wären. Man sollte also bei der Beurteilung derjenigen sehr vorsichtig sein, die diesen schwierigen Weg mit der Wirtschaft entwickelt haben, und sie nicht vorschnell diskreditieren. Vielleicht haben wir beispielsweise im Rahmen der Novellierung des Berufsbildungsgesetzes die Möglichkeit, die Verantwortung dieses Parlaments für die Zukunft junger Menschen etwas deutlicher zu machen, indem wir die Anträge, über die heute diskutiert wird, ein Stück zusammenführen.

   Ich glaube, dass die Novellierung des Berufsbildungsgesetzes – das ist eben deutlich gemacht worden – von uns vorbereitet ist. Ich sage Ihnen von der CDU/CSU und FDP ganz offen: Obwohl einige Sachverhalte richtig dargestellt sind, greifen Ihre beiden Gesetzentwürfe letztendlich zu kurz. Es kann nicht nur um Reduzierung von Ausbildungsbestandteilen auf betriebliche Belange und um Vereinfachung der Ausbildung gehen. Wir müssen vielmehr sehr sorgfältig darüber nachdenken, welche strukturellen Anpassungen und Veränderungen das duale System benötigt. Wir wollen mehr jungen Menschen eine berufliche Erstausbildung ermöglichen. Wir wollen außerdem die regionale Verantwortung stärken. Das System der Prüfungen gehört ebenfalls auf den Prüfstand. Sprechen Sie mit Ausbildern! Sie werden feststellen, wie verzweifelt manche von diesen sind, weil sie sechs Wochen vor der Abschlussprüfung Systeme vermitteln müssen, die zwar von den Prüfern beherrscht werden, die aber in der Wirklichkeit unserer Arbeitswelt überhaupt keine Rolle mehr spielen. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Einen Aspekt finde ich besonders wichtig. Wir müssen die Berufsbildungsforschung zu einem Bestandteil und zu einem Aufgabenbereich des Berufsbildungsgesetzes machen. Nur dann sind wir in der Lage, die Zukunftsfähigkeit des dualen Berufsausbildungssystems zu sichern und den jungen Menschen damit Möglichkeiten zur Selbstgestaltung ihres Lebens zu geben sowie berufliche Mobilität zukunftsfest zu machen.

   Ich glaube, gestern war ein guter Tag für die jungen Menschen in Deutschland – sofern sich diejenigen, die gestern unterschrieben haben, bewusst sind, dass sie jetzt auf die Solidarität ihrer Mitglieder in den Verbänden angewiesen sind und dass das Ganze im Fokus der Öffentlichkeit stattfindet, was lange nicht mehr der Fall war. Das Thema Berufsausbildung, das heißt Lebenschancen für junge Menschen, steht vielleicht von nun an permanent im Fokus der Öffentlichkeit. Es darf nicht länger hingenommen werden, dass wir Hunderttausende junge Menschen in Zukunftslosigkeit, in Arbeitslosigkeit, in Chancenlosigkeit entlassen. Ich glaube, es hat sich gelohnt, diesen Weg zu gehen, gestern die Unterschriften noch einzuholen und gemeinsam zu leisten.

   Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat der Kollege Alexander Dobrindt, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU – Werner Lensing (CDU/CSU): Jetzt kommt einer der Höhepunkte!)

Alexander Dobrindt (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Kollege Bertl, wenn Sie schon der Opposition die Berechtigung absprechen, in dieser Frage die Regierung zu kritisieren, empfehle ich Ihnen: Schauen Sie sich heute einfach einmal die Presselandschaft an. Dann werden Sie feststellen, dass offensichtlich eine Erleichterung durch dieses Land geht, weil Ihre vollkommen verfehlte Ausbildungsplatzabgabe gescheitert ist.

(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Werner Bertl (SPD): Erleichterung, weil junge Menschen Chancen bekommen! Das ist eine berechtigte Erleichterung!)

In seiner Einschätzung, dass dies ein guter Tag für die jungen Menschen in Deutschland gewesen sein kann, stimme ich dem Bundeskanzler ausdrücklich zu. Aber eine Glanzleistung dieser Bundesregierung ist das beim besten Willen nicht gewesen. Im Gegenteil, auf den Punkt kommend muss man sagen: Das Schlimmste ist verhindert worden,

(Jörg Tauss (SPD): Nichts als Gemäkel!)

aber das Vertrauen der Menschen in die Verantwortung der Bundesregierung, das Wichtige und das Richtige zu tun, wurde sicherlich nicht gestärkt.

(Ute Kumpf (SPD): Es geht uns um die Jungen!)

   Wir bitten Sie einfach: Lassen Sie uns jetzt gemeinsam den nächsten Schritt machen. Sonst erhöhen Sie das Risiko, dass Ihr Ausbildungspakt scheitert und für die jungen Menschen in Deutschland wieder nichts dabei herauskommt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Wir haben bereits vor Monaten angemahnt, das Berufsbildungsgesetz zu reformieren. Wir haben heute in unserem Gesetzentwurf klare Forderungen dargelegt, die ich gern noch einmal wiederhole: Erstens. Wir brauchen in einem hohen Maß mehr Flexibilisierung und Kostensenkung in der Ausbildung. Zweitens. Es muss zu einer Beschleunigung bei der Entwicklung neuer Berufsfelder kommen. Drittens. Die Anzahl der ausbildungsfähigen Betriebe muss gesteigert werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Das sind die zentralen Vorschläge, deren Realisierung dringend notwendig ist, damit der Ausbildungspakt wirklich erfolgreich sein kann. Machen Sie das Richtige mit uns, denn die Begeisterung der Menschen ob dieses Schauspiels Ausbildungsplatzabgabe hält sich bisher äußerst in Grenzen. Wenn Sie – den Eindruck habe ich bei Ihren Reden bekommen – dieses Schauspiel jetzt gern als Teil der Strategie darstellen, die Wirtschaft zu einer akzeptablen Vereinbarung zu zwingen,

(Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): Lachhaft!)

kann ich Ihnen nur sagen, dass Sie damit eindrucksvoll unter Beweis gestellt haben, wie man mit dem größtmöglichen Aufwand den größtmöglichen Schaden erreichen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU – Nicolette Kressl (SPD): Seit wann ist der Pakt ein Schaden? – Jörg Tauss (SPD): Der Pakt ist doch kein Schaden!)

- Schaden deshalb, weil Unternehmer und Investoren heute irritiert sind, weil sie sich über die zukünftigen Rahmenbedingungen des Wirtschaftsstandorts Deutschland nicht mehr im Klaren sind und weil Sie die Jugendlichen, die eine Lehrstelle suchen, verunsichert haben, indem Sie ihnen vorgegaukelt haben, das Lehrstellenproblem sei per Gesetz von oben regelbar. Beides verursacht einen erheblichen Schaden am Wirtschaftsstandort Deutschland.

   Dabei ist die Aufgabenstellung klar: Wir brauchen mehr Ausbildungsplätze für junge Menschen. Natürlich geht dies nur, wenn die freiwillige Bereitschaft der Wirtschaft dazu vorhanden ist. Es ist die Aufgabe der Politik, hierbei unterstützend zu wirken und die möglichen Hindernisse aus dem Weg zu räumen, anstatt zusätzliche Hürden einzubauen.

   Meine Damen und Herren, in den vergangenen Jahren ist eine Vielzahl von Betrieben ihrer Aufgabe nachgekommen und hat im Rahmen der Nachvermittlung zusätzliche Ausbildungsplätze bereitgestellt, mit großen Anstrengungen, zum Teil bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit. Bei 40 000 Unternehmenspleiten in Deutschland ist das nachvollziehbar. Natürlich bildet ein Unternehmen nur dann aus, wenn es eine Zukunftsperspektive hat, und investiert ein Unternehmen nur dann 30 000 Euro in die Ausbildung eines Lehrlings, wenn es eine Chance sieht, diesen Lehrling auch weiter beschäftigen zu können. Das ist die eigentliche Misere und diese Misere können Sie mit Ihrem Ausbildungspakt allein nicht lösen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Wir müssen an den Rahmenbedingungen etwas ändern. Dazu gehört zwangsläufig, dass das Berufsbildungsgesetz noch mehr an die Anforderungen der Unternehmen angepasst wird. Ausbildung muss flexibler und kostengünstiger werden und natürlich müssen die Unternehmen auch bei den Ausbildungsvergütungen Einschränkungen vornehmen können.

(Jörg Tauss (SPD): Natürlich!)

Selbstverständlich spielt dieser Kostenfaktor heute eine Rolle. Mir ist es allemal lieber, wenn ein Ausbildungsplatz mit einer Vergütung von 500 Euro geschaffen wird, als dass einer mit 750 Euro nicht geschaffen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss (SPD): Eine Schimäre, die Sie hier aufbauen!)

Leider sagt Ihr Ausbildungspakt darüber überhaupt nichts, Herr Tauss.

(Jörg Tauss (SPD): Sie haben ihn ja nicht einmal gelesen! – Gegenruf des Abg. Werner Lensing (CDU/CSU): Das ist eine Unterstellung!)

Es reicht nicht aus, zu argumentieren, dass die fehlenden Ausbildungsplätze von heute die nicht vorhandenen Fachkräfte von morgen sind. Wir brauchen einen Ausbildungspakt, der jetzt die Ausbildung für die Betriebe wieder attraktiver macht, damit wir den ausbildungswilligen Jugendlichen einen akzeptablen Start ins Berufsleben ermöglichen können.

   Wir müssen hier – darin stimme ich mit dem Bundeskanzler ausdrücklich überein – ein gesamtgesellschaftliches Problem lösen. Wir dürfen es eben nicht isoliert betrachten. Deswegen brauchen wir einen Maßnahmenmix, der die Chancen auf zusätzliche Ausbildungsplätze in Deutschland steigen lässt. Ein erheblicher Beitrag, um diese Steigerung vorzunehmen, ist die Flexibilisierung des Berufsbildungsrechts, so wie es unser Gesetzentwurf vorsieht. Ich bitte Sie, diesem zu folgen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss (SPD): Das ist ein Bürokratieentwurf!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat die Kollegin Petra Pau.

Petra Pau (fraktionslos):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum dritten Mal binnen zweier Monate befassen wir uns heute mit der Berufsausbildung. Dieses Mal haben CDU und CSU die Vorlage mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der dualen Berufsausbildung gegeben. Ich möchte eine Binsenweisheit voranstellen: Man kann nur modernisieren, was es auch gibt. Das duale System der Berufsausbildung hat in der Bundesrepublik schwere Schwindsucht, weil immer weniger Unternehmen Ausbildung anbieten. Drei von vier Unternehmen in Deutschland bilden nicht aus und circa 200 000 Jugendliche erhalten keine betriebliche oder gar keine Ausbildung. Das ist übrigens der Hintergrund, warum die PDS der Ausbildungsumlage zugestimmt hat.

   SPD und Grüne haben die Umlage versprochen. Wir haben sie hier vor wenigen Wochen debattiert und auch gemeinsam beschlossen. Nun aber wird Rot-Grün wortbrüchig. Die Umlage sei hinfällig, höre ich. Stattdessen gibt es nun einen Ausbildungspakt mit der Industrie.

(Jörg Tauss (SPD): Das steht im Gesetz, Frau Kollegin!)

Selbst wenn diese Lehrstellen geschaffen werden, haben wir den 200 000, die auf der Strecke bleiben, damit noch keine Alternative geboten.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Mich erinnert das, was Sie im Moment hier aufführen, an ein bekanntes Sprichwort: „Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach!“ Ihr Tausch, Pakt gegen Umlage, geht allerdings genau anders herum: Sie geben die Taube aus der Hand für einen immer noch flügellahmen Spatz.

   30 000 Ausbildungsplätze sind in Aussicht gestellt. Wir alle wissen aber – der DGB hat es vorgerechnet –: Das reicht hinten und vorne nicht, um das vorhandene Lehrstellendefizit wirklich zu beheben. Hinzu kommt: Der Pakt ist ohne Gewähr. Wenn er überprüft wird, dann haben wir den nächsten Jahrgang enttäuschter Jugendlicher ohne Lehrstelle vor der Tür stehen. Deshalb wiederhole ich: Das duale System lässt sich nur modernisieren, wenn es von der Schwindsucht geheilt wird.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

Genau dazu bedarf es einer Ausbildungsumlage. Da hilft auch kein Paktieren mit Sündern.

   Gestern wurde ich hier in der Fragestunde des Bundestages auf meine Frage, was mit dem Umlagegesetz werde, von der Bundesregierung belehrt, das sei Sache des Parlaments. Daher möchte ich die Kolleginnen und Kollegen der Koalition fragen: Was tun Sie heute Nacht im Vermittlungsausschuss? Nehmen Sie das beschlossene Gesetz tatsächlich zurück, wie es im Pakt vereinbart ist? Legen Sie es auf Eis? Oder wollen Sie dieses Gesetz beschließen und es nicht anwenden, wenn der Pakt erfüllt wird, so wie es im Gesetz beschrieben ist? So viel Ehrlichkeit muss in der Politik schon herrschen.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Nun zum Gegenstand der heutigen Debatte. CDU und CSU unterbreiten konkrete Vorschläge für eine bessere und moderne Berufsausbildung. Das ist gut. Auch wir fordern seit langem eine gründliche Reform der Ausbildung. Die PDS hat ihr Diskussionsangebot dazu aktuell in einer „Magdeburger Erklärung“ vorgelegt. Wir können uns durchaus mit einigen Vorstellungen der CDU/CSU anfreunden, etwa damit, dass Ausbildungsgänge als Module angeboten werden, dass Berufsabschlüsse international vergleichbar sein und anerkannt werden sollen oder dass erworbene Qualitäten in einem Ausbildungspass verbrieft werden sollen.

   Wir können auch gern über eine andere Prüfungsordnung reden. Über eine bessere Koordinierung zwischen betrieblicher und schulischer Ausbildung müssen wir dringend reden. Überhaupt sollte doch unser gemeinsames Ziel sein, eine solide Ausbildung und damit faire Lebenschancen für Jugendliche zu schaffen.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, bin ich dann allerdings auch bei den Differenzen zwischen uns als PDS und Ihrem Entwurf. Die Opposition zur Rechten möchte – das kommt auch in dem heute vorliegenden FDP-Entwurf zum Ausdruck – flinke Ausbildungsgänge zweiter und dritter Klasse zum halben Preis. Sie wollen die Ausbildungszeit verkürzen. Sie wollen Theorie aus den Programmen streichen. Sie wollen den Auszubildenden obendrein auch noch ans Geld. Einem solchen Bildungs- und Sozialabbau zulasten Jugendlicher, wie ihn die CDU/CSU hier vorschlägt, wird die PDS natürlich nicht zustimmen.

   Danke schön.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat der Kollege Willi Brase, SPD-Fraktion.

Willi Brase (SPD):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle stimmen wohl in der Einschätzung überein: Für die jungen Leute und für die Eltern ist es gut, dass wir seit mehreren Monaten eine intensive Diskussion über die Zukunft der Jugendlichen in unserem Land führen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wissen, dass wir die zahlenmäßigen Probleme lösen müssen. Aber wir sollten die inhaltlichen und strukturellen Entwicklungen nicht vergessen: Wo stehen wir? Welche wichtigen Fragen sind im Bereich der beruflichen Bildung zu debattieren, zu lösen und wo sind Entscheidungen auf den Weg zu bringen?

   Ich möchte in Erinnerung rufen, wie eigentlich die Ausgangslage der dualen Ausbildung in unserem Land ist und welche Entwicklungstendenzen wir in den letzten Jahrzehnten zur Kenntnis nehmen mussten. Die Ausbildungsquote ist seit 1980 von deutlich über 7 Prozent auf 5 Prozent gesunken, in manchen Facharbeitsmärkten, auch in innovativen Bereichen, auf unter 3 Prozent. Wenn wir nicht handeln würden, bestünde die Gefahr, dass sich die betriebliche Berufsausbildung zu einer Restgröße für lernschwache Jugendliche, möglicherweise, wenn man manchen Entwürfen glauben darf, auch für einen Niedriglohnsektor, entwickelt. Ich glaube, dass wir das nicht zulassen können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir haben eine schleichende Verstaatlichung der Berufsausbildung zu verzeichnen. Zwischen 1993 und 2001 stieg die Zahl der Schüler an Vollzeitschulen um 50 Prozent auf über 542 000. Wir sollten dabei nicht vergessen: Das Alter beim Einstieg in die Berufsausbildung liegt mittlerweile bei über 19 Jahren. Das sind Veränderungen in den letzten 20, 30 Jahren, die wir zur Kenntnis nehmen müssen.

   Deshalb begrüßen wir ausdrücklich, dass mit dem Referentenentwurf zum Berufsbildungsgesetz jetzt der Weg zu einer weiteren Debatte und dann auch zu einer Entscheidungsfindung im Deutschen Bundestag gegangen wird. Wir werden dabei die Entwürfe der Opposition sicherlich gründlich prüfen;

(Werner Lensing (CDU/CSU): Wohlwollend!)

wir wissen, dass wir es gemeinsam machen müssen.

   Ich möchte auf wenige Punkte eingehen. In den vorliegenden Entwürfen von Union und FDP – teilweise auch in denen, die aus der Gesellschaft heraus entwickelt wurden – werden Stufenausbildung, verkürzte Ausbildung, Module als wichtige Reformziele dargestellt. Wir müssen aufpassen, glaube ich, dass wir hier nicht einen falschen Weg gehen. Durch solche Verkürzungen könnten das Berufsprinzip und die Beschäftigungsfähigkeit der jungen Leute aufs Spiel gesetzt werden.

(Beifall bei der SPD)

   Wir wissen, dass der große Vorteil der dualen Ausbildung der weiche und effektive Übergang von der Schule in die Arbeitswelt sowie – damit nach wie vor verbunden – eine niedrige erste und zweite Schwelle ist. Wenn wir es europäisch betrachten, kommen wir zu dem Ergebnis, dass die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen in Deutschland aufgrund dieses Berufsbildungssystems und der Beschäftigungsfähigkeit nach wie vor wesentlich geringer ist als in anderen Ländern.

(Beifall bei der SPD)

Ich warne davor, dieses Positive, diese Fähigkeit des Berufsbildungssystems durch eine schnelle, möglicherweise vorschnelle und zu brutale Einführung von Stufenausbildung und Verkürzung von Ausbildungsgängen aufs Spiel zu setzen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Wir wollen – das muss eine Reform erreichen – die berufliche Identität als Voraussetzung für Leistungsbereitschaft, Qualitätsbewusstsein, Verantwortung und Integration in die Gesellschaft. Es muss doch eigentlich das Ziel sein, die Facharbeitsmärkte zu revitalisieren; Stichwort: Kernberuflichkeit. Das heißt, wir müssen umfassend deutlich machen: Für uns ist neben dem Hochschulbereich vor allem der berufliche Bereich derjenige, der das Land, die Facharbeiter und die Qualität nach vorne bringt.

Wir brauchen sie, damit auch unsere Gesellschaft weiterhin innovativ ist.

(Beifall bei der SPD)

   Deshalb sind wir auch dagegen, die einzelnen Ausbildungsordnungen auf der horizontalen Ebene noch stärker zu zerpflücken. Denken Sie nur einmal daran, welche Ausbildungsordnungen es mittlerweile im kaufmännischen Bereich gibt: Das geht vom Fitness- bis zum Sportkaufmann. Ich glaube, wir wären gut beraten, wenn wir bei der Debatte in den nächsten Monaten überlegten, wie wir die Kernberufe wieder stärken könnten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Meine Damen und Herren, unsere Aufgabe wird es auch sein, zu überlegen, wie wir einen Teil der jungen Leute mitnehmen können. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch etwas zu zweijährigen Ausbildungsgängen bzw. zur Ausbildung in so genannten theoriegeminderten Berufen sagen. Wir wissen, dass das Arbeitsplatzangebot in den nächsten acht bis zehn Jahren für An- und Ungelernte weiterhin sinken wird. Gleichzeitig aber junge Leute massiv in zwei- oder sogar einjährige, wie manchmal gewünscht wird, Ausbildungsgänge zu schicken würde doch letztendlich bedeuten, dass wir ihnen von vornherein eine Hypothek mit auf den Weg geben, denn sie werden kaum eine vernünftige Perspektive haben. Diesen Widerspruch müssen wir in den Beratungen auflösen.

(Beifall bei der SPD)

Es ist nun einmal so, dass es die entsprechenden Arbeitsplatzangebote nicht mehr gibt.

   Ausbilder sagen aus der Praxis heraus zu diesem Problem: Geben Sie mir etwas mehr Zeit für die Ausbildung dieser jungen Leute, dann schaffe ich es, auch die Schwächeren, die so genannten benachteiligten Jugendlichen, so weit zu bringen, dass sie die gleiche Qualifikation erreichen, wie sie in einem klassischen drei- oder dreieinhalbjährigen Ausbildungsgang erwerben können. Wir sollten den Menschen diesen Weg nicht verbauen, sondern ihnen diese Chance geben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Meine Damen und Herren, es wird immer wieder darüber diskutiert – das wurde auch heute in der Debatte deutlich –, dass die Kosten für die Ausbildung zu hoch sind, weil die Ausbildungsvergütungen zu hoch sind. Mitarbeiter des Bundesinstituts für berufliche Bildung haben sich in der Ausgabe 3/2004 der Zeitschrift „Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis“ der Frage angenommen, welche Bedeutung die Ausbildungsvergütung in der dualen Ausbildung hat. Ihr Urteil ist sehr eindeutig: Eine pauschale Diskussion um die Höhe der Ausbildungsvergütungen ist nicht angemessen und wird der tatsächlichen Situation nicht gerecht. Lassen Sie mich einige wenige Aussagen hier kurz darstellen:

   Erstens. Ein wichtiger Maßstab für die Bewertung der Ausbildungsvergütungen ist das Niveau der Löhne und Gehälter der Fachkräfte. Sie haben also festgestellt, dass die Höhe der Ausbildungsvergütungen sich auch in nicht tariflich gebundenen Bereichen am Niveau der allgemein gezahlten Löhne und Gehälter orientiert. Gegenüber den Fachkräften in der Wirtschaft verdienen Auszubildende ungefähr ein Viertel, gegenüber Beschäftigten im öffentlichen Dienst 28 Prozent und gegenüber denen im Handwerk 22 Prozent. Allein diese Feststellung macht schon deutlich, dass man mit der Forderung, die Ausbildungsvergütungen pauschal um 20 oder 30 zu kürzen, nicht weiterkommt. Im Gegenteil: Damit werden wieder einmal nur die Jugendlichen belastet. Diese Form der Politik sollten wir nicht mitmachen.

(Beifall bei der SPD)

   Ein zweiter Punkt: In Diskussionen wird immer wieder gesagt, die hohen Ausbildungsvergütungen verhinderten, dass Unternehmen Jugendliche einstellen. In diesem Artikel wird genau das Gegenteil zum Ausdruck gebracht. Gerade im Bereich der Facharbeiter wird durch die Höhe der Ausbildungsvergütung der Anreiz dafür geschaffen, dass sich überhaupt qualifizierte junge Leute für diesen Weg entscheiden.

   Es wurde schließlich untersucht, ob nicht Auszubildende durch ihre Leistung dazu beitragen, letztendlich die Ausbildungsvergütung zu refinanzieren.

   Diese Aussagen bestätigen eindeutig unsere Politik. Wenn wir also das Angebot an Facharbeitern aufrechterhalten wollen und diesen Bereich weiter stärken wollen, dann wäre es absolut kontraproduktiv, bei den Ausbildungsvergütungen zu sparen. Es wäre nicht zielführend, einen solchen Weg einzuschlagen. Das würde genau in die falsche Richtung gehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jörg Tauss (SPD): Das müssen wir Herrn Hartmann noch einmal erklären!)

   Meine Damen und Herren, ich würde gern noch etwas zu der Forderung sagen – sie taucht immer wieder auf –, bei schulischen Berufsausbildungen im Rahmen einer Reform von BBiG und Handwerksordnung Kammerprüfungen zuzulassen. Ich glaube, dass wir mehr als gut beraten sind, darüber in den nächsten Monaten in Ruhe in den Ausschüssen zu diskutieren. Welche Konsequenzen hat das, wenn wir die Möglichkeiten, nach einem schulischen Ausbildungsgang an externen Kammerprüfungen teilzunehmen, ausweiten? Lösen wir damit möglicherweise die Berufsfähigkeit, die Beschäftigungsfähigkeit, die Orientierung auf die Facharbeitsmärkte auf?

Ich stelle das hier bewusst als Frage in der Hoffnung, dass wir im weiteren Verfahren zu einer sachgerechten Lösung kommen.

   Wir wollen nicht

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege, Ihre Redezeit!

Willi Brase (SPD):

– danach höre ich auf, Frau Präsidentin , dass das Berufsprinzip und die berufliche Bildung in der Bundesrepublik Deutschland durch eine massive weitere Verschulung sozusagen begraben werden. Im Gegenteil, wir müssen die betrieblichen Ausbildungsplätze stärken. In diesem Sinne sollten wir in den nächsten Monaten diskutieren.

   Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Werner Lensing, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Werner Lensing (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Unser heutiger Gesetzentwurf ist gerade nach dem gestrigen Abschluss eines Ausbildungspaktes besonders wichtig, weil er – im Gegensatz zu Ihrer wenig substanziellen Kritik, Frau Bundesministerin Bulmahn – eine effektive Lösung zur Beseitigung des Lehrstellenmangels und die geeignete Antwort auf den bildungspolitischen Stillstand der Bundesregierung bietet.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, anknüpfend an das, was Herr Schummer aus meiner Fraktion gesagt hat, möchte ich das erklären: Als Vertreter der Opposition hat man bekanntlich nur selten Gelegenheit, die Regierung zu loben;

(Zuruf von der SPD: Die Gelegenheit haben Sie oft!)

aber im Interesse unserer Jugendlichen möchte ich ihr doch zum gestern abgeschlossenen Ausbildungspakt gratulieren – jawohl: gratulieren. Ich gratuliere schließlich aus Überzeugung, weil die Regierung mit dem Abschluss des Ausbildungspaktes genau das umgesetzt hat – wenn auch mit Abstrichen –, was die Union seit Wochen und Monaten mit allerbesten Argumenten gefordert hat.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karlheinz Guttmacher (FDP))

Das heißt in gutem CDU/CSU-Deutsch: Freiwilligkeit statt Zwang, überzeugende Einsicht statt diktierter Vernunft, Einzelverträge statt Megabürokratie.

   Gleichwohl ist die von Ihnen im Vorfeld praktizierte „Politik mit der Brechstange“ gescheitert, weil die Regierenden, wie die Verhandlungen zeigten, ganz offensichtlich im Stehen anders denken als im Sitzen.

(Zuruf von der SPD: Das war das Florett!)

Deutlich wurde: Was Schröder nicht gelernt hat, lernt der so genannte Münte nimmermehr.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deshalb ist Herr Müntefering nicht von ungefähr umgefallen und mit ihm Teile seiner SPD-Fraktion. Es ist ein Sieg über die Kollektivität des Unsinns.

(Michael Glos (CDU/CSU): Sehr gut!)

   Sie haben das Gesetz zur Ausbildungsplatzabgabe im Vorfeld wider besseres Wissen durch den Bundestag gepresst und es anschließend im Bundesrat einfach verschimmeln lassen – in der Hoffnung, dass kein vernunftbegabter Mensch einen solchen Unsinn weiter zu verfolgen gedenkt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karlheinz Guttmacher (FDP))

   Herr Kollege Bertl, weil Sie eben mit fast brüchiger Stimme und leuchtenden Augen die Vorteile des Ausbildungspaktes gepriesen haben, lassen Sie mich folgende Bemerkungen machen:

(Hans-Werner Bertl (SPD): Ich habe die Erwartungen geschildert, die wir haben!)

   Erstens kann der Staat die Erfüllung dieses Paktes genauso wenig einfordern, wie die Verbände die Unternehmen zur Ausbildung zwingen können.

   Zweitens hat Rot-Grün mit dem Pakt nichts Neues erreicht; denn die in dem Ausbildungspakt vereinbarten Angebote bestanden – das haben wir wiederholt gesagt und das stimmt so, auch wenn Sie anderer Auffassung sind – seitens der Wirtschaft bereits lange vor Ihren Bemühungen zur Zwangsabgabe.

(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig! – Nicolette Kressl (SPD): Das ist nicht wahr!)

Es gibt nach wie vor keine Garantien und voraussichtlich auch keine Ausbildungsplätze für alle Jugendlichen, weil die Betriebe nicht gesamt-, sondern betriebswirtschaftlich entscheiden.

   Drittens ist es höchst zweifelhaft, dass in diesem Jahr bei anhaltend schlechter Konjunktur und hoher Insolvenzquote netto mehr Ausbildungsplätze angeboten werden als im Vorjahr.

(Widerspruch bei der SPD)

– Da lassen Sie besser Ihre Lippen davon.

   Viertens. Verlierer auf der ganzen Linie sind die Gewerkschaften.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben zu hoch gepokert und verweigern sich nun dem Pakt. Sie fordern nur von anderen. Herr Bertl, ich frage mich zusätzlich, warum sich jetzt, wenn man allgemein so begeistert ist, wiederum ganze Teile Ihrer Fraktion an dieser Stelle verweigern.

(Nicolette Kressl (SPD): Blödsinn! – Hans-Werner Bertl (SPD): Wer verweigert sich denn?)

Ich habe den Eindruck: Die SPD steht weiter im Abseits.

(Michael Glos (CDU/CSU): So ist es! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Da bleiben sie stehen! – Da holt sie keiner ab!)

   Gerade in dieser Situation kommt unser Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Berufsbildungsrechts wie gerufen. Er wird die Ausbildung nunmehr moderner, schneller und kompakter gestalten. Ich will das anhand einiger Aspekte begründen:

   Erstens. Mit der Schaffung gesetzlicher Grundlagen für die Verbundausbildung räumen wir weitere Hürden zur Schaffung neuer Ausbildungsplätze aus dem Wege.

   Zweitens. Wir bieten den Unternehmen durch die forcierte Erstellung neuer Berufsbilder gezielt Anreize, nach den konkreten wirtschaftlichen Gegebenheiten auszubilden. Das von uns hierfür erarbeitete Schlichtermodell ist wegweisend.

   Drittens. Mit einem europatauglichen Ausbildungspass – Frau Kollegin Böhmer hat schon darauf hingewiesen – werden alle erworbenen Qualifikationen einheitlich erfasst.

   Und schließlich viertens: Wir wollen vor allem die Stufenausbildung für dreijährige Ausbildungsgänge. Gerade für Berufsstarter sind schnelle Erfolgserlebnisse von unschätzbarem Wert.

   Ich fasse zusammen: Unsere Novelle ist, wenn man sie objektiv betrachtet – und dazu in der Lage ist –, in sich geschlossen und übersichtlich.

(Nicolette Kressl (SPD): Übersichtlich schon!)

So bleibt sie auch für kleine Unternehmen, die ausbilden, überschaubar und eigenständig handhabbar.

   Wir wollen, dass die Motivation aller Beteiligten, auch derjenigen im Schulbereich, also aller Lehrerinnen und Lehrer sowie aller Schülerinnen und Schüler, gefördert wird. Aber das setzt ein deutliches Bekenntnis zum hohen Gut der Leistung voraus. Wer jedoch Leistung gesellschaftlich niederredet, macht diese nicht erstrebenswert.

(Zuruf von der SPD: Wer tut das denn?)

Leistung darf kein Schimpfwort sein oder gar als Synonym für Inhumanität verteufelt werden, wie dies traurigerweise viele Jahre in manchen Bundesländern durch sozialdemokratische Regierungen vorexerziert wurde.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Deshalb stelle ich fest – auch das wollen wir mit unserem Antrag –: Wer Leistung angemessen fordert und fördert, handelt zutiefst human.

   Mein Fazit – ich weiß, dass Sie alle es hören wollen –: Eine solide Ausbildung ist der Schlüssel zu beruflichem Erfolg. Unsere duale Ausbildung ist ein zielgerichteter Weg dorthin und weltweit anerkannt. Diese wirksam zu fördern und zu modernisieren, das ist der Inhalt unseres Entwurfs. Und schließlich: Dies alles geschieht auf dem Weg der Freiwilligkeit und der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verantwortung. Für Zwang und Verstaatlichung ist hier kein Platz.

   Wir sind natürlich gesprächsbereit gegenüber allen anderen Fraktionen, solange sie sich unseren guten Vorstellungen anschließen.

   Vielen Dank.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Ich schließe die Aussprache.

   Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 15/2821 und 15/3325 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

[Der folgende Berichtsteil – und damit der gesamte Stenografische Bericht der 114. Sitzung – wird morgen,
Freitag, den 18. Juni 2004,
an dieser Stelle veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/15114
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