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15. Wahlperiode
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   127. Sitzung

   Berlin, Freitag, den 24. September 2004

   Beginn: 9.00 Uhr

* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Präsident Wolfgang Thierse:

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

   Für den verstorbenen Kollegen Büttner hat die Abgeordnete Dr. Bärbel Kofler am 21. September 2004 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße die Kollegin herzlich und wünsche gute Zusammenarbeit.

(Beifall)

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b sowie Zusatzpunkt 5 auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze

– Drucksache 15/3674 –

(Erste Beratung 123. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit (9. Ausschuss)

– Drucksache 15/3737 –

Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Hermann Kues

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel, Rainer Brüderle, Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Möglichkeiten der privaten Arbeitsvermittlung durch marktgerechte Ausgestaltung der Vermittlungsgutscheine verstärkt nutzen

– Drucksachen 15/3513, 15/3737 –

Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Hermann Kues

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Karl-Josef Laumann, Dagmar Wöhrl, Veronika Bellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Langfristig eine einheitliche Förderung der Selbständigkeit von Arbeitslosen schaffen

– Drucksache 15/3707 –

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Karin Roth, SPD-Fraktion, das Wort.

Karin Roth (Esslingen) (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Arbeitsmarktpolitik wollen wir die Maßnahmen konkretisieren und mit dazu beitragen, dass die begonnenen Reformen unkompliziert und unbürokratisch umgesetzt werden können. Mit den Vorschlägen setzen wir unsere Strategie, den Arbeitsmarkt zu modernisieren und dabei vor allen Dingen die Vermittlung in Arbeit zu beschleunigen, fort.

   Wir wissen, dass die Arbeitsmarktpolitik kein Ersatz für Beschäftigungspolitik ist. Deshalb sind Investitionen – insbesondere der Kommunen – zur Schaffung von Arbeitsplätzen in den Regionen genauso wichtig wie die Erfindung neuer Produkte und Dienstleistungen in den Unternehmen. Innovation und Beschäftigung durch Forschung und Entwicklung – das ist die eine Seite der Medaille einer nachhaltigen Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik. Die andere Seite erfordert passgenaue Instrumente der Arbeitsmarktpolitik. Das haben wir mit unseren Reformen am Arbeitsmarkt angepackt, die es jetzt in die Praxis umzusetzen gilt.

   Zu allererst geht es um eine schnellere Vermittlung in Arbeit. Dazu wird die Organisation in den Agenturen für Arbeit vor Ort so verändert, dass nunmehr die Arbeitsvermittlung im Mittelpunkt steht. Zu Norbert Blüms Zeiten hatte ein Arbeitsvermittler bis zu 800 Arbeitslose im wahrsten Sinne des Wortes zu verwalten, aber wenig Chancen, den Einzelnen so zu betreuen, ihn so im Blick zu haben, dass eine passgenaue Arbeit vermittelt werden konnte.

   Jetzt steuern wir um. Unser Ziel ist, dass in Zukunft ein Arbeitsvermittler maximal 150 Arbeitslose betreut, bei Jugendlichen sogar nur 75. Damit verbessern wir die Vermittlungschancen, weil jeder einzelne Arbeitslose stärker im Blickfeld des Arbeitsvermittlers steht.

Folgerichtig verlängern wir deshalb heute auch die bisher bestehende zeitliche Befristung für das neue Instrument der Vermittlungsgutscheine für private Vermittler bis zum 31. Dezember 2006. Rund 1,2 Millionen Vermittlungsgutscheine wurden in den letzten zwei Jahren ausgegeben, um zusätzlich zur Arbeitsvermittlung in den Agenturen neue Vermittlungsfelder zu erschließen. In Ostdeutschland – man höre und staune – wurde die Hälfte aller Vermittlungsgutscheine, nämlich 615 000, ausgegeben. Das zeigt, dass offensichtlich eine große Nachfrage nach diesem Instrument besteht.

   Eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung macht zudem deutlich, dass durch den Einsatz von Vermittlungsgutscheinen die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit um rund zwei Wochen verkürzt und die Vermittlungsgeschwindigkeit sogar um 7 Prozent erhöht werden kann. Das ist ein Beweis dafür, dass bei der Vermittlung in Arbeit noch mehr möglich ist. Könnten wir diese Beschleunigung auf den gesamten Prozess der Arbeitsvermittlung nur zur Hälfte übertragen, würden wir durch die Reduzierung um eine Woche Ausgaben für das Arbeitslosengeld in Höhe von immerhin 1 Milliarde Euro einsparen.

   Bei der Vereinfachung geht es nicht nur um die Beschleunigung des Vermittlungsprozesses im Interesse der Arbeitslosen, sondern auch um die paritätisch finanzierte Arbeitslosenversicherung; denn dieses Geld muss nicht notwendigerweise ausgegeben werden. Dieses positive Zwischenergebnis zeigt uns, dass wir mit unserer Politik auf dem richtigen Weg sind. Deshalb werden wir die Frist für den Anspruch auf einen Vermittlungsgutschein von heute drei Monaten Arbeitslosigkeit auf sechs Wochen verkürzen.

(Dirk Niebel (FDP): Warum nicht von Anfang an?)

Warum sollten wir wertvolle Zeit vergeuden, wenn eine schnellere Vermittlung bzw. Eingliederung in Arbeit möglich ist?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dirk Niebel (FDP): Dann machen Sie es doch von Anfang an!)

   Allerdings müssen wir Missbrauch und Mitnahmeeffekte verhindern. Dazu hat uns vor allen Dingen der Bundesrechnungshof aufgefordert. Deshalb werden wir die Auszahlung an die Dauer der Beschäftigung koppeln. Die erste Rate des Vermittlungshonorars wird erst ausgezahlt, wenn das Beschäftigungsverhältnis mindestens sechs Wochen besteht. So beugen wir Scheinarbeitsverhältnissen vor und so verhindern wir gemeinsam Missbrauch.

   Das erfolgreiche Instrument der Ich-AG, bei der ein Arbeitsloser ohne bürokratischen Aufwand den Schritt in die Selbstständigkeit wagen kann, wollen wir weiter stärken. Dabei kommt es vor allem darauf an, die betriebswirtschaftlichen Grundlagen stärker ins Blickfeld zu nehmen, weil der Erfolg von Ich-AGs entscheidend von entsprechenden Kenntnissen abhängig ist. Fachkundige Stellen, die schon heute Existenzgründungen von Arbeitslosen vor Ort unterstützen, sollen deshalb die Ich-AGs und die Tragfähigkeit des Gründungskonzepts überprüfen und vor allen Dingen die Existenzgründerinnen und Existenzgründer in spe beraten. Dadurch soll das Risiko des Scheiterns der Existenzgründer vermindert werden.

   Die Erfahrungen mit dem Überbrückungsgeld zeigen, dass bei Arbeitslosen ein großes Potenzial für die Selbstständigkeit vorhanden ist. Deshalb sollten wir die arbeitslosen Menschen gemeinsam – ich betone: gemeinsam – ermutigen, Neues zu wagen. Es ist sehr bemerkenswert, mit wie viel Fantasie solche Ich-AGs gegründet werden. Aufgrund der Beispiele, die ich vor Ort kennen gelernt habe, kann ich sagen: Ich war sehr beeindruckt, dass insbesondere auch Frauen dieses Instrument nutzen, um in die Selbstständigkeit zu gehen. Die Fantasie dieser Frauen ist wahrlich bewundernswert.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn es sind nicht die traditionellen Beschäftigungszweige, die Frauen in die Selbstständigkeit bringen. Vielmehr haben sie wirklich wunderbare Ideen. Es gilt, sie zu ermutigen.

   Immerhin sind in den letzten 12 Monaten insgesamt 31 Prozent mehr Ich-AGs entstanden. Das ist eine gute Bilanz. Noch mutiger – auch das möchte ich betonen – sind die Menschen in den neuen Bundesländern: Dort liegt die Zunahme bei denen, die eine Ich-AG gründen und sich der Selbstständigkeit stellen, bei 40 Prozent. Diese erfreulichen Zahlen sind für uns ein Ansporn, dieses Instrument zu verbessern. Genau das tun wir durch den vorliegenden Gesetzentwurf.

Ich bin davon überzeugt, dass durch Kreativität, Engagement und längerfristige Unterstützung eine neue Existenzgründerkultur entstehen kann. Angesichts des konjunkturellen Aufschwungs unserer Wirtschaft, der sich bereits in höheren Gewerbesteuereinnahmen niederschlägt, ist die Zeit reif für eine solche Existenzgründerkultur. Das Institut der deutschen Wirtschaft stellt fest, dass Deutschland in der Europäischen Union auf Platz vier bei der Anzahl der Existenzgründer liegt. Ich bin davon überzeugt, wir können noch besser werden, ja wir müssen besser werden. Dafür müssen wir alles tun und deshalb sollten Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, diesem Gesetz zustimmen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die Opposition hat beantragt, über die Wirksamkeit der arbeitsmarktpolitischen Instrumente Bericht zu erstatten. Ich denke, dass das erst dann sinnvoll ist, wenn die von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Gutachten vorliegen.

   Ich denke, Sie können unserem Gesetzentwurf in aller Ruhe zustimmen; das gilt auch für den vorgesehenen Kinderfreibetrag, dessen Erhöhung Sie unterstützen wollen. Auch hier sollten Sie heute zustimmen. Wir haben die größte Arbeitsmarktreform in Deutschland auf den Weg gebracht. Wir sollten die arbeitslosen Menschen ermutigen, wir sollten Positives nach vorne bringen.

   Wir sollten die Jugendlichen auffordern, Beschäftigungs- und Ausbildungsangebote anzunehmen. Kurzum: Wir fordern und fördern die Menschen. Wir machen Reformpolitik, weil wir wissen, dass sie gut für dieses Land ist. Ich bin davon überzeugt: Wir sind ein starkes Land. Wir können es schaffen – wir haben eine starke Regierung –, die Menschen davon zu überzeugen, dass diese Arbeitsmarktpolitik richtig ist und dass sie vor allen Dingen gut für die Zukunftsperspektiven der Menschen in diesem Land ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Hermann Kues, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Hermann Kues (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die CDU/CSU-Fraktion wird dieses Gesetz mittragen – trotz einiger Widersprüche zu anderen sozialstaatlichen Regelungen. Wir haben das im Ausschuss angesprochen: Die Erhöhung des Kinderfreibetrags ist in Ordnung. Sie wissen aber auch, dass jetzt die Kinder der nicht erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger aufgrund einer anderen Freibetragsregelung anders behandelt werden als die Kinder der arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger. Das ist ein Widerspruch; wir tragen es trotzdem mit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir tragen es mit, obwohl Sie diesen Gesetzentwurf erst vor zwei Wochen eingebracht haben, quasi beiläufig zu den Haushaltsberatungen. Wir tragen es auch mit, obwohl es typisch ist für die Art und Weise, wie diese Bundesregierung Gesetzgebung betreibt: Bevor ein Gesetz in Kraft tritt, werden bereits Korrekturen auf den Weg gebracht. Das ist ein Hin und Her, das kann nicht überzeugen und führt zu Unsicherheit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Vor diesem Hintergrund werden Sie mir sicherlich zugestehen müssen, dass das deutsche Parlament noch nie eine so konstruktive Opposition gehabt hat, wie CDU und CSU sie darstellen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der SPD: Nach den Wahlen!)

Allerdings kann auch kein Zweifel daran bestehen – darauf will ich dann doch hinweisen –, dass dieses Gesetz zu einem Lazarettzug gehört, der die Arbeitsmarktgesetzgebung der Regierung in den letzten Jahren begleitet, und zwar deshalb, weil sich die Arbeitsmarktpolitik dieser Regierung im Wesentlichen darauf beschränkt, mit hohem finanziellen Aufwand die Ergebnisse einer verfehlten Wirtschaftspolitik in den Griff zu bekommen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Ich sage auch ganz deutlich: Das, was an Wachstumschancen in Deutschland nicht genutzt wird, beispielsweise durch eine überhaupt nicht erkennbare in sich schlüssige, langfristig angelegte Energiepolitik, kann auch durch eine nachgelagerte Arbeitsmarktpolitik auf dem zweiten Arbeitsmarkt nicht ausgeglichen werden. Ich wundere mich schon, dass beispielsweise – auch das ist einer der Widersprüche – bei der Grünen Gentechnik die gesetzlichen Regelungen mit Bürokratie überzogen werden, sodass eigentlich kaum noch etwas möglich ist, während gleichzeitig der Wirtschaftsminister – mir persönlich ist das ein Anliegen – etwa in der Frage der Stammzellforschung so tut, als habe es nie eine gründliche Diskussion und einen fraktionsübergreifenden Beschluss hier im Parlament gegeben. Diese Dinge passen nicht zusammen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Jetzt ist neu hinzugekommen – die Politik, dass man Gesetze ständig wieder korrigieren muss, hat sich im Prinzip nicht verändert –, dass das Ganze durch die Beschimpfungsaktion des Bundeskanzler begleitet wird. Ich sage ausdrücklich: Es gibt Missbrauch und Mitnahmeeffekte. Das ist nicht in Ordnung, dagegen muss etwas getan werden. Ich sage aber auch: Wenn man so miserable Gesetze verabschiedet, dass sie geradezu zu Mitnahmen und Missbrauch einladen, dann muss sich die verantwortliche Politik, die Bundesregierung, auch ein wenig selbst an die Nase fassen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Im Übrigen hätten Sie das alles vorher wissen können; Sie waren bei den Anhörungen ja dabei. Alle kritischen Punkte, die jetzt teilweise korrigiert werden, sind damals angesprochen worden. Deswegen wäre es überhaupt nicht notwendig gewesen, dass man jetzt pausenlos nachbessern muss.

   Ich habe die Anmerkungen des Bundesrechnungshofes zur Inanspruchnahme der Vermittlungsgutscheine sehr genau gelesen; Sie haben das angesprochen. Die Mitarbeiter zum Beispiel der Bundesagentur für Arbeit haben gesagt, diese seien auch vom Auszahlungsmodus her so angelegt gewesen, dass man bei Missbrauch und Mitnahmen praktisch hilflos gewesen sei, und man könne aus Zeit- und Personalgründen ohnehin nicht jedem Verdacht nachgehen.

   Jetzt kommt hinzu, dass der Kanzler seine Schelte pikanterweise in der Ostzeitung „Guter Rat“, die es auch schon vor der Wende gab, abgegeben hat. Ich hätte das nicht so genau gewusst, wenn ich nicht einen Mitarbeiter hätte, der im Osten aufgewachsen ist und das sehr genau verfolgt hat. Er hat diese Hinweise also in erster Linie an die Menschen in den neuen Bundesländern gegeben. Ich sage auch an dieser Stelle noch einmal: Missbrauch ist nicht in Ordnung, er muss bekämpft werden. Wenn man Gesetze aber so anlegt, dass praktisch alles auf einen Missbrauch hinausläuft und dass eine Mentalität entsteht, aufgrund deren sich jeder vom Staat das holt, was er bekommen kann, dann darf man sich nicht darüber wundern.

   Apropos guter Rat: Ich erinnere mich noch sehr genau an die SPD-Broschüre – damals gab es noch einen anderen Vorsitzenden; das gebe ich gerne zu –, in der den Bürgern haarklein erläutert wurde, wie sie notfalls am Rande der Legalität an staatliche Leistungen kommen konnten, obwohl sie ein ausreichendes Einkommen hatten.

(Klaus Brandner (SPD): Na, na, na!)

Das war im Jahre 1994; es ist also gerade einmal zehn Jahre her. Es gibt einen Unterschied: Sie waren damals die Opposition und haben geglaubt, der Regierung damit schaden zu können. Es war aber unverantwortlich. Das ist der Unterschied zu unserer heutigen Oppositionsarbeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Klaus Brandner (SPD): Jetzt haben Sie ein tolles Beispiel dafür gegeben, wie die Mitnahmeeffekte zu Ihrer Zeit organisiert worden sind!)

Im Übrigen muss man nicht bis in Ihre Oppositionszeit zurückgehen, um festzustellen, wie Sie Ihre Meinungen über Bord werfen. Ich könnte dazu viele Beispiele nennen.

   Frau Roth, Sie sagten, wir sollten uns einmal gemeinsam Gedanken darüber machen, wie wir den Weg in die Selbstständigkeit fördern können. Wir haben im Ausschuss einen Antrag dazu eingebracht und gesagt, dass man die Grundgedanken der Ich-AG und die Einführung des Überbrückungsgeldes zusammenführen muss, weil sich gezeigt hat, dass das Überbrückungsgeld wesentlich nachhaltiger wirkt als die Ich-AG. Das lässt sich im Prinzip schon jetzt nachweisen.

   70 Prozent der mit dem Überbrückungsgeld geförderten Kleinstunternehmen waren auch drei Jahre nach der Gründung noch erfolgreich am Markt tätig. Jeder zweite Existenzgründer hat inzwischen zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Wir haben Ihnen im Ausschuss dringend ans Herz gelegt, dass Sie das unterstützen, weil das ja ein gemeinsamer Weg sein könnte. Wir sagen an allen Stellen: Dort, wo im Hinblick auf die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit etwas besser zu werden scheint, machen wir mit. Das nenne ich konstruktiv. Sie sind aber destruktiv, weil Sie einen guten Vorschlag, dessen Sinn auch Sie nicht bezweifeln, nur deshalb nicht unterstützt haben, weil er von der Opposition kommt. Das geht letztlich zulasten der Arbeitlosen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Ich will jetzt nicht im Einzelnen etwas zu den Vermittlungsgutscheinen sagen. Ich habe mich einmal bei meinem örtlichen Arbeitsamt erkundigt, wie damit umgegangen wird. Die Vermittlungsgutscheine sind im Wesentlichen für die Arbeitsuchenden geeignet, die mit komplizierten Abläufen alleine fertig werden. Die Gruppe, um die es uns besonders gehen muss, tut sich sehr schwer. Fragen Sie einmal die arbeitslos gemeldeten Putzfrauen in den Arbeitsagenturen. Viele der Vermittlungsgutscheine finden Sie im Papierkorb wieder, weil die Menschen nichts damit anfangen können. Das alles lässt sich belegen; es ist in der Tat so. Im Grunde genommen ist es ein ungeeignetes Mittel. Es passt nicht und bewirkt letztlich nichts.

   Was unser Land braucht, ist eine Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, die Verkrustungen löst, bürokratische Hemmnisse abbaut und Optimismus und nicht Angst verbreitet. Wir als Union sind schon immer dafür gewesen – da waren Sie noch weit davon entfernt –, Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenzufassen. Wir haben das Gesetz mitgetragen, weil es eine Strukturveränderung bedeutet, die unseres Erachtens außerordentlich notwendig ist. Aber so wie Sie es umsetzen, wird es sehr schwierig.

   Ich habe bis heute nicht begriffen, weshalb Sie sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt haben – Frau Dückert, Sie kennen das aus unserer Region, wenn ich einmal Oldenburg zum Emsland zählen darf –, den Kommunen hier die Verantwortung zu übertragen, obwohl wir damit beste Erfahrungen gemacht haben. Wir mussten Ihnen das Zugeständnis abringen, dass gerade einmal 69 Kommunen diese Erlaubnis bekommen. Das zeigt, dass Sie einen guten Ansatz durch Bürokratie und Zentralismus zu torpedieren versuchen. Das finde ich außerordentlich schade.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Jetzt höre ich – damit komme ich zum Schluss –, dass die Koalition bereits in der Mitte der Legislaturperiode wieder zum Stillstand übergehen will. Ich halte das für fatal. Wir brauchen eine durchgreifende Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Wir brauchen ein Denken aus der Sicht des Arbeitslosen und nicht aus der Sicht des Arbeitsplatzbesitzers. Wir brauchen Entscheidungsfreiheit für die betriebliche Ebene überall da, wo eine Abkopplung der Sozialversicherungsbeiträge vom Lohn möglich ist. Der Wandel in Deutschland braucht mehr Freiheit, mehr Eigenverantwortung und mehr Leistungsgerechtigkeit, vor allem auf dem Arbeitsmarkt.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Thea Dückert, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kues, wir kommen zwar beide aus dem Norden – als Oldenburgerin grüße ich Sie –, aber da hören die Gemeinsamkeiten schon fast auf. Gerade in Bezug auf unsere Sicht auf den Arbeitsmarkt und die arbeitsmarktpolitischen Ansätze gibt es große Unterschiede.

   Ich möchte Folgendes vorausschicken: Ich begrüße es, dass Sie trotz allem Ach, Weh und Aber deutlich gemacht haben, dass mit dem Gesetzentwurf, den wir heute einbringen und in dem beispielsweise die Heraufsetzung des Grundfreibetrages zur Schonung des Vermögens und die Sicherstellung der nahtlosen Auszahlung im Januar vorgesehen sind, die letzten Pflöcke eingeschlagen werden, damit diese Reform am 1. Januar 2005 wirklich umgesetzt wird.

   Wir alle wissen, wie notwendig diese Reform ist. Eine derart lange Dauer der Arbeitslosigkeit wie in Deutschland gibt es sonst in Europa nicht. Wir alle wissen, dass der Paradigmenwechsel, den wir mit diesen Reformen am 1. Januar 2005 vornehmen, hin zu einer Arbeitsmarktpolitik der Integration, in Deutschland bitter nötig ist. Es geht darum – Frau Kollegin Roth hat das eben mit Zahlen schon belegt –, endlich auch die Vermittlungstätigkeit zu verbessern, um die Menschen direkt und individuell beraten zu können, ihnen vielfältige Brücken in den Arbeitsmarkt zu bauen und vor allen Dingen die Arbeitsmarktpolitik dezentral auszurichten. Wir wissen auch: So unpopulär diese Reformen sind, so nötig sind sie gleichzeitig.

   Wir haben eben gehört, dass hier eine konstruktive Oppositionsarbeit betrieben worden sei. Ich muss Ihnen schon sagen, Herr Kues: Wenn ich zurückblicke, stelle ich fest, dass der Weg zur Umsetzung einer wirklich sehr schwierigen Reform in diesem Jahr mit lauter kleinen Steinen der Destruktivität gepflastert ist. Ich will zum Beispiel daran erinnern, dass Herr Koch noch im Frühjahr die Kommunen zum Boykott dieser Reformen aufgerufen hat. Ich will an den Schlingerkurs von Herrn Milbradt erinnern, der auf der einen Seite im Vermittlungsausschuss Verschärfungen forderte und auf der anderen Seite am liebsten an den Montagsdemonstrationen teilgenommen hätte.

   Ich will auch – das geht an die FDP – an den billigen Populismus in Form des Wahlslogans erinnern: Hartz statt Herz.

(Dirk Niebel (FDP): Andersherum!)

– Das ist wahr. Ich bin für das Herz.

(Dirk Niebel (FDP): Es ist doch schön, dass wir so lieb zueinander sind!)

Es ärgert mich, dass Sie einen so populistischen Spruch gebraucht haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Es geht darum, eine Arbeitsmarktpolitik zu machen, die sich an den Menschen orientiert. Ihre billige Propaganda mit dem Spruch „Herz statt Hartz“

(Dirk Niebel (FDP): Ich erkläre Ihnen das!)

hat den Rechten in die Hände gespielt. In trauter Einheit mit der PDS haben Sie diese Strategie gewählt. Es hat Ihnen vielleicht in Sachsen genutzt; aber damit haben Sie den Neonazis in die Hände gespielt. Das wissen Sie auch.

(Dirk Niebel (FDP): Sie haben das Bundesverfassungsgericht vergessen!)

Die politische Lehre, die wir daraus ziehen müssen, ist, dass wir notwendigerweise zusammenstehen müssen, um diese Reformen zu verteidigen und zu erklären, weil sie für Deutschland unumgänglich sind.

   Herr Kues, bei allen Differenzen über einzelne Instrumente

(Dirk Niebel (FDP): Statt Schulnoten an die anderen Redner zu verteilen, sollten Sie Konzepte darstellen!)

– ob das Vermittlungsgutscheine, Ich-AGs oder ABM sind – dürfen Sie nicht einen neuen Aufhänger suchen, um die Politik des schlanken Fußes fortzusetzen. Sie müssen – das zeigen auch die Wahlen – diesem Parlament und der Bevölkerung klar machen, dass erstens kein Weg an den Reformen, die am 1. Januar wirksam werden, vorbeiführt und zweitens vor dem 1. Januar die Ärmel aufgekrempelt werden müssen, um die Reformen möglichst reibungslos umzusetzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Wir stehen unter Zeitdruck. Den haben Sie durch das Theater im letzten Jahr, als es um das Optionsgesetz ging, mit zu verantworten.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Das ist doch Unsinn!)

Es ist wichtig, sicherzustellen, dass die Auszahlung am 1. Januar funktioniert, und es ist wichtig, sicherzustellen, dass die verbesserte Förderung und Betreuung funktionieren, egal ob es Schwierigkeiten bei der Software gibt oder nicht. Es ist wichtig, dass die Förderung, die Begleitung, die Beratung und die Auszahlungen bei den Menschen ankommen. Darum geht es. Wir müssen uns hier zusammentun, um das vorzubereiten.

   Diese Reformen bedeuten nicht nur eine Veränderung im Denken und im Umgang mit der Arbeitslosigkeit – es geht darum, immer wieder alles daranzusetzen, dass die Menschen beraten und integriert werden und die Dauer der Arbeitslosigkeit reduziert wird –,

(Volker Kauder (CDU/CSU): Das hätten Sie sich vorher überlegen müssen!)

sondern diese Reformen bedeuten auch eine große Chance für Deutschland. Das gilt in zweierlei Hinsicht, und zwar einmal für die Jugendlichen, die erstmals nicht nur eine elternunabhängige Leistung bekommen, sondern auch die Garantie für ein Angebot. Sie werden es annehmen müssen, um ihre Leistung zu bekommen. Sie bedeuten zum anderen auch eine Chance und eine Herausforderung für die Regionen, weil mit dieser Reform eine dezentrale Arbeitsmarktpolitik – Herr Kues, diese wollten wir immer – umgesetzt wird.

(Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Das Gegenteil macht ihr!)

– Natürlich wollten wir sie.

(Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Tri tra trallala ist das!)

Wir haben immer auf das Know-how vor Ort hingewiesen. Die Kommunen, die Träger, die Arbeitgeber, die Kammern und die Wohlfahrtsverbände vor Ort wissen am besten, was sie ihren Langzeitarbeitslosen anbieten können und wie sie mit ihnen umgehen müssen. Sie kennen die Menschen. Dieses Wissen wollen wir einbinden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Hermann Kues (CDU/CSU): Sie haben aber das Gegenteil gemacht!)

Wir wissen aber auch, dass die Vermittlung wichtig ist. Dabei hat die Bundesagentur für Arbeit ihre Erfahrungen eingebracht.

(Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Sie kennen noch nicht einmal Ihr eigenes Gesetz!)

   Wir müssen am 1. Januar und auch schon vorher für eine reibungslose Umsetzung sorgen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Setzen, sechs!)

Ich plädiere für eine lernende Umsetzung. Ich rate jeder Kommune und unseren Kommunalpolitikern, dafür zu sorgen, dass Beiräte bei den Jobcentern eingerichtet werden, damit dieses Know-how in den Jobcentern gebündelt wird. Man muss darauf achten, dass Maßnahmen wie die fälschlicherweise so genannten 1-Euro-Jobs Qualifizierungsanteile haben und keine regulären Jobs verdrängen. Wir wollen eine lernende Umsetzung, weil es auch Spezialfälle gibt. Die Jobcenter und die Fallmanager haben eine hohe Verantwortung, wenn diese Spezialfälle auftreten.

Präsident Wolfgang Thierse:

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich komme zum Schluss.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Das ist gut so!)

Ich möchte ein Beispiel für die lernende Umsetzung nennen. So gibt es Frauen, die Gewalt ausgesetzt sind und in ein Frauenhaus gehen. Auch diese Frauen brauchen – egal ob sie sich dafür entschieden haben, ihr Leben zusammen mit ihrem Partner weiterzuführen, oder dafür, sich von ihm zu trennen – eine unabhängige Unterstützung und eine besondere Betreuung. All das werden wir sicherstellen müssen.

   Uns erwartet vor Ort eine Vielzahl von Aufgaben. Ich wiederhole, Herr Kues: Ich hoffe, wir können das in Ihrer Region, dem Emsland, bei uns in Oldenburg wie auch in den neuen Bundesländern gemeinsam auf den Weg bringen.

Präsident Wolfgang Thierse:

Frau Kollegin, Sie wollten doch zum Schluss kommen.

Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Das Aufhören war das Beste an dieser Rede! – Gegenruf der Abg. Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ein bisschen höflicher, bitte!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile Kollegen Dirk Niebel, FDP-Fraktion, das Wort.

Dirk Niebel (FDP):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man die Rede der Kollegin Dückert hört, dann wundert man sich, dass sich alles, was sie zu Recht festgestellt hat, leider nicht im Gesetzentwurf wiederfindet. Mittlerweile bin ich zu der Ansicht gekommen, dass das Wort „Nachbesserung“ zum Unwort des Jahres erklärt werden müsste; denn es impliziert, dass etwas Gutes weiter verbessert wird. Aber aufgrund der Erfahrung mit Ihrer Gesetzgebung wissen wir, dass meistens das Gegenteil der Fall ist. Das trifft auch auf das vorliegende Sammelsuriumgesetz zu, in das nicht nur das Schonvermögen für Kinder, sondern auch viele Einzelpunkte mit eingebracht werden, die dazu führen, dass wir diesen Gesetzentwurf nicht mittragen können.

   Ich betone aber ausdrücklich: Die FDP-Bundestagsfraktion war und ist – übrigens schon länger als Sie – für die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, weil es Sinn macht, zwei steuerfinanzierte Transferleistungen für den gleichen Lebenssachverhalt zusammenzufassen, und zwar nicht nur aus Gründen der Kostenersparnis und der Verwaltungsvereinfachung, sondern auch wegen der Würde der Betroffenen. Diese wird nämlich eher gewahrt, wenn man sich mit seinen intimsten wirtschaftlichen Daten nur vor einem wildfremden Beamten „entkleiden“ muss statt gegenüber unterschiedlichen Behörden.

   Nichtsdestotrotz sind wir der Ansicht, dass das Motto besser „Herz und Hartz“ gelautet hätte.

(Beifall bei der FDP)

Das Motto „Herz statt Hartz“ geht auf das Ergebnis der Gesetzgebungsberatungen zurück, in denen Sie dafür gesorgt haben, dass nur das Element des Forderns außerordentlich gut geregelt wird. Auch wir sind übrigens dafür.

(Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die NPD hätte diesen Satz genauso auf ihr Wahlplakat geschrieben! Dass Sie das hier noch vertreten, ist erstaunlich!)

– Frau Dückert, Sie sollten besser still sein und zuhören, wenn ich darstelle, was Sie falsch gemacht haben.

(Beifall bei der FDP – Lachen und Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Was das Fordern angeht, haben Sie in dem Gesetzentwurf effektive Regelungen vorgesehen. Zu kurz kommt aber das Fördern. Denn Sie haben etwas Entscheidendes vergessen, an dem das Herz der Menschen hängt. Sie haben vergessen, die Wirtschafts-, Steuer-, Arbeitsmarkt- und Finanzpolitik so zu reformieren, dass weiteres Investieren und Konsumieren möglich wird, dass Arbeitsplätze geschaffen werden können und dass die Menschen eine Chance bekommen, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Was wir brauchen, ist „Herz und Hartz“. Das aber schaffen Sie mit Ihrer Gesetzgebung leider nicht.

(Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Warum haben Sie denn im Bundesrat zugestimmt? – Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gedächtnisverlust!)

   Sie regeln in dem vorliegenden Gesetzentwurf die so genannte Ich-AG neu. Herr Hartz hat versprochen, dass durch die Ich-AGs in zwei Jahren 500 000 selbstständige Beschäftigungsverhältnisse entstehen. Tatsächlich sind 190 000 dieser Beschäftigungsverhältnisse zustande gekommen, von denen es gegenwärtig noch 157 000 gibt. Gut 30 000 sind inzwischen weggefallen. Vielleicht haben es ein paar Betroffene geschafft, mehr als 25 000 Euro im Jahr zu verdienen. Ich wünsche es ihnen zwar, aber ich bezweifle es. Die meisten von ihnen werden wahrscheinlich das Problem erkannt haben, dass der Förderbetrag von 600 Euro im ersten Jahr auf 360 Euro im zweiten Jahr sinkt und dass die Ich-AG dann wirtschaftlich nicht mehr tragbar ist.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Genauso ist es!)

   Weil wir das Potenzial der selbstständigen Beschäftigung für die Arbeitslosen kennen, unterstützen wir ausdrücklich den Antrag der CDU/CSU-Fraktion, die das gut eingeführte und seit über 20 Jahre wirksame Instrument des Überbrückungsgeldes stärken will.

(Klaus Brandner (SPD): Wo gibt es denn so einen Antrag?)

Wir brauchen nicht zwei verschiedene Leistungen für denselben Sachverhalt, dass man sich aus der Arbeitslosigkeit heraus selbstständig macht.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Notwendig ist vielmehr eine Leistung, die gut ausgestattet und etabliert ist und bei der die wirtschaftliche Tragfähigkeit überprüft wird.

   Die Kriterien, die Sie jetzt bei der Ich-AG einführen wollen, entsprechen im Prinzip denen, die es beim Überbrückungsgeld schon lange gibt, mit dem feinen Unterschied, dass die Leistungen über einen längeren Zeitraum gewährt werden und dass bis zu 25 000 Euro anrechnungsfrei hinzuverdient werden können. Das darf der Empfänger von Überbrückungsgeld nicht. Insofern ist es sinnvoll, eine einheitliche Leistung zu schaffen.

   Sie haben völlig zu Recht festgestellt, Frau Dückert, dass eine Dezentralisierung notwendig ist. Aus diesem Grunde haben wir gefordert, die neue Leistung von den Kommunen administrieren zu lassen. Sie haben ausgeführt, dass dies mit dem Gesetzentwurf der Fall sei. Es ist mitnichten der Fall. In dem Pflichtenheft der Bundesagentur für Arbeit über die räumliche Ausgestaltung von Arbeitsgemeinschaften wird auf den Zentimeter genau festgelegt, wie weit die Steckdosen voneinander entfernt sein müssen, und geregelt, ob es Oberlichter geben darf. Die Bundesagentur regiert in die Bausubstanz der Kommunen hinein. Eine Stadt wie Berlin, die pleite ist und über eine Liegenschaft in Charlottenburg verfügt, die für eine Arbeitsgemeinschaft durchaus geeignet ist, darf sie nicht nutzen, weil die Bundesagentur in Nürnberg feststellt, dass die Steckdosen zu weit auseinander liegen. Das ist Dezentralisierung im Sinne von Rot-Grün!

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Der Bundeswirtschafts- und Arbeitsminister will einen Ombudsrat ähnlich dem Petitionsausschuss einführen, der sich mit den Beschwerden der Bürgerinnen und Bürger beschäftigen darf. Er will also die Verantwortung für den gesetzlichen Murks, den Sie anrichten, an ein zusätzliches, nicht demokratisch legitimiertes Gremium abgeben und sich so aus der Verantwortung ziehen. Das können wir nicht mittragen.

Erlauben Sie mir eine letzte Bemerkung zu unserem Antrag im Zusammenhang mit den Vermittlungsgutscheinen. An dieser Stelle wundere ich mich auch darüber, dass die CDU/CSU unsere Forderungen nicht mittragen kann. Vermittlungsgutscheine sind ein probates Mittel, um einen zusätzlichen Weg in die Arbeit zu finden. Man muss sie aber – im Gegensatz zu Ihrem Vorschlag – marktgerecht ausgestalten. Sie richten sich nur nach der Frage, wie lange jemand arbeitslos ist. Vermittlungsrelevante Daten sind aber auch zum Beispiel die Qualifikation, der Erwerbsverlauf, die gesundheitliche Situation und die Mobilität der Bewerber. Man muss also entsprechend dem jeweiligen Einzelfall festlegen können, wie teuer ein Vermittlungsgutschein bezahlt werden muss.

   So hat man übrigens auch die Chance, die Nachfragemacht der Arbeitsuchenden zu stärken. Diese gehen zum Vermittler ihres Vertrauens. Das kann ein privater Vermittler sein. Das muss in Zukunft aber auch der staatliche Vermittler sein können, der sich durch die Einnahmen aus dem Einlösen der Vermittlungsgutscheine zu refinanzieren hat. Eine solche erfolgsabhängige Lohnkomponente ist ein privatwirtschaftliches Element in der Arbeitsvermittlung, das den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Anreize für eine bessere Vermittlung gibt, weil sie die Möglichkeit haben, ihr eigenes Einkommen durch Effizienz und gute Erfolge zu erhöhen.

   Deswegen werbe ich dafür, unseren Vorschlag zur marktgerechten Ausgestaltung der Vermittlungsgutscheine zu unterstützen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Petra Pau.

Petra Pau (fraktionslos):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über Änderungen, die Hartz IV betreffen. Ich erspare mir daher den komplizierten Originaltitel des heute zu beratenden Gesetzentwurfs. Dabei geht es um Änderungen, die wir als PDS im Bundestag mittragen werden, was allerdings nichts an der grundsätzlichen Ablehnung von Hartz IV durch die PDS ändert.

   Zum einen geht es darum, dass Kinderfreibeträge für alle bedürftigen Kinder gelten sollen. Das ist für viele Betroffene eine Entspannung. Deshalb stimmen wir dem zu.

(Dirk Niebel (FDP): Das gilt aber nicht für nicht erwerbsfähige Eltern!)

Ich kann es auch salopp sagen. Wir beschließen per Gesetz: Ein Kind ist ein Kind, und zwar von Geburt an.

   Eine weitere Änderung ist von ähnlicher Güte. Ich erinnere daran – auch wenn Sie darauf verzichtet haben, das in Ihrem heute vorliegenden Gesetzentwurf noch einmal zu erwähnen –, dass das Bundeskabinett bereits im Sommer dieses Jahres beschlossen hat: Ein Jahr hat zwölf Monate, auch unter Rot-Grün. Folglich soll das Arbeitslosengeld II für alle Berechtigten bereits ab Januar 2005 und nicht erst ab Februar, wie es der Bundeswirtschaftsminister wollte, ausgezahlt werden. Auch das ist logisch.

   Neu zu beschließen ist heute eine Lösung zu den Vermittlungsgutscheinen für Arbeitsuchende. Die neue Lösung ist für die Betroffenen besser als die alte. Wir stimmen ihr daher zu.

   Schließlich folgen wir noch einer weiteren Änderung. Ich-AGs sollen künftig auf einem tragfähigen Konzept fußen. Es soll also vorher geprüft werden. Gleichwohl merke ich an, dass Ich-AGs mitnichten das Wundermittel gegen die Arbeitslosigkeit sind, als das sie eingeführt wurden.

   Damit komme ich zurück zur gesamten Hartz-Philosophie. Wir finden sie nach wie vor grundsätzlich falsch.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

Denn unter dem Strich werden nicht weniger Arbeitslose stehen, sondern mehr arme Arbeitslose. Das wird durch Hartz IV verstärkt, allemal in den strukturschwachen Regionen, egal ob in West, Ost, Nord oder Süd. Ich möchte Sie nur an die aktuelle Arbeitsmarktstatistik erinnern. Die Zahl der freien Arbeitsstellen hat drastisch abgenommen und die Zahl der Langzeitarbeitslosen hat zugenommen. Das sind die Zahlen, an denen sich Bundeskanzler Schröder noch 2002, als die Hartz-Module vorgestellt wurden, messen lassen wollte. Inzwischen pfeifen es die Spatzen von den Dächern. Hartz folgt der bekannten Volksweisheit: Dreimal abgeschnitten und immer noch zu kurz. Deshalb ist die PDS weiter dagegen, auch wenn wir den Verbesserungen im Detail im Sinne der Betroffenen zustimmen.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Gerd Andres.

Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den Reden, die hier bisher gehalten wurden, und nach den Ausschussberatungen kann man davon ausgehen, dass wir die von uns vorgeschlagenen notwendigen Änderungen mit einer breiten Mehrheit beschließen werden. Ich füge hinzu: Unser gemeinsames Einstehen für die Reformen ist doch ein Grund dafür, dass in letzter Zeit offensichtlich die Akzeptanz für die Einführung des Arbeitslosengeldes II zunimmt. Das finde ich gut und das liegt im Interesse unseres Staates und unserer Gesellschaft.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Matthias Platzeck hat in Brandenburg sehr eindrucksvoll bewiesen, dass man auch dann Wahlergebnisse positiv gestalten kann, wenn man vermeintlich unpopuläre Maßnahmen vernünftig erklärt und wenn man darum fightet.

Ihm gilt – das sage ich ganz ausdrücklich – meine Hochachtung. Mancher Warnung zum Trotz ist er auf die Marktplätze gegangen, hat mit den Menschen gesprochen und die Notwendigkeit dieser Reform erklärt. Wir sehen: Das wird dann auch angenommen.

(Dirk Niebel (FDP): Er hat ja weniger verloren als die anderen!)

   Es muss daher zukünftig darum gehen, die Bürger von der Notwendigkeit der Umsetzung der Reformen zu überzeugen. Es muss uns gelingen, ihnen die Vorteile der Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zu verdeutlichen, damit nicht der Eindruck, es gehe allein um die Kürzung von Sozialleistungen, zurückbleibt. Unser Ziel ist es, Arbeitslose besser zu betreuen und ihnen die Möglichkeit zu geben, schneller auf eigenen Füßen zu stehen.

   Das heute zu beratende Gesetz ist nicht der Anfang einer Erosion unserer Konzepte. Im Übrigen enthält es nur einen einzigen Punkt – darauf will ich einmal dezent hinweisen –, der sich mit Hartz IV befasst. Wir nehmen lediglich eine für notwendig erachtete Nachsteuerung vor, deren Richtigkeit auch von Ihnen bestätigt wird; dementsprechend tragen Sie diese Änderung mit. Insgesamt müssen wir die Reformen jetzt wirken lassen. Wir werden die Einführung des Arbeitslosengeldes II genau beobachten. Dabei ist es selbstverständlich, dass ein Reformvorhaben dieses Umfangs nicht völlig reibungslos über die Bühne gehen kann.

   Herr Kues, Sie haben hier gewaltige Worte – „Lazarettzug“ und Ähnliches – gefunden. Von Niebel kennt man das ja: Murks usw. Was Niebel erzählt, kann man eh vergessen; aber Herrn Kues nehme ich wirklich sehr ernst.

(Dirk Niebel (FDP): Sie wissen, dass Sie in Sachsen nur zwei Abgeordnete mehr als wir haben! Sie müssen kleinere Brötchen backen!)

Wer diskutiert und im Land unterwegs ist, der weiß, dass wir uns mit einem ganz bestimmten Problem auseinander setzen müssen: Es gibt viele Bürgerinnen und Bürger, die der Meinung sind, im Falle der Arbeitslosigkeit habe der Staat zu garantieren, dass der Lebensstandard auf Dauer erhalten bleibt – je länger, umso besser. Angesichts dessen muss man mit den Menschen darüber diskutieren, dass auch die Bürgerinnen und Bürger Verantwortung tragen und dass diese Verantwortung nicht darin bestehen kann, auf unbegrenzte Dauer Transferleistungen des Staates zu beziehen. Ich finde es richtig – das sage ich ausdrücklich –, was der Bundeskanzler dazu gesagt hat.

   Ich erkläre für die Bundesregierung: Mit der Umsetzung der so genannten Hartz-IV-Gesetze kommen wir zügig voran. Letzte Woche Mittwoch ist die Frist zur Zulassung als Optionskommune abgelaufen. Bis zum Ablauf der Frist haben sich beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit 73 Kommunen beworben, die anstelle der jeweiligen Arbeitsagenturen Leistungsträger für das neue Arbeitslosengeld II werden wollen. 70 Kommunen haben sich mit Zustimmung der Länder beworben. Insgesamt können 69 Kommunen zugelassen werden. Die meisten Anträge sind aus Hessen, Niedersachsen und NordrheinWestfalen eingegangen. Von den eingegangenen Anträgen können voraussichtlich fast alle berücksichtigt werden, da einige Länder ihre Antragskontingente nicht ausgeschöpft haben.

   Dieses Gesetz war ein Kompromiss. Es gibt 69 Optionen. Die Bundesregierung wird die Vorgaben penibel einhalten. Wir werden auch dafür sorgen, dass diese Optionen mit den gleichen finanziellen und materiellen Ausstattungen verbunden sind wie andere.

(Veronika Bellmann (CDU/CSU): Da bin ich gespannt!)

   Das normale Modell ist die Arbeitsgemeinschaft. Die Kommunalaufsicht liegt bei den Ländern. Ich bitte Sie daher herzlich – damit wende ich mich auch noch einmal an Sie, Herr Kues –, in den Ländern mit dafür zu sorgen, dass die Möglichkeiten zur Blockade der Arbeitsgemeinschaften beseitigt werden. Dass die Kommunalaufsicht bei den Ländern liegt, können wir nicht ändern; verfassungsrechtlich ist es auch richtig. Ich will daran erinnern, dass auch Niedersachsen dieser Konstruktion zugestimmt hat. Es kann nicht sein, dass unterschwellig ein Partisanenkampf stattfindet, nach der Melodie: Die einen kümmern sich nur um die Optionen und die anderen nur um die Arbeitsgemeinschaften.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind der Gesetzgeber. Wir müssen dafür sorgen, dass das Gesetz insgesamt umgesetzt wird.

   Nach aktuellem Stand haben zwischenzeitlich 335 kommunale Träger ihre Bereitschaft erklärt, mit der Bundesagentur für Arbeit eine Arbeitsgemeinschaft zu gründen. Die ersten Arbeitsgemeinschaften bestehen bereits, zum Beispiel in Leverkusen und in Kaiserslautern. Bei weiteren steht die Gründung unmittelbar bevor. Der Zeitplan für die Einführung der ArbeitslosengeldIISoftware ist – das ist allen bekannt – eng und bietet nur wenig Spielraum. Ich gehe aber davon aus, dass die Software zur Erfassung der Daten Mitte Oktober bereitsteht. Alle, die einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II besitzen und rechtzeitig einen Antrag gestellt haben, werden zum 1. Januar ihr Geld erhalten. Es ist daher wichtig, dass die Anträge auf das Arbeitslosengeld II rechtzeitig abgegeben werden.

   Die Rücklaufquoten sind in den Agenturen, aber auch bei den örtlichen Sozialhilfeträgern regional sehr unterschiedlich. Sie liegen zwischen 63 und 10 Prozent. Die Agenturen vor Ort sind deshalb dazu übergegangen, die Kunden persönlich anzusprechen und einzuladen. Es kann und darf nicht sein, dass Menschen aufgefordert werden, die Antragsrückgabe zu verzögern. Die Leute brauchen ihr Geld. Sie sind darauf angewiesen. Sie müssen mitwirken, damit sie zum 1. Januar ihr Geld auch bekommen können. Ich bitte Sie alle, unsinnige Boykottaufrufe zurückzuweisen und dafür zu sorgen, dass die Menschen ihre Anträge ausgefüllt zurückgeben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die Bundesagentur wird in den Arbeitsgemeinschaften ab Januar 2005 – das ist gesagt worden – intensiver beraten und betreuen. Es gibt für die unter 25-Jährigen sofort einen Betreuungsschlüssel von 1 : 75 und im Laufe des Jahres wird es einen Schlüssel von 1 : 150 für alle anderen erwerbsfähigen Erwachsenen geben.

   Das neue Recht sieht eine Vielzahl von Förderinstrumenten vor und bietet wesentlich größere Spielräume als bisher. Ich sage ausdrücklich: Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben ein Interesse an einer bürgernahen örtlichen, regionalen, dezentralen Umsetzung. Dazu muss die Bundesagentur Punkt für Punkt aufgefordert werden. Auch dort muss ein Umlernprozess stattfinden. Wir sind der Meinung, dass die Bundesagentur insofern ihren Job bisher sehr gut macht. Wir werden das auch politisch entsprechend weiter begleiten.

   Bereits ab Oktober wird die Bundesagentur in Zusammenarbeit mit den Kommunen und Wohlfahrtsverbänden schrittweise 100 000 zusätzliche Fördermöglichkeiten zur Verfügung stellen. Es handelt sich um 25 000 Beschäftigungsmöglichkeiten in den Bundesprogrammen „JUMP plus“ und „Arbeit für Langzeitarbeitslose“, 25 000 Möglichkeiten zur Teilnahme an Sprachkursen sowie 50 000 Zusatzjobs.

   Die Zusatzjobs sind zusätzliche Arbeitsgelegenheiten, die qualifizierte Arbeitsmöglichkeiten bieten. Wir sind bei unseren Gesprächen mit den Wohlfahrtsverbänden – sowohl der Minister als auch die Arbeitsebene, als auch die Staatssekretäre haben entsprechende Gespräche geführt – auf großes Interesse gestoßen. Wichtig ist mir dabei, Rahmenbedingungen, Kriterien, Einsatzfelder und Zielgruppen für die Schaffung von Zusatzjobs festzulegen und Qualitätsmaßstäbe zu erarbeiten. Wir wollen den Menschen über die Zusatzjobs eine Perspektive auf eine Rückkehr ins normale Erwerbsleben eröffnen.

   Lassen Sie mich noch kurz auf die hier zu beratenden Anträge eingehen. Anstatt die beschlossene Reform entschlossen umzusetzen, machen Sie genau das, was Sie uns schon wieder vorwerfen: Sie fordern ständig Veränderungen dieser Reform, bevor sie überhaupt in Kraft getreten ist. Lassen Sie uns doch die Wirkung der neuen Arbeitsmarktpolitik evaluieren, bevor übereilt noch nicht voll zur Wirkung gekommene Instrumente wieder verändert werden!

   Ich möchte daran erinnern, dass der Deutsche Bundestag die Bundesregierung am 14. November 2002 aufgefordert hat, die Umsetzung der Hartz-Vorschläge zeitgenau zu evaluieren und innerhalb von drei Jahren einen Ergebnisbericht vorzulegen. Dieser Aufforderung ist die Regierung konsequent nachgekommen. Wir haben Wirkungsforschung in Auftrag gegeben und die Forschungsinstitute haben sich bereits an die Arbeit gemacht. Wir werden dem Bundestag im Jahr 2006 von ihren Ergebnissen berichten.

(Dirk Niebel (FDP): Vor oder nach der Bundestagswahl?)

Mithilfe der Evaluation werden wir erfahren, welche Instrumente tatsächlich Wirkung zeigen und welche nicht.

   Dazu will ich noch etwas sagen; das betrifft eine deutsche Eigenart. Wir haben die Ich-AG eingeführt, weil wir der Auffassung sind, dass wir eine unkomplizierte Möglichkeit einer einfachen Form der Selbstständigkeit brauchen. Sie ist erfolgreich. In diesem Jahr gibt es 120 000 Bezieher von Überbrückungsgeld, daneben haben wir 160 000 Personen über die Ich-AG gefördert. Dass wir jetzt Steuerungsinstrumente dazu einführen, hängt damit zusammen, dass wir natürlich auch die Ausgabenseite in diesem Bereich steuern müssen; denn der Staat – das gilt auch für die Arbeitslosenversicherung – hat kein Geld zu verschenken.

   Aber was Herr Niebel in Bezug auf die Ich-AG sagt – er hantiert ja mit der Zahl von 30 000 –, geht so nicht. Sicherlich werden viele, die eine Ich-AG gegründet haben, die Selbstständigkeit nicht überstehen, aber wir hoffen, dass viele andere sie überstehen. Mit diesem Instrument wird eine zusätzliche Chance gegeben, in die Selbstständigkeit zu gehen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Hälfte aller Neugründungen von Selbstständigen erfolgt aus der Arbeitslosigkeit, und zwar mit unseren bewährten Instrumenten. Deswegen braucht man die auch gar nicht zu beseitigen oder zu verändern, wie das hier gefordert wird.

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Andres, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel?

Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit:

Nein, Herr Präsident. Ich bin mit meiner Redezeit zu Ende. Herr Niebel wird sicherlich die Möglichkeit einer Kurzintervention nutzen; dafür ist er doch Spezialist.

(Beifall des Abg. Klaus Brandner (SPD))

   Ich komme zu meinem letzten Satz; er richtet sich an die Kolleginnen, die hier Fragen insbesondere zum Thema Frauenhäuser gestellt haben. Wir bemühen uns sehr, für Frauen, die in Gemeinschaft leben, entsprechende untergesetzliche Regelungen zu finden, damit diesen Frauen durch die Einführung des Gesetzes nicht zusätzliche Nachteile bei den Leistungen entstehen. Wir wollen über den Deutschen Verein erreichen, dass diese Regelungen auch bei den Kommunen durchgesetzt werden, die optieren und wo diese Häuser in kommunaler Verantwortung betrieben werden. Ich finde, wir müssen da etwas ändern und etwas machen. Die Bundesregierung bemüht sich sehr. Ich möchte diese Debatte dafür nutzen, auch öffentlich zu sagen: Alle, die mit Frauenhäusern zu tun haben, können sich darauf verlassen, dass wir daran arbeiten, eine vernünftige untergesetzliche Regelung zustande zu bringen.

   Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Wie erbeten, erteile ich dem Kollegen Niebel das Wort zu einer Kurzintervention.

Dirk Niebel (FDP):

Vielen Dank, Herr Präsident. Der Wunsch des Herrn Staatssekretärs ist mir natürlich Befehl. Er hätte auch ganz kurz einfach eine Frage beantworten können.

   In Ihrer Rede, Herr Staatssekretär, haben Sie gesagt, dass die Ich-AG ein Instrument sein soll, mit dem man sich ohne großen bürokratischen Aufwand leicht selbstständig machen kann. Jetzt führen Sie mit diesem Gesetz, über das heute abgestimmt wird  wie ich finde, übrigens zu Recht , als Voraussetzung für die Gründung einer Ich-AG das Vorliegen einer Tragfähigkeitsbescheinigung ein. Dafür muss der Bewerber Folgendes vorlegen: eine Beschreibung der Geschäftsidee, einen Kapitalbedarfsplan, einen Finanzierungsplan, eine Umsatz- und Rentabilitätsvorschau. Exakt diese Kriterien müssen auch für die Bewilligung des Überbrückungsgeldes erfüllt werden. Beide Formen unterscheiden sich jetzt nicht mehr, was den bürokratischen Aufwand angeht, sondern nur noch hinsichtlich der Länge der Förderung und im Umstand, dass man bei einer Ich-AG 25 000 Euro anrechnungsfrei hinzuverdienen kann. In Bezug auf die Bürokratie gelten exakt die gleichen Rahmenbedingungen. Das heißt, Ihr Argument ist schlichtweg falsch.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Andres, ich erteile Ihnen das Wort zur Antwort.

Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit:

Mein Argument ist natürlich nicht falsch. Ich habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass wir diese Regelungen einführen, um das mengenmäßige Anwachsen in einer bestimmten Art und Weise steuern zu können. Wir bleiben dabei, dass es im Unterschied zur Gründung einer Firma mit einer ausgeprägten Idee und allem Drum und Dran auch Möglichkeiten geben muss, sich relativ einfach und simpel selbstständig zu machen.

(Dirk Niebel (FDP): Es gibt aber keinen Unterschied!)

Dazu gehört, dass bei der Ich-AG eine andere Förderung stattfindet, nämlich bei den Sozialversicherungsbeiträgen. Dazu gehört nach Vorstellung der Bundesregierung auch eine andere steuerrechtliche Behandlung. Wir haben dazu Vorschläge gemacht, die zum Teil leider im Bundesrat abgelehnt wurden. Hierzu zählen eine Überschussrechnung in einem vereinfachten Verfahren und eine Grenze für die Besteuerung von 25 000 Euro. Ich kann Ihnen versichern, wir werden weiter daran arbeiten, weil wir glauben, dass dieses Land mehr Selbstständige braucht und es Wege geben muss, wie Menschen sich einfach selbstständig machen können.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Aber richtige Wege!)

Daran, dieses Ziel zu erreichen, wird die Regierung weiter arbeiten.

   Ich danke Ihnen für die Möglichkeit, dass ich dieses hier noch einmal darstellen durfte, Herr Niebel. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD – Dirk Niebel (FDP): Immer gerne, Herr Staatssekretär!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Veronika Bellmann, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Veronika Bellmann (CDU/CSU):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe ist noch nicht in Kraft und schon müssen wir nachbessern. Sie nennen das korrigieren.

   Wie so oft bei Gesetzen und Reformen der Bundesregierung wurde wieder einmal nach dem Motto „Versuch und Irrtum“ verfahren. Genau da liegt der Unterschied zu den von Ihnen so viel gescholtenen CDU-geführten Regierungen. Wenn wir bei den umfangreichen Umbrüchen nach der Wende – man denke nur an die Währungsumstellung – so geschludert hätten wie Sie bei der Umsetzung der Arbeitsmarktreformen, dann wären wir nicht dort, wo wir jetzt sind.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Widerspruch bei der SPD)

   Für die ordnungsgemäße Umsetzung des politischen Willens sind einzig und allein die Bundesregierung und ihre Administration zuständig. Eine Regierung, die für Imagebroschüren all ihrer Minister Millionen ausgibt, aber weder Zeit noch Geld zum rechten Zeitpunkt aufbringt, um Millionen von Arbeitslosen zu informieren, woraus diese zukünftig ihre Existenz bestreiten sollen, gefährdet leichtfertig das Vertrauen in die Demokratie.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist ja wohl eine Unverschämtheit! Sagen Sie das nicht noch einmal!)

   Bei einem solchen Reformwerk ist Nachbesserung aber immer noch besser, als Falsches in Kraft treten zu lassen. Es wird sich zeigen, dass wir unter Beibehaltung der Grundsätze für Veränderungen offen bleiben müssen. Wir werden deshalb sicherlich nicht das letzte Mal nachgebessert haben; da bin ich mir fast sicher.

(Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wo hat sich die Union für die Kinderfreibeträge eingesetzt?)

   Ich klage Sie an wegen der miserablen Informations- und Aufklärungspolitik. Ich klage Sie an, weil Sie uns Parlamentarier immer wieder hinters Licht führen, indem Sie in Ihren Ministerien mit der Erarbeitung der notwendigen Verwaltungsvorschriften nicht Schritt halten können oder wollen – beides ist schlimm genug. Ich erinnere dabei zum Beispiel an das Optionsgesetz. Nicht die Aussage von Frau Dückert ist richtig, dass wir schuld an den Verzögerungen seien. Sie sind schuld daran, weil Sie der Grundgesetzänderung nicht zugestimmt haben, die die Finanzsicherheit für die Kommunen gebracht hätte.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie wollen sagen können – eine Antwort aus dem Wirtschaftsministerium von dieser Woche bestätigt mir das –: Seht her, niemand will die Optionen! – Deswegen blockieren Sie in Ihren Häusern.

   Ich bewundere diejenigen Kommunen, die es dennoch wagen, zu optieren, und ich wünsche ihnen Erfolg. Aber ich kann auch die verstehen, die sich diesen Schritt nicht trauen, weil sie kein Vertrauen in die Verlässlichkeit der Aussagen der Bundesregierung haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollegin Bellmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Andres?

Veronika Bellmann (CDU/CSU):

Nein.

   Ich klage Sie an, weil Ihr Bundeskanzler wie ein Elefant im Porzellanladen ohne jegliche Sensibilität für die Ängste der Menschen, vor allem im Osten, reagiert. Er müsste längst gemerkt haben, dass sich bei uns nicht nur die Postleitzahlen geändert haben, sondern die Menschen von einem Umbruch in den anderen geraten; denn Deutschland leidet eben nicht an seinen neuen Ländern, sondern an seinen alten Krankheiten, die nicht der Osten eingeschleppt hat. Ich spüre oft, dass die Sehnsucht im Osten nach Gerechtigkeit bei Reformen eher zur Forderung nach Gleichheit wird. Der Osten habe den Erfolg der sozialen Marktwirtschaft noch nicht erlebt, sagt Angela Merkel. Stimmt, denn sonst wäre klar, dass die Forderung nach Gleichheit den Wettbewerb und damit die Triebkraft in unserer Gesellschaft erstickt.

   Wir alle miteinander haben es nicht verstanden, mit dem langfristigen Nutzen von gut umgesetzten Reformen zu werben. Stattdessen wird nur über Einschnitte, Kürzungen und Opfer gesprochen. Das ist genau so, als wenn Sie Alkoholikern sagen, sie opferten etwas, wenn sie nicht mehr trinken. Nein, Sie müssen ihnen klar machen, dass der Verzicht auf die Droge ihre einzige Chance ist, wieder ein Leben in Würde in einer Gemeinschaft zu führen.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Sehr gutes Beispiel! – Heiterkeit)

Wir kommen nicht ohne Erneuerung und Anpassung an die Erfordernisse der Zeit aus und wir müssen alle unseren Beitrag leisten, auch wir Politiker.

   Vielleicht vermissen die Menschen die Vorbildfunktion der Repräsentanten dieses Landes und das ist bei weitem nicht nur die Politik. Auch das ist unsere Aufgabe: Vorbild zu sein, Richtung und Orientierung zu geben. Mit der Zustimmung zu den Arbeitsmarktreformen haben wir uns an einer Weggabelung für eine Richtung entschieden. Die Bundesregierung, die nun Orientierung geben sollte, hat aber eine Baustelle nach der anderen auf dieser Straße angefangen, ohne wenigstens mit den entsprechenden Hinweisschildern oder sozusagen als Verkehrshelfer den Menschen Hilfe zu geben. Stattdessen kam es immerfort zum Stau. Die Menschen haben das Gefühl, in eine Sackgasse geraten zu sein. Die Peter-Hartz-Straße ist für sie oftmals eine Einbahnstraße ins Niemandsland.

(Ute Kumpf (SPD): Das ist ja unglaublich!)

   Damit zurück zum vorliegenden Gesetzentwurf. Die wichtigsten Punkte – Kollege Kues hat schon darauf hingewiesen – tragen wir mit, obgleich sich wiederum die Frage stellt, ob die Regierung dabei bis zum Ende gedacht hat. Beispiel Ich-AG: Dafür muss jetzt ein Geschäftsplan vorgelegt werden, der fachkundig geprüft wird. Das allein garantiert aber noch nicht, dass das Gründungsvorhaben erfolgreich ist. Immerhin haben schon wieder 30 000 Kleinstunternehmen aufgegeben. Im Übrigen befürchten die Industrie- und Handelskammern außer Wettbewerbsverzerrungen, dass sich die Ich-AGs und die so genannten 1-Euro-Jobs gegenseitig eine große Konkurrenz werden, da sich beide vornehmlich auf dem Dienstleistungssektor betätigen. Diese Befürchtung ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Schließlich haben wir ungefähr 1,06 Millionen erwerbsfähige Sozialhilfebezieher. Wenn diesen Jobs angeboten werden müssen, dann ist es schon fast eine Kunst, solche Jobs ausschließlich im gemeinnützigen Sektor zu finden.

(Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was wollen Sie eigentlich, Frau Bellmann?)

   Im Übrigen wäre es unserer Meinung nach sinnvoller, die Förderinstrumente für Unternehmensgründungen durch Arbeitslose zu vereinheitlichen; das sagten auch meine Vorredner schon.

   Die Mehrheit der 13 Reformmodule der Hartz-Reformen verfehlt das angestrebte Ziel, die Arbeitslosenzahl um 2 Millionen zu verringern. Die Bilanz der Bundesregierung: Höchststände an Arbeitslosen, Tiefststände bei offenen Stellen, die Zahl der Erwerbstätigen ist um über 500 000 zurückgegangen.

   Um das Ziel der Hartz-Kommission – die Zahl der Arbeitslosen auf 2 Millionen zu senken – doch noch zu erreichen, dürfte im kommenden Jahr kein einziger Arbeitsplatz wegfallen und pro Tag müssten 6 145 Arbeitsplätze neu geschaffen werden. Das werden Sie nicht schaffen – nicht einmal mit dem erfolgreichen Instrument der Hartz-Reformen, den Minijobs, die auf die Forderung der Union hin zustande kamen.

(Klaus Brandner (SPD): Ach nee!)

   Daher liegt noch viel Arbeit vor uns und vom Ende der Reformen darf noch keine Rede sein. Uns muss vor allem klar sein, dass wir zurzeit nur die Symptome kurieren und nichts weiter. Das eigentliche Hauptübel ist die verfehlte Wirtschaftspolitik dieser Regierung. Die hohe Arbeitslosigkeit zieht einen Mangel an offenen Stellen nach sich. Hartz IV allein schafft keine Arbeitsplätze.

   Solange den Menschen nicht in ausreichendem Maße Stellen zur Verfügung gestellt werden, die aus Investitionen resultieren – ich werde Sie im Rahmen der Beratungen über den Bundeshaushalt gerade bei den GA-Forderungen eindeutig darauf hinweisen –, bleibt das Konzept des Förderns und Forderns Makulatur.

   Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Gerd Andres.

Gerd Andres (SPD):

Liebe Frau Kollegin Bellmann, Sie haben in Ihrer Rede formuliert – ich bitte Sie, dies zu überprüfen und zu korrigieren –: Deshalb blockieren Ihre Häuser die Optionen. – Ich will hier ausdrücklich für die Bundesregierung erklären

(Dirk Niebel (FDP): Dann sitzen Sie auf dem falschen Platz!)

– Herr Kauder und andere, die es wissen, sitzen dort –: Wir stehen zum Ergebnis des Vermittlungsausschusses.

(Beifall bei der SPD)

Es wird 69 Optionen geben. Die Optionen werden den Agenturen vergleichbar ausgestattet. Wir haben ein Interesse daran. Konkurrenz belebt das Geschäft. Wir machen die 69!

   Ich bitte Sie ganz ausdrücklich: Wenn Sie irgendwo einen Beleg dafür haben, dass Häuser der Bundesregierung die Optionen behindern, dann bitte ich Sie, das zu belegen. Andernfalls bitte ich Sie, diese Aussage zurückzunehmen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Darüber werden wir uns noch unterhalten!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Das Wort zu einer weiteren Kurzintervention erhält Kollege Kauder.

Volker Kauder (CDU/CSU):

Herr Kollege Andres, es ist nicht so, wie Sie gesagt haben.

(Klaus Brandner (SPD): Er hat Frau Bellmann angesprochen!)

– Ich mache eine Kurzintervention, weil ich persönlich angesprochen wurde. Herr Andres hat mich angesprochen.

(Klaus Brandner (SPD): Das geht nicht!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Was geht oder was nicht geht, entscheide ich. Kollege Kauder hat die Gelegenheit zu einer Kurzintervention.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Volker Kauder (CDU/CSU):

Herr Kollege Andres, Fakt war – das habe ich im Vermittlungsausschuss alles miterlebt –: Die Bundesregierung, die rot-grüne Regierungskoalition, hat alles darangesetzt, den Kommunen eine Option so schwer wie möglich zu machen. Das war Ihre Haltung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es war ein irrsinniger Kampf, um überhaupt auf die 69 zu kommen. Weil es so ein Kampf mit Ihnen war, hat es so lange gedauert.

   Ich will jetzt nicht über das Gesetz streiten. Denn es ist tatsächlich so: Wir haben dieses Gesetz miteinander beschlossen und wollen es auch miteinander ausführen. Bei Ihnen hat es allerdings Landtagsabgeordnete gegeben – den einen oder anderen auch bei uns –, die das Gesetz kritisiert haben. Aber was der Vorsitzende der SPD und der SPD-Bundestagsfraktion in diesen Tagen macht, ist unerträglich. Er hat einen Brief an die Menschen in diesem Land geschrieben, in dem steht, dass das, was die Union im Zusammenhang mit Hartz IV macht, schäbig – so steht es dort – sei.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich will Ihnen einmal sagen: In dieser Art und Weise mit einer Opposition umzugehen, die konstruktiv ist,

(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

ist unglaublich.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will Ihnen noch etwas sagen: Wir stehen zu dem, was wir beschlossen haben.

(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

– Sie brauchen gar nicht zu lachen. – Der Bundeskanzler sagt hier einerseits vor dem Plenum: „Wir stehen zu dem, was wir beschlossen haben“, und kündigt andererseits den im Rahmen der Gesundheitsreform getroffenen Kompromiss auf. So sind Ihre Positionen!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie halten sich an gar nichts und verschicken Briefe, in denen Sie schreiben, dass sich die Union schäbig verhält. So kann man nicht zusammenarbeiten. Merken Sie sich das!

(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Brandner (SPD): Herr Kauder, ich hätte erwartet, dass Sie zum Blockadevorwurf Stellung nehmen!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich schließe die Aussprache.

   Wir kommen damit zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze, Drucksache 15/3674. Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3737, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit der gleichen Mehrheit wie zuvor angenommen.

   Ich muss noch nachtragen: Die Kollegin Bellmann hat eine Erklärung zur Abstimmung abgegeben.

   Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit auf Drucksache 15/3737 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Möglichkeiten der privaten Arbeitsvermittlung durch marktgerechte Ausgestaltung der Vermittlungsgutscheine verstärkt nutzen“. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, den Antrag auf Drucksache 15/3513 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen, mehrheitlich der CDU/CSU-Fraktion und der beiden fraktionslosen Abgeordneten gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen.

   Wir kommen zu Zusatzpunkt 5, zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/3707 mit dem Titel „Langfristig eine einheitliche Förderung der Selbstständigkeit von Arbeitslosen schaffen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der beiden fraktionslosen Abgeordneten gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP abgelehnt.

   Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Rolf Bietmann, Kurt-Dieter Grill, Dr. Peter Paziorek, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Keine weitere Verzögerung in der Frage der Entsorgung nuklearer Abfälle

– Drucksache 15/3492 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)FinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitHaushaltsausschuss

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Ich höre keinen Widerspruch. – Dann ist so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Peter Paziorek, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, diejenigen, die den Saal verlassen wollen, bitte ich, das schnell zu tun, damit wir mit unseren Beratungen ungestört fortfahren können. – Kollege Paziorek, Sie haben das Wort.

Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute den Antrag meiner Fraktion, mit dem der Deutsche Bundestag aufgefordert wird, den Blockade- und Verhinderungskurs des Bundesumweltministers in Sachen Endlagerung nuklearer Abfälle zu stoppen. Wir als Union wollen, dass mit der permanenten Verzögerung wichtiger Entscheidungen durch diese Bundesregierung bei der Entsorgung nuklearer Abfälle endlich Schluss ist.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Seit Monaten kündigt der Minister an, dass er in der Endlagersuche aktiv werden will. Aber nichts passiert. Es ist ja auch kein Wunder: Wer sich so wie Sie, Herr Minister, auf das Dosenpfand konzentriert, der hat keine Zeit für die wirklich wichtigen Themen der Umweltpolitik.

(Jürgen Trittin, Bundesminister: Ich? Sie! – Ulrike Mehl (SPD): Was ist denn mit dem Dosenpfand im Bundesrat? Es ist abgesetzt!)

Die CDU/CSU beantragt deshalb heute Morgen, erstens die atomrechtliche Veränderungssperre für das Erkundungsbergwerk Gorleben zu erlassen und den begonnenen Beratungsgang nicht zu verzögern, zweitens von der Ein-Endlager-Strategie abzugehen und zu der bis 1998 verfolgten Zwei-Endlager-Strategie zurückzukehren, das heißt den Schacht Konrad für schwach und mittel radioaktive Abfälle endlich in Betrieb zu nehmen und den Standort Gorleben als mögliches Endlager für hoch radioaktive, Wärme entwickelnde Abfälle vorzusehen, drittens – als Konsequenz daraus – das Moratorium zur Erkundung von Gorleben aufzuheben und die Erkundungsarbeiten fortzusetzen.

   Wir beantragen dies deshalb, weil Sie, Herr Minister, bei der Entsorgungsfrage eine Doppelstrategie betreiben. Nach außen bekunden Sie immer die Bereitschaft, mit einem neuen Suchverfahren zu beginnen, und gleichzeitig verordnen Sie nach innen den permanenten Stillstand. Die Ergebnisse des von Ihnen ja selbst eingesetzten Arbeitskreises Endlager liegen schon seit Ende 2002 vor. Bis heute haben Sie den Endbericht noch nicht einmal bewertet und immer nur allgemein gesagt, wie Sie damit umgehen wollen. Dies ist auch nicht verwunderlich, denn zu Ihrem großen Erstaunen ist der Endbericht nicht so ausgefallen, wie Sie sich das vielleicht erhofft haben. Nun haben Sie vor wenigen Wochen öffentlich erklärt, Sie wollen jetzt, im Herbst, einen Gesetzentwurf vorlegen. Die hierzu von Ihnen abgegebenen Erklärungen ignorieren jedoch Ihre frühere Vorgehensweise zur Standortauswahl vollkommen. Sie stellen die Endlagerkonzepte Gorleben und Konrad infrage und verstoßen mit Ihrer Vorgehensweise tatsächlich auch gegen die Vereinbarung, die Sie am 14. Juni 2000 mit den Energieversorgungsunternehmen geschlossen haben.

   Die Union spricht sich heute klar und deutlich, Herr Minister, gegen ein neues Suchverfahren aus. Es ist nicht nötig; Sie sind in dieser Frage auf dem falschen Weg.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Marianne Tritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ein Blödsinn!)

Die von Ihnen beabsichtigte Neuaufnahme der Standortsuche führt ja zwangsläufig zu einer Realisierung der Endlagerung frühestens erst nach 2040 – und dies ist ja nach Ihren eigenen Zeitvorstellungen viel zu spät. Denn auch Sie sprechen sich immer dafür aus, dass wir schon 2030 ein Endlager haben müssten. Sie können mit dem Verfahren, das Sie jetzt anstreben, Ihre eigene Zielvorstellung – 2030 – gar nicht einhalten; das wissen Sie. Deshalb versuchen Sie, einer Diskussion über diese Frage vor der Bundestagswahl 2006 auszuweichen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Man braucht sich einfach nur den Zeitablauf beim bisherigen Standorterkundungsverfahren Gorleben bis zum Moratorium anzuschauen. Da sind schon 20 Jahre vergangen. Wenn das Moratorium jetzt aufgehoben wird, können wir frühestens in fünf Jahren zu einem Ergebnis kommen, sodass wir sagen können: Der Standort ist geeignet oder er ist nicht geeignet. Zusätzlich müssen wir uns den Zeitrahmen anschauen, den wir für ein Planfeststellungsverfahren brauchen. Das ist Neuland.

(Zuruf)

– Auch wenn Sie „interessant“ rufen: Wir haben 20 Jahre für Konrad gebraucht, für ein Planfeststellungsverfahren, in dem es um schwach radioaktive Stoffe ging. Wir haben nach 20 Jahren den Planfeststellungsbeschluss. Sie selbst haben ihn noch nicht einmal für vollziehbar erklärt. Sie setzen darauf, dass jetzt dieser Planfeststellungsbeschluss beklagt wird. Jetzt zählen Sie einmal zusammen, welche Zeiträume uns noch für Gorleben bleiben, wie lange wir noch für ein Planfeststellungsverfahren brauchen, wie lange ein Klageverfahren laufen wird! Dann werden Sie sehen, dass Sie nie mit 2030 hinkommen. Ihre eigenen zeitlichen Vorstellungen, Herr Minister, sind auf Sand gebaut.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie werden mit dem, was Sie dem Bundestag und der Presse sagen, Ihrer Verantwortung als Minister nicht gerecht. Das wissen Sie. Sie tun in dieser Frage nichts.

   Jetzt kommt das Interessante. In der deutschen Atompolitik hat immer das Verursacherprinzip gegolten, das besagt: Die Wirtschaft ist letztlich zuständig, die Kosten zu tragen.

(Marianne Tritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das soll auch so bleiben!)

Gleichzeitig bestand in Deutschland zwischen Bund und Ländern ein Konsens darüber, dass bei der wichtigen Frage, wo ein solches Lager nun geplant und gebaut wird, sich der Bund als Vertreter des Staates nicht aus dieser Verantwortung zurückziehen kann. Deshalb hat es in Deutschland einen Konsens dahin gehend gegeben, dass trotz Anerkennung des Verursacherprinzips der Bund die staatlichen Aufgaben der grundsätzlichen Planung übernimmt.

Damit war das immer eine grundsätzliche Bundesaufgabe. Indem Sie davon reden, es solle ein spezieller Verband gegründet werden, in dem die Energieversorgungsunternehmen eine Mehrheit bekommen sollten, unternehmen Sie im Augenblick den Versuch, diese typische Bundesaufgabe loszuwerden. Sie machen das deshalb, weil Sie genau wissen: Wenn Sie als Minister diese Bundesaufgabe erfüllen müssen, dann kommen Sie parteipolitisch in eine schwierige Situation. Sie müssen nämlich einerseits als Minister Verantwortung für den Staat tragen, während Sie andererseits mit Ihrer parteipolitischen Basis nicht klarkämen. Diesem Konflikt wollen Sie ausweichen;

(Marianne Tritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das lassen Sie mal unsere Sorge sein!)

deshalb verhindern und blockieren Sie. Sie haben in dieser Frage kein Konzept. Das muss man Ihnen vorwerfen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Völlig falsch!)

   Somit machen Sie in den letzten Monaten nichts anderes, als mit Schuldzuweisungen zu versuchen, von Ihrem eigenen Versagen abzulenken. Nichts anderes war es doch, was Sie in der letzten Haushaltswoche vorgetragen haben. Sie haben nichts anderes getan, als mit völlig falschen Angriffen gegenüber den unionsgeführten Bundesländern von Ihren eigenen Fehlern und von Ihrem eigenen Versagen in dieser Sache abzulenken.

   Aber so kennen wir Sie: Wenn Sie kein Konzept haben oder wenn Sie dieses Konzept nicht realisieren wollen, dann kündigen Sie in der Presse an, neue Konzepte vorzutragen, oder Sie versuchen, mit falschen Angriffen auf den politischen Gegner von Ihren eigenen Fehlern abzulenken. Wir sagen Ihnen ganz deutlich: Das ist der tiefere Grund unseres Antrages: Dies werden wir Ihnen zukünftig nicht mehr durchgehen lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Wenn Sie eine andere Standortprüfung wollen, dann sagen Sie doch bitte den Menschen, wo in Deutschland eventuell die Regionen sind, die noch für weitere Standorte in Betracht kommen. Das ist nämlich Niedersachsen, das ist interessanterweise, wenn Sie von Salz, Ton und Granit ausgehen, auch Nordrhein-Westfalen und das sind einige süddeutsche Länder. Sie wissen es ganz genau; Ihnen liegen schon wissenschaftliche Voruntersuchungen vor. Vielleicht kommt vor Süddeutschland noch Nordrhein-Westfalen dran; vielleicht gibt es dort noch interessante Standorte.

   Jetzt stellen Sie sich einmal vor, meine Damen und Herren, dieser Minister sagte, auch Standorte in Nordrein-Westfalen müssten untersucht werden; ausgeschlossen ist dies nach den wissenschaftlichen Untersuchungen nicht. Seine Parteifreundin Frau Höhn bricht ja schon zusammen, wenn es um Transporte ins Zwischenlager Ahaus geht.

   Herr Minister, jetzt stellen Sie sich einmal die politische Unterstützung vor, die Sie aus Nordrhein-Westfalen erhielten, wenn Sie auf einmal sagten, es sollten auch Standorte in Nordrhein-Westfalen untersucht werden. Weil Sie genau wissen, dass Sie von dort eine volle Breitseite bekämen, sind Sie gar nicht gewillt, den Deutschen konkret zu sagen, welche sonstigen Standorte noch in Betracht kommen.

(Marianne Tritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei Ihnen zählen nur politische Kriterien und keine anderen!)

Daran kann man sehen, wie Sie in dieser Frage schlingern und welchen Kurs Sie haben.

   Wir sagen klar und deutlich: Das Moratorium in Gorleben soll aufgehoben werden. Wir sollten endlich die wissenschaftlichen Erkundungsarbeiten in Gorleben fortsetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Zum Schluss: Auch aus finanziellen Gründen ist Ihr Kurs verantwortungslos.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Hundertprozentig!)

Seit 1998 bis heute haben Sie Studien zur nuklearen Entsorgung für mehr als 18 Millionen Euro in Auftrag gegeben. Nach Angaben der Bundesregierung verschlang allein die Erstellung des Endberichtes des Arbeitskreises Endlager Steuergelder in Höhe von 5,8 Millionen Euro. Weitere Studienvergaben stehen an. Es ist sogar zu befürchten, dass diese Studien freihändig vergeben werden. Das alles zeigt, wie schleierhaft und fragwürdig das ganze Verfahren ist.

   Wir sagen ganz klar und deutlich: Auch aus finanziellen Gründen ist Ihr Kurs verantwortungslos. Erst kürzlich hat der Bundesrechnungshof festgestellt, dass Sie durch Ihre Politik der Verzögerung Haushaltsrisiken in Milliardenhöhe in Kauf nehmen.

   Herr Minister, es ist höchste Zeit, dass Sie die Realitäten zur Kenntnis nehmen. Geben Sie Ihre starre Haltung auf! Stellen Sie sich der Verantwortung und machen Sie endlich den Weg für eine zukunftsfähige Lösung in der Endlagersuche frei!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Horst Kubatschka, SPD-Fraktion.

Horst Kubatschka (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wird Sie sicherlich nicht überraschen, wenn wir Ihren Antrag ablehnen. Wir tun das mit gutem Gewissen, denn Ihr Antrag ist im Grunde genommen nur der durchsichtige Versuch, einen sicherlich schwierigen Prozess der Ergebnisfindung durch forsche Behauptungen und Unterstellungen abzukürzen. Dafür ein Beispiel: In Ihrem Antrag sagen Sie, die dezentralen Zwischenlager drohten quasi zu Endlagern zu werden. Das ist Panikmache.

(Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): Das ist Realität!)

   Dabei kann ich Ihnen eine gewisse Konsequenz nicht absprechen: Sie setzten mit Ihrem Antrag konsequent einen weiteren Meilenstein auf Ihrem Weg einer fahrlässigen Atom- und Energiepolitik.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie unterstellen wider besseres Wissen, dass die Bundesregierung in Verzug sei. Das ist unredlich, um nicht schärfere Ausdrücke zu benutzen. Wir sind nicht in Verzug, sondern liegen weiterhin gut im Zeitplan.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Ehrlich?)

   Der Bundesumweltminister hat erst Anfang September öffentlich klargestellt, dass noch in diesem Herbst ein Gesetzentwurf für ein Endlagersuchverfahren vorgelegt wird. Dann werden wir im Bundestag die Kriterien für das von uns beschlossene ergebnisoffene Auswahlverfahren in aller Gründlichkeit und Transparenz debattieren.

   Es bringt uns nicht voran, wenn Sie sich an Bund-Länder-Beschlüsse von 1979 klammern. Über diese Beschlüsse ist sowohl der Stand von Wissenschaft und Technik als auch die energiepolitische Diskussion hinweggegangen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): Das ist falsch, Herr Kubatschka!)

– Ach, Sie stehen immer noch zur Wiederaufbereitung in Wackersdorf? Das ist überraschend.

(Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): Das ist nicht Gegenstand der Bund-Länder-Vereinbarung gewesen! So ein Quatsch!)

Oder wollen Sie allen Ernstes mit einer 25 Jahre alten politischen Vereinbarung die Entscheidungsfreiheit des Bundestages aufheben? Das wäre doch ein etwas seltsames Verständnis von parlamentarischer Souveränität.

   Wir wollen ein zügiges Verfahren, aber keine Hudelei. Dafür ist das viele Jahrtausende überspannende Problem der sicheren Endlagerung hoch radioaktiver Abfälle nun wirklich viel zu sensibel. Ich respektiere die Einwände derer, die auf eine möglichst rasche und auch kostengünstige Lösung drängen, wobei ich allerdings Zweifel habe, ob Zügigkeit und Kostengünstigkeit hier wirklich zueinander finden.

   Die friedliche Nutzung der Kernenergie wurde eingeleitet, ohne das Problem der Endlagerung ernst zu nehmen.

(Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): Auch das ist falsch! Das ist die Unwahrheit!)

In den 50er-Jahren wurde das Programm „Atome für den Frieden“ aufgelegt. Von Entsorgung sprach damals niemand. Wir hatten einen Atomminister Strauß, der über die Frage der Entsorgung nie ein Wort verloren hat.

(Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): Schon bei seiner Einbringungsrede zum Atomgesetz hat er darauf hingewiesen!)

Das ist kein Vorwurf. Das war in der Gesellschaft einfach kein Thema.

   Die Wissenschaft hat uns in den 50er- und 60er-Jahren eine Welt ohne Energieprobleme vorgegaukelt. Es gab Wissenschaftler –damals haben bekanntlich Sie regiert –, die meinten, in den Häusern könnten die Stromzähler ausgebaut werden, weil der Strom so billig sei, dass sich die Kosten für die Zähler nicht mehr amortisieren würden.

(Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): Was Sie an Blödsinn erzählen, ist unglaublich!)

Die Wissenschaft gaukelte uns ein Perpetuum mobile vor.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Über Sie ist die Diskussion hinweggegangen, wenn ich Ihre Rede höre!)

Als junge Studenten saßen wir Anfang der 60er-Jahre in den Vorlesungen und waren begeistert von den technischen Möglichkeiten der Kernenergie. Es fiel aber kein Wort über Entsorgung und die Lösung der damit verbundenen Probleme.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): So ist das bei der Union heute!)

   Professor Heisenberg, eine Ikone der deutschen Kernenergieforschung, gab damals als Lösung an: ein drei Meter tiefes Loch, drei Meter Erde darüber, das Problem der Entsorgung ist gelöst. Wir wissen, dass das nicht die Lösung ist.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Das ist ja nicht zu fassen! Herr Kubatschka, nehmen Sie sich doch selbst ernst! Mit einer solchen Rede schießen Sie sich aus der sachlichen Diskussion!)

– Sie lachen, aber das war sein Vorschlag.

   Die Wissenschaft und die Technik haben die Politik, aber auch die Wirtschaft in eine Sackgasse geführt. Bisher gibt es weltweit noch keine Lösung für die Endlagerung.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Sie sind eine Karikatur Ihrer selbst!)

Jahrzehntlang wurde das Problem der Endlagerung auf zukünftige Generationen geschoben.

(Birgit Homburger (FDP): Seit Rot-Grün wird das so gemacht!)

Dies war einer der Gründe dafür, warum die rot-grüne Koalition die Nutzung der Atomkraft für nicht mehr verantwortbar hält und den Atomausstieg eingeleitet hat.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb ist es leichtfertig, wie Sie in Ihrem Antrag über Einigungen und Sicherheitsfragen atomarer Endlager anscheinend abschließende und belastbare Urteile fällen. Sie haben das gerade in Ihrer Vorrede bestätigt. Es ist jedoch – gelinde gesagt – erstaunlich. Ich halte dies in hohem Maße für unseriös.

   Genauso fragwürdig ist in meinen Augen auch Ihre Haltung zum Arbeitskreis „Auswahlverfahren Endlagerstandorte“, kurz: AK End, und zu der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Verhandlungsgruppe Nukleare Endlager. Union und FDP haben sich in trautem Einvernehmen mit dem Land Niedersachsen und den AKW-Betreibern schlicht verweigert.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Hört! Hört!)

Ich muss aber in aller Deutlichkeit feststellen: Nicht wir, sondern die Union hat sich aus der nationalen Verantwortung für die Endlagerung herausgeschlichen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Marianne Tritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unglaublich! – Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): Wer hat Ihnen denn den Schwachsinn erzählt?)

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will es ganz deutlich sagen: Wir stehen zu unserer nationalen Verantwortung für die sichere Endlagerung des deutschen Atommülls in unserem Land.

(Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), an die CDU/CSU gewandt: Erzählen Sie nicht, dass wir verantwortlich sind!)

Gerade beim Atommüll gilt ohne Einschränkung das Verursacherprinzip. Einen Atommülltourismus und das Wegschieben dieser Erblast wird es mit uns nicht geben.

(Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): Aber ihr macht es! – Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Aber jede Menge Endlager!)

Das haben wir auch mit Blick auf die Diskussion in Brüssel über die europäischen bzw. internationalen Optionen deutlich gemacht, um gerade von den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort immer wieder geäußerte Zweifel zu entkräften. Zwischenlager sind keine Endlager und sie werden nicht zu Endlagern gemacht. Ihre Genehmigung ist befristet. Das Ziel, bis zum Jahr 2030 ein betriebsbereites Endlager zur Verfügung zu haben, steht und wird eingehalten. Das hat Umweltminister Trittin immer wieder betont.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Wer es glaubt, wird selig!)

   Die Unionsfraktionen instrumentalisieren jetzt auch noch den Bericht des Bundesrechnungshofs für ihre parteipolitischen Spielchen.

(Widerspruch bei der CDU/CSU – Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Das ist doch unsere Aufgabe als Opposition!)

Der Bundesrechnungshof ist jedoch kein Hiwi für die Atompolitik der Unionsparteien.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Ist Ihnen das unangenehm?)

Sie verstecken sich hinter den Kostenprognosen, haben jedoch in der Sache weniger denn je überzeugende Argumente für die Atomkraft.

(Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): Das ist ein Armutszeugnis, was Sie hier vortragen!)

   Wenn Sie ehrlich wären, würden Sie eingestehen, dass Sie wissen, dass die Atomkraft in unserer Bevölkerung keine große Zustimmung findet. Selbst in der uns nun wahrlich nicht politisch nahe stehenden „Wirtschaftswoche“ kommt eine repräsentative Blitzumfrage von Anfang September dieses Jahres nur auf 38 Prozent Zustimmung für eine weitere Nutzung der Kernenergie,

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Darum geht es nicht! Es geht um die Endlager!)

und das, obwohl die Frage denkbar suggestiv gestellt wurde. Sie lautete:

Sind Sie dafür, dass der geplante Ausstieg aus der Kernenergie abgesagt wird, wenn dadurch die Strompreise konstant bleiben oder sogar fallen würden?

Auch auf diese Frage haben sich die meisten Bürger für einen Ausstieg aus der Kernenergie ausgesprochen.

(Marianne Tritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Hört! Hört!)

   Da hilft kein Klingeln mit dem Geldbeutel. Auch bei einer – ich sage ganz ausdrücklich: zu Recht geführten – öffentlichen Diskussion über Energiekosten und Strompreise gibt es keine Mehrheit für eine Renaissance der Atomkraft. Darum geht es Ihnen doch in Wirklichkeit: Sie wollen den Wiedereinstieg in die Kernenergie. Es ist jedoch in hohem Maße unsinnig, eine Diskussion über den Wiedereinstieg in die Atomkraft anzufangen, solange die zentralen Gründe für den Atomausstieg, insbesondere das Sicherheitsproblem, die Entsorgungsfrage und das Proliferationsrisiko, weiter bestehen. All diese Gründe verschärfen sich durch Ihre Haltung.

   Aber da auch Sie nicht an der Physik vorbeikommen und es schlichtweg nicht zu leugnen ist, dass sich das Atommüllvolumen mit jedem weiteren Betriebsjahr und jedem neuen Atomkraftwerk vermehrt, müssen Sie die Endlagerproblematik zwangsläufig für gelöst erklären.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Ach was! Das ist doch nicht zu fassen!)

Deshalb wollen Sie diese offene Flanke um jeden Preis schließen, auch wenn dabei Seriosität und Sicherheit auf der Strecke bleiben.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Wie kommen Sie denn darauf, Herr Kollege Kubatschka? Ihre Rede darf ja gar nicht veröffentlicht werden!)

Das, meine Damen und Herren, geht mit uns nicht.

   Apropos Sicherheit: Gerade mit Blick auf die schrecklichen Ereignisse der jüngsten Vergangenheit muss ich Ihnen sagen, dass es schon erstaunlich ist, wie selektiv einige von Ihnen mit den Gefahren des internationalen Terrorismus umgehen. Die Verwundbarkeit hoch riskanter Großtechnologien durch terroristische Angriffe verschwindet nicht durch Verschweigen. Auch bayerische Nebelkerzen sind kein hilfreicher Beitrag zu einer seriösen Diskussion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin der festen Überzeugung, dass die Terrorgefahr ein wichtiges Argument gegen die Kernenergie ist. Deshalb bleibt es dabei: Der Atomausstieg ist gesetzlich beschlossen und der Fahrplan eindeutig festgelegt.

Alle Atomkraftbetreiber haben dem zugestimmt. Hier bin ich ausnahmsweise mit dem seligen Franz Josef Strauß völlig einer Meinung: Verträge müssen eingehalten werden.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sprechen heute nicht allein über die Endlagerung, sondern über die Atomkraft insgesamt. Ich darf deshalb heute noch einmal feststellen, was unter anderem die Energie-Enquete-Kommission des letzten Bundestages bestätigt und das Parlament in seiner Befassung mit deren Abschlussbericht beschlossen hat: Die weitere Nutzung der Atomkraft ist sowohl ökologisch als auch ökonomisch unsinnig. Ich füge hinzu: Sie ist rückwärts gerichtet und innovationsfeindlich.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Denn wer heute noch Atomkraftwerken das Wort redet, ignoriert, dass die zukünftige Energieversorgung nicht mehr in dem bekannten Maße auf Großstrukturen ausgerichtet sein kann. Der dezentralen, hoch effizienten und verbrauchernahen Energieversorgung gehört die Zukunft. Energieeffizienz und erneuerbare Energien sind der Schlüssel für eine Energieversorgung, die am Leitbild der Nachhaltigkeit ausgerichtet ist. Atomkraftwerke sind Auslaufmodelle.

   Das Auswahlverfahren der Endlagerstandorte erfordert von allen Beteiligten – ich appelliere hier ganz besonders an Sie, meine Damen und Herren von der Opposition – ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein und Gemeinsinn. Wir haben die Atomkraft genutzt, jetzt müssen wir auch dafür sorgen, dass die unangenehmen Hinterlassenschaften sicher verwahrt werden.

(Franz Obermeier (CDU/CSU): Dann machen Sie es halt!)

Ein Denken nach dem Sankt-Florians-Prinzip – Endlager, ja, aber bitte nicht bei mir – führt uns nicht weiter.

   Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Franz Obermeier (CDU/CSU): Aber mit einem Moratorium geht es?)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Birgit Homburger, FDP-Fraktion.

Birgit Homburger (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe leider nicht so viel Zeit wie der Kollege Kubatschka. Deshalb möchte ich nicht über die Energiepolitik im Allgemeinen reden, sondern auf das zurückkommen, über das wir heute diskutieren, nämlich den Antrag zum Thema Endlagerung.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Für die Endlagerung gilt bei uns in Deutschland nach dem Atomgesetz ein strenger Vorsorgemaßstab, nämlich der Stand von Wissenschaft und Technik. Unter dem grünen Umweltminister wird dieser in Deutschland zum Stand der Ideologie und Stillstand.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Quatsch!)

Sie handeln in der Frage der Entsorgung radioaktiven Abfalls absolut verantwortungslos. Vor allen Dingen – das halte ich für viel schlimmer – wird die Entsorgungsfrage auf zukünftige Generationen verschoben. Das ist nicht akzeptabel.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Herr Kubatschka, ich habe Ihnen zugehört und ich frage mich: In welcher Zeit leben Sie eigentlich?

(Volker Kauder (CDU/CSU): So ist es! – Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Er ist stehen geblieben!)

Was für eine Diskussion wollen Sie hier eigentlich führen? Ihnen muss doch klar sein, dass selbst wenn Sie den Ausstieg vollziehen, den Ihre rot-grüne Koalition eingeleitet hat, immer noch die Endlagerung der schon vorhandenen radioaktiven Abfälle vorzunehmen bleibt.

(Horst Kubatschka (SPD): Das ist doch nicht geleugnet worden!)

Auch mittel und schwach radioaktive Abfälle müssen wir entsorgen. Darüber müssen wir sprechen.

(Horst Kubatschka (SPD): Auch das habe ich nicht geleugnet!)

Im Übrigen war immer von vornherein klar, dass dieses Problem gelöst werden muss. Wir haben dafür über viele Jahre die Zwei-Endlager-Strategie verfolgt und die Erkundung entsprechender Standorte weit vorangetrieben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das wurde jetzt ohne Not aufgegeben. Um es einmal ganz klar zu sagen: Wir haben jetzt eine Einendlagerstrategie. Wir sind also abgekommen von Schacht Konrad und Gorleben und haben zwei Jahre lang einen AK „End“ arbeiten lassen: Er hat einen Bericht vorgelegt.

(Marianne Tritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wieso beruft ihr euch auf der einen Seite auf den AK „End“, wenn ihr ihn auf der anderen Seite nicht ernst nehmt? Das ist scheinheilig!)

Jetzt meint der Bundesumweltminister, man könnte ein Endlager bis 2030 in Betrieb nehmen. Das ist doch vollkommen illusorisch. Sie haben bisher noch nicht einmal eine Novelle des Atomgesetzes vorgelegt. Wenn Sie nicht einmal das schaffen, wie wollen Sie dann bis 2030 ein Endlager zuwege bringen? Das ist völlig unrealistisch.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Ich sage auch ganz deutlich, weil Sie es angesprochen haben: Wir haben auch keine weitere Arbeitsgruppe nötig. Die Experten sind sich einig.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): So ist es! – Marianne Tritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein, sind sie nicht!)

Es ist eben nicht so, wie Sie sagen, dass wir an irgendetwas von 1979 festhalten. Es gibt unter Sicherheitsgesichtspunkten kein anderes Land in der Welt, das auf eine Einendlagerstrategie setzt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Sie sind leider auf einem Auge blind!)

Alle sagen, wir müssen zwischen den schwach und mittel radioaktiven Abfällen auf der einen und den hoch radioaktiven Abfällen auf der anderen Seite trennen. Herr Minister Trittin, das sagt im Übrigen auch das Bundeswirtschaftsministerium und das steht im Bericht des Bundesrechnungshofes. Auch der Arbeitskreis „Auswahlverfahren Endlagerstandorte“, der von Ihnen einberufen wurde, sagt wörtlich, dass die Aufteilung auf zwei Endlager unter Sicherheitsgesichtspunkten vorzugswürdig sei.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): So ist es!)

Sie haben allerdings ein Ein-Endlager-Konzept vorgelegt, weil Sie vorgegeben haben, dass es ein Ein-Endlager-Konzept sein muss. So kann man unter Sicherheitsgesichtspunkten schlicht und ergreifend nicht arbeiten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Die Verzögerung, die dadurch entsteht, bewirkt auch eine Verzögerung bei der Inbetriebnahme von Schacht Konrad. Das wirkt sich wiederum auf die Zwischenlagerung von schwach und mittel radioaktiven Abfällen aus. Dort muss umkonditioniert werden. Das heißt, es wird auch für die damit befassten Mitarbeiter eine zusätzliche Strahlenbelastung auftreten.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Es scheinen nach Ihrer Auffassung ja schöne Zustände zu sein!)

Genau aus diesem Grunde hat auch die Bildungs- und Forschungsministerin in diesem Lande klar gesagt, dass sie für eine schnelle Inbetriebnahme von Schacht Konrad ist, um eine solche zusätzliche Gefährdung der Mitarbeiter auszuschließen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Dafür gefährden wir lieber eine ganze Region, oder was?)

   Herr Minister Trittin und Herr Kubatschka scheinen etwas auszublenden:

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Den Kubatschka würde ich nicht zitieren!)

Auch in Forschungseinrichtungen des Bundes und in der Medizin wird mit Radioaktivität umgegangen. Herr Trittin spricht von der Verantwortung der Abfallverursacher. Wenn Sie davon sprechen, dann denken Sie immer nur an Atommüll und an die Kernkraftwerke. Dabei blenden Sie vollkommen aus, dass zwei Drittel der Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung aus dem Verantwortungsbereich des Bundes kommen.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): So ist es!)

Mit dem Schacht Konrad hätten wir hier ein geeignetes Endlager. Deswegen wollen wir, die FDP, mit der CDU gemeinsam, dass der Schacht Konrad nach dem entsprechenden Verfahren so schnell wie möglich in Betrieb genommen wird.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Herr Präsident, ich komme zum Schluss.

(Marianne Tritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gut!)

Ich habe mich hier sehr stark auf die sicherheitspolitischen Komponenten bezogen, die ich für zentral halte. Der Bundesrechnungshof hat daneben gesagt, dass Sie mit dieser neuen Strategie auch finanziell ein großes Risiko eingehen.

   Herr Minister Trittin, ich stelle fest: Sie sind ein Sicherheitsrisiko, Sie sind ein Haushaltsrisiko und ich fordere Sie auf: Kehren Sie endlich zu seriöser Politik zurück!

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Marianne Tritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gut, dass das vorbei ist!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile dem Bundesminister Jürgen Trittin das Wort.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Horst Kubatschka (SPD): Er strahlt!)

Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Herr Kubatschka hat auf einen wichtigen Umstand hingewiesen:

(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

Das Problem insbesondere bei den hoch aktiven Stoffen, mit dem wir alle unabhängig von unserer jeweiligen Haltung zur Atomenergie umgehen müssen – da stimme ich Ihnen doch zu –, entstand durch das verantwortungslose Einsteigen in die Atomenergie, ohne eine Lösung für die Endlagerproblematik zu haben. Damit müssen wir uns herumschlagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Das ist Ihre Meinung! Die Wissenschaft und das Bundesverfassungsgericht sehen das anders! – Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): Godesberger Programm!)

   Seit dreißig Jahren hat sich daran wenig geändert. In diesen dreißig Jahren seit Bestehen des Problems standen Sie in der meisten Zeit in der Regierungsverantwortung.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Dann müssten Sie sofort aussteigen! – Gegenruf der Abg. Marianne Tritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Hören Sie auf zu quaken!)

Wie sind Sie damit umgegangen? Sie haben uns erklärt, Sie hätten ein sicheres Endlager, das Sie weiter nutzen würden. Dann haben Sie in Morsleben Atommüll nicht eingelagert, sondern, um es auf Deutsch zu sagen, abgekippt.

   Frau Homburger, Sie sprachen von Haushaltsrisiken. Was finden Sie heute im Haushalt? Schauen Sie einmal nach, wie viele Millionen Euro ich ausgeben muss – Geld des Steuerzahlers –, um dieses von Ihnen für sicher erklärte Endlager, in dem Sie eingelagert haben, vor dem Einsturz zu bewahren. Das ist die Realität. Wenn hier jemand für Risiken und für die Verschwendung von Steuergeldern in der Entsorgungspolitik verantwortlich ist, dann sind es CDU, CSU und FDP und niemand sonst.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): So viel Quatsch zu Morsleben habe ich noch nie gehört!)

   Es geht noch weiter: Diese Politik der Verweigerung setzen Sie fort. Herr Paziorek stellt sich hier vorne hin und ist stolz darauf, dass sich die CDU, die CSU und die FDP nicht an der Verhandlungsgruppe für die Bestimmung eines Endlagerstandortes beteiligen. Sie scheuen sich nicht, mir vorzuwerfen, ich hätte Probleme damit, meiner Klientel etwas zuzumuten. Dazu könnte ich Ihnen von Auseinandersetzungen auf Parteitagen, Demos in Gorleben und Auseinandersetzungen mit dem Kollegen Kuhn einiges erzählen. Aber was machen Sie? Sie berufen sich ernsthaft auf den AK End, aber negieren die zentrale Aussage des AK End einfach. Der AK End hat erklärt: Es gibt kein sicheres Endlager, sondern nur das im Vergleich zu anderen konkreten Gesteinsformationen sicherere Endlager.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Das haben wir nie anders gesagt!)

Deswegen bedarf es eines Auswahlprozesses, nicht einer Vorfestlegung.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Nein, wir haben das Auswahlverfahren schon vor 30 Jahren gehabt!)

   Was haben Sie gemacht? Sie haben sich genau diesem Auswahlverfahren entzogen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wer sich aber verweigert, der sollte aufhören, hier Anträge wegen einer angeblichen Verzögerung in der Frage der Entsorgung zu stellen, sondern bei diesem Problem einfach stille sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Das hätten Sie wohl gerne! – Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Die SPD war doch an der Sache beteiligt! Jetzt will sie sich scheinheilig hinausstehlen!)

   Noch eine letzte Bemerkung zu diesem Verfahren. Schauen Sie sich einmal das Urteil des US-amerikanischen Bundesgerichts zu Yucca Mountain an. Dort hat man wie Sie in Gorleben alles auf eine Karte gesetzt. Das Endlager ist faktisch betriebsfähig. Und was passiert dann? Ein Gericht erklärt: Ihr habt einen Fehler gemacht, weil ihr die Langzeitsicherheit dieses Lagers nicht hinreichend beachtet habt. Ihr hättet vergleichen müssen; denn 10 000 Jahre Langzeitsicherheit sind nicht genug. – Wollen Sie mit dem Schacht Konrad und der Anlage in Gorleben im Jahre 2030 genauso enden? Ich halte das für unvernünftig und verantwortungslos.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): Sie haben doch Konrad genehmigt!)

   Ich will Ihnen etwas zu den finanziellen Risiken sagen. Der Bundesrechnungshof hat erklärt, wir seien Risiken eingegangen. Unsere Antwort war: Bisher ist für die angeblichen Risiken kein Geld ausgegeben worden. Diese Auskunft von uns war nicht ganz vollständig. Das Gegenteil ist der Fall: Wir haben in den letzten Jahren auf diesem Gebiet sehr viel Geld gespart.

(Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Ach!)

   Herr Paziorek, Sie waren einmal Stadtdirektor. Wie nennen Sie es als gelernter Jurist, wenn jemand etwas ohne eine Baugenehmigung baut? Der Volksmund spricht von einem Schwarzbau. Genau das ist in Gorleben passiert. In Gorleben ist ein Endlager gebaut worden, und zwar – das haben Sie selber bemerkt, das ist eine interessante Feststellung – ohne eine Plangenehmigung und einen Planfeststellungsbeschluss.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Vorsicht! Vorsicht!)

Es gibt kein atomrechtliches Genehmigungsverfahren für den Bau eines atomaren Endlagers in Gorleben.

(Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): Das war ja auch gar nicht nötig!)

Diesen Schwarzbau haben wir in der Tat gestoppt.

(Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): Das ist unglaublich!)

   Was hat das im Ergebnis gebracht? Ergebnis war, dass die deutschen Energieversorger in den letzten Jahren 165 Millionen Euro, die sie sonst für die Fortsetzung dieses Schwarzbaus hätten ausgeben müssen, gespart haben. So ist das mit den Risiken. Wir haben die Risiken nicht vergrößert, sondern sie gemindert.

   Nun wollen Sie uns erneut einem Risiko aussetzen. Sie sagen, die Bundesregierung soll zulassen, dass im Schacht Konrad Atommüll eingelagert wird. Was ist das denn für ein merkwürdiger Rat? Was passiert denn, wenn die Klage, beispielsweise aus Salzgitter, vor dem OVG Erfolg hat? Erwarten Sie dann von mir, dass ich zulasten der Stromkunden, zulasten des Steuerzahlers den Atommüll, den Sie dort voreilig eingelagert haben, wieder hochhole? Nein, was Sie machen wollen, ist abenteuerlich. Sie wollen ein Atommülllager ohne atomrechtliche Genehmigung weiterbauen.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Das ist ein Probebergwerk!)

Sie wollen Atommüll in einem Endlager einlagern, für das es keine rechtsfeste Genehmigung gibt. Damit setzen Sie die Bevölkerung auch finanziell unkalkulierbaren Risiken aus.

   Frau Homburger, ich sage es ungern, aber Sie sollten sich mit der Geschichte beschäftigen. Frau Tritz gibt Ihnen gerne Nachhilfe. Gorleben war immer als ein Einendlager geplant. Es ist ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass es dafür geeignet ist. Das ist nicht meine Auffassung, aber die Auffassung derjenigen gewesen, die das damals gemacht haben. Sie sollten also mit Ihrer Haltung zum Ein-Endlager-Konzept ein bisschen vorsichtiger sein.

   Wer solche unkalkulierbaren Risiken eingeht, sollte es besser unterlassen, solche Anträge zu stellen. Aber es kommt noch toller. Die wichtigste Vorgabe zur Lösung des Atommüllproblems war und ist der Ausstieg aus der Atomenergie. Eine Voraussetzung, dieses Problem zu lösen, ist es, die Menge des atomaren Mülls zu reduzieren. Wer wie Sie die Laufzeiten verlängern will, der muss den Bürgern sagen, dass er das Problem des Atommülls um Tausende von Kubikmetern hoch radioaktiv strahlenden Mülls vergrößern will. Dann müssen Sie auch eine Antwort darauf geben, wie Sie dieses Problem lösen wollen. Sie sind gegen Zwischenlager. Sagen Sie doch offen, dass Sie dafür sind, dass der Atommüll weiterhin, wie es früher üblich gewesen ist, im Ausland zwischengelagert wird.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Unmöglich, was Sie da sagen!)

Die Wiederaufarbeitung war nichts anderes als das. Das halte ich für verantwortungslos. Wer Atomanlagen schwarz baut, wer Laufzeiten verlängert, der will das Atommüllproblem nicht lösen, sondern es vermehren. Das werden wir nicht zulassen.

   Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Franz Obermeier, CDU/CSU-Fraktion.

(Ulrich Kelber (SPD): Er erklärt jetzt, dass Bayern das Endlager haben will!) – Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Endlager für Freising! – Ulrich Kelber (SPD): Davor kann er sicher sein!)

Franz Obermeier (CDU/CSU):

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die Lautstärke des Bundesumweltministers stand in umgekehrtem Verhältnis zum politischen Inhalt und zum sachlichen Gehalt seiner Rede.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hubert Ulrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir sind hier nicht im Bierzelt!)

   Herr Bundesumweltminister, ich möchte Ihnen unser Empfinden über das Wort „verantwortungslos“ darlegen. Verantwortungslos war nicht der Einstieg in die Kernenergie, sondern verantwortungslos ist das Moratorium für das Endlager Gorleben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn Sie uns hier unterstellen, dass wir immer davon ausgegangen sind, dass Gorleben das Endlager schon ist, dann sagen Sie die pure Unwahrheit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben immer gesagt, dass es sich in Gorleben um eine wissenschaftliche Erkundung über die Geeignetheit in Richtung Sicherheit des Salzstocks handelt und nichts anderes.

(Beifall bei der CDU/CSU – Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann hätte man das anders angelegt!)

Ob ein Salzstock wie in Gorleben geeignet ist oder nicht, müssen die Wissenschaftler entscheiden. Die Untersuchung, ob wir in Deutschland einen geeigneteren Standort haben, fand schon vor Jahren statt. Sie tun heute so, als müssten Sie einen Schwarzbau korrigieren. Das ist schlicht und einfach unwahr, Herr Bundesumweltminister. Sie sollten sich die bergrechtliche Genehmigung ansehen, die für diese Arbeiten besteht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Wenn das Bergrecht ein Maßstab für Sie ist, ist das leichtfertig!)

   Jetzt reden wir über die Zwischenlager. Herr Bundesumweltminister, jetzt gibt es die Zwischenlager, zum Teil stehen sie schon, zum Teil sind sie im Bau. Herr Kubatschka, wir waren doch zusammen auf der Podiumsdiskussion in Niederaichbach. Die Leute wehrten sich nicht so sehr gegen die befristete Zwischenlagerung von Brennstäben, sondern deswegen, weil sie die Sorge haben, dass aus diesen Zwischenlagern Endlager werden. Auf diesem Kurs sind Sie, Herr Bundesumweltminister, aus rein ideologischen Gründen, weil Sie die Unsicherheit in der Bevölkerung weiter schüren wollen.

(Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie schüren gerade Unsicherheit!)

   Ihre Äußerung zum Schluss Ihrer Rede, wir zielten darauf ab, dass die atomaren Abfälle der Bundesrepublik Deutschland im Ausland gelagert werden sollen, ist eine glatte Verleumdung. Bitte geben Sie uns einen Beleg dafür, dass wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dies beabsichtigen! Wenn Sie das nicht können, dann nehmen Sie diese Äußerung bitte zurück!

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Lassen Sie mich noch etwas zu dem Bericht des Bundesrechnungshofes anmerken. Dass dieser Bericht eine Ohrfeige für Sie ist,

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Wohl wahr!)

die so laut geknallt hat, dass man es bis nach Bayern gehört hat, dürfen Sie mir glauben. Noch trauriger ist der Inhalt. Der Bundesrechnungshof als neutrale Instanz schreibt, Ihre Arbeit in dieser Angelegenheit sei nicht systematisch, nicht zielgerichtet, unwirtschaftlich und wenig transparent. Warum sollen wir das bezweifeln?

   Noch schlimmer ist es, Herr Bundesumweltminister – ich weiß, dass Sie kein Verhältnis zur Ökonomie haben und dass Ihnen der Euro weit weniger wert ist als Ihre eigene Ideologie –, wenn Ihre Politik ein finanzielles Risiko in Höhe von 7 Milliarden Euro bedeutet. Das müsste für die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen gerade in Zeiten, in denen so viel über Energiepreise, die hohen Kosten im Energiesektor und die sich daraus ergebenden Arbeitsplatzverluste diskutiert wird, der Anlass sein, sich intensiv damit auseinander zu setzen.

   Lassen Sie mich noch etwas zu der Ein-Endlager-Theorie ausführen, die nichts anderes als eine Geldvernichtungsmaschine ist, Herr Bundesumweltminister. Weltweit besteht weder die Absicht, diesen Ansatz umzusetzen, noch befinden sich entsprechende Lager im Bau. Dafür gibt es physikalische und gesundheitliche Gründe, die Ihnen bekannt sind. Sie haben 1998 das gesamte Vorhaben gekippt.

   Wir fordern Sie auf, Herr Bundesumweltminister: Kehren Sie auf den Weg der Vernunft zurück! Wir kommen um die Endlagerung der Brennstäbe nicht herum, ob wir dies wollen oder nicht. Kehren Sie zur Inbetriebnahme von Schacht Konrad und zu weiteren Erkundungen in Gorleben zurück!

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Wilhelm Schmidt, SPD-Fraktion.

Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So ist das mit der Union: Sie vernachlässigt in sehr umfangreichem Maße Sicherheitsinteressen in diesem Lande. Sie und niemand anders sind das Risiko für die Menschen. Das ist es, was wir an Ihrem Antrag bemängeln.

(Beifall bei der SPD – Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): Das ist unglaublich! Sie sind ein Verleumder! – Volker Kauder (CDU/CSU): Er kann so nett sein und redet so einen Unsinn!))

   Sie haben in Ihrer Regierungszeit vollendete Tatsachen geschaffen und wollen mit Ihrem Antrag heute weitere Wege dieser Art beschreiten,

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Das ist doch gar nicht wahr!)

von denen wir meinen, dass sie unter Sicherheitsaspekten nicht beschritten werden dürfen. Wir werden dabei nicht mitmachen.

   Wenn Sie darauf abheben, dass das Vorhaben möglicherweise mit einem finanziellen Risiko verbunden ist, dann muss ich Ihnen entgegenhalten: Uns geht Sicherheit vor Finanzrisiken. An diesem Maßstab haben wir dieses gefährliche Thema zu orientieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Wir haben Ihre Politik in den vergangenen Jahren – das gilt sowohl für Ihre Regierungszeit als auch für die Jahre, in denen Sie in der Opposition sind – zu kritisieren, weil Sie sich nicht der Mitverantwortung stellen. Wir haben den Energiekonsens doch deshalb zustande gebracht, weil wir die Unternehmen im Energiesektor und die Politik von Bund und Ländern zusammenführen wollten. Sie haben sich immer wieder ausgeschlossen und diese Pfade der Zusammenarbeit nicht mitbeschritten. Das kritisieren wir nachdrücklich, zumal Sie auch jetzt wieder eine Politik betreiben wollen, die nur davon ausgeht, bestimmte Interessen einzelner Beteiligter zu befriedigen, statt das Gesamtinteresse Deutschlands im Blick zu behalten.

   Diejenigen, die aus den Verhandlungen der Gruppe „Nukleares Endlager“ ausgestiegen sind,

(Franz Obermeier (CDU/CSU): Sie waren mit dabei!)

sollten nicht die Backen aufblasen und so tun, als ob sie damit andere bzw. bessere Sicherheitsinteressen verfolgen würden. Was Sie bisher betrieben haben, ist blanke Ideologie.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Das sagt ein Ideologe!)

Das wird von uns entsprechend kritisiert.

   Ich denke, dass wir gut daran täten, die Gruppe „Nukleares Endlager“ in Gang zu setzen, sie vor allen Dingen über alle Grenzen hinweg ernst zu nehmen und als Grundlage dafür zu nutzen, die Fragen von Endlagerstandorten und Sicherheitskriterien ernsthaft und neutral zu bewerten.

Dem verweigern Sie sich. Das kritisiere ich.

   Wenn Sie schon die Finanzseite dieses Projekts ansprechen, dann sollten Sie auch – Herr Trittin hat das eben angedeutet – Ihre eigenen Sünden zugeben und deren Folgen nüchtern kalkulieren. Morsleben kostet 1,8 Milliarden Euro. Das ist Ihre Schuld.

(Franz Obermeier (CDU/CSU): Das ist doch DDR-Erbe!)

– Man hätte mit diesem Erbe auch anders umgehen können, nur um das deutlich zu sagen.

(Franz Obermeier (CDU/CSU): Das haben Sie damals nicht gefordert, Herr Schmidt!)

Die Union ist für den teuren Teil verantwortlich und die FDP hat bereitwillig mitgemacht. Dies ist zu kritisieren.

   Mit Ihrem jetzt vorliegenden Antrag wollen Sie wieder einmal vorschnelle Entscheidungen nach dem Motto herbeiführen: Aus den Augen, aus dem Sinn! Sie wollen das ganze Zeug zügig unter die Erde bringen, nur damit man optisch nichts mehr damit zu tun hat. Dies kann nicht gut gehen. Als Abgeordneter des Wahlkreises Salzgitter–Wolfenbüttel kann ich Ihnen nur sagen: Wir werden vor Ort gegen Konrad kämpfen, so lange und so gut es nach Rechtsmaßstäben möglich ist. Ich bin schon sehr gespannt, wie der Kollege Fromme, der den vorliegenden Antrag der CDU/CSU-Fraktion mit unterschrieben hat, vor Ort damit umgehen wird. Es ist jedenfalls fahrlässig, so zu tun, als ob die Sicherheit für Konrad längst gegeben wäre. Das akzeptieren wir nicht. Erklären Sie Ihre Vorgehensweise einmal den Menschen vor Ort.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Klagen Sie also gegen den eigenen Beschluss? Es gibt doch einen Planfeststellungsbeschluss!)

In der betroffenen Region wohnen 1 Million Menschen. Dort gibt es viele Industrieunternehmen. Aber Sie vernachlässigen die Transportgefahren und leugnen die Unsicherheit des Einlagerungsverfahrens. Machen Sie nur fröhlich weiter! Damit das entsprechend klar ist: Ich werde mich im Gegensatz zu Ihnen weiterhin am Widerstand gegen Konrad betätigen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Damit das ebenfalls deutlich wird: Wir wollen an dieser Stelle unsere gemeinsame Verantwortung wahrnehmen. Das Entscheidende ist aber, dass wir natürlich auch für die entsprechenden Grundlagen sorgen müssen. Wenn wir die Gruppe „Nukleares Endlager“ aktivieren wollen, dann brauchen wir eine sorgfältige, verbesserte und umfangreichere Endlagerforschung. Herr Minister, wir sind uns darüber einig, dass wir hier alle Ministerien noch einmal entsprechend aktivieren sollten. Da wir unsere Verantwortung wahrnehmen wollen, brauchen wir eine verbesserte Grundlage. Wir werden deshalb auf unserem verantwortungsbewussten Pfad weitergehen und nicht dem verantwortungslosen Pfad der CDU/CSU folgen.

   Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Herr Kollege Schmidt, bevor Sie das Rednerpult verlassen: Der Kollege Fromme wollte Ihnen noch eine Zwischenfrage stellen.

(Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Da Herr Schmidt das Rednerpult schon verlassen hat, möchte ich eine Kurzintervention machen!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention dem Kollegen Fromme.

Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU):

Herr Kollege Schmidt, können Sie mir vielleicht erklären, warum Sie die Gelegenheit, eine Vereinbarung mit den Unternehmen zu erzielen, ausgelassen haben – das war ja Ihre letzte rechtsstaatliche Möglichkeit, Konrad zu verhindern –, wenn Sie jetzt dagegen plädieren, und warum in Ihrer Verantwortung der Planfeststellungsbeschluss ergangen ist?

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Schmidt, bitte.

Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD):

Herr Fromme, da Sie keine Zwischenfrage gestellt, sondern eine Kurzintervention gemacht haben, können Sie sich wieder setzen.

(Heiterkeit bei der SPD)

Wenn Sie sich gesetzt haben, antworte ich.

Präsident Wolfgang Thierse:

Herr Fromme, das stimmt. Sie dürfen Platz nehmen.

Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD):

Die entscheidende Frage ist doch, wie weit wer welches Verfahren vorangetrieben hat. Sie waren in der Verantwortung, um das deutlich zu sagen. Sie legen hier Maßstäbe an, mit denen Sie winkeladvokatische Wege beschreiten. Das sollten Sie mit mir nicht machen. Das Entscheidende war und ist immer  nicht nur für uns vor Ort, sondern auch für die SPD-Bundestagsfraktion  die Sicherheitsfrage. Auch diejenigen, die sich vor Ort gegen das Projekt Konrad wenden, waren und sind der Meinung, dass die Sicherheitsfragen im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens nicht ausreichend berücksichtigt worden sind. Wir werden über die Fragen betreffend die Transportsicherheit und die Langzeitsicherheit weiter – notfalls auch vor Gericht – zu streiten haben. Ich bin sehr sicher, dass der Widerstand vor Ort, der nach meiner Einschätzung sehr solide und sachkundig aufgebaut worden ist und der deshalb erfolgsträchtig ist, vor Gericht die entsprechende Unterstützung bekommen wird.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Warum haben Sie das dann genehmigt?)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Kurt-Dieter Grill, CDU/CSU-Fraktion.

Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schmidt, der Bundesumweltminister und Sie haben heute Morgen einen Beitrag zur Volksverdummung und Geschichtsklitterung geleistet.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Ich will hier noch einmal auf den Schacht Konrad eingehen: 1989 hat der damalige Ministerpräsident Rau Klaus Töpfer und Helmut Kohl gebeten, eine Konsensrunde einzurichten, um die mit der Endlagerfrage verbundenen Probleme zu lösen. NordrheinWestfalen hat nämlich die Schaffung des Zwischenlagers in Ahaus immer unter der Voraussetzung betrieben, dass eine Endlagerlösung gefunden wird. 1990 haben die Ministerpräsidenten mit Zustimmung von Schröder, Scheibe und anderen einstimmig den Beschluss gefasst – ihn haben übrigens auch Frau Griefahn und der grüne Staatssekretär Bulle unterstützt –, dass ein Endlager für schwach radioaktive Abfälle schnellstmöglich geschaffen werde. Damit war Schacht Konrad gemeint. Das, was Sie hier als fehlerhaftes Verfahren beschreiben, lag ab 1990 allein in der Hand der rot-grünen Regierung in Niedersachsen. Das ist die eine Seite.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Sie kennen doch die Weisungen von Herrn Töpfer und Frau Merkel! Bauen Sie doch keinen Popanz auf!)

   Die andere Seite sieht folgendermaßen aus, Herr Schmidt: Wir haben unsere Verantwortung im Bund wahrgenommen. Aber Fakt ist, dass in dem so genannten Ausstiegsvertrag – er ist gar keiner – steht, Konrad solle genehmigt werden.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): So ist es! Genau so steht es drin!)

Die Genehmigung für Schacht Konrad – Sie loben diesen Vertrag ja – haben Sie und nicht wir erteilt. Wenn ich Ihrer Argumentation folge, dann muss mit der Sicherheit also alles in Ordnung sein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Ich finde es infam, wie Sie hier vorgehen und der Bevölkerung vor Ort den Eindruck vermitteln, Sie leisteten Widerstand, obwohl Sie in Wahrheit hier, in diesem Hause, den Vertrag, den Schröder und Trittin unterschrieben haben, als Ausstieg aus der Kernenergie bejubelt haben. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Der Bundesumweltminister hat sich darin gefallen, über „Schwarzbauten“ zu reden. Ich will Ihnen nur sagen, dass im Landkreis LüchowDannenberg über die Frage „Bergrecht oder Atomrecht?“ monatelang gestritten worden ist.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): So ist es!)

Wir im Kreistag haben damals mit großer Mehrheit gesagt: Wir wollen aus Glaubwürdigkeitsgründen eine Untersuchung des Salzstockes nach Bergrecht und nicht nach Atomrecht.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Genau so ist es!)

Anderenfalls wären Sie es nämlich, die heute hier stünden und sagten: Es ist ein Endlager. Aus genau diesem Grund haben auch Ihre Parteifreunde gesagt: Wir wollen eine Untersuchung des Salzstockes in Gorleben nach Bergrecht und nicht nach Atomrecht. Es handelt sich also um eine Glaubwürdigkeitsfrage.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Alles, worüber wir heute diskutieren, geschah bis 1990, 1993, 1997 – wir haben noch mit Herrn Schröder verhandelt – im Konsens mit der SPD. Diesen Konsens haben Sie erst mit dem Regierungswechsel 1998 aufgekündigt. Ich zeige Ihnen die Rede von Gerhard Schröder als Ministerpräsident im Niedersächsischen Landtag, in der er ein Endlager gefordert hat. Aber er hat geglaubt, man könne die hochradioaktiven Abfälle im Schacht Konrad einlagern. Lesen Sie die Rede von Schröder im Niedersächsischen Landtag nach! Sie sind die Letzten, die uns Vorträge über Sicherheit und Verantwortung für die Menschen in diesem Land halten müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Da es mich nicht nur rational, sondern auch emotional berührt, sage ich Ihnen Folgendes: Monika Griefahn, die frühere Umweltministerin einer rot-grünen Regierung in Niedersachsen, hat Gorleben mit den Bezeichnungen „bessere Tennishalle“, „Schrotthalle“ und „Blechbude“ diskriminiert. Fakt ist, dass der Bundesumweltminister – er hat von einem gescheiterten Entsorgungskonzept geredet – genau diese Bautypen im Lande 13mal hat bauen lassen, damit keine Transporte durchgeführt werden müssen.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Als Zwischenlager! Das ist die Wahrheit!)

Solange Töpfer, Merkel und Kohl das gemacht haben, war das unsicher. Wenn Trittin und Schröder das machen, dann wird der gleiche Bau zu einer sicheren Veranstaltung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Das ist es, was wir in diesem Land erleben.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

   Sie sollten auch einmal die Einbringungsrede von Franz Josef Strauß lesen: Da werden die Fragen der Vorsorge für die Endlagerung behandelt. Infolgedessen sind 225 mögliche Standorte in Deutschland untersucht worden. Sie sind nicht die Erfinder der Standortsuche. Eine solche Suche haben kluge Wissenschaftler und verantwortliche Politiker in den 60er- und 70erJahren durchgeführt.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Genau das ist die Wahrheit! Wir hatten schon Standorte!)

Das Ergebnis dieser Standortsuche hat die Regierung Helmut Schmidt der Regierung Kubel in Niedersachsen mitgeteilt. Es hieß: Wir wollen einen Salzstock bei euch. Das Ergebnis ist Gorleben.

   Stellen Sie sich heute bitte nicht hierhin und setzen auf das Vergessen der Bürgerinnen und Bürger,

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Das hat doch keiner gesagt! Wir stehen doch zu dieser Verantwortung!)

auf die jungen Leute, die nicht mehr wissen, wie die Geschichte gewesen ist! Sie haben hier heute Morgen behauptet, wir hätten uns nie um die Sicherheit und die Endlagervorsorge gekümmert.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Pfui! Eine Unterstellung!)

Die Wahrheit ist eine andere.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Das ist doch Unsinn!)

   Im Übrigen: Wer, so wie Sie, aus der Kernenergie aussteigt und nicht sagen kann, was anstelle dessen kommt, der sollte hier etwas kleiner und bescheidener auftreten. Sie können bis heute nicht belegen, wie die 20 000 Megawatt aus der Kernenergie in Deutschland ersetzt werden sollen. Sie haben dafür kein Programm.

   Letzter Punkt. Die Sozialdemokraten in diesem Land – das will ich sehr deutlich sagen – haben im Godesberger Programm von der unendlich verfügbaren Atomenergie gesprochen. Ihr Parteifreund Erhard Eppler – –

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Herr Kollege, Sie müssen ganz schnell zum Schluss kommen.

Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU):

Ja, ich komme zum Ende.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Nein, Sie haben schon zwei Minuten überzogen.

Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU):

Darf ich den Satz noch eben zu Ende sprechen, Frau Präsidentin?

(Unruhe)

   Ich will nur noch eines sagen – und zwar mit vollem Bedacht –: Erhard Eppler war ein Befürworter des Schnellen Brüters. Den Wahlkampf 1969 hat die Union gegen die SPD genau vor diesem Hintergrund verloren: unbegrenztes Wachstum –

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Herr Kollege!

Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU):

– und unbegrenzter Wohlstand.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Herr Kollege!

Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU):

Meine Damen und Herren, –

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Nein!

Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU):

– das Ergebnis sitzt heute als grüne Fraktion in der Mitte dieses Parlaments.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Ich schließe die Aussprache.

   Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/3492 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

[Der folgende Berichtsteil – und damit der gesamte Stenografische Bericht der 127. Sitzung – wird am
Montag, den 27. September 2004,
an dieser Stelle veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/15127
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