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15. Wahlperiode
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   132. Sitzung

   Berlin, Donnerstag, den 21. Oktober 2004

   Beginn: 9.00 Uhr

* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Präsident Wolfgang Thierse:

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

   Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gebe ich bekannt, dass der Kollege Ernst Küchler am 15. Oktober 2004 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet hat. Als seine Nachfolgerin hat die Abgeordnete Martina Eickhoff am 18. Oktober 2004 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben.

(Beifall)

   Der Kollege Hubert Ulrich hat am 19. Oktober 2004 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Für ihn hat die Abgeordnete Jutta Krüger-Jacob am 19. Oktober 2004 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben.

(Beifall)

   Ich begrüße die beiden neuen Kolleginnen herzlich und wünsche gute Zusammenarbeit.

   Sodann gratuliere ich dem Kollegen Reinhold Hemker, der am 8. Oktober seinen 60. Geburtstag beging, im Namen des Hauses nachträglich sehr herzlich.

   Die Fraktion der SPD teilt mit, dass die Kollegin Hedi Wegener als ordentliches Mitglied aus der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ausscheidet. Nachfolgerin soll die Kollegin Verena Wohlleben werden. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist die Kollegin Wohlleben als ordentliches Mitglied in die Parlamentarische Versammlung des Europarates gewählt.

   Interfraktionell wurde vereinbart, die verbundene Tagesordnung um die in einer Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:

1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Kampf um Arbeitsplätze unterstützen, Unternehmenskrisen meistern, Beschäftigungspotenziale erhalten – Restrukturierungsanstrengungen bei Karstadt/Quelle und GM/Opel stärken

(siehe 131. Sitzung)

2 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Umweltgutachten 2004 des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen – Umweltpolitische Handlungsfähigkeit sichern

– Drucksache 15/3600 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)SportausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und LandwirtschaftAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Tourismus

3 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Stabilitäts- und Wachstumspolitik fortsetzen – Den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt stärken

– Drucksache 15/3957 –

Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss (f)Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss

4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren

(Ergänzung zu TOP 28)

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll V vom 28. November 2003 zum VN-Waffenübereinkommen

– Drucksache 15/3937 –

Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss (f)VerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Entschädigungsgesetzes (Entschädigungsrechtsänderungsgesetz – EntschRErgG)

– Drucksache 15/3944 –

Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss (f)Rechtsausschuss Haushaltsausschuss

c) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung wohnungsrechtlicher Vorschriften

– Drucksache 15/3943 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Anhörungsrügengesetz)

– Drucksache 15/3966 –

Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss (f)InnenausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

5 Beratung der Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Uta Zapf, Petra Ernstberger, Hans Büttner (Ingolstadt), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Marianne Tritz, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Verhinderung der Proliferation von Massenvernichtungswaffen durch Abrüstung und kooperative Rüstungskontrolle

– Drucksachen 15/1786, 15/3967 –

Berichterstattung:Abgeordnete Uta Zapf Ruprecht Polenz Marianne Tritz Harald Leibrecht

6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Günter Krings, Wolfgang Bosbach, Dr. Norbert Röttgen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Patentierbarkeit von Software begrenzen

– Drucksache 15/3941 –

Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss (f)Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien

7 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Geltungsdauer der §§ 100 g, 100 h StPO

– Drucksache 15/3349 –

(Erste Beratung 118. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 15/3971 –

Berichterstattung: Abgeordnete Joachim Stünker Hans-Christian Ströbele Siegfried Kauder (Bad Dürrheim)Jörg van Essen

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Jörg van Essen, Rainer Funke, Sibylle Laurischk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Rechtstaatlichkeit der Telefonüberwachung sichern

– Drucksachen 15/1583, 15/3971 –

Berichterstattung:Abgeordnete Andreas Schmidt (Mülheim)

Joachim Stünker

Siegfried Kauder (Bad Dürrheim)

Jerzy Montag

Hans-Christian Ströbele

Jörg von Essen

8 a) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Die Ukraine nach der EU-Osterweiterung und vor den Präsidentschaftswahlen am 31. Oktober 2004

– Drucksache 15/3958 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Claudia Nolte, Dr. Friedbert Pflüger, Dr. Wolfgang Bötsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Für eine demokratische und freie Präsidentenwahl 2004 in der Ukraine

– Drucksachen 15/3799, 15/3968 –

Berichterstattung:Abgeordnete Jelena Hoffmann (Chemnitz)Marianne Tritz Dr. Friedbert Pflüger Harald Leibrecht

9 Beratung des Antrag der Abgeordneten Bernhard Schulte-Drüggelte, Peter H. Carstensen (Nordstrand), Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Welternährung sichern – Eine globale Verantwortung für die nationale und europäische Agrarpolitik

– Drucksache 15/3940 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verbraucherschutz,Ernährung und Landwirtschaft (f)Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

10 a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Vorschriften zum diagnoseorientierten Fallpauschalensystem für Krankenhäuser und zur Änderung anderer Vorschriften (Zweites Fallpauschalenänderungsgesetz – 2. FPÄndG)

– Drucksache 15/3672 –

(Erste Beratung 121. Sitzung)

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Vorschriften zum diagnoseorientierten Fallpauschalensystem für Krankenhäuser und zur Änderung anderer Vorschriften (Zweites Fallpauschalenänderungsgesetz – 2. FPÄndG)

– Drucksache 15/3919 –

(Erste Beratung 131. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung (13. Ausschuss)

– Drucksache 15/3974 –

Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Hans Georg Faust

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung (13. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hans Georg Faust, Horst Seehofer, Andreas Storm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Versorgungssicherheit für Patientinnen und Patienten durch sachgerechte Fallpauschalen

– Drucksachen 15/3450, 15/3974 –

Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Hans Georg Faust

11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Homburger, Angelika Brunkhorst, Michael Kauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Verwertung von Elektronikaltgeräten ökologisch sachgerecht und unbürokratisch gestalten

– Drucksache 15/3950 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)InnenausschussAusschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

   Von der Frist für den Beginn der Beratung soll – soweit erforderlich – abgewichen werden.

   Des Weiteren sollen die Tagesordnungspunkte 2 – Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts –, 23 – Auswirkungen des GKV-Modernisierungsgesetzes – und 29 b – Modernisierung des Schuldrechts – abgesetzt werden.

   Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Überweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:

   Der in der 124. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft zur Mitberatung überwiesen werden.

Gesetzentwurf der Bundesregierung: Siebtes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen

– Drucksache 15/3640 –

überwiesen:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)RechtsausschussAusschuss für Kultur und Medien

   Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

   Ich rufe Zusatzpunkt 2 auf:

Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Umweltgutachten 2004 des Rates von Sachverständigen für UmweltfragenUmweltpolitische Handlungsfähigkeit sichern

– Drucksache 15/3600 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)SportausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und LandwirtschaftAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Tourismus

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Michael Müller, SPD-Fraktion, das Wort.

Michael Müller (Düsseldorf) (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist gut, dass sich der Bundestag wieder einmal in einer Kernzeitdebatte mit der Umweltpolitik beschäftigt. Ich danke allen, die das beantragt haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Warum so defensiv?)

In der letzten Zeit war es häufig so, dass wir auf Veranstaltungen – wo auch immer sie stattfanden – gehört haben, die Umweltpolitik sei in den vergangenen 15 Jahren relevant gewesen; das sei vorbei, da man jetzt andere Themen habe, und die Ökologie müsse ein wenig zurücktreten. In den letzten Monaten sind wir aber insbesondere aufgrund der Rohstoff- und Energiepreisentwicklung von einer ganz anderen Wirklichkeit eingeholt worden.

   Es gilt im Gegenteil: Die ökologische Frage gewinnt neue Bedeutung. Sie ist eine der zentralen Zukunftsfragen. Jede Gesellschaft, die die ökologische Modernisierung vorantreibt, wird in Zukunft gute Karten haben. Wer das versäumt, wird schlecht dastehen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist das Wichtigste, was man am Anfang der Debatte sagen muss.

Herr Paziorek und Frau Homburger, in diesem Zusammenhang hoffen wir, dass die alte Tradition, im Umweltbereich möglichst viel gemeinsam zu machen, in dieser schwierigen Umbauphase wiederbelebt werden kann. Das ist notwendig. Die Ökologie ist ein Querschnittsthema, sie ist oft zusätzlich zu der eigentlichen Entscheidung zu beachten. Deshalb müssen wir in dieser entscheidenden Zukunftsfrage der Ökologie, wo immer es geht, ohne falsche Kompromisse zu machen und ohne Konflikte zu vermeiden, mehr Gemeinsamkeiten haben. Das ist unser Appell an Sie. In den 90er-Jahren war es immer ein gutes Zeichen, dass die Opposition, wo immer es ging, weiter gehende ökologische Positionen eingeklagt hat. Das sollte auch heute der Fall sein. Das ist notwendig, damit unser Land zukunftsfähig bleibt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Vor allem auf zwei Feldern wird es für uns sehr wichtig, die Ökologie stärker voranzutreiben. Lassen Sie mich den ersten Punkt nennen. Wenn man – das klingt jetzt etwas komisch – das abfließende Wasser in einer Badewanne beobachtet, dann sieht man in der Regel über dem Abfluss einen Wirbel. Im ganzen Nordatlantik entstehen in der biologischen und dynamischen Pumpe des Wasserkreislaufes ebenfalls solche Druckwirbel. In Forschungsergebnissen der NASA ist festgestellt worden, dass sich diese Druckwirbel im Nordatlantik abschwächten.

   Es gibt Studien beispielsweise des Goddard Institute, wonach die Temperatur in unseren Breitengraden dann, wenn diese Druckwirbel gegen null tendieren, um 4 bis 5 Grad absinken kann. Es ist eine alarmierende Entwicklung, dass sich diese Druckwirbel in den letzten zwei Jahrzehnten um etwa 25 Prozent, also um ein Viertel, abgeschwächt haben. Wir erleben auf einmal – das ist ein Alarmsignal –, dass die Klimaproblematik, deren Auswirkungen bisher in erster Linie die tropischen und subtropischen Breiten erfahren, auch für Nordeuropa eine zentrale Herausforderung wird. Die Tatsache, dass der Druckwirbel nachlässt, ist eines der alarmierendsten Signale dafür, dass das Klimasystem der Welt umkippt.

   Lange Zeit zeigten die Wasserkreisläufe nur bedingt die Klimaveränderungen, weil sie träger reagierten. Jetzt aber beschleunigt sich dieser Prozess. Wir müssen – darum bitte ich Sie – die Alarmsignale ernst nehmen; denn wenn dieses System kippt, kann man es kurzfristig nicht mehr retten. Die Natur ist kein Netz, dessen Löcher man schnell wieder flicken kann, und schon funktioniert alles wieder. Wenn dieses Netz reißt, passiert sehr viel mehr. Die Verantwortung dafür trägt nicht nur eine Partei, sondern die Verantwortung dafür müssen wir als Politiker gemeinsam übernehmen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Im europäischen Bereich ist es inzwischen zu einer Erhöhung der Temperatur von ungefähr 1 Grad gekommen; die Europäische Umweltagentur geht von 0,95 Grad aus. Sie rechnet mit einer Bandbreite von 1,5 bis 6,3 Grad als Möglichkeit für dieses Jahrhundert. Das ist besorgniserregend genug. Diesen wichtigen Punkt muss man einmal klar hervorheben. Wir müssen beim Klimaschutz die Dynamik und den Ehrgeiz verstärken. Nationale Klimaschutzpolitik muss ein Markenzeichen deutscher Politik bleiben und noch verstärkt werden. Anders geht es nicht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Der zweite wichtige Punkt, den ich am Anfang ansprechen möchte, ist die Entwicklung auf den Rohstoff- und Energiemärkten. Sie haben in den letzten Tagen die Preisentwicklung insbesondere beim Öl erlebt. Im Zusammenhand mit dieser Preisentwicklung beim Öl müssen wir als industrielle Welt, in der ungefähr 1,3 Milliarden Menschen leben, endlich zur Kenntnis nehmen, dass schon in kurzer Zeit etwa 4 Milliarden Menschen in dieser industriellen Welt leben wollen. Es geht einfach nicht, dass ein System, das schon heute unter ökologischen Gesichtspunkten höchst problematisch ist, auf dreimal so viele Menschen übertragen wird, ohne dass daraus ökologische Folgen entstehen.

   Wir müssen unsere Möglichkeiten zur Gewinnung von Rohstoffen, Energien und Ressourcen überdenken. Man kann nicht weiterhin glauben – das resultiert aus meiner Sicht aus einer falschen Vorstellung der Aufklärung –, dass die Natur ein sich selbst immer wieder neu regulierendes System ist. Nein, auch die Natur ist ein System mit Grenzen. Wir müssen diese Grenzen in einer verantwortlichen Politik vernunftgerecht berücksichtigen. Das bedeutet keine Philosophie eines Rückgangs des Wachstums, sondern ein qualitatives Wachstum, Umsteuern also.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Für die Zukunft ist es ein entscheidender Punkt, dass wir in dieser Frage die Qualität über die Quantität setzen. Das ist ökonomisch, beschäftigungspolitisch und sozial richtig.

   Wir begrüßen es sehr, dass das Umweltgutachten auch eine breite Palette von kritischen Tönen enthält. Es wäre falsch, wenn das Gutachten keine kritischen Töne umfasste, die uns anspornen. Kritik ist auch deshalb gut, weil wir gegenüber den entstirnigen Interessenverbänden zeigen können, dass es andere Positionen gibt; denn man darf nicht kurzfristig denken. Nein, Ökologiepolitik ist vor allem langfristig orientiert und muss sich dann im konkreten Alltag widerspiegeln. Das ist eine Politik, die viel stärker von uns verfolgt werden muss.

(Beifall bei der SPD)

Die Leitlinie dieser Politik ist Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit ist trotz der ökologischen Fundierung kein ökologisches Thema.

(Beifall der Abg. Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Es handelt sich um ein Thema, das in das Zentrum der Gesellschaftspolitik gehört, weil es ein Integrationsprinzip berührt, das versucht, eine zivilisatorische, eine gesellschaftspolitische Entwicklung abzubilden, die unter globalen Gesichtspunkten heute verantwortbar ist. Insofern ist Nachhaltigkeit, anders als sie vielleicht noch in den 90er-Jahren gedacht wurde, in der Zwischenzeit die wichtigste Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung.

(Beifall des Abg. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker (SPD))

   Denn sie macht eine andere Möglichkeit des Fortschreitens von Wirtschaft und Gesellschaft möglich. Der Kern der Nachhaltigkeit ist ein vernünftiger Umgang mit Zeit und Raum. Das ist etwas anderes als das, was wir bisher hatten, als wir vor allem diese beiden Faktoren entweder maßlos genutzt oder aber alle Raumwiderstände aufgelöst haben.

   Bisher war die Umweltpolitik vom Verursacherprinzip, vom Vorsorgeprinzip und vom Kooperationsprinzip geprägt. Diese drei Prinzipien, die in den 70er-Jahren entwickelt wurden, werden weiterhin wichtig bleiben. Aber Nachhaltigkeit bedeutet, dass wir diese Prinzipien vor allem durch das Integrationsprinzip ergänzen müssen. Wir müssen erreichen, dass die Ökologie in allen entscheidenden Politikfeldern fest verankert und der ökologische Maßstab zum Maßstab von Entscheidungen in der Außenpolitik, in der Energiepolitik, in der Wirtschaftspolitik, in der Bildungspolitik und wo auch immer wird. Ökologie ist ein entscheidendes Kriterium für politische Entscheidungen und für politische Verantwortung.

   Wir wissen heute, dass wir vor allem in der Ökologie mit vier großen Herausforderungen umgehen müssen. Die erste ist das exponentielle Wachstum des Umweltverbrauchs und der Umweltzerstörung. Wenn man eine Bestandsaufnahme der letzten 500 Jahre macht, dann wird man feststellen, dass nach 1950 in den großen Systemen Wasser, Luft, Artenvielfalt und Bodenqualität mehr zerstört wurde als in der gesamten Zeit davor. Das ist ein alarmierendes Signal, vor allem vor dem Hintergrund, dass erst ein Viertel der Welt unter industriellen Bedingungen wirtschaftet.

   Die zweite große Herausforderung der Ökologie ist, dass vieles erst mit Zeitverzögerung eintritt. Die Folgen vieler Umweltschäden, die wir heute anrichten, werden wir erst in der Zukunft sehen. Besonders dramatisch wird das bei den Wasserkreisläufen sein. Deshalb bedeutet Umweltpolitik immer das Vorwegdenken der Zukunft und das Einbeziehen von möglichen Folgen in die heutigen Entscheidungen.

   Drittens müssen wir wissen, dass viele Umweltprobleme möglicherweise noch gar nicht richtig erkennbar sind. Wir haben es in hohem Maße mit Unwissenheit über kumulative Wirkungen, Anreicherungen etc. zu tun.

   Viertens. Es ist eine neue Qualität, dass die Ökologieschäden global sind. Das ist etwas ganz anderes als das, was wir aus der Geschichte kennen. Ich erinnere an die berühmten Beschreibungen von Homer über die Zerstörung der Baumlandschaft an der türkischen Ägäis und die Berichte aus dem Mittelalter über die Abholzung im Mittelmeerraum. Wir haben es heute mit einem globalen Problem zu tun. Deshalb müssen unsere Antworten eine andere Qualität haben.

   Lassen Sie mich am Ende zwei wichtige Aspekte nennen, warum ich glaube, dass die Ökologie das entscheidende Fortschritts- und Zukunftsmodell ist. Wenn die zentrale Herausforderung in der Zukunft der Umgang mit Ressourcen ist, dann sind nicht alle die Wirtschaften bzw. die Ökonomien gut, die im Zusammenhang mit Energiesparen über eine Verminderung von Energieeinsatz nur reden und die Effizienz bei der Energieumwandlung nur verbal kennen, sondern diejenigen, die Einsparungen von Ressourcen, Materialien und Rohstoffen zu einem grundsätzlichen Prinzip machen. Wir wollen die effiziente Wirtschaft. Effizienz heißt nicht nur Kostensenkung beim Faktor Arbeit, sondern heißt vor allem Einsparung von Kilowattstunden, von Material und von Rohstoffen. Effiziente Politik heißt, Produktivität mit intelligenter Produktentwicklung zu verbinden. Das ist eine riesige Zukunftschance für Europa.

(Beifall bei der SPD)

   Der zweite wesentliche Punkt ist: Mit der heraufziehenden Wissensgesellschaft kommt wieder eine Entwicklung auf uns zu, bei der vor allem die Kreativität des Menschen gefordert ist. Wir kommen weg von der alten Massenproduktion hin zu intelligenten Lösungen. Wer dabei gut ist, wird auch im internationalen Maßstab seine Wettbewerbsfähigkeit verbessern.

   Wissensgesellschaft heißt Intelligenz in der Produktion und Ökonomie. Sie bedeutet die Stärkung des Menschen und seiner Fähigkeiten. Beides gemeinsam – die Wissensökonomie auf der einen Seite und die Ressourcenwirtschaft auf der anderen Seite – stellt die große Chance für unser Land und für Europa auf eine gute Zukunft dar. Lassen Sie uns gemeinsam versuchen, diese Richtung einzuschlagen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Peter Paziorek, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Umweltpolitische Handlungsfähigkeit sichern“ lautet die Überschrift des Umweltgutachtens 2004. Diese Überschrift wirft Fragen auf. Ist die Handlungsfähigkeit der Umweltpolitik in Deutschland nicht mehr gegeben? Gibt es in Deutschland eine Blockadesituation in der Umweltpolitik? Ist in der deutschen Politik eine Zurückhaltung zu verzeichnen, wie es der Sachverständigenrat in seinem Gutachten auch inhaltlich andeutet?

   So fragt der Sachverständigenrat für Umweltfragen, ob die umweltpolitische Zurückhaltung nur kurzfristig und einer extrem ungünstigen Konjunkturlage zuzuschreiben sei oder ob sie ein generelles Zurückschrauben umweltpolitischer Ziele bedeute. Dies ist eine interessante Fragestellung, insbesondere da die Regierungsparteien in ihrer Öffentlichkeitsarbeit nicht müde werden, das falsche Bild einer dynamischen Umweltpolitik dieser Regierung zu zeichnen. Aber die Realität scheint eine andere zu sein. Ja, die Realität ist eine andere, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Aber zunächst möchte ich im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Sachverständigen für dieses Gutachten danken. Wir teilen nicht alle Aussagen in diesem Gutachten, zum Beispiel hinsichtlich der Forderung, die Ökosteuer auch weiterhin kontinuierlich aufzustocken. Aber das Gutachten bietet eine klare und fundierte Analyse der Umweltsituation in Deutschland.

   Die Empfehlungen zu den einzelnen Handlungsfeldern geben Anlass zum Nachdenken und Anstöße zur umweltpolitischen Arbeit. So ist die Aussage des Sachverständigenrates richtig, dass eine langfristige Stabilisierung des Zustands der Umwelt notwendig ist und dass dieses Ziel auch bei wirtschaftlichen Problemen beibehalten werden sollte. Wir müssen somit auch der Frage nachgehen, inwieweit Umweltpolitik mithelfen kann, die wirtschaftlichen Probleme zu überwinden, und zwar dadurch, dass die Umweltpolitik selber effektiver wird und auf neue, unbürokratische Steuerungsansätze zurückgreift.

(Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Die Ökosteuer!)

   Deshalb muss jede Umweltpolitik zum Ziel haben, die Schöpfung zu bewahren und gleichzeitig die wirtschaftlichen Probleme unseres Landes mindern zu helfen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das sind die wirklichen Herausforderungen, vor denen wir in der Umweltpolitik stehen. Diese Herausforderungen sind Sie, Herr Bundesumweltminister, nicht in der politischen Breite und mit dem notwendigen Tiefgang angegangen. Das müssen wir heute leider feststellen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Angesichts der Themen, die Sie in den letzten Monaten vornehmlich behandelt haben – Dosenpfand, Atomausstieg und erneuerbare Energien –, bleibt festzustellen: So wichtig die einzelnen Themen, zum Beispiel die erneuerbaren Energien, auch aus meiner persönlichen Sicht sind, stellt Ihr umweltpolitischer Politikansatz in den vergangenen Monaten stellt in Wirklichkeit ein Auslaufmodell der Umweltpolitik dar.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Sie arbeiten nämlich nur das ab, was als Traditionsthemen rot-grüner Umweltpolitik wichtig erscheint.

   Sie haben aber noch nicht erkannt oder wollen es nicht erkennen, dass die Umweltpolitik selber einem Modernisierungsprozess mit technologisch innovativen Potenzialen unterliegt. In den Bereichen, in denen zum Beispiel vonseiten der Europäischen Union Neuerungen auf uns zukommen – wie beim Emissionshandel –, verrennen Sie sich in bürokratischen Einzelheiten. Diesen Vorwurf müssen wir Ihnen machen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Ich glaube, auch vor dem Hintergrund des Umweltgutachtens 2004 kann festgestellt werden: Die Bilanz Ihrer Umweltpolitik ist ernüchternd, Herr Bundesumweltminister. Ihre Politik ist einseitig. In den verschiedensten Bereichen haben Sie es schlichtweg versäumt, entscheidende neue Impulse zu geben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dies schreibt Ihnen auch der Sachverständigenrat in seinem Gutachten ins Stammbuch. So sieht er die Ökosysteme von Nord- und Ostsee durch die Vielzahl von Belastungen, zum Beispiel durch den Eintrag von Schadstoffen, als ernsthaft gefährdet an.

   Die Bilanz beim Lärmschutz wird als ungünstig bezeichnet. So haben die Lärmbelastung und -belästigungen in den vergangenen Jahren sogar zugenommen.

In der Abfallpolitik konnten keine Durchbrüche erzielt werden. Dies gilt sowohl für das Abfallaufkommen als auch für den Rohstoffverbrauch. Wo ist die große Wende in diesem Bereich? So fehlen zum Beispiel noch in erheblichem Umfang Vorbehandlungskapazitäten, um die unvorbehandelte Ablagerung bis 2005 einstellen zu können.

   Die wachsende Inanspruchnahme von Flächen durch Siedlungen und den Verkehr bleibt – so das Gutachten – ein ungelöstes Problem, ebenso wie die Bodenbelastung durch Schadstoffeinträge oder Altlasten. Die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt ist auch dadurch erschwert – ich zitiere nur aus dem Umweltgutachten –, dass

eine strategische Orientierung in der Naturschutzpolitik im Sinne einer nationalen Biodiversitätsstrategie bislang nicht vorliegt.

   Dies sind die umweltpolitischen Felder, auf denen großer Handlungsbedarf besteht und auf denen weitere Anstrengungen notwendig sind. Herr Bundesumweltminister, Sie haben diese Felder aber einfach links liegen gelassen. Das ist ein großer Fehler Ihrer Umweltpolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Dies wird offensichtlich auch von der Bevölkerung so gesehen. In einer aktuellen repräsentativen Umfrage des Emnid-Instituts im Auftrag des „Greenpeace Magazins“ erhält die Bundesregierung für ihre Umweltpolitik gerade einmal die Schulnote 3,8 und der Bundesumweltminister die persönliche Note 3,9. Interessant ist ebenfalls, dass im Rahmen dieser Umfrage 89 Prozent der Befragten große Umweltprobleme in den Bereichen Wasser, Boden und Luftverschmutzung sehen, also in all denjenigen Bereichen, in denen Ihre Umweltpolitik in den letzten Jahren weggetaucht ist, in denen Sie nichts angepackt haben, vielleicht weil Sie selbst erkannt haben – das gebe ich zu –, wie schwierig diese Felder sind. Aber so zu tun, als ob es ausreichend wäre, einige Schwerpunkte der Umweltpolitik anzugehen, statt eine wirklich umfassende Umweltpolitik zu machen, ist falsch. Das können wir nicht akzeptieren. Ihre Umweltpolitik ist in vielen Teilbereichen leider weggetaucht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Herr Bundesumweltminister, der entscheidende Vorwurf, den wir Ihnen machen müssen, ist, dass Sie vom Instrumentenansatz her nicht den Versuch unternehmen, eine wirklich moderne Umweltpolitik zu betreiben. Das beginnt schon damit, wie Sie sich zu den vorhandenen Konflikten – das bestreitet niemand – grundsätzlich positionieren. Herr Müller hat gerade von der Nachhaltigkeit und davon gesprochen, dass Ökonomie, Ökologie und Soziales zusammengehören und dass es hier Konflikte gibt, die man austarieren muss. Das alles ist zwar richtig. Aber nach unserer Auffassung ist Ihre Positionierung in Bezug auf die Umweltpolitik als totaler Gegensatz zur Ökonomie – auch in der öffentlichen Wahrnehmung – falsch. Wer Umweltpolitik von vornherein so positioniert und nicht den Versuch macht, durch entsprechende öffentliche Darstellung einen Beitrag zur Aussöhnung von Ökologie und Ökonomie zu leisten, der positioniert die Umweltpolitik falsch. Das ist ein ganz zentraler Vorwurf, den wir Ihnen machen müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Sie kommen durch ständige Schuldzuweisungen an die Wirtschaft im Umweltschutz nicht weiter.

   Was brauchen wir? Wir brauchen in Deutschland endlich eine Umweltpolitik, die dem Grundsatz der Effizienz gerecht wird.

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sagen Sie mal, was Effizienz bedeutet!)

– Herr Beck, mit Ihrer Lautstärke dringen Sie mit Ihrem Zuruf nicht zu mir durch. Ich habe ihn akustisch leider nicht verstanden. Aber Sie können ja eine Zwischenfrage stellen. Ich freue mich über jede Zwischenfrage.

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich schenke Ihnen keine Redezeit!)

   Herr Müller, Sie haben zum Beispiel gefordert, dass Regierung und Opposition gemeinsame Positionen erarbeiten sollten.

(Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Nicht Positionen, sondern einen Grundkonsens! Das ist etwas anderes! Das kann sich daraus ergeben!)

– Gut, einen Grundkonsens. – Ich kann Ihnen sagen: Es gibt vielleicht die Möglichkeit, gemeinsame Positionen zu erarbeiten. Dabei denke ich zum Beispiel an die Diskussion in den letzten Tagen darüber, ob wir gemeinsam eine Initiative zur Verbesserung der Exportchancen der erneuerbaren Energien starten sollen. Darüber können wir durchaus gemeinsam nachdenken.

(Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Na klar! Aber Sie müssen sich dann verändern!)

In dieser Frage muss es doch nicht zu einem ideologischen Diskurs über Grundsatzpositionen kommen. Ich bin zwar bereit, hier gemeinsame Positionen mitzutragen. Aber der entscheidende Punkt ist, welche Instrumente wir in einer schwierigen Situation für die Umweltpolitik einsetzen, die gleichzeitig der Erreichung der umweltpolitischen Ziele – das ist weiter als wichtig zu erachten – und der Stärkung der Wachstumskräfte in diesem Land dienen. Umweltpolitik muss auch Bestandteil einer Modernisierungspolitik in Deutschland sein. Das ist doch der entscheidende politische Ansatz.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dafür gibt es zwar Chancen. Die entscheidenden Fragen sind aber: Wo geht die Regierung hier voran? Wo gibt es wirklich neue Instrumente? Wir müssen leider feststellen, dass die Bilanz der Regierung in dieser Hinsicht schlecht ist. Die Regierung ist hier nicht auf der Höhe der Zeit. Das kann man nur mit großem Bedauern feststellen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Wir verfügen in Deutschland über ein großes Wissen in der Umwelttechnik. Deutsche Unternehmen haben sich in diesem Bereich große Kompetenzen erarbeitet und sind weltweit führend. Genau hierin liegen große Chancen und ein ungeheures Innovationspotenzial für unser Land. Schaue ich mir mit Blick auf die Industriestaaten, insbesondere aber mit Blick auf die Entwicklungs- und Schwellenländer den großen weltweiten Bedarf an Umwelttechnik an, sehe ich hier ein erhebliches Wachstumspotenzial für unser Land und die heimische Wirtschaft.

   Es wird uns aber nur gelingen, diese Chancen zu nutzen, wenn wir die Rahmenbedingungen vernünftig setzen und auch in der Umweltpolitik die Initiativen des Einzelnen – des Mittelstandes und des einzelnen Unternehmers – besser berücksichtigen. Warum können wir in Deutschland nicht dazu übergehen, stärker als bisher freiwilliges umweltfreundliches Verhalten zu honorieren? Als Grundsatz muss gelten, dass sich freiwilliges umweltfreundliches Verhalten lohnen muss. Warum werden unsere gesetzlichen Bestimmungen nicht dahin gehend geprüft, ob nicht ein Unternehmer, ein Mittelständler, der freiwillig mehr macht, als durch rechtliche Bestimmungen vorgegeben ist – etwa bei seinen Berichtspflichten, die ihm nach den umweltrechtlichen Vorschriften auferlegt sind, oder bei ganz bestimmten Freistellungstatbeständen; sagen Sie nicht, dass es so etwas nicht gebe; ich könnte Ihnen genügend Beispiele nennen –, dort, wo es möglich ist, belohnt werden kann? Wer freiwillig mehr macht, könnte zum Beispiel dadurch belohnt werden, dass er von bürokratischem Aufwand entlastet wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Auf diese Weise würden Anreize in die Umweltpolitik eingebaut; dies wäre ein intelligenter Weg, um die Umweltpolitik in der täglichen Auseinandersetzung mit Wirtschaft und Mittelstand attraktiver zu machen. Es reicht einfach nicht aus, solche Initiativen in einem Informationsblatt des Bundesumweltministeriums lobend zu erwähnen, auch wenn dies schön und wichtig ist. Auf Dauer muss von der Umweltpolitik das Signal kommen, dass derjenige belohnt wird, der sich besonders umweltfreundlich verhält.

   Wir brauchen ein unbürokratisches und flexibles Umweltrecht. Deshalb benötigen wir auch einen neuen Ansatz für das Umweltgesetzbuch. Ferner haben wir die ebenfalls in dem Gutachten angesprochene spannende Frage zu beantworten, welche Zuständigkeiten im Hinblick auf die Umweltpolitik künftig im Rahmen des Föderalismuskompromisses gelten werden. Hier muss eine vernünftige Aufteilung der Kompetenzen im Umweltrecht das oberste Ziel sein. Außerdem muss das deutsche Umweltrecht schlanker und transparenter gestaltet werden.

   Für einen Umweltminister wäre es eine lohnende Aufgabe, deutlich zu machen, wie man sinnvolle Anreize für eine gute Umweltpolitik geben kann, anstatt laufend Schlagzeilen mit der Überschrift zu produzieren, die Wirtschaft habe versagt. Machen Sie endlich Umweltpolitik in einem positiven Sinne! Nehmen Sie die Menschen mit, zeigen Sie ihnen, dass es sich lohnt, für Umweltschutz zu arbeiten! Damit könnten Sie einen großen Erfolg für die Umweltpolitik erzielen.

   Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile Bundesminister Jürgen Trittin das Wort.

Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Paziorek, Sie haben mir eben viele Felder vorgeschlagen, die ich anpacken sollte, damit Sie, wenn ich es täte, dagegen sein könnten. Insofern war dies kein hilfreicher Beitrag.

(Georg Girisch (CDU/CSU): Herr Minister, das ist zu billig!)

   Sie haben zu Recht auf das Motto des Gutachtens hingewiesen: „Umweltpolitische Handlungsfähigkeit sichern“. Will man die Handlungsfähigkeit der Umweltpolitik sichern, muss man als Erstes vorhandene Erkenntnisse in Politik umsetzen. Wenn man beispielsweise erkennt, dass wir in Deutschland zu viel Fläche verbrauchen und zugleich einen Wohnungsleerstand mit steuerfinanziertem Abriss bekämpfen, dann ist es sinnvoll, eine umweltpolitisch kontraproduktive Subvention wie die Eigenheimzulage endlich abzubauen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Damit, dass Sie gegen den Abbau dieser Subvention sind, belegen Sie, dass Sie umweltpolitisch nicht handlungsfähig sind.

   Sie sprechen davon, Subventionen abbauen zu wollen. Zur gleichen Zeit muss ich lesen, dass ausgerechnet der FDP-Abgeordnete Goldmann dafür plädiert, den Abbau der Subventionierung des Agrardiesels rückgängig zu machen oder diese Subvention gar noch zu erhöhen.

(Julia Klöckner (CDU/CSU): Das ist doch keine Subvention!)

Angesichts dessen kann ich nur sagen, dass es mit Ihrer umweltpolitischen Handlungsfähigkeit nicht weit her ist, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Georg Girisch (CDU/CSU): Das hat aber einen anderen Grund!)

   Will man umweltpolitisch handlungsfähig sein, muss man auch schwierige Probleme beherzt anpacken. In der Richtung haben Sie sich ja nicht sehr bewegt, Herr Paziorek. Wir haben 1999 den Anstoß für eine neue Chemikalienpolitik innerhalb der Europäischen Union gegeben. Bis heute werden Zehntausende von Altstoffen ungeprüft in Verkehr gebracht. Lesen Sie einmal nach, was der Sachverständigenrat dazu sagt! Er sagt – wörtliches Zitat –: Die alte Chemikalienpolitik ist ein Großexperiment mit Mensch und Natur. – Wir wollen dieses Großexperiment mit einem vereinfachten Verfahren beenden, nach dem alle Chemikalien, alte wie neue, registriert werden und besonders gefährliche Stoffe entsprechend autorisiert werden, und zwar nach strengen und klar definierten Maßstäben.

   Mit dieser Position unterstützt der Sachverständigenrat die Linie, die die Bundesregierung zusammen mit der chemischen Industrie und der Chemiegewerkschaft vertreten hat, nämlich für ein neues, umweltpolitisch ambitioniertes, aber auch schlankes Chemikalienrecht. Dazu gehören solche Projekte wie die Umsetzung des Prinzips „ein Stoff – eine Registrierung“. Das ist nicht nur gut, weil es Tierversuche vermeidet, sondern das ist auch deshalb gut, weil es ein ganz wesentlicher Schritt ist, Bürokratie im neuen Chemikalienrecht abzubauen.

(Birgit Homburger (FDP): Bitte? – Dirk Niebel (FDP): Haben Sie das mal mit der BASF besprochen? – Zuruf von der CDU/CSU: Das kann doch nicht wahr sein!)

– Das ist relativ einfach. Wenn ein Stoff nur einmal getestet wird, vermindert das den Aufwand. Wenn der gleiche Stoff zehnmal getestet wird, hat man den zehnfachen Aufwand. Einfacher geht Bürokratieabbau nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP.

   Ein anderes Beispiel. Wenn man heute nicht nur Erbgut verändernde und Krebs erzeugende, sondern auch schwere Allergien erzeugende und chronisch toxische, also hoch giftige Stoffe einer Autorisierung unterwirft – das vertreten die Chemieindustrie und auch die Bundesregierung –, dann sorgt man nicht nur dafür, dass mehr für Gesundheit und Umweltschutz getan wird, sondern dann reduziert man selbstverständlich auch volkswirtschaftliche Kosten, die durch chronische und schwerste Erkrankungen entstehen.

   Neben dem Anpacken solch schwieriger Probleme heißt umweltpolitische Handlungsfähigkeit aber auch, die eigenen Instrumente zu überprüfen; da stimme ich Ihnen voll und ganz zu, Herr Paziorek. Dann lesen Sie aber auch einmal nach, was der Sachverständigenrat über die freiwilligen Selbstverpflichtungen sagt. Er sagt, das sei an vielen Stellen nichts anderes als business as usual. Das ist ein Instrument, das einer ganz genauen Überprüfung bedarf. Es gibt gute Beispiele wie die Selbstverpflichtung zum Verzicht auf Fluorkohlenwasserstoffe. Es gibt aber auch Beispiele dafür, dass eine Selbstverpflichtung schlicht und ergreifend versagt hat. Eine dieser Selbstverpflichtungen mussten wir gerade zusammen mit der CSU in Bayern – dafür bedanke ich mich ausdrücklich – korrigieren, nämlich die Selbstverpflichtung der deutschen Getränkeindustrie, 72 Prozent Mehrwegverpackungen zu erreichen. Man ist bei fast 50 Prozent gelandet. Deshalb war es an der Zeit, dazu eine vernünftige Regelung zu finden. Dafür, dass jetzt eine vereinfachte Regelung gefunden wurde, danke ich der Bayerischen Staatsregierung.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Georg Girisch (CDU/CSU): Nachbesserung in Sicht!)

   Meine Damen und Herren von der CDU, Sie werden dann die Chance haben, Herrn Stoiber zu widerlegen. Herr Stoiber hat nämlich gesagt, die CDU müsse aufhören, im Bundestag ständig Umweltpolitik zu blockieren. Bei der Abstimmung über den Kompromiss des Bundesrates zu einer einfachen Pfandregelung haben Sie, meine Damen und Herren von der CDU, also alle Chancen, Herrn Stoiber zu widerlegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Georg Girisch (CDU/CSU): Erst wollen wir wissen, ob er das auch gesagt hat!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel?

Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:

Bitte, bitte.

Dirk Niebel (FDP):

Vielen Dank, Herr Minister. – Herr Minister, Sie sprachen gerade das Dosenpfand an, wie es im Volksmund genannt wird. Die EU-Kommission hat übrigens eine eigene Meinung dazu. Sie sprachen in diesem Zusammenhang von einer Vereinfachung. Als Arbeitsmarktpolitiker versuche ich, mich da hineinzudenken; die Umweltpolitiker haben ja ein sehr komplexes Themenfeld zu bearbeiten.

   Können Sie mir erklären, was es für den Verbraucher einfacher macht, zu erkennen, wann Pfand zu zahlen ist und wann nicht,

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Erst trinken!)

wenn zum Beispiel für einen Fruchtsaft, beispielsweise Orangensaft, kein Pfand notwendig ist, aber für ein Fruchtsaftgetränk, beispielsweise Orangensaft mit Kalzium, vom gleichen Erzeuger, in der gleichen Flasche, Pfand notwendig ist?

Ich verstehe nicht, was daran eine Vereinfachung ist.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Georg Girisch (CDU/CSU): Man merkt es erst, wenn man es getrunken hat! – Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:

Lieber Herr Niebel, ich kann mir auch noch einfachere Regelungen vorstellen. Wenn Sie die Position der Bundesregierung dazu betrachten, dann müssen Sie feststellen: Die von ihr vorgesehene Regelung war noch einfacher.

   Wenn Sie die jetzige Regelung aber mit dem Rechtszustand, den die FDP mit Frau Merkel und Herrn Kohl herbeigeführt hat, vergleichen, so sehen Sie die Vereinfachung ganz klar. Nach Ihrem Recht gab es eine Unterscheidung zwischen Mineralwasser mit und ohne Sprudel. Diese Differenzierung haben wir abgeschafft.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Bitte, nicht weiter!  Es stimmt nicht! – Georg Girisch (CDU/CSU): Falsch!)

– Doch, es ist so. Herr Kollege Girisch, die bisherige Rechtslage ist, dass Mineralwasser mit Sprudel bepfandet ist und Mineralwasser ohne Sprudel nicht bepfandet ist. Diese Unterscheidung haben wir gemeinsam abgeschafft. Seien wir froh darüber!

(Zuruf des Abg. Dirk Niebel (FDP))

– Nein, ich beantworte Ihre Frage noch. Danach dürfen Sie sich setzen. Ich bin immer noch dabei, Ihre Frage zu beantworten. Immer mit der Ruhe!

(Dirk Niebel (FDP): Ich dachte gerade, Sie reden mit einem anderen Kollegen!)

Nach Ihrem Recht war CocaCola mit Schnaps pfandfrei, während CocaCola ohne Schnaps bepfandet war. Auch das haben wir abgeschafft.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Das ist ja auch gut so!)

   Ich bin ganz froh, dass die FDP für weitere Vereinfachungen beim Pfand eintritt. Wir alle sind froh darüber, wenn Sie sich an solchen Vereinfachungen beteiligen. Aber die erste Voraussetzung ist, Herr Niebel, dass Sie den Unsinn, den Sie 1998 an dieser Stelle angestellt haben, mit uns endlich gemeinsam beseitigen. Wenn das geschieht, dann sind wir wirklich auf einem vernünftigen Wege und dann reden wir über weitere Vereinfachungen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Jetzt dürfen Sie sich setzen.

   Umweltpolitik und umweltpolitische Handlungsfähigkeit beweist man im Übrigen auch durch Beharrlichkeit. Wir müssen dafür sorgen – Michael Müller hat darauf hingewiesen –, dass sich das globale Klima nicht um mehr als 2 Grad Celsius erwärmt. Eines ist nach dieser Sturmsaison in Japan, in Florida doch unübersehbar: Nichtstun beim Klimaschutz ist schlicht und ergreifend unverzeihlich. Ich höre immer wieder Argumente, wie teuer Klimaschutz sei. Allein die vier Tornados dieses Jahres haben in Florida mehr als 25 Milliarden USDollar Schaden angerichtet. Am teuersten käme es uns zu stehen, beim Klimawandel nichts zu tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Ich bin deswegen so froh, dass es gelungen ist, dass das Kioto-Protokoll demnächst in Kraft gesetzt wird. Mit der Ratifizierung wird dieser Deckel auf die globale Erwärmung völkerrechtlich verbindlich. Das ist ein Erfolg europäischer Beharrlichkeit. Ich sage dem Bundeskanzler Danke schön, der sich an dieser Stelle wirklich mit Nachdruck und Beharrlichkeit bei Russland dafür eingesetzt hat, dass es diesen Weg der Völkergemeinschaft mitgeht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Dies ist aber nur der Anfang. Wir müssen diesen Weg auf der nächsten Klimakonferenz in Buenos Aires weitergehen. Klimaschutz ist eine langfristige Aufgabe. Wir müssen unsere Verpflichtungen erfüllen. Wir müssen mehr Staaten – gerade diejenigen, die pro Kopf sehr viel Treibhausgase emittieren – einbeziehen und wir müssen weiterhin unsere Rolle spielen, indem wir uns neue Ziele setzen. Die Bundesregierung hat vorgeschlagen, dass Deutschland bis 2020  40 Prozent seiner Treibhausgasemissionen einspart, wenn sich die EU zu einer Reduktion von 30 Prozent in diesem Zeitraum verpflichtet.

   Ich komme zum Schluss. Umweltpolitische Handlungsfähigkeit gewinnt man unter anderem dadurch, dass man beim Klimaschutz, beim Umweltschutz und bei einer Politik der Nachhaltigkeit den Mut zu einer Vorreiterrolle hat. In diesem Sinne danke ich dem Sachverständigenrat, der uns in dieser Auffassung nachdrücklich unterstützt hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort der Kollegen Birgit Homburger, FDP-Fraktion.

Birgit Homburger (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute in der Tat in der Kernzeit über ein umweltpolitisches Thema. So haben auch Sie, Herr Kollege Müller, am Anfang hier gesagt, man müsse die Aktivitäten in der Umweltpolitik einmal wieder in den Mittelpunkt stellen. Schön wäre es, wenn Sie das wirklich aktiv betrieben hätten. Tatsache ist doch, dass Sie die Reform des Energiewirtschaftsrechts, das heute Morgen hier in der Kernzeit hätte beraten werden sollen, nicht fertig bekommen haben. Sie haben sich dann gefragt, was zu tun wäre, und haben das Umweltgutachten 2004 auf die Tagesordnung gesetzt. Das lag nämlich vor; das haben schließlich andere geschrieben, das haben Sie nicht selber machen müssen. Das entspricht meines Erachtens nicht der Schwerpunktsetzung in der Umweltpolitik, von der Sie in Ihrer Rede gesprochen haben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Mein Gott, sind Sie kleinkariert, Frau Homburger! Kleinkariert bis dort hinaus! Das ist das Markenzeichen der FDP!)

   Ich kann nur sagen, dieses Gutachten, das über 600 Seiten umfasst, gibt wirklich eine sehr umfassende Darstellung der Umweltpolitik. Man müsste sich auch eine ganze Reihe von Dingen noch genauer anschauen, die man hier heute Morgen gar nicht so detailliert behandeln kann. Es finden sich aber auch einige Punkte wieder, die auch in der politischen Diskussion Schwerpunkte darstellen. Deshalb wäre es, Herr Kollege Müller, schon angebracht gewesen, nicht Grundsatzdiskussionen über die weltpolitische Lage zu führen, sondern zu sagen, wie Sie diese Themenfelder, die hier angesprochen wurden, politisch umsetzen und wie Sie insgesamt den Umweltschutz verbessern wollen. Das haben Sie heute Morgen versäumt.

(Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Sie sind wirklich kleinkariert!)

   Im Zusammenhang mit der Klimapolitik möchte ich Ihnen ganz klar sagen, dass es eine Gemeinsamkeit bezüglich des Ziels gibt, aber nicht über den Weg, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Deswegen sollten Sie, bevor Sie uns hier auffordern, gemeinsam etwas zu tun, zuerst einmal über Konzepte nachdenken und darüber, wie was vernünftig umgesetzt werden kann.

   Schauen wir uns einmal an, was der Sachverständigenrat zur Zielsetzung der Umweltpolitik sagt: Er schreibt Ihnen, Herr Umweltminister Trittin, ins Stammbuch, dass das ursprünglich beschlossene nationale Ziel der Reduktion der Treibhausgasemissionen um 25 Prozent verfehlt wurde.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie haben alle Warnungen ungehört verhallen lassen. Wir haben Sie mehrfach aufgefordert, auf ein effizientes Instrument zurückzugreifen, nämlich den Emissionshandel. Jetzt wird es gemacht, aber nur deshalb, weil die Europäische Union es uns vorschreibt, und Sie tun es dazu noch halbherzig und bürokratisch. Herr Kollege Paziorek hat zu Recht schon auf diesen Punkt hingewiesen. Darüber hinaus verhalten Sie sich auch noch widersprüchlich: Sie führen zwar zum 1. Januar nächsten Jahres den Emissionshandel ein, der vom Instrument her eine Zielerreichung garantiert, behalten aber alle anderen ordnungsrechtlichen Instrumente von der Ökosteuer über das KWK-Gesetz bis hin zum EEG bei.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): So ist es!)

Das zeigt doch ganz klar: Sie wollten das Instrument nicht und vertrauen ihm nicht. Sie arbeiten mit Netz und doppeltem Boden. Das ist nicht das, was wir brauchen. Vielmehr brauchen wir effizienten Umweltschutz.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Dasselbe gilt doch auch für die Nutzung der flexiblen Instrumente des Kioto-Protokolls. Wir könnten unglaublich viel für den Klimaschutz erreichen, wenn wir endlich diese flexiblen Instrumente des Kioto-Protokolls in Deutschland zulassen würden. Das haben Sie ebenfalls versäumt. Auch die Linking Directive ist noch nicht umgesetzt. Wir handeln erst wieder aufgrund europäischer Richtlinien.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): So ist es! Völlig richtig!)

Es hätte uns gut getan, zuzulassen, dass auch Minderungen der Emissionen, die deutsche Firmen durch Investitionen in den Klimaschutz im Ausland erzielen, in Deutschland angerechnet werden; denn mit 1 Euro können sie im Ausland deutlich mehr erreichen als in Deutschland. Das Klima ist nun mal eine globale Erscheinung und nicht etwas, was hier in Deutschland allein zu regeln ist. Deswegen fordern wir Sie auf, solche Anrechnungsverfahren endlich auch in Deutschland zuzulassen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Ich finde es schon bemerkenswert, dass die beiden Protagonisten, die Herren Trittin und Müller, es vorziehen, miteinander zu schwätzen, wie man im Süddeutschen sagt, anstatt der Debatte zu folgen. Umgekehrt erheben sie aber immer den Anspruch, dass man miteinander etwas ordentlicher umgehen sollte. Sie könnten jetzt ein Zeichen dafür setzen.

(Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Arrogantes Gehabe auf der Regierungsbank und der Präsident greift nicht ein! – Dr. Uwe Küster (SPD): Die beiden Herren können beides! Im Gegensatz zu Ihnen! Sie können reden, ohne zu denken! – Gegenruf des Abg. Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Was? Reden, ohne zu denken?)

   Herr Minister Trittin, Sie haben in Ihrer Rede bemerkenswerterweise im Zusammenhang mit dem Thema Agrardiesel den Subventionsabbau angesprochen. Dazu möchte ich Ihnen vor dem Hintergrund, dass unsere deutsche Landwirtschaft sich im internationalen Wettbewerb behaupten muss, eines sagen: In Frankreich wird gerade zu dieser Zeit die Steuer auf den Agrardiesel von 5,7 auf 2 Cent je Liter gesenkt. In Deutschland dagegen wird sie von 25 auf 40 Cent je Liter erhöht.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Genau das ist das Problem!)

Ich sage Ihnen ganz klar und deutlich: Mit dieser Maßnahme werden Sie nicht nachhaltig die klimapolitischen Ziele in Deutschland erreichen,

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Die machen nachhaltig etwas kaputt!)

sondern die Landwirtschaft in Deutschland weiter schwächen und kaputtmachen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Um das eigene Versagen in der Klimapolitik zu vertuschen, haben Sie im Koalitionsvertrag 2002 selber ein neues Ziel proklamiert, das Sie zum Ende Ihrer Rede hier angesprochen haben; es ist bemerkenswert, dass Sie sich das nach dem Gutachten des Sachverständigenrates überhaupt noch trauen. Sie haben nämlich beschlossen, dass man, wenn die EU bereit wäre, die Treibhausgase bis zum Jahr 2020 gegenüber 1990 um 30 Prozent zu senken, in Deutschland eine Reduzierung um 40 Prozent erreichen wolle. Ich sage Ihnen einmal, was der Umweltrat dazu geschrieben hat: dass dies eine Diskreditierung eines zielorientierten Umweltpolitikansatzes und die Diskreditierung der Glaubwürdigkeit noch anspruchsvollerer Zielvorgaben sei.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): So ist es!)

   Genau so ist es, Herr Minister Trittin. Das, was Sie hier machen, ist für mich nichts anderes als versuchte Volksverdummung. Das wird man Ihnen nicht abnehmen; ernsthafte Umweltpolitik sieht anders aus.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Ich verstehe, dass Sie die Ratschläge der FDP ungerne hören. Vielleicht können Sie sich stattdessen die Ratschläge Ihres eigenen Sachverständigenrates anschauen, in denen sich viele unserer Positionen zur Energiepolitik, zur Abfallpolitik, zur Energiespeicherforschung, zum Lärmschutz oder auch zur Ökosteuer – auch bei der Ökosteuer ist die Linie von Rot-Grün nicht so klar übernommen – wiederfinden, die wir immer wieder vorgetragen haben. Zu all diesen Themen hat der Sachverständigenrat deutliche Hinweise gegeben.

   Ich möchte noch etwas zu dem Schwerpunkt Energiepolitik sagen. Wenn wir den erneuerbaren Energien in Deutschland eine große Zukunftschance geben wollen, dann müssen wir auf der einen Seite den Export fördern; das täten wir über die flexiblen Mechanismen des Kioto-Protokolls. Zum anderen sollten wir die Energiespeicherforschung voranbringen. Wenn wir es schaffen würden, Energien, die jetzt nur zeitweise zur Verfügung stehen, wie beispielsweise die Windenergie, dauerhaft zu speichern und damit grundlastfähig zu machen, dann wäre das ein großer Fortschritt im Bereich der erneuerbaren Energien.

   Wir haben im Rahmen des Haushalts und auch mit einem eigenen Antrag die Förderung der Speichertechnologie und eine Aufstockung der Mittel dafür gefordert. Wir haben im Übrigen auch einen Gegenfinanzierungsvorschlag dafür gemacht. Sie haben all diese Anträge abgelehnt. Wenn so weitergemacht wird, kommen wir nicht voran. Die technischen Möglichkeiten müssen ausgeschöpft werden und es muss innovativ gedacht werden. Das wollen wir und das unterscheidet uns.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Zum Thema Abfallpolitik, Herr Minister Trittin, gäbe es viel zu sagen. Die Abschaffung der Gewerbeabfallverordnung würde – da stimmt uns der Sachverständigenrat tatsächlich zu; das wird Sie nicht besonders erfreuen – umweltpolitisch keinerlei Nachteile bringen, aber einen großen Beitrag zum Bürokratieabbau leisten.

   Was das Zwangspfand angeht, Herr Minister Trittin, kommen Sie permanent mit den alten Argumenten. Sie müssen sich endlich einmal vor Augen halten, dass im Jahr 2000 eine entscheidende Wende erfolgt ist, weil wir seither neue Ökobilanzen haben. Seither fordert die FDP eine Neuorientierung, eine einfache, bürgerfreundliche Lösung. Dem haben Sie sich die ganze Zeit störrisch widersetzt. Jetzt haben Sie eine europarechtswidrige Novelle nicht nur im Bundesrat beschließen lassen, sondern auch noch übernommen. Das ist Unsinn und bringt keine Rechtssicherheit. Wir wollen in diesem Bereich eine einfache Regelung, die vor allem Rechtssicherheit für die Betroffenen bringt. Die brauchen wir, wenn wir die Investitionen fördern wollen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Zusammenfassend möchte ich klarstellen, dass es in allen Bereichen, die angesprochen wurden, unter der Verantwortung von Rot-Grün mehr Bürokratie und weniger Wettbewerb gibt. Damit haben Sie aber nicht unbedingt mehr umweltpolitische Handlungsfähigkeit erreicht. Wenn Sie die umweltpolitische Handlungsfähigkeit sichern wollen, dann müssen Sie auch in der Umweltpolitik Wettbewerb zulassen. Dann müssen Sie auch in diesem Bereich dafür sorgen, dass effizienter gearbeitet wird, weil damit erstens die Kosten für die Arbeitsplätze reduziert werden und zweitens die Bereitschaft der Bevölkerung, Umweltpolitik zu akzeptieren, erhalten bleibt und ausgebaut wird. Das erreicht man nur mit vernünftigen Regelungen und Kostenreduktion auch im Umweltschutzbereich.

Ich will ein hohes materielles Umweltschutzniveau. Wir alle, die wir auf dem Gebiet der Umweltpolitik arbeiten, wollen dies. Aber ich möchte auch, dass die Umweltpolitik effizient, wettbewerblich und vor allen Dingen unbürokratisch organisiert wird. Daran sind Sie, Herr Trittin, gescheitert. Genau darüber wird es in den nächsten zwei Jahren in diesem Parlament eine Auseinandersetzung geben.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Astrid Klug, SPD-Fraktion.

Astrid Klug (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Umweltgutachten 2004, das wir heute diskutieren, offenbart Licht und Schatten in der Umweltpolitik. Aber wen wundert’s?

   Mit der ökologischen Steuerreform, der Modernisierung des Naturschutzrechtes, dem Ausstieg aus der Atomenergie und dem konsequenten Einstieg in die Förderung erneuerbarerer Energien haben wir in Deutschland in den letzten Jahren wichtige Weichen für die ökologische Modernisierung gestellt, und das oft gegen den nicht unerheblichen Widerstand der Opposition und von Teilen der Wirtschaft.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Aber der Sachverständigenrat beklagt zu Recht – wir Umweltpolitiker spüren es jeden Tag; das gilt genauso für die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der FDP –, dass Zukunftsvorsorge schwerer durchzusetzen ist in Zeiten, in denen Menschen um ihre Arbeitsplätze bangen und in denen Unternehmen, die teilweise ihre Managementhausaufgaben nicht gemacht haben, ihre Verantwortung für den Standort Deutschland aufgeben und aus Gründen kurzfristiger Gewinnmaximierung - das langfristige Denken, auch das wirtschaftliche Denken, tritt dabei in den Hintergrund - ihre Zelte am liebsten dort aufschlagen, wo Menschen zu Niedrigstlöhnen beschäftigt werden können, wo es keine Arbeitsschutzbestimmungen und keinen Immissionsschutz gibt. Aber ohne Immissionsschutzgesetze und entsprechende Regelungen, die die Politik vorgibt, wird die Luft verpestet. Dadurch werden die Menschen krank und wird die Qualität des Klimas, das unsere Kinder und Enkel einmal vorfinden werden, aufs Spiel gesetzt. In einem unkontrollierten globalisierten Markt kann die Unternehmen offensichtlich niemand daran hindern. So ist die Methode „Erpressung“, die in diesem Umweltgutachten beklagt wird und die zulasten der Umwelt und auf Kosten der nächsten Generationen angewandt wird, zu einem zweifelhaften Spiel in der Politik geworden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Herr Dr. Paziorek, wir brauchen deshalb ein Mehr an Politik und nicht weniger Politik. Das Gutachten macht Vorschläge für neue Steuerungskonzepte in der Umweltpolitik und betont zu Recht die finale Verantwortung und die Garantiefunktion der Politik in einem demokratischen Rechtsstaat; denn nur sie hat die Verpflichtung, auf das Allgemeinwohl zu achten, Zukunftsvorsorge zu betreiben und auch an die nächsten Generationen zu denken.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Mehr Politik heißt aber nicht automatisch mehr Bürokratie und mehr Gesetze. Politik heißt: klare, verlässliche Vorgaben und auch den Mut zur Vorreiterrolle, der international verbindliche Regeln folgen. Ziel muss also sein, Probleme wie Luft- und Gewässerverschmutzung gar nicht erst entstehen zu lassen. Dann braucht man auch keine komplizierten Gesetze und Verordnungen, um sie zu beseitigen.

(Zuruf von der SPD: Richtig!)

   Der Sachverständigenrat befürchtet zu Recht ein generelles Zurückschrauben umweltpolitischer Ziele in der nationalen und in der europäischen Politik. In diesem Sinne sind auch so manche aktuellen Tendenzen in der derzeitigen Föderalismusdebatte kontraproduktiv für den Umwelt- und Naturschutz. Wer aufmerksam beobachtet, wie die Bundesländer ihre Landesnaturschutzgesetze der Rahmengesetzgebung des neuen Bundesnaturschutzgesetzes anpassen, der kann sich über das breite Spektrum der Interpretationsfreude in den Ländern nur wundern. Während sich einige Länder ernsthaft um eine konstruktive und sachdienliche Umsetzung der vorgegebenen Ziele bemühen, wollen andere in erster Linie durch die Hintertür den Naturschutz reduzieren und Standards absenken. Ein Wettbewerb um die beste Lösung sieht anders aus.

Man kann sich ausmalen, wie der Wettbewerb aussähe, wenn es nicht wenigstens die Rahmengesetzgebung des Bundes gäbe, wenn aber jedes Land seine eigenen Maßstäbe setzen könnte. Der Länderwettbewerb um Umweltstandards wäre eine Abwärtsspirale und eine Kapitulation gegenüber der Zukunft. Luft, Flüsse und Lebensräume enden nicht an Grenzen. Dann darf das dafür notwendige Naturschutzrecht auch nicht an Grenzen enden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Gerade das gemeinsame europäische Umweltrecht hat für die Umweltpolitik Fortschritte gebracht, weil es Standards setzt, die europaweit gelten und die auch von unseren Nachbarn akzeptiert und umgesetzt werden. Das ist die richtige Antwort auf die Globalisierung und den Wettbewerb. Anstatt Kompetenzen in Deutschland noch weiter aufzusplittern, muss das Umweltrecht im Gegenteil einfacher und einheitlicher werden. Dann wären wir in der Lage, EU-Recht ohne Vertragsverletzungsverfahren zeitnah in Deutschland umzusetzen. Deshalb freue ich mich über das deutliche Votum des Sachverständigenrates für eine Stärkung der Bundeszuständigkeiten im Wasserrecht, im Naturschutz und in der Landschaftspflege und unterstütze dieses Votum nachdrücklich.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Die Umweltpolitik ist in den Augen der Bürgerinnen und Bürger keineswegs Luxus. Das zeigt die aktuelle Umweltstudie über das Umweltbewusstsein in Deutschland. 92 Prozent der Bevölkerung halten den Umweltschutz für wichtig. 58 Prozent befürchten, dass wir auf eine Umweltkatastrophe zusteuern, wenn wir so weitermachen wie bisher. Umweltpolitik ist also heute – auch in wirtschaftlich angespannten Zeiten – kein Luxus.

   Aber die Umweltpolitik steht vor neuen Herausforderungen; denn es sind nicht mehr die stinkenden Flüsse, die die Menschen aufschrecken und aktiv werden lassen. 82 Prozent der Menschen sind mit der Umweltsituation in ihrem unmittelbaren Umfeld durchaus zufrieden. Das ist ein Erfolg der nationalen und europaweiten Umweltpolitik der letzten Jahre und Jahrzehnte. Die Luftreinhaltepolitik hat dafür gesorgt, dass die klassischen Luftschadstoffe erheblich gesunken sind. Die Schwefeldioxidemissionen sind in den letzten 20 Jahren um 90 Prozent zurückgegangen. Handlungsbedarf gibt es noch beim lungengängigen Feinstaub. Deshalb freue ich mich, dass auch der Sachverständigenrat die rot-grüne Forderung nach deutlich strengeren Partikelgrenzwerten für Dieselfahrzeuge ausdrücklich unterstützt. Wir fühlen uns da in unserer Position bestätigt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die Herausforderungen ändern sich. Heute sind es die globalen, langfristigen und oft nicht unmittelbar sichtbaren Bedrohungen, wie der Klimawandel, die den Menschen Sorgen bereiten. Das sind die Bedrohungen, für die wir heute die Ursachen säen, deren Ernte aber erst die nächsten Generationen verdauen müssen. Die werden sich ganz übel daran verschlucken, wenn wir nicht auch unter schwierigen Rahmenbedingungen damit weitermachen, Vorsorge zu betreiben, zum Beispiel damit, dass wir in die erneuerbaren Energien investieren und nicht zulassen, dass fossile Energieträger irgendwann verbraucht sind und weltweit der Kampf um die letzten Energiereserven ausbricht. Der Preiskampf hat schon heute begonnen. Aber wenn die Reserven irgendwann zur Neige gehen, wird es nicht bei einem Preiskampf bleiben. Die Energiefrage wird noch mehr als heute eine existenzielle Frage von Krieg und Frieden werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Was antworten wir, wenn unsere Kinder und Enkel irgendwann fragen, warum wir nicht rechtzeitig umgesteuert haben? Sagen wir ihnen dann: „Der eine Euro pro Monat mehr auf der Stromrechnung, den das bedeutet hat, war uns zu viel“? Wir sagen schon heute Nein und steuern deshalb um.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Die Antwort muss heute lauten: Wir setzen konsequent auf eine nachhaltige Entwicklung. Wir entwickeln dafür die nationale Nachhaltigkeitsstrategie weiter. Wir sorgen dafür, dass sie stärker mit der Tagespolitik vernetzt wird. Wir sind dankbar für die vielen hilfreichen Vorschläge, die das Umweltgutachten dazu enthält. Wir müssen Politik heute so gestalten, dass sie auch morgen noch richtig ist.

   Das Umweltgutachten gibt uns dabei viele Hausaufgaben mit auf den Weg. Es mahnt noch mehr Entschlossenheit bei der Durchsetzung von Umweltinteressen an. Es macht aber auch mit sehr vielen konkreten Vorschlägen Mut. Das Gutachten ist ein wichtiger Beitrag zur Versachlichung vieler Debatten. Dafür ein ausdrückliches Dankeschön an die Sachverständigen!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   63 Prozent der Bevölkerung wollen ebenfalls, dass wir im Umweltschutz noch stärkere Anstrengungen unternehmen. Wir fühlen uns bestätigt und bestärkt, unseren Weg weiterzugehen.

   In diesem Sinne vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Josef Göppel, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Josef Göppel (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum haben wir es momentan so schwer, vorsorgende Umweltpolitik durchzusetzen? Ich denke, einerseits kommt es daher, dass die ungeregelte Globalisierung unsere deutsche Wirtschaftswelt und auch das Leben in den Industrieländern verändert. Mit ungeregelter Globalisierung meine ich, dass sich im Wettbewerb diejenigen durchsetzen, die die geringsten Löhne zahlen und die wenigste Rücksicht auf die Natur nehmen. Andererseits frage ich mich aber auch, ob nicht der Grundansatz der deutschen Umweltpolitik etwas damit zu tun hat.

   Herr Minister Trittin, manchmal kommt es mir so vor, als ob Ihre Umweltpolitik in der Gefühlswelt und im Meinungsklima der 80er-Jahre wurzelt,

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): So ist es! Stehen geblieben!)

als diese internationalen Anforderungen noch nicht an uns gestellt wurden und wir uns in wirtschaftlicher Sicherheit wähnten. Ich bin der Überzeugung, dass wir den Grundansatz der deutschen Umweltpolitik so ändern müssen, dass Umweltvorsorge bewusst mit wirtschaftlichen Effekten, mit Innovationen und neuen Arbeitsplätzen verbunden wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Ich nenne aus dem Gutachten des Umweltrats drei konkrete Punkte: Der erste Punkt betrifft die Energieeinsparung im deutschen Altbaubestand. Das ist der größte Einzelbeitrag, den wir in unserem Land zur Senkung des CO2-Ausstoßes erbringen können. Wenn wir dafür Anreize geben, setzen wir zugleich Anreize für das örtliche Bauhandwerk und damit zur Schaffung von Arbeitsplätzen in Deutschland. Eigentümer würden durch eine Wertsteigerung ihrer Häuser profitieren. Mieter würden durch die Senkung der Heizkosten profitieren. Für den Staat sind solche Anreize schnell rentabel, weil das Geld dafür über andere Steuern wieder hereinkommt.

   Ich darf dazu aus dem Gutachten des Umweltrates zitieren:

Insbesondere im Wohnungsbestand sind ... bislang beträchtliche Energiesparpotenziale ungenutzt geblieben. ... Daher kann von Investitionskostenzuschüssen ein stärkerer Investitionsanreiz ausgehen als von äquivalenten Energiepreissteigerungen.

Was heißt denn das? Das heißt, dass das Setzen auf höhere Energiepreise nach Meinung des Umweltrats weniger bewirkt als konkrete Anreize zur Senkung des Energieverbrauchs im Altbaubestand.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Birgit Homburger (FDP))

   Ich nenne ein zweites Beispiel: Flächenverbrauch. Beim Flächenverbrauch geht es inzwischen nicht mehr nur um Umweltschutz. Viele Kommunalpolitiker merken, dass die Erschließung zusätzlicher Flächen auch die Fixkosten für den laufenden Unterhalt erhöht. Jede Neuerschließung erhöht die Kosten zum Beispiel für den Fahrbahnunterhalt, für die Leitungsnetze, für Beleuchtung bis hin zum Schneeräumen. Der Sachverständigenrat schlägt hier als eines der wichtigsten Instrumente zur Reduzierung der Flächeninanspruchnahme unter anderem die Einführung handelbarer Flächenausweisungsrechte kombiniert mit der Flächensteuerung über die Raum- und Bauleitplanung vor.

   Herr Minister Trittin, ich warte auch auf Ihre Vorschläge zur Umorientierung der Grunderwerbsteuer und zur Differenzierung der Grundsteuer. Allein mit Appellen bezüglich des Flächenverbrauchs werden wir nicht weiterkommen, sondern wir müssen mit den Augen der Kommunalpolitiker die Kostengesichtspunkte als Maßstab nehmen. Dann werden wir auch Einsparungen bei Überbauungen sowie Erfolge in den Bereichen Innenentwicklung, Mischnutzung und Flächenrecycling haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Birgit Homburger (FDP))

Ich bin auch als langjähriger Kommunalpolitiker der Überzeugung: Wer beim Kostensparen fantasiereicher und schneller ist als andere, der schafft sich Freiräume im doppelten Sinn: im finanziellen, aber auch bei der Freihaltung der Landschaft und in ihrer Qualität.

Ökologie kommt von Haushalten. Haushalten heißt, mit knappen Mitteln das Ziel erreichen. Damit bin ich bei dem dritten Beispiel: intakte Landschaften. Es gibt eine Studie des Berlin-Instituts mit dem Titel „Deutschland 2020“. Auch darin findet sich eine hochinteressante Aussage in der Verknüpfung der Bevölkerungsentwicklung, der wirtschaftlichen Weiterentwicklung Deutschlands und der Einstellung der Menschen. Das Berlin-Institut schreibt:

... im Wettbewerb guter Standorte entscheiden gesunde Natur, reiches kulturelles Angebot und ausgeprägter Regionalcharakter. Immer mehr Menschen wollen Ruhe und Weite finden. Naturräume gewinnen einen besonderen Wert.
(Zuruf von der CDU/CSU: In Bayern!)

Ich würde mir wünschen, dass das nicht nur in Bayern so ist.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Münster hat den Preis gewonnen!)

– Genau.

   Herr Minister Trittin, wo bleibt Ihre Naturschutzstrategie? Wo bleiben die Konzepte zur besseren Einbindung der Landnutzer? Nur mit der besseren Einbindung der Landnutzer, der Land- und Forstwirte und all derjenigen, die in der Landschaft wirtschaften, werden wir weiterkommen und eine attraktive Natur erhalten können. Natürlich können wir mit schönen Landschaften allein keine Arbeitsplätze schaffen, aber mit einer zerrütteten Natur erst recht nicht. Das ist der entscheidende Punkt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

   Ich möchte zusammenfassend einfordern: Wir brauchen eine Offensive der deutschen Umweltpolitik, die vorsorgend angelegt und wirtschaftlich von Nutzen ist, die Innovationen und Arbeitsmöglichkeiten eröffnet und sozial gerecht ist. Dann werden wir die Umweltpolitik wieder mit der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik verknüpfen und damit ins Zentrum der politischen Interessen rücken können.

   Die Umweltpolitiker müssen die grundlegenden Zeitströmungen zur Grundlage ihrer Strategie machen. In den 80er-Jahren gab es andere Zeitströmungen, beispielsweise das Erschrecken der Menschen über die Kehrseite des Wohlstands. In der Reinhaltung von Wasser, Boden und Luft ist viel erreicht worden. Es ist aber schwer, den Menschen die großen internationalen Bedrohungen zu vermitteln. Deswegen müssen wir die Verknüpfung mit den wirtschaftlichen Effekten zum Grundtatbestand der deutschen Umweltpolitik machen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort der Kollegin Undine Kurth, Bündnis 90/Die Grünen.

Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste auf den Rängen! In dieser Debatte sind schon viele Bereiche angesprochen worden. Deshalb möchte ich mich auf den Bereich konzentrieren, der bisher noch nicht so häufig erwähnt worden ist, nämlich Artenschutz, Naturschutz Schutz der Biodiversität. Vielleicht liegt es an der Sperrigkeit des Begriffs Biodiversität, dass er nicht immer in den Vordergrund gestellt wird. Man wird den Verdacht nicht los, dass zwar die Übersetzung verstanden wird, aber nicht unbedingt die Bedeutung. Ich glaube, dass es richtig ist, und ich bedanke mich dafür, dass im Umweltgutachten die Biodiversität einen wichtigen Punkt darstellt.

   Wir erleben zwar, dass sie in aller Munde ist, aber sie wird in der Regel darauf beschränkt, den Rückgang der Arten zu konstatieren. Wer Biodiversitätsschutz nur so versteht, springt deutlich zu kurz. Biodiversitätsverlust muss als Verlust an Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts, also als ein Verlust an unserer ureigenen Lebensgrundlage verstanden werden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Es ist daher nur folgerichtig, dass die Bundesregierung den Schutz der Biodiversität als Schwerpunkt in die Nachhaltigkeitsstrategie aufgenommen hat. Das ist vielleicht auch ein Teil der Antwort darauf, Herr Göppel, wie die Naturschutzstrategie verankert wird. Die Nachhaltigkeitsstrategie wird hier der Schwerpunkt sein.

   Verlust an Biodiversität findet an vielen Orten statt; das wissen wir. Es ist auch unstrittig, dass er direkt bzw. indirekt auf menschlichen Einfluss zurückgeht. Für uns ergeben sich daraus zwei Herausforderungen: Zum einen müssen wir unser Wissen verbessern. Wir müssen die Biodiversität besser erfassen, abbilden und analysieren, wir müssen einfach mehr davon verstehen. Zum anderen müssen wir das, was wir wissen, in Handlungsstrategien umsetzen. Das ist der Sinn unserer Politik.

Unsere Forschung, zum Beispiel zu den Roten Listen – sie sind der wichtigste Indikator für den Zustand der Biodiversität –, müssen wir auf jeden Fall verbreitern. Wir brauchen Langzeitforschung und eine europäisch bzw. international abgestimmte interdisziplinäre Ausrichtung dieser Forschung. Vor allem langfristige Prozesse bedürfen einer zentralen Erfassung. Es ist meine Überzeugung, dass wir in Deutschland ein nationales Monitoringzentrum brauchen, in dem Daten gesammelt und ausgewertet sowie Gefahren- und Bedrohungspotenziale analysiert werden. Wir werden den Problemen der Artenvielfalt auf keinen Fall gerecht, wenn in 16 Bundesländern nebeneinander Daten erhoben werden und so getan wird, als hielten sich ökologische Probleme an Verwaltungsstrukturen. Es muss zweifellos ein Ergebnis der Föderalismusdebatte sein, dass die Voraussetzungen für den länderübergreifenden Arten- und Naturschutz verbessert werden. Das, Herr Paziorek, ist meiner Ansicht nach die richtige, die vernünftige Antwort; denn wir brauchen auf diesem Gebiet keine Kleinstaaterei.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

   Wir wissen: Gefährdung und Bedrohung müssen erfasst werden. Erst beides gemeinsam gibt uns die richtigen Argumente für einen wirksamen Naturschutz und eine richtige Nachhaltigkeitspolitik an die Hand. Einfließen müssen unsere Erkenntnisse über die Veränderungen der biologischen Vielfalt in viele Politikfelder. Wir können mit dem Artenreichtum nicht umgehen, wie es in der früheren DDR mit dem so genannten Volkseigentum getan wurde, das angeblich allen gehörte, für das aber niemand zuständig war. Vielmehr gilt: Für den Natur- und Artenschutz müssen wirklich alle zuständig sein. Er ist eine Querschnittsaufgabe im wahrsten Sinne des Wortes. „Querschnitt“ bedeutet allerdings nicht, dass man diese Aufgabe quer verschieben kann; denn sie geht wirklich alle an.

   Meine Damen und Herren, wir kennen derzeit kein objektives Maß für den Punkt, ab dem der Artenrückgang für den Menschen bedrohlich wird. Diesen Punkt können wir noch nicht definieren. Allerdings glaube ich, dass wir ihn gar nicht definieren müssen; denn wir sollten wissen, dass alles, was wir an Natur vorfinden, aus sich selbst heraus eine Existenzberechtigung hat.

   Ich weiß, dass eine solche Haltung in Zeiten wirtschaftlicher und sozialer Umbrüche oft sehr wenig Verständnis findet. Deshalb wünsche ich mir und uns allen eine viel breiter geführte gesellschaftliche Debatte über die Schutzwürdigkeit der biologischen Vielfalt und unserer Lebensgrundlagen. Dabei sollten wir eines bedenken: Kenntnislücken dürfen auf keinen Fall als Argument, nicht zu handeln, benutzt werden. Im Gegenteil, gerade bei Kenntnislücken müssen wir ganz besonders vorsichtig vorgehen, um keine irreversiblen Schäden anzurichten.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

   Dieses höhere Maß an Verantwortung sollte uns allen sehr wichtig sein; denn wenn wir erst den Point of no Return erreicht haben, kann es zu spät sein, und zwar nicht nur für Tiere und Pflanzen. Weil wir alle, wie ich glaube, diesen Punkt nicht erreichen wollen, kann ich mir nur wünschen, dass wir klug genug sind, rechtzeitig das Richtige zu tun. Die Anleitungen und Anregungen aus dem Umweltgutachten werden uns dabei sehr hilfreich sein.

   Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Rolf Bietmann, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dr. Rolf Bietmann (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Im Umweltgutachten wird der Umweltpolitik der Bundesregierung wahrhaft kein gutes Zeugnis ausgestellt. Vielmehr betonen die Sachverständigen bereits in ihrer Eingangsbemerkung, dass die Umweltpolitik der rot-grünen Bundesregierung deutlich an Dynamik verloren habe. Die Umweltpolitik stehe unverkennbar im Zeichen einer mehrjährigen wirtschaftlichen Stagnation mit ihren gravierenden Folgewirkungen auf den Arbeitsmarkt und die sozialen Sicherungssysteme. Die Sachverständigen attestieren der deutschen Umweltpolitik sogar eine defensive Situation.

   Diese Eingangsbemerkungen des Umweltgutachtens dokumentieren einerseits, dass eine erfolgreiche Umweltpolitik nur derjenige betreiben kann, der auch erfolgreich Wirtschaftspolitik gestaltet. Wirtschafts- und Umweltpolitik gehören zusammen. Wer, wie Rot-Grün, in der Wirtschaftspolitik versagt, gerät umweltpolitisch notwendigerweise in die Defensive.

   Andererseits kann eine falsche Umweltpolitik zu wirtschaftlicher Stagnation und zum Verlust von Arbeitsplätzen führen. Wir müssen heute feststellen, dass sich die wirtschaftliche Situation in der Bundesrepublik Deutschland nach sechs Jahren rot-grüner Umweltpolitik durch langfristig angelegte, falsche Entscheidungen verschlechtert hat. Ich nenne nur den bislang nicht nachvollziehbaren Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie

(Marco Bülow (SPD): Oh ja!)

und die ökologische Steuerreform, die letztlich kläglich gescheitert ist. Selbst Minister Trittin musste vor wenigen Tagen eingestehen, dass weitere Erhöhungen der Ökosteuer mit Blick auf die wirtschaftliche Situation in Deutschland nicht vertretbar sind.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Die Höhe der Ökosteuer ist der maßgebliche Grund für das unvertretbare Ansteigen der Energiepreise.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die hohen Energiepreise wiederum führen zur Schwächung der Wirtschaftskraft und zum Verlust von Arbeitsplätzen. Die Deindustrialisierung des Wirtschaftsstandortes Deutschland und der Verlust von Tausenden Industriearbeitsplätzen werden maßgeblich von dieser Umweltpolitik beeinflusst, die zu im europäischen Vergleich enorm hohen Energiepreisen geführt hat. Wer den Staatsanteil an den Energiepreisen immer weiter in die Höhe schraubt, der verjagt Unternehmen aus unserem Land.

   Eine unionsgeführte Bundesregierung wird an dem Gedanken einer ökologischen Steuerreform festhalten. Eine solche ökologische Steuerreform macht Sinn, wenn die Bemessungsgrundlage der Ökosteuer mittelfristig auf die CO2-Intensität der Energieträger umgestellt wird.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): So ist es!)

Genau dies empfehlen im Übrigen auch die Sachverständigen, die dazu zu Recht eine weitere Harmonisierung der Energiebesteuerung auf EU-Ebene anraten. Vor dem Hintergrund dieser klaren Aussagen des Umweltrates ist es höchste Zeit, aus der ökologisch völlig wirkungslosen Ökosteuer rot-grüner Prägung auszusteigen und eine wirklich ökologische Steuerreform in Angriff zu nehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Meine Damen und Herren von Rot-Grün, Sie bekommen doch durch dieses Gutachten eine schallende Ohrfeige. Darin heißt es, dass die ökologische Steuerreform unter ökologischen Gesichtspunkten fragwürdig ist, da das Abstellen auf Energiegehalt keinen verlässlichen Indikator der jeweiligen Umweltbelastungen darstellt. Sie mögen das noch so sehr belächeln, aber die Sachverständigen kommen in ihrem Umweltgutachten zu dieser Erkenntnis. Das belegt, dass die Ökosteuer ein Schritt in die falsche Richtung war.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Das zweite große Thema, das Sie angepackt haben, nachdem das erste gescheitert ist, ist der langfristige Ausstieg aus der Kernenergie. Bis heute kann niemand die Frage beantworten, wie der Anteil von 29 Prozent unseres Stromverbrauchs, der derzeit über Kernkraft produziert wird, ersetzt werden kann. Wer aber die Frage nach dem Ersetzen des Ausfalls von 29 Prozent unserer Stromerzeugung nicht beantworten kann, der kann aus Gründen der Zukunftsverantwortung für unser Land an einem pauschalen Beschluss zum Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie nicht festhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   So richtig der Einstieg in die erneuerbaren Energien ist, so falsch ist es, zu glauben, über erneuerbare Energien innerhalb eines überschaubaren Zeitraums von zehn Jahren wegfallende Kernenergieanteile ersetzen zu können.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Richtig!)

Noch verantwortungsloser ist es ausweislich des Sachverständigengutachtens, wenn Rot-Grün den Bürgern vorgaukelt, über einen höheren Anteil von Kohleverstromung bzw. über Erdgas könne ein umweltgerechter Ausgleich geschaffen werden. Der Umweltrat betont nachdrücklich, dass eine Strategie, die vorrangig auf Kohleverstromung setzt, ökologisch wie ökonomisch unvertretbar ist.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Der CO2-Ausstoß in Deutschland wird infolge einer solchen Politik dramatisch ansteigen. Ein Umsteigen bei der Kraftwerkserneuerung auf Erdgas wäre auf den ersten Blick sicherlich empfehlenswert, führte aber zu unvertretbaren Abhängigkeiten der Bundesrepublik Deutschland von den Erdgas produzierenden Ländern. Die Importabhängigkeit des Industrielands Deutschland würde ins Unermessliche gesteigert. Veränderungen des politischen Gefüges, zum Beispiel in Russland oder im asiatischen Raum, könnten zu einer katastrophalen energiepolitischen Entwicklung in unserem Land führen und damit die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft insgesamt lähmen. Ein für jedermann erkennbares Beispiel ist doch die Ölpreisentwicklung. Vergleichbare Preisentwicklungen bei Erdgas würden die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft nachhaltig zerstören und damit Arbeitsplätze vernichten. Für eine solche Politik reichen wir unsere Hand nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Die Union bekennt sich zu einem ausgewogenen Energiemix mit erneuerbaren Energien, aber auch mit Kernenergie. Es macht keinen Sinn, aus rein ideologischen Gründen Kernenergieausstiegsbeschlüsse zu zelebrieren und damit auf der anderen Seite Ressourcenprobleme mit all ihren negativen Auswirkungen für die Entwicklung in Deutschland zu schaffen.

(Horst Kubatschka (SPD): Es geht nicht um Ideologie! Es geht um die Sicherheit der Bevölkerung!)

Diese Politik muss und wird scheitern.

   Meine Damen und Herren, es ist für mich in diesem Zusammenhang völlig unverantwortlich, wie der Bundesumweltminister mit der Entsorgung atomarer Abfälle umgeht. Ich denke, im Deutschen Bundestag muss immer wieder darüber gesprochen werden. Das über zwei Jahrzehnte betriebene Endlagerkonzept soll nunmehr dem Gedanken des Ein-Endlagers weichen. Folge wäre, dass milliardenschwere Investitionen in Konrad und Gorleben als Ruinen für die Nachwelt erhalten blieben. Dabei könnten sowohl Konrad als auch Gorleben in einem überschaubaren Zeitraum realisiert und in Betrieb genommen werden.

   Führt man sich nun vor Augen, dass zum Beispiel im Forschungszentrum Karlsruhe zwei Drittel der schwach- und mittelradioaktiven atomaren Abfälle Deutschlands oberirdisch gelagert werden, dann wird doch auch dem Letzten deutlich, wie zwingend notwendig es ist, in Konrad nun endlich zu einem Genehmigungsverfahren und damit zu einer Inbetriebnahme zu kommen. Das wäre bis 2010 möglich. Sie aber erhöhen durch Ihr Verhalten die Sicherheitsrisiken für die Bevölkerung. Das ist unverantwortlich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Herr Trittin, wer nicht bereit ist, die Endlagerfrage für hochradioaktive Stoffe zu beantworten, und stattdessen der deutschen Bevölkerung erklärt, es sei sinnvoller, Zwischenlager im Land verteilt zu errichten, der drückt sich vor der Lösung des Problems, weil es ihm aus ideologischen Gründen nicht passt, obwohl er genau weiß, dass es eine Aufgabe dieser Generation und nicht eine Aufgabe zukünftiger Generationen ist, das Problem zu lösen. Wir könnten es lösen, wenn wir wollten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Das ist unverantwortlich!)

   Es gibt eine Vielzahl weiterer Themen, die im Umweltgutachten angesprochen werden. Ich nenne insbesondere die Entwicklung des Kraftwerksparks in Deutschland. Auch hier wird der Bundesregierung attestiert, dass Ziele, die formuliert worden sind, nicht glaubwürdig verfolgt werden. Zur Entwicklung der CO2-Emissionen führt der Sachverständigenrat wörtlich aus:

Bei einem zielorientierten Ansatz kommt es nicht notwendigerweise auf eine punktgenaue Zielerfüllung an, wohl aber auf einen politisch ernsthaften Umgang mit Zielverfehlungen. Die Dethematisierung einer Zielverfehlung diskreditiert einen zielorientierten Umweltpolitikansatz und damit auch die Glaubwürdigkeit noch anspruchsvollerer Zielvorgaben für die weitere Zukunft.

Präsident Wolfgang Thierse:

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Dr. Rolf Bietmann (CDU/CSU):

Ich komme zum Schluss. - Dieser Aussage des Sachverständigenrats über die fehlende Glaubwürdigkeit ist nichts hinzuzufügen. Eine glaubwürdige Umweltpolitik ist Voraussetzung für die Erreichung weiterer Klimaziele. An dieser Glaubwürdigkeit fehlt es Rot-Grün eindeutig.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile dem Kollegen Marco Bülow, SPD-Fraktion, das Wort.

Marco Bülow (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Damen und Herren! Herr Professor Bietmann, es ist ja schön, dass Sie, wie Sie am Anfang sagten, für alles offen sind. Das ist sehr nett. Nicht so schön finde ich, dass Sie den Hauptteil Ihrer Rede dazu benutzt haben, um zu sagen, dass Sie die Atomenergie wollen und dass das das wichtigste umweltpolitische Programm der Union sei.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Hat er doch gar nicht gesagt!)

   Alles andere ist Ihnen nicht besonders wichtig. Immer wieder sind Sie auf die Atomenergie zurückgekommen. Es ist wirklich das Allerhöchste, das dann noch mit der Generationengerechtigkeit zu verbinden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die künftigen Generationen werden es ausbaden müssen, wenn wir die Entsorgung des Atommülls von heute in die Zukunft verschieben. Dann werden sie den Müll von uns zu entsorgen haben.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Dann löst doch das Problem der Endlagerung!)

   Meistens sagen wir zu den Kindern, sie sollten darauf hören, was ihre Eltern ihnen sagen. Beim Klimawandel sind es die Eltern, die auf ihre Kinder hören sollten. - Mit diesen Worten schloss Tony Blair seine Rede zur Bekämpfung der Klimaveränderung.

(Beifall des Abg. Dr. Uwe Küster (SPD))

Immer mehr Politiker kommen zu dieser Einsicht und Wissenschaftler predigen es schon lange. Selbst im Pentagon ist angekommen, wie bedrohlich der Klimawandel für unsere Welt und für uns Menschen ist. Außer einigen Unverbesserlichen und einer immer geringer werdenden Zahl von Unwissenden zweifelt niemand mehr daran, dass der Klimawandel kommen wird. Jetzt geht es darum – das ist das Wichtigste –, dass die Einsicht überall in konkrete Maßnahmen und Handlungen umgesetzt wird.

Die seriöse Wissenschaft ist sich einig: Ein Anstieg von über zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Wert hätte fatale Auswirkungen auf unseren Lebensraum; wir haben es heute schon gehört. Einen Anstieg von 0,6 bis 0,7 Grad haben wir schon zu verzeichnen. Ein weiterer Anstieg um 0,6 bis 0,7 Grad lässt sich nicht mehr verhindern, weil die Emissionen für diese Erwärmung schon in der Atmosphäre sind. Es bleibt also ein Bremsweg von maximal 0,7 oder 0,8 Grad Celsius. Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass der Energiebedarf einer wachsenden Erdbevölkerung weiter ansteigt. Also auch ein halbherziger Klimaschutz wird uns nicht mehr weiterhelfen.

   Zu diesem Ergebnis kommt wie viele vorherige Studien auch das Umweltgutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen. Die Sachverständigen präsentieren aber außer Szenarien auch sehr fundierte Analysen und – das ist fast noch wichtiger – daraus resultierende Bewertungen und konkrete Handlungsvorschläge. Wenn wir die beschriebene Erwärmung um zwei Grad nicht überschreiten wollen, raten die Sachverständigen, der von vielen internationalen Organisationen aufgestellten Forderung zu folgen, nämlich, ausgehend von 1990 die Treibhausgase bis 2020 um 40 Prozent und bis 2050 um 80 Prozent zu reduzieren. Das gilt international wie national.

   Im Bericht wird im Einzelnen vorgerechnet, dass dies sowohl technisch machbar als auch wirtschaftlich vertretbar ist. Letzteres gilt vor allem deshalb – vielleicht passen jetzt einmal die Wirtschaftspolitiker der Union auf –, weil die zunächst erbringbaren Aufwendungen im Verhältnis zu den zu erwartenden volkswirtschaftlichen Kosten sehr gering sind. Mein Kollege Michael Müller hat zu Recht darauf hingewiesen, dass wir es uns vor allen Dingen nicht leisten können, jetzt beim Klimaschutz zu sparen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Deshalb haben sich die SPD-Wirtschaftspolitiker so gegen die trittinschen Vorschläge gewehrt!)

   Wenn wir den wissenschaftlichen Berechnungen folgen, darf es kein Geschachere darum geben, ob wir die angestrebten Reduzierungen nicht vielleicht doch um 10 Prozent kürzen wollen. Nein, wenn uns die Zukunft der nachfolgenden Generation nicht egal ist, müssen wir uns auf diese Ziele, auch wenn sie uns noch so viel abverlangen, einlassen. Die Regierung hat sich deshalb dem Ziel, die Treibhausgase bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren, verpflichtet. Nicht erst seit heute sind wir dabei, für die Erreichung dieses Ziels die geeigneten Instrumente zu finden und einzusetzen. Unsere Aufgabe wird es sein, diese zu präzisieren und dort, wo sich noch nichts oder noch nicht genug bewegt, zu optimieren und zu ergänzen.

   Die Sachverständigen haben einige der Instrumente unter die Lupe genommen und dazu deutliche Vorschläge unterbreitet. Diese müssen wir uns näher anschauen; denn bei allem internationalen Lob für die deutsche Klimapolitik und bei allem bereits Erreichten gibt es doch Defizite festzustellen und vor allem gibt es noch viel zu tun. Ich will nur auf einige Punkte eingehen, wohl wissend, dass die Diskussion deutlich umfangreicher ist, wenn am Ende alle Stränge zusammengeführt werden.

   Was mir bei den Reden der Opposition aufgefallen ist – diesen Fehler will ich nicht wiederholen –, ist, dass Sie auf keine konkreten Vorschläge des Sachverständigenrates eingegangen sind oder nur dann, wenn es Ihnen ins Konzept gepasst hat. Die eigenen Schwächen haben Sie nicht betont.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich fange deswegen mit einem Kritikpunkt im Gutachten an. Die Sachverständigen kritisieren, dass wir das alte nationale Klimaziel einer Reduzierung der Treibhausgase um 25 Prozent zwischen 1990 und 2005 verschweigen. Ich bin überzeugt, dass das neue Ziel, das ich gerade benannt habe, mehr als eine Flucht nach vorn ist. Dennoch muss ich den Sachverständigen Recht geben, dass es für die Zukunft wichtig ist, zu analysieren, warum das alte Ziel wahrscheinlich nicht erreicht wird und was wir in Zukunft verbessern können, damit wir die neuen Zielvorgaben einhalten.

   In dem Gutachten werden auch Defizite analysiert. Ein Bereich ist die Kraft-Wärme-Kopplung. Dies ist ein sehr wichtiger Bereich, weil durch die gleichzeitige Nutzung von Strom und Wärme viel Energie eingespart werden kann. Ziel der von der Bundesregierung eingesetzten Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung war es, von 1998 bis 2005 mindestens 10 Millionen Tonnen Kohlendioxid und bis 2010 mindestens 20 Millionen Tonnen Kohlendioxid einzusparen. Die Sachverständigen weisen auf die Schwächen des Förderungsgesetzes hin und gehen davon aus, dass diese Zielvorgaben nicht erreicht werden. In absehbarer Zeit wird ein Monitoringbericht vorgelegt. Ich glaube daran, dass wir nach einer genaueren Analyse, welche die Signale aus der Branche aber wahrscheinlich bestätigen, handeln müssen, um diese Zielvorgaben mittelfristig doch noch zu erreichen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Die Schadenfreude, die teilweise bei Ihnen, meine Damen und Herren der Opposition, zum Ausdruck kam, zum Beispiel indem gesagt wurde, dieses Gutachten sei eine schallende Ohrfeige für uns, sollten Sie sich lieber verkneifen. Wir bemühen uns und machen dabei auch Fehler; einige Fehler sind in dem Gutachten offenbart worden. Aber im Gegensatz zu Ihnen sind wir lernfähig. Wir lehnen nicht alles ab, was mit Klimaschutz zu tun hat; denn fast alle Anträge, die wir zum Klimaschutz oder zu den erneuerbaren Energien eingebracht haben, werden vor allen Dingen von der FDP, aber teilweise leider auch von der CDU/CSU abgelehnt. Am Ende jedoch sind Sie es, die am lautesten schreien, wenn bestimmte Zielvorgaben nicht erreicht werden.

   Das ist doppelzüngig und solche Reden sollten wir aus diesem Hause verbannen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Als Berichterstatter für erneuerbare Energien freue ich mich, dass der Sachverständigenrat die Regierungspolitik im Bereich der erneuerbaren Energien ausdrücklich unterstützt. Der Gipfel der Rede von Frau Homburger war, als sie Passagen aus dem Bericht des Sachverständigenrates herausgesucht hat, die belegen sollen, warum wir so vieles bezüglich der erneuerbaren Energien falsch machen. Frau Homburger, lesen Sie sich das Kapitel über erneuerbare Energien noch einmal gut durch! Der Sachverständigenrat bestätigt darin nämlich, dass der Weg, den wir mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz eingeschlagen haben, genau der richtige ist und dass wir ihn fortsetzen sollen. Das hätten Sie auch erwähnen können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Birgit Homburger (FDP): Seite 35, Speichertechnolgie, durchlesen bitte!)

– Sie haben von erneuerbaren Energien geredet. Wir haben das Erneuerbare-Energien-Gesetz auf den Weg gebracht, das von vielen Instituten – unter anderem vom Worldwatch Institute – und jetzt auch vom Sachverständigenrat gelobt wird.

   Mittlerweile werden über 10 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien gewonnen und wir sparen über 50 Millionen Tonnen Kohlendioxyd jährlich ein, was ein großer Beitrag zum Klimaschutz ist. Diesen Anteil wollen und werden wir in Zukunft weiter ausbauen.

   Wir müssen bei den Planungen auch berücksichtigen, dass – auch das sagt der Sachverständigenrat – die Kosten für erneuerbare Energien kontinuierlich sinken werden, während die Kosten für die herkömmlichen Energien weiter steigen werden. Die internationale Politik bezüglich der erneuerbaren Energien zeigt, dass die Vorreiterrolle Deutschland nicht geschadet hat, sondern diese im Gegenteil der deutschen Wirtschaft im Endeffekt zugute kommt.

   Bei den weiteren Emissionsreduzierungen kommt es darauf an, nicht nur die Gewichtung der einzelnen Energieträger zu berücksichtigen, sondern auch die Effizienz der Kraftwerke zu erhöhen. Bei der anstehenden Kraftwerksparkerneuerung kann durch neue, effizientere Kraftwerke viel CO2 eingespart werden. Jedem noch so großen Freund der erneuerbaren Energien ist klar, dass nur ein Teil des Kraftwerksparks durch Anlagen für erneuerbare Energien ersetzt werden kann. Aber auch hier gibt der Sachverständigenrat eine wichtige Bewertung ab, die ich zum Teil teilen kann.

   Probleme habe ich allerdings mit der einseitigen Privilegierung von Gas. Die Energieerzeugung durch Gaskraftwerke ist zwar effizienter und klimaschonender als die durch Kohlekraftwerke; allerdings halte ich die beim Gas nicht gegebene Versorgungssicherheit schon für ein Problem und für nicht vernachlässigbar.

(Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Aha!)

   Die Gaslieferungen aus Russland erscheinen einigermaßen sicher, aber wir wissen nicht, wie die Lage in Zukunft aussieht. Wir können auf die Gasvorräte in Europa demnächst nicht mehr zurückgreifen, weil sie erschöpft sein werden. Außerdem wird – das ist ein Mangel dieser Studie – nicht über die Endlichkeit der Ressourcen gesprochen. Gas geht viel schneller zu Ende als Kohle. Auch darauf müssen wir uns einrichten.

   Vieles müsste man in Bezug auf den Klimaschutz noch ansprechen. Vieles steht im Gutachten und einiges wurde hier nur kurz angeschnitten. Man müsste zum Beispiel noch über die Emissionen durch den Verkehr sprechen, über den Emissionshandel und über die Energievermeidung. Mit diesem Punkt will ich enden; denn er zeigt, dass neben Politik und Wirtschaft alle Bürgerinnen und Bürger in Bezug auf Klimaschutz in der Verantwortung stehen. Keiner darf sich dieser Verantwortung entziehen. Aktuelle Umfragen zeigen, dass das Umweltbewusstsein wieder ansteigt und vor allem der Klimaschutz für die Deutschen eine hohe Bedeutung hat. Es muss aber auch gelingen, dass das Bewusstsein jeden Einzelnen dazu bringt, dass er einen Beitrag leistet. Diesen Beitrag kann man in seinem Haushalt leisten. Allein durch das Abschalten von Stand-by-Geräten könnte ein Haushalt 70 Euro im Jahr sparen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Die Theorie kennen viele, doch die Umsetzung in der Praxis müssen wir endlich alle lernen. Das Gutachten hat uns dazu eine gute Nachhilfestunde gegeben, die hoffentlich Wirkung bei uns allen zeigt.

   Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Ulrich Petzold, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ulrich Petzold (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Lieber Kollege Bülow, wir sollten genau das machen, was Sie angemahnt haben, nämlich uns genauer zuhören; denn Professor Bietmann hat klar und deutlich davon gesprochen, dass es eine Versorgungslücke in Ihrem Energieversorgungskonzept gibt. Das ist ein Thema, über das wir uns intensiv unterhalten müssen.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): So ist es!)

Das Umweltproblem „neue Bundesländer“ gibt es nicht mehr und das ist gut so. Die ökologischen Hinterlassenschaften zweier Diktaturen auf dem Gebiet der neuen Bundesländer sind so weit aufgearbeitet, dass sie als spezielles Problem keine Erwähnung mehr im Umweltgutachten des Sachverständigenrates finden müssen. Zwar gibt es noch Probleme, die einer Lösung bedürfen, doch gerade im industriellen Bereich haben die neuen Bundesländer in Umweltfragen eine Vorreiterrolle eingenommen. Die Ungleichheiten bestehen also eher in speziellen Bereichen, die sich nicht mehr einfach nach Ost und West trennen lassen; sie kommen – egal ob Ost oder West – in bestimmten Regionen oder zu Sachverhalten verstärkt oder vermindert vor.

   Wiederholt habe ich bereits bei der Beratung der Emissionshandelsgesetzgebung auf den Umstand der regional unterschiedlichen Wirkung von Umweltgesetzen hingewiesen. So werden beim Emissionshandel die industriellen Vorreiter bei der CO2-Emissionsminderung, die vor allem in Nordrhein-Westfalen und in den neuen Bundesländern angesiedelt sind, gleich schlecht behandelt. Dieses führt insgesamt zur Benachteiligung von Regionen. Eine Gleichbehandlung Ungleicher – eine Gleichbehandlung von Vorreitern und Nachzüglern bei der Emissionsminderung, ja, eine Bevorzugung der Nachzügler – sichert keine umweltpolitische Handlungsfähigkeit, sondern führt zur Zurückhaltung bzw. zur allgemeinen Stagnation im umweltbewussten Handeln.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Es gilt also regionale Besonderheiten zu beachten, um einen größtmöglichen Effekt unseres umweltpolitischen Handelns zu erreichen. Zum Beispiel kann man bei der Abwasserentsorgung in Gebieten mit einer sehr hohen Bevölkerungsabwanderung unmöglich die erforderlichen Maßnahmen aus dicht bevölkerten Regionen mit entsprechender Zuwanderung übernehmen. Leider haben unseriöse Berater viel zu vielen Kommunen in den neuen Bundesländern überdimensionierte Abwasseranlagen aufgeschwatzt. Diese Anlagen sind teilweise so überdimensioniert, dass sie in verbrauchsschwachen Zeiten ihre Funktionsfähigkeit verlieren. Um diesem Problem entgegenzuwirken, werden aus weit entfernten Kommunen über Abwasserfernleitungen Abwässer herangeleitet.

   Schon allein der Bau dieser Abwasserfernleitungen mit seinem Flächenverbrauch und den Nachfolgekosten für Wartung und Instandhaltung ist in höchstem Maße kritikwürdig. Schlimm ist jedoch oft, dass Wasser damit direkt den Vorflutern zugeleitet und nicht mehr der Versickerung und damit dem Grundwasser in der Region zugeführt wird. Dezentrale Anlagen und Kleinkläranlagen haben unter den derzeitigen Bedingungen keine Chance. Leider findet dieses Problem keine Berücksichtigung im vorliegenden Gutachten.

(Beifall des Abg. Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU))

   Dagegen schlägt das Gutachten die Streichung der Möglichkeit der Verrechnung der Abwasserabgabe gegen die Investitionsausgaben im Abwasserbereich vor. Von der im Gutachten verfolgten Systematik her ist eine solche Streichung vielleicht noch nachvollziehbar. Sie würde jedoch dünn besiedelte Räume in den neuen Bundesländern sehr hart treffen. In diesen Regionen können, nachdem die größeren Kommunen jetzt an Kläranlagen angeschlossen sind, endlich auch die kleineren Orte an die Lösung ihrer Abwasserprobleme gehen. Mit der Streichung der Verrechnungsmöglichkeit würden die Bewohner und Unternehmen dort dafür hart bestraft, dass sie über Jahre die Investitionen in den größeren Kommunen über ihre Abwasserzweckverbände mitfinanziert haben und nun zusätzlich zu ihren eigenen Investitionen noch eine Abwasserabgabe zahlen müssten. Wir sollten dem Gutachten in diesem Punkt nicht kritiklos folgen. Bei der Finanzknappheit der Kommunen würde eine Abgabe, die zusätzlich zu den Investitionen zu zahlen wäre, eher Investitionen hemmen.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): So ist es!)

   Auch in der Frage der Flächeninanspruchnahme hätte ich mir in dem Gutachten klarere Ausführungen gewünscht. Wieder einmal wird zu wenig zwischen Flächeninanspruchnahme und Flächenversiegelung differenziert.

(Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Ja! Das ist das Problem!)

In der Umwandlung einer intensiv genutzten Ackerfläche in einen ökologisch angelegten Hausgarten kann ich im Grundsatz sogar etwas Positives für Natur und Umwelt sehen. Es ist aber kaum zu verstehen, dass eine solche Flächeninanspruchnahme für einen Hausgarten eine ähnliche Ausgleichsmaßnahme erfordert wie die Versiegelung mit Beton und Asphalt.

Warum wird nicht endlich einmal die Größe der täglich versiegelten Flächen genannt? Die Benennung der allgemeinen Flächeninanspruchnahme ohne dass man gleichzeitig die Größenordnung der viel bedeutsameren Flächenversiegelung angibt, ist gerade im ökologischen Bereich nur eine ungenügende Aussage. Ein Verweis auf die Wiedernutzung industrieller und gewerblicher Brachflächen ist ebenfalls nur bedingt aussagefähig. Diese Brachflächen, die oftmals jahrelang nicht genutzt wurden, haben sich gerade auch in den Städten zu Biotopen entwickelt. Richtig wäre, die Größe der im Rahmen des wirtschaftlichen Handelns versiegelten Flächen auszuweisen und diesem Wert die Größe der entsiegelten Flächen gegenüberzustellen, um diese gegeneinander zu verrechnen.

   Statt der Ausgleichsmaßnahmen, die sich zu oft in einer Bepflanzung von landwirtschaftlichen Nutzflächen erschöpfen, sollte die Entsiegelung von Flächen als Ausgleichsmaßnahme viel deutlicher als bisher festgeschrieben werden. Gerade in Regionen mit schrumpfenden Bevölkerungszahlen dürfte dies kein Problem darstellen. Solange jedoch für Waldflächen Boden- und Wasserabgaben gezahlt werden müssen, die dann tatsächlich für die Entwässerung von Waldgebieten – so ein Nonsens! – eingesetzt werden, und gleichzeitig versiegelte Straßenflächen nicht von diesen Abgaben betroffen sind, hält sich meine Hoffnung auf ein sinnvolles Handeln der Regierung in Grenzen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Richtig finde ich, dass in dem Umweltgutachten erneut eine bundesweite Erfassung bzw. eine fundierte Abschätzung der von Bodenverdichtung und Bodenerosion betroffenen Flächen eingefordert werden. Winderosion auf Ackerflächen wird viel zu oft unterschätzt. Dass sich der Bundesumweltminister aber ausgerechnet Überschwemmungsflächen als Haupterosionsflächen ausgesucht hat, hat den Entwurf eines Hochwasserschutzgesetzes bei den Experten eher lächerlich gemacht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Die jetzt als erosionsgefährdete Flächen eingestuften Abflussbereiche sind im Gesetzentwurf nicht einmal definiert und somit der Zufälligkeit der Rechtsprechung ausgesetzt. Damit werden diese Abflussbereiche genauso streitbefangen sein wie die Einschränkungen, die die Landwirtschaft in den Überschwemmungsgebieten hinnehmen soll.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wer seine umweltpolitische Handlungsfähigkeit sichern will, sollte keinen unsinnigen Streit provozieren, wo er sich mit Sicherheit vermeiden lässt. Umweltschutz lässt sich am besten, sinnvollsten und wirtschaftlichsten nicht gegen die Betroffenen, sondern mit ihnen durchsetzen. Klare, nachvollziehbare Vorgaben mit sinnvollen Grenzen und Grenzwerten schaffen Verständnis und Mitarbeit. Das Umweltgutachten kann hierzu Anregung und Richtschnur sein, wenn wir es nicht zum Dogma erheben.

   Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Winfried Hermann, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am Ende einer im Prinzip guten Debatte möchte ich zu einigen Diskussionspunkten Stellung nehmen und aus Sicht der Grünen noch etwas zum Umweltgutachten und seinen Kernaussagen anmerken. Zuerst möchte ich festhalten, dass sich das vorliegende Gutachten auf die Umwelt und nicht in erster Linie, sondern nur in Teilen auf die Umweltpolitik der Bundesregierung bezieht. In vielen Teilen bezieht es sich auch auf die Politik der Landesregierungen sowie die Wirtschaftspolitik und die Agrarpolitik in diesem Lande. Das muss ich Ihnen schon sagen, weil offenbar nicht alle Ihre Redner dieses Umweltgutachten ausführlich, sondern nur selektiv gelesen haben. Manche haben nur den Teil herausgegriffen, der ihnen gerade passt. Das ist keine angemessene Form der Auseinandersetzung mit einem solchen Gutachten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Die Opposition hat keinen Grund zur Selbstgerechtigkeit. Wenn Sie das Umweltgutachten genau durchlesen, werden Sie in vielen Fällen keine wissenschaftlich fundierte Kritik zugunsten Ihrer Positionen, sondern Ihre Annahmen als falsche Ansätze widerlegt finden. In manchen Punkten werden Ihre Positionen aber auch bestätigt. Nehmen Sie dies als differenzierte Kritik für alle, die Umweltpolitik machen und Verantwortung tragen!

   Lassen Sie uns einmal im Detail anschauen, was uns die Experten sagen! Egal welche Bereiche man nimmt, es wird immer wieder die Aussage deutlich: Wir haben in der Umweltpolitik einiges erreicht, ob bei der Gewässer- und der Luftreinhaltung oder beim Naturschutz. In allen Bereichen sind wir auch dank der permanenten Anstrengungen der Umweltpolitiker aller Couleur vorangekommen. Aber die Experten sagen auch, dass wir in vielen Punkten stehen geblieben sind. Die Opposition behauptet sogar, dass es keine Innovation und keinen Fortschritt mehr gegeben habe. Festzuhalten ist jedenfalls, dass sich das Tempo des Umweltschutzes auf allen Ebenen verlangsamt hat, dass es Stagnation gibt.

Zur Energiepolitik, insbesondere zu den erneuerbaren Energien: Ein Abgeordneter Ihrer Fraktion – er ist Professor – hat behauptet, dass es laut vorliegendem Umweltgutachten dringend notwendig sei, im Interesse des Klimaschutzes die Atomtechnologie weiter zu betreiben. Ich kann nicht erkennen, wo dies in dem Gutachten steht. Dazu werden Sie in diesem Gutachten mitnichten ein Wort finden. Vielmehr finden Sie dort die Botschaft der Gutachter, dass die erneuerbaren Energien, Effizienzsteigerungen und das Energiesparkonzept zusammen zum Klimaschutz beitragen und wir in diesem Bereich konsequenter voranschreiten müssen.

   Dann wird auf eine Reihe ungelöster Probleme hingewiesen, etwa auf die POPs, die permanenten organischen Schadstoffe, die schon seit langem die Umwelt verseuchen und die wir noch nicht in den Griff bekommen haben. Ferner wird darauf hingewiesen, dass wir viele Probleme seit Jahren kennten und nicht gelöst hätten. Kollege Petzold hat das Problem des Flächenverbrauchs angesprochen. Aber auch hier muss ich Ihnen Folgendes sagen: So richtig es ist, beim Flächenverbrauch zu differenzieren, so richtig ist es auch, dass es nicht nur um den schönen Garten geht, der auf einer Fläche Artenvielfalt erzeugt, die vorher ein Acker war, der keine Artenvielfalt mehr aufwies. Man weiß genau, wofür heute Flächen verbraucht werden: Der Flächenverbrauch von derzeit 105 Hektar pro Tag bundesweit bedeutet für mehr als die Hälfte Bebauung – dieser Boden ist für die Natur verloren –; ein Großteil der restlichen Fläche wird als Verkehrsfläche verwandt. Nur der übrig bleibende Teil ist unter Umständen in ökologischer Hinsicht verbessert.

   Von den Gutachtern wird angemahnt, dass es in allen Themenfeldern Durchsetzungsprobleme und Vollzugsdefizite gibt. Dies gilt für die Gewässerreinhaltungspolitik ebenso wie für die Umsetzung der europäischen Wasserrahmenrichtlinie, die einen guten ökologischen Zustand für alle Gewässer verlangt. Auf diesem Gebiet haben wir ein anspruchsvolles Konzept, dessen Umsetzung aber sehr langsam vonstatten geht: Erst ist der Bund am Zuge, dann sind es die Länder, bei denen es sehr lange dauert und von denen nicht alle mitmachen. Dies ist also eine klare Mahnung an die Adresse der Länder mitzumachen.

(Julia Klöckner (CDU/CSU): Wir brauchen Akzeptanz in der Bevölkerung!)

   Damit komme ich zum Schluss meines kurzen Beitrags auf einen mir sehr wichtigen Gedanken zu sprechen: Ein Kernproblem in Deutschland ist die Aufspaltung der Kompetenz in Umweltfragen zwischen Bund und Ländern. Dies erschwert und verzögert die Umsetzung des EU-Rechts. Bei uns gibt es eine Konkurrenz in der Gesetzgebung, die letztlich oft zu Blockaden führt. Wenn wir im Rahmen der Föderalismusreform nicht zu einer klaren Kompetenzaufteilung und einer klaren Kompetenzstärkung des Bundes im Bereich Umwelt beitragen, dann haben wir verloren.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Dann wäre auch all das, was Sie von der Opposition gefordert haben, nicht zu erreichen.

   Eine weitere Zersplitterung der Umweltkompetenz, die sich durch den Vorschlag von Kollegen der CDU/CSU, aber in Teilen auch der SPD ergäbe, ein Zugriffsrecht der Länder zu schaffen, bedeutete faktisch, dass es bei uns nur noch pro forma einheitliche Standards gäbe. In der Realität hätten wir es mit einem unendlichen Flickenteppich im Bereich des Naturschutzes, der Gewässerreinhaltungspolitik usw. zu tun. Dies wäre kontraproduktiv und im Sinne einer dauerhaft erfolgreichen Umweltpolitik schädlich. Daher bitte ich Sie alle, im Rahmen der Föderalismusreform gemeinsam für eine Stärkung der Bundeskompetenz zu kämpfen. Nur so ließe sich auch ein Umweltgesetzbuch schaffen. Ohne eine solche Kompetenz bräuchten wir kein Umweltgesetzbuch mehr.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Josef Göppel (CDU/CSU))

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/3600 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b sowie den Zusatzpunkt 3 auf:

3 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich Merz, Dr. Michael Meister, Dietrich Austermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Für eine stabile Wirtschafts- und Währungsunion – Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht ändern

– Drucksache 15/3719 –

Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss (f)Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für. die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss

b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Ernst Burgbacher, Rainer Funke, Otto Fricke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Aufnahme von Stabilitätskriterien in das Grundgesetz)

– Drucksache 15/3721 –

Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss (f)Auswärtiger Ausschuss InnenausschussFinanzausschussAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss

ZP 3 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Stabilitäts- und Wachstumspolitik fortsetzen – Den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt stärken

– Drucksache 15/3957 –

Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss (f)Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Walter Schöler (SPD): Testament?)

Friedrich Merz (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 2. Dezember 1992 hat der Deutsche Bundestag einen Entschließungsantrag zur Wirtschafts- und Währungsunion und zum Vertrag über die Europäische Union angenommen. In diesem Entschließungsantrag heißt es unter anderem:

Der Deutsche Bundestag nimmt die Besorgnisse in der Bevölkerung über die Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung ernst. Es muss daher alles getan werden, damit sich diese Sorgen als gegenstandslos erweisen. Die Stabilität der Währung muss unter allen Umständen gewährleistet sein.

   Etwas weiter heißt es in diesem Entschließungsantrag:

Der Deutsche Bundestag wird sich jedem Versuch widersetzen, die Stabilitätskriterien aufzuweichen, die in Maastricht vereinbart worden sind.

   Einen gleich lautenden Entschließungsantrag hat wenige Tage später der Bundesrat angenommen.

   Was ich Ihnen hier gerade auszugsweise vorgetragen habe, meine Damen und Herren, ist die Geschäftsgrundlage der Bundesrepublik Deutschland für den Beitritt zur Währungsunion im Rahmen der Europäischen Union gewesen. Heute gibt es Anlass, an diese Geschäftsgrundlage zu erinnern. Wir haben dem Deutschen Bundestag einen Antrag vorgelegt, der diese Geschäftsgrundlage noch einmal bekräftigt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Es gibt bedauerlicherweise einen sehr akuten Grund und Anlass, dies zu tun und erneut über die Geschäftsgrundlage des Beitritts der Bundesrepublik Deutschland zur Wirtschafts- und Währungsunion zu sprechen.

   Wenn im Deutschen Bundestag über ein solches Thema in der Kernzeit diskutiert wird

(Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Extra für Sie, Herr Merz!)

und die Regierungsbank so besetzt ist – außer dem Bundesumweltminister hält es nicht ein einziger Bundesminister für richtig, an dieser Debatte teilzunehmen; der Bundesumweltminister ist nur noch da, weil er nicht mitbekommen hat, dass sich hier mittlerweile das Thema geändert hat –,

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Wo ist da ein Bundesminister? Ich sehe keinen Bundesminister! – Dr. Andreas Pinkwart (FDP): Die haben alle ein schlechtes Gewissen! – Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei Ihnen war die erste Reihe leer! Jetzt wollen wir mal nicht so tun! – Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wo ist eigentlich Frau Merkel? Wo ist Ihr wirtschaftspolitischer Sprecher?)

dann lässt das auch Rückschlüsse auf die Ernsthaftigkeit zu, mit der die Bundesregierung dieses Thema behandelt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Wir haben vor ziemlich genau einem Jahr im Parlament und in den Parlamentsausschüssen eine hochstreitige Diskussion über die Entscheidung der EU-Kommission geführt, das Defizitverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland fortzusetzen. Damals hat uns der Bundesfinanzminister im Plenum und in einer gemeinsamen Sitzung des Finanzausschusses, des Haushaltsausschusses und des Europaausschusses erklärt, die Haltung der Bundesregierung sei rechtlich in Ordnung, die Kommission befinde sich sozusagen im Rechtsirrtum über die Anwendung der Regeln, im Rat der Finanzminister sei ein Votum der EU-Kommission überstimmt worden. Wenige Wochen später hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass die Kommission damals Recht gehabt hat, dass sich die Mehrheit der Mitgliedstaaten ins Unrecht gesetzt hat und dass massiv gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt verstoßen worden ist.

(Carl-Ludwig Thiele (FDP): Leider wahr!)

Dieser Verstoß hält bis heute an, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Sie verstoßen damit nicht gegen irgendeine Regel der Europäischen Union, sondern Sie verstoßen damit gegen die zentrale Rechtsordnung, die sich die Europäische Union auf dem Weg in die politische Union und mit der Wirtschafts- und Währungsunion gegeben hat. Sie höhlen nicht nur das Fundament unserer gemeinsamen Währung aus, Sie höhlen auch das Vertrauen der Menschen in die Zukunft der gemeinsamen europäischen Währung aus, ja, Sie zerstören es.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Was hier stattfindet, ist in seinen Konsequenzen verheerend. Was Deutschland und Frankreich im letzten Jahr begonnen haben, setzt sich in einer ganzen Reihe von weiteren Mitgliedstaaten der Europäischen Union fort. Es überträgt sich mittlerweile auch auf einige Staaten, die der Europäischen Union erst am 1. Mai 2004 beigetreten sind. Schon heute ist absehbar, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt der Europäischen Union so ausgehöhlt wird, dass so beständig gegen Geist und Buchstaben dieses Vertrages verstoßen wird, dass er wahrscheinlich auf Dauer in einer größer werdenden Europäischen Union und in einer größer werdenden Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion keinen Bestand mehr haben wird. Was Deutschland hier anrichtet, ist das glatte Gegenteil von dem, was wir in diesem Parlament den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes einstimmig versprochen haben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Gestern hat in Luxemburg der Finanzministerrat getagt. Bei dieser Gelegenheit ist das Verhalten Griechenlands zu Recht kritisiert worden: Griechenland hat seinen Beitritt in die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion offenkundig mit gefälschten Zahlen ermöglicht.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Sozialistische Regierung!)

   Aber wie reagiert der Rat und wie reagiert Deutschland? Die Kommission ist darum bemüht, aufzuklären, was war. Dazu braucht die Kommission Zugang zu den Daten. Der Bundesfinanzminister selbst sagt sehr öffentlichkeitswirksam: Das muss jetzt mit aller Konsequenz von der Kommission aufgeklärt werden. – Im selben Atemzug enthalten die Bundesrepublik Deutschland und mit ihr eine Reihe von anderen Mitgliedsländern der Europäischen Kommission das Instrumentarium vor, das zur Aufklärung dieses Sachverhaltes notwendig ist. Die Kommission braucht Zugang zu den Daten. Wenn die Bundesrepublik Deutschland diesen Zugang verweigert, dann macht sie sich erneut eines schweren Vergehens gegen Geist und Buchstaben des Vertrages über die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion schuldig.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Das, was Sie, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank und in der Koalition, hier machen, ist nicht eine aus der Not des Augenblicks geborene, kurzfristige Entscheidung gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt, sondern eine systematische Aushöhlung einer Rechtsgrundlage, die Sie in Wahrheit nie gewollt haben. Denn die Diskussionen über die Unabhängigkeit der Zentralbanken, die Diskussion über die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank haben in der SPD, bei den Grünen und auch bei den Gewerkschaften bis heute in Wahrheit nicht aufgehört.

   Sie können das wie einen roten Faden durch die letzten Jahre verfolgen. Sie verstoßen in diesem Jahr zum dritten Mal hintereinander bewusst gegen den Stabilitätspakt. Sie werden im nächsten Jahr erneut, zum vierten Mal, bewusst gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt verstoßen. Das sind doch keine Kassandrarufe der Opposition. Hier sitzt die Vorsitzende des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, eine Kollegin aus der Fraktion der Grünen. Sie hat in dieser Woche in einem öffentlichen Interview erneut gesagt: Jawohl, wir werden wahrscheinlich im nächsten Jahr wieder gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt verstoßen. – Zum vierten Mal hintereinander verstoßen Sie gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt. Zum dritten Mal hintereinander legen Sie uns in diesem Jahr einen Nachtragshaushalt vor, obwohl Sie schon zu Beginn des Haushaltsjahres gewusst haben, dass keine Zahl, die Sie dem Parlament hier vorgelegt haben, stimmt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Das lässt Rückschlüsse auf Ihr Denken zu, und zwar nicht nur auf Ihr Denken in der Finanzpolitik und in der Haushaltspolitik, sondern auch auf Ihr Denken in Bezug auf die Verantwortung der Institutionen füreinander. Sie beseitigen die Rechtsgrundlagen des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts und Sie höhlen das Budgetrecht des Parlaments systematisch aus. Das, was hier geschieht, hat Langfristfolgen, die wir heute noch gar nicht wirklich abschätzen können. Es wird – auch für das Rechtsbewusstsein der Bevölkerung insgesamt – verheerende Folgen haben.

(Carl-Ludwig Thiele (FDP): Das ist leider wahr!)

   Sagen Sie bitte nicht, das sei nun wiederum nur Oppositionsrhetorik! Sie, die Kommission und einige Finanzminister der Europäischen Union stoßen mit dem Wunsch, einen Teil des Stabilitäts- und Wachstumspaktes der Europäischen Union zu ändern, auf den erbitterten Widerstand der gesamten Fachöffentlichkeit. Die Europäische Zentralbank hat sich unmittelbar nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die Vertragsverletzung klar und deutlich gegen eine Änderung des EG-Vertrages und des Stabilitäts- und Wachstumspaktes geäußert. Die Deutsche Bundesbank hat vor wenigen Wochen, am 7. September, klar und deutlich zu Protokoll gegeben:

Der Stabilitätspakt hat kein Ausgestaltungs-, sondern ein Umsetzungsproblem.

Die Reformvorschläge machten das bestehende Regelwerk komplizierter und unübersichtlicher. Der Anreiz zu einer soliden Haushaltspolitik in den Mitgliedstaaten der Währungsunion werde verringert und es werde ein falsches Signal an die Länder gegeben, in denen die Währungsunion bisher noch nicht eingeführt worden sei. – Das sagt die Bundesbank. Sie hat die originäre Zuständigkeit, die Währungspolitik zu begleiten und die Grundlagen für eine stabile Währung zu schaffen.

   Was fällt diesem Bundesfinanzminister ein, in einer Presseerklärung, also öffentlich und nicht irgendwie zufällig, der Bundesbank dringend zu empfehlen, sich zurückzuhalten? Was ist das eigentlich für eine Haltung gegenüber einer der wichtigsten Institutionen im gesamten Gefüge der Währungs- und Finanzpolitik, gegenüber einer Institution, die immer noch mit die höchste Achtung in der gesamten Bundesrepublik Deutschland und ihrer Bevölkerung genießt? Was ist das für ein Politikverständnis, das da zum Ausdruck kommt?

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Ob von den Wirtschaftsforschungsinstituten oder vom Geschäftsführenden Direktor des Internationalen Währungsfonds – wohin Sie auch hören, von allen Seiten wird dem Versuch, die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes aufzuweichen, eine klare Absage erteilt. Wir legen Ihnen heute einen Entschließungsantrag vor, die Geschäftsgrundlage – ich habe es bereits gesagt –, die der Deutsche Bundestag sich selbst und damit unserem Land gegeben hat, noch einmal zu bekräftigen. Es darf an den Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes nichts geändert werden. Es darf vor allen Dingen nichts geändert werden, was dazu führen könnte, dass das Vertrauen der Menschen in unsere gemeinsame Währung, den Euro, weiter erschüttert wird.

   Meine Damen und Herren, spätestens der nachfolgende Redner wird die Frage stellen, was denn angesichts der sich ständig weiter verschlechternden Lage der öffentlichen Haushalte die Alternative zu einer sich ständig weiter erhöhenden Verschuldung ist. Ich will Ihnen dazu einen kurzen Satz aus dem Herbstgutachten der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute vortragen, das sich ausführlich mit der Finanzpolitik beschäftigt. Der Kernsatz lautet:

Die Finanzpolitik lässt nach wie vor ein klares Konzept vermissen, mit dem das Wachstum gestärkt werden kann.

Wenig später heißt es:

Zudem gehen die ohnehin bescheidenen Schritte zur Konsolidierung des Staatshaushalts wieder einmal zulasten der öffentlichen Investitionen und damit jenes Teils der Staatsausgaben, von dem am ehesten positive Wirkungen auf das Wachstum ausgehen.
(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

   Das heißt, das, was Sie tun, stellt eine Korrektur über die Einnahmenseite dar. Sie versuchen, mit Steuererhöhungen den Staatshaushalt wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Korrekturen auf der Ausgabenseite finden überwiegend an der falschen Stelle, nämlich bei den investiven Ausgaben der öffentlichen Hand statt. Meine Damen und Herren, dazu gibt es eine Alternative. Die Alternative lautet: eine wirklich vorurteilsfreie Überprüfung der konsumtiven Ausgaben, einschließlich aller Subventionen der sozialen Sicherungssysteme.

(Carl-Ludwig Thiele (FDP): Sehr richtig! – Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kopfpauschale!)

   Es kann nicht gut gehen – das ist jetzt keine Kassandra-Opposition; Sie brauchen nur das nachzulesen, was Herr Professor Sinn heute in einem umfassenden Beitrag in der Zeitung „ Die Welt“ veröffentlicht hat –, wenn wir aus dem laufenden Etat des Bundes jedes Jahr einen Zuschuss von im Augenblick rund 80 Milliarden Euro an die Rentenversicherungen überweisen.

(Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was schlagen Sie denn mit der Kopfpauschale vor, Herr Merz? 40 Milliarden aus dem Staatshaushalt!)

Es geht nicht gut, wenn Sie nur Lasten verschieben: aus den sozialen Sicherungssystemen in den Staatshaushalt. Hier müssen ganz grundlegende Reformen durchgeführt werden. Ich gestehe zu, Sie haben im Bereich der Rentenpolitik etwas gemacht – allerdings sehr spät und nur als Korrektur einer Regelung, die Sie lediglich hätten beibehalten müssen. Mit der Aussetzung des demographischen Faktors, den Sie ja später wieder eingeführt haben, haben Sie einen schweren politischen Fehler begangen. Das wäre vermeidbar gewesen.

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das haben Sie schon zehnmal gesagt! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder (CDU/CSU): Trotzdem richtig!)

   Wir müssen jetzt auch eine grundlegende Kurskorrektur bei den Krankenversicherungen einleiten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Dass das schwer ist, brauchen Sie uns nicht zu sagen. Wenn aber dieses System nicht demographiefest gemacht wird, dann werden alle Anstrengungen, den Staatshaushalt in Ordnung zu bringen, zum Scheitern verurteilt sein.

(Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sollten Sie einmal Herrn Meister sagen, der Steuererhöhungen vorschlägt!)

   Wir, meine Damen und Herren, können hier lange über strittige Fragen wie die Eigenheimzulage und anderes diskutieren. Ich vermute, auch dieses wird hier heute noch einmal eine Rolle spielen. Selbst wenn wir die Eigenheimzulage sofort komplett streichen würden, würden wir damit im ganzen Jahr 2005 nur so viel sparen, wie der Bundesfinanzminister jede Woche an neuen Schulden macht. Hören Sie also auf, hier mit irgendwelchen Formulierungen einen Popanz aufzubauen, die uns nicht weiterhelfen, sondern im Gegenteil von dem ablenken, was wirklich notwendig ist.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Meine Damen und Herren, wir brauchen in Deutschland eine ganz grundlegende Neuausrichtung der Politik auf Wachstum und Beschäftigung. Die Lösung der Budgetprobleme in Deutschland ist ausschließlich durch eine Konsolidierung der Ausgabenseite des Haushaltes und durch eine wachstums- und beschäftigungsorientierte Wirtschaftspolitik möglich.

   Wir beklagen uns alle völlig zu Recht darüber, dass gegenwärtig mit Opel und Karstadt zwei wichtige Unternehmen in der Krise stecken. Wir übersehen dabei, dass seit Jahren Woche für Woche dasselbe wie bei Karstadt und Opel passiert, nur ist das nicht so spektakulär, weil es sich nicht um solche bedeutenden Markennamen handelt. In Deutschland gehen seit geraumer Zeit, seit mehreren Jahren, jede Woche 10 000 Beschäftigungsverhältnisse verloren. Im Jahr macht das eine halbe Million aus.

   Wenn Sie Ihre Wirtschaftspolitik nicht korrigieren, wenn Sie Ihre Arbeitsmarktpolitik nicht darauf ausrichten, dass die Beschäftigung in Deutschland steigt, und endlich Konkurse und Abwanderung stoppen, dann werden wir die Budgetprobleme nicht lösen können.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): So ist es!)

Dann werden Sie alle, die Sie jetzt hier sitzen, wenn Sie eines Tages von der politischen Bühne abtreten – und das wird geschehen –, sich zum Abschluss Ihrer Regierungstätigkeit den schlimmsten Vorwurf machen lassen müssen, den man in einer Demokratie gegenüber einer Regierung erheben kann, nämlich auf Kosten nachfolgender Generationen gearbeitet zu haben.

   Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Joachim Poß.

Joachim Poß (SPD):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eines scheint mir nahezu sicher zu sein, Herr Merz: 2006 werden wir nicht gehen. Ich glaube, dass die Menschen das inzwischen spüren und dass die Entwicklung in den Umfragen das auch widerspiegelt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Abwarten!)

In den Umfragen spiegelt sich wider, dass es Ihnen überhaupt nicht gelingt, eine widerspruchsfreie Politik zu formulieren, weder in der Gesundheitspolitik noch in der Steuerpolitik noch in der Finanzpolitik. Sie sind voller Widersprüche.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Herr Merz, Ihr Beitrag hier war wieder ein Beleg dafür, dass man von rednerischen Fähigkeiten nicht unbedingt auf logische oder politische Fähigkeiten rückschließen kann.

(Lachen bei der CDU/CSU)

   Der Europäische Gerichtshof hat sich – anders, als Sie hier suggeriert haben – gar nicht zur Sache geäußert, sondern zum Verfahren. Wenn Sie an die ersten Entschließungen Anfang der 90er-Jahre erinnern, wo es in unserer Debatte um Währungsstabilität ging – vollkommen richtig –, dann müssen Sie doch auch dazusagen, dass wir trotz dreijähriger Stagnation in den entwickelten europäischen Staaten eine absolute Stabilität des Euro hatten. Das ist doch wohl unbestritten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Wovon reden Sie eigentlich, wenn Sie den Eindruck erwecken, man müsse verhindern, dass der Euro geschwächt wird?

   Sie haben als Zeugen für Ihre Position die Europäische Zentralbank und die Bundesbank zitiert. Ja, erwarten Sie denn, dass die Erfinder des Stabilitäts- und Wachstumspaktes diesen selbst infrage stellen? Das ist doch wohl überhaupt nicht zu erwarten.

   Lassen Sie uns über die Alternativen reden. Ihre Alternative ist, dass wir Kürzungen vornehmen sollen; das sagt ja auch die Mehrheit der Institute. Aber welche Konsequenzen hätte es denn, wenn wir mit Kürzungen von 10 oder 12 Milliarden Euro hineingingen?

(Carl-Ludwig Thiele (FDP): Wir können ja mal mit 1 Million Euro anfangen!)

Eine solche Maßnahme würde sich sofort bei den Investitionen auswirken. Das heißt, wir würden in einen wirtschaftlichen Aufschwung, der nicht nohne weltwirtschaftlichen Risiken ist, hineinsparen. Das kann doch ökonomisch keinen Sinn machen, was Sie da vorschlagen, Herr Merz und meine Damen und Herren von der Union!

(Beifall bei der SPD – Carl-Ludwig Thiele (FDP): Abenteuerlich! Sie haben das Sparen aufgegeben!)

   Der Antrag der Union lässt deutlich erkennen, dass die Union weiterhin einer rein mechanistischen Auslegung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes das Wort redet und in der Währungs-, Wirtschafts- und Finanzpolitik weiterhin von einem simplen ökonomischen Weltbild ausgeht.

(Carl-Ludwig Thiele (FDP): Und Sie produzieren Chaos!)

Die Union und hier an erster Stelle Herr Merz ignorieren wesentliche ökonomische Zusammenhänge.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Mit einer drei Jahre andauernden Stagnation bzw. Wachstumsschwäche in nahezu allen EU-Mitgliedstaaten, die erst jetzt zu Ende geht, haben wir keine schlichte Abfolge von Aufschwung und Abschwung im Konjunkturzyklus mehr, wie es vielleicht in den Lehrbüchern steht. Das ist die Realität, meine Damen und Herren. Wir müssen realitätstaugliche Konzepte entwickeln, statt sozusagen abgehobene Betrachtungen anzustellen, wie Sie das hier getan haben.

   In den entwickelten europäischen Ökonomien folgt auf einen Abschwung offensichtlich nicht mehr in absehbarer Zeit ein entsprechender konjunktureller Aufschwung. Die über Jahre andauernde Stagnation hat zu folgenschweren nachhaltigen Absenkungen des Beschäftigungsniveaus und des Niveaus der staatlichen Steuereinnahmen gegenüber dem erwarteten Niveau geführt. Hier – und nicht in mangelnder Sparsamkeit oder öffentlicher Verschwendung – liegt zumindest in Deutschland die Ursache für das stark angestiegene Staatsdefizit.

   Darauf wollen die Union und leider auch ein Teil der Wirtschaftswissenschaftler mechanistisch mit rigiden und kurzfristigen Konsolidierungsauflagen reagieren. Dadurch würden aber die nach wie vor bestehenden Risiken für die Wirtschaftsentwicklung verstärkt. Sie wollen die Wirtschaft wieder in einen Abschwung hineinsparen. Das machen wir nicht mit!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann (CDU/CSU): Er hat den Bericht der Sachverständigen nicht gelesen!)

Sie wollen dadurch die Möglichkeiten einer nachhaltigen, aktiven Wachstumspolitik verringern. Aber auf eine aktive Wachstumspolitik, die auf Bildung und Innovation setzt, kommt es jetzt an. Ich nenne deswegen Ihre Position schlichtweg ökonomisch hilflos und unsinnig. Die wirtschafts- und finanzpolitisch Verantwortlichen der Union sind heute offensichtlich immer noch nicht weiter als der ehemalige CSU-Bundesfinanzminister Theodor Waigel, der seine ökonomischen Vorstellungen mit seinem schon in den 90er-Jahren sehr fragwürdigen und kritikwürdigen Statement „3,0 Prozent sind 3,0 Prozent“ dokumentiert hatte.

(Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Er konnte noch rechnen!)

   Aber statt juristisch formaler Aussagen – was Sie hier vorgetragen haben, war Ihre juristische Interpretation dieser Aussagen, Herr Merz – ist eine ökonomisch sinnvolle Auslegung des Stabilitätspaktes die richtige ökonomische Antwort. Sie haben hier Juristerei gemacht. Wir machen dagegen das – das ist die Alternative –, was für die deutsche Volkswirtschaft, für die Arbeitsplätze in Deutschland und für die Stabilisierung des Aufschwunges notwendig ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU)

   Der EU-Währungskommissar Almunia weiß das. Er hat deshalb am 3. September dieses Jahres Vorschläge zu einer Auslegung bzw. Anwendung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes gemacht – ich möchte unterstreichen: Wachstumspaktes –, die angemessener auf die Situation anhaltender Wachstumsschwäche reagieren. So ist es unter anderem notwendig, stellt Herr Almunia fest, stärker als bisher der jeweiligen wirtschaftlichen Situation und Entwicklung in den einzelnen Mitgliedstaaten Beachtung zu schenken. Die Vorschläge Almunias sind eine gute Grundlage für die entsprechenden Beratungen im Europäischen Rat der Wirtschafts- und Finanzminister.

   Sie können doch hier nicht das Fehlen von Herrn Eichel beklagen, wenn er heute in Luxemburg deutsche Interessen im Ecofin vertritt, Herr Merz. Das geht nicht. Herr Eichel ist entschuldigt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ihre Vorstellungen zum Stabilitätspakt, meine Damen und Herren von der Union, sind dagegen kein gangbarer Weg.

   Die von Ihnen für sich in Anspruch genommene Regierungsfähigkeit würde vielmehr voraussetzen, auf die bestehenden Probleme und Erfordernisse mit realitätstauglichen und widerspruchsfreien Politikkonzepten zu reagieren. Bei Ihnen ist das Gegenteil der Fall. Das ist – neben persönlichen Gründen – auch der tiefere Grund für Ihren Rückzug aus Ihren Partei- und Fraktionsämtern, Herr Merz. Das wissen Sie.

   Schon mindestens seit dem Bundesparteitag der CDU in Leipzig im letzten Dezember war den Verantwortlichen und den einigermaßen Sachkundigen in der Union klar, dass das Kopfpauschalenmodell von Frau Merkel die von Herrn Merz in seinem Steuerreformkonzept versprochenen Steuersenkungen prinzipiell nicht zulässt. Es war schon damals klar, dass das Kopfpauschalenmodell von Frau Merkel im Gegenteil sogar Steuererhöhungen für den so genannten Sozialausgleich zur Folge haben würde.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Es kann doch einmal genannt werden!)

Sie, Herr Merz, haben zusammen mit Frau Merkel Ihren eigenen Parteitag getäuscht. So gehen Sie mit Ihrer Basis um. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann (CDU/CSU): Thema verfehlt! Setzen! Sechs!)

   Sie sollten sich einmal anschauen, wie die Wirtschaftsverbände, insbesondere die der mittelständischen Wirtschaft, auf die verschiedenen Modelle zum Sozialausgleich – beispielsweise wurde ein entsprechender Soli vorgeschlagen – reagiert haben. Man muss dabei die Tatsache berücksichtigen, dass 85 Prozent der Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland Einkommensteuer als Unternehmensteuer zahlen. Das ist nur ein Beispiel für etliche Ungereimtheiten; man könnte noch weitere nennen. Frau Merkel hat mit Ihrer Zustimmung, Herr Merz, beide nicht miteinander zu vereinbarenden Konzepte – Kopfpauschale und Steuerreform – auf dem Leipziger Parteitag beschließen lassen.

   Hinzu kommt die offensichtliche Unfinanzierbarkeit Ihrer Steuervorschläge. Das haben im Frühjahr die Finanzminister aller Länder unabhängig von der Parteizugehörigkeit festgestellt. 30 Milliarden Euro Steuerausfälle, die sich nach Ihren Vorschlägen ergeben würden, sind angesichts der Situation, in der sich die öffentliche Hand befindet, für Bund, Länder und Kommunen – es geht hier nicht nur um den Bund – überhaupt nicht zu verkraften. Ihre Vorschläge würden im Sinne des Maastricht-Defizitkriteriums für Deutschland eine Erhöhung um 1,5 Prozentpunkte bedeuten. Dabei sind Sie es doch, die immer Stabilität nach dem Motto „3 Prozent sind 3 Prozent“ einfordern. Wenn man Ihren Vorschlägen folgte, lägen wir im nächsten Jahr nicht bei 3,0 Prozent – diesen Wert wollen wir ja erreichen –, sondern würden bei 4,5 Prozent landen.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Das alles passt doch nicht zusammen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann (CDU/CSU): Spaßmacher! Karneval fängt erst in einem Monat an!)

– Herr Austermann, nach all den Fehlprognosen, die Sie sich in den letzten Jahren auch in der Haushaltspolitik erlaubt haben,

(Lachen bei der CDU/CSU)

sollte man Ihren Äußerungen nicht mehr allzu viel Bedeutung zumessen.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Das ist ja wohl der Hammer!)

   Steuererhöhungen oder ein massiver zusätzlicher Aufwuchs der Staatsverschuldung – das ist die Zukunftsperspektive der Union. Sie sind entgegen dem Bild, das Sie erzeugt haben, in Wahrheit eine Steuererhöhungspartei.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Das ist ein Beitrag zum Rosenmontag!)

In der Tatsache, dass das Rechnen in Milliarden offenkundig nicht zu den Stärken von Frau Merkel und Herrn Merz zählt, sehe ich die tatsächliche Gefährdung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Sie sind die eigentliche Gefahr für den Stabilitäts- und Wachstumspakt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU – Dietrich Austermann (CDU/CSU): Wer regiert denn?)

   Ihr Rücktritt, Herr Merz, ist eindeutig das Eingeständnis des Scheiterns der eigenen Steuer- und Finanzpolitik.

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Genau!)

Für mich war dieser Rücktritt deshalb zwangsläufig. Gleichzeitig ist dieser Rücktritt – das macht seine eigentliche Bedeutung aus – die erste nennenswerte personelle Konsequenz aus der Tatsache, dass bei der Union Steuerpolitik und Sozialpolitik nach wie vor überhaupt nicht konzeptionell zusammenpassen.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Gucken Sie doch einmal auf die Tagesordnung! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

   Jetzt kommt zum Vorschein, dass Sie in Wahrheit eine Steuererhöhungspartei sind. Man braucht gar nicht das Wort des bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber von den „Leichtmatrosen“ bemühen. Aber kompetent und regierungsfähig ist all das, was sich unter der Verantwortung der Partei- und Fraktionsvorsitzenden Angela Merkel abspielt, nicht.

   Ihre Vorschläge führen im Übrigen – das hat Herr Seehofer vorgerechnet – zu Finanzrisiken von mehr als 100 Milliarden Euro. Wenn wir dann noch Ihren Beschluss zur Abschaffung der Gewerbesteuer hinzunehmen, dann sind wir bei gut 125 Milliarden Euro.

   Eine Konsequenz all Ihrer Beschlüsse ist die Entwicklung Ihrer Umfrageergebnisse: Herr Merz und Frau Merkel sind und bleiben ein 125-Euro-Milliarden-Risiko.

(Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Merz nicht mehr! Merz hat sich ja zurückgezogen!)

Das ist nicht gut für den Standort Deutschland und das ist nicht gut für den Stabilitäts- und Wachstumspakt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Andreas Pinkwart.

Dr. Andreas Pinkwart (FDP):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestern äußerte Kollege Wend von der SPD in einer Fernsehdiskussion, bezogen auf die großen Strukturprobleme unseres Landes, dass die beiden großen Volksparteien in den vergangenen 15 Jahren – so sagte er dort – offenbar unter einem Realitätsverlust gelitten hätten. Heute beraten wir hier unter anderem einen Antrag von den Koalitionsfraktionen und hören Äußerungen von Herrn Poß, die Bundesregierung habe auf die schwache wirtschaftliche Entwicklung mit der – ich zitiere die Bundesregierung – „Fortsetzung der Konsolidierung der Haushalte“ reagiert.

(Lachen des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP))

   Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass wir zum dritten Mal hintereinander Haushaltspläne vorgelegt bekommen – dies gilt auch für die Aufstellung des nächsten; es geschieht also zum vierten Mal –, die erkennbar verfassungswidrig sind, vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Sie in diesem Jahr zum dritten Mal und nach Aussage des Herbstgutachtens auch im kommenden Jahr gegen die Kriterien von Maastricht verstoßen werden, können jedenfalls wir nur feststellen: Sie leiden nach wie vor, und zwar verstärkt, unter einem Realitätsverlust.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Dies ist aus meiner Sicht eine nicht mehr zu verantwortende Politik. Der Bundeskanzler hat unlängst in einer Regierungserklärung gesagt, er wolle eine Politik machen, die in großer Verantwortung gegenüber den Kindern und Enkelkindern, in Verantwortung gegenüber der nächsten Generation stehe. Als Mitglied dieses Hauses sage ich Ihnen: Ich fühle mich beschwert durch eine Bundesregierung, die in dieses Parlament Haushaltspläne einbringt, die bereits bei der Vorlage erkennbar Makulatur sind und nur von Tricksen, Tarnen und Täuschen leben. So können Sie mit dem Parlament und mit der deutschen Öffentlichkeit nicht weiter umgehen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Die Grünen, die im Finanz- und Haushaltsausschuss zum Teil in vielen Punkten Übereinstimmung mit Anträgen der Opposition gezeigt haben – ich erinnere an unseren Entwurf eines Subventionsabbaugesetzes vor der Sommerpause –,

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sagen Sie mal etwas zum Subventionsabbau im Bundesrat!)

in der Sache also oft zustimmen, beteiligen sich durch ihr Abstimmungsverhalten nach wie vor an dem Marsch in den Schuldenstaat.

(Elke Ferner (SPD): Was tun Sie denn im Bundesrat?)

Sie haben sich von der Politik der Nachhaltigkeit längst verabschiedet und betreiben nur noch eine Politik der Kurzatmigkeit. Das ist Ihre Bilanz.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist doch Quatsch! Ihre eigenen Länder betreiben die Destruktion!)

   Herr Poß, beim Stabilitäts- und Wachstumspakt handelt es sich nicht um eine rechtliche Konstruktion. Es handelt sich um ein Versprechen der deutschen Politik an die Menschen in diesem Lande, die Erfolgsgeschichte der D-Mark – eine Erfolgsgeschichte, die in beiden Teilen Deutschlands als eine solche erlebt und wahrgenommen worden ist –,

(Joachim Poß (SPD): Ist der Euro nicht stabil? Was wollen Sie denn damit sagen? Der Euro ist doch zu stabil!)

diese Stabilitätskultur auf den Euro zu übertragen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Jetzt machen Sie zweierlei: Sie stellen erstens die Regeln infrage und zweitens – –

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Spiller?

(Carl-Ludwig Thiele (FDP): Erst das Zweite, dann die Frage!)

Dr. Andreas Pinkwart (FDP):

Ich würde meine Ausführungen gerne zunächst zu Ende führen. Danach gestatte ich gerne die Zwischenfrage.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Sie haben noch zwei Minuten.

Dr. Andreas Pinkwart (FDP):

Zum einen stellen Sie die Regeln infrage. Sie wollen sie in Brüssel aufweichen.

   Letzte Woche sind zwei Ökonomen mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden, die sich mit eben diesen Fragen beschäftigt haben, nämlich mit zeitlicher Inkonsistenz von Politik, mit den Folgen von Vertrauensbruch durch Politik für die Ökonomie. Die beiden Ökonomen, die in diesem Jahr den Nobelpreis bekommen, haben wissenschaftlich unterlegt nachgewiesen, dass ein derartiger Vertrauensbruch durch Politik nachhaltig zur Schädigung von Volkswirtschaften beiträgt.

(Beifall des Abg. Carl-Ludwig Thiele (FDP))

Darüber hinaus haben sie in ihren wissenschaftlichen Arbeiten belegt: Wir brauchen nicht nur Regeln, die eingehalten werden, sondern wir brauchen auch Institutionen, die die Einhaltung der von der Politik vorgegebenen Regeln unabhängig überprüfen

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Sehr richtig!)

und damit zu deren Einhaltung beitragen können. Was aber machen Sie? Sie weichen nicht nur Kriterien auf, Sie stellen sie nicht nur infrage und zerstören dadurch Vertrauen, sondern Sie hebeln auch Institutionen wie die Kommission, die die Einhaltung der Defizitkriterien überprüfen soll, aus.

(Joachim Poß (SPD): Unglaublich, was Sie sagen!)

   Im Deutschen Bundestag geht der Finanzminister – wie jüngst geschehen – hin und kritisiert den Präsidenten der Deutschen Bundesbank dafür, dass er öffentlich Kritik an dem Verhalten der Bundesregierung geübt hat. Sie beschädigen nicht nur die Regeln, sondern auch die Institutionen. Die Folge ist ein nachhaltiger doppelter Vertrauensbruch in diesem Land.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Quatsch!)

   Jetzt lasse ich die Zwischenfrage zu.

Jörg-Otto Spiller (SPD):

Herr Kollege Pinkwart, sind Sie bereit, zuzugeben, dass der Euro eine stabile Währung ist, dass er sowohl bezüglich der inneren Geldwertstabilität als auch bezüglich seines Außenwertes, also im Verhältnis zu anderen Währungen, zu den stabilsten Währungen überhaupt gehört? Sind Sie bereit, zuzugeben, dass es innerhalb der Europäischen Währungsunion noch nie eine so breite, in der gesamten Zone wirkende innere Geldwertstabilität gegeben hat und dass der Außenwert des Euro nicht nur ein Ausdruck der Dollarschwäche ist, sondern auch ein Zeichen der Stärke, denn gegenüber dem britischen Pfund oder dem Schweizer Franken ist der Außenwert seit der Einführung des Euro nicht gesunken, sondern eher gestiegen?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dr. Andreas Pinkwart (FDP):

Herr Kollege Spiller, ich bin gerne bereit, Ihnen zu sagen, dass es die Vorgängerregierung war, die dies in den 90er-Jahren mit den europäischen Nachbarländern im Euroraum ausgehandelt hat, und dass es aufgrund der vernünftigen Grundanlagen dieses Stabilitäts- und Wachstumspakts und der Tatsache – das bringen Sie zu Recht in Ihrem Entschließungsantrag noch einmal zum Ausdruck; insofern teile ich Ihren Antrag an dieser Stelle ausdrücklich –, dass die anderen europäischen Länder die Einhaltung dieser Kriterien ernst genommen und unsere Stabilitätsstruktur angenommen haben, tatsächlich zu Stabilitätsfortschritten in der Eurozone gekommen ist. Das ist völlig richtig. Das ist aber der Erfolg des von der Vorgängerregierung mit den anderen europäischen Ländern vereinbarten Stabilitäts- und Wachstumspakts.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Sie aber, Herr Spiller, stellen jetzt dieses Fundament des Erfolges des Euro infrage.

(Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Die legen die Axt ans Fundament! – Abg. Jörg-Otto Spiller (SPD) nimmt wieder Platz)

– Herr Spiller, ich bin noch bei der Beantwortung Ihrer Frage.

   Ergänzend dazu möchte ich Ihnen gerne beantworten, was Sie für sich in Anspruch nehmen, um den Art. 115 noch erfüllen zu können: Sie wollen nämlich zum dritten Mal – Sie müssen das noch beschließen; Ihr Bundeskabinett hat das schon getan – die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts feststellen. Da müssen wir uns doch einmal fragen: Welche der vier Ziele sind denn gestört?

(Joachim Poß (SPD): Danach hat er nicht gefragt!)

– Doch, das ist genau der Punkt.

(Joachim Poß (SPD): Danach hat Herr Spiller nicht gefragt! – Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nach dem Geldwert hat er gefragt!)

– Er hat gefragt, warum ich der Auffassung sei, dass durch Ihre unvernünftige und verfehlte Haushalts- und Finanzpolitik die Stabilität des Euro gefährdet wird. Das ist doch Ihre Frage gewesen.

(Joachim Poß (SPD): Jetzt wird es aber lustig! – Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist Ihre Interpretation!)

   Die Stabilität des Euro wird doch durch Ihre Haushalts- und Finanzpolitik gefährdet: weil Sie die Regeln infrage stellen und weil Sie die Institutionen schwächen. Damit bewirken Sie, was Sie als Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts in diesem Land feststellen. Nicht nur der Arbeitsmarkt, sondern auch das Wachstum hat sich in diesem Land durch Ihre Politik in den letzten Jahren eben nicht hinreichend entwickelt. Deshalb wollen Sie zum dritten Mal in Serie eine gravierende Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts für sich in Anspruch nehmen, Herr Spiller. Das ist doch der Punkt.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Herr Kollege Pinkwart, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Andreas Pinkwart (FDP):

Gut, ich komme zum Schluss, ich will aber den Gedanken, wenn ich darf, zu Ende führen.

   Ich will nur noch sagen: Durch Ihre Politik wird das Vertrauen zerstört. Dadurch kommt es zur Konsumzurückhaltung, zum Investitionsattentismus und deshalb zu dem geringen Wachstum, das von Ihnen dann als Grund dafür angeführt wird, weshalb Sie in Serie gegen die Verfassung in diesem Land verstoßen. Darin sehen Sie die Folgen Ihrer verfehlten Politik, die am Ende auch das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht mit Blick auf die Preisstabilität gefährden wird.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Christine Scheel.

Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Herr Merz hat gefragt: Was ist denn die Perspektive?

(Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist eine gute Frage! Aber er hat keine Antwort gegeben!)

– Das ist eine gute Frage. Wenn man sich anschaut, was sich die Union als Perspektive überlegt hat – in allen Irrungen und Wirrungen; das muss man dazusagen –, dann stellt man fest: Die Perspektive ist eine Kopfpauschale mit einem Finanzierungsdefizit von nach wie vor 40 Milliarden Euro.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Thema!)

Die Perspektive ist ein merzsches Steuerkonzept mit einem Finanzierungsdefizit, selbst wenn man die Subventionen mit einem Volumen von 25 Milliarden Euro in den jeweiligen Jahren gegenrechnet. Die Perspektive ist, dass Sie weitere Ausgaben in anderen Bereichen tätigen wollen. Alles zusammen schraubt sich der Fehlbetrag – Herr Poß hat das völlig richtig gesagt – auf ein Volumen von insgesamt 125 Milliarden Euro hoch. Wenn das die Perspektive Deutschlands sein soll, dann aber wirklich gute Nacht, Stabilitäts- und Wachstumspakt!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Dieser Stabilitäts- und Wachstumspakt liegt im Übrigen – das wird von der Union und von der FDP immer wieder unterschlagen – nicht nur in der Verantwortung der Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen, sondern auch in der Verantwortung der Länderhaushalte. Das heißt, wir haben hier eine gesamtstaatliche Verantwortung: Sie betrifft den Bund,

(Dr. Andreas Pinkwart (FDP): Aber der Bund überschreitet doch seine Quote!)

sie betrifft die Länder und sie betrifft natürlich auch die sozialen Sicherungssysteme. Sie wissen sehr gut, dass diese Bundesregierung im Bereich der sozialen Sicherungssysteme Strukturveränderungen vorgenommen hat, die natürlich – das ist ganz normal, das sagt Ihnen jeder Ökonom und jeder Wissenschaftler – ihre Wirkung erst mit einer gewissen Zeitverzögerung entfalten können. Deswegen ist es richtig, dass wir sagen: Wir halten selbstverständlich daran fest. Der Stabilität- und Wachstumspakt ist ein zentraler Pfeiler makroökonomischer Stabilität.

Daran rüttelt niemand. Darum geht es in der Diskussion auch nicht.

   Ich möchte Ihnen, Herr Merz, sagen: Ich verstehe es gut, dass Sie – in gewisser Weise muss man es ja so nennen – desertiert sind.

(Lachen bei der CDU/CSU – Dietrich Austermann (CDU/CSU): Aus Angst vor Frau Scheel!)

Ich habe wirklich Verständnis dafür, dass Sie die Chaostruppe in der Führung Ihrer Fraktion verlassen.

(Joachim Poß (SPD): Aber er hat selbst kräftig zum Chaos beigetragen!)

   Was man sich heute aber fragen muss, ist: Was ist das, was Herr Merz hier vorträgt? Ist das seine persönliche Meinung, die in der Fraktion nicht den nötigen Rückhalt findet, oder ist das die Meinung der Fraktion? Da Sie Ihren Rückzug angekündigt haben, gehen wir davon aus, dass es sich nicht um die Meinung Ihrer Fraktion, sondern um Ihre persönliche Meinung handelt, die ich übrigens sehr schätze. Sie tragen hier also nicht das vor, was sich innerhalb der CDU/CSU-Fraktion abspielt. Das muss man in diesem Kontext bewerten.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

   Nun möchte ich noch etwas zu den im Herbstgutachten formulierten Prognosen der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute sagen. Wenn man die einzelnen Zahlen bereinigt, wenn man also die Feiertagseffekte aus den Wachstumsprognosen herausrechnet – diese Zahlen sind ehrlicher -, dann beträgt das Wachstum in der Bundesrepublik Deutschland in diesem Jahr 1,3 Prozent. Die Perspektive für das Jahr 2005 liegt bei 1,7 Prozent. Es gibt also positive wirtschaftliche Tendenzen, die auch Sie zur Kenntnis nehmen und akzeptieren müssen.

(Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Das ist ein Irrglaube!)

Daher bitte ich Sie: Hören Sie endlich damit auf, dieses Land schlechter zu reden, als es ist!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Es gibt positive Tendenzen, die uns von der OECD, vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag und von anderen Wirtschaftsverbänden bestätigt werden. Diese Tendenzen müssen wir verstetigen und ausbauen, um die Beschäftigungsschwelle positiv zu gestalten.

(Ilse Aigner (CDU/CSU): Was heißt denn das?)

Das bedeutet ganz konkret Folgendes: Heute ist die Beschäftigungsschwelle bei einem Wachstum von 1,9 Prozent stabil. Das heißt, dass die Arbeitslosigkeit dann nicht steigt. Durch die Strukturreformen, die die rot-grüne Bundesregierung beschlossen hat – ich meine Hartz IV und andere Maßnahmen –, liegt diese Schwelle in Zukunft bei 1 Prozent. Das heißt, dass der Status quo zukünftig durch ein Wachstum von 1 Prozent gesichert wird. Wenn es zu einem Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent kommt, wird die Beschäftigung sogar ansteigen. Das ist gut und das sollte man nicht unter den Tisch kehren.

   Ich bin froh, dass amerikanische Magazine, wie zu lesen ist, mittlerweile titeln: „Germany is back“. Nach dreijähriger Stagnation verbessert sich die Situation. Es zeigen sich auch im internationalen Wettbewerb positive Entwicklungen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Carl-Ludwig Thiele (FDP): Den dritten verfassungswidrigen Haushalt haben wir!)

Wir haben radikale Strukturveränderungen durchgeführt. Jetzt müssen wir darauf achten, dass Wertschöpfungsketten, die es mit deutschen Standorten zu verknüpfen gilt, auch international genutzt werden. Das ist nicht nur die Aufgabe der Politik, sondern auch die Aufgabe der Wirtschaft. Die Wirtschaft hat in den letzten Jahren viele Fehler gemacht. Es wurden auf der Managementebene falsche Entscheidungen getroffen.

   Das müssen wir auch in unseren Haushalten ausbaden. Denn alles, was in den Sand gesetzt wurde, findet sich zum Beispiel in Form von Verlustabschreibungen in unseren Haushalten wieder.

(Carl-Ludwig Thiele (FDP): Ich sage nur: Dosenpfand und Maut!)

Auch das muss man sehen. Deswegen haben wir hier eine Verantwortung, die nicht nur wir, sondern selbstverständlich auch die Wirtschaft bzw. das Management zu tragen haben.

   Frau Präsidentin, ich bin gleich am Ende

(Beifall des Abg. Carl-Ludwig Thiele (FDP) – Lachen bei der CDU/CSU)

mit meiner Redezeit. – Mir geht es top.

(Dr. Andreas Pinkwart (FDP): Das wünschen wir Ihnen persönlich auch!)

Da Sie von der Union jetzt freudestrahlend gucken, muss ich Ihnen sagen: Diese Aussage bezog sich nur auf meine Redezeit; alles ist bestens um mich bestellt.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Ja, das haben wir verstanden.

Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Die Wissensgesellschaft ist unsere Chance für mehr Beschäftigung. Wir tun alles, um dieses Ziel zu erreichen. Daher bitte ich Sie: Unterstützen Sie die Vorschläge, die von uns zum Thema Subventionsabbau vorgelegt worden sind.

(Dr. Andreas Pinkwart (FDP): Ach, haben Sie Vorschläge vorgelegt?)

Helfen Sie mit, Strukturveränderungen durchzuführen. Dann haben wir eine gute Chance, den Stabilitäts- und Wachstumspakt im nächsten Jahr einzuhalten.

   Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dietrich Austermann.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dietrich Austermann (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man fasst sich an den Kopf, wenn man die Lage in Deutschland betrachtet: Wir befinden uns in der schlimmsten Finanz-, Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Haushaltskrise – und der Kollegin Scheel fällt nichts anderes ein, als den Kollegen Merz anzumeiern und hier über Feiertagseffekte und Verlustabschreibungen zu reden.

   Ich möchte im Hinblick auf die tatsächliche Situation in unserem Land zwei Anmerkungen machen. Das Erste ist: Wenn ich heute die Bilanz der europäischen Finanzminister sehe und die Aufforderung des Bundeskanzlers an die europäischen Staaten, sie mögen doch die Schuldenkriterien einhalten, sie mögen mehr sparen, dann muss ich feststellen: Sie haben Deutschland in eine Situation gebracht, dass wir heute die Aufnahmekriterien für die Eurozone nicht erfüllen würden. Das heißt, Deutschland ist inzwischen bei der Neuverschuldung und beim Gesamtschuldenstand in einer Situation, die an andere Länder außerhalb des Euroraums erinnert.

   Das hängt natürlich mit anderen Dingen zusammen. Wenn Sie heute Bilanzen über die Sozialausgaben und die Arbeitsmarktlage in Deutschland betrachten, können Sie feststellen: Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Verschuldungspolitik und der Gesamthöhe der Schulden auf der einen Seite und der Höhe der Sozialausgaben und den Arbeitsmarktzahlen auf der anderen Seite. Sie können das auch an den Bundesländern sehen. Zum Flächenland Schleswig-Holstein will ich nur sagen: höchster Schuldenstand – höchste Sozialausgaben. Das heißt, wenn Sie eine verantwortungslose Finanz- und Haushaltspolitik machen, dann „gewährleisten“ Sie damit gleichzeitig, dass die Arbeitslosigkeit steigt und das Wachstum sinkt.

(Carl-Ludwig Thiele (FDP): So ist es!)

Sie berufen sich darauf, Sie würden durch die höheren Schulden, die Sie gemacht haben, den Aufschwung stabilisieren. Das ist genau das Gegenteil von der Wahrheit.

(Carl-Ludwig Thiele (FDP): So ist es!)

Denn höhere Schulden bedeuten eindeutig höhere Arbeitslosigkeit. Sie können diese Tendenz dem Herbstgutachten entnehmen. Die Gutachter sagen nicht: Wegen der außerplanmäßigen zusätzlichen 15 Milliarden Euro Schulden, die Sie machen, wird das Wachstum im nächsten Jahr nach oben gehen. Sie sagen, dass es wieder nach unten geht. Das Wachstum – das Kümmerwachstum –, das wir unter Ihrer Regierung haben, hat nicht ausgereicht, mehr Beschäftigung zu schaffen, sondern die Zahl der Beschäftigten sinkt weiterhin.

   Ihre verhängnisvolle Wirtschafts-, Finanz- und Haushaltspolitik hat dazu beigetragen, dass das Wachstum in den Keller geht, die Arbeitslosigkeit und die Sozialausgaben aber nach oben. Das ist eine verhängnisvolle Entwicklung, die völlig im Gegensatz steht zu dem gesetzlichen Rahmen, den es spätestens seit 1967 – nicht 1987 – mit dem Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft gibt.

   Wenn man heute einem Studenten erklären will, was der Unterschied zwischen Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit ist, braucht man bloß Ihre Haushaltspolitik zu nehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Auf der einen Seite haben wir das Verfassungsrecht, das gar nicht verändert werden muss. Art. 115 des Grundgesetzes sagt: Die Grenzen der Schulden sind dort, wo man neues Vermögen schafft. Das machen Sie schon lange nicht mehr. In diesem Jahr werden Sie doppelt so viel neue Schulden machen, wie Sie investieren.

   Jetzt wird darauf hingewiesen, dass der Bund seine Verantwortung wahrgenommen hat, die Länder aber nicht. Frau Scheel, hier sind Sie fundamental im Irrtum.

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe gesagt: Alle müssen ihre Verantwortung tragen!)

Sie haben nicht nur die europäische Verfassung gebrochen, Sie haben nicht nur die deutsche Verfassung gebrochen, Sie haben auch den nationalen Stabilitätspakt gebrochen. Ich will Ihnen das konkret vorrechnen. Die Länder und der Bund haben sich geeinigt: Keiner soll mehr Schulden machen als einen Betrag X, damit das Kriterium für die Neuverschuldung von 3 Prozent nicht überschritten wird. Das bedeutet, der Bund sollte höchstens 45 Prozent der höchstens 3 Prozent aufnehmen, Länder und Gemeinden zusammen die restlichen 55 Prozent. Jetzt schaue ich mir die Situation einmal an: Sie haben seit 1999 immer den größeren Teil an den Schulden gemacht. In diesem Jahr wird es so sein, dass Sie mit ständigen Sprüngen auf inzwischen 25 Milliarden Euro über dem Limit gekommen sind. Das ist insgesamt ein Anteil von etwa drei Vierteln der Schulden, die gemacht werden.

   Der Bund macht allein drei Viertel der Schulden! Sie wollten aber nur 45 Prozent der Schulden machen. Wenn man das abzieht, was der Bund unverantwortlicherweise an zusätzlichen Schulden aufnimmt, können wir die 3 Prozent einhalten. So werden wir das nicht, obwohl Sie es immer wieder prognostizieren.

   Was Sie diesem Parlament, das die Haushaltshoheit hat, mit ständigen falschen Prognosen zu Beginn des Jahres, im Laufe des Jahres und am Ende des Jahres zumuten, das ist eine einzige Frechheit. Sie belügen das Parlament, sie belügen die Bevölkerung. Das halte ich für unverantwortlich, weil es Misstrauen sät und das Investitionsklima kaputt macht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß (SPD): Das müssen gerade Sie sagen!)

– Herr Poß, der Betrag war ja wohl völlig daneben.

   Zu meiner Prognosefähigkeit: Im Februar dieses Jahres habe ich gesagt, dass Sie am Ende des Jahres ein Loch von 15 Milliarden Euro haben werden. Ich glaube, das Loch im Haushalt beträgt 14,9 Milliarden Euro. Jeder hat es gewusst. Sie haben es sicher nicht gewusst. Das glaube ich Ihnen gerne.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn man so lange in der sozialistischen Jugend verankert war, dann ist klar, dass die Zusammenhänge für wirtschaftliches Denken nicht ganz ausgeprägt sind.

(Joachim Poß (SPD): Sie halten eine vollkommen sinnfreie Rede!)

Die Prognosen von Herrn Eichel haben das Verfallsdatum einer Milchtüte.

(Joachim Poß (SPD): Sie machen das wie immer: Sie halten eine sinnfreie Rede!)

Der Unterschied ist aber, dass die Leute schon sauer sind, bevor sie das Produkt überhaupt genossen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Nein, ich glaube, Sie sollten zur Wahrheit zurückkehren. Manch einer wird enttäuscht sein. Wie unsere Kollegen auch sehe ich die Hauptverantwortung beim Bundesfinanzminister. Deshalb habe ich bei jedem Beitrag gesagt, er müsse zurücktreten und den Kutschbock verlassen, da es keinen Wert hat.

(Joachim Poß (SPD): Sagen Sie das doch noch zehnmal! – Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist doch völlig ausgelutscht!)

   – Herr Poß, ich glaube, wenn Sie die Lage in Deutschland betrachten, dann werden Sie meinem Bild zustimmen. – Ich habe den Eindruck, die Finanzgeschäfte sind wie eine galoppierende Kutsche. Vorne sind die Haushaltsgäule. Früher saß einmal jemand auf dem Kutschbock und hat versucht, das Ganze mit den Zügeln in den Griff zu bekommen. Inzwischen ist Herr Eichel vom Bock heruntergestiegen und hält sich hinten an der Ladeklappe fest. Die Haushaltsdinge schleifen und er bezeichnet das als sinnvolle und gestaltende Politik.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich sage: Man braucht seinen Rücktritt nicht zu fordern; denn er ist gar nicht mehr da. Er nimmt überhaupt keinen Einfluss mehr auf die Entscheidungen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Stellen Sie sich einmal vor, wofür sich jeder ordentliche Staat einen Finanzminister hält und einschließlich der Ministerialzulage auch bezahlt. Natürlich tut man das, damit er Einfluss darauf nimmt, dass das Geld zusammengehalten wird, dass man wieder ein stabiles Wachstum hat. Er ist aber gar nicht da und nimmt sein Amt nicht wahr. Ich werde nie wieder fordern, dass er zurücktreten soll, weil ich ihn nicht mehr zur Kenntnis nehme

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da wird er aber weinen!)

und weil er vor allen Dingen in der Politik nicht mehr zur Kenntnis genommen werden kann. Es tut mir Leid, so ist die tatsächliche Lage.

(Joachim Poß (SPD): Sagen Sie doch noch etwas zur Kopfpauschale und zu deren Finanzierung!)

   Meine Damen und Herren, wir werden in diesem Jahr eine Rekordverschuldung haben. Es ist der absolute Rekord in der Nachkriegszeit. Die Kollegen, die nachher zum Nachtragshaushalt sprechen, werden das deutlich machen.

(Joachim Poß (SPD): Sagen Sie einmal etwas zu Ihren Steuerreformvorschlägen!)

   Ich will ein Letztes sagen: Die Politik, die Sie betreiben, macht Deutschland ärmer. Wenn wir das durchschnittliche Wachstum aller Länder um uns herum der letzten drei Jahre gehabt hätten, dann läge unser Bruttoinlandsprodukt heute um über 100 Milliarden Euro höher. Davon könnten sich die Deutschen übrigens 5 Millionen Opel Astra leisten. In den letzten drei Jahren hätten wir dann das durchschnittliche Wachstum von England gehabt. Das hätte ein zusätzliches wirtschaftliches Wachstum für uns bedeutet. Das setzt sich jedes Jahr fort. Das heißt, Sie haben Deutschland um Zukunftschancen und eine wirtschaftliche Entwicklung und die Menschen um Arbeitsplätze betrogen, weil Sie eine Politik betreiben, die aufgrund des Übermaßes der von Ihnen zu verantwortenden Verschuldung gegen Wachstum gerichtet ist.

   Interessant ist, dass diese Wachstumspolitik natürlich auch dazu beitragen würde, dass es dem Staat besser ginge. Dieses zusätzliche Wachstum des Bruttoinlandsprodukts um 100 Milliarden Euro würde bedeuten, dass der Gesamtstaat 20 Milliarden Euro an Mehreinnahmen hätte. Damit könnte der Bund die doppelten Investitionsausgaben tätigen.

   Das alles findet aufgrund der Situation nicht statt, dass wir keinen Finanzminister mehr haben und dass auch der Bundeskanzler nicht dafür sorgt, dass ein anderer an seine Stelle tritt.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Diller.

Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen:

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Merz, es ist bezeichnend für Ihren Stil: Sie wissen, dass der Bundesfinanzminister seit gestern an der Sitzung des Ecofin-Rats in Luxemburg teilnimmt, und beklagen hier trotzdem lauthals seine Abwesenheit.

(Friedrich Merz (CDU/CSU): Ich habe die Bundesregierung angesprochen! Vielleicht wachen Sie einmal auf!)

Das disqualifiziert Sie, Herr Merz. Das ist Scheinheiligkeit hoch drei.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Aus den wenigen Ihrer angeblichen Argumente und Hinweise greife ich heraus, dass Sie gesagt haben, dass wir aus dem Bundeshaushalt ungefähr 80 Milliarden Euro an die Rentenversicherungskassen überweisen.

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jedes Jahr!)

Das ist einer der wenigen Punkte, die in Ihrer Rede stimmten. In der Tat: Fast ein Drittel unserer gesamten Ausgaben geht ausschließlich an die Rentenversicherung.

(Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Wer hat denn das so hochgeschraubt? Das waren doch Sie!)

Nun hat Herr Ministerpräsident Stoiber im Frühjahr vorgeschlagen, 5 Prozent aller Ausgaben im Bundeshaushalt zu streichen. Kürzlich hat er noch einmal gesagt, nicht 5 Prozent sollten gestrichen, sondern 12,9 Milliarden Euro sollten eingespart werden. Man fragt sich natürlich: Wie kommt er auf 12,9 Milliarden? Ganz einfach: Er hat das Ausgabenvolumen mit 5 Prozent multipliziert und kommt auf die 12,9 Milliarden.

   Was heißt das jetzt? Herr Stoiber fordert namens der CDU/CSU, den Zuschuss an die Rentenversicherung um 5 Prozent gleich 4 Milliarden Euro zu kürzen.

(Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Sie versuchen, den Rentnern Angst zu machen!)

Dies bedeutet, die Rentenversicherungskasse müsste entweder den Einnahmeausfall aus der Bundeskasse durch Beitragssatzsteigerungen ersetzen. Das wäre eine Beitragssatzsteigerung um 0,4 Prozentpunkte. Wollen Sie das? Dann sagen Sie es. Oder es wäre eine Kürzung auf der Ausgabenseite der Rentenkasse notwendig. Das heißt, Sie fordern, den Rentnerinnen und Rentnern 1 bis 2 Prozent weniger Rente auszuzahlen.

(Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Reden Sie doch einmal über Ihr Konzept!)

Wollen Sie das? Dann sagen Sie das im Klartext und reden Sie nicht so allgemein darüber.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Interessant ist, dass die CDU/CSU-Fraktion die Auffassung von Herrn Stoiber nicht teilt. In der ersten Lesung des Haushalts 2005 hat sich keiner Ihrer Rednerinnen und Redner die Forderung von Herrn Stoiber zu Eigen gemacht, sondern Sie sagen alle, dass eine Einsparung von 12,9 Milliarden Euro zu viel ist und nicht zu schaffen ist. Sie sagen, dass 3 Prozent gestrichen werden sollen, das wären 7,5 Milliarden Euro. Jetzt beobachten wir natürlich im Haushaltsausschuss die Kürzungsanträge der Union.

   Die dicken Brocken kommen noch. Ich sage Ihnen voraus, was der dickste Brocken sein wird. Die 4 Milliarden Euro, die wir als Zuschuss für die Bundesanstalt etatisiert haben, werden die Damen und Herren von der Union auf null setzen wollen. Das bedeutet aber eine dramatische Steigerung der Arbeitslosenzahlen. Wollen Sie das?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD  Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Wer hat denn diesen Unsinn versucht?)

   Dann werden Sie sicherlich darauf zurückkommen, was Sie schon einmal beantragt haben, nämlich 10 Prozent aller flexibilisierten Titel zu streichen. 10 Prozent der flexibilisierten Titel machen bei einem Volumen von 15 Milliarden Euro 1,5 Milliarden Euro aus, die gestrichen werden sollen. Herr Austermann, erzählen Sie doch endlich Ihrer Fraktion, was das beispielsweise im Haushalt des Verteidigungsministeriums bedeuten würde!

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Das wissen sie genau!)

Der Haushalt des Verteidigungsministeriums würde um 700 Millionen Euro gekürzt. Wollen Sie das? Erzählen Sie bitte auch, was das im Haushalt des Bundesinnenministeriums bedeuten würde! Hier würden allein im Kapitel Bundesgrenzschutz, in dem 1,6 Milliarden Euro etatisiert sind, 160 Millionen Euro gestrichen.

(Georg Schirmbeck (CDU/CSU): Entwickeln Sie doch einmal ein Konzept für die Zukunft!)

Das kann überhaupt nicht funktionieren; denn in diesen flexibilisierten Titeln sind sämtliche Personalausgaben enthalten und man kann nicht einfach 10 Prozent der Bundesgrenzschutzbeamtinnen und -beamten in Luft auflösen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pinkwart?

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Hosenflattern!)

Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen:

Ja.

Dr. Andreas Pinkwart (FDP):

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Sind Sie bereit, einzuräumen, dass seitens der Koalitionsfraktionen wie auch von der Bundesregierung trotz der im Herbstgutachten genannten weiteren Haushaltsrisiken von 10 Milliarden Euro für den Haushalt 2005 im Rahmen der Haushaltsberatungen bislang keinerlei substanziellen Kürzungsanträge vorgelegt worden sind? Wären Sie darüber hinaus so freundlich, aus der Sicht des Finanzministeriums – wie ich meine, haben wir als Parlament ein Recht darauf – darzulegen, wie Sie dafür Sorge tragen, dass im kommenden Jahr sowohl die Maastricht-Kriterien als auch die Vorgaben des Grundgesetzes eingehalten werden können?

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen:

Herr Professor Pinkwart, ich bin Ihnen für diese Frage sehr dankbar, gibt sie mir doch Gelegenheit, darauf hinzuweisen, was wir auf der Ausgabenseite alles schon geleistet haben. Erstens. Seit der Regierungsübernahme 1998 haben wir 10 Prozent aller Ausgaben beim Bundeshaushalt – das sind über 25 Milliarden Euro – gegenüber Ihrem Bundeshaushalt 1998 gestrichen.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Auf Länder und Gemeinden geschoben!)

   Was die aktuelle Situation angeht, so haben der Sprecher Walter Schöler und die Sprecherin Anja Hajduk im Haushaltsausschuss erklärt, dass man sich in Kenntnis der im November, also in wenigen Wochen, vorzulegenden Steuerschätzung vorbehält,

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Aha!)

entsprechende Konsequenzen bei der Ausgabengestaltung und der Einnahmengestaltung zu ziehen. Es wäre wünschenswert, dass Sie fordern, bei der Sanierung des Haushalts nicht nur auf der Ausgabenseite anzusetzen;

(Beifall bei der SPD)

   wir müssen auch auf der Einnahmenseite ansetzen. Sie dürfen es nicht als Steuererhöhung diffamieren, wenn wir sagen, dass die größte Subvention, die es gibt, endlich gestrichen werden muss. Da kneifen Sie und das ist Ihr Versagen.

(Beifall bei der SPD – Joachim Poß (SPD): Subventionsabbau wird blockiert! 25 Milliarden!)

   Nun sollte in der Diskussion auch einmal über die Landesgrenzen hinausgeschaut werden. Deswegen zitiere ich aus einer aktuellen Übersicht der Europäischen Kommission, die die Defizitquoten der Mitgliedstaaten der EU des Jahres 2001 mit den voraussichtlichen Defizitquoten des Jahres 2004 vergleicht. Es handelt sich also um einen Zeitraum von drei Jahren. Es ist in der Tat beklagenswert, dass wir eine Verschlechterung von 0,8 Prozentpunkten haben. Eine Verschlechterung haben aber auch andere Länder, und zwar in viel größerem Umfang. Das hängt mit Ereignissen zusammen, die viele von uns längst wieder vergessen haben. In den Jahren 2000 und 2001 gab es die BSE-Krise, ich erinnere ferner an den 11. September, SARS und den Irakkrieg.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Den hat England nicht gehabt, das ist wahr!)

   Ich nenne Ihnen, Herr Austermann, jetzt die Daten der Länder, die mit uns in der Europäischen Union sind: Dänemark hat eine Verschlechterung um 1,8 Prozentpunkte, Frankreich um 2,1 Prozentpunkte, Luxemburg um 8,3 Prozentpunkte, die Niederlande um 3,5 Prozentpunkte,

(Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Das macht doch unsere Lage nicht besser!)

Finnland um 3,2 Prozentpunkte, Schweden um 2,6 Prozentpunkte und das Vereinigte Königreich um 3,5 Prozentpunkte.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Lesen Sie doch einmal das Wachstum dieser Länder vor!)

   Wir aber haben nur eine Verschlechterung um 0,8 Prozentpunkte. Das zeigt, dass wir auch in dieser schwierigen Situation jede Kraftanstrengung unternommen haben, zu kürzen und zu sparen, wo immer es geht. Wir sind aber bei all unseren Vorschlägen auf Ihren erbitterten Widerstand gestoßen, nicht zuletzt im Bundesrat.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen tragen Sie ein gerütteltes Maß an Mitverantwortung an der augenblicklichen Situation.

   Lassen Sie mich in aller Deutlichkeit festhalten: Zur Sicherung der Stabilität der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion sind solide öffentliche Finanzen unabdingbar. Selbstverständlich brauchen wir auch in Zukunft einen funktionsfähigen und glaubwürdigen Stabilitätspakt zur Koordinierung der nationalen Finanzpolitiken. Es besteht zwischen allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union Einvernehmen, dass die Referenzwerte des EG-Vertrages, nämlich das Defizitkriterium von 3 Prozent und das Schuldenstandskriterium von 60 Prozent, nicht geändert werden.

   Die gegenwärtige Diskussion, nicht zuletzt ausgelöst durch die Klage der Kommission gegen den Rat vor dem Europäischen Gerichtshof, zeigt, dass unterschiedliche Ansichten darüber bestehen, wie diese Instrumente im Einzelfall angewandt werden sollen. Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil den von der Kommission angestrebten Automatismus beim Defizitverfahren klar abgelehnt. Der Europäische Gerichtshof hat deutlich gemacht, dass der Ecofin-Rat bei der Anwendung der gemeinsamen Regeln über ein Ermessen verfügt. Die Erfahrung zeigt, dass eine Handhabung der Regeln, die allein auf das kurzfristige Erreichen quantitativer Vorgaben ausgerichtet ist, die Glaubwürdigkeit dieser Regeln schwächen kann.

Auch eine Zentralbank fällt nicht automatisch eine Zinsentscheidung, wenn ein einzelner Indikator einen Grenzwert überschreitet.

(Beifall bei der SPD – Dr. Andreas Pinkwart (FDP): Sie verfehlen doch alle drei Kriterien!)

   Auch hat sich gezeigt, dass der Pakt nicht zu einer ausreichenden Konsolidierung in konjunkturell guten Zeiten beitragen konnte. In Zeiten schwachen Wachstums wurden zum Teil restriktiv und prozyklisch wirkende Maßnahmen empfohlen, die den angestrebten Konsolidierungserfolg letztlich gefährdet hätten.

   An diesem Punkt setzt die Europäische Kommission mit ihren Vorschlägen an, die nach Auffassung der Bundesregierung ein guter Ausgangspunkt sind, um eine ökonomisch sinnvolle und stabilitäts- und wachstumsorientierte Anwendung des Paktes sicherzustellen. Dies ist übrigens auch die Meinung anderer EU-Mitgliedstaaten, wie sie bei der ersten Beratung der Kommissionsvorschläge im Rat zum Ausdruck gekommen ist.

   Genau diese Position ist auch im Antrag der Koalitionsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen enthalten. Wir bedanken uns dafür, dass sie die Position der Bundesregierung unterstützen.

   Der Antrag der Koalitionsfraktionen setzt darauf, dass sich die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Kommissionsvorschläge aktiv und konstruktiv an der Diskussion auf europäischer Ebene beteiligt. Wir werden entschieden Ansätzen entgegentreten, die zu einer Aufweichung des Paktes führen werden. Wir wollen aus den Erfahrungen mit der Anwendung des Paktes solche Vorschläge prüfen, die ihn wetterfest für die Zukunft machen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Amen!)

   Heute ist – auch von dem FDP-Redner – wenig über den Gesetzentwurf der FDP gesprochen worden, der ebenfalls unter diesem Tagesordnungspunkt zur Beratung steht.

(Georg Schirmbeck (CDU/CSU): Sehen Sie sich die SPD-Fraktion an! Die ist schon eingeschlafen! – Gegenruf des Abg. Joachim Poß (SPD): Sehr sachlich!)

Lassen Sie mich deshalb einige Sätze dazu ausführen.

   Der Gesetzentwurf der FDP konterkariert die derzeitigen Reformüberlegungen. Auch der Stabilitätspakt, Herr Professor Pinkwart, lässt aus sehr guten Gründen in seiner derzeitigen Form und Handhabung Ausnahmeregelungen – beispielsweise zur 3-Prozent-Defizitobergrenze – zu, während Sie ein starres Korsett vorsehen.

   Aber Sie sind auch zu kurz gesprungen.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Wir sind eingeschlafen!)

Sie lassen in Ihrem Gesetzentwurf offen, wie hoch der Anteil des Bundes auf der einen Seite und der Länder auf der anderen Seite am zulässigen Defizit sein darf. Sie lassen offen, ob die im Gesetzentwurf enthaltene Festlegung für die Ländergesamtheit oder für jedes einzelne Land gilt und wie zu verfahren ist, wenn ein Land die Grenze unterschreitet und andere Länder sie überschreiten und von dem einen Land erwartet wird, dass es umso mehr spart, damit sie selber die Grenze überschreiten können.

Deswegen halten wir Ihren Gesetzentwurf nicht für zustimmungsfähig.

   Lassen Sie mich zum Abschluss Folgendes betonen: Wir brauchen eine Regelbindung für die finanzpolitische Koordinierung in der EU. Jede Regel muss aber im Licht einer ökonomischen Analyse des Einzelfalles angewandt werden. Nicht zuletzt brauchen wir in Zukunft wieder Debatten über Inhalte und weniger Streitereien über Verfahren.

(Lachen und Beifall bei der CDU/CSU)

   Ich bedanke mich, dass auch bei Ihnen die Einsicht eingekehrt ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ernst Burgbacher.

Ernst Burgbacher (FDP):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär Diller, es ist zwar schön, dass Sie sich mit unserem Gesetzentwurf beschäftigen, aber es wäre besser, sich damit inhaltlich auseinander zu setzen, statt lediglich irgendwelche Punkte herauszugreifen und festzustellen: Das geht nicht. Ich habe jegliche inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Gesetzentwurf vermisst. Darauf werde ich gleich weiter eingehen.

   Gestatten Sie mir zunächst eine Vorbemerkung. Die Föderalismuskommission, die auch von diesem Parlament eingesetzt worden ist, tritt gerade in die entscheidende Phase ihrer Arbeit ein, die aber in dieser Debatte komischerweise keine Rolle gespielt hat. Sie hat aber sehr viel damit zu tun. Die Verflechtung, die in unserem Staat besteht, hat mit dazu geführt, dass wir einen gigantischen Schuldenberg aufgetürmt haben. Deshalb ist die Forderung nach Entflechtung nicht nur in der Gesetzgebung, sondern auch in den Finanzbeziehungen gerade in diesem Zusammenhang eine der zentralen Forderungen.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Georg Schirmbeck (CDU/CSU))

   Ich will das sehr offensiv ansprechen, weil ich die Sorge habe, dass diese Reform von beiden Seiten verhindert wird. Die Ministerpräsidenten haben sich in ihrem Papier gegen Steuerautonomie und Steuerwettbewerb ausgesprochen. Die Bundesregierung – man lese in diesem Zusammenhang das Interview der Bundesjustizministerin in der „Zeit“ – versucht, die Kommission sozusagen abzuwürgen.

Ich sage Ihnen: Sowohl die Bundesregierung als auch die Ministerpräsidenten müssen dann auch die Verantwortung tragen, wenn der Karren an die Wand gefahren wird, was wir uns gerade aus Haushaltsgründen eigentlich nicht leisten können und dürfen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Die FDP-Bundestagsfraktion setzt sich dezidiert für Steuerautonomie und damit für Steuerwettbewerb ein; denn Steuerwettbewerb kann einiges initiieren, was wir zum Abbau der Verschuldung dringend brauchen. Steuerwettbewerb führt zu mehr Effizienz bei öffentlichen Leistungen, zu Kostenersparnissen und zu Innovationen. Wenn das von verschiedenen Seiten abgelehnt und in der Föderalismuskommission sogar zum Tabu erklärt wird, dann werden Sie auf unseren entschiedenen Widerstand stoßen. Wir werden eine Steuerreform zum Druckthema in der Kommission machen, weil wir etwas durchsetzen wollen. Deshalb haben wir unseren Gesetzentwurf vorgelegt.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wenn es Steuerwettbewerb zwischen den verschiedenen Ebenen gibt, müssen wir aber nach wie vor garantieren, dass die Maastricht-Kriterien gültig bleiben. Genau dazu haben wir Vorschläge gemacht. Bund, Länder und Gemeinden müssen gemeinsam in der Verfassung verpflichtet werden, die Maastricht-Stabilitätskriterien einzuhalten. Wir dürfen uns doch nicht Schritt für Schritt daran gewöhnen, diese Kriterien zu verletzen. Vielmehr müssen wir zu ihrer Einhaltung stehen. Das ist der Sinn unseres vorgelegten Gesetzentwurfs.

(Beifall bei der FDP)

   Ich bitte an dieser Stelle um zwei Dinge: Beschäftigen Sie sich ernsthaft mit unserem Gesetzentwurf, der als Grundlage einer Garantie für Währungsstabilität im Euroraum und insbesondere in unserem Land anzusehen ist! Machen Sie zusammen mit uns in der Föderalismuskommission den Schritt hin zu mehr Steuerautonomie und Steuerwettbewerb! Beides kann unserem Land sowie seinen Bürgerinnen und Bürgern nur gut tun.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Anna Lührmann.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Danke sehr. – Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! 14 Jahre bevor ich geboren worden bin, gab es das letzte Mal einen ausgeglichenen Bundeshaushalt.

(Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meine Güte!)

Das war im Jahr 1969. Danach, vor allem in den Jahren der Kohl-Ära, ist die Staatsverschuldung rapide angestiegen. Gleichzeitig sind die Ausgaben für die soziale Sicherung in die Höhe geschnellt. Diese Fehlentwicklung hat dazu geführt, dass der größte Teil der Ausgaben des Bundes festgelegt ist; denn der Bund muss heute rund 70 Prozent der Haushaltsmittel für Alterssicherung, Arbeitslosigkeit und Zinszahlungen ausgeben. Schon heute sind wir in der Situation, dass wir für die Zahlung der Zinsen neue Schulden aufnehmen müssen. Daher ist der Spielraum für Zukunftsinvestitionen so gering geworden. Das liegt vor allen Dingen daran, dass es verpasst worden ist, in konstanten Wachstumsphasen den angehäuften Schuldenberg abzubauen. Im Gegenteil: Munter wurden immer weiter neue Schulden gemacht.

   Herr Pinkwart, Sie wagen es, von einer Kultur der Stabilität in der Bundesrepublik Deutschland vor der rot-grünen Bundesregierung zu sprechen. Dabei hat Ihre unverantwortliche Politik zu der Situation geführt, in der wir uns jetzt befinden, nämlich dazu, dass es jetzt – nach jahrelanger wirtschaftlicher Stagnation und wegen der Kosten der Wiedervereinigung – für Deutschland so schwierig ist, die Kriterien des Wachstums- und Stabilitätspaktes einzuhalten. Angesichts der Realität eines Schuldenberges von 1,4 Billionen Euro hat meine Generation eine gesunde Ironie entwickelt. Ich kann nur sagen: Vielen Dank für das großzügige Erbe! Vielen Dank dafür, dass wir heute nur noch so wenig Gestaltungsspielraum haben!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Elke Wülfing (CDU/CSU): Seid ihr nicht mit an der Regierung gewesen?)

Die haushälterischen Fehler der CDU/CSU in der Vergangenheit waren schlimm. Aber schlimmer ist, dass Sie noch immer keine schlüssigen Konzepte haben. Um das zu erkennen, reicht ein Blick in den Antrag, den Sie heute zur Debatte gestellt haben. In diesem Antrag fordern Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, dass „die zukunftsgerichteten, durchgreifenden Reformen in der Wirtschafts-, Finanz-, Haushalts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik in Deutschland endlich angegangen werden“. Welche strukturellen Reformen meinen Sie damit? Die der CDU oder die der CSU, die von Herrn Merz oder die von Frau Merkel?

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pinkwart?

Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Aber sicher.

Dr. Andreas Pinkwart (FDP):

Vielen Dank, Frau Kollegin Lührmann. – Können Sie mir bestätigen, dass bei Regierungsübernahme durch SPD und Grüne die Neuverschuldung mit 2,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und die gesamtstaatliche Verschuldung unter den für Maastricht relevanten Kriterien von 3 bzw. 60 Prozent lagen, wohingegen die jetzige Regierung zum dritten Mal in Folge – in diesem Jahr mit einer Neuverschuldung von 3,8 Prozent und einer Gesamtverschuldung von deutlich über 60 Prozent – beide zentralen Ziele des Maastricht-Vertrags verfehlt?

(Lothar Mark (SPD): Wir haben von Ihnen eine Zinsbelastung von 80 Milliarden DM übernommen!)

Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Kollege Pinkwart, vielen Dank für Ihre Frage; so kann ich diesen Gedanken in meiner Rede noch etwas weiter ausführen.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Frage beantworten!)

Diese Zahlen habe ich nie bestritten. Mir ging es aber um die Frage, wie es dazu kommt, dass wir in einem solchen Schlamassel stecken.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Da müssen Sie auf die Regierungsbank gucken!)

– Wenn Sie mir zugehört hätten, hätten Sie das schon vorhin gehört.

   Lag nicht die Schuldenquote zu dem Zeitpunkt, als die Kohl-Regierung antrat, bei knapp 40 Prozent? Als wir die Regierung übernommen haben, lag sie bei 60 Prozent. Die heutigen Zahlungen für Zinsen schlagen beträchtlich zu Buche. Darauf haben wir heute aber keinen Einfluss; die Spielräume sind uns damals von Ihnen weggenommen worden. Deshalb bitte ich Sie, hier zu Ihrer Verantwortung zu stehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lothar Mark (SPD): Verantwortung ist für einige ein Fremdwort!)

– Das glaube ich auch.

   Wir stehen in der Tat in der Verantwortung, zu einer besseren Haushaltssituation zu kommen. Ihre multiplen Positionen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, stellen hier jedoch einen Widerspruch in sich dar.

(Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Multipel, genau!)

In der heutigen Debatte wurde bereits deutlich, dass Sie auf der einen Seite unsere Vorschläge zum Subventionsabbau in zweistelliger Milliardenhöhe abgelehnt haben,

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Kohle oder was?)

auf der anderen Seite aber bei der Krankenversicherung ein Loch in zweistelliger Milliardenhöhe reißen wollen. Einerseits verlangen Sie die Einhaltung der Stabilitätspaktkriterien; andererseits mauern Sie im Bundesrat munter weiter, wenn es um konkrete Vorschläge zur Haushaltskonsolidierung geht.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Das ist falsch!)

Was Sie hier betreiben, ist Volksverdummung und keine verantwortungsvolle Politik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Nicht, dass Sie mich jetzt falsch verstehen:

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): So schwer ist es nicht!)

Ich halte ausdrücklich am europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt fest. Fiskalpolitische Kontrollmechanismen, die die Mitgliedstaaten von einer übermäßigen Verschuldung abhalten sollen, sind für eine Währungsunion unverzichtbar. Ziel einer nachhaltigen Finanzpolitik muss es weiterhin sein, auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten die Grenzen von 3 Prozent des BIP bei der Neuverschuldung und von 60 Prozent bei der Gesamtverschuldung nicht zu überschreiten.

   Allerdings zeigen gerade die Erfahrungen in Deutschland, dass der Pakt ergänzt werden muss, um dieses Ziel zu erreichen. Wie ich schon eben ausgeführt habe, hätten wir im Jahre 2003 kein Defizit von 4 Prozent gehabt, wenn früher begonnen worden wäre, strukturelle Reformen anzupacken und die Staatsverschuldung abzubauen. Deswegen bin ich für die Vorschläge der EU–Kommission für den Stabilitätspakt aufgeschlossen. Diese Vorschläge geben der Kommission und dem Ecofin die Möglichkeit, von den Euroländern den Abbau des Defizits und strukturelle Reformen zu verlangen. Wird dies in konjunkturell besseren Zeiten angepackt, können die Länder in einem Konjunkturtal ohne ein allzu hohes Defizit auskommen. Mit dieser Ergänzung kann das Vertrauen in den Pakt und seine Glaubwürdigkeit gestärkt werden.

Die EU-Kommission schlägt außerdem vor, die Schuldenquote nicht nur in ihrer quantitativen, sondern auch in ihrer qualitativen Dimension zu erfassen. Hierzu müsste die öffentliche Verschuldung vor allen Dingen in Beziehung zur Entwicklung des Wissens- und Kapitalstocks der Volkswirtschaften gesehen werden. So wird man auch den Zukunftsaufgaben der Gesellschaft und künftigen Generationen eher gerecht.

   Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss kommen.

(Dietrich Austermann (CDU/CSU): Gern!)

Ich trete dafür ein, den Stabilitätspakt zukunftsorientiert zu gestalten. Nur so schaffen wir es, glaubwürdig zu bleiben und Vertrauen zu erhalten. Die EU-Staaten müssen verpflichtet werden, die erforderlichen Strukturreformen anzupacken und entschlossen umzusetzen sowie – das ist die wichtige Neuerung – in Wachstumszeiten den Schuldenberg abzubauen.

   Meine Damen und Herren von der Opposition, helfen Sie mit! Helfen Sie Deutschland aus der Schuldenfalle! Machen Sie Ihre Hausaufgaben in den Länderhaushalten! Stimmen Sie dem Abbau von Subventionen endlich zu! Das sind Sie meiner Generation und auch den künftigen Generationen wirklich schuldig.

   Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Georg Fahrenschon.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Georg Fahrenschon (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Lührmann, wissen Sie, was das Problem ist? Draußen im Lande glaubt Ihnen niemand mehr. Niemand glaubt mehr den Worten, die Sie hier sprechen. Wenn man auf die Fakten sieht, erkennt man, dass Sie hier jenseits von Gut und Böse argumentieren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Wir müssen uns das einmal ansehen. Im Jahr 2002 wurde der Stabilitätspakt gebrochen. Im Jahr 2003 wurde der Stabilitätspakt gebrochen. Im Jahr 2004 wird der Stabilitätspakt gebrochen. Gestern war von der Expertin für Friendly Fire aus Ihrer Fraktion zu lesen: Auch im Jahr 2005 werden wir den Stabilitätspakt wieder brechen. – Nach alter Manier versucht der Bundesfinanzminister jetzt, die Sache wieder zu retten, und sagt: Wir tun unser Bestes. – Wir werden ihn in nicht langer Zeit vor uns stehen haben und von ihm hören: Es tut uns Leid; es geht leider nicht anders.

   Dann wird das Argument gebracht, die Weltwirtschaft sei schuld.

(Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Einfluss hat sie! Großen Einfluss!)

Herr Poß, Herr Staatssekretär, Sie zitieren viele Prognosen, aber die wesentlichen Zahlen lassen Sie beiseite. Vor zwei Wochen war Ihr Finanzminister Teilnehmer der G-8-Konferenz im Rahmen der Weltbanktagung und hat mit seiner Stimme die Prognose der Weltbank mitgetragen. Darin steht, dass die Weltwirtschaft so gut wie seit 25 Jahren nicht mehr läuft: 5 Prozent Wachstum der Weltwirtschaft. Nur Deutschland ist unter dem Durchschnitt. Angesichts dessen frage ich Sie: Was ist das Problem in Deutschland? Das Problem ist doch nicht die Weltwirtschaft. Das Problem ist die von Ihnen hausgemachte Politik.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Das kann eigentlich nicht sein, nur Deutschland! – Joachim Poß (SPD): Die Aussage sollten Sie noch einmal überprüfen! Das kommt allein logisch nicht hin!)

   Um beim Thema zu bleiben: Weil sich die Franzosen auf ihre Innenpolitik konzentrieren, weil sie sich um ihre Binnenkonjunktur kümmern, schaffen sie es, den Stabilitätspakt im nächsten Jahr wieder einzuhalten,

(Joachim Poß (SPD): Das wissen Sie schon jetzt?)

im Gegensatz zu Deutschland, das nach den Erwartungen das einzige Land in Europa sein wird, das auch im nächsten Jahr zum wiederholten Male gegen die Kriterien des Stabilitätspakts verstoßen wird.

   Deutlicher als der deutsche Finanzminister, der sich anschickt, den Stabilitätspakt zum vierten Mal zu brechen, kann ein Finanzminister gar nicht zeigen, was er vom Stabilitätspakt hält. Seit 2002 ist es jedes Jahr dasselbe Trauerspiel. Erstens sagt Hans Eichel lauthals, er halte die Maastrichter Vorgaben im kommenden Jahr ein. Zweitens legt er auf der Basis von Wunschprognosen seinen Haushalt vor. Drittens werden in den Medien in Nebensätzen erste Zweifel geäußert. Viertens erklärt in der Vorwärtsbewegung die Vorsitzende des Finanzausschusses für die grüne Fraktion: Es klappt doch nicht. – Dann muss Hans Eichel die Hosen herunterlassen, der auf Kante genähte Haushalt fliegt ihm um die Ohren und er steht da wie der Kaiser in „Des Kaisers neue Kleider“.

(Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Der hatte keine an!)

Das ist die Wahrheit. Das ist das Trauerspiel, das Sie hier jedes Jahr aufführen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Was macht der Finanzminister, nachdem sich das vierte Mal ein Verstoß abzeichnet? Er macht keine Anstalten, die strukturellen Defizite im Haushalt zu beseitigen, sondern er versucht, gemeinsam mit anderen Haushaltssündern in Europa, die Stabilitätsregeln flexibler auszulegen.

Die laufende Debatte über die Modifikation des Stabilitätspakts ist definitiv die falsche Antwort. Sie können einem Regelwerk nicht zuerst den Todesstoß versetzen und dann versuchen, es durch Veränderung wiederzubeleben. Sie müssen sich den Regeln unterwerfen. Sie müssen als ersten Schritt die Neuverschuldung wieder unter die Grenze von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zurückführen. Wenn das geschehen ist, dann kann man sich darüber unterhalten, inwieweit man an der einen oder anderen Stelle die Erfahrungen aus den ersten Jahren des Stabilitätspakts einfließen lässt. So und nicht andersherum wird ein Schuh daraus. Sie verletzen Vertrauen in den Standort. Das Ergebnis dessen, was Sie zu verantworten haben, können wir jetzt sehen.

   Liebe Frau Lührmann, ich will auf eine andere Zahl hinweisen – diese Zahl muss eigentlich gerade junge Abgeordnete erschrecken –: Seit dem 12. Oktober dieses Jahres zeigt die Schuldenuhr in Deutschland einen neuen Höchststand an. Pro Sekunde werden 2 660 Euro Schulden gemacht. Damit einher geht ein Rekordschuldenstand von 1,41 Billionen Euro. Dafür sind Sie verantwortlich. Dafür muss man insbesondere die grüne Fraktion in die Verantwortung nehmen. Sie haben sich von Ihren Zielen „Nachhaltigkeit“ und „sanfter Umgang mit den Ressourcen“ schon längst verabschiedet. Sie verprassen das Geld der jungen Generation und Sie haben sich aus der Debatte zurückgezogen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß (SPD): Das müssen Sie gerade sagen! An Ihrer Stelle wäre ich etwas ruhiger!)

   Beim Umgang mit den finanziellen und den sozialen Ressourcen dieses Landes lassen Sie alle fünf gerade sein. Das zentrale Prinzip der Haushaltspolitik, nämlich nicht mehr auszugeben, als man einnimmt, haben Sie schon vor Jahren zu Grabe getragen, meine Damen und Herren von Rot und Grün. Stattdessen legen Sie jetzt einen Antrag vor, der eindeutig dem Motto „Haltet den Dieb!“ folgt. Unter Punkt II, zweiter Spiegelstrich, fordern Sie, „gestützt auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes den im Stabilitäts- und Wachstumspakt verankerten politischen Ermessensspielraum zu sichern“. Genau das ist ein Irrweg. Wenn politischer Ermessensspielraum irgendwohin nicht gehört, dann in den Bereich der Garantie von Stabilität und Wachstum in Europa. Gerade eine solche Frage dürfen wir nicht zum Spielball politischer Philosophien machen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Die Wahrheit ist doch, dass die unheilige Allianz der Defizitsünder, die den Pakt am 25. November 2003 durch Aussetzung des Verfahrens ausgehebelt hat, vom Europäischen Gerichtshof gestoppt wurde. Der Versuch der Kommission, jetzt in die Debatte einzutreten, ist der letzte Versuch, den Stabilitätspakt zu retten, um mit den großen Euroländern überhaupt wieder ins Gespräch zu kommen. Vor Gericht sind sie schon gescheitert. Hören Sie endlich mit der Unterminierung des Stabilitätspakts auf und machen Sie sich doch stattdessen eher seine Integrationskraft zu Eigen! Überlegen Sie doch einmal, welche Chancen der Stabilitäts- und Wachstumspakt für die Aufstellung des Haushalts eigentlich bietet, um wieder für solide Finanzen zu sorgen.

   Die EZB und die Bundesbank sind nicht ohne Grund in der Diskussion um die Modifizierung des Stabilitätspakts zurückhaltend bis ablehnend. Wer gegen bestehende Verträge verstößt, der gefährdet die Grundlagen der Währungsunion und schadet dem weltweiten Ansehen der gemeinsamen Währung. Das ist doch die Wahrheit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Joachim Poß (SPD): Bei der Bayerischen Landesbank war der!)

   Herr Poß, statt die Spielregeln im Nachhinein zu ändern und damit Vertrauen zu verspielen, wären Sie gut beraten, den Weg einer glaubhaften Konsolidierungsstrategie zu verfolgen. Aber dazu fehlt Ihnen schon heute die Durchsetzungskraft und das ist zu bedauern.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Reinhard Schultz.

Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Friedrich Merz ist hier, seinem künftigen Hauptberuf als Rechtsanwalt getreu, eingestiegen, indem er zunächst einmal formal abgeschichtet hat, damit man sich mit der Sache erst gar nicht mehr befassen muss. So laufen ja die meisten Gerichtsverfahren. Wir möchten uns aber gern mit dem Kern des Problems befassen und uns nicht ausschließlich an formalen Kriterien festhalten.

   Ich persönlich bin – wie übrigens fast alle anderen Finanz- und Wirtschaftspolitiker in den Mitgliedsländern der Eurozone und der Präsident der Europäischen Kommission, Prodi, an der Spitze – der Auffassung, dass wir einer vernünftige Aufarbeitung des Vertrages, des Vertragstextes, seiner Wirkungsweise und seiner Auslegung dringend bedürfen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   In allen Politikbereichen, in denen neue Regelwerke in Kraft gesetzt werden, wird nach einer bestimmten Zeit evaluiert, wie sie wirken und ob das Vorgehen richtig war. Damit stelle ich die zentralen Kriterien von 3 Prozent und von 60 Prozent nicht infrage. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt besteht aus diesen beiden wichtigen Bestandteilen. Als er damals aufgestellt wurde, richtete sich der Fokus auch der deutschen Öffentlichkeit und der Politik deswegen im Wesentlichen auf den Aspekt Stabilität, weil man zum einen glaubte, stetiges Wachstum komme von selbst – drei Jahre Stagnation konnte sich kein Mensch ernsthaft vorstellen, weder bei uns noch in anderen europäischen Ländern –, und zum anderen eine Vertrauensgrundlage für die neue europäische Währung Euro schaffen wollte. Der Euro sollte mindestens so stark wie die Deutsche Mark sein. Man wollte Inflationsängsten begegnen, die die ältere Generation aufgrund der Erfahrungen aus den Zeiten vor der Währungsreform 1949 und aus der Weimarer Republik hatte, und eine Vertrauensbasis für diese Währung schaffen.

(Dr. Andreas Pinkwart (FDP): Die zerstören Sie!)

– Diese ist überhaupt nicht zerstört worden. Man kann doch mit Stolz bzw. voller Staunen sagen: Obwohl bestimmte instrumentelle Kriterien wie erlaubte Höchstverschuldung und Neuverschuldung wiederholt in vielen Ländern der Europäischen Union gerissen worden sind, ist der Euro trotzdem zu einer der stabilsten Währungen der Welt geworden.

(Beifall bei der SPD)

Er ist für viele kleinere Währungen zur zweiten Ankerwährung neben dem Dollar geworden und hat den Dollar in diesem Punkt sogar überholt. Ich erinnere mich an eine Diskussion mit Wim Duisenberg, die der Finanzausschuss seinerzeit bei der EZB in Frankfurt geführt hat. Da habe ich ganz vorsichtig und nett – so muss man sich ja solchen ehrwürdigen Herrschaften gegenüber verhalten – die Frage gestellt: Herr Duisenberg, können Sie sich vorstellen, dass es einmal eine Parität zwischen Dollar und Euro geben könnte? Da hat er sich kaputtgelacht; das konnte er sich nicht vorstellen.

   Inzwischen ist eine völlig andere Situation eingetreten. Der Euro ist so stabil, dass diese Stabilität manchem Wirtschaftspolitiker sogar schon Sorgen macht. Von den Gefahren Destabilisierung oder Inflation kann doch überhaupt nicht die Rede sein.

(Beifall bei der SPD)

In der Europäischen Union der 15 gab es in den letzten Jahren über den Daumen gepeilt eine Inflationsrate von unter 3 Prozent. Obwohl wir in Deutschland riesige Probleme hatten, lag sie bei uns im Schnitt unter 2 Prozent. Deutschland schneidet trotz seiner großen ökonomischen Probleme, trotz des Problems der Verschuldung, das zum Teil mit der deutschen Einheit zusammenhängt, und trotz großer Strukturprobleme auch in dem Punkt Preisstabilität besser als der Durchschnitt der Länder in der Europäischen Union ab. Diese Tatsache darf man hier doch nicht vernebeln. Die stabilste Währung, die wir jemals hatten, ist der Euro, obwohl es ohne Frage Probleme mit dem Kriterium der Verschuldung gibt. Vielleicht besteht da auch nur ein mittelbarer Zusammenhang. Vielleicht sind viele Bezüge politisch nur künstlich hergestellt worden. Das muss man doch einmal überprüfen dürfen. In jedem Fall ist das Ergebnis hervorragend, egal warum. Die Ziele, die erreicht werden sollten, wurden auf jeden Fall nicht gefährdet und sind auch in Zukunft nicht gefährdet.

   Die Frage der Schulden macht natürlich auch uns sehr besorgt. Wir reißen uns wirklich ein Bein aus, um Positionen im Bundeshaushalt, also in dem Bereich, für den wir die Verantwortung tragen, entsprechend zu kürzen. Herr Diller hat darauf hingewiesen. Wenn Sie aber durch Blockade des Steuersubventionsabbaugesetzes und des Haushaltsbegleitgesetzes verhindern, dass weitere Subventionen in Höhe von 25 Milliarden abgebaut werden, womit ein erheblicher Beitrag zur Konsolidierung geleistet werden könnte, dann müssen Sie und die von Ihnen regierten Bundesländer, die das verhindern, auch die Verantwortung für die Konsequenzen tragen.

(Beifall bei der SPD)

   Die Ursachen für die Schuldenentwicklung liegen natürlich in der wirtschaftlichen Entwicklung. Ein Punkt ist aber auch, dass das zweite wichtige Ziel des Stabilitätspaktes, nämlich Wachstum – es ging ja um Stabilität und Wachstum –, nicht hinreichend quantifiziert und instrumentell unterlegt worden ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich erinnere mich daran – ich war ja Berichterstatter für das Euro-Einführungsgesetz und auch im Zusammenhang mit dem Vertrag von Maastricht –, dass es heftige ablehnende Reaktionen aggressivster Art gab, wenn jemand den Begriff „wirtschaftspolitische Koordinierung im Euroraum“ überhaupt nur in den Mund genommen hat. Daran darf ich Sie freundlich erinnern. Heute weiß jeder, dass es nicht nur zwingend erforderlich ist, für Geldwertstabilität zu sorgen und Schulden zu managen, sondern dass auch an anderen Rädern gedreht werden muss, damit Wachstum zustande kommt und sich ein gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht einstellt. Wenn man den Blick ausschließlich auf Geldwertstabilität oder auf Schulden richtet, ist das so, als wenn wir uns als Finanzpolitiker auf zwei der vier Grundrechenarten beschränken. Das tun wir doch auch nicht.

   Wir müssen alles zusammen sehen: die Zeiträume, die Zukunftsfähigkeit, die Erholung der Wirtschaft, die Investitionen der öffentlichen Hand und der Privaten sowie die Nachfragefähigkeit des Staates und der Menschen, die von staatlichen Leistungen abhängig sind. All das gehört zu einer ausgewogenen Balance. Wir können nicht ausschließlich zugunsten der Konsolidierung das Fallbeil auf die anderen Elemente heruntersausen lassen. Wenn wir das tun, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn wir das zarte Wachstum gefährden und möglicherweise sogar ins Gegenteil verkehren.

(Beifall bei der SPD)

   Deswegen bedarf es neben der kritischen Begleitung der Ausgabenentwicklung der öffentlichen Haushalte, auch des Bundes, also der Ausgabensteuerung, künftig stärker einer Einnahmensteuerung. Man kann einen funktionierenden Staat, der Aufgaben in der Aufrechterhaltung der inneren und äußeren Sicherheit sowie in der Sicherstellung vernünftiger sozialer Lebensbedingungen hat, der Bildung sichern und Forschung ermöglichen soll, nicht ständig einer Rutschpartie in die Minderausgaben aussetzen. Wer das verursacht, wird auch das Wachstum von übermorgen und überübermorgen infrage stellen. Wer in der Zukunft Wachstum will, muss dafür sorgen, dass neue Wertschöpfungsketten und überhaupt Neues entsteht. Dafür muss zum richtigen Zeitpunkt und produktiv Geld in die Hand genommen werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Wenn wir keine Defizite wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass die Einnahmen stimmen. Damit meine ich nicht Steuererhöhungen – damit das nicht falsch verstanden wird –, sondern das bedeutet, dass wir die Steuerquellen, die wir haben, die Möglichkeiten, Steuern zu erheben, lückenlos und hart nutzen müssen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das gilt für den Umsatzsteuerbetrug und die Schwarzarbeit, gegen die wir kämpfen müssen, und für jede Art von Schlupfloch, das wir schließen können. Nur so können wir bei insgesamt vernünftigen Steuersätzen dahin kommen, dass unser Gemeinwesen finanzierbar ist und die Defizite beherrschbar sind.

   Wir haben es riskiert, die größte Steuerreform seit der Nachkriegszeit auf den Weg zu bringen, mit 56 Milliarden Euro Entlastung für alle, obwohl wir in den Haushalten außerordentlich große Schwierigkeiten haben. Wir haben das getan, damit auf der Nachfrageseite nicht noch mehr wegbricht. Stellen Sie sich einmal vor, wir hätten das nicht getan, wo wir dann mit unserem Wachstum heute liegen würden! Das wäre schlicht eine Katastrophe.

   Aber wir haben mit der Steuerreform natürlich in Kauf genommen, dass uns die entsprechenden Beträge bei der Finanzierung unserer Haushalte fehlen. Man kann nicht beides gleichzeitig haben, auf jeden Fall nicht aus dem Stand heraus. Die Wirtschaft erholt sich nur allmählich. Wenn wir den Privaten Geld geben, geben sie dieses aus, wodurch Wachstum entsteht, aber das geschieht natürlich nicht von einem Sonntag auf den nächsten, sondern das ist ein mühseliger, langfristiger Erholungsprozess, der erst zum Schluss in den öffentlichen Haushalten ankommt.

   Das heißt, man muss sehen, was man will. Wenn Sie hier die nächste Steuerreform ankündigen, dann möchte ich gerne einmal wissen, wie Sie das mit Ihren Konsolidierungszielen bzw. mit dem Ziel der Aufrechterhaltung eines funktionierenden, funktionsfähigen Staates, der in dieser Gesellschaft die wichtigsten Aufgaben wahrnimmt, was das Soziale, die Sicherheit, Innovation und Bildung angeht, in Einklang bringen wollen.

   Eine differenziertere Betrachtung des Mechanismus wie der Maastricht-Kriterien muss Einzug halten. Wir können uns nicht, wie die FDP es tut, einige Jahre nach Maastricht hier hinstellen und die Aufnahme der verengten Sicht – wobei richtig bleibt, dass der Schuldenstand und die Neuverschuldung kritisiert werden; dennoch greift man mit dieser verengten Sicht zu kurz und sie ist insgesamt gesehen auch falsch – ins Grundgesetz fordern, wodurch sie Verfassungsrang erhielte.

(Beifall bei der SPD – Dr. Andreas Pinkwart (FDP): Unglaublich!)

Das wäre ein ökonomischer Purzelbaum, der geradezu albern wäre und auch der Diskussion in der von Ihnen zitierten Fachöffentlichkeit, die ja manchmal Gott sei Dank gegenüber der eigentlichen Öffentlichkeit weitgehend der Geheimhaltung unterliegt, widersprechen würde.

   Nichtsdestotrotz mehren sich inzwischen die Stimmen, die, ähnlich wie seinerzeit bei der Diskussion über das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz in Deutschland, mehr Ziele in den Fokus gerückt haben wollen als nur das Stabilitätsziel im engeren Sinne.

Ich glaube, dass eine rein mechanistische Sicht wirtschaftliche Dynamik erstickt. Wenn wir sozusagen mit der Peitsche durchsetzen würden, dass sich auf lange Sicht alle Staaten der Eurozone strikt und unabhängig von der wirtschaftlichen Situation an die Schuldenkriterien halten, dann würden wir eine zunehmende Angleichung sämtlicher ökonomischer Prozesse auf immer niedrigerem Niveau erreichen. Es wäre eine Rutschpartie. Wir könnten regionale Sonderentwicklungen und besondere Entwicklungen in den einzelnen Branchen nicht mehr berücksichtigen. Außerdem könnten wir auf die Notlage von staatlichen Haushalten nicht mehr reagieren. Es gäbe, wie gesagt, eine Angleichung auf niedrigerem Niveau, weil das Wachstum beschnitten würde. Das wäre ein Programm des Niedergangs.

   Wirtschaft ist ein atmendes System. Das Korsett darf deshalb nicht zu eng angelegt werden. Die Atmung würde immer flacher werden. Das Leben wird dadurch nicht leichter. Das wissen alle diejenigen – ich selber hatte noch nicht das Vergnügen –, die ein Korsett tragen.

   Ich glaube, wir müssen insgesamt etwas kreativer bei der Erreichung politischer und wirtschaftlicher Ziele vorgehen. Wir müssen die Wirtschaft atmen lassen und dürfen wirtschaftspolitische Prozesse nicht durch eine verengte mechanistische Vorgehensweise unterdrücken.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Georg Nüßlein.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Schultz, um Ihre Worte zu gebrauchen: Der Fokus ist immer auf Stabilität gerichtet. Denn Stabilität ist ex definitione kein kurzfristiges Moment. Vertrauen ist die Wertbasis jeder Währung. Die D-Mark besaß dieses in Zeiten des wirtschaftlichen Aufstiegs Deutschlands gewachsene Vertrauen. Hätten wir die D-Mark noch immer, ginge die expansive Ausgabenpolitik und die verfehlte Wirtschaftspolitik dieser Regierung sicher zulasten der Stabilität der D-Mark.

   Ich bin davon überzeugt, dass der Euro für Stabilität sorgt. Heute, in Zeiten des Euro, ist es nun einmal so, dass die Stabilitätsländer für die Haushaltspolitik der Bundesregierung büßen. Stabilitätsländer wie Österreich oder Spanien werden sich das – davon bin ich überzeugt – nicht dauerhaft gefallen lassen; sie werden sich dagegen wehren.

   Ich muss deutlich sagen: Die Hoffnung, dass sie das tun, klingt ein wenig wie Hohn. Denn gerade Deutschland hat sich für den Stabilitätspakt stark gemacht. Die Deutschen haben mit der D-Mark etwas aufgegeben, was für Wirtschaftswunder, Stabilität und eben Vertrauen stand. Die Politik damals – inklusive der Ministerpräsidenten Eichel und Schröder – hat den Menschen dafür einen Stabilitätspakt versprochen.

   Entsprechend hat sich die CDU/CSU vehement dafür eingesetzt, dass Preisstabilität in den Zielkatalog der europäischen Verfassung aufgenommen wird. Das ist ganz wichtig. Das alles kann aber nicht das Zuckerl, das Trostpflaster oder die kurzfristig wirkende Beruhigungspille für die Menschen sein. Wenn wir mit dem Stabilitätspakt so umgehen würden, wie Sie das gerne hätten, dann würden wir nicht nur den Euro, sondern auch die deutsche Politik weiter in die Vertrauenskrise manövrieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Ich sage Ihnen ganz offen: Der Euro ist eine junge Währung. Das Vertrauen in diese Währung muss wachsen. Der Euro kämpft an dieser Stelle noch immer. Laut EU-Kommission sind 67 Prozent der Deutschen unglücklich über die Euroeinführung.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schultz?

Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU):

Ja, gerne.

Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD):

Lieber Herr Kollege Nüßlein, wir beide lieben Spanien, wenn auch aus verschiedenen Gründen. Stimmen Sie mir zu, dass es im Wesentlichen der Stabilisierung des spanischen Staatshaushaltes durch europäische Transfers zu verdanken ist, dass Spanien Mitglied der Eurozone sein kann? Wenn man diese Transfers komplett streichen würde, dann wäre bei gleichen Investitionen die Schuldensituation in Spanien deutlich schlechter als bei uns.

   Das Problem mit dieser Art von Finanzausgleich ist: Die reicheren Länder geben den ärmeren etwas ab. Wir beschneiden dadurch unsere Handlungsfähigkeit, auch in Bezug auf die Konsolidierung unseres Haushaltes, zugunsten der Staatshaushalte anderer Länder. Dafür ist Spanien das beste Beispiel.

(Beifall bei der SPD)

Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU):

Herr Kollege Schultz, Sie werden doch nicht bestreiten wollen, dass die Finanzpolitik Spaniens durchaus in die richtige Richtung geht.

(Stephan Hilsberg (SPD): Das war nicht die Frage!)

- Schauen Sie sich doch einmal die Entwicklung an! – Sie werden doch nicht den europäischen Ausgleich und die gesamte Politik der Europäischen Union infrage stellen wollen.

(Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Das nehme ich zur Kenntnis!)

Es ist doch richtig und wichtig, dass wir die Infrastruktur in den ärmeren Ländern der EU aufbauen und dort tätig werden. Sie sollten sich nicht auf Spanien fokussieren. Schauen Sie sich doch einmal die Entwicklung in Österreich oder in den anderen Ländern an! Tun Sie das!

(Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Ich muss ja andächtig stehen bleiben, da Sie mir antworten!)

Beides, eine Unterstützung der ärmeren Länder und die Einhaltung des Stabilitätspaktes, muss möglich sein; das werde ich im Laufe meiner Rede begründen.

   Meine Damen und Herren, der Euro ist, wie gesagt, eine junge Währung. 67 Prozent der Deutschen sind laut EU-Kommission unglücklich über die Euroeinführung. Das liegt daran, dass die gefühlte Inflation höher ist als die gemessene. Die gemessene beträgt 1,1 Prozent. Laut „Capital“-Umfrage sind 32 Prozent der Menschen der Meinung, dass die Preise in Deutschland um 5 Prozent steigen. 25 Prozent meinen, die Preise würden um 10 Prozent steigen.

(Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Aber wer orientiert sich daran?)

Das kommt auch daher,

(Joachim Poß (SPD): Das kommt auch daher, dass Sie so viel Quatsch reden!)

dass bei uns beim täglichen Bedarf ein Preisanstieg deutlich spürbar ist. Das kommt natürlich von diversen Steuererhöhungen, insbesondere von der Ökosteuer und den indirekten Steuern, für die Sie verantwortlich sind.

   Ich kann mir eine Bemerkung zur Ökosteuer nicht verkneifen. Ich bin nur ein einfacher Betriebswirt, aber mir ist klar: Ölpreise, die aufgrund der Marktentwicklung steigen, sind konjunkturschädlich. Aber ich frage mich, warum dann Energiepreise, die aufgrund der Ökosteuer steigen, nicht konjunkturschädlich sein sollen. Vielleicht denken Sie einmal darüber nach!

   Nun haben heute diverse Kollegen unbekümmert die Anmerkung gemacht: Was wollt ihr eigentlich, der Euro ist stabil; die Zinsen und auch die Inflation sind niedrig. Oberflächlich betrachtet könnte man dem sogar zustimmen. Selbst die Ecofin-Entscheidung, das Defizitverfahren ruhen zu lassen, blieb ohne nennenswerte Reaktion der Finanzmärkte. Nun stellt sich die Frage, woher das kommt. Ich bin der Überzeugung: Das kommt daher, dass andere Länder für Stabilität stehen und dass die Auswirkungen von anderen Aspekten überlagert werden, zum Beispiel dadurch, dass wir weltweit eine hohe Liquiditätsausstattung des Marktes haben.

   Aber auf dieses Glück können wir uns nicht dauerhaft verlassen. Als ehemaliger Banker darf ich Ihnen sagen, dass Finanzmärkte gelegentlich mit Verzögerung und häufig unberechenbar reagieren. Ich will an dieser Stelle nicht den Teufel an die Wand malen, aber denken wir doch einmal darüber nach, was ein Zinsanstieg konjunkturell, aber auch für die Schuldenlast dieses Staates bedeuten würde.

   Doch zurück zum Stabilitätspakt. Griechenland hat ihn seit 2000 verletzt und Zahlen verschleiert; auch darüber haben wir heute schon gesprochen. Das ist nicht vertrauensfördernd. Die EU-Kommission muss die Verlässlichkeit der Zahlen sichern. Die Bundesregierung hat keine Chance, mit dem Finger auf die Griechen zu zeigen: Vor der Bundestagswahl hat Herr Eichel die Haushaltszahlen vorsätzlich vergessen und jeden Verstoß gegen das Defizitkriterium bestritten. Der deutsche Haushalt strotzt vor Luftbuchungen. Wir erwarten im Jahre 2004 eine Rekordverschuldung, wobei Finanzminister Eichel schon heute den ersten Korrekturbedarf ankündigt.

   Wir müssen die Politik und nicht den Stabilitätspakt ändern. Der Stabilitätspakt ist meiner festen Überzeugung nach ausreichend flexibel. 3 Prozent, bezogen auf das Verhältnis des gesamtstaatlichen Defizits zum Bruttoinlandsprodukt, sind genug Spielraum, um in schwierigen Konjunkturphasen automatisch Stabilisatoren wirken zu lassen, das heißt, geringere Steuereinnahmen nicht durch zusätzliche Einsparungen ausgleichen zu müssen.

Man hat bei Ihnen ein bisschen den Eindruck, als sei das 3-Prozent-Defizitkriterium ein Ziel. Nein, es geht hier um eine Grenze. Ich bin der Überzeugung, dass es die Option, mit staatlichen Schulden über die 3-Prozent-Grenze hinaus die Konjunktur anzukurbeln, nicht mehr gibt. Wir können uns das im Interesse der jungen Generation im Sinne einer nachhaltigen Finanzpolitik nicht leisten. Eine relativ starke ältere Generation kann nicht die Probleme und Schuldentilgungslast auf eine kleiner werdende junge Generation verlagern. Wir brauchen mittelfristig Überschüsse statt Defizite, um der demographischen Entwicklung in Deutschland Rechnung zu tragen. Ich weiß, das geht nicht von heute auf morgen. Aber nach sechs Jahren an der Regierung kann man nicht so tun, als habe man gerade erst angefangen, zu regieren.

   Die widersprüchlichen Reformschritte – erst alles zurücknehmen und dann durch die Hintertür wieder einführen – kosten Zeit und Vertrauen. Deshalb: Ändern Sie Ihre Politik, nicht den Stabilitätspakt! Schaffen Sie Vertrauen!

   Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Ich schließe damit die Aussprache.

   Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/3719, 15/3721 und 15/3957 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 b bis 28 h sowie die Zusatzpunkte 4 a bis 4 d auf:

28 b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des unfallversicherungsrechtlichen Schutzes bürgerschaftlich Engagierter und weiterer Personen

– Drucksache 15/3920 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)InnenausschussSportausschussVerteidigungsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften

– Drucksache 15/3932 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)Ausschuss für. Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Haushaltsausschuss

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 18. November 2002 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Chile andererseits

– Drucksache 15/3881 –

Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gero Storjohann, Dirk Fischer (Hamburg), Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Führerscheinbürokratie verhindern – Führerscheintourismus beenden

– Drucksache 15/3716 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für. die Angelegenheiten der Europäischen Union

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, Thomas Strobl (Heilbronn), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Heimkehrerstiftungsgesetz verlängern

– Drucksache 15/3806 –

Überweisungsvorschlag:Innenausschuss (f)VerteidigungsausschussHaushaltsausschuss

g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk Fischer (Hamburg), Gero Storjohann, Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Flexibilität für das Schaustellergewerbe

– Drucksache 15/3490 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Tourismus

h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Günther Friedrich Nolting, Helga Daub, Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Ehemaligen Soldaten der Nationalen Volksarmee das Führen ihrer früheren Dienstgrade erlauben

– Drucksache 15/3357 –

Überweisungsvorschlag:Verteidigungsausschuss (f)InnenausschussRechtsausschuss

ZP 4 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll V vom 28. November 2003 zum VN-Waffenübereinkommen

– Drucksache 15/3937 –

Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss (f)VerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für. wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Entschädigungsgesetzes (Entschädigungsrechtsänderungsgesetz – EntschRErgG)

– Drucksache 15/3944 –

Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss (f)RechtsausschussHaushaltsausschuss

c) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung wohnungsrechtlicher Vorschriften

– Drucksache 15/3943 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Anhörungsrügengesetz)

– Drucksache 15/3966 –

Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss (f)InnenausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

   Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und 29 c bis 29 l auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

   Tagesordnungspunkt 29 a:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Übereinkommens vom 29. Mai 1990 zur Errichtung der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung

– Drucksache 15/3785 –

(Erste Beratung 129. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 15/3954 –

Berichterstattung:Abgeordneter Otto Bernhardt

   Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache 15/3954, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Stimmt jemand dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen worden.

   Tagesordnungspunkt 29 c:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Patentgesetzes und anderer Vorschriften des gewerblichen Rechtsschutzes

– Drucksache 15/3658 –

(Erste Beratung 126. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)

– Drucksache 15/3970 –

Berichterstattung:Abgeordnete Dirk Manzewski Jerzy Montag Ingo Wellenreuther Rainer Funke

   Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3970, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen worden.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen oder Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit auch in dritter Beratung einstimmig angenommen worden.

   Tagesordnungspunkt 29 d:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 17. April 2003 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über die Änderung des Verlaufs der gemeinsamen Staatsgrenze im Bereich der Autobahnbrücke am Grenzübergang Waidhaus – Rozvadov/Roßhaupt

– Drucksache 15/3352 –

(Erste Beratung 118. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss)

– Drucksache 15/3839 –

Berichterstattung:Abgeordnete Petra ErnstbergerDr. Klaus Rose Claudia Roth (Augsburg)Dr. Rainer Stinner

   Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt auf Drucksache 15/3839, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gibt es Gegenstimmen oder Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen worden.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben, wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit auch in dritter Beratung einstimmig angenommen worden.

   Tagesordnungspunkt 29 e:

e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes

– Drucksache 15/2950 –

(Erste Beratung 118. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (15. Ausschuss)

– Drucksache 15/3791 –

Berichterstattung:Abgeordnete Petra BierwirthUlrich Petzold Winfried HermannBirgit Homburger

   Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3791, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Auch dieser Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Sie dürfen sich erheben, wenn Sie dem Gesetzentwurf auch in der dritten Beratung zustimmen wollen. – Stimmt jemand dagegen? – Das ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist damit auch in dritter Beratung einstimmig angenommen worden.

   Tagesordnungspunkt 29 f:

f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Tourismus (19. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Brähmig, Jürgen Klimke, Ernst Hinsken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Rahmenbedingungen für Geschäftsreisen verbessern

– Drucksachen 15/1329, 15/3262 –

Berichterstattung:Abgeordnete Gabriele Hiller-Ohm

   Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/1329 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen worden.

[Der folgende Berichtsteil – und damit der gesamte Stenografische Bericht der 132. Sitzung – wird morgen,
Freitag, den 22. Oktober 2004,
an dieser Stelle veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/15132
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