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15. Wahlperiode
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   135. Sitzung

   Berlin, Donnerstag, den 28. Oktober 2004

   Beginn: 9.00 Uhr

* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Präsident Wolfgang Thierse:

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Zunächst eine ganze Reihe von Mitteilungen: Der Kollege Jochen Welt hat am 22. Oktober 2004 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als Nachfolgerin hat die Abgeordnete Hildegard Wester am 25. Oktober 2004 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße die Kollegin, die uns bereits aus früheren Wahlperioden bekannt ist, sehr herzlich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat mitgeteilt, dass die Kollegin Antje Hermenau als ordentliches Mitglied aus dem Verwaltungsrat bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ausscheidet. Als Nachfolgerin wird die Kollegin Kerstin Andreae, die bisher stellvertretendes Mitglied war, vorgeschlagen. Neues stellvertretendes Mitglied soll die Kollegin Anja Hajduk werden. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann sind die Kollegin Andreae als ordentliches Mitglied und die Kollegin Hajduk als stellvertretendes Mitglied für den Verwaltungsrat bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht benannt.

Sodann teile ich mit, dass die Fraktion der SPD als Nachfolger für den ehemaligen Kollegen Ernst Küchler den Kollegen Dr. Hans-Ulrich Krüger als Schriftführer benannt hat. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre auch hier keinen Widerspruch. Dann ist der Kollege Dr. Hans-Ulrich Krüger als Schriftführer gewählt.

Interfraktionell wurde vereinbart, die verbundene Tagesordnung um die in einer Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:

1. Aktuelle Stunde

auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU

Haltung der Bundesregierung zur Einhaltung des europäischen Stabilitätspakts und des Grundgesetzes angesichts neuer Finanzlöcher im Bundeshaushalt und in der Rentenkasse sowie berichtete Begehrlichkeiten von Minister Eichel auf die höheren Einnahmen der Krankenkassen infolge der Gesundheitsreform

(siehe 134. Sitzung)

2. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren

(Ergänzung zu TOP 27)

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Dritten Zusatzprotokoll vom 4. Juni 2004 zum Abkommen vom 16. Juni 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie verschiedener sonstiger Steuern und zur Regelung anderer Fragen auf steuerlichem Gebiete

– Drucksache 15/4026 –

Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Uwe Küster, Dirk Manzewski, Jörg Tauss, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Grietje Bettin, Jerzy Montag, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Wettbewerb und Innovationsdynamik im Softwarebereich sichern – Patentierung von Computerprogrammen effektiv begrenzen

– Drucksache 15/4034 –

Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss (f)Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionAusschuss für Kultur und Medien

3. Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: EU-Waffenembargo gegenüber der Volksrepublik China

– Drucksache 15/4035 –

4. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes

– Drucksache 15/3923 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss f. Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)InnenausschussAusschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungAusschuss für Tourismus

5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Joachim Stünker, Hermann Bachmaier, Sabine Bätzing, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Jerzy Montag, Volker Beck (Köln), Irmingard Schewe-Gerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards in Deutschland sachgerecht und transparent fortentwickeln

– Drucksache 15/4036 –

(Aufruf Freitag, mit TOP 24)

Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss (f)FinanzausschussAusschuss f. Wirtschaft und Arbeit

Ferner soll auch noch der Antrag der FDP-Fraktion auf Drucksache 15/4064 aufgesetzt und mit der Türkeidebatte aufgerufen werden. Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.

Des Weiteren sind folgende Änderungen vorgesehen: Tagesordnungspunkt 7 soll mit Tagesordnungspunkt 11, Tagesordnungspunkt 24 mit 26 sowie Tagesordnungspunkt 16 mit 17 getauscht werden. Nach Tagesordnungspunkt 15 soll der bisher ohne Debatte vorgesehene Punkt 28 f – Anhörungsrügengesetz – mit 30 Minuten beraten werden. Bei Tagesordnungspunkt 10 wird statt des vorgesehenen Berichts gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung die nunmehr vorliegende Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit beraten.

Außerdem mache ich auf nachträgliche Überweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:

Der in der 132. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Tourismus zur Mitberatung überwiesen werden.

Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 18. November 2002 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Chile andererseits

– Drucksache 15/3881 (neu) –

überwiesen:Auswärtiger Ausschuss (f)

Der in der 133. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zur Mitberatung überwiesen werden.

Antrag der Abgeordneten Reinhold Hemker, Dr. Sascha Raabe, Dr. Herta Däubler-Gmelin und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken, Thilo Hoppe, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Ernährung als Menschenrecht

– Drucksache 15/3956 –

überwiesen:Ausschuss f. Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (f)Ausschuss f. wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 d auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum qualitätsorientierten und bedarfsgerechten Ausbau der Tagesbetreuung und zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe (Tagesbetreuungsausbaugesetz – TAG)

– Drucksache 15/3676, 15/3986 –

(Erste Beratung 123. Sitzung)

Erste Beschlussempfehlung und erster Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (12. Ausschuss)

– Drucksache 15/4045 –

Berichterstattung:Abgeordnete Caren Marks Marlene Rupprecht (Tuchenbach)Maria Eichhorn Ekin Deligöz Jutta Dümpe-Krüger Ina Lenke

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (12. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Maria Böhmer, Gerda Hasselfeldt, Maria Eichhorn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Elternhaus, Bildung und Betreuung verzahnen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke, Klaus Haupt, Otto Fricke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Solides Finanzierungskonzept für den Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten für unter Dreijährige

– Drucksachen 15/3488, 15/3512, 15/4045 –

Berichterstattung:Abgeordnete Caren Marks Marlene Rupprecht (Tuchenbach)Maria Eichhorn Ekin Deligöz Ina Lenke

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (12. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Marks, Christel Humme, Sabine Bätzing, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ekin Deligöz, Irmingard Schewe-Gerigk, Jutta Dümpe-Krüger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Ausbau von Förderungsangeboten für Kinder in vielfältigen Formen als zentraler Beitrag öffentlicher Mitverantwortung für die Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ingrid Fischbach, Maria Eichhorn, Dr. Maria Böhmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Ausbau und Förderung der Tagespflege als Form der Kinderbetreuung in der Bundesrepublik Deutschland

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Tagespflege als Baustein zum bedarfsgerechten Kinderbetreuungsangebot – Bessere Rahmenbedingungen für Tagesmütter und -väter, Eltern und Kinder

– zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Haupt, Ina Lenke, Cornelia Pieper, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Faire Chancen für jedes Kind – Für eine bessere Bildung, Erziehung und Betreuung von Anfang an

– Drucksachen 15/2580, 15/2651, 15/1590, 15/2697, 15/3036 –

Berichterstattung:Abgeordnete Caren MarksIngrid FischbachEkin DeligözIna Lenke

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (12. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Maria Eichhorn, Dr. Maria Böhmer, Antje Blumenthal, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Frauen und Männer beim Wiedereinstieg in den Beruf fördern

– Drucksachen 15/1983, 15/3035 –

Berichterstattung:Abgeordnete Christel HummeMaria EichhornIrmingard Schewe-GerigkIna Lenke

Zu dem Entwurf eines Tagesbetreuungsausbaugesetzes liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. – Wieso heißt das eigentlich nicht Gesetz zum Ausbau der Tagesbetreuung? Es wäre schöner, wenn wir es so nennen würden; das könnte jeder sofort verstehen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Herr Präsident, Sie hätten sich in den Fraktionssitzungen dazu einmal melden sollen!)

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile der Bundesministerin Renate Schmidt das Wort.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Renate Schmidt, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren! Meine sehr geehrten Damen! Wir wollen den Ausbau der Tagesbetreuung nicht weiter verzögern. Deshalb haben wir den Teil der Reform des SGB VIII vorgezogen, der den Ausbau der Betreuung für die unter Dreijährigen sicherstellt, der die Tagesmütter besser absichert, ausbildet und damit aufwertet, der Kleinstkinder auch unterhalb des dritten Lebensjahres ergänzend zur Familie besser fördert und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben diesen Teil vorgezogen, damit die Kommunen Planungssicherheit haben und dieses Gesetz gleichzeitig mit Hartz IV in Kraft treten kann.

Im Bundesrat standen und stehen die Signale auf Verhinderung. Wir wollen den Bundesrat nicht umgehen. Aber wir können auch nicht zulassen, dass die Familien in Westdeutschland in puncto Kinderbetreuung weiterhin in einem Entwicklungsland leben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ina Lenke (FDP))

Das sind wir nämlich mit einer Versorgungsquote von 2,7 Prozent bei Plätzen in Einrichtungen und von rund 4,5 Prozent in Tagespflege.

Der Versorgungsgrad hat sich im Zeitraum von 1994 bis 2002, also in acht Jahren, um 1,5 Prozent verbessert. Wenn wir keinen gesetzlichen Druck machen, würde es 120 Jahre dauern, um den französischen, würde es 160 Jahre, um den ostdeutschen, und 304 Jahre, um den dänischen Versorgungsgrad in den alten Ländern zu erreichen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Einer der Sachverständigen fand, dass das im TAG zum Ausdruck gebrachte Misstrauen, dass ein bedarfsgerechter Ausbau von selbst vonstatten gehe, mehr als berechtigt sei. In Westdeutschland wurden drei Jahrzehnte lang Prioritäten zugunsten von Mehrzweckhallen und nicht zugunsten von Infrastrukturen für Kinder gesetzt. Dies rächt sich heute in den auch für Kommunen finanziell angespannten Zeiten. Dennoch kann und darf das Thema nicht wieder vertagt werden. In der Expertenanhörung wurde ein eventuelles Scheitern als fatal bezeichnet.

Deshalb bitte ich herzlich darum, den Ausbau der Tagesbetreuung nicht zu einer reinen Finanzfrage verkommen zu lassen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es geht nämlich um weitaus mehr: Es ist eine wichtige gesellschaftspolitische, eine zentrale familienpolitische, eine wichtige gleichstellungs- und bildungspolitische und nicht zuletzt eine ökonomische Frage. Denn niedrige Geburtenraten bedeuten schon heute ein geringeres Wirtschaftswachstum. Das jüngste Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung macht den wirtschaftlichen Nutzen des TAG für Kommunen und die öffentliche Hand deutlich.

Es ist ein wichtiges bildungspolitisches Thema; denn eine unterbliebene frühe Förderung von Kindern, ergänzend zur Familie, bedeutet, dass bei uns weiterhin die Herkunft eines Kindes mehr als irgendwo sonst in Europa über seine künftigen Bildungschancen entscheidet.

Ich will natürlich auch etwas zu den Finanzen sagen. Bitte strapazieren Sie ein klein wenig Ihre Erinnerung, wenn es um diesen Bereich geht. Beim Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz hat die damalige Regierung auf die Anfrage der damaligen Opposition, wie sie die Kosten, die daraus entstehen, ausgleichen wolle, geantwortet – ich zitiere –:

Die Mehrbelastung der Kommunen muss nach der Kostenaussage im Gesetzentwurf in die Neuregelung des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern einfließen.

Ich betone: muss.

(Beifall bei der SPD)

Bis heute behaupten die Kommunen, damals nicht einen Pfennig davon und auch weitestgehend nicht von dem vorher beschlossenen höheren Mehrwertsteueranteil gesehen zu haben.

Sie behaupten nun, das sei heute genauso wie zu Ihrer Regierungszeit. Ich sage: Das stimmt nicht. Es stimmt dann nicht, wenn die Länder ihre Zusage einhalten, ihre Einsparungen durch Hartz IV, insbesondere beim Wohngeld, an die Kommunen weiterzugeben. Von dieser Zusage wollen sie jetzt nichts mehr wissen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Man kann doch nicht dem Bund anlasten, dass Absprachen auf der Länderseite nicht eingehalten werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Kosten sind im Übrigen seriös berechnet. Sie werden nach einem Gutachten der TU Dresden, bezogen auf Westdeutschland, wahrscheinlich sogar noch ein wenig niedriger ausfallen, als von uns berechnet. Ich gebe Ihnen dazu ein Beispiel. Sie, meine sehr geehrten Herren und Damen von der Union, sagen in Ihrem Entschließungsantrag, die Investitionskosten für einen neuen Krippenplatz beliefen sich auf 42 000 Euro. Das stimmt für eine neue Kinderkrippe mit einer Gruppe. Bei zwei Gruppen betragen sie 36 000 Euro, bei der Erweiterung um eine Gruppe in einer bestehenden Einrichtung 30 000 Euro. Wir haben einen vernünftigen Mittelwert von 36 750 Euro angesetzt. Sie werden doch nicht ernsthaft behaupten, dass westdeutschlandweit nur noch eingruppige neue Krippen geschaffen werden. Das ist ein absoluter Unsinn.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So viel zur Seriosität Ihrer Berechnungen.

Die gesetzlichen Änderungen zur Weiterentwicklung der Jugendhilfe, die wir nicht auf die lange Bank schieben wollen,

(Ina Lenke (FDP): Das Gesetz haben Sie doch getrennt!)

werden den Kommunen noch einmal rund 220 Millionen Euro bringen. Insgesamt werden sie ab dem nächsten Jahr durch bundesgesetzliche Maßnahmen um 7 Milliarden Euro entlastet – und dies mit steigender Tendenz in den Folgejahren. Hätten Sie bei unserer Gemeindefinanzreform mitgemacht, dann wäre diese Entlastung deutlich höher.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb ist die Forderung nach einer umfassenden Gemeindefinanzreform in Ihrem Antrag schlicht und einfach scheinheilig.

Den Entlastungen von 7 Milliarden Euro stehen im ersten Jahr 620 Millionen Euro für den Ausbau der Betreuung der unter dreijährigen Kinder gegenüber. Das müsste doch wirklich zu schaffen sein – auch vor dem Hintergrund, dass wir zwar bis zum Jahr 2010 230 000 zusätzliche Plätze für die unter Dreijährigen erreichen wollen, gleichzeitig aber bis 2010 aufgrund der niedrigen Geburtenrate 320 000 Plätze für die Drei- bis Sechsjährigen entfallen. Es ist doch absolut unseriös, die Entlastung durch die entfallenden Plätze nicht zu berücksichtigen und sich dann darüber zu beklagen, dass das TAG unfinanzierbar sei.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin überzeugt: Wir werden es schaffen, dass Westdeutschland nicht Entwicklungsland in Sachen Kinderbetreuung bleibt, und den guten Versorgungsstand in Ostdeutschland erhalten.

An erster Stelle ist das TAG aber für die Kinder wichtig. Die dort verankerten Mindestbedarfe werden dazu führen, dass Kinder, deren Wohl es erfordert, eine bessere Förderung erhalten werden. Wir geben in Deutschland nicht nur zu wenig für Bildung aus, sondern wir geben das Wenige auch noch falsch aus, nämlich vor allen Dingen für die Oberstufen der Gymnasien und am wenigsten für den vorschulischen Bereich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ina Lenke (FDP))

Aber in diesem Alter sind die Kinder am bildungsfähigsten. Das ist kein Plädoyer – da sind wir uns fraktionsübergreifend einig – für eine Verschulung des Alltags von Kleinstkindern.

(Beifall der Abg. Jutta Dümpe-Krüger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wir wollen, wie es im TAG verankert ist, die Trias Betreuung, Bildung und Erziehung zum Nutzen der Kinder und der Familien praktizieren und mit Leben erfüllen.

Ich möchte heute einmal mehr den Vorwurf zurückweisen, wir sähen das Allheilmittel der Familienpolitik in der Kleinstkinderbetreuung. Diese schlichten Strickmuster haben wir doch eigentlich nicht mehr nötig.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir sollten in Deutschland endlich mit der Diskussion über die einerseits angeblich verantwortungslose erwerbstätige Rabenmutter und andererseits die angeblich etwas depperte Nur-Hausfrau Schluss machen. Dies dient den Betroffenen nicht, sondern nur denjenigen, die mit Familie nichts im Sinn haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Für uns gilt: Die Politik hat den Menschen nicht vorzuschreiben, wie sie leben sollen, sondern hat ihnen zu ermöglichen, dass sie so leben können, wie sie es wollen. Deshalb nehmen wir die Wünsche junger Menschen ernst, die in ihrer erdrückenden Mehrheit eines wollen: Sie möchten Erfolg im Beruf haben und sie möchten Kinder haben. Das gilt für Männer und Frauen gleichermaßen.

Deshalb ist das TAG ein wichtiger – aber nicht der einzige – Baustein, um diesen Wunsch zu erfüllen. Er ist nicht der einzige, weil kein Elternpaar der Welt sein Kind nach der Geburt in einer Krippe oder bei einer Tagesmutter abgeben will, um es dann mit 18 Jahren mit den vorher vereinbarten Qualitätsmerkmalen aus einer Ganztagsschule abzuholen.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Eltern wollen Zeit mit ihren Kindern verbringen und Kinder brauchen Zeit mit ihren Eltern.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb gibt es die von mir gegründete Allianz für die Familie mit der Zielsetzung einer besseren Balance von Beruf und Familie. Deshalb gibt es meine Initiative „Lokale Bündnisse für Familien“. Das 100. Bündnis wird im November gegründet werden. Diese 100 repräsentieren mehr als 15 Millionen Einwohner und Einwohnerinnen in Deutschland. Familienfreundliche Arbeitsbedingungen und mehr Familien- und Kinderfreundlichkeit vor Ort, das ist der zweite Baustein für eine erfolgreiche Familienpolitik.

Sie, meine sehr geehrten Herren und meine sehr geehrten Damen von der Union, glauben aber nach wie vor an das Allheilmittel Geld. Natürlich sind weiterhin gezielte finanzielle bzw. materielle Leistungen notwendig, zum Beispiel unser Kinderzuschlag für Geringverdiener. Solche gezielten materiellen Leistungen sind der dritte Baustein für eine erfolgreiche Familienpolitik.

Bei den materiellen Leistungen sehen wir aber im europäischen Vergleich im Gegensatz zu den Kinderbetreuungseinrichtungen, bei denen wir Schlusslicht sind, gar nicht so schlecht aus; wir befinden uns im europäischen Vergleich im oberen Drittel. Wir geben mehr Geld als andere aus und sind dennoch weniger erfolgreich, weil wir zu sehr auf materielle Leistungen und zu wenig auf den Ausbau der Infrastrukturen gesetzt haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dass Kinderbetreuung hilft, Kinderwünsche zu erfüllen, belegen diverse Umfragen, unter anderem die repräsentative Onlineumfrage „Perspektive Deutschland“ mit 450 000 Teilnehmern und Teilnehmerinnen. All diese Umfragen kommen mit Zweidrittelmehrheiten der Befragten zu dem Ergebnis, dass Deutschland mehr Betreuungsmöglichkeiten für die unter Dreijährigen brauche und dies die Entscheidung für Kinder erleichtern würde.

Ihre Aussage, Sie stimmten unserem Anliegen zu, könnten aber – ohne eine Alternative aufzuzeigen – unserem Gesetzentwurf nicht zustimmen, stellt Sie zu allen gesellschaftlich relevanten Gruppen in einen Gegensatz. Sie ist nicht nur fantasielos, sondern sie widerspricht auch den Interessen von Kindern und Familien.

Wir werden Schritt für Schritt – das TAG ist ein wichtiger und großer Schritt – erreichen, dass sich auch bei uns junge Menschen ihre vorhandenen Kinderwünsche erfüllen.

Zum Schluss meiner Rede mache ich eines deutlich: Unabhängig von all dem, was wir uns in der Familienpolitik vornehmen, bedarf es im Hinblick auf Kinder der Zuversicht und des Optimismus. Wenn im Zusammenhang mit Kindern auch in der Politik nahezu ausschließlich von materieller Last, von Armutsrisiko sowie von Mühsal und Plage geredet wird, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn vernünftige Menschen diese Lasten und Risiken nicht auf sich laden wollen.

(Beifall des Abg. Klaus Haupt (FDP))

Daher appelliere ich an uns alle, die wir Kinder haben, ein bisschen häufiger von Kindern als denen zu reden, die sie für mich und für uns alle an erster Stelle sind: eine Freude, für die es sich lohnt, zu leben, zu arbeiten und Politik zu machen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP und der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile Kollegin Maria Eichhorn, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Maria Eichhorn (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ihr Umgang mit der Opposition ist unerträglich, meine Damen und Herren von Rot-Grün. In einer Nacht- und Nebelaktion haben Sie das ursprüngliche Gesetz in zwei Teile aufgeteilt, um das Verfassungsorgan Bundesrat auszuhebeln.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ina Lenke (FDP))

Sie, Frau Ministerin, haben bereits am Dienstagnachmittag Interviews gegeben. Der Opposition, die am Mittwoch im Ausschuss darüber beraten sollte, ist die veränderte Sachlage jedoch erst nach 20 Uhr über einen Änderungsantrag per E-Mail mitgeteilt worden. So kann man mit uns nicht umgehen; unter Demokraten ist so etwas nicht üblich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Wenn Sie sonst keine Sorgen haben, Frau Eichhorn, dann kommen Sie doch mal zur Sache!)

Frau Ministerin, dies ist keine Basis für eine gute Zusammenarbeit.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, bereits im Jahre 1996 hat die unionsgeführte Bundesregierung den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz durchgesetzt. Für uns war und ist wichtig, allen Kindern ab drei Jahren einen Platz in einer Kinderbetreuungseinrichtung zu sichern. Bereits damals hatten wir zusätzlich formuliert, dass ein bedarfsbezogenes Angebot an Plätzen für Kinder unter drei Jahren und für Kinder im schulpflichtigen Alter in Tageseinrichtungen vorzuhalten sei.

Im Familienkonzept von CDU und CSU, das wir 2001 verabschiedet haben, heißt es:

Um Familie und Erwerbsleben besser miteinander zu harmonisieren, wollen wir ein bedarfsgerechtes, flexibles, qualitativ hochwertiges und bezahlbares Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen für alle Altersstufen …

Dieses Angebot soll nach unserer Auffassung bis hin zu Ganztagsangeboten gehen. Dabei ist uns der Bildungs- und Erziehungsaspekt ganz besonders wichtig. Großen Wert legt unser Konzept auf die Ausweitung und Qualifikation von Betreuungsangeboten durch Tagesmütter sowie auf deren Qualifikation und soziale Absicherung.

PISA hat bestätigt, wie wichtig die frühkindliche Förderung ist. Daher ist neben dem quantitativen Ausbau der Tagesbetreuung ein Ausbau qualifizierter Angebote dringend erforderlich. Dies hat nicht nur die Anhörung Ende September gezeigt, sondern auch zahlreiche Gespräche mit Fachkräften aus Einrichtungen der Kindertagespflege und der Kindertagesstätten bestätigen das.

Unionsregierte Bundesländer wie Bayern, Hessen und Niedersachsen haben im Bildungsbereich eine Vorreiterrolle eingenommen. Sie haben zum Teil bereits vor den Ergebnissen von PISA Bildungs- und Erziehungspläne entwickelt, die derzeit in der Erprobung sind. Auch beim Ausbau der Kinderbetreuungsmöglichkeiten sind unionsregierte Länder vorbildlich.

Wir wollen Paaren die Entscheidung für Kinder erleichtern. Deshalb unterstützt die Union Eltern bei der Wahrnehmung ihrer Erziehungsaufgaben und fördert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Damit kann dem Wunsch insbesondere von Müttern nach Erwerbstätigkeit besser entsprochen werden.

Wir haben mit der Einführung des Erziehungsgeldes, der Erziehungszeit und der Anrechnung der Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung bereits 1986 neue Weichen gestellt und diese Leistungen 1992 erheblich ausgebaut. Auch die finanziellen Leistungen in unserer Regierungszeit können sich sehen lassen. Wir haben sie in diesen Jahren auf rund 77 Milliarden DM verdreifacht. Sie haben, als Sie an die Regierung kamen, das Kindergeld abgeschafft.

(Widerspruch bei der SPD)

Der Ausbau von Betreuungsangeboten ist notwendig und richtig. Aus persönlicher Erfahrung weiß ich, dass der Beruf, wenn man kleine Kinder hat, nur dann unbesorgt ausgeübt werden kann, wenn man die Kinder in guten Händen weiß. Ich habe immer Beruf, Familie und Politik miteinander verbinden können und mich nie als Rabenmutter gefühlt. Ich hatte dabei allerdings das Glück, auf Großeltern zurückgreifen zu können, die sogar zu mir ins Haus kamen. Heute können sich die Eltern nicht von vornherein auf ein familiäres Netz verlassen. Daher ist ein vielfältiges flexibles Angebot an Kinderbetreuungen vom Kleinstkindalter an erforderlich. Dafür stehen wir als Union. Wir stehen für Kinderbetreuung, wir wollen sie.

(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Dann gibt es eine einfache Antwort: Stimmen Sie zu!)

Die Betreuung durch Tagesmütter hat in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen. Gerade für die ganz Kleinen ist dies die ideale Form der Betreuung. Sie ist flexibel und kann individuell nach den Wünschen der Eltern gestaltet werden.

Zur Verwirklichung des Kinderwunsches sind jedoch neben dem Ausbau der Kinderbetreuung auch die finanzielle Förderung von Familien sowie die Stärkung der Elternkompetenz unverzichtbar. Diese drei Säulen – Vereinbarkeit von Familie und Beruf, finanzielle Förderung und Stärkung der Elternkompetenz – haben wir in dem bereits erwähnten Familienkonzept von 2001 festgelegt. Dieses Familienkonzept ist nach wie vor aktuell und gültig.

Eine aktuelle Studie von Allensbach belegt: Fast die Hälfte der Kinderlosen gibt die hohen Kosten als Grund für ihren Verzicht auf Kinder an. Genauso viele haben das Gefühl, dass sie den Anforderungen als Vater oder Mutter nicht gewachsen sind. Deshalb dürfen wir nicht beim Ausbau von Betreuungsangeboten stehen bleiben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Unterstützung von Frauen und Männern bei der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit muss weitergehen. Dabei müssen wir die Eltern im Blick haben, die wegen der Kinder zunächst einige Zeit aus dem Beruf aussteigen, später aber an ihre berufliche Karriere anschließen wollen. Dafür müssen wir genauso viel tun; das dürfen wir nicht vergessen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Gerade vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung und dem sich abzeichnenden Fachkräftemangel kann man auf die gut ausgebildeten Frauen nicht verzichten. Wir sind auf sie angewiesen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Notwendig sind daher nicht nur flexible Arbeitszeiten, sondern auch die Möglichkeiten für Arbeitnehmer, während der Elternzeit Kontakt zum Betrieb zu halten. Eltern brauchen individuelle Zeitsouveränität. Daher müssen innovative, maßgeschneiderte Konzepte in Zusammenarbeit mit Arbeitgebern entwickelt und gefördert werden, damit der Wiedereinstieg gelingt. Wir warten auf Vorschläge von Ihnen, wie Sie Eltern beim Wiedereinstieg helfen wollen. Wir haben Ihnen unsere Vorschläge dazu in unserem Antrag vorgelegt. Sie brauchen sie nur umzusetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Kernpunkt unserer Familienpolitik ist die Wahlfreiheit. In der Begründung des Gesetzentwurfes reden Sie viel davon und verweisen auf Urteile des Bundesverfassungsgerichts. Im Gesetzentwurf selber jedoch richten Sie den Betreuungsbedarf einseitig auf Erwerbstätigkeit aus.

(Nicolette Kressl (SPD): Quatsch! Das ist eine Unterstellung!)

Aus unserer Sicht ist dies zu eng ausgelegt und schränkt die Wahlfreiheit in erheblichem Maße ein.

Ein Ehepaar – er Arzt, sie Architektin – mit einem Kind hat nach Ihrem Gesetzentwurf einen Anspruch auf ein Angebot zur Kinderbetreuung. So weit, so gut. Das Facharbeiterehepaar jedoch mit fünf kleinen Kindern, bei dem die Frau zu Hause die Erziehungsarbeit leistet und natürlich sehr belastet ist, hat nach Ihrem Gesetzentwurf keinen entsprechenden Anspruch. Das ist keine Verwirklichung des Anspruchs auf Wahlfreiheit.

(Beifall bei der CDU/CSU – Nicolette Kressl (SPD): Gibt es wohl!)

Deswegen haben wir im Ausschuss einen entsprechenden Änderungsantrag eingebracht, den Sie jedoch abgelehnt haben.

Wir wollen eine quantitativ und qualitativ bessere Betreuung, die Eltern nicht über Gebühr finanziell belastet. Voraussetzung hierfür ist eine verlässliche Finanzierungsgrundlage, die Sie, Frau Ministerin, im Ausschuss zwar versprochen, aber nicht sichergestellt haben. Auch wenn Sie es noch so oft sagen: Es wird nicht wahrer. Die Finanzierung ist nicht gesichert. Sie sagen jedes Mal, sie sei gesichert. Der Kollege Götz wird Ihnen nachher genau vorrechnen, dass dem nicht so ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben Ihr Wort gebrochen. Letztlich geht Ihr Finanzierungsdefizit zulasten der Eltern; denn diese müssen dann über höhere Beiträge die Zeche zahlen.

Wir wollen den Ausbau der Kinderbetreuung. Sie ist notwendig. Deswegen fordern wir Sie, Frau Ministerin, auf, ein solides Finanzierungskonzept vorzulegen; denn Kinder sind die nachhaltigste Zukunftsinvestition, die es überhaupt gibt

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile der Kollegin Katrin Göring-Eckardt, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, das Wort.

Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Eichhorn, ich habe mir gerade vorgestellt, wie sich wohl Mütter und Väter, die am Fernseher oder hier oben auf der Tribüne Ihre Rede gehört haben, gefühlt haben.

(Elke Wülfing (CDU/CSU): Das war gut!)

Sie haben gesagt, was Sie alles schon gemacht haben. Sie haben ein bisschen kleinkrämerisch darüber geredet, was wir getan haben, damit dieses Gesetz besonders schnell in Kraft tritt.

(Ina Lenke (FDP): Das ist Ihre Bewertung! – Nicolette Kressl (SPD): Ein bisschen kleinkrämerisch?)

Sie haben hier heute eine der üblichen Sonntagsreden gehalten. Sie hatte mit der Lebensrealität derjenigen in unserem Land, die Kinder und insbesondere kleine Kinder haben, überhaupt nichts zu tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Maria Eichhorn (CDU/CSU): Sie wissen doch, dass das so nicht ist! – Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Unfug!)

Ich meine, wir sollten eines ganz klar sagen: Heute ist ein guter Tag für die Eltern und Familien, für die Kinder in Deutschland.

(Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Hoffentlich!)

Daran gibt es nichts zu deuteln. Das ist ein Tag, auf den ich lange gewartet habe und auf den viele viel zu lange warten mussten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ina Lenke (FDP): Auch unter Ihrer Regierung!)

– Ja, auch unter unserer Regierung. Das ist völlig richtig, Frau Lenke. Sonst wäre es nämlich wieder nichts geworden; sonst hätten wir uns wieder Jahr für Jahr die Sätze von Frau Eichhorn anhören müssen.

(Ina Lenke (FDP): Was haben Sie für Wahlversprechen gemacht, die Sie nicht eingehalten haben!)

Das ist ein Tag, der in eine Reihe von anderen Tagen passt, an denen wir wichtige Dinge gemacht haben. Seit 1998 geben wir 20 Milliarden Euro mehr als 1980 für Kinder aus.

(Maria Eichhorn (CDU/CSU): Wir haben 1996 den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz eingeführt! Sie hätten das alles schon zwei Jahre danach haben können!)

Das bedeutet durchschnittlich etwa 1 000 Euro mehr pro Kind im Jahr. Das ist auch unter Berücksichtigung der finanziellen Transferleistungen eine große Leistung.

Deswegen lassen wir uns in dieser Hinsicht auch keine Vorwürfe von Ihnen machen;

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

es wird auch nicht dabei bleiben.

Warum haben wir diesen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht? Was ist eigentlich das Problem? Die Geburtenrate in Deutschland ist eine der niedrigsten. Die Erwerbsquote von Frauen ist extrem niedrig. 1 Million Kinder leben in Deutschland immer noch von der Sozialhilfe. Schauen wir uns nur die Situation in Berlin an: Dort ist im letzten Jahr ein Schultest durchgeführt worden. Dabei kam heraus, dass ein Viertel der Kinder aufgrund mangelnder Sprachkompetenz nicht fähig war, die Schule zu besuchen und dem Unterricht zu folgen.

(Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Das durfte man ja jahrelang nicht ansprechen!)

Die Betreuungsquote von unter Dreijährigen stagniert in Westdeutschland bei 2,7 Prozent. In Ostdeutschland ist sie von 50 Prozent auf 37 Prozent gesunken. Um diese Situation zu ändern, haben wir diesen Gesetzentwurf erarbeitet. Sie sagen zwar, dass er nicht helfen wird. Aber ich sage Ihnen: Doch, er wird helfen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir wollen, dass jedes Kind eine Chance hat, egal woher es kommt und wie dick das Portemonnaie der Eltern ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Ina Lenke (FDP))

Es kann nicht sein – ich finde, das muss man wiederholen –, dass in Deutschland nur 10 Prozent der Kinder aus Arbeiterfamilien, aber 70 Prozent der Kinder aus Akademikerfamilien Abitur machen können. Dieser Zustand muss beendet werden. Dabei müssen wir bei den ganz kleinen Kindern ansetzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Wir wissen längst, dass bereits ganz kleine Kinder Sprachkompetenz, motorische Kompetenz und Sozialkompetenz sehr früh einüben müssen. Natürlich – in diesem Punkt stimme ich vielem, was hier gesagt wurde, zu – geschieht dies am allerbesten innerhalb einer Familie. Aber das Leben ist leider nicht so, dass das in allen Familien funktioniert. Deswegen ist es für meine Begriffe eine zutiefst soziale Aufgabe, diese Chancen auch denen zu geben, die sie von zu Hause nicht mitbekommen. Daher ist die Betreuung der unter Dreijährigen so wichtig. Dass viele bzw. immer mehr Kinder in Deutschland von Armut betroffen sind, hat auch damit zu tun, dass wir ihnen zu wenig Bildungschancen geben. Wir müssen aus dem Teufelskreislauf „Armut, zu wenig Bildung, Entstehung neuer Armut“ heraus. Mit diesem Gesetz zum Ausbau der Betreuung der unter Dreijährigen wollen wir ihn durchbrechen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Nun zum lieben Geld.

(Ina Lenke (FDP): Ach ja! Jetzt ist es aber gut! Sie sagen: Wir machen ein Gesetz, aber das Geld kommt woanders her!)

Es ist richtig, dass die Opposition dieses Thema anspricht. Seit 1991 ist das Recht auf Betreuung von unter Dreijährigen Bestandteil des Kinder- und Jugendhilfegesetzes. Wir haben sehr lange darauf gewartet, dass dieses Recht in die Realität umgesetzt wird. Sie haben es damals eingeführt und die entsprechende Kompetenz den Kommunen und Ländern zugewiesen. Was passiert ist, wissen wir. Die Realität zeigt uns: In Westdeutschland beträgt die Betreuungsquote 2,7 Prozent. Renate Schmidt hat in einem Interview darauf hingewiesen, dass es beim gegenwärtigen Tempo 175 Jahre dauern würde, bis wir eine bedarfsgerechte Betreuung erreicht hätten. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Das dauert mir zu lange.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

So lange, bis das erreicht ist, können auch wir weiß Gott nicht regieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Gemäß der Verabredung im Bundesrat sind 1,5 Milliarden Euro für den Ausbau der Betreuung der unter Dreijährigen zur Verfügung gestellt worden. Dieser Betrag von 1,5 Milliarden Euro steht allerdings nicht auf dem Papier.

(Ina Lenke (FDP): Doch! Auf dem Papier! Aber natürlich!)

Vielmehr heißt es in der Revisionsklausel, dass der Bund, wenn es zu höheren Ausgaben kommt, mehr Mittel bereitstellen muss.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Das ist gerade in diesem Fall auch richtig.

(Ina Lenke (FDP): Aber doch nicht für die Kinderbetreuung! Das ist doch ein Popanz!)

300 000 Kindergartenplätze werden frei. Schauen Sie sich einmal an, was die Länder tatsächlich unternehmen. Ich muss Ihnen sagen: Wir können wirklich nicht auch noch dafür verantwortlich sein, dass dieses Geld in vielen Ländern nicht weitergegeben wird. Das ist das Problem, vor dem wir stehen. Frau Eichhorn, kümmern Sie sich darum, dass dieses Geld in den Ländern weitergegeben wird;

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Maria Eichhorn (CDU/CSU): Kümmern Sie sich darum!)

denn in Thüringen und vielen anderen Ländern geschieht das bisher nicht. Wenn die Länder das Geld weitergeben, wird es auch bei den Kommunen ankommen.

Eines muss ich direkt an die Adresse der Kommunen sagen: Ich glaube, es geht auch um Prioritätensetzung. Das DIW hat ausgerechnet, dass es sich für die Kommunen auch in finanzieller Hinsicht lohnt, in die Kinderbetreuung zu investieren, weil dann in vielen anderen Bereichen weniger Geld ausgegeben werden muss. Im Grunde genommen wissen wir das. Auch in den Kommunen sollte man das wissen. Man sieht zwar landauf, landab überall neue Feuerwehrhäuser. Aber es wäre ganz schön, wenn nebenan auch einmal ein neuer Kindergarten oder eine neue Kinderkrippe entstehen würde.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ina Lenke (FDP): Das ist doch bloß wieder Polemik!)

Der dritte Grund, aus dem wir diesen Gesetzentwurf erarbeitet haben, ist die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es geht doch vor allen Dingen um die Wahlfreiheit. Niemand möchte den Eltern vorschreiben, was sie tun sollen und wie sie leben sollen.

(Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Das habe ich aber schon ganz anders gehört!)

90 Prozent der Mütter sagen: Wir wollen berufstätig sein. Bei den Vätern sind es 100 Prozent. Die Wahlfreiheit, das tun zu können, was man möchte, und Beruf und Familie tatsächlich zu verbinden, sollten wir endlich herstellen. Deswegen ist dieses Gesetz so wichtig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Sie haben von der Ungleichbehandlung geredet und die Facharbeiterfamilie mit fünf Kindern erwähnt. Sie müssen das Gesetz noch einmal lesen, den Passus, in dem es um das Kindeswohl geht.

(Nicolette Kressl (SPD): Genau! – Zuruf von der CDU/CSU: Das haben die Fachleute aber komischerweise anders ausgelegt! Die sind anderer Meinung als Sie!)

Selbstverständlich sollen auch Familien mit fünf Kindern und einer Mutter, die nicht berufstätig ist, Plätze in einer Kinderbetreuungseinrichtung zustehen. Es geht uns ja gerade darum, dass alle diese Möglichkeit bekommen. Wir haben so hart gearbeitet und das Geld bereitgestellt, damit im Jahr 2010 bedarfsgerecht Plätze für die Betreuung unter Dreijähriger vorhanden sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Man kann es auch ganz ökonomisch sehen. Schauen Sie sich die Länder an, in denen die Quote der Frauen, die erwerbstätig sind, höher ist als bei uns: Dort gibt es ein höheres Wachstum. Sie sagen ja immer, wir bräuchten Wachstum, damit Arbeitsplätze geschaffen werden. Wenn die Quote der Frauen, die erwerbstätig sind, steigt und Arbeitsplätze geschaffen werden, steigt auch das Wachstum. Auch deswegen rechnet es sich.

In Ostdeutschland steuern Frauen 50 Prozent zum Familieneinkommen bei, in Westdeutschland sind es 30 Prozent. Ich finde, da könnte sich der Westen einmal dem Osten angleichen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Ina Lenke (FDP))

Zum Schluss: Auch wenn sie ein bisschen nach Zukunftsmusik klingt, möchte ich Ihnen eine Geschichte erzählen, die ich neulich in Bielefeld gehört habe. Da hat eine berufstätige Mutter in der Kindertagesstätte angerufen und gesagt: Entschuldigung, ich werde mich etwas verspäten. Ich habe hier noch Stress und muss noch ein paar wichtige Telefonate führen. Aber ich komme in einer Viertelstunde. – Die Erzieherin am anderen Ende der Leitung sagte zu der Mutter: „Wissen Sie was? Gehen Sie noch in Ruhe einkaufen und kommen Sie dann ungehetzt hierher. Ich lese Ihrem Sohn so lange noch etwas vor. – Sie fand die beiden in trauter Eintracht auf dem Sofa beim Vorlesen. Mutter und Sohn hatten noch einen sehr schönen, sehr entspannten Abend.

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Volker Kauder (CDU/CSU): Wunderbar!)

Ich glaube, das ist keine Zukunftsmusik, sondern das, was wir anstreben sollten, nämlich dass es unseren Kindern tatsächlich gut geht – in der Familie und in der Kinderbetreuungseinrichtung. Sie sollten aufhören, hier geschäftsmäßig darüber zu reden, ob die Finanzierung stimmt oder nicht, sondern sich mit uns anstrengen und vor allen Dingen eines klar machen: Kinderbetreuung ist wichtig für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands, sie ist eine der zentralen Zukunftsaufgaben. Machen Sie mit und hören Sie auf, herumzumäkeln und vergangenheitsgerichtete Reden zu halten!

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Ina Lenke, FDP-Fraktion.

Ina Lenke (FDP):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Göring-Eckardt, seit 1998 sind Sie an der Regierung, doch erst heute, im Jahr 2004, legen Sie diesen Gesetzentwurf vor. Von daher haben Sie das verzögert und niemand anders. Sie haben die Mehrheit hier im Haus.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Dann stimmen Sie doch zu!)

   Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion will mehr Bildung, Betreuung und Erziehung von Anfang an. Zustimmen werden wir dem Gesetz von Rot-Grün nicht, weil die Finanzierung fehlt. Wir alle wissen, der Bedarf an Betreuung unter Dreijähriger in den Städten und Gemeinden hätte nach dem KJHG, dem Kinder- und Jugendhilfegesetz gedeckt werden müssen. Aber noch ist Bedarf vorhanden, er ist nicht gedeckt.

   Wer hat heute als Mutter oder Vater schon das Glück – sei es in Schleswig-Holstein, sei es in Hamburg oder Bayern –, einen Krippenplatz zu ergattern?

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Was ist mit Niedersachsen?)

Die Chancen dafür stehen ziemlich schlecht. Dies zu ändern ist Aufgabe von CDU- und SPD-geführten Bundesländern; das muss man ganz deutlich sagen.

(Beifall bei der FDP)

Viele Eltern, insbesondere Alleinerziehende und Akademikerinnen, die ihren Kinderwunsch realisieren wollen, erwarten von uns eine bessere Infrastruktur. Kinderbetreuungsangebote – das wissen wir alle, darüber sind wir uns einig – sind der Schlüssel für die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

   Ein gezielter Ausbau der Kinderbetreuung bringt langfristig ökonomisch mehr ein, als er kostet. Er bringt Vorteile für Mütter und Väter, hinsichtlich der demographischen Entwicklung, für die Unternehmen und für den Staat, der Mehreinnahmen an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen hat, wenn Mütter berufstätig sind. Diese Mittel fehlen heute in unseren Kassen. Die FDP will ganz besonders viele allein erziehende Frauen mit Kindern, die bisher auf Sozialhilfe angewiesen waren, dabei unterstützen, ihren Lebensunterhalt für sich und ihr Kind eigenverantwortlich zu verdienen, damit sie nicht mehr von der Sozialhilfe abhängig sind.

   Das Ministerium hat errechnet, dass 230 000 Betreuungsplätze für unter Dreijährige fehlen. 160 000 Krippenplätze sollen entstehen und 68 500 Plätze sollen durch Tagesmütter und -väter angeboten werden. Frau Ministerin, diese Aufteilung ist sehr vernünftig; denn im ländlichen Raum werden wir kaum viele Krippengruppen einrichten können.

   Sie binden die Tagesmütter zwar in ihr Konzept ein, haben es aber bis heute nicht geschafft, verlässliche Rahmenbedingungen für Tagesmütter, -väter und -eltern vorzulegen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die FDP hat hier und heute einen Antrag vorgelegt. Ich bitte Sie – das habe ich im Ausschuss schon gesagt –, sich den Antrag noch einmal sehr genau anzuschauen und in Ihrem Ministerium mit ihm etwas anzufangen.

   Erstens wollen wir für die Tagesmütter klare, einfache, unbürokratische und bundeseinheitliche steuer- und sozialversicherungsrechtliche Regelungen. Zweitens wollen wir die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht, aber eine Pflicht zur Versicherung. Frau Ministerin, drittens wollen wir, dass Sie die Förderlücke zwischen dem zweiten und dem dritten Lebensjahr schließen. Weder von den Grünen noch von der SPD habe ich irgendetwas dazu gehört.

(Klaus Haupt (FDP): Ja!)

Bis zum zweiten Lebensjahr des Kindes gibt es Erziehungsgeld. Einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung gibt es aber erst ab dem dritten Lebensjahr.

(Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das machen wir doch gerade!)

– Nein, das tun Sie nicht. – Viertens wollen wir – davon habe ich heute auch nichts gehört – die Anerkennung der Kinderbetreuungskosten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als Werbungskosten, wenn die Frauen bzw. Männer berufstätig sind. Schreiben Sie von uns ab und übernehmen Sie die guten Vorschläge der FDP!

(Beifall bei der FDP)

   Meine Damen und Herren, die Bildung im vorschulischen Bereich hat für die FDP eine große Bedeutung. Mein Kollege Klaus Haupt wird gleich noch darüber reden. Auch Kinder, die zu Hause gut gefördert werden, profitieren nachweislich von einer qualitativ hochwertigen außerfamiliären Betreuung. Ich habe selbst drei Enkelkinder und kann sehr gut nachvollziehen, dass das so ist. Die FDP will deshalb bundesweit Mindeststandards für Bildung und Betreuung. Ich glaube, wir alle sind uns einig, dass wir das nicht den Ländern und Kommunen überlassen sollten. Wir wollen, dass die Kinder beim Schuleintritt die gleichen Bildungschancen haben.

   Warum stimmen wir dem TAG nicht zu, obwohl es inhaltlich von uns sehr begrüßt wird und wir in vielen Teilen Gemeinsamkeiten haben?

(Nicolette Kressl (SPD): Ja, das frage ich mich auch!)

– Ich erkläre es Ihnen, da Sie es noch nicht wissen. – Die von der Regierung konstruierte Finanzierung der durch das Tagesbetreuungsausbaugesetz anfallenden Kosten über die erwarteten Einsparungen durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe im Rahmen von Hartz IV ist für uns unseriös und unglaubwürdig.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die erforderlichen 1,5 Milliarden Euro werden nämlich nicht aus dem Bundeshaushalt bezahlt, sondern über Hartz IV; viele Bürgerinnen und Bürger wissen das nicht. Heute weiß aber niemand, ob den Kommunen Geld in der Höhe übrig bleibt, die Sie errechnet haben. Das ist so, auch wenn Sie von der Regierungsbank sich noch so sehr weigern, das anzuerkennen.

   Erinnern wir uns: SPD und Grüne haben vor der Bundestagswahl 2002 wie 1998 auch mit dem Versprechen Hunderttausender neuer Betreuungsplätze geglänzt. Hier reden Sie die Frage der Finanzierung herunter. Das finde ich nicht in Ordnung.

(Beifall bei der FDP)

Wer den Kommunen hier aus dem Bundestag konkrete Aufgaben zuweist, der muss auch dafür sorgen, dass die Finanzierung sichergestellt ist. Das ist der große Pferdefuß des Gesetzes. Diese Milchmädchenrechnung geht nicht auf. Deshalb machen wir nicht mit.

   Obwohl ich die Ministerin wirklich bei jeder Ausschusssitzung und bei jedem Gespräch gefragt habe, wo die nachprüfbaren Berechnungen sind, hat sie sie bisher nicht vorgelegt. Sie hat immer nur gesagt, sie könne die Kosten quantifizieren, sie könne mir ganz genau sagen, wie viel es kostet. Nun, das eine ist die Kostenseite und das andere ist die Seite, wie die Kosten bezahlt werden.

   Ich fasse zusammen: Inhaltlich stimmt die FDP dem TAG zu. Da die Finanzierung nicht gesichert ist, werden wir uns bei der Abstimmung aber enthalten.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Ernst Hinsken (CDU/CSU))

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Nicolette Kressl, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nicolette Kressl (SPD):

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir entscheiden heute darüber, ob Eltern in Zukunft endlich Wahlfreiheit haben werden, ob sie Berufstätigkeit und Familie miteinander vereinbaren oder für eine gewisse Zeit zu Hause bleiben wollen.

Frau Eichhorn, Sie haben in Ihrem Redebeitrag behauptet, wir täten das Gegenteil. Was für eine veraltete Vorstellung von Wahlfreiheit haben Sie denn?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wahlfreiheit heißt, dass Eltern, wenn sie sich für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf entscheiden, ein entsprechendes Angebot erhalten. Für uns heißt das, dass wir für die Bereitstellung des Angebots sorgen müssen. Das bedeutet aber nicht, dass wir den Eltern die Entscheidung aus der Hand nehmen. Für mich ist es die Aufgabe der Politik, ein Angebot zu machen. Behaupten Sie nicht, wir würden uns nicht um die Wahlfreiheit kümmern.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will Ihnen noch etwas zu dem sagen, was mir bei Ihrer Rede aufgefallen ist. Sie haben sich hier hingestellt und erklärt, Wahlfreiheit würde vor allem durch materielle Leistungen geschaffen, die Sie in Ihrer Regierungszeit auf den Weg gebracht hätten. Habe ich mich verhört oder verlesen? Hat es nicht mehrere Urteile des Verfassungsgerichtes gegeben, die sich auf die materiellen Defizite in Ihrer Regierungszeit bezogen und die wir jetzt umsetzen müssen? Wo bin ich eigentlich?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollegin Kressl, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Eichhorn?

Nicolette Kressl (SPD):

Aber natürlich.

(Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das verlängert die Redezeit! Das ist gut!)

Maria Eichhorn (CDU/CSU):

Frau Kollegin Kressl, würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass es in meiner Rede beim Thema Wahlfreiheit überhaupt keine Unterschiede zu dem gibt, was Sie gesagt haben? Sie unterstellen mir, dass es unterschiedliche Ansichten gibt. Lesen Sie bitte unsere Konzepte nach! Wir gehen von der Wahlfreiheit für alle Familien aus. Das bedeutet, dass diejenigen, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen wollen, diese Möglichkeit auch erhalten sollen. Daher setzen wir uns für eine bedarfsgerechte Kinderbetreuung ein.

Aber wir wollen auch, dass diejenigen, die sich dafür entscheiden, eine gewisse Zeit zu Hause zu bleiben, ähnliche Möglichkeiten haben und dafür die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen werden. Daher brauchen wir den Ausbau der Kinderbetreuungsmöglichkeiten und finanzielle Förderung. Genau das ist unser Konzept. Dem können Sie nicht widersprechen; denn das können Sie jederzeit nachlesen.

Nicolette Kressl (SPD):

Sehr geehrte Frau Eichhorn, lassen Sie mich zu Ihrer Frage einige Bemerkungen machen:

Erstens. Wahlfreiheit für Eltern entsteht dann, wenn wirklich etwas getan wird und es nicht nur in Konzepten steht. Das aber erleben wir bei Ihnen nicht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Maria Eichhorn (CDU/CSU): Wer war denn in den letzten Jahren an der Regierung?)

Zweitens. Sie haben in Ihrer Rede behauptet, mit unserem Konzept würden wir die Wahlfreiheit einschränken. Ich habe nur klargestellt, dass für uns die Wahlfreiheit nur dann gegeben ist, wenn beides vorhanden ist: die materielle Unterstützung, die wir in unserer Regierungszeit von 1998 bis 2002 in einem Maße ausgebaut haben, an das Sie nie gedacht haben, und die Infrastruktur.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Bitte? Das stimmt doch gar nicht!)

Wahlfreiheit entsteht dann, wenn wir Eltern tatsächlich beide Alternativen anbieten. Seien Sie so gut und reden Sie nicht immer nur von Ihren Parteitagsbeschlüssen, sondern sagen Sie Ihren Kollegen in den Ländern, dass sie dem Ausbaukonzept zustimmen sollen!

(Ina Lenke (FDP): Sie aber auch!)

Dann können wir miteinander darüber reden, wer wirklich etwas für Familien tut.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Vielen Dank für die Frage!)

Wir wissen, dass frühkindliche Förderung ein ganz wichtiger Bestandteil von Kinder- und Jugendhilfe sowie von Betreuungskonzepten ist. Auch da, Frau Eichhorn, will ich auf einen Punkt eingehen, den Sie vorhin angesprochen haben. Sie haben behauptet, mit unserem Konzept sei es nicht möglich, dass Eltern von fünf Kindern Tagesbetreuungsangebote für unter Dreijährige in Anspruch nehmen können.

(Markus Grübel (CDU/CSU): Das haben Sie doch gestern abgelehnt!)

Haben Sie vielleicht übersehen, dass als drittes Bedarfskriterium das Kindeswohl im Vordergrund steht? Selbstverständlich wollen wir den Kommunen diesen Freiraum geben. Ich bin davon überzeugt, dass in ganz vielen Kommunen in diesem Fall für das Kindeswohl entschieden wird. Ich habe sehr viel Vertrauen in das, was die Kommunen tun werden. Wenn Sie das nicht haben, ist das Ihr Problem. Diese Freiheit wollen wir den Kommunen geben; das Kindeswohl steht im Mittelpunkt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Drittens. Wir entscheiden heute auch darüber, dass in Zukunft Alleinerziehende eine echte Chance haben werden, einen Arbeitsplatz anzunehmen, weil sie die Kinderbetreuung erhalten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wer entscheidet das?)

Schauen Sie sich den Armuts- und Reichtumsbericht an! Dort wird deutlich, dass die Armutsfalle, in der Alleinerziehende häufig sind, nicht darauf beruht, dass wir zu wenig soziale Transferleistungen haben, sondern darauf, dass die Alleinerziehenden keine Erwerbstätigkeit aufnehmen können. Wir müssen einen entscheidenden Schritt in diese Richtung tun. Auch darüber entscheiden wir heute mit den Bedarfskriterien des Gesetzes.

(Beifall bei der SPD – Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Das ist völlig unstrittig!)

Für uns bedeutet dieser Weg einen gesellschaftlichen Fortschritt. Lassen Sie uns ehrlich sein: Es ist nicht so, dass wir vorneweg marschieren, sondern wir erkennen die gesellschaftlichen Veränderungen bei uns und bewegen uns endlich politisch.

(Ina Lenke (FDP): „Endlich“! Da haben Sie Recht!)

– Frau Lenke, wenn Sie „endlich“ sagen, dann muss ich darauf hinweisen, dass wir vier Jahre lang Ihre materiellen Defizite ausgleichen mussten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)

Es gab ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, aufgrund dessen wir das Kindergeld erhöhen mussten. Wir mussten auch bei den Freibeträgen nachbessern. Wir müssen dies Schritt für Schritt abarbeiten.

Wir entscheiden im Übrigen heute auch darüber, dass wir nicht immer nur über Vereinbarkeit von Familie und Beruf reden, sondern dass endlich auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden.

(Ina Lenke (FDP): Die fehlen!)

Frau Ministerin Schmidt hat schon darauf hingewiesen, wie langsam sich ohne gesetzlichen Druck die Rahmenbedingungen zum Positiven verändern. Weil wir nicht immer nur reden wollen, haben wir uns für die Aufteilung des Gesetzes entschieden.

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Ina Lenke (FDP): Ach Gott!)

– Was erstaunt Sie eigentlich daran? Was erstaunt Sie daran, wenn uns in Meldungen angekündigt wird, dass die Union im Bundesrat verzögern und blockieren wird?

(Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): Unsinn! – Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Wie Sie mit Geld umgehen, spottet jeder Beschreibung!)

Wir sind verpflichtet, uns darum zu kümmern, dass die Eltern die gesetzlichen Rahmenbedingungen bekommen. Das ist Verpflichtung und keine Trickserei.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hätten Sie die Ablehnung nicht angekündigt, dann hätten wir dieses Gesetz nicht aufteilen müssen.

(Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): Das stimmt nicht, Frau Kressl! Das ist eine Unterstellung!)

Ich will den Kommunen deutlich sagen: Es war nicht unser Wunsch, das Gesetz aufzuteilen. Wir hätten das Zusammenfügen der beiden Teile für sinnvoll gehalten, weil darin auch die Entlastung der Kommunen im Bereich des Kinder- und Jugendhilfegesetzes enthalten ist. Der zweite Teil des Gesetzes, der den Bereich des Kinder- und Jugendhilfegesetzes betrifft, wird von uns weiter verfolgt werden. Sowohl die Weiterentwicklung in dem Bereich als auch die finanzielle Entlastung der Kommunen ist uns wichtig. Wir werden das nicht liegen lassen, sondern nach ausführlicher Beratung weiter daran arbeiten. Wir hoffen, die Zustimmung des Bundesrates zu erhalten.

Lassen Sie mich noch die Finanzierung ansprechen. Die Entlastung in Höhe von 2,5 Milliarden Euro steht nicht nur auf dem Papier; vielmehr hat der Vermittlungsausschuss eine Revisionsklausel beschlossen, mit deren Hilfe sichergestellt wird, dass die Nettoentlastung tatsächlich bei den Ländern ankommt. Die Länder müssen diese Entlastung an die Kommunen weitergeben. Wir legen Wert darauf, dass das geschieht; denn die Länder haben sich im Vermittlungsausschuss dazu verpflichtet.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Besonders interessant ist, dass sich die Vertreterinnen und Vertreter der Union hier hinstellen und uns etwas von unseriöser Finanzierung erzählen.

(Maria Eichhorn (CDU/CSU): So ist es!)

Ich erwarte von allen, dass sie sich einmal das Gesamtkonzept der CDU/CSU anschauen:

(Zuruf von der SPD: Welches?)

Steuerentlastung, Streichung der Gewerbesteuer, Finanzierung der geplanten Kopfpauschale im Gesundheitsbereich über Steuern in Höhe von 30 Milliarden Euro.

(Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): Wer fährt den Haushalt denn ständig an die Wand?)

Ich erwarte, dass sich Ihre Familienpolitiker und Familienpolitikerinnen, statt Insellösungen zu fordern, vor Augen führen, was Ihr Gesamtkonzept für die Kommunen bedeutet. Ich kann mir nicht vorstellen, wie Herr Götz – er ist der nächste Redner – den Kommunen die massiven milliardenhohen Steuerausfälle erklären will, zumal gleichzeitig die Kinderbetreuung ausgebaut werden soll.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sollten an dieser Stelle nicht heucheln. Wir wollen wissen, wie Ihr Gesamtkonzept aussehen soll.

Ich möchte noch einen Punkt ansprechen. Hinsichtlich der Gewerbesteuer und der Finanzierung der Kommunen wird deutlich, welche Entlastungen unsere Reformen in diesem Bereich auf den Weg bringen.

(Ina Lenke (FDP): Ach nee! Erst belasten, dann entlasten!)

In meinem Wahlkreis habe ich kürzlich eine Zeitungsmeldung über eine Stadt gelesen, die deutlich steigende Gewerbesteuereinnahmen zu verzeichnen hat. Die Meldung trug die Überschrift: Wir dürfen nicht zu schnell euphorisch werden. Das ist sicherlich richtig – wir müssen das in der Tat beobachten –, aber die Behauptung, dass hier alles den Bach heruntergeht, ist absolut unwahr. Ich bitte Sie, im Interesse der Familien bei der Wahrheit zu bleiben, um diese nicht zu verunsichern.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir reden schon sehr lange über die Notwendigkeit der Kinderbetreuung; einige von Ihnen haben es auch schon angesprochen. Für mich ist es eine Frage der Glaubwürdigkeit, die gesetzlichen Rahmenbedingungen auf den Weg zu bringen.

(Ina Lenke (FDP): Das wird Zeit!)

Wir haben vier Jahre lang dem Kindergeld Priorität eingeräumt; jetzt gilt unsere Priorität der Infrastruktur.

Sie müssen uns erklären, wie sich Folgendes miteinander vereinbaren lässt: Sie stellen auf der einen Seite fest, dass Sie die Kinderbetreuung ausbauen wollen, kündigen aber auf der anderen Seite an, dass Sie unserem Gesetzentwurf nicht zustimmen können. Heute Morgen konnten wir verfolgen, wie Frau Böhmer den Hasenpreis fürs Hakenschlagen verdient hat, als sie erklärte, warum ihre Fraktion unserem Gesetzentwurf nicht zustimmen kann. Das ist völlig absurd.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir wissen, dass der Ausbau der Kinderbetreuung notwendig ist, dann sollten wir auch das Nötige tun und dem Gesetzentwurf zustimmen. Ich denke, Deutschland hat eine solche Haltung nach dem Motto „Eigentlich wollen wir ja, aber wir können trotzdem nicht!“ nicht verdient. Das haben die Familien nicht verdient. Bringen Sie die von Ihnen regierten Länder dazu, dem Gesetzentwurf zuzustimmen! Geben Sie sich einen Ruck und stimmen Sie ebenfalls zu! Alle werden es Ihnen danken.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile Kollegen Peter Götz, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Peter Götz (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach sechs Jahren Regierung hat Rot-Grün jetzt auch die Kinder entdeckt.

(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Jetzt machen Sie sich doch nicht lächerlich! – Zuruf von der SPD: Wo waren Sie denn in den sechs Jahren?)

Der gesellschaftliche Wandel hat das Leben der Familien in Deutschland geändert. Das hat auch Einfluss auf die Familienpolitik. Es ist unstrittig, dass in Deutschland auf vielen Gebieten Handlungsbedarf besteht. Das gilt auch für den wichtigen Bereich der Erziehung, Bildung und Betreuung unserer Kinder.

(Zuruf von der SPD: 16 Jahre haben Sie die Familien vergessen!)

Wie wir alle wissen, ist eine gute Erziehung im Elternhaus die beste Grundlage für eine positive Entwicklung unserer Kinder.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie ist durch nichts zu ersetzen. Durch eine frühzeitige gute Erziehung und Bildung wird der Grundstein für das spätere Leben gelegt.

Unstrittig ist auch, dass in einigen Bundesländern beim Ausbau der Kinderbetreuungsangebote Nachholbedarf besteht. Die Anhörung im zuständigen Fachausschuss des Deutschen Bundestags hat aber deutlich gezeigt, dass einige Länder der Meinung sind, keine bundeseinheitliche Regelung zu brauchen, da sie bereits eigene Programme aufgelegt haben.

(Nicolette Kressl (SPD): Sie waren doch gar nicht da!)

Wir sollten in der Diskussion berücksichtigen, welche Unterschiede zwischen Ihrem Gesetzentwurf und unserem Ansatz bestehen.

(Nicolette Kressl (SPD): Was für ein Ansatz?)

Sie setzen auf eine institutionelle Lösung, die auf Bundesebene organisiert und dann von den Kommunen umgesetzt werden soll. Wir hingegen wollen individuelle Lösungen mit einer großen Wahlfreiheit für die Menschen, die Familie und Beruf vereinbaren wollen.

(Zuruf von der SPD: Der Garant dafür, dass nichts passiert!)

Wir wollen aber auch die Familien stärken, die ihre kleinen Kinder zu Hause erziehen wollen. Für uns steht ohne Frage das Wohl des Kindes im Mittelpunkt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie versuchen, mit dem Gesetzentwurf auf untaugliche Weise Symptome zu kurieren,

(Nicolette Kressl (SPD): Das ist doch nicht zu fassen!)

ohne die Ursache für die fehlenden Betreuungsangebote anzugehen.

Frau Ministerin, die Fragen, die wir uns vorab stellen müssen, lauten deshalb: Welches ist die Ursache? Wo liegt die Wurzel für den unbefriedigenden Zustand der Kinderbetreuung? Viele Städte und Gemeinden engagieren sich seit Jahren im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten für eine bessere Kinderbetreuung.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Viele? Viel zu wenige!)

Dort ist schon sehr viel geschehen, aber ohne Zweifel noch lange nicht genug. Wir wollen familienfreundliche Kommunen. Aber die Kommunen stehen finanziell mit dem Rücken an der Wand. Durch Ihre kommunalfeindliche Politik seit sechs Jahren

(Widerspruch bei der SPD – Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Immer die gleiche Leier!)

befinden sich die Kommunen in ihrer schwersten Finanzkrise seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. Das können Sie nicht leugnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Noch so eine Nummer!)

Die Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker, die viel enger und direkter mit den Bürgerinnen und Bürgern im Austausch stehen, würden gerne eine qualitätsorientierte Betreuung der Kinder anbieten. Aber sie können es einfach nicht mehr. Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, Sie haben innerhalb von sechs Jahren den Kommunen durch Ihre Politik die Luft zum Atmen genommen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Seit sechs Jahren verteilt die Bundesregierung Wahlgeschenke im sozialen Bereich und lässt andere dafür bezahlen.

(Zurufe von der SPD: Was? – Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Das ist doch unglaublich! Dann sagen Sie doch mal, wo wir was streichen sollen!)

Das ist unanständig, um mit den Worten Ihres Bundeskanzlers zu reden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir wollen, dass der Grundsatz, der im „normalen“ Leben gilt, auch in der Politik gilt: Wer bestellt, der bezahlt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Götz, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Humme?

Peter Götz (CDU/CSU):

Ja.

Präsident Wolfgang Thierse:

Frau Humme, bitte.

Christel Humme (SPD):

Herr Götz, da Sie kommunalpolitischer Sprecher Ihrer Fraktion sind, verwundert mich besonders Ihre Aussage, wir hätten sechs Jahre lang nichts für die Kommunen getan. Ich nenne Ihnen einmal ein paar Zahlen. Warum verschweigen Sie, dass wir die Kommunen durch die Reform der Gewerbesteuer um 3 Milliarden Euro entlasten? Warum verschweigen Sie, dass wir die Kommunen durch Hartz IV um 2,5 Milliarden Euro entlasten?

(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP – Volker Kauder (CDU/CSU): Das ist überhaupt nicht wahr!)

Warum verschweigen Sie, dass die Kommunen im nächsten Jahr insgesamt um 7 Milliarden Euro entlastet werden? Warum verschweigen Sie – das scheint mir viel wichtiger zu sein –, dass Sie es waren, die im Vermittlungsausschuss verhindert haben, dass den Kommunen durch eine Mindestgewinnbesteuerung mehr Geld zugeführt wird? Last, not least: Wenn wir zusammen mit Ihnen das Steuervergünstigungsabbaugesetz im Vermittlungsausschuss durchbekommen hätten, hätten Bund, Länder und Kommunen 25 Milliarden Euro mehr. Warum sollen wir es sein, die die Kommunen mit unserer Politik alleine lassen? Wie sieht denn Ihre Politik aus?

(Beifall bei der SPD)

Peter Götz (CDU/CSU):

Ich gebe Ihnen gerne eine Antwort. Die Kommunen sind im Augenblick dabei, ihre Haushalte für das Jahr 2005 aufzustellen. Die Ausgaben für soziale Leistungen steigen im kommunalen Bereich dramatisch,

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Leider wahr!)

und zwar auf ein Niveau, das es in Deutschland noch nie gegeben hat, nämlich auf 30 Milliarden Euro in diesem Jahr, Tendenz weiter steigend. In diesem Jahr haben die kommunalen Kassenkredite das Rekordniveau von 18 Milliarden Euro erreicht, das heißt also, dass die Kommunen in diesem Jahr ihr Konto um diesen Betrag überziehen. Wenn Sie angesichts dessen behaupten, dass das eine Ihrer tollen Leistungen sei, dann kann zumindest ich das nicht nachvollziehen. Das ist die erste Bemerkung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Irgendwie haben Sie die Frage nicht verstanden! Beantworten Sie doch einmal die Frage! – Zurufe von der CDU/CSU: Frau Humme, stehen bleiben!)

– Frau Humme, bitte bleiben Sie stehen. Ich möchte Ihre Frage vollständig beantworten. Sie müssen Geduld haben.

(Christel Humme (SPD): Bis jetzt habe ich noch keine Antwort!)

Zweite Bemerkung, zu der von Ihnen angesprochenen Gewerbesteuer. Es ist richtig, dass wir nicht wollen, dass diejenigen Unternehmen, die Probleme haben, die Kredite aufnehmen müssen, weil sie kurz vor der Insolvenz stehen, die Zinsen für diese Kredite bei der Gewerbesteuerschuld zusätzlich versteuern müssen. Das wollten Sie, aber nicht wir. Deshalb haben wir das abgelehnt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir wollten auch nicht – deshalb haben wir das ebenfalls abgelehnt –, dass Freiberufler zur Gewerbesteuerzahlung herangezogen werden. Das hätte nur dazu geführt, dass die Freiberufler Steuerberater beauftragt hätten, um dafür zu sorgen, dass keine Gewerbesteuer gezahlt werden muss.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Das ist immer noch nicht eine Antwort auf die Frage!)

Das wäre ein Nullsummenspiel bzw. ein Beschäftigungsprogramm für Steuerberater gewesen. Sie haben sich in diesem Bereich oft selbst widersprochen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich gehe nun auf eine Bemerkung von Frau Kressl ein – vielleicht ist das eine Ergänzung meiner Antwort auf Ihre Frage, Frau Humme –, die die Stadt Gaggenau als Beispiel genannt hat. Zufälligerweise kenne ich die Situation dieser Stadt. Das hängt auch damit zusammen, dass ich vor meiner Zeit im Deutschen Bundestag dort Bürgermeister war und insofern die Details ein bisschen kenne.

(Andreas Scheuer (CDU/CSU), an Abg. Nicolette Kressl (SPD) gewandt: Das war ein Schuss in den Ofen!)

Sie haben in Ihrem Beispiel verschwiegen, dass ein großes Unternehmen dieser Stadt über viele Jahre Verlustvorträge in Anspruch nehmen konnte und dass das nun beendet ist. Jetzt bekommt diese Stadt wieder Einnahmen aus der Gewerbesteuer. Viele Jahre gab es von diesem Unternehmen keine Gewerbesteuer. Das zeigt eines der Kernprobleme der Gewerbesteuer: Wir brauchen im Bereich der Kommunalfinanzen Veränderungen, die eine nachhaltige, verlässliche Finanzierung der Kommunen ermöglichen. Wenn das der Fall ist, haben die Kommunen eine Chance, die Kinderbetreuung auf den Weg zu bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Volker Kauder (CDU/CSU), an Abg. Christel Humme (SPD) gewandt: Frau Kollegin, versenkt!)

Die Grenze zur Handlungsfähigkeit ist in vielen Städten und Gemeinden schon lange überschritten: Schäden an Schulen werden nicht mehr repariert – ich weiß nicht, wo Sie in Ihren Wahlkreisen unterwegs sind –, Schwimmbäder werden geschlossen, das mittelständische Handwerk bricht weg. Es ist für Wirtschaftsentwicklung unseres Landes dringend notwendig, dass sich hier etwas verändert, damit die Kommunen wieder in die Lage versetzt werden, ihre Aufgaben eigenverantwortlich wahrzunehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das ist die Realität vor Ort, mit der wir uns auseinander setzen.

(Nicolette Kressl (SPD): Sagen Sie einmal was zum Thema Kinder! Was ist eigentlich mit den Kindern?)

Die Union will die Kinderbetreuung verbessern. Das ist die einhellige Meinung unserer Fraktion, in unseren Parteien, in CDU und CSU,

(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Das spürt man aber leider nicht!)

und auf allen politischen Ebenen, angefangen im kleinsten Rathaussaal über die Landtage bis in dieses Hohe Haus.

Nur: Die kommunalen Haushalte müssen die kommunalen Aufwendungen und Aufgaben bewältigen können. Ein erneuerter Verschiebebahnhof zulasten der Kommunen löst das Problem nicht.

(Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Revisionsklausel!)

Die Folge der Umsetzung Ihrer unseriösen Finanzierungsangebote wäre, dass die Kommunen gezwungen wären, die Betreuungskosten auf die Eltern abzuwälzen, weil sie das nötige Geld nicht haben.

(Maria Eichhorn (CDU/CSU): So ist es!)

Die Konsequenz wäre: Kinderbetreuung würde zu einem Luxusgut privilegierter Besserverdiener. Wenn das Ihre Politik ist, kann ich dies in keiner Weise nachvollziehen, Frau Ministerin. Wir von CDU und CSU wollen das nicht. Wir wollen einen Ausbau der Kinderbetreuung für alle und nicht nur für Besserverdiener.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Menschen in unserem Land erwarten von uns allen zu Recht, dass wir ihre Bedürfnisse erkennen und diese Erkenntnisse in politisches Handeln umsetzen. Sie erwarten auch seriöse Berechnungen und sie erwarten keine Tricksereien. Mehr Ehrlichkeit im Umgang mit Zahlen, aber auch im Umgang untereinander schadet niemandem in diesem Hause. Ihr Gesetzentwurf gaukelt den Menschen eine Problemlösung bei der Kinderbetreuung vor. Ohne eine seriöse Finanzierung machen Sie die Rechnung allerdings ohne den Wirt. Die Kommunen, die Eltern und die allein erziehenden Frauen zahlen letztlich die Zeche.

Wir haben eine andere Vorstellung von Politik.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir wollen starke Städte und Gemeinden, die in der Lage sind, eigenverantwortlich zu entscheiden. Wir wollen eine starke kommunale Selbstverwaltung, und zwar ohne bürokratische Vorgaben aus Berlin. Wir setzen auf die Menschen, die vor Ort kommunalpolitische Verantwortung tragen.

Präsident Wolfgang Thierse:

Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Marks von der SPDFraktion?

Peter Götz (CDU/CSU):

Herr Präsident, ich würde meinen Gedanken gern noch zu Ende bringen.

Die Menschen vor Ort sind sehr wohl in der Lage, die Prioritäten richtig zu setzen und bei Bedarf Tagesbetreuung für Kinder anzubieten. Sie tun es schon heute.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Jetzt bitte ich um die Zwischenfrage.

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollegin Marks, bitte.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Bitte auch so eine schöne Zwischenfrage wie die von der Kollegin Humme!)

Caren Marks (SPD):

Herr Kollege Götz, Sie verfehlen das Thema der heutigen Debatte: Es geht um die Kinder in unserem Land.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Bei diesem so wichtigen Thema versuchen Sie, sich ausschließlich hinter der Finanzfrage zu verstecken,

(Volker Kauder (CDU/CSU): Spielt das Geld keine Rolle? Eichel hat doch nichts!)

und Sie schlagen mehr Haken, als es jemals ein Hase getan hat. Nachdem Sie hier ausschließlich die Finanzfrage angesprochen haben, möchte ich einmal wissen, warum Sie nicht von Studien berichten – auch Sie kennen sie sicherlich –, wonach sich jeder in den Ausbau der Kinderbetreuung investierte Euro drei- bis vierfach rentiert, und zwar durch höhere Steuer- und Sozialversicherungseinnahmen, durch die Schaffung neuer Arbeitsplätze, insbesondere für Frauen, und durch eine bessere Integration der Kinder und Jugendlichen in diesem Land. Ich denke, Sie sollten auch dieses Thema einmal behandeln.

Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Peter Götz (CDU/CSU):

Frau Kollegin, ich bin für Ihre Frage dankbar.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Weil Sie nun endlich zum Thema reden können!)

Ich weiß sehr wohl, dass Finanzierung bei Ihnen nicht zum Thema gehört.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ihr Kernproblem ist, dass Sie über Finanzierung nicht reden wollen.

Ich teile Ihre Einschätzung; die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind so, wie sie sind. Auch ich sehe die Auswirkungen dieses Verhältnisses von eins zu drei. Deshalb sind wir ja für den Ausbau der Kinderbetreuung. Aber Sie müssen denjenigen, die den Ausbau der Kinderbetreuung vorantreiben sollen, zunächst einmal die Chance geben, diesen einen Euro in die Hand zu nehmen, damit er 3 Euro auslöst.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben die Kommunen so weit gebracht, dass sie heute dazu nicht mehr in der Lage sind.

Deshalb ist unser politischer Ansatz – das gehört sehr wohl zum Thema –: Ja zur Kinderbetreuung, aber auch Ja zur Verbesserung der kommunalen Finanzausstattung, damit die Kommunen wieder in die Lage kommen, diese Aufgabe eigenverantwortlich vernünftig und angemessen wahrzunehmen. Das ist unsere Zielvorgabe. Wenn Sie es mit dem Ausbau der Kinderbetreuung ernst und ehrlich meinen, dann sollten Sie auf unsere Vorschläge eingehen.

(Kerstin Griese (SPD): Sie machen keine Vorschläge! Welche denn? – Gegenruf der Abg. Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Wir haben Anträge vorgelegt!)

– Doch. Ich habe Ihnen vorgeschlagen, die Kommunalfinanzen zu verbessern. Sie müssen zuhören und dürfen nicht weghören.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie uns gemeinsam die Situation der Städte und Gemeinden verbessern! Dann verbessern wir – die Prognose wage ich – auch die Kinderbetreuung in unserem Land.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ina Lenke (FDP))

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile Kollegin Ekin Deligöz, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Götz, Sie waren in der Anhörung im Fachausschuss leider nicht dabei. Wären Sie dabei gewesen, hätten Sie zur Kenntnis nehmen können,

(Peter Götz (CDU/CSU): Aber ich kann lesen!)

dass sowohl Bürgermeister Schimke als auch die Vertreter der Kommunalverbände sehr wohl gesagt haben, sie wollten die Kinderbetreuung,

(Peter Götz (CDU/CSU): Aber wir doch auch! – Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Ja natürlich! – Maria Eichhorn (CDU/CSU): Alle wollen die Kinderbetreuung! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Wo ist der Widerspruch?)

sie wollten alles tun, damit das Kinderbetreuungsgesetz in Kraft tritt. Sie sehen es als einen Standortfaktor. Es ist wichtiger denn je, dass dieses Gesetz so schnell wie möglich in Kraft tritt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Nehmen Sie bitte auch zur Kenntnis, dass die Gewerbesteuereinnahmen in Deutschland im ersten Halbjahr 2004 um 1,5 Milliarden Euro gestiegen sind. Damit sind wir voll im Plan. Das ist die Wahrheit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Die Eltern wollen, dass wir die Kinderbetreuung ausbauen. Sie wollen es für sich. Sie wollen es für ihre Kinder und es geht auch um Hartz IV. Wir wollen Armut in diesem Land bekämpfen. Wir wollen, dass auch Mütter und Väter arbeiten können. Eine Grundvoraussetzung dafür ist die Betreuung der unter Dreijährigen. Wir können nicht von den Menschen verlangen, erwerbstätig zu sein, ohne ihnen die dafür notwendigen Rahmenbedingungen zu bieten.

(Rita Pawelski (CDU/CSU): Richtig!)

Es geht um Förderung und um Bildung von Kindern. Es geht auch um Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Es geht um Integration von sozial Schwachen. Es geht schließlich um Menschen in der Ausbildungssituation. Dazu gab es einen Vorschlag von der Opposition, den wir aufgenommen haben. Heute sind Sie nicht einmal in der Lage zuzustimmen. Es geht selbstverständlich auch um Verbindlichkeit für Eltern.

Wenn ich mir Ihre heutigen Debattenbeiträge vor Augen führe, dann muss ich feststellen, dass Sie immer wieder die Finanzen ansprechen, aber in Wirklichkeit meinen, dass der Bund in diesem Bereich eigentlich keinerlei Kompetenzen hat und nichts tun sollte. Sie wissen, dass es kein reguläres Verfahren gibt, nach dem der Bund direkt Mittel auf die Kommunen übertragen kann. Finanzzuweisungen gehen nur über die Länder. Die Länder, gerade die, in denen Sie regieren, wehren sich aber mit Händen und Füßen dagegen, überhaupt irgendetwas zu tun. Das ist die Realität.

(Abg. Maria Eichhorn (CDU/CSU) meldet sich zu einer Zwischenfrage)

– Bitte schön.

(Zuruf von der CDU/CSU: Frau Präsidentin!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Frau Kollegin nimmt mir die Arbeit ab. – Bitte schön, Frau Kollegin Eichhorn.

Maria Eichhorn (CDU/CSU):

Frau Kollegin Deligöz, würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass gerade in meinem Heimatland Bayern – die Situation dort kennen Sie vielleicht auch – seit dem Jahr 2002 313 Millionen Euro ausgegeben werden, um jährlich 1 000 Krippenplätze und 5 000 Betreuungsplätze im Schulbereich neu zu schaffen? Und da sagen Sie, in den unionsregierten Ländern geschehe nichts!

Sie werden gleich auf die Ausgangssituation hinweisen. Dazu kann ich Ihnen sagen, dass in Bayern die Betreuungsquote der unter Dreijährigen um 2 Prozentpunkte höher ist als in Nordrhein-Westfalen, Frau Deligöz.

(Volker Kauder (CDU/CSU): So ist es! – Elke Wülfing (CDU/CSU): Nordrhein-Westfalen ist auch pleite!)

Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Kollegin, Ihr Heimatland Bayern ist auch mein Heimatland; ich komme aus Bayern. Ich muss aber feststellen, dass die Realität wohl doch eine andere ist. Ich sehe jeden Samstag in München und Nürnberg die Elternverbände auf der Straße demonstrieren, weil die Ausgaben für die Jugendhilfe und für die Schulen

(Maria Eichhorn (CDU/CSU): Thema!)

immer weiter gekürzt werden.

(Maria Eichhorn (CDU/CSU): Thema!)

Es ist bei dem bayerischen Modell der Kinderbetreuung davon die Rede, dass mehr Betriebswirtschaftlichkeit in die Strukturen muss.

(Ina Lenke (FDP): Das ist wichtig!)

Es ist davon die Rede, dass in Bayern innerhalb der nächsten zehn Jahre 9 000 Plätze in der Kinderbetreuung eingespart werden sollen, weil es sich nicht mehr betriebswirtschaftlich rechnt.

(Maria Eichhorn (CDU/CSU): Nein! 1 000 Plätze mehr!)

Das ist doch die Realität: Die Eltern in Bayern gehen auf die Straße!

(Zuruf von der CDU/CSU: Wo denn?)

Sie wollen in Bayern die Lehrmittelfreiheit abschaffen. Sie wollen die Eltern zur Kasse bitten. Sie sagen, die Eltern sollen es selber finanzieren, wenn sie Geld haben. All das läuft gerade in Bayern ab. Auch das sollten Sie zur Kenntnis nehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Es gibt zufriedene Menschen in Bayern!)

Gehen Sie einmal nach München, gehen Sie einmal nach Nürnberg! Dann werden Sie sehen: Die Eltern in Bayern gehen auf die Straße für die Rechte ihrer Kinder.

Bezüglich des Ausbaus der Kindertagesbetreuung möchte ich festhalten: Die Länder hatten die Kompetenz dazu; sie hätten schon längst etwas tun können. Es ist aber nichts passiert. Weil nichts passiert ist, bringen wir jetzt dieses Gesetz ein. Weil die Quote im Westen nur bei 2,7 Prozent liegt – das ist verdammt wenig, meine Damen und Herren –, bringen wir das Gesetz ein. Wir wollen für Verbindlichkeit sorgen, indem es eine gesetzlichen Verpflichtung, öffentliche Debatten und regelmäßige Berichterstattung darüber gibt. Für uns ist es wichtig, dass dabei am Ende Kinderbetreuungsplätze herauskommen. Das ist unsere Botschaft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Wenn der Bund keine Kompetenzen in diesem Bereich hätte, gäbe es kein Recht auf einen Kindergartenplatz. Mit dem TAG haben wir unseren Willen demonstriert, dass mehr Krippenplätze eingerichtet werden sollen. Sie sollten hier keine Krokodilstränen über das Verfahren oder Ähnliches vergießen; das ist gar nicht notwendig. In Wahrheit wissen Sie doch, wie notwendig das TAG ist. Es stellt einen wichtigen Bestandteil der Familienpolitik dar. Sie selbst sprechen sich ja für mehr Kinderbetreuungsplätze aus. Sobald es aber darum geht, das Ganze anzupacken, ducken Sie sich weg; dabei wollen Sie nicht mitmachen und schieben irgendwelche Argumente vor.

(Maria Eichhorn (CDU/CSU): Sie sind seit sechs Jahren an der Regierung, Frau Deligöz! Seit sechs Jahren haben Sie Verantwortung!)

Ich halte das nicht für ehrlich von Ihnen. Ich kann dazu nur sagen: Sie sollten aufhören, darüber zu reden. Sie sollten es zusammen mit uns anpacken. Darauf kommt es nämlich an. Sie sollten etwas tun, um die Chancen von Kindern in diesem Land zu verbessern.

(Zuruf von der CDU/CSU: In unseren Bundesländern passiert dieses! In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel nicht!)

Sie tun damit eher etwas für die Eltern in diesem Land, als wenn Sie auf irgendwelche fiktiven Konzepte verweisen, die ich Ihnen nicht abnehmen kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Klaus Haupt, FDP-Fraktion.

(Zuruf von der CDU/CSU: Klaus, sage Ihnen die Wahrheit! – Gegenruf der Abg. Nicolette Kressl (SPD): In Wahrheit würde er gern zustimmen!)

Klaus Haupt (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich erhöhe die Männerquote.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

Bildung von Anfang an muss das Motto sein, wenn wir die Zukunftsfähigkeit der hier in Deutschland aufwachsenden Kinder sichern wollen. Die wichtigste Botschaft der Expertenanhörung lautete für mich: Wir sind es unseren Kindern schuldig, endlich die frühkindliche Förderung in unserem Land zu verbessern.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD)

Faire Chancen für jedes Kind – darum geht es in erster Linie.

Das Thema ist vor allem und zuallererst aus der Sicht des Kindes zu sehen. Es geht um einen umfassenden Prozess der Entwicklung und Entfaltung der dem Kind eigenen Fähigkeiten. Die Weichen für den Bildungs- und Berufsweg werden früh gestellt, das Fundament für Lernmotivation und -fähigkeit wird in den ersten Lebensjahren gelegt. Kindliches Lernen beginnt nicht mit vier Jahren und auch nicht mit drei, sondern sofort ab der Geburt.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Eines der dramatischsten Ergebnisse der internationalen Vergleichsstudien der jüngsten Vergangenheit ist für mich die Tatsache, dass in Deutschland wie in keinem anderen Land Europas die soziale Herkunft über die Lebens- und Zukunftschancen eines Kindes entscheidet. Wir vernachlässigen frühkindliche Bildung, zementieren so soziale Ungleichheiten und verengen damit die Zukunftsperspektiven unserer Kinder.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Kinder, die schon durch die Hypothek schlechterer Startchancen belastet sind, dürfen nicht durch die Schwerpunktsetzung staatlicher Bildungspolitik noch mehr belastet werden. Hier geht es um die Grundkompetenz gesellschaftlicher Teilhabe. Alle Kinder müssen die Chance haben, sich zu einer eigenständigen, selbstverantwortlichen und autonomen Persönlichkeit zu entwickeln.

(Beifall bei der FDP)

Dazu bedarf es neben dem liebevoll fördernden Elternhaus gerade angesichts der zunehmenden Zahl von Ein-Kind-Familien auch der Sozialerfahrung im Kreis anderer Kinder in Tagespflegegruppen, Krippen oder Kindergärten.

In diesem Zusammenhang gilt der Satz, den auch Professor Rauschenbach vom Deutschen Jugendinstitut in der Anhörung zitierte und den ich zum goldenen Satz der Anhörung erkläre: Vom Osten lernen heißt siegen lernen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Bei der Tagesbetreuung für unter Dreijährige müssen wir im ganzen Land die quantitativen Ausstattungsstandards erreichen, die wir im Osten früher einmal hatten und zum Teil auch noch haben. In Europa einmalig ist die Betreuungssituation in Sachsen-Anhalt, wo ein entsprechender Rechtsanspruch für Kinder von null bis 14 Jahren besteht.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD): Unter einer SPD-Regierung eingeführt!)

Dieser ist vor 14 Jahren auf Initiative der FDP entstanden.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Warum haben Sie das in der bundespolitischen Regierungszeit nicht wiederholt?)

Das heißt, das TAG könnte ein Startschuss für die westlichen Bundesländer sein, ohne den östlichen Ländern zu schaden.

(Nicolette Kressl (SPD): Also stimmt die FDP zu!)

Den mit dem TAG angestrebten quantitativen Ausbau und die qualitative Verbesserung der Kindertagesbetreuung unterstützen wir; das hat meine Kollegin Lenke sehr ausführlich und charmant dargestellt. Dass die FDP dennoch nicht zustimmt, liegt allein an der aus unserer Sicht ungelöst scheinenden Finanzierung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, an dieser Stelle hätte ich gern auch etwas Freundliches zu den übrigen vorgesehenen Änderungen des KJHG gesagt. Leider haben Sie, Frau Ministerin, das ursprüngliche Gesetzespaket jetzt über Nacht aufgeschnürt. Das erweckt den Eindruck, als hätten diese Gesetzesteile nur als taktische Manövriermasse gedient.

(Volker Kauder (CDU/CSU): So ist es!)

Ich sage ganz deutlich: Angesichts der gesellschaftlichen Bedeutung der Thematik bedaure ich dieses Vorgehen zutiefst.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Denn es bleibt dabei: Faire Chancen für jedes Kind, insbesondere durch Bildung von Anfang an, sind entscheidend für die Lösung der Zukunftsfragen unserer Gesellschaft.

Danke.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Marlene Rupprecht, SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute Morgen haben alle zumindest verbal bestätigt: Kinderbetreuung ist notwendig. Ich finde, das ist schon ein Fortschritt.

(Maria Eichhorn (CDU/CSU): Daran hat es nie Zweifel gegeben!)

Im letzten Jahrzehnt des letzten Jahrhunderts konnte man da noch ganz andere Töne hören.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Da sind Kinder doch auch betreut worden!)

Deshalb ist das ein Fortschritt.

Ich denke, einige von Ihnen haben § 1 des SGB VIII gelesen:

Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.
Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

So weit haben Sie gelesen; das waren die Aussagen heute Morgen. Weiter haben Sie allerdings nicht gelesen. Durchhalten beim Lesen scheint nicht mehr modern zu sein; das zeigen auch die PISA-Ergebnisse. In § 80 SGB VIII, der sich mit der Jugendhilfeplanung befasst, heißt es nämlich:

Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben im Rahmen ihrer Planungsverantwortung … den Bestand an Einrichtungen und Diensten festzustellen, … den Bedarf unter Berücksichtigung der Wünsche, Bedürfnisse und Interessen der jungen Menschen und der Personensorgeberechtigten für einen mittelfristigen Zeitraum zu ermitteln ...

Und so fort.

Dafür hat es anscheinend nicht mehr gereicht; denn sonst müssten wir heute nicht über Kinderbetreuung reden, sondern würden uns auf diesen Paragraphen über die Kinder- und Jugendhilfe im SGB VIII beziehen – das ein sehr modernes Gesetz ist.

(Maria Eichhorn (CDU/CSU): Wer hat das Gesetz gemacht? Wir haben es gemacht!)

– Das ist unter Ihrer Regierung entstanden. Meine Hochachtung; da ist Ihnen ausnahmsweise einmal etwas wirklich gut gelungen. Da stimme ich Ihnen voll und ganz zu. Ich bin inzwischen so weit, dass ich das Gesetz adoptiert habe und es als meines ansehe. Deswegen kämpfe ich auch dafür. Aber dieser Paragraph zur Kinderbetreuung wird eben nicht umgesetzt.

Wir wissen, dass Kinderbetreuung für die Familien, die Wirtschaft und den Standort Deutschland von Bedeutung ist; das ist bereits gesagt worden. Wichtig ist die Kinderbetreuung aber vor allem für die Kinder. Als Kinderbeauftragte meiner Fraktion muss ich das ganz deutlich herausstellen. Kinder brauchen Kinder. Denn unsere Familienstrukturen und auch die gesellschaftlichen Strukturen haben sich verändert. Kinder müssen unter Kindern aufwachsen, um sprechen zu lernen und soziale Kompetenz zu bekommen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sollten einerseits nicht so wie Erwachsene reden; sie kommen nämlich nicht mit dem Abitur zur Welt. Wenn sie andererseits nur vor die Glotze gesetzt werden, können sie das Sprechen nicht lernen. Kinder müssen also mit anderen Kindern aufwachsen, damit sie emotional reifen und damit sie, wie es in § 1 SGB VIII heißt, gemeinschaftsfähige Persönlichkeiten werden.

Studien aus den USA, von denen wir in letzter Zeit Kenntnis bekommen haben, haben bestätigt, dass sich die Folgen der Betreuung noch nach drei Jahrzehnten nachweisen lassen. Kinder, die eine qualitativ gute Betreuung erfahren hatten, hatten bessere Schulchancen, haben weniger in der Schule versagt, sind im Jugendalter weniger strafanfällig geworden, hatten eine bessere Berufsausbildung und eine größere Kontinuität in der Erwerbstätigkeit, waren seltener Bezieher von Transferleistungen und – wenn wir schon über Geld reden – stellten damit einen geringeren Kostenfaktor für die Kommunen dar.

Präsident Wolfgang Thierse:

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Scheuer von der CDU/CSU-Fraktion?

(Nicolette Kressl (SPD): Die vorherigen Zwischenfragen von Ihrer Seite waren nicht so erfolgreich! Ich würde es unterlassen!

Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD):

Ja natürlich.

Andreas Scheuer (CDU/CSU):

Verehrte Kollegin, herzlichen Dank, dass Sie mir diese Möglichkeit geben. Sie reden gerade über die Kinder- und Jugendhilfe, einen Bereich, den Sie selber durch Tricksen, Tarnen und Täuschen von dem TAG abgespalten haben.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Aus meiner Sicht haben Sie somit in Ihrer Rede das Thema völlig verfehlt. Würden Sie mir also zustimmen, dass Sie in den letzten Minuten über ein Thema reden, das gar nicht Gegenstand dieser Debatte ist?

(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Er hat nicht zugehört!)

Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD):

Herr Scheuer, ich finde Ihre Frage wunderbar. Ich wollte nämlich gerade auf den Punkt zu sprechen kommen, dass Sie mit Zahlen, die Sie nicht nachweisen können, argumentieren. Sie müssen private Unternehmen, die Statistiken erstellen, fragen, wie es mit der Intensivpädagogik in Bayern aussieht; denn bis jetzt liegen keine entsprechenden Zahlen vor. Sowohl das betreffende Ministerium als auch das Landesjugendamt haben sich von irgendwoher irgendwelche Zahlen beschaffen müssen, weil sie nicht genau wissen, was Fakt ist.

(Maria Eichhorn (CDU/CSU): Haben Sie Ihre Rede schon vor der Aufteilung geschrieben?)

Weil wir diese Krux sehen – das Gesetz, das Sie damals gemacht haben, ist in diesem Punkt nachbesserungsbedürftig und muss präzisiert werden –, müssen wir die Fälle statistisch genau erfassen. Dann können wir zielgenau handeln. In Bayern darf keine polemische Politik auf Kosten derer betrieben werden, die entsprechende Leistungen brauchen. Aus dem Grund – aus keinem anderen – haben wir das Thema Kinder- und Jugendhilfe abgespalten.

(Beifall bei der SPD)

Alle Untersuchungen zeigen: Starke Eltern werden starke Kinder haben und starke Kinder werden starke Erwachsene werden. Das trägt sehr zur Stabilität der Kommunen und der gesamten Gesellschaft bei. Es ist die beste Investition, die man machen kann. Dazu müssen wir nach intelligenten Lösungen suchen. Es muss ein Umdenken stattfinden. Die Kommunen müssen vom angebotsorientierten Handeln weg und hin zum nachfrageorientierten Handeln kommen. Wir müssen überlegen, was Kinder und Eltern brauchen. Man darf aber nicht einfach irgendein Angebot unterbreiten, egal ob es passt oder nicht. Das ist eine Herausforderung an die kommunale Ebene. Ich denke aber, dass es sehr viele intelligente Kommunalpolitiker gibt, die diese Herausforderung meistern können.

Weil wir die finanziellen Belastungen der Kommunen sehen, haben wir eine Aufteilung des Gesetzes vorgenommen. Genau das war der Grund. Sie könnten endlich einmal aufhören, das Schauermärchen im Lande zu erzählen, die Kinder und Jugendlichen würden dank der Kinder- und Jugendhilfe nur auf Kosten anderer leben und die Betreuung sei ein Luxus. Kehren Sie zu einer sachlichen Diskussion zurück!

(Beifall bei der SPD)

Darüber werden wir uns, nachdem dieses Kinderbetreuungsgesetz verabschiedet worden ist, noch heftig auseinander setzen.

(Andreas Scheuer (CDU/CSU): Das ist praktisch schon die übernächste Debatte!)

Was machen Sie denn, Herr Scheuer? Im Bundesrat wurde ein Gesetzentwurf eingebracht, das „KEG“ – das ist wirklich keck –,

(Volker Kauder (CDU/CSU): Hier aber „keck“ mit „ck“!)

„Kommunales Entlastungsgesetz“, heißt. Was steht darin? Dass Sie nur noch dann Leistungen gewähren wollen, wenn das die jeweilige Kommune bezahlen kann. Im Umkehrschluss heißt das: Wenn in einer Kommune, in der es viele soziale Probleme gibt, kein Geld vorhanden ist, bekommen die Betroffenen nichts und werden dahinvegetieren. Genauso läuft es bei Ihnen. Dieser Gesetzentwurf ist übrigens von der Bayerischen Staatsregierung und nicht vom bayerischen Volk in den Bundesrat eingebracht worden.

(Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Aber gewählt ist sie schon, oder?)

Der Herr Präsident hat vorhin unseren Gesetzentwurf vom Titel her als umfangreich bezeichnet. Es gibt in Bayern seit September einen Entwurf, der folgendermaßen lautet: „Bayerisches Gesetz zur Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern in Kindertageseinrichtungen

(Volker Kauder (CDU/CSU): Nicht vorlesen!)

und in Tagespflege und zur Änderung anderer Gesetze – Bayerisches Gesetz für Kindertageseinrichtungen und Tagespflege und Änderungsgesetz (BayKiTaG)“. Ich kürze diesen Gesetzentwurf im Folgenden wie vorgesehen ab. Was haben Sie denn im BayKiTaG vor? Im BayKiTaG haben Sie das vor, was wir mit dem TAG, dem Tagesbetreuungsausbaugesetz, umsetzen wollen. Ich finde es schön, dass Sie in diesem Punkt lernfähig sind.

Als ich dann aber zu Punkt D „Kosten und Nutzen“ kam, fand ich folgenden Satz: „Die Umstellung des Fördersystems erfolgt kostenneutral.“

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Aha!)

Da habe ich mir gedacht: Menschenskind, die Bayern sind intelligent. Wie machen die das? Die wollen das umsetzen, ohne einen Cent auszugeben, während wir 1,5 Milliarden Euro dazugeben und es Ihnen hier immer noch nicht reicht. Ich verstehe das nicht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann habe ich weitergelesen – denn Lesen habe ich gelernt –:

2. Entlastung. Die Einschränkung der Förderpflicht auf bedarfsnotwendige Kindergärten führt zu Entlastungen bei den Gemeinden.

– Aha.

Der Ausbau integrativer Kindergartenplätze führt zu einer Reduzierung der Nachfrage nach teuren Plätzen in heilpädagogischen Tagesstätten und dem Wegfall der Fahrtkostenerstattung.

Zuerst habe ich mir gedacht: Mensch, „integrativ“ ist bestimmt etwas Tolles. Aber dann habe ich festgestellt: So intelligent sind sie auch wieder nicht; sie haben es nur besser verklausuliert, dass sie eigentlich den Kommunen ans Leder wollen und denjenigen, die Hilfe bräuchten, nichts geben.

Dass es Sie jetzt ärgert, dass wir etwas machen, was Sie nicht zusammengebracht haben, verstehe ich.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder (CDU/CSU): Oje!)

Sie können dem ja fachlich nichts dagegenhalten, sondern sprechen nur von den Finanzen. Wenn ich kein Argument mehr habe, dann führe ich das Totschlagsargument der Finanzen an.

(Ina Lenke (FDP): Das ist doch Quatsch!)

Dazu sage ich Ihnen: Die Leute sind nicht so blöd, dass sie Ihren Gesetzentwurf in Bayern nicht durchschauen und sehen, was dahintersteckt: Diejenigen, die Hilfe bräuchten, werden nicht entlastet und diejenigen, die dies bezahlen müssen, werden belastet. Aber uns werfen Sie vor, wir würden die Kommunen belasten, obwohl wir 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Das ist heuchlerisch.

(Beifall des Abg. Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD) – Abg. Maria Eichhorn (CDU/CSU) meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Präsident Wolfgang Thierse:

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD):

Ich bin gleich am Schluss meiner Rede, danach gern.

Die Menschen glauben Ihnen nicht, wenn Sie sagen: Kinder sind unsere Zukunft. Im Abschlussdokument des Weltkindergipfels haben die Kinder gesagt: Ihr sagt immer, wir sind eure Zukunft. Aber wir sind auch eure Gegenwart. Schreibt euch das ins Stammbuch!

Ich denke, das ist heute das Wichtigste.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder (CDU/CSU): Dann macht nicht so viele Schulden!)

– Die haben wir von euch übernommen.

Präsident Wolfgang Thierse:

Frau Kollegin, wollen Sie zum Schluss Ihre Redezeit verlängern, indem Sie in diesem Fall eine Nachfrage zulassen?

Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD):

Gern.

Maria Eichhorn (CDU/CSU):

Frau Kollegin, ich muss etwas richtig stellen; denn offensichtlich haben Sie diesen Gesetzentwurf aus Bayern nicht richtig gelesen.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Sie müssen eine Frage stellen!)

Tatsache ist, dass Bayern gerade im Rahmen des von Ihnen zitierten Gesetzes 313 Millionen Euro zusätzlich aufwenden will. Die dargestellte Kostenneutralität bezieht sich lediglich auf die Berechnung des für die neue kindbezogene Förderung maßgebenden Basiswerts. Dabei geht es also um die Betriebskosten. Nur dies ist kostenneutral und nicht die Auswirkungen des Gesetzes als solche. Bayern gibt 313 Millionen Euro zusätzlich aus. Bitte nehmen Sie das zur Kenntnis!

(Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Das ist schon etwas anderes!)

Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD):

Frau Eichhorn, diese Mehrkosten sind für die Bildung und Fortbildung derer vorgesehen, die unterrichten und für Bildung, Erziehung und Betreuung sorgen, nicht aber für Betreuungsplätze und für Kommunen. Deswegen kann man diese Summe in diesem Zusammenhang vernachlässigen. Wenn Sie den Kommunen nichts geben, dann ist Ihre „intelligente Lösung“ für uns nicht geeignet. Wir spielen gern mit offenen Karten, nicht mit gezinkten Karten.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Maria Flachsbarth, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist eines der brennendsten Probleme unserer Zeit. Dies gilt zum einen vor dem Hintergrund, dass Gleichberechtigung nicht nur auf dem Papier stehen darf, zumal wir gerade den zehnten Jahrestag der Festschreibung der Gleichberechtigung als Staatsziel im Grundgesetz begehen. Nach wie vor ist die tatsächliche Beteiligung von Frauen, zudem von Frauen mit Kindern, bei der Besetzung von Führungspositionen in Politik, Wirtschaft und Forschung noch völlig unzureichend. Zum anderen gibt die demographische Entwicklung Anlass zu ernster Sorge: 52 Prozent der Akademikerinnen und 59 Prozent der Akademiker zwischen 30 und 35 Jahren haben keine eigenen Kinder. Bei einem Vergleich der Geburtenraten durch die Weltbank belegt Deutschland den 185. Platz unter 190 Staaten, obwohl die 14. Shell-Jugendstudie aus dem Jahr 2002 aufzeigt, dass es für eine Mehrheit der Jugendlichen erstrebenswert sei, sowohl erwerbstätig zu sein als auch eigene Kinder zu haben.

Eine in der vergangenen Woche veröffentlichte Umfrage des Allensbach-Institutes belegt, dass bei der Lebensplanung der jungen Menschen in Deutschland heute ein Dreistufenmodell vorherrschend ist. Die erste Phase beinhaltet die Lebens- und Berufsplanung sowie die Ausbildung, die zweite Phase den Einstieg ins Berufsleben; erst die dritte Phase ist die Familienphase. 85 Prozent der Befragten geben an, man solle zunächst die Ausbildung abschließen, danach einige Jahre Berufserfahrung sammeln und sodann Kinder bekommen. Die Familienphase kommt hierbei oft deutlich zu kurz. Das Zeitfenster für eigene Kinder wird immer kleiner und die biologische Uhr ist insbesondere bei uns Frauen oftmals schon weit fortgeschritten.

Die Studie ergab aber zugleich, dass die Frage der Kinderbetreuung trotz ihrer Wichtigkeit nicht allentscheidend ist.

(Zuruf der Abg. Nicolette Kressl (SPD))

– Frau Kollegin, ich danke Ihnen für diese Zwischenfrage. Wir leiden in diesem Hohen Hause nicht an einem Überangebot von Frauen und vor allem nicht an einem Überangebot von Frauen mit Kindern, die noch in der Schule sind bzw. die ganz klein sind.

(Renate Gradistanac (SPD): Es gab gar keine Zwischenfrage!)

Deshalb hat mich meine Fraktion gebeten, in dieser Debatte Stellung zu nehmen. Ich bitte Sie, den parlamentarischen Anstand aufzubringen, anzuhören, was ich Ihnen aus Sicht einer Frau sage, die weiß, was sie dazu zu sagen hat.

(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die von mir eben genannte Studie zeigte im Einzelnen, dass nur für 14 Prozent der kinderlosen Frauen die unzureichenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten der Grund sind, auf eigene Kinder zu verzichten. Zudem gaben 61 Prozent der Eltern an, dass sie das derzeitige Angebot an Kinderbetreuungsmöglichkeiten für ausreichend hielten.

Was sind nun laut Allensbach-Studie die Gründe für eine Kinderlosigkeit? Die Mehrheit gab an, dass man sich für Kinder zu jung fühle, dass Kinder mit den beruflichen Plänen unvereinbar seien und dass Kinder einfach zu teuer seien. Erlauben Sie mir dazu eine persönliche Bemerkung:

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Ihre ganze Rede ist doch sehr persönlich!)

Wir brauchen neben vielen sinnvollen Lenkungsversuchen durch die Politik auch in unserer Gesellschaft wieder eine neue Einstellung zum Kind. Kinder sind nicht nur künftige Beitragszahler in die sozialen Sicherungssysteme. Ich kenne keinen Vater und keine Mutter, die sich aus diesem Grunde zu ihrem Kind entschlossen hätten. Kinder und Jugendliche sind – weit über die materiellen Aspekte hinaus – unsere Zukunft.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Kinder geben dem eigenen Leben eine neue Perspektive, Kinder öffnen die Augen für Fragen, die eigentlich schon längst beantwortet waren, und Kinder stecken mit ihrem Wissensdurst und ihrer Lust auf Zukunft an. Genau dies brauchen wir in unserer Gesellschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Vielleicht stimmen Sie dann unserem Gesetz zu!)

Die Diskussion über den Geburtenrückgang darf daher, wie die Studie zeigt, nicht nur auf das Thema Kinderbetreuung verengt werden. Vielmehr geht es auch um eine wirtschaftliche Besserstellung von Familien im Rahmen des Familienlastenausgleichs. Daher sieht die von uns vorgeschlagene Steuerreform die Einführung eines Grundfreibetrags von 8 000 Euro pro Person – also auch für jedes Kind – vor.

(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie wollen Sie das bezahlen?)

Es geht ferner um die Erleichterung des Wiedereinstiegs von Männern und Frauen in den Beruf durch bessere Teilzeitangebote, flexible Arbeitszeiten oder betriebsspezifische Weiterbildungsangebote. Dazu haben wir einen Antrag vorgelegt.

Kernstück unserer Familienpolitik ist die Wahlfreiheit der Eltern. Wir müssen aufhören, den Eltern vorschreiben zu wollen, wie sie ihr Familienleben zu gestalten haben.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Will doch gar keiner!)

Weder die Vollzeitarbeit von Berufstätigen noch die sich ganz ihrer Familie widmenden Mütter und Väter sollten zum Idealbild erhoben werden. Wir sollten aufhören, die Lebensentscheidung von Eltern mit Ausdrücken wie „Rabenmutter“ oder „Nur-Hausfrau“ oder „Hausmann“ zu diskreditieren.

Aufgabe des Staates ist es, den Eltern möglichst viele Handlungsoptionen für ihre Lebensgestaltung und für die Erziehung ihrer Kinder zu eröffnen. Dabei steht es für uns außer Zweifel, dass Eltern die Erst- und Hauptverantwortung für die Erziehung, Betreuung und Bildung ihrer Kinder haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir wollen keine „Lufthoheit des Staates über den Kinderbetten“, sondern wir sehen den Staat in der Pflicht, Eltern zu beraten und bedarfsgerechte und bezahlbare Angebote in der Kinderbetreuung zu bieten.

Die Kinderbetreuung darf nicht eine bloße Verwahrung von Kindern sein. Zahlreiche Studien wie TIMSS, PISA und IGLU sowie neue Erkenntnisse der Erziehungswissenschaften, der Hirnforschung und der Lernpsychologie belegen die große Bedeutung früher Lern- und Bildungsprozesse. Deshalb haben wir in unserem Antrag, der Ihnen vorliegt, dazu aufgefordert, eine Gesamtstrategie vorzulegen, die die Bereiche Bildung und Erziehung stärker verzahnt, Kinder früher und intensiver fördert und fordert.

Die B-Länder kommen dieser Aufforderung nach. Unter dem Motto „Auf den Anfang kommt es an“ erarbeitet zum Beispiel Niedersachsen derzeit einen Orientierungsplan für Bildung und Erziehung im Elementarbereich für spielerisches Lernen und lernendes Spielen. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Förderung der Sprachkompetenz. Niedersachsen hat die Vorreiterrolle bei der Sprachförderung ausländischer Kinder übernommen.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Darum sind dort die Integrationsmittel so gestrichen worden, oder was?)

Das Land fördert mit fast 8 Millionen Euro die Sprachförderung in Kindertagesstätten mit hohem Migrantenanteil.

Besonders geeignet für die Betreuung von Kleinkindern ist nach unserer Auffassung die Tagespflege. Sie kommt der familiären Betreuung am nächsten. Es gibt konstante Betreuungspersonen und individuelle Gestaltungsmöglichkeiten für die Eltern. Wir haben unsere konkreten Vorstellungen dazu ebenfalls in einem eigenen Antrag vorgelegt. Bayern hat als unionsgeführtes Bundesland ein Modellprojekt mit Tagespflegestützpunkten aufgelegt.

Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, wir sind inhaltlich eigentlich gar nicht so weit auseinander, sondern eher nahe beisammen, aber wir können Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen, weil wir auf gar keinen Fall die völlig unseriöse Finanzierung akzeptieren können. Das ist bereits mehrfach gesagt worden. Sie versprechen eine Entlastung in Höhe von 2,5 Milliarden Euro, davon sollen 1,5 Milliarden Euro in den Ausbau der Kinderbetreuung fließen. Nach übereinstimmenden Schätzungen der kommunalen Spitzenverbände und der Konferenz der Landesjugendminister ist die Summe von 1,5 Milliarden Euro völlig unzureichend. Das hat auch die Anhörung im Ausschuss gezeigt.

(Nicolette Kressl (SPD): Nein! – Christel Humme (SPD): Nein! Sie waren nicht da!)

– Ich kann aber lesen. – Die Revisionsklausel, die Sie mehrfach genannt haben, gilt ausdrücklich nicht für den Bereich Kinderbetreuung. Selbst das SPD-regierte Schleswig-Holstein hat gemeinsam mit NRW in seinem Antrag im Bundesrat die fehlende verlässliche Finanzierung kritisiert und betont, dass Länder und Kommunen angesichts der angespannten Haushaltslage keine weiteren Mehrbelastungen verkraften könnten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Was wir unseren Kindern nun wirklich nicht weiter antun dürfen, sind noch größere Schuldenberge für die Steuerzahler von Morgen. Ein solches Vorgehen ist überhaupt nicht nachhaltig, es ist in keinem Fall generationengerecht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn Sie schon unseren Warnungen keinen Glauben schenken, dann setzen Sie sich doch mit den Bedenken der SPD-geführten Bundesländer auseinander, damit Kinderbetreuung nicht ausschließlich eine Sache für Reiche wird. So ist es beispielsweise in Berlin, wo ein Kita-Platz schon bis zu 460 Euro kostet und die Gefahr besteht, dass Eltern aus Kostengründen ihre Kinder aus der Betreuung abmelden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Damit allerdings stünde die Regierung vor einem wirklichen Fiasko. Ein solches Verfahren auf dem Rücken der Familien auszutragen ist schlechterdings ein Skandal.

Insgesamt stellt der vorliegende Gesetzentwurf keine seriöse Basis für eine Verbesserung der Kinderbetreuung in Deutschland dar. Die Chance hierfür wurde vertan. Wir können dem Gesetzentwurf daher nicht zustimmen und werden uns aufgrund der Vielzahl gemeinsamer Ziele und respektabler Handlungsansätze – wenn man von der Finanzierung absieht – bei der Abstimmung enthalten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort der Kollegin Christel Humme, SPD-Fraktion.

Christel Humme (SPD):

Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Kolleginnen! Wer die heutige Debatte verfolgt hat, muss eigentlich ratlos sein und feststellen, dass Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, auf keinen Fall in der Lage sind, die Zukunftsaufgaben unseres Landes zu lösen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sind offensichtlich nicht regierungsfähig; denn klar Farbe zu bekennen ist nicht Ihre Stärke. Bei Hartz IV haben Sie sich in die Büsche geschlagen und jetzt, beim Ausbau der Tagesbetreuung, schlagen Sie sich ebenfalls in die Büsche. Bei der Gesundheitsreform schlagen Sie sich die Köpfe ein. Ich denke, das ist keine zukunftsweisende Politik.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, wir handeln und geben die richtigen Antworten für mehr Bildung und Betreuung von Anfang an – das haben wir heute gehört –, für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Herr Götz, das alles ist solide finanziert. Ich freue mich auf das Ende des Monats. Dann nämlich wird eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung – sicherlich nicht SPD-nah – veröffentlicht. Dort wird belegt, dass Investitionen in den Ausbau der Kinderbetreuung Gewinn für die Kommunen bringen. Jeder Cent, den die Kommune investiert, wird drei- bis viermal zurückkommen.

(Beifall bei der SPD – Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Das ist ja prima!)

Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen von der Opposition, an anderer Stelle engagieren Sie sich zum Beispiel stark für einen flexiblen Ladenschluss. Ihre Devise lautet: Einkaufen am besten rund um die Uhr.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Aber was sagen Sie den Frauen und Männern, die während ihrer Arbeitszeit verlässliche Kinderbetreuung brauchen?

(Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Wir fordern das!)

Ist etwa die von der baden-württembergischen CDU-geführten Landesregierung in Auftrag gegebene Umfrage Ihre Antwort darauf? Frau Eichhorn und auch Frau Flachsbarth, Sie haben diese Studie zitiert. Dort wird suggeriert, Eltern bräuchten persönliche, berufliche und finanzielle Sicherheit, um sich für ein Kind zu entscheiden. Betreuung spielt dort kaum eine Rolle. Ich sage Ihnen: Genau umgekehrt wird ein Schuh daraus. Erst wenn die Betreuung gesichert ist, bedeutet das berufliche und daraus folgend finanzielle Sicherheit für die Familien.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Maria Eichhorn (CDU/CSU): Wir brauchen finanzielle Sicherheit und Betreuung! – Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Und berufliche Weiterbildung und Teilzeit!)

Ich glaube, dass Sie eine solche Umfrage benutzen, um Ihr eigentliches Ziel, nämlich die Betreuungsangebote nicht auszubauen, zu verstecken.

(Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Das ist doch nicht wahr!)

Was eindeutig fehlt – das haben wir heute von allen Seiten gehört –, sind familienfreundliche Strukturen vor Ort. Da könnten wir in der Tat, Herr Götz, schon viel weiter sein; denn das KJHG schreibt seit 1991 vor, dass Kommunen zum bedarfsgerechten Ausbau verpflichtet sind. In Westdeutschland hat sich da – das wissen wir und das haben wir heute Morgen gehört – leider viel zu wenig getan. Im Interesse der Kinder und jungen Familien müssen wir und werden wir daher handeln. Das ist der eigentliche Grund, warum wir das TAG geteilt haben. Der Beratungsbedarf, den wir bei der Jugendhilfe haben, darf nicht zu einer Verzögerung des Ausbaus des Betreuungsangebotes führen. Ich habe kein Verständnis dafür, meine Kollegen und Kolleginnen von der Opposition, wenn Sie das als ein unseriöses parlamentarisches Verfahren bezeichnen. Wir haben das Bundesverfassungsgericht voll auf unserer Seite;

(Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Es war eine Nacht-und-Nebel-Aktion, hat das Bundesverfassungsgericht gesagt!)

denn im Falle des Lebenspartnerschaftsgesetzes hat das Bundesverfassungsgericht die Trennung ausdrücklich begrüßt und festgestellt – hören Sie an dieser Stelle genau zu –: Der Bundesgesetzgeber soll Gesetze trennen, wenn er Regelungen in eigener Zuständigkeit umsetzen kann und ansonsten befürchten muss, dass aufgrund einer Blockade im Bundesrat nichts passiert. Ich denke, wir haben hier die richtige Entscheidung getroffen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben bisher nur Widersprüchliches von sich gegeben. Herr Kauder sagt: ablehnen.

(Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Nein, nicht zustimmen, hat er gesagt!)

Frau Böhmer sagt: Enthaltung, aber eigentlich doch Zustimmung.

(Kerstin Griese (SPD): Die wollen echt gern zustimmen, dürfen aber nicht!)

Glauben Sie denn wirklich, meine Kollegen und Kolleginnen von der Opposition, dass Ihre Politik von den jungen Menschen noch verstanden wird? – Mit Sicherheit nicht. Die jungen Männer und Frauen wollen Lösungen sehen und wissen, dass sie von Ihnen, der CDU/CSU, nichts erhalten. Im Gegenteil. Von Ihnen, Frau Eichhorn, hören wir wirre Vorwürfe, von Ihnen, Frau Flachsbarth, „Nacht-und-Nebel-Aktion“, von Ihnen, Herr Götz, „unseriöse Trickserei“. Wiederholt unterstellen Sie unseriöse Kostenrechnung.

(Peter Götz (CDU/CSU): Das ist leider so!)

Gebetsmühlenartig kritisieren Sie die Finanzierung, obwohl Sie es besser wissen müssten.

Ich sage Ihnen: Der Ausbau der Betreuungsangebote kann nicht länger warten. Tragen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, unser Projekt mit und schlagen Sie sich an dieser Stelle nicht wieder in die Büsche!

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile der Kollegin Gesine Lötzsch das Wort.

Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste, ich bin Abgeordnete der PDS.

Frau Ministerin Schmidt möchte die Länder und Kommunen im Westen der Bundesrepublik dazu bewegen, mehr Krippenplätze für Kinder unter drei Jahren anzubieten. Das ist gut und richtig. Denn alle, wirklich alle Bundesregierungen haben die Kinderbetreuung in den letzten 55 Jahren sträflich vernachlässigt. Ein Frauenbild, das von den drei K – Kirche, Küche, Kinder – geprägt war, trug zu dieser Situation bei.

Seit 1990 steht die Bundesrepublik etwas besser da, da es im Osten eine sehr gute Ausstattung mit Krippen- und Kindergartenplätzen gab und gibt. Das soll auch so bleiben. Meine Heimatstadt, das rot-rot regierte Berlin, kann in diesem Jahr fast jedem zweiten Kind unter drei Jahren einen Krippenplatz anbieten. Das ist in Anbetracht der katastrophalen Finanzlage der Stadt Berlin eine wirklich bemerkenswerte Leistung.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

Schade ist allerdings, dass die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf hinter ihrer eigenen Koalitionsvereinbarung zurückbleibt. Sie hatten sich doch eigentlich vorgenommen, Quoten hinsichtlich der Versorgung mit Krippenplätzen gesetzlich zu fixieren. Jetzt verzichten Sie darauf, weil Versorgungsquoten angeblich den unterschiedlichen regionalen Verhältnissen nicht gerecht werden. Wir finden es schade, dass Sie sich nicht für Versorgungsquoten entschlossen haben.

Ebenso hätten wir höhere Erwartungen gehabt, was die Qualität der Bildungsangebote betrifft. So wurde zum Beispiel in Berlin ein Bildungsprogramm für Kindergärten entwickelt, das durch eine Qualitätsentwicklungsvereinbarung mit den freien Trägern in allen Berliner Kindergärten verbindlich eingeführt werden soll. Dieses Programm, das bundesweit Anerkennung findet, legt einen besonderen Schwerpunkt auf die so bitter nötige Sprachförderung.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

Meine Damen und Herren, der Bundesrat wollte diesen Gesetzentwurf ablehnen. Daraufhin haben Sie ihn geteilt und den zustimmungspflichtigen Teil zurückgestellt. Das ist zwar keine besonders elegante, aus unserer Sicht aber eine akzeptable Lösung, um ein vernünftiges Ziel zu erreichen. Allerdings hatten Sie, Frau Ministerin, dem Bundesrat wirklich eine Steilvorlage für eine Ablehnung geliefert. Denn Sie forderten in Ihrem Gesetzentwurf, dass die Finanzierung der fehlenden Krippenplätze aus den Einsparungen erbracht werden soll, die sich aus der Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe ergeben.

Auf einen solchen Kuhhandel kann man sich, glaube ich, nicht einlassen. Wer weiß denn, ob aus der Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe wirklich 2,5 Milliarden Euro jährlich in die Kassen der Länder fließen werden? Ich erinnere mich noch gut an die Einnahmeerwartungen, die mit der Erhöhung der Tabaksteuer verbunden waren: Diese Gelder hatte man bei der Gesundheitsreform vereinnahmt; die Erwartungen sind bekanntlich in blauem Dunst aufgegangen.

Darüber hinaus riecht die Verknüpfung von Krippenplätzen und Hartz IV nach Wahlkampf. So entstand der fatale Eindruck, dass es Ihnen nicht nur um die Schaffung von Krippenplätzen, was ein gutes und richtiges Ziel ist, ging, sondern auch darum, die CDU/CSU als kinderunfreundlich vorzuführen. Mit diesem Verkettungskonzept sind Sie schon bei der Eigenheimzulage gescheitert. Hier wollten Sie das eingesparte Geld in die Forschung stecken.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Eine super Koalition!)

– Bleiben Sie doch ruhig und warten Sie auf das Ende meiner Rede, Herr Schmidt.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Ich bin immer ruhig!)

Wenn wir als PDS Vorschläge machen, zum Beispiel die Friedensdividende für die Bildung zu nutzen, dann erklären Sie uns gerne und oft, dass solche Verknüpfungen haushaltstechnisch nicht möglich seien und dass unser Vorschlag ohnehin populistisch sei. Ich würde vorschlagen, meine Damen und Herren von Rot-Grün: Messen wir mit gleicher Elle. Unterstützen Sie unseren Vorschlag, das Geld, das zum Beispiel für die nicht flugtauglichen Eurofighter bereitgestellt wird, lieber in die Bildung unserer Kinder zu stecken. Die Eurofighter sind bekanntlich nicht einsatztauglich. Sie sind vielleicht gerade noch gut genug, um terroristische Schläfer aus dem Schlaf zu schrecken. Dafür sind diese Geräte allerdings wirklich zu teuer.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

Das Geld wäre, wenn wir es in Bildung investierten, wesentlich besser angelegt.

Meine Damen und Herren, trotz unserer Kritik werden wir diesem Gesetzentwurf unsere Zustimmung nicht verweigern und Ja sagen. Diese Zustimmung verbinde ich allerdings mit der Hoffnung, dass die Regierungsfraktionen bald unsere Konversions- bzw. Abrüstungsvorschläge aufgreifen werden.

Vielen Dank.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Ingrid Fischbach, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ingrid Fischbach (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Wenn man als Letzte in einer so enorm langen Liste von Rednern das Wort bekommt, hat man einen Vorteil: Man hat alle Reden gehört. Ich hätte mich gefreut, jetzt sagen zu können: Es ist alles gesagt worden.

(Peter Dreßen (SPD): Aber nicht von mir!)

– Dumme Zwischenrufe kommen von Ihnen immer, Herr Kollege Dreßen; das weiß ich, damit kann ich leben. Wenn wir in Ihren Redebeiträgen wenigstens hören würden, welche Antworten Sie geben, wenn es um die notwendigen Bedürfnisse, die Familien heute haben, die Frauen heute haben, geht, dann würde ich es noch verstehen. Aber wir haben keine Antworten gehört.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Dann waren Sie irgendwie nicht ganz präsent!)

Sie haben leider – das macht mich betroffen – in allen Ihren Redebeiträgen nur versucht, schwarz-weiß zu malen. Frau Humme, wie oft haben allein Sie gesagt, wir hätten uns in die Büsche geschlagen! Ich muss es verpasst haben, als Sie sagten, wann wir wieder herausgekommen sein sollen.

(Christel Humme (SPD): Sie sind ja immer noch drin!)

– Geht doch nicht: Ich kann doch nur einmal hineinspringen, ohne wieder herauszukommen. Sie versuchen eine Aufteilung in Gut und Böse: Die einen sind für Kinderbetreuung, die anderen sind dagegen. Das ist absolut falsch.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Die familien- und kinderfreundlichen Entscheidungen bisher sind unter der CDU/CSU/FDP-Regierung eingeführt worden. Das können Sie drehen und wenden, wie Sie wollen; Sie können es abstreiten, aber es ist so. Wir haben diese Politik nicht kontinuierlich fortgeschrieben, da gebe ich Ihnen Recht. Aber die gute gesetzliche Grundlage etwa für den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz geht auf uns zurück, nicht auf Sie.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Frau Ministerin, ich hätte mich gefreut, wenn wir uns wirklich einmal in der Sache auseinander gesetzt und geschaut hätten, wo wir zusammenkommen, wo wir den Problemen der Frauen und der Familien gerecht werden und uns zusammenfinden können; denn das wäre wichtig gewesen. Die Leute draußen, die Zuschauer und Zuhörer in diesem Raum wollen nicht hören, was Sie uns vorwerfen und was wir Ihnen vorwerfen. Sie wollen wissen, welche Vorteile ihnen das bringt, die wollen Lösungen sehen.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Sehr gut, darum machen wir ja das Gesetz!)

– Dann gehe ich jetzt im Folgenden einmal auf eine Ihrer angeblichen Lösungen ein.

Sie sagen: Wir streben – das ist heute mein Hauptthema – einen Ausbau der Tagesbetreuung für Kinder an. Frau Humme, ich weiß nicht, wie Sie durchs Leben laufen, durch Ihren Wahlkreis, aber wie stellen Sie sich denn die Realisierung des Ausbaus und die Weiterentwicklung der Tagespflege ohne finanzielle Grundlagen vor?

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Christel Humme (SPD): Hat keiner gesagt! – Zuruf von der SPD: Das ist schwarz-weiß!)

Mein Wahlkreis liegt in einer Kommune, in der man schon ziemlich weit ist, aber trotzdem brauchen wir zur Akquirierung, zur Begleitung und zur Ausbildung der Tagesmütter und zur Weiterentwicklung der Tagespflege finanzielle Grundlagen. Die sind nötig. Deswegen ist es unseriös, so zu tun, als würden wir nur auf die Finanzen schauen. Es ist unseriös, den Leuten etwas zu versprechen, was gar nicht finanziert ist; das muss man ehrlich sagen können.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Es besteht doch allseits Konsens darüber, dass die frühkindliche Förderung wichtig ist; darüber sind wir uns einig. Wir wissen auch, dass wir mehr Betreuungsangebote brauchen; darüber sind wir uns ebenfalls einig. Denn es nützt nichts, den Eltern ein paar Mark mehr zu geben, wenn entsprechende Angebote nicht vorhanden sind. Genauso nützt es nichts, Frau Ministerin, zu sagen, man wolle jetzt Infrastrukturangebote schaffen, wenn man diese nicht bezahlen kann; das ist genauso unseriös.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das weiß sie auch ganz genau!)

Deswegen gehört beides zusammen: die Finanzen und die Angebote. Das müssen wir hier ganz deutlich artikulieren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wenn wir den Schwerpunkt auf Tagesmütter setzen, darf ich an dieser Stelle auch ganz deutlich sagen: Tagesmütter sind nicht zum Nulltarif zu haben. Tagesmütter leisten eine ganz wichtige Aufgabe im Rahmen der Betreuung, Erziehung und Bildung von Kindern. Diese drei Dinge gehören zusammen. Es geht nicht um das reine Verwahren, es geht darum, Kinder zu bilden, sie zu erziehen, sie sich zu gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten entwickeln zu lassen.

Da klaffen in Ihrem Gesetz, Frau Ministerin, Anspruch und Wirklichkeit leider auseinander.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)

Sie wollen mit Ihrem Gesetz die Ausbildung von Tagesmüttern fördern. Dafür bedarf es aber natürlich entsprechender Angebote. Das heißt, das, was Sie zu den Tageseinrichtungen schreiben, § 22 a – „Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen die Qualität der Förderung in ihren Einrichtungen durch geeignete Maßnahmen sicherstellen und weiterentwickeln.“ –,

müsste auch für die Kindertagespflege, § 23, gelten.

Hier sagen Sie über die Tagespflegepersonen aber nur – ich zitiere jetzt Ihren Gesetzentwurf –:

Sie sollen über vertiefte Kenntnisse hinsichtlich der Anforderungen der Kindertagespflege verfügen, die sie in qualifizierten Lehrgängen erworben oder in anderer Weise nachgewiesen haben.

   Was heißt denn „vertiefte Kenntnisse“? Das kann alles und nichts heißen. Wenn man die Ausbildung wirklich verbessern will, dann braucht man Standards, dann muss man über Qualität, Angebote und Geeignetheit reden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Die Tagespflege kann nur dann gleichwertig sein, wenn dort auch Standards ähnlich denen der öffentlichen Einrichtungen eingeführt werden. Die Tagespflege ist – ich sage es zum zweiten Mal – keine Billigversion des Kinderbetreuungsangebots.

(Rita Streb-Hesse (SPD): Deshalb verbessern wir sie doch auch!)

– Frau Streb-Hesse, davon steht doch nichts drin.

(Rita Streb-Hesse (SPD): Doch! Rentenversicherung! Unfallversicherung)

– Sie werden doch gar nicht konkret. „Vertiefte Kenntnisse“ – das kann alles und nichts heißen. Werden Sie doch konkret!

   Ich gehe auf den nächsten Punkt ein, bei dem Sie nicht konkret werden, nämlich auf die Sozialversicherungs- und Steuerpflicht. Sie kennen die unterschiedliche Behandlung der Tagesmütter, die davon abhängig ist, ob sie im öffentlichen Auftrag oder privat arbeiten. Wo ist denn hier Ihr Angebot? Wo gehen Sie denn auf die Bedürfnisse der arbeitenden Tagesmütter vor Ort ein? Dies wird unterschiedlich gehandhabt. Die Tagesmütter sind nicht alle sozialversicherungspflichtig. Sie können doch nicht von einem gleichwertigen Angebot sprechen und gleichzeitig sagen: Das interessiert uns nicht, das sollen die klären, die es tun, das ist nicht unsere Aufgabe. – Hier muss Tacheles geredet werden. Das Problem muss gelöst werden. Hier erwarte ich von Ihnen detaillierte Lösungen für die Probleme, die es vor Ort gibt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Frau Ministerin, es reicht nicht, dass Sie sagen, bei der Unfallversicherung werde ein bestimmter Betrag erstattet. Sie wissen doch, dass man heute mit einem Jahresbeitrag von 75 Euro dabei ist. Die Übernahme dieser Kosten nützt wenig.

   Wenn wir wollen, dass Frauen die Tagespflege nicht nur in Anspruch nehmen, um die Familie und ihre Erwerbsarbeit besser vereinbaren zu können, sondern dass sie dies auch als Berufsangebot ansehen, dann müssen wir natürlich auch dafür sorgen, dass ihre Altersversorgung gesichert wird. Hier müssen wir wirklich Antworten auf die Fragen vor Ort finden.

   Sie haben davon angesprochen, dass von den Vorsorgebeiträgen für die Rente, die die Tagesmütter privat zahlen, die Hälfte erstattet wird. Das ist ein richtiger Schritt, er reicht aber nicht aus. In den Ausschusssitzungen hätte ich mir eine intensive Diskussion über diese Sachfragen gewünscht. Stattdessen wurde nur gesagt, dass die einen was wollen und die anderen nicht. Es ist ganz wichtig: Wir beide wollen qualifizierte und ergänzende Angebote.

(Christel Humme (SPD): Dann stimmen Sie dem Gesetz doch zu!)

– Frau Humme, ich gehe jetzt auf Ihren Zuruf, dass wir doch zustimmen sollen, ein. Vielleicht unterscheiden wir beide uns in der Auffassung darüber, wie wir hier Politik machen und mit welcher Verantwortung wir politische Entscheidungen nach außen hin zu vertreten haben. Ich unterschreibe keine Gesetzesvorlage, von der ich weiß, dass deren Umsetzung schon jetzt gefährdet ist.

   Frau Humme, lassen Sie uns jetzt doch einmal über Nordrhein-Westfalen reden. Sie haben im Ausschuss doch selbst schon vor Wochen mitbekommen, dass unser beider Bundesland bezüglich der Herunterbrechung der Finanzen, das heißt bei der Weitergabe des Geldes an die Kommunen, im Moment ganz anders argumentiert als früher. Nur dadurch, dass wir beide wach waren und uns in die Gespräche eingemischt haben – ich habe gehört, dass Sie das genauso wie ich getan haben –, überlegen die Länder, wie sie das Geld an die Kommunen weitergeben.

   Ich kann dem Kollegen Götz wirklich nur Recht geben: Es kann nicht sein, dass wir Gesetze verabschieden und den Kommunen sagen, dass sie zusehen sollen, wie sie umgesetzt werden. Das geht nicht. Sie wissen, dass das eine Totgeburt ist. Frau Ministerin, Sie wollen das nicht und die CDU/CSU-Fraktion will das auch nicht. Wir wollen Lösungen und Angebote für die Menschen. Diese müssen seriös finanziert sein. Das sind sie nicht. Deswegen können und werden wir nicht zustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Frau Lenke hat es Ihnen bei dem qualifizierten Antrag der FDP zur Tagespflege angeboten und wir bieten es Ihnen auch an: Sie dürfen ruhig aus unseren Vorlagen abkupfern. Schreiben Sie ab, übernehmen Sie unsere Vorschläge! Sie tun Ihnen gut. Wir werden keine Plagiatsklage einreichen. Wir würden uns freuen und wären zufrieden, wenn Sie das anwenden würden; denn bereits Neil Postman sagte:

Kinder sind die lebenden Botschaften, die wir einer Zeit übermitteln, an der wir selbst nicht mehr teilhaben werden.

   Lassen Sie uns die bestmöglichen Botschaften übermitteln! Tun Sie es für uns, unsere Kinder und die Zukunft unserer Kinder! Dann haben Sie uns im Boot.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Ich schließe die Aussprache.

   Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Tagesbetreuungsausbaugesetzes, Drucksachen 15/3676 und 15/3986. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/4045, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung mit der neuen Überschrift „Entwurf eines Gesetzes zum qualitätsorientierten und bedarfsgerechten Ausbau der Tagesbetreuung für Kinder“ anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der beiden fraktionslosen Abgeordneten bei Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen angenommen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/4063. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion und Enthaltung der FDP-Fraktion abgelehnt.

   Wir setzen die Abstimmungen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 15/4045 fort. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss den übrigen, heute nicht abgestimmten Teil des Gesetzentwurfs einer späteren Beschlussfassung vorzubehalten. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU-Fraktion und FDP-Fraktion angenommen.

   Tagesordnungspunkt 3 b: Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/3488 mit dem Titel „Elternhaus, Bildung und Betreuung verzahnen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.

   Unter Nr. 4 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/3512 mit dem Titel „Solides Finanzierungskonzept für den Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten für unter Dreijährige“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU-Fraktion und FDP-Fraktion angenommen.

   Tagesordnungspunkt 3 c: Wir kommen nun zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 15/3036. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/2580 mit dem Titel „Ausbau von Förderungsangeboten für Kinder in vielfältigen Formen als zentraler Beitrag öffentlicher Mitverantwortung für die Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern“.

Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion angenommen.

   Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/2651 mit dem Titel „Ausbau und Förderung der Tagespflege als Form der Kinderbetreuung in der Bundesrepublik Deutschland“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.

   Weiterhin empfiehlt der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3036 die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/1590 mit dem Titel „Tagespflege als Baustein zum bedarfsgerechten Kinderbetreuungsangebot – Bessere Rahmenbedingungen für Tagesmütter und -väter, Eltern und Kinder“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion bei Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion angenommen.

   Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/2697 mit dem Titel „Faire Chancen für jedes Kind – Für eine bessere Bildung, Erziehung und Betreuung von Anfang an“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion bei Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion angenommen.

   Tagesordnungspunkt 3 d: Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 15/3035 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Frauen und Männer beim Wiedereinstieg in den Beruf fördern“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/1983 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion angenommen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b sowie Zusatzpunkt 6 auf:

4. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Wolfgang Schäuble, Dr. Friedbert Pflüger, Peter Hintze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Für ein glaubwürdiges Angebot der EU an die Türkei

– Drucksache 15/3949 –

Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss (f)InnenausschussRechtsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Die Türkeipolitik der EU verlässlich fortführen und den Weg für Beitrittsverhandlungen mit der Türkei frei machen

– Drucksache 15/4031 –

ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Wolfgang Gerhardt, Dr. Guido Westerwelle, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Zu der Empfehlung der EU-Kommission über Beitrittsverhandlungen der Europäischen Union mit der Türkei

– Drucksache 15/4064 –

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 75 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Dr. Wolfgang Schäuble von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gegenstand unserer heutigen Debatte ist in erster Linie eigentlich nicht die Türkei, sondern die Europäische Union oder genauer die Vorstellung, die wir mit der politischen Einigung Europas verbinden. Die europäische Einigung befindet sich in einer schwierigen Phase. Das Ringen um die institutionelle Vertiefung, die Erweiterung auf 25 Mitgliedstaaten, der Bruch des beim Start der europäischen Währung gegebenen Stabilitätsversprechens, die tief greifenden Meinungsunterschiede in zentralen außen- und sicherheitspolitischen Fragen – dies alles und vieles mehr hat die Einstellung weiter Teile der Bevölkerung in den meisten Mitgliedstaaten zur europäischen Integration nicht eben gestärkt. Ich fürchte, dass auch die Auseinandersetzungen um die Bestätigung der Kommission im Europäischen Parlament in diesen Tagen daran wohl nichts verbessern werden.

   Das europäische Einigungswerk bleibt aber auf die Zustimmung der Bevölkerung angewiesen. Wenn die Europäische Union eine handlungsfähige politische Einheit werden soll, dann geht das nicht ohne das Vertrauen der Menschen. Sie müssen sich dieser neuen, allmählich entstehenden Einheit anvertrauen. Das setzt ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und der Zugehörigkeit zu Europa voraus, eine europäische Identität.

(Michael Glos (CDU/CSU): Sehr wahr!)

Europäische Identität entsteht aus Gemeinsamkeit in Geschichte und Kultur wie auch aus gemeinsamer Verantwortung in einer Welt der Globalisierung. Wer das vernachlässigt, der gefährdet die Vision eines politisch geeinten und handlungsfähigen Europas.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Huber, hat vor kurzem darauf hingewiesen, dass ein Europa, bei dem die Erweiterung so eindeutig den Vorrang vor der Vertiefung bekomme und bei dem die Frage nach dem Verhältnis von kulturellen Orientierungen zu politischen Mechanismen nicht mehr gestellt werde, die Menschen nicht erreichen könne.

   Die Türkei ist seit langem verlässlicher Partner des Westens und sie ist mit Europa eng verbunden. Die Mitbürger türkischer Abstammung in unserem Land sind zu einem großen Teil gut integriert und sie bereichern uns vielfältig. Die Türkei hat große Fortschritte in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht, als demokratischer Rechtsstaat und in der Wahrung der Menschenrechte gemacht. Auch wenn vor allem beim Schutz der Minderheiten noch nicht alle Probleme gelöst sind, sollten wir die erreichten Fortschritte und die Ernsthaftigkeit der Bemühungen nicht in Zweifel ziehen.

   Zutreffend ist auch, dass die Türkei seit den 60er-Jahren nach der Mitgliedschaft in den Europäischen Gemeinschaften strebt und dass solchen Erwartungen vonseiten Europas nicht wirklich widersprochen wurde. Es wurde aber auch immer gesagt, dass es keinen Automatismus gebe, dass also die endgültige Entscheidung offen bleibe. Auch jetzt übrigens werden unterschiedliche Botschaften ausgesandt. In die Türkei wird vermittelt, dass beim Europäischen Rat im Dezember die endgültige Entscheidung falle, auch wenn es bis zum Vollzug noch dauern werde,

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Verhandlungen beginnen!)

wenn man nicht schon die Empfehlung der Kommission als die eigentliche Entscheidung ausgegeben hat. Aber genau dieser Kommissionsbericht legt dar, dass es sich gerade nicht um Beitrittsverhandlungen in der bisherigen Routine handeln könne, dass viele Fragen offen und Probleme noch nicht gelöst seien und dass das Ergebnis der Verhandlungen offen bleiben müsse.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Klaus Hänsch, Sozialdemokrat und vor wenigen Jahren allseits geschätzter Präsident des Europäischen Parlaments, hat Ende August in einem Vortrag in Schloss Neuhardenberg ausgeführt:

Die Fähigkeit der Union, neue Mitglieder aufzunehmen, dabei jedoch die Stoßkraft der europäischen Integration zu erhalten, stellt … einen sowohl für die Union als auch für die Beitrittskandidaten wichtigen Gesichtspunkt dar, hat der Europäische Rat 1993 in Kopenhagen festgelegt. Dieses Kriterium hat 1997 beim Beschluss über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit den mittel- und osteuropäischen Staaten noch eine Rolle gespielt. Aus den Beschlüssen der Regierungschefs 1999 und 2002 zur Türkei ist es jedoch verschwunden. Das ist ein Fehler.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Wir sollten diesen Fehler nicht fortsetzen,

(Michael Glos (CDU/CSU): Sehr wahr!)

nämlich den Fehler, in der Türkei den Eindruck aufrechtzuerhalten, dass die Frage einer EU-Mitgliedschaft nur in der Türkei zu entscheiden sei, als ob es nicht auch auf die Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union selbst entscheidend ankäme.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Man sollte das übrigens auch in Frankreich bedenken. Die französische Bevölkerung äußert sich mit noch viel größerer Mehrheit als die deutsche gegen eine Mitgliedschaft der Türkei. In der französischen Nationalversammlung plädieren Regierung wie Opposition für unser Modell einer privilegierten Partnerschaft. Der Präsident der Französischen Republik hat angekündigt, dass er der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zustimmen werde, dass aber am Ende der Verhandlungen eine Volksabstimmung in Frankreich über eine Mitgliedschaft der Türkei entscheiden werde. Ob es für die Türkei wirklich besser sein wird, wenn nach weiteren zehn, 15 Jahren ein Verhandlungsergebnis plötzlich abgelehnt würde?

(Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): Sehr wahr!)

Wäre dann nicht die Gefahr eines Bruchs viel größer, den zu vermeiden im Interesse der Türkei genauso wie im Interesse Europas liegt?

(Beifall bei der CDU/CSU – Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber Sie wollen den gerade jetzt!)

– Frau Kollegin Sager, ich finde, wir schulden der Türkei Offenheit. Dies heißt, dass wir unsere Überzeugung nicht verschweigen, dass eine privilegierte Partnerschaft die richtige Lösung ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Denn eine solche Partnerschaft gefährdet nicht die Chancen einer politischen Einheit durch Überdehnung der Grenzen und ermöglicht zugleich eine enge Verbindung der Türkei mit Europa. Das ist unsere Überzeugung. Auch darüber muss verhandelt werden, nicht nur über den Wunsch der Türkei nach voller Mitgliedschaft.

   Natürlich gehört die Türkei zu einem Teil zu Europa, aber zu einem weitaus größeren Teil eindeutig nicht. Europa reicht nicht bis an die Grenzen des Irans oder des Iraks. Keiner von uns würde sich dort in Europa fühlen. Auch die Menschen in diesem Teil der Türkei glauben selbst nicht, dass sie in Europa sind. Russland gehört übrigens zu einem größeren Teil zu Europa und gewiss in einem größeren Maße zur europäischen Geschichte. Dennoch ist wohl eine Europäische Union, die bis Wladiwostok reicht, als gelingende politische Einheit nicht vorstellbar. Ich denke, die Antwort, die wir heute für die Türkei finden, muss auch halten, wenn eines Tages Russland einen entsprechenden Wunsch äußern sollte.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb müssen wir für Staaten, die nur teilweise zu Europa gehören und teilweise eben nicht, andere Lösungen einer institutionellen Verbindung mit Europa finden als die volle Mitgliedschaft.

   Das so oft angeführte Argument der Brücke, die die Türkei zwischen Europa und der islamischen Welt bilden soll, spricht ebenfalls für eine privilegierte Partnerschaft. Eine Brücke gehört eben nicht nur zu einem Ufer. Wer auf die Wirkung der Türkei in der islamischen Welt als Vorbild auf dem Weg zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, zur Achtung der Menschenrechte, zum Aufbau von Zivilgesellschaften und dergleichen mehr setzen möchte, sollte einmal darüber überlegen, ob durch eine Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union eine solche Wirkung in der islamischen Welt nicht eher geschwächt als gefördert wird; denn wenn die Türkei Teil Europas ist, wird sie in der islamischen Welt weniger als Vorbild angesehen werden, als wenn sie es nicht ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Im Übrigen muss man bei diesem Argument zwischendurch daran erinnern, dass die Türkei dies alles – Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Achtung von Menschenrechten, Aufbau von Zivilgesellschaften – im wohlverstandenen Eigeninteresse leistet und eben nicht nur, um sich die Mitgliedschaft in der Europäischen Union zu verdienen. Das gilt genauso für alle anderen Staaten, auch in der islamischen Welt: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, Aufbau von Zivilgesellschaften sind aus Eigeninteresse richtig und nicht nur, um dadurch Mitglied in der Europäischen Union werden zu können.

   Übrigens, wenn auch die anderen Staaten der islamischen Welt dem Vorbild der Türkei folgten, könnten sie deswegen wohl nicht Mitglied der Europäischen Union werden. Die Argumente sollten also ein bisschen genauer auf ihren logischen Gehalt überprüft werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Nun wird gesagt, in Zeiten der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus könne die Europäische Union aus strategischen Gründen gar nicht groß genug sein. Der Außenminister hat von seiner europapolitischen Rede an der HumboldtUniversität sogar ausdrücklich Abstand genommen. Damals, als Herr Fischer diese Rede hielt, war er noch eher gegen eine Mitgliedschaft der Türkei. Das war übrigens ausdrücklich auch Herr Verheugen noch im November 2002. Wie unsicher unser Außenminister in Wahrheit noch immer ist, hat er in einem Gespräch, das in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 7. September 2004 wiedergegeben wurde, verraten. Ich zitiere:

Er

– Fischer –

beteuerte ein weiteres Mal, die Entscheidung über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen sei nicht gleichbedeutend mit der Entscheidung über den Beitritt selbst.
(Nina Hauer (SPD): Das stimmt doch nicht!)

– Hören Sie genau zu!

In jedem Falle werde eines Tages eine europareife Türkei leichter mit der Entscheidung umgehen können, ob ein Beitritt vollzogen werden könne oder nicht.

   Ihr Kollege Cohn-Bendit, Mitglied der Fraktion der Grünen im Europäischen Parlament, nennt dies – allerdings bezogen auf Frankreich – eine „demagogische Haltung“. Wo er Recht hat, hat er Recht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Dialog der Kulturen und Religionen, Partnerschaft mit den verantwortlichen Kräften in der islamischen Welt, Stärkung multilateraler Entscheidungsstrukturen, all das ist richtig und wichtig; aber es kann doch nicht die Einverleibung in Europa zur Voraussetzung haben. Nein, von strategischer Bedeutung in Europa ist das Gelingen der politischen Einigung. Sie wird durch eine Überdehnung der Grenzen eher gefährdet als gefördert. Die Entwicklung einer einigen und handlungsfähigen Europäischen Union ist für uns Europäer unser entscheidender Beitrag zu mehr Stabilität, mehr Frieden und mehr Entwicklung in dieser enger zusammenwachsenden und vernetzten Welt. Daran hat die Türkei ein wohlverstandenes Eigeninteresse. Besser ist, wenn die Türkei mit einem politisch geeinten Europa eng verbunden ist, als dass sie Mitglied in einer politisch handlungsunfähigen Europäischen Union ist.

   Ich zitiere noch einmal Klaus Hänsch:

Wenn die Mitgliedschaft der Türkei mit der Erosion der Union bezahlt würde, wäre das ein zu hoher Preis – übrigens nicht nur für die Union, sondern auch für die Türkei – und der darf nicht gezahlt werden.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Joachim Günther (Plauen) (FDP))

   „Abschied von Europa“ hat Stefan Ulrich in der „Süddeutschen Zeitung“ am Dienstag seinen Leitartikel zu diesem Thema überschrieben. Die Europäische Union wächst in der Fläche und schrumpft in der Tiefe. Egon Bahr schrieb vor kurzem im „Spiegel“:

Bayern Ministerpräsident Edmund Stoiber hat Recht, wenn er erklärt: Nimmt man die Türkei auf, dann ist das das Ende der Vision von der politischen Union Europas.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein solcher Schmarren!)

– Das hat Egon Bahr geschrieben.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber deswegen ist es nicht richtig!)

– Ja, gut, ist ja in Ordnung. Frau Kollegin Roth, ich glaube, Sie machen einen schweren Fehler, wenn Sie Vertiefung gegen Erweiterung austauschen.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das tun wir doch gar nicht!)

Eine handlungsunfähige Europäische Union dient der Türkei nicht, dient Europa nicht und dient der Stabilität in der globalisierten Welt nicht. Deswegen ist das der falsche Weg.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Aus all diesen Gründen stellen wir, die CDU/CSU-Fraktion, heute erneut, wie schon am 2. Dezember 2002 vor dem Kopenhagener Gipfel, den Antrag, sich bei Verhandlungen mit der Türkei nicht auf die Frage einer Vollmitgliedschaft zu beschränken, sondern auch die bessere Lösung einer privilegierten Partnerschaft einzubeziehen. Nur ein solches Verhandlungsmandat ist wirklich ergebnisoffen. Ein solches Verhandlungsmandat weist die Türkei nicht ab, beschädigt die Türkei nicht, bewahrt aber Europa zugleich die Chance, sich zu einer wirklichen politischen Einheit zu entwickeln. Darum geht es. Es geht um die Zukunftsfähigkeit Europas und es geht um die Zustimmung der Menschen zu diesem europäischen Projekt.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat der Kollege Gernot Erler von der SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Gernot Erler (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt die Absicht des Bundeskanzlers, am 17. Dezember in Brüssel für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu stimmen, und sie tut dies einmütig.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wir wünschen uns, dass diese Verhandlungen, die lange dauern werden, erfolgreich sind. Ziel der Verhandlungen kann nur der Beitritt der Türkei zur EU sein. Über etwas anderes, Herr Kollege Schäuble, wird am 17. Dezember nicht entschieden.

   Eine Automatik auf dem Weg zu diesem Ziel – auch das steht im Bericht der Kommission – kann es in der Tat nicht geben. Der Entscheidung der europäischen Staats- und Regierungschefs am 17. Dezember werden Tausende von Einzelentscheidungen sowohl in der Türkei als auch in der EU folgen. Jetzt wird ein langer Prozess der Abwägung und der Vorbereitung abgeschlossen, zugleich aber ein langer und anstrengender Prozess von Reform und Transformation eröffnet. Er birgt nicht unerhebliche Risiken, aber auch große Chancen für die EU und für Deutschland.

   Wir wollen, dass der Weg für diese Beitrittsverhandlungen frei gemacht wird, weil diese Entscheidung im Interesse Deutschlands und im Interesse der EU liegt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es liegt in unserem Interesse, dass die EU glaubwürdig bleibt. Es liegt in unserem Interesse, dass der Veränderungsprozess in der Türkei unumkehrbar gemacht und im Zuge des Verhandlungsprozesses konsequent fortgesetzt wird. Es liegt in unserem Interesse, dass die gesicherte Beitrittsperspektive den wirtschaftlichen Aufschwung dieses für Deutschland so wichtigen Wirtschaftspartner verstetigt und beschleunigt. Es liegt in unserem Interesse, dass die 4 Millionen Türken in der EU, von denen 2,5 Millionen in Deutschland leben, mit der Beitrittsperspektive ihre Integrationsbemühungen vertiefen und verstärken.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es liegt in unserem Interesse – Herr Kollege Schäuble, ich glaube, da haben Sie mit dieser Brücke etwas falsch verstanden –, dass die Türkei als eine große islamisch geprägte Gesellschaft vor aller Welt den Beweis dafür erbringt, dass Islam und westliche Werte miteinander vereinbar sind, weil dies die denkbar beste und wirksamste Antwort auf jene blutigen Strategen des Terrorismus ist, die den Kampf der Kulturen predigen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich möchte etwas zum Stichwort Glaubwürdigkeit sagen. Seit 81 Jahren gibt es die moderne, von Kemal Atatürk gegründete Türkei. Ich möchte schon jetzt von dieser Stelle aus der türkischen Republik zum morgigen Nationalfeiertag, der in Berlin bereits heute gefeiert wird, im Namen des ganzen Hauses herzlich gratulieren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Seit 41 Jahren hat die Türkei ein Assoziationsabkommen mit Beitrittsperspektive. Seit neun Jahren hat die Türkei eine Zollunion mit der EU. Seit fünf Jahren ist die Türkei offizielle Beitrittskandidatin. Vor zwei Jahren hat der Europäische Rat klare Bedingungen für die Aufnahme von Verhandlungen formuliert. Das hat eindrucksvolle Reformbemühungen in Ankara ausgelöst. Ich bin Ihnen dankbar, Herr Kollege Schäuble, dass auch Sie das anerkennen. Die Türkei hat in kürzester Zeit acht Reformpakete auf den Weg gebracht. Sie hat die Todesstrafe abgeschafft. Sie hat Folter und andere Menschenrechtsverletzungen verboten und verfolgt Verstöße dagegen, die es nach wie vor gibt. Die Türkei hat die Staatssicherheitsgerichte abgeschafft. Die Türkei hat den Einfluss des Militärs auf Politik und Gesellschaft spürbar reduziert. Sie hat angefangen, Kurden und anderen Minderheiten kulturelle Rechte zu geben, und sie hat Beschränkungen bei der Meinungs- und Versammlungsfreiheit aufgehoben.

(Michael Glos (CDU/CSU): Ist ja toll! Das sind Selbstverständlichkeiten!)

   Natürlich kann man sagen: Das reicht alles nicht. Natürlich kann man sagen: Da fehlt noch etwas. Natürlich kann man sagen: Erlass eines Gesetzes bedeutet nicht gleich Umsetzung. All das ist zulässig. So ist die Europäische Kommission auch an die Sache herangegangen; sie hat all das berücksichtigt und sorgfältig abgewogen. Das Ergebnis ist in dem einen entscheidenden Satz der Kommissionsempfehlung festgehalten, den ich hier zitieren möchte. Da heißt es:

In Anbetracht der allgemeinen Fortschritte im Reformprozess und unter der Voraussetzung, dass die Türkei die oben genannten, noch ausstehenden Gesetze in Kraft setzt, ist die Kommission der Auffassung, dass die Türkei die politischen Kriterien in ausreichendem Maß erfüllt, und empfiehlt die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen.
(Beifall bei der SPD)

Wir sagen: Ja, das überzeugt uns. Das ist eine verantwortungsvolle und faire Empfehlung am Ende einer Vorbereitungszeit von 41 Jahren. Deswegen wollen und werden wir dieser Empfehlung folgen.

   Wenn die EU nach dieser endlosen Reihe des Aufzeigens von Perspektiven, der Unterbreitung von Zusagen und des Erhebens von Forderungen und nach den eindrucksvollen Bemühungen von türkischer Seite, diesen langen Weg mitzugehen und alle Forderungen zu erfüllen, im letzten Moment sagen würde: „Nein, Entschuldigung, jetzt treffen wir eine grundsätzlich völlig andere Entscheidung“, dann stellt sich doch die Frage, wer künftig dieser EU noch trauen und vertrauen soll.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich denke dabei nicht nur an die Türkei, deren Empörung dann alle verstehen würden, sondern an alle Länder, denen die EU in der letzten Zeit Zusagen gemacht hat: an die zehn neuen Beitrittsländer, an Bulgarien und Rumänien, denen schon ein Beitrittstermin genannt wurde, an Kroatien, mit dem ab 2005 verhandelt werden soll, an die vier anderen Westbalkanstaaten, denen eine Perspektive eröffnet wurde, sowie an die Ukraine und 13 andere Staaten, denen mit dem neuen Nachbarschaftskonzept auch bestimmte Zusagen gemacht, wenn auch keine Beitrittsperspektiven eröffnet wurden. Wer also sollte bei so einem Nein in letzter Minute nach 41 Jahren Vorbereitung der EU überhaupt noch etwas glauben? Aber genau das, einen solchen Schwenk in letzter Minute, Herr Kollege Schäuble, empfiehlt die CDU/CSU der EU.

   Da gibt es ein neues Zauberwort – auch Sie haben es hier mehrfach bemüht –: privilegierte Partnerschaft. Im Antrag der CDU/CSU, der ausgerechnet den Titel „Für ein glaubwürdiges Angebot der EU an die Türkei“ trägt, sucht man vergeblich nach einer Definition oder wenigstens einer Beschreibung von privilegierter Partnerschaft. Soll sie das umfassen, was die Türkei mit dem Assoziationsabkommen seit 41 Jahren hat? Soll sie das umfassen, was mit der Zollunion ausgedrückt wird, die mit der Türkei seit neun Jahren besteht? Soll es das sein, was im Rahmen des neuen Nachbarschaftskonzeptes angeboten wird? In Ihrem Antrag findet man dazu keinerlei Auskunft. Stattdessen machen Sie es sich ganz leicht. In Ihrem Antrag für ein glaubwürdiges Angebot heißt es dazu – ich darf das zitieren –:

Seitens der EU sollte … auf dem Gipfel im Dezember der Türkei das Angebot einer privilegierten Partnerschaft mit der Europäischen Union gemacht werden. Der Europäische Rat sollte der Europäischen Kommission den Auftrag erteilen, in Kürze Möglichkeiten und Wege zu präsentieren, wie ein solches besonderes Verhältnis der Türkei und anderer Länder zu Europa in eine angemessene Form gebracht werden kann. Dabei können konzeptionelle Vorarbeiten aus den Reihen der EVP-Fraktion des Europäischen Parlaments entsprechend berücksichtigt werden.

   Was heißt das?

(Franz Müntefering (SPD): Dünnbrettbohrer!)

Das heißt auf Deutsch: Die CDU/CSU sagt, sie wolle keine Beitrittsverhandlungen und keinen Beitritt der Türkei, sondern stattdessen die privilegierte Partnerschaft. Man wisse zwar nicht, was das ist, aber es soll gefälligst die Europäische Kommission definieren, was das eigentlich ist.

(Dr. Angela Merkel (CDU/CSU): Stimmt ja gar nicht!)

Also etwas, von dem wir nicht wissen, was es ist, sollen die europäischen Staats- und Regierungschefs am 17. Dezember der Türkei empfehlen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Meine Damen und Herren, der Volksmund hat für ein solches Angebot einen trefflichen Begriff: Mogelpackung.

(Beifall der Abg. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das Hantieren mit einer Mogelpackung passt zu allem, was Sie in letzter Zeit im Zusammenhang mit der Türkeifrage tun.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Am vorletzten Wochenende war dem Kollegen Glos – was manchmal passiert – wohl langweilig. Deshalb hat er eine Kugel ins Rollen gebracht: das Thema Unterschriftenaktion gegen den Türkeibeitritt. Parteichefin Merkel traute sich nicht, dieses Spiel mit dem Feuer gleich zu unterbinden, und erklärte es erst einmal für eine ganz gute Idee. Dann brach quer durch die Republik, auch in Ihren Reihen, ein Sturm der Entrüstung los und nach drei Tagen war der ganze Spuk vorbei. Das ist wahrlich Führungsfähigkeit, auf die Deutschland und Europa warten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist ein wirklich verantwortungsvoller Umgang mit einer Schicksalsfrage, wie Sie es neuerdings nennen. Man kann ja mal etwas andeuten, ins Rohr schieben, um zu testen, wie die Reaktionen sind. Weltpolitik als Überraschungsei, das ist Ihr Umgang mit der Europäischen Union.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Jetzt hat sich Herr Glos etwas Neues ausgedacht, gestern nachzulesen in der „FAZ“. Die neue Parole heißt: Bei einem EU-Beitritt der Türkei wird Deutschland von Türken überschwemmt und dabei untergehen, allerdings nicht aus Versehen, sondern ganz absichtsvoll, weil die Linken, die jetzt Deutschland führen, das so wollen. Wörtlich, Herr Kollege Glos, werden Sie so zitiert – ich darf das hier vortragen; Sie werden ja gern zitiert –:

Diejenigen, die derzeit Deutschland führen, haben mit Deutschland überhaupt nichts am Hut. Man macht Deutschland für einmalige Verbrechen in der Vergangenheit als Land verantwortlich. Daher rührt auch so eine Art Deutschenhaß in manchen Kreisen, weshalb man in Teilen der Linken hofft, daß es Deutschland nicht mehr gibt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unglaublich! – Zurufe von der SPD: Pfui! – Unverschämte Frechheit!)

   Wenn schon keine Unterschriftenaktion, dann malt man wenigstens die Pantürkisierung ganz Europas und den Untergang Deutschlands als Folge des Selbsthasses der linken Verhandlungsbefürworter an die Wand. Das ist auch für Ihre Verhältnisse, Herr Glos, eine unglaubliche Entgleisung, die eigentlich Klärung fordert.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sonst müssen Sie sich nicht wundern, wenn man Sie demnächst fragt, ob mit Ihnen noch alles in Ordnung ist.

   Oder, Herr Glos, liegt das etwa daran, dass Sie Ihre eigene Vergangenheit aufarbeiten müssen? Manchmal hilft ja ein gutes Archiv, um etwas zu erklären. Jedenfalls haben Sie am 17. Dezember 1997, direkt nach dem Europäischen Rat von Helsinki, eine interessante Presseerklärung herausgegeben. Aus dieser möchte ich drei Sätze zitieren.

   Erster Satz:

Es ist nicht nur im deutschen, sondern im europäischen Interesse, die Türkei an Europa zu binden.
(Beifall bei der SPD)

   Zweiter Satz:

Es dient nicht europäischen Interessen, wenn die Türkei auf ihrem Weg nach Europa durch Übertaktieren vor den Kopf gestoßen wird.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Dritter Satz:

Am Ziel darf es keinen Zweifel geben: Es ist vor allem im deutschen Interesse, die Türkei in Europa zu sehen!
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Peter Hintze (CDU/CSU): Das stimmt doch alles!)

   Sie waren also offenbar schon einmal weiter als heute. Sie brauchten bloß Ihren eigenen Empfehlungen zu folgen. Lassen Sie das Übertaktieren mit der privilegierten Partnerschaft, machen Sie sich Ihren eigenen Rat zu Eigen, dann sind Sie unterwegs und wir können noch Hoffnung haben!

   Auf jeden Fall, meine Damen und Herren, gehen wir mit den unbestreitbaren Risiken dieses Integrationsprozesses und den daraus abgeleiteten Sorgen und Bedenken vieler Menschen anders um. Wir und auch die EU-Kommission nehmen sie ernst. Das ist der Grund dafür, dass die Kommission für eine neue Konzeption der Verhandlungen eintritt, mit einer viel strengeren Überprüfung der Reformfortschritte als bisher, mit Sonderregelungen bis hin zu eventuellen unbefristeten Schutzklauseln etwa bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit, ja sogar mit der Perspektive einer Aussetzung der Verhandlungen bei ernsthaften Rückschritten bei den Zielen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte.

   Das ist die seriöse Antwort auf die Fragen besorgter Menschen in unserem Land. Das sind genügend Leitplanken, um zu verhindern, dass der Integrationsgeleitzug vom Wege abkommt. Wir werden dafür sorgen, dass diese Empfehlungen auch Beachtung finden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir teilen auch die Meinung der Kommission: Bei aller Schwierigkeit des Weges, den wir die nächsten anderthalb Jahrzehnte gemeinsam mit der Türkei gehen werden – die Chancen und Vorteile für die EU und für unser Land überwiegen. Das muss den Ausschlag geben, wenn die europäischen Staats- und Regierungschefs am 17. Dezember ihre Entscheidung treffen werden.

   Wir unterstützen mit allem Nachdruck ein Ja für einen Beginn der Beitrittsverhandlungen im Jahr 2005.

   Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Guido Westerwelle von der FDP-Fraktion.

Dr. Guido Westerwelle (FDP):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die EU-Kommission hat für Beitrittsverhandlungen mit der Türkei plädiert und sie im Charakter als ergebnisoffen beschrieben. Diesem Vorschlag sollte sich der Deutsche Bundestag aus Sicht der Freien Demokraten anschließen. Wir sollten die Kommission beim Wort nehmen.

(Beifall bei der FDP)

   Es geht gegenwärtig um eine Entscheidung über Beitrittsverhandlungen und nicht – diesen Eindruck konnte man nach den beiden vorherigen Reden bekommen – um einen Beitritt selbst. Erst am Ende der Verhandlungen kann die Entscheidung über die Aufnahme, die Ablehnung oder auch eine differenzierte Position stehen.

   Wir sind mit beiden Haltungen, die bisher in den Reden zum Ausdruck gebracht worden sind, nicht einverstanden. Der Antrag der Koalitionsfraktionen gibt letztendlich eine Tendenz vor. Nach diesem Antrag sind die Beitrittsverhandlungen quasi eine Übergangsstufe zu einem Ergebnis, das – politisch gewollt – schon jetzt formuliert wird. Die Unionsfraktion spricht sich in ihrem Antrag gegen Beitrittsverhandlungen aus und unterstützt von vornherein ein anderes Modell. Auch sie hat sich schon ihre politische Meinung gebildet und das Ergebnis vorweggenommen.

   Wir Freien Demokraten sind der Überzeugung, dass wir nur dann dem Votum der Europäischen Kommission gerecht werden, wenn wir sie beim Wort nehmen. Ergebnisoffen heißt, dass am Ende eines Verhandlungsprozesses ein Ja, ein Nein oder auch eine differenzierte Position, also vielleicht eine privilegierte Partnerschaft, stehen kann. Aber niemand ist heute in der Lage, seriöserweise vorauszusagen, wie die Türkei in 15 Jahren aussehen wird oder wie die Europäische Union in 15 Jahren aussehen wird.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Markus Meckel (SPD))

   Wir haben von Ihnen, Herr Kollege Schäuble, eine bemerkenswerte Rede gehört. Auch das, was Sie, Herr Kollege Erler, gesagt haben, ist in weiten Teilen, was die Analyse angeht – das ist oft so –, mit dem Wertekompass, den wir gemeinsam in diesem Hause haben, deckungsgleich. Letzten Endes geht es um die politischen Schlussfolgerungen an dieser Stelle. Es wird niemanden in diesem Hause geben, der beispielsweise die Menschenrechte in der Türkei nicht genauso einfordern würde wie Verbesserungen hinsichtlich der ökonomischen Entwicklung. Selbstverständlich wird auch die Lösung der Zypernfrage eine Rolle spielen. Das alles sind Punkte, die wir gemeinsam in diesem Hause besprechen.

   Wir Freien Demokraten warnen aber vor Folgendem. Herr Kollege Schäuble, wenn Sie sagen, die Erweiterung dürfe nicht gegen die Vertiefung ausgetauscht werden, dann haben Sie nach unserer Auffassung Recht. Wir fügen aber hinzu: Die Erweiterung darf auch nicht gegen die Vertiefung ausgespielt werden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Beides muss uns gelingen, wenn wir den europäischen Weg erfolgreich weitergehen wollen.

   Die Europäische Union ist in ihrer gegenwärtigen Verfassung nicht aufnahmefähig. Die Türkei ist in ihrer gegenwärtigen Verfassung nicht beitrittsfähig. Auch das gehört zur Wahrheit. Wir wollen aber fairerweise festhalten, dass ein sofortiger Beitritt nicht die Erwartungshaltung der türkischen Regierung ist.

Wir haben Gelegenheiten gehabt, das Gespräch mit der türkischen Seite – zuletzt in der vergangenen Woche mit dem türkischen Außenminister – zu führen. Niemand in der Türkei, aber auch niemand in der Europäischen Union geht davon aus, dass es um eine Beitrittsentscheidung geht, die heute getroffen werden müsste. Es geht auch nicht darum, dass die Türkei in ihrer gegenwärtigen Verfassung schon beitrittsfähig wäre. Die Türkei, wie sie heute ist, könnte nicht beitreten. Müssten wir heute über den Beitritt abstimmen, würden wir als Freie Demokraten mit Nein votieren. Aber es geht heute eben nicht um den Beitritt der Türkei zum jetzigen Zeitpunkt, sondern um einen ergebnisoffenen Verhandlungsprozess. Deswegen ist es aus Sicht der Freien Demokraten ein Fehler, dass das Wort der Ergebnisoffenheit im Antrag der Koalitionsfraktionen überhaupt nicht mehr vorkommt.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir begrüßen es ausdrücklich, dass die Türkei entsprechende politische Entwicklungen und Reformen eingeleitet und durchgesetzt hat. Wer wollte denn die Fortschritte der Türkei ernsthaft bestreiten? Die eingeleiteten Reformen dürfen aber nicht nur auf dem Papier stehen, sondern müssen auch gesellschaftliche Realität werden.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Richtig!)

Es ist zwar gut, wenn das Parlament der Türkei ein Verbot der Diskriminierung von Minderheiten verabschiedet und dies formale Rechtslage ist. Es ist zwar gut, wenn das Folterverbot formale Rechtslage in der Türkei ist. Aber das reicht nicht aus. Nicht die formale Rechtslage ist das Kriterium. Vielmehr muss die gesellschaftliche Realität das Kriterium für eine Überprüfung der Beitrittsentscheidung in zehn oder 15 Jahren sein.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

   Deswegen legen wir Wert darauf, dass die Ausgestaltung eines Verhandlungsmandates die Ergebnisoffenheit betont, so wie es übrigens ausdrücklich auch in den Schlussfolgerungen der Europäischen Kommission vorgesehen ist. Dass dies so ist, wird ja regelmäßig unter den Teppich gekehrt. Es wird nachinterpretiert, was die Europäische Kommission gemacht hat, um der eigenen Tendenz Vorschub und Nachdruck zu verleihen. Tatsächlich hat die Europäische Kommission eine sehr differenzierte Position bezogen und ausdrücklich den ergebnisoffenen Charakter von Beitrittsverhandlungen unterstrichen. Das ist auch aus unserer Sicht richtig und notwendig.

   Ich will noch auf das zu sprechen kommen, was im Vorfeld dieser Debatte gesagt worden ist. Ich will niemanden darüber im Unklaren lassen, dass wir Freien Demokraten es ausdrücklich begrüßen, dass die Unionsparteien von den Überlegungen einer Unterschriftenaktion Abstand genommen haben.

(Beifall bei der FDP)

Ich will hier aber genauso klar sagen: Heute wird auch eine Debatte darüber geführt – sie wird in Wahrheit geführt, um die Innenpolitik zu prägen, und nicht, um über den europa- und außenpolitisch richtigen Weg zu diskutieren , ob ein Referendum bzw. Volksabstimmungen beschlossen werden sollten. Wenn dies heute die konkrete Forderung ist, dann sagen wir Freien Demokraten dazu: Das ist aus unserer Sicht nicht möglich und in Wahrheit nur der innenpolitischen Auseinandersetzung geschuldet. Niemand ist heute seriöserweise in der Lage, die Entscheidung, die in zehn oder 15 Jahren ansteht, vorwegzunehmen. Niemand kann heute sagen, wie der konkrete Entscheidungsvorgang verfassungsrechtlich in zehn oder 15 Jahren stattfinden soll. Hier findet also in Wahrheit eine innenpolitische Auseinandersetzung und nicht eine Betrachtung der europäischen Materie statt, um die es hier tatsächlich geht.

(Beifall bei der FDP)

   Sie als Regierung werden – auch das müssen wir hier festhalten – dem Antrag der Koalitionsfraktionen folgen; Sie haben sich dazu erklärt und festgelegt. Dies ist Regierungshandeln. Sie als demokratisch legitimierte Bundesregierung werden im Dezember – daran gibt es keinen ernsthaften Zweifel – der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zustimmen. Eines will ich dazu klar sagen: Ganz egal wie man dann zu dieser Entscheidung steht, diese Entscheidung bindet jede nachfolgende Regierung.

(Zurufe von der SPD: Ja!)

Das sage ich deshalb, weil ich es für völlig falsch hielte, wenn in Wahlkämpfen Nachhutgefechte stattfinden würden. Wenn Europa entschieden hat, dass es Beitrittsverhandlungen gibt, dann ist jede nachfolgende Regierung daran gebunden und dann können noch so viele Unterschriften gesammelt oder Proteste organisiert werden. Dann gilt die Zuverlässigkeit der deutschen Außenpolitik, für die die Freie Demokratische Partei steht.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt die Kollegin Claudia Roth, Bündnis 90/Die Grünen.

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Türkeidebatte, die wir gegenwärtig führen, ist im Kern – hier gebe ich Herrn Schäuble Recht – eine Debatte über die Frage, in welchem Europa wir leben wollen und auf welche gemeinsamen Werte dieses Europa gründet. Sie ist eine Debatte über die Frage, in welchem Deutschland wir leben und ob wir unsere multikulturelle und multireligiöse Realität akzeptieren oder uns ihr verweigern. Sie ist in der Tat eine Debatte über die Glaubwürdigkeit deutscher und europäischer Außenpolitik. Außerdem ist sie – dies sage ich gerade vor dem Hintergrund von populistischer Stimmungsmache und Brandstifterei – eine Debatte über die politische Kultur und den politischen Anstand in unserem Land.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Ich zitiere:

Die Türkei gehört zu Europa. Die Türkei soll vollberechtigtes Mitglied der Gemeinschaft sein. Dieser Wunsch und die Tatsache, dass wir in ihm mit unseren türkischen Freunden einig sind, sind der stärkste Ausdruck unserer Gemeinsamkeit.

Dies sagte nicht Romano Prodi vor zwei Wochen, sondern Walter Hallstein, der damalige Kommissionspräsident, anlässlich der Unterzeichnung des Ankara-Abkommens am 12. September 1963. Damit war Europa klar definiert.

   Gernot Erlers Zitaten, mit denen er in Erinnerung gerufen hat, was Herr Glos dereinst sagte, füge ich einen Satz hinzu, nämlich die Überschrift seiner Presseerklärung vom 17. Dezember 1997:

Die Türkei darf auf dem Weg nach Europa nicht diskriminiert werden.

Herr Hintze, dazu müssten Sie jetzt auch klatschen. – Aber genau dies tun Sie jetzt: Sie diskriminieren die Türkei.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Michael Glos (CDU/CSU): Das ist sieben Jahre her!)

   Herr Glos, erlauben Sie mir folgenden Satz – ich komme ja auch aus Bayern –: Sie machen Politik nach dem Motto „Was schert mich mein Geschwätz von gestern?“.

(Beifall der Abg. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Heute hört sich nämlich alles, was Sie sagen, ganz anders an. Die CDU/CSU definiert die EU geographisch und kulturell ausgrenzend. Sie spricht von der nicht kompatiblen Türkei. Aber die politischen Werte der Europäischen Union sind nicht an eine bestimmte Religion oder Kultur gebunden, sondern an die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit sowie die Wahrung der Menschenrechte und der Minderheitenrechte.

   Im EU-Verfassungsvertrag, Herr Glos und Herr Schäuble – Herr Schäuble weiß dies, er hat es heute nur nicht zitiert –, heißt es:

Die Union steht allen europäischen Staaten offen, die diese genannten Werte achten und sich verpflichten, ihnen gemeinsam Geltung zu verschaffen.
(Michael Glos (CDU/CSU): Ja, europäischen Staaten! Das ist kein europäischer Staat!)

Also muss die Union auch einer demokratischen Türkei offen stehen. Genau dies wollen und unterstützen wir.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Über 40 Jahre dauert der lange Weg der Türkei in die EU. Immer wieder wurde versichert, bestätigt, beschlossen und bekräftigt, dass das Ziel die Vollmitgliedschaft sei. Was aber ist heute? War alles nicht so gemeint? War es etwa nur so lange gemeint, wie die konkrete Perspektive in weiter Ferne lag? Ihre privilegierte Partnerschaft, Frau Merkel und Herr Bosbach, ist kein Angebot an die Türkei, sondern eine Worthülse, wie Herr Rühe zu Recht gesagt hat. Sie bedeutet Stillstand und die Festschreibung des Status quo. Aus diesem Grunde kann die Türkei diese Perspektive nicht ernsthaft akzeptieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Die Empfehlung der Kommission, Beitrittsverhandlungen aufzunehmen, ist dagegen ein historisches Signal, dem der Europäische Rat am 17. Dezember hoffentlich zustimmen wird. Sie ist das wichtige Signal, dass die EU der Türkei die Tür nicht vor der Nase zuschlagen und die ungeheure Dynamik der Veränderung nicht abbrechen darf. Dies riskieren Sie mit Ihrer privilegierten Partnerschaft ganz bewusst. Wir wollen diese Dynamik fortsetzen, die natürlich vor allem etwas mit einer glaubwürdigen Beitrittsperspektive zu tun hat. Die Aufnahme von Verhandlungen, die zum Erfolg geführt werden sollen, ist ein wichtiger Schritt; dies wissen Sie ganz genau. Aber es gibt keinen Beitrittsautomatismus. Das haben wir immer gesagt und dabei bleiben wir auch.

   Lassen Sie uns wirklich von unseren deutschen Interessen sprechen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael Glos (CDU/CSU): Jawohl, von deutschen Interessen!)

– Ja, Herr Glos, Pawlow; wir reden jetzt von deutschen Interessen. – Wir haben ein ganz vitales Interesse an einer demokratischen Türkei. Wenn wir dieses Interesse haben, dann dürfen wir den Reformprozess doch nicht abbrechen, wir dürfen kein Risiko eingehen,

(Michael Glos (CDU/CSU): So ein Quatsch!)

sondern wir müssen die Dynamik fortsetzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Michael Glos (CDU/CSU): So ein Unsinn!)

   Vor kurzem – nicht heute –, Herr Schäuble, haben Sie im Fernsehen von den Reformen in der Türkei als reine Show gesprochen. Ich halte das für Zynismus, Herr Schäuble. Ich finde es zynisch, davon zu sprechen, dass die Abschaffung der Todesstrafe, das Folterverbot, das Zurückdrängen des Militärs, der Beginn der Anerkennung der kurdischen Realität – all das, wovon Gernot Erler gesprochen hat – Show sein soll.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Kollegin Roth, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schäuble?

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja, gern.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Bitte schön, Herr Schäuble.

Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU):

Würden Sie mir bitte eine Stelle nennen, die belegt, wo ich in irgendeiner Weise etwas von dem gesagt habe, was Sie mir unterstellen? Nach meinem sicheren Wissen habe ich nie etwas Derartiges gesagt.

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich kann Ihnen das gern sagen. Es ist eine Agenturmeldung nach einer Fernsehsendung bei Frau Illner, in der Sie über die Türkei gesprochen haben.

(Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Ich habe es nicht gesagt!)

– Wenn es nicht stimmt, Herr Schäuble, können Sie es gern dementieren.

(Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Nein! Ich habe es nicht gesagt! Das ist eine Verleumdung! Sie können es nicht belegen! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

– Ich kann es Ihnen belegen. Ich reiche es Ihnen unmittelbar nach der Debatte nach, Herr Schäuble.

(Michael Glos (CDU/CSU): Sie sehen eine Frau, die mit Unwahrheiten arbeitet! – Gunther Krichbaum (CDU/CSU): Nehmen Sie zurück, was Sie gesagt haben! Was soll das denn?)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Kolleginnen und Kollegen, bitte, Frau Kollegin Roth hat das Wort.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja das Schlimme!)

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Was ist daran schlimm? Was regen Sie sich auf? Ich werde es belegen. Es ist umso besser, wenn Herr Schäuble sagt, es ist keine Show. Dann muss man aber auch diesen Prozess fortsetzen. Genau das wollen wir auch,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

und zwar in dem Sinne, wie es Guido Westerwelle gesagt hat. Nicht die Papierform der Gesetze entscheidet, sondern das, was implementiert wird. Weil wir implementieren wollen, unterstützten wir die Empfehlung der Kommission, in der gesagt wird, der Verhandlungsprozess verstärkt den Reformprozess und sichert die Demokratisierung der Türkei ab. Es liegt genau in unserem Interesse, den Demokratisierungsprozess unumkehrbar zu gestalten.

   Wir sprechen von unseren Interessen. Ein fundamentales deutsches Interesse ist gerade nach dem 11. September der Dialog der Kulturen und Religionen. Eine demokratische, säkulare, pluralistische Türkei mit einer muslimischen Mehrheitsbevölkerung, die in die Europäische Union integriert ist, ist natürlich ein weltweites Signal, dass Islam und Demokratie kein Widerspruch sind. Sie wäre damit auch für uns ein enormer Sicherheitszugewinn.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Jetzt möchte ich noch etwas zum Wirtschaftsflügel in der Union sagen. Die Heranführung der Türkei an die Europäische Union liegt im unmittelbaren Interesse auch und gerade der deutschen Wirtschaft. Es ist die deutsche Wirtschaft, die einen weiteren Ausbau der Beziehungen, strategische Partnerschaften und die Öffnung von neuen Märken erwartet. Die deutsche Wirtschaft sagt: Eine integrierte Türkei ist ein stabiler und sicherer Ort für Investitionen. Hier liegt das Interesse der deutschen Wirtschaft. Ihre Ablehnung, werte Kollegen von der Union, ist ein dramatischer politischer Fehler. Ich halte Ihre Position nicht nur für außenpolitisch ignorant, sondern auch für innenpolitisch polarisierend. Sie bringt nicht ein Mehr an Sicherheit, sondern sie gefährdet im Kern Ihre eigenen ökonomischen Interessen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Ich sage ihnen noch eines zum Abschluss: Herr Glos von heute verbreitet den Mythos von der Andersartigkeit und benutzt das bitterböse Bild der Überschwemmung. Herr Schäuble, wenn Herr Glos solche Positionen äußert,

(Michael Glos (CDU/CSU): Wo habe ich das schon wieder gesagt? Bringen Sie eine Fundstelle!)

ist das nicht das Ernstnehmen der Ängste der Menschen,

(Michael Glos (CDU/CSU): Bringen Sie dafür einen Beleg! Sie sind eine Verleumderin!)

sondern das bewusste Schüren von Ängsten und Sorgen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Das ist die Unwahrheit!)

Das ist das Gegenteil von verantwortlicher Politik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   .

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Kollegin Roth, kommen Sie bitte zum Schluss.

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sie betreiben nicht Integration, sondern Ausgrenzung. Sie können noch so viel hier herumschreien, das macht Ihre Politik keinen Deut besser.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Gerd Müller von der CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Gerd Müller (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Schreien, Kreischen und Verleumden, Frau Kollegin Roth,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

werden wir der historischen Bedeutung der Entscheidung nicht gerecht, die hier zu treffen ist. Ich würde Ihnen zurufen: Mehr Kompetenz und weniger Emotionen!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ihre Kollegen haben doch die ganze Zeit gebrüllt wie die Affen!)

   Hans-Ulrich Wehler, ein Historiker aus Bielefeld, schreibt in der letzten Ausgabe der Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“ unter der Überschrift „Verblendetes Harakiri“: „Der Türkei-Beitritt zerstört die EU“. Professor Heinrich August Winkler spricht von „Selbstzerstörung durch Überdehnung“.

(Michael Glos (CDU/CSU): Jawohl!)

Jochen Hoenig ruft im „Handelsblatt“ dazu auf, das Angebot zu widerrufen, den Beschluss zu korrigieren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Stefan Ulrich spricht vom „Abschied von Europa“. Wir lassen uns nicht in eine Ecke drängen, in die wir nicht gehören, wie Sie das eben versucht haben, Frau Kollegin Roth.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   CDU und CSU sind gegen eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union; denn ein solcher Beitritt würde Europa und die Türkei überfordern. Nicht nur wir, sondern auch Egon Bahr, Helmut Schmidt und viele andere prominente Sozialdemokraten im Land, in Europa und in der Welt warnen vor dieser Entwicklung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ihr Eintreten für den EU-Beitritt der Türkei, Herr Kollege Fischer, ist der Ausstieg aus der Integration, ist der Abschied von der Humboldt-Rede: Humboldt ade.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Welche Auswirkungen oder Folgen hat die Aufnahme der Türkei für die Europäische Union? Vertiefung und Erweiterung, wie Sie es hier verkündet haben, gemeinsam voranzutreiben, ist eine politische Lebenslüge. Sie können nicht beides haben: die Erweiterung der Europäischen Union bis nach Kleinasien und die Vertiefung der politischen Strukturen hin zu einer politischen Union, zu einer politischen Regierung, zu einem politischen System, wie wir uns das vorstellen.

   Professor Heinrich August Winkler bringt dies in einem Aufsatz auf den Punkt – Sie wissen, er ist der Lieblingshistoriker von Bundeskanzler Schröder und seit 40 Jahren SPD-Mitglied –:

Wer glaubt, die EU könne neben dieser historischen Herausforderung

– gemeint ist die Integration der neuen mittelosteuropäischen Beitrittsstaaten 

auch noch die Integration der Türkei bewältigen, gibt sich einer Illusion hin. Ein Großeuropa von Lappland bis zu Euphrat und Tigris wäre ein Koloss auf tönernen Füßen, räumlich groß, aber politisch handlungsunfähig.
(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie sehen, international ist Ihr Kurs in Politik und Wissenschaft höchst umstritten und umkämpft.

   Die Türkei ist unser Freund und Partner. Wir wollen diese Freundschaft zu einer privilegierten Partnerschaft weiterentwickeln. Wir wollen den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen, den kulturellen Dialog, wir wollen den Ausbau der Sicherheitspartnerschaft. Mit der Türkei als NATO-Partner gibt es überhaupt keine Probleme.

   Herr Außenminister, Sie haben ein neues Hilfsargument, den D-Day. Ich denke bei D-Day an etwas anderes. Nach dem 11. September nehmen Sie jetzt den D-Day als Sicherheitsargument. Es gibt überhaupt keine Probleme bei der Zusammenarbeit mit der Türkei bezüglich der Bekämpfung des Terrorismus im Inneren und Äußeren. Dazu ist eine Vollmitgliedschaft nicht notwendig.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gernot Erler (SPD): Er hat es auch nicht verstanden!)

   Die Türkei erfüllt weder heute noch morgen die politischen Kriterien,

(Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Aber vielleicht übermorgen!)

die in Kopenhagen festgelegt worden sind. Wir haben uns eigentlich vorgegeben, dass es erst nach Erfüllen dieser Kriterien zu Beitrittsverhandlungen kommen wird. Die für die Währungsunion vorgegebenen Kriterien brechen Sie im Nachhinein. Hier brechen Sie die Kriterien bereits im Vorhinein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wo denn? In welchem Punkt?)

   Die Türkei gehört weder geographisch noch kulturell zur Europäischen Union.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Also, was ist das denn anderes?)

Frau Roth, Ankara missachtet die Menschenrechte.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Von Ihnen muss ich mir nichts über Menschenrechte sagen lassen! Sie sind der Allerletzte, der mir etwas über Menschenrechte erzählt!)

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Türkei diese Woche in drei Fällen verurteilt. Liebe Frau Kollegin Roth, ich erinnere mich noch daran, wie Sie vor einigen Jahren vor türkischen Gefängnissen geweint haben.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie waren nie dabei!)

Angesichts der Berichte von Amnesty International wäre diese Empörung jetzt angemessen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Lesen Sie das Interview, das die Generalsekretärin von Amnesty International, Frau Lochbihler, in dieser Woche gegeben hat. Darin wurde Sie gefragt, in welchem Ausmaß in türkischen Gefängnissen gefoltert wird. Herr Außenminister, dazu haben Sie gesagt, dass es in diesem Bereich wirklich große Erfolge gegeben habe; denn es sei keine Systematik der Folter mehr erkennbar. Die Antwort von Frau Lochbihler allerdings lautete:

(Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das hat Sie doch sonst nie interessiert!)

„Da gibt es nur Schätzungen. Aber wir von Amnesty International wissen von 600 Fällen allein im vergangenen Jahr.“ Meine sehr verehrten Damen und Herren, über diese Zustände sollten Sie sich empören!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dafür hat sich die CDU/CSU doch sonst nie engagiert!)

   Nun komme ich auf einen weiteren Punkt zu sprechen. Seit dem Jahr 2003 kommen die meisten Asylbewerber in Deutschland aus der Türkei. Nach Auskunft des Bundesinnenministeriums haben vom Jahr 2003 bis zum August dieses Jahres 12 000 Menschen aus der Türkei Asyl in Deutschland beantragt. Ich frage Sie: Warum ist das so? Lehnen Sie diese Asylanträge ab? Schicken Sie die türkischen Asylbewerber ab Dezember zurück?

(Eckhardt Barthel (Berlin) (SPD): So ein Quatsch!)

Wenn es die von mir angesprochenen Verhältnisse nicht gibt, dann bedarf es hier in Deutschland auch keiner Asylgewährung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Herr Außenminister, Sie haben nicht verhindert, dass es durch die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft dazu kam, dass heute 50 000 Türken illegal einen deutschen Pass besitzen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Müller, einen Moment bitte. Frau Kollegin Roth möchte gerne eine Zwischenfrage stellen. Erlauben Sie das?

Dr. Gerd Müller (CDU/CSU):

Ja, bitte schön.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Bitte schön, Frau Roth.

(Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Aber anständig! Nicht so bissig!)

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

   Wir kennen uns ja schon lange. –

   Herr Kollege Müller, haben Sie gehört, dass ich gesagt habe, dass es zwar große Reformen gibt, dass sie aber nicht ausreichen, wenn sie nur auf dem Papier stehen? Jetzt geht es darum, sie auch zu implementieren. Das Folterverbot muss bis in die letzte kleine Polizeistation mit null Toleranz umgesetzt werden.

   Ist Ihnen, Herr Kollege Müller, bekannt, dass sämtliche Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen – die Menschenrechtsstiftung, der Menschenrechtsverein, Amnesty International und andere – der Auffassung sind, dass der weitere Prozess der Integration der Türkei in die Europäische Union im Sinne einer Verbesserung der Menschenrechtssituation dringend notwendig ist, dass sie also genau das Gegenteil von dem sagen, was Sie hier behauptet haben?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dr. Gerd Müller (CDU/CSU):

Frau Kollegin Roth, ich habe Sie an Ihre Vergangenheit erinnert,

(Gernot Erler (SPD): Sehr ehrenvoll, diese Vergangenheit! Das haben Sie nicht gesagt!)

als Sie vor türkischen Gefängnissen zu Recht geweint haben.

(Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist keine Antwort! Antworten Sie mal!)

Ich würde mir wünschen, dass Sie auf die Wirklichkeit in der Türkei, die ich beschrieben habe, auch heute aufmerksam machen.

(Beifall des Abg. Michael Glos (CDU/CSU) – Eckhardt Barthel (Berlin) (SPD): Das darf doch nicht wahr sein!)

   Eines der Kopenhagener Kriterien ist die Einhaltung der Standards der in der Europäischen Union gültigen Menschenrechte. Dieses Kriterium ist eindeutig und nachhaltig verletzt. Der Beschluss zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen kann somit schon deshalb nicht im Dezember erfolgen, weil das Kriterium der Einhaltung der Menschenrechte nicht erfüllt ist.

(Beifall bei der CDU/CSU – Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist keine Antwort!)

   Es ist der SPD zu trivial, über die Kosten des Beitritts zu sprechen, die auf 30 bis 40 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt werden. Aber die Menschen in unserem Land erwarten eine Antwort auf die Frage: Wer soll einen möglichen Beitritt der Türkei bezahlen?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Darüber hinaus müssen wir auch die Migrationsängste der Menschen berücksichtigen.

   Zum Schluss möchte ich noch einen anderen Punkt ansprechen. Herr Außenminister, es ist eine Legende – an der Sie bereits heute im zuständigen Ausschuss stricken und an der Sie auch in Zukunft stricken werden –, wenn Sie vor die deutsche Bevölkerung treten und sagen, dass lediglich ein Beschluss zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen getroffen worden sei. Meine Damen und Herren, im Jahre 1999 hat der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs innerhalb von nur drei Minuten das stelle man sich einmal vor, Herr Bundeskanzler – den Beschluss gefasst, der Türkei den Status eines Beitrittskandidaten zu verleihen.

(Michael Glos (CDU/CSU): Weil es Schröder gewollt hat!)

Mittlerweile sind fünf Jahre vergangen. Im Dezember wird man nun den nächsten Schritt machen und dem deutschen Volk verkünden:

Es wird fünf, es wird zehn, es wird 15, es wird 20 Jahre dauern, bis wir diesen Wechsel einlösen wollen und müssen. Sie stricken da an einer Legende! Wenn wir den nächsten Schritt gehen, dann müssen wir auch glaubwürdig gegenüber der Türkei bleiben; Herr Westerwelle hat dies angesprochen.

(Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Glaubwürdigkeit hat Sie in dieser Frage doch gar nicht interessiert!)

Dann steht in fünf oder in acht Jahren der Beitritt bevor. Sie können diesen Irrweg jetzt im Dezember noch stoppen. Gehen Sie diesen Weg nicht!

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Günter Gloser (SPD): Immer noch nichts verstanden!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Angelica Schwall-Düren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen begrüßen die Absicht der Bundesregierung, am 17. Dezember 2004 im Europäischen Rat für den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu stimmen, Beitrittsverhandlungen mit dem eindeutigen Ziel, sie zum Erfolg zu führen.

   Wie ist die Haltung der CDU/CSU in dieser Frage? Sie bieten ein beschämendes Bild: widersprüchlich, populistisch, unverantwortlich.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Trotz weitgehender Übereinstimmung in der strategischen Begründung für einen möglichen Beitritt der Türkei hat die CDU/CSU aus innen- und parteipolitischen Gründen den gemeinsamen Weg verlassen. Der entscheidende Dissens besteht zwischen Vollmitgliedschaft und dieser nebulösen „privilegierten Partnerschaft“. Dieser Meinungswandel seitens der CDU/CSU ist nicht nur bedauerlich, er bedeutet auch die Aufkündigung des innerhalb der Bundesrepublik bislang herrschenden europapolitischen Grundkonsenses. Die CDU/CSU untergräbt die Glaubwürdigkeit deutscher und europäischer Politik, und das in einer Zeit, in der der wirtschafts- und gesellschaftspolitische Wandel der Türkei so stark ist wie nie seit der Gründung der modernen Türkei durch Kemal Atatürk.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Die CDU/CSU verabschiedet sich endgültig von der überzeugenden europapolitischen Argumentation des ehemaligen Bundeskanzlers Kohl, der 1997 zum Abschluss des Sondergipfels des Europäischen Rates in Luxemburg ausführte – ich darf zitieren –,

dass wir, die Bundesrepublik Deutschland, sehr damit einverstanden sind, dass die Türkei in der Perspektive der Zukunft eine Chance hat, der Europäischen Union beizutreten.

   Heute stößt die CDU/CSU ausgerechnet die türkische Partei zurück, die die größten Reformschritte innerhalb kürzester Zeit vollzogen hat und die als konservative Partei der CDU/CSU nahe steht.

   Ich will nicht verhehlen, dass die CDU/CSU in ihrem Antrag auch auf Risiken aufmerksam gemacht und durchaus berechtigte Sorgen ausgedrückt hat. Bei näherer Betrachtung können sie aber ausgeräumt werden. Denn wenn man Risiken zu sehr betont, verhindert man, dass man die Chancen nutzt. Die CDU/CSU vergisst die Chancen. Der Antrag der CDU/CSU weist zudem Widersprüche auf. Aus Sicht der Opposition ist die Türkei ein bedeutender und verlässlicher Partner des Westens, ein wichtiges Mitglied der NATO und bereits heute eng mit der EU verbunden, gleichzeitig eine wichtige Brücke zur islamischen Welt und zum Nahen und Mittleren Osten.

   Es scheint die CDU/CSU gar nicht zu interessieren, was sie in ihrem eigenen Antrag geschrieben hat. Sie fordert, dass die Türkei anstelle der Vollmitgliedschaft diese „privilegierte Partnerschaft“ bekommen soll. Wo ist da die Logik? „Für den Fall, dass der Europäische Rat die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen dennoch beschließen sollte“ – so die CDU/CSU –, sollen „diese Verhandlungen im Sinne der Empfehlung der EU-Kommission ausdrücklich ergebnisoffen geführt werden“. Genau das ist doch der Punkt. Deswegen ist das, was Sie vorschlagen, nämlich von vornherein eine Alternative anzubieten, ein billiger Trick, den die Türkei durchschaut und was Sie mit diesem unausgefüllten Begriff ja auch zum Ausdruck bringen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Meine Kollegen und Kolleginnen, ich muss noch einmal auf Herrn Glos zurückkommen. Herr Glos hält eine Volksabstimmung zu diesem Thema für nötig,

(Michael Glos (CDU/CSU): Ja!)

weil er meint, es handele sich um die Preisgabe dessen, was wir unter Deutschland verstanden haben und verstehen.

(Michael Glos (CDU/CSU): Wir wollen Hilfe vom deutschen Volk!)

Deutschtümelnd malt er eine riesige Einwanderungswelle an die Wand und prophezeit eine noch raschere Verlagerung von Arbeitsplätzen in die Türkei.

(Michael Glos (CDU/CSU): Ich habe Helmut Schmidt zitiert; ich kann auch andere zitieren!)

Das ist eine Politik, die zur Verunsicherung führt und die mit der Angst der Menschen arbeitet. Herr Glos, das müssen wir ganz entschieden zurückweisen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Kollege Erler ist auf diese Passage ja schon eingegangen.

   In diesen Minuten ging eine Ticker-Meldung über den Äther, in der sich Herr Glos zur morgigen Unterzeichnung des Verfassungsvertrages äußert.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Oh, jetzt wird es hart!)

Auch hier formuliert er:

Es ist beschämend, dass die Bundesregierung praktisch keinerlei deutsche Interessen in die Verhandlungen eingebracht hat.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael Glos (CDU/CSU): Lesen Sie weiter! Lesen Sie alles vor!)

Sie behaupten, der größte Mangel dieses Verfassungsvertrages bestehe darin , dass unklar sei, für wen er gelten solle.

(Michael Glos (CDU/CSU): Jawohl!)

Herr Glos sagte weiter:

Wenn die Türkei … tatsächlich Mitglied der EU wird, würde der Grundgedanke Europas verraten …
(Michael Glos (CDU/CSU): Richtig!)
Ein EU-Beitritt der Türkei wäre der Untergang der Europäischen Union, wie wir sie bisher kennen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Herr Glos, das was Sie hier machen, ist unanständig und schürt die Fremdenfeindlichkeit. Das ist Wasser auf die Mühlen der Rechtsradikalen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) und der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

   Was hat dagegen die Kommission getan? Die Kommission hat genau das getan, wozu sie beauftragt war. Ich glaube, wir sollten dem Kommissar Verheugen für seine intensive Arbeit danken. Er hat den Fortschrittsprozess in der Türkei mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sorgfältig überprüft und ein sehr differenziertes und abgewogenes Urteil zum Ausdruck gebracht. Deswegen ist der qualifizierte Ja-Vorschlag der EU-Kommission zu begrüßen, der drei Säulen beinhaltet.

   Ich meine, dass insbesondere die dritte Säule sehr wichtig ist, nämlich die Einbeziehung der türkischen und der europäischen Gesellschaft in den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Dialog; denn die bevorstehende Entscheidung über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen bringt auch die Frage nach den Konturen und der Substanz der Europäischen Union auf die politische Agenda.

   Herr Schäuble, die Kommission trägt mit ihrer Vorlage den Bedenken einer Überforderung seitens der EU Rechnung. Worauf kommt es nämlich an? Es kommt in der Tat nicht nur darauf an, dass die Türkei ihre Reformen durchführt, sondern es geht auch darum, dass die EU unverzichtbare Veränderungen durchlaufen muss. Die Kopenhagen-Kriterien schließen ja die Stoßkraft der europäischen Integration ebenfalls mit ein.

   Es ist aber auch wichtig, zu sagen: Die Verstärkung der Integration der Europäischen Union ist zunächst völlig unabhängig von einem möglichen Beitritt der Türkei zu sehen; denn die Handlungsfähigkeit nach innen und nach außen muss auch im Rahmen der jetzigen 25 Mitglieder gestärkt werden.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Richtig!)

Deshalb brauchen wir die Ratifizierung des Verfassungsvertrages unbedingt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die Verfassung ist aber nur die Grundvoraussetzung. Sie allein entscheidet nicht darüber, ob es zu einer weiteren Integration kommt, geschweige denn, ob sich die EU zu einer Politischen Union weiterentwickelt.

Wir stehen nach 50 Jahren vor der Aufgabe, auf dem Weg zu einer erneuten Erweiterung wieder eine Vertiefung zustande zu bringen. Das wird uns sehr viel Kraft abverlangen. Wir werden diesen Weg im klugen Handeln Schritt für Schritt gehen müssen. Dazu braucht es die ungeteilte Kraft der Europäischen Union und eines jeden Mitgliedstaates. Die Bundesregierung handelt hier in hohem Maße verantwortungsbewusst und zukunftsorientiert.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die von der CDU/CSU anfänglich zögerlich, mittlerweile aber brutal vorgetragene Ablehnung eines Türkeibeitritts verhindert mehr und mehr die Herausbildung eines politischen Wir-Gefühls. Dies kann aber nur entstehen, wenn große Herausforderungen gemeinsam angenommen werden. Frau Merkel, Herr Stoiber, Herr Glos: Stehlen Sie sich nicht aus dieser Verantwortung!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Angela Merkel (CDU/CSU): Nein, das tun wir nicht!)

   Auf das große deutsche und europäische Interesse an einem Türkeibeitritt haben verschiedene Kollegen und Kolleginnen schon hingewiesen. Ich will noch einige wenige Punkte nennen. Der Beginn der Beitrittsverhandlungen würde durch seine inklusive und nachbarschaftliche Symbolik auch den politischen Extremismus schwächen, sowohl bei uns wie in der Türkei. Er würde durch die ökonomische und soziale Entwicklung an Ort und Stelle den Migrationsdruck senken; denn bisher haben alle Beitrittsperspektiven regelmäßig eher zu Rückwanderungs- als zu weiteren Zuwanderungstendenzen geführt. Diese Entwicklung würde dem Entwestlichungstrend in Gestalt des neoosmanischen Islamismus durch Stärkung des laizistischen Staates entgegenwirken.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   In diesem Zusammenhang ist Dan Diner zuzustimmen, der 2002 formuliert hat:

Zudem würden mit dem Beitritt der Türkei jene Elemente miteinander verwoben, für die das föderierte Europa einmal stehen dürfte: Für die Säkularisierung historischer, einer kulturellen Tradition verpflichteter Gemeinwesen auf der Grundlage universeller Menschenrechte, Pluralismus und Demokratie; für eine sich zunehmend als unteilbar erweisende Sicherheit; und natürlich für den alles miteinander verknüpfenden Wohlstand.

   Unsere Bevölkerung fragt sich, ob die Probleme mit der Größe der Türkei, ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit und ihrer Fremdheit größer sind als die, die es im Umgang mit den jetzt beigetretenen Staaten zu lösen gilt.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD):

   Ich komme zum Schluss. – Das ist natürlich heute noch nicht zu sagen. Aber die Mitgliedstaaten entscheiden entgegen dem, was Sie immer wieder behaupten, gemeinsam, wie viele Finanzmittel sie zur Verfügung stellen können und wollen, um die Türkei weiter an die EU heranzuführen und die Unterschiede im Lebensstandard abzubauen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Kollegin, ich hatte Sie gebeten, zum Schluss zu kommen.

Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD):

Ich bin wirklich bei meinem letzten Satz, Herr Präsident.

(Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Aber das schon seit langem!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Sagen wir einmal, dem auf der vorletzten Seite.

Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD):

Die Türkei ihrerseits springt auf einen fahrenden Zug auf. Am 17. Dezember wird zwar nicht die Entscheidung über einen Beitritt fallen. Aber wir wollen, dass die Beitrittsverhandlungen erfolgsorientiert geführt werden. Auf diesem Weg muss viel geleistet werden, in der Türkei und in der EU.

(Michael Glos (CDU/CSU): Sie hört nicht auf!)

Machen wir uns an die Arbeit!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Pau.

Petra Pau (fraktionslos):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über einen möglichen EU-Beitritt der Türkei. Wenn überhaupt, dann steht er real irgendwann zwischen 2015 und 2020 auf der Tagesordnung, also in 15 Jahren. In 15 Jahren kann sehr viel passieren. Wer das nicht glaubt, schaue doch einfach einmal 15 Jahre zurück. Damals entfaltete die so genannte Wende im Osten Deutschlands ihre Wirkung. Das war kaum vorhersehbar und somit auch schwer kalkulierbar. Ein Beitritt der Türkei zur EU aber wäre kalkulierbar und er wäre auch gestaltbar.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Deshalb verstehe ich auch gar nicht die künstliche Aufregung, die von der CDU/CSU derzeit verbreitet wird.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Ich bin erleichtert, dass Sie von der Union wenigstens die Unterschriftenaktion gegen den Beitritt der Türkei abgeblasen haben. Aber wir wissen auch alle: Die CDU gehört zu den Rückfalltätern, wenn es darum geht, gegen Ausländer Stimmung zu machen. Insofern stehen Sie unter Bewährung.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) sowie bei Abgeordneten der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen )

   Hinzu kommt: Wer A sagt, muss auch B sagen. Man kann nicht einerseits Volksabstimmungen in der Bundesrepublik ablehnen und zugleich andererseits eine Volksabstimmung über den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union fordern.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) – Michael Glos (CDU/CSU): Warum nicht?)

   Die PDS im Bundestag fordert seit langem mehr Demokratie. Insofern sind wir allerdings auch gespannt, ob Rot-Grün mit seinen jüngsten Ankündigungen zu diesem Thema diesmal Ernst machen wird.

   Nun zurück zum Thema der heutigen Debatte: Es ist politisch legitim und auch üblich, dass die einen für einen EU-Beitritt der Türkei plädieren – jedenfalls unter bestimmten Bedingungen – und dass andere – ebenfalls begründet – dagegen sind. Nur eines geht nicht: Man kann nicht alle Vierteljahre die Argumente wechseln, mit denen man dagegen ist. Genau das aber machen CDU und CSU. Einmal ist die Türkei nicht europäisch genug, dann ist sie nicht christlich; einmal sind die türkischen Werte falsch, ein anderes Mal die Geschichte. So verheddern Sie von der Union sich immer wieder in Widersprüche.

   Erinnern wir uns: Als die Bundesrepublik schnell billige Arbeitskräfte brauchte, da konnten die Türken nicht schnell genug kommen. Als aber später die Ostdeutschen dazukamen, wurden die hier lebenden Kurden und Türken in die dritte Reihe geschickt. Wenn es um die NATO geht, dann ist die deutsch-türkische Wertegemeinschaft so groß und so inniglich, dass es völlig egal ist, nach welcher Konfession die jeweiligen Militärseelsorger predigen.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Wenn es aber um die EU geht, dann scheinen die kulturellen Differenzen unüberwindbar.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Diese Doppelzüngigkeit der CDU/CSU schafft nicht nur außenpolitische Verstimmungen. Sie belastet auch das Miteinander hierzulande. Sie signalisiert Millionen türkischen Bürgern – mit deutschem oder ohne deutschen Pass –: Ihr gehört eigentlich nicht dazu. Genau das findet bei jenen Beifall, die Deutschland ohnehin über allen und allem wähnen, schon wieder oder immer noch.

   Natürlich gibt es handfeste Gründe, mit Skepsis auf die Türkei zu schauen. Die Missachtung von Bürgerrechten gehört nach wie vor dazu, ebenso die vielfache Geringschätzung von Frauenrechten oder ungelöste Konflikte mit dem kurdischen Volk. Ich finde, wir alle, auch Rot-Grün, müssen uns davor hüten, diese Probleme kleinzureden.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Aber man darf nicht mit zwei Maßstäben wägen. Wenn es hierzulande um Bürger- und Frauenrechte geht, dann sieht man die CDU/CSU ganz selten vorantraben, übrigens auch in der EU nicht. Im Gegenteil! Im Übrigen hatte die Bundesrepublik einen CDU-Kanzler, als vor nunmehr 40 Jahren der Türkei eine mögliche Mitgliedschaft in der EU zugesagt wurde. Auch damals lag Istanbul am Bosporus und nicht irgendwo.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Wenn die Opposition zur Rechten nun sagt „Nicht mit uns!“, dann wird sie wortbrüchig und schlägt ohne Not eine historische Tür zu. Das will die PDS im Bundestag nicht.

   Bleibt noch das Angebot der privilegierten Partnerschaft. Die CDU bietet sie der Türkei als Ersatz für eine EU-Mitgliedschaft an. Seit sie damit hausieren geht, stelle ich mir allerdings die simple Frage: Für welches Land haben eigentlich CDU und CSU eine unprivilegierte Partnerschaft in petto? Wie soll es also in den Beziehungen zu den Nachbarn weitergehen, ganz egal, ob sie in der EU sind, hineinstreben oder auch nicht?

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Außerdem hätte ich heute gern einmal gehört, wie die privilegierte Partnerschaft eigentlich aussehen soll.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das wissen sie auch nicht!)

Frau Merkel, wenn dieses Modell wirklich so gut ist, warum probieren Sie es nicht einfach aus und leben es uns vor, zum Beispiel mit Herrn Stoiber oder Ihrer Schwesterpartei CSU?

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) – Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Peter Hintze (CDU/CSU): Das war mal witzig!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Bundesminister Joseph Fischer.

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt den Bericht und die Empflehung der EU-Kommission, zu klar definierten Bedingungen die Verhandlungen über einen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union aufzunehmen. Die Bundesregierung wird auf dem Europäischen Rat im Dezember der Aufnahme der Verhandlungen über den Beitritt der Türkei zustimmen.

   Wer den Bericht gelesen hat, weiß, dass dieser Bericht allen Bedenken – vor allen Dingen, was die Schlussfolgerungen über das weitere Verfahren betrifft – Rechnung trägt.

(Michael Glos (CDU/CSU): Das ist doch so bestellt worden! Ein Auftragsgutachten!)

Ich meine, dass die Kommission damit hervorragende Arbeit geleistet hat, und möchte dem verantwortlichen Kommissar, Günter Verheugen, auch namens der Bundesregierung nochmals unsere Hochachtung und unseren Dank aussprechen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Wenn man der Debatte sorgfältig folgt und die Polemik beiseite lässt – auch wenn sich dazu vieles anmerken ließe –, wird deutlich, dass es einen Konsens über die Bedeutung des Themas, unbeschadet der Frage nach möglichen Konsequenzen, gibt. Eigentlich bin ich davon ausgegangen, dass es auch mit der CDU/CSU einen Konsens über die Bedeutung der Türkei für Europa und die europäische Sicherheit gibt.

(Dr. Angela Merkel (CDU/CSU): Natürlich! Trotzdem!)

   Diese Bedeutung war die Grundlage für die 1963 in der Regierungszeit von Konrad Adenauer getroffene Entscheidung von Walter Hallstein – sie wurde damals in einer beeindruckenden Rede dargelegt –, der Türkei langfristig auch die Vollmitgliedschaft in der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu versprechen. Es war Michael Glos, der 1997 darauf hingewiesen hat, dass sich nach dem Ende des Kalten Krieges nichts an dieser strategischen Bedeutung geändert hat.

(Dr. Angela Merkel (CDU/CSU): Das ist richtig!)

   Nach dem 11. September 2001 bin ich davon ausgegangen, dass wir gemeinsam die Position vertreten, dass im Kampf gegen den Terrorismus nicht nur die Zerstörung seiner Netzwerke im Zentrum stehen sollte, sondern dass es vor allem um die Transformation der muslimisch-arabischen Welt geht, damit sie an den Grundwerten der Moderne und an der sich globalisierenden Weltwirtschaft teilhat und – statt sie als von außen übergestülpt zu empfinden – einen eigenen Modernisierungsweg einschlagen kann.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

   Ich war auch der Meinung, dass wir unbeschadet der Entscheidung über die Vollmitgliedschaft hinsichtlich der Bedeutung der zukünftigen Entwicklung der Türkei eine gemeinsame strategische Position vertreten haben. Wenn dies aber der Fall ist, dann müssen Sie sich fragen lassen, meine Damen und Herren von der Union und Frau Vorsitzende Merkel, warum Sie jetzt, nach 40 Jahren, in dem Wissen um die Konsequenzen eines Nein – ungeachtet dessen, wie Sie dieses Nein verpacken werden; ob als privilegierte Partnerschaft oder wie auch immer – diese Wende vornehmen, nachdem Ihre Partei vier Jahrzehnte lang eine ganz andere Politik verfolgt hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Lassen Sie mich auf die Konsequenzen dieser Haltung eingehen. Kollege Schäuble hat sinngemäß ausgeführt – ich teile diese Auffassung nicht, aber ich akzeptiere, dass sie durchaus ernst gemeint ist : Die Türkei gehört nicht zu Europa; sie gehört weder kulturell, noch politisch und historisch zu Europa.

(Michael Glos (CDU/CSU): Geographisch!)

- Meinetwegen auch geographisch. – Das ist doch der Kern Ihrer Position. Ich teile sie nicht, aber sie muss ernsthaft diskutiert werden.

(Michael Glos (CDU/CSU): Vor allem über die Geographie!)

   Herr Kollege Schäuble, Sie wissen doch genau, welche Konsequenz es hätte, wenn wir Ihnen folgen würden: Wir würden die Verhandlungen nicht aufnehmen. Deswegen frage ich Sie noch einmal: Warum vertreten Sie diese Position jetzt, nach 40 Jahren? Sie sprechen davon, dass es jetzt ein glaubwürdiges Angebot geben sollte. Haben denn Konrad Adenauer und Helmut Kohl keine glaubwürdigen Angebote vorgelegt?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Lassen Sie mich noch einmal auf die Geschichte zurückkommen. Gerade die politische Geschichte, die im Wesentlichen durch die Kontinuität der Haltung der Bundesregierungen geprägt wurde, spielt in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle. Walter Hallstein hat am 12. September 1963 gesagt:

Getragen von den gleichen Vorstellungen, werden sie

– die beiden Parteien, nämlich die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die Türkei –

gemeinsam überlegen, wie sie diese im Rahmen der Assoziation verwirklichen können. Und eines Tages soll der letzte Schritt vollzogen werden: Die Türkei soll vollberechtigtes Mitglied der Gemeinschaft sein. Dieser Wunsch und die Tatsache, dass wir in ihm mit unseren türkischen Freunden einig sind, sind der stärkste Ausdruck unserer Gemeinsamkeit.

   Nun kommt das Argument, die heutige Europäische Union sei eine andere. So wurde das von der Kollegin Merkel vorgetragen, wenn ich mich richtig entsinne. Kollegin Merkel, ich weiß zwar im Moment nicht, ob Sie damals ad personam in der Regierung waren – das kann durchaus sein –, aber es war die Regierung Kohl, in deren 16 Jahren der Übergang von der EWG zur EU Gestalt angenommen hat und wesentlich geprägt wurde. Herr Schäuble war dabei in wechselnden Funktionen tätig. Hat dieser Übergang zu einer Änderung Ihrer Haltung geführt? Definitiv: Nein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Rabulistik! – Lachen bei der SPD)

– Nein, das ist keine Rabulistik.

(Zuruf von der SPD: Unbequem!)

   Nach Aufforderung durch den Europäischen Rat von Luxemburg vom Dezember 1997 – das fällt also noch in die Zeit der Regierung Kohl – verabschiedete die Kommission die Mitteilung über eine „Europäische Strategie für die Türkei“, in der nochmals unterstrichen wird, was letztendlich in der Kontinuität aller Bundesregierungen steht. In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates heißt es::

Der Europäische Rat bekräftigt, dass die Türkei für einen Beitritt zur Europäischen Union infrage kommt. Das Beitrittsersuchen der Türkei wird auf der Grundlage derselben Kriterien untersucht wie im Falle anderer Bewerberstaaten. Obwohl die politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen, aufgrund deren Beitrittsverhandlungen in Betracht gezogen werden können, nicht gegeben sind, hält es der Europäische Rat für wichtig, eine Strategie zur Vorbereitung der Türkei auf den Beitritt festzulegen, und zwar durch eine Annäherung an die Europäische Union in allen Bereichen.

Daraufhin verfasste Herr Glos eine nun wirklich historisch zu nennende Presseerklärung: Die Türkei darf auf dem Weg nach Europa nicht diskriminiert werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wortwörtlich heißt es in der Presseerklärung von Michael Glos:

Es ist nicht nur im deutschen, sondern im europäischen Interesse, die Türkei an Europa zu binden. An der Schwelle Europas, im Schnittpunkt der Krisenregionen des Nahen und Mittleren Ostens, war die Türkei über Jahrzehnte ein verlässlicher Partner und Freund der Deutschen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

– Sehr gut! Klatschen Sie ruhig weiter.

   Weiter heißt es:

Die Bedeutung der Türkei für die Sicherheit Europas besteht über das Ende des Ost-West-Konflikts hinaus. Es dient nicht europäischen Interessen, wenn die Türkei auf ihrem Weg nach Europa durch Übertaktieren vor den Kopf gestoßen wird.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Gleich werden Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, hoffentlich wieder klatschen, wenn es heißt:

Für Europa und die Türkei muss klar sein, dass ein türkischer Beitrittsantrag grundsätzlich an den gleichen Kriterien gemessen wird wie der jedes anderen europäischen Staates.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Europäischen Staates!)

   Weiter heißt es:

Angesichts der Dimensionen ist die Heranführung der Türkei an Europa sicher eine größere und schwierigere Aufgabe als in jedem anderen Fall. Das kann aber nur bedeuten, dass die Anstrengungen größer, die Fristen großzügiger bemessen sein müssen. Am Ziel darf es keinen Zweifel geben.
(Beifall der Abg. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Es ist vor allem im deutschen Interesse, die Türkei in Europa zu sehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Minister Fischer, darf ich Sie darauf hinweisen, dass die vereinbarte Redezeit abgelaufen ist? Nach der Verfassung und der Geschäftsordnung dürfen Sie natürlich länger reden. Dann haben aber die Fraktionen das Recht, die Debatte wieder zu eröffnen.

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen:

Herr Präsident, ich weiß das.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Ich wollte Sie nur darauf hinweisen.

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen:

Herr Präsident, vielen Dank für diesen Hinweis.

   Es geht aber weiter,

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

weil die Geschichte wichtig ist. Die „FAZ“ hat Bundeskanzler a. D. Dr. Helmut Kohl in einem Interview am 22. Januar 2004 gefragt:

Die eigentliche Frage aber bleibt die geographische Grenze. Sie sagen, die Türkei könne Mitglied der EU werden, vorausgesetzt, sie erfüllt die Kriterien.
(Dr. Gerd Müller (CDU/CSU): Heute ist Vorlesetag!)

Antwort:

Das haben wir immer gesagt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Unruhe bei der CDU/CSU)

– Ich sehe, dass Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, unruhig sind. Es bleibt aber dabei: Das sind vier Jahrzehnte kontinuierlicher Türkeipolitik von CDU/CSU und den von ihr gestellten Bundesregierungen. Herr Kollege Schäuble, das ist keine Rabulistik. Vielmehr haben Sie die Voraussetzungen dafür geschaffen – das ist wichtig –, dass die Türkei zu Recht die Frage stellt: Wenn wir alle Bedingungen – die beiden Teile der Kopenhagener Kriterien – erfüllen, haben wir dann einen Anspruch auf Vollmitgliedschaft oder nicht? Die Zusagen, die Sie gemacht haben, können Sie nicht einfach zurücknehmen. Das geht vielleicht in der Opposition. Wenn aber die Bundesregierung und die sie tragende Mehrheit dies machen würden, dann würde das Nein bedeuten. Das hätte – das wissen Sie auch – fatale sicherheitspolitische und strategische Konsequenzen. Das ist der entscheidende Punkt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Frau Merkel, Sie könnten mit dem Vorschlag, den die Kommission gemacht hat, eigentlich leben.

(Zuruf von der SPD: Genau!)

   Sie können lediglich nicht damit leben, dass, was das Ziel angeht, nicht ergebnisoffen verhandelt werden soll. Dass der Entscheidung kein Automatismus zugrunde liegt, steht im Kommissionsbericht. Es sind genügend Safeguards eingebaut. Sie wissen: Es geht nicht nur um das Verhandeln, sondern auch um das Umsetzen, das Implementieren, das heißt um reale Veränderungen in den Köpfen und in der gesellschaftlichen Realität.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Sie wissen: Es sind genügend Benchmarks eingebaut. Das heißt in Bezug auf die Finanzfragen: Es ist doch völlig klar, dass man keine EinszueinsÜbertragung vornehmen kann, und das weiß die türkische Seite angesichts der Größe der Herausforderung.

   Es wird jährlich einen Bericht zur Erfüllung der Kopenhagener Kriterien geben. Durch diesen Bericht wird bei der Umsetzung ein permanenter Druck, vor allen Dingen was die Bereiche Menschenrechte, Gleichstellung der Frauen, Justiz und gesellschaftliche Praxis angeht, ausgeübt. Es gibt also, was das Ergebnis angeht, keinen Automatismus; aber im Hinblick auf das Ziel sind wir einig: Die Verhandlungen werden in Richtung Beitritt und nicht in Richtung privilegierte Partnerschaft geführt. So steht es im Bericht der Kommission.

   Wir haben diese Debatte oft genug geführt. Ich verstehe, dass es ernsthafte Einwände gibt. Ich teile diese Einwände zwar nicht; aber man muss sich mit ihnen auseinander setzen. Sie können es sich allerdings nicht so einfach machen. Wenn ich die „FAZ“ heute richtig gelesen habe, dann sehe ich ein neues Problem auf Sie zukommen.

(Peter Hintze (CDU/CSU): Auf Sie!)

– Nicht auf uns.

(Peter Hintze (CDU/CSU): Warten Sie einmal ab!)

Wir werden für die Ratifizierung der EU-Verfassung eine Zweidrittelmehrheit brauchen. Die Kollegin Merkel hat diese Verfassung und vor allen Dingen den Beitrag, den Ministerpräsident Teufel und Herr Altmaier dazu geleistet haben, hier in verschiedenen Reden sehr gelobt.

(Peter Hintze (CDU/CSU): Zu Recht!)

Auch Sie – auch Herr Altmeier – haben diese Verfassung gelobt. Heute hören wir plötzlich, dass ein weiterer Kurswechsel –sozusagen aus dem Überraschungsei – bevorsteht. Das werden wir uns in Ruhe anschauen.

   Ich kann Ihnen an diesem Punkt nur sagen: Vertiefung und Erweiterung, das ist keine Frage des Entwederoder. Die Tatsache, dass sich die gesellschaftliche Realität im internationalen Staatensystem mit dem 11. September 2001 grundsätzlich verändert hat, ist jetzt offensichtlich geworden. Wir stehen vor einer großen Bedrohung durch den internationalen Terrorismus. Nimmt man sämtliche Faktoren wie die Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten – im Iran droht eine neue Krise – und die Entwicklung des Terrorismus im Irak zusammen, erkennt man, dass ein Nein zum Beitritt der Türkei in dieser Situation extrem kurzsichtig und gegen die Interessen, auch die Sicherheitsinteressen, unseres Landes und Europas gerichtet wäre.

   Die Frage, ob Europa dies aushalten wird, werden wir dann zu entscheiden haben, wenn wir die Integrationsfortschritte Europas tatsächlich sehen. Eines ist aber klar: Wenn Sie der Verfassung nicht zustimmen, dann werden Sie sich schon von einer Perspektive der Integration der EU der 25 verabschieden. Deswegen glaube ich nicht, dass Sie dieser Verfassung nicht zustimmen werden. Die Fragen, die Sie hier aufwerfen, betreffen nicht die Türkei, sondern die EU der 25. Sie müssen in diesem Rahmen beantwortet werden.

   Wie eine europafähige Türkei aussieht, ob die Ängste von Herrn Glos, die er in maßloser Überziehung darstellt, noch vorhanden sein werden, ob die Türkei zu Europa passen wird und wie dieses Europa aussehen wird, diese Fragen sind genau dann zu beantworten, wenn sie sich stellen. Es gibt keinen Automatismus. Wir reden hier über eine Perspektive von zehn bis 15 Jahren. Man wird dann mit kühler Vernunft und auch auf der Grundlage der europäischen Zusagen zu entscheiden haben.

   Ich persönlich bin mir sicher – das ist meine Überzeugung –: Wenn die Türkei diese Reformfortschritte macht, dann wird es am Ende ein Ja geben. Wenn der Prozess stagniert, dann kann die Kommission mit Mehrheit beschließen, die Verhandlungen zu unterbrechen. Wenn der Prozess in die Gegenrichtung läuft, dann können die Verhandlungen sogar abgebrochen werden. Frau Merkel, unterm Strich könnten Sie diesem Beschluss doch klar zustimmen. Allerdings würde dann Ihr Laden auseinander fliegen und deswegen tun Sie es nicht.

   Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Tribüne hat soeben Herr Parlamentspräsident Kosmo aus Norwegen mit seiner Delegation Platz genommen.

(Beifall)

Herr Präsident Kosmo, wir begrüßen Sie und Ihre Delegation sehr herzlich, wünschen Ihnen einen aufschlussreichen Besuch im Deutschen Bundestag, auch wenn dieser nur kurz sein wird, darüber hinaus einen schönen Aufenthalt in Berlin und alles Gute für Ihr parlamentarisches Wirken in der Zukunft. Vielen Dank für Ihren Besuch.

(Beifall)

   Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen nun mitteilen, dass von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP beantragt worden ist, die Debatte noch einmal aufzunehmen. Ich schlage vor, dass jede Fraktion zusätzlich einen Redner mit fünf Minuten Redezeit stellen kann.

(Widerspruch – Jörg Tauss [SPD]: Herr Glos soll mal seine Pressemitteilung vorlesen!)

Ich höre gerade, dass dies nicht auf die Zustimmung der Geschäftsführer trifft. Dann bitte ich die Geschäftsführer, eine Redezeitvereinbarung zu treffen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Sehr richtig!)

Ich kann das nicht von mir aus tun. Ich habe einen Vorschlag gemacht. Er wurde nicht akzeptiert.

   Wir fahren dann zunächst in der Debatte fort. Das Wort hat der Kollege Peter Hintze von der CDU/CSU-Fraktion. Bitte schön, Herr Hintze.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Peter Hintze (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Rede des Herrn Bundesaußenministers war heute in jeder Hinsicht aufschlussreich.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie immer!)

Am interessantesten fand ich die Zitate über unseren Kollegen Michael Glos;

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir auch!)

denn das, was Sie uns hier heute ausführlich vorgelesen haben, lieber Herr Bundesaußenminister, dokumentiert nichts anderes als die Europa- und Türkeifreundlichkeit unseres Kollegen Michael Glos; die haben Sie damit nachgewiesen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das glauben Sie ja selber nicht!))

   Es geht also in der Debatte nicht um die Frage, ob jemand europafreundlich ist oder nicht, es geht nicht um die Frage, ob jemand türkeifreundlich ist oder nicht, sondern es geht um die Frage: Wie können wir für die Türkei und für Europa den besten Weg zu einer guten Zusammenarbeit, zu einer guten Partnerschaft finden? Darüber streiten wir uns, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Nun hat der Kollege Westerwelle eine interessante Einschätzung gegeben, die ich Ihrer Aufmerksamkeit anempfehle. Er hat hier vorgetragen, die Türkei sei heute nicht beitrittsfähig und die EU sei heute nicht aufnahmefähig, aber man solle Beitrittsverhandlungen eröffnen. Er hat damit die Hoffnung verbunden, dass sich das zum Positiven ändern werde. Habe ich Sie da richtig verstanden, Herr Kollege?

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Fast!)

– Gut.

   Wenn aber die Türkei heute nicht beitrittsfähig ist und wenn die Europäische Union heute nicht aufnahmefähig ist,

(Jörg Tauss (SPD): Eier, eier, eier!)

dann fehlt nach Geist und Buchstaben des EU-Vertrags jede, aber auch jede Begründung dafür, sich in dieser Situation in Beitrittsverhandlungen hineinzustürzen;

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Das stimmt nicht! – Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist Unsinn! Sie müssen doch wenigstens ein Ziel definieren! – Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was war mit den anderen Kandidaten?)

denn, verehrte Zwischenruferinnen Roth und Sager, die Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union ist absolut Voraussetzung für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen. Es wäre ein gefährliches politisches Experiment mit den Gefühlen der Türken und mit der realen Situation der Europäischen Union, wenn man sich in eine Verhandlung hineinbegäbe, an deren Anfang noch nicht einmal die Grundvoraussetzung, nämlich die prinzipielle Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union, stünde.

(Beifall bei der CDU/CSU – Peter Dreßen (SPD): Das stimmt so nicht!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Hintze, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Westerwelle?

Peter Hintze (CDU/CSU):

Gern.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Bitte schön, Herr Westerwelle.

Dr. Guido Westerwelle (FDP):

Herr Kollege Hintze, Sie waren so freundlich, auf meine Ausführungen Bezug zu nehmen. Sie haben gesagt, wenn heute die Beitrittsfähigkeit nicht gegeben sei, so dürften auch die Beitrittsverhandlungen nicht aufgenommen werden. Da Sie das in einen Zusammenhang mit meinen Ausführungen gestellt haben, erlaube ich mir, in einer Frage einen Widerspruch anzumelden. Können Sie mir irgendein Land nennen, das der EU beigetreten ist, zum Beispiel in diesem Jahr, das bereits zum Zeitpunkt der Aufnahme der Beitrittsverhandlungen beitrittsfähig war?

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt muss er überlegen!)

Peter Hintze (CDU/CSU):

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ihr jubelt zu früh, bleibt einmal ganz entspannt.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir sind nicht beim Du!)

Der Kollege Westerwelle hat sich nämlich leider verhört. Ich habe gesagt, die Aufnahmefähigkeit ist die Grundvoraussetzung für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen. Als wir mit Polen, Estland, Lettland, Slowenien und Ungarn verhandelt haben, war die Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union für diese Länder voll gegeben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gernot Erler (SPD): Woher wissen Sie das? – Widerspruch bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Heute sagen selbst Sie mit Blick auf die Türkei, die Aufnahmefähigkeit sei noch nicht gegeben. Genau da liegt der Unterschied, Herr Kollege Westerwelle.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Konfusion pur!)

   Jetzt kommt der Bundesaußenminister und beschwört die Kontinuität. Er hat uns dazu viel vorgelesen und sagt in Richtung unserer Vorsitzenden, wir hätten eine Wende vollzogen.

(Jörg Tauss (SPD): Ja!)

Meine Damen und Herren, wenn eine politische Kraft in diesem Hause in der Türkeifrage eine Wende vollzogen hat, dann ist das Rot-Grün, niemand anders. Das will ich jetzt erläutern.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gernot Erler (SPD): Ihr habt eine Rolle rückwärts gemacht!)

Es wurden Adenauer und Kohl zitiert und es wurde auf jahrzehntelange Kontinuität der Bundespolitik verwiesen. Herr Schäuble, Frau Merkel und andere sind genannt worden.

(Zuruf von der SPD: Herr Glos auch!)

Was haben denn alle früheren Regierungen gemacht? All diese Regierungen haben erkannt, dass wir gute und freundschaftliche Beziehungen zur Türkei benötigen, dass aber eine Vollmitgliedschaft eine Überdehnung darstellen würde.

(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen gilt von Adenauer bis Kohl und von Merkel bis Schäuble – –

(Zurufe von der SPD: Wo denn? – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

– Ehe Sie hier schreien „Wo denn?“, lassen Sie mich erst einmal die Frage beantworten.

   In all den Jahrzehnten, die Sie für Ihre These der Kontinuität anführen, sind andere Formen der Zusammenarbeit gewählt worden, nämlich von der Assoziierung bis zur Zollunion,

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem Ziel der Vollmitgliedschaft!)

und eben nicht die Vollmitgliedschaft. Die Ergebnisse des Luxemburger Gipfels, die Herr Fischer zitiert hat, hat er, wie bei ihm üblich, unvollständig zitiert. In Luxemburg wurde 1997 ein Aufnahmeantrag in die Europäische Union aus dem Jahre 1987 ablehnend beschieden, genau wie im Jahre 1963 der Mitgliedsantrag aus dem Jahre 1957 abgelehnt wurde.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das war 1989, Herr Hintze!)

– Frau Roth, zu Ihnen komme ich auch noch. – Die Kontinuität deutscher Politik bestand darin, dass alle Regierungen – Bundeskanzler Helmut Schmidt hat uns ja noch einmal daran erinnert, ihr Lieben –

(Zurufe von der SPD: Na, na! – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

erkannt haben, dass eine Vollmitgliedschaft Europa überfordert und dass eine gute Partnerschaft auf anderem Wege zu suchen ist.

   Das Modell einer privilegierten Partnerschaft – die Kollegen von der SPD und den Grünen wollten ja wissen, wie das aussieht; diesen Wissensdurst will ich gerne stillen – liegt von uns übrigens ausbuchstabiert bis ins Letzte vor, Herr Kollege Erler.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das muss ein kurzer Text sein! – Widerspruch bei der SPD)

– Da brauchen Sie doch nicht zu schreien. Erst zitiert Frau Roth Herrn Schäuble falsch,

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das wird geklärt!)

dann schreien Sie, wenn ich es Ihnen richtig darstelle.

(Gernot Erler (SPD): Weil Sie gar nicht wissen, was das ist! Denn Sie wissen nicht, was Sie tun!)

Wir haben in unserem Antrag die privilegierte Partnerschaft als Verhandlungsziel genannt, aber darauf verzichtet, dem Europäischen Rat ein bestimmtes Modell vorzuschreiben, dass er eins zu eins übernehmen muss.

   Sie können doch nicht übersehen, dass in vielen Staaten Europas mittlerweile sogar Teile der politischen Linken sagen: Das, was die CDU/CSU in Deutschland vorgeschlagen hat, ist für Europa und für die Türkei gut. Wenn sich der Herr Bundeskanzler beim Besuch von Herrn Erdogan hinstellt und ausdrücklich jede andere Form der politischen Zusammenarbeit ausschließt und beschwörungshaft formuliert, es dürfe nur um den Beitritt und um nichts anderes gehen, dann handelt er unverantwortlich und schadet Deutschland.

(Gernot Erler (SPD): Hat er gar nicht gemacht!)

Wenn man nämlich die Brücken hinter sich abreißt, muss man sich fragen, wer in den Graben fällt, falls doch ein Rückzug fällig ist.

(Beifall bei der CDU/CSU – Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie reißen doch Brücken ab! – Jörg Tauss (SPD): Sie hocken schon im Graben!)

   Ihre Rede, Frau Kollegin Roth, fand ich übrigens sehr interessant. In früheren Zeiten haben Sie in diesem Hause, wie ich finde, zu Recht darauf hingewiesen, dass sich die Gesellschaft, die uns in der Türkei gegenübertritt, und die Gesellschaft, die wir in Europa kennen, grundlegend voneinander unterscheiden.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Von Gesellschaft habe ich nicht gesprochen!)

Ich bin auch sehr erstaunt darüber, dass heute über all das, worüber immerhin die Medien in Deutschland noch dankenswerterweise berichten, also über Zwangsverheiratungen, Ehrenmorde, über die Situation und die Stellung der Frau, die Zahl der Folterungen auf Polizeistationen und andere Dinge – Kollege Müller hat hierzu interessante Ausführungen gemacht –, praktisch gar nicht mehr gesprochen wird.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist nicht wahr! Das Gegenteil ist wahr!)

   Noch ein kurzer Hinweis zu dem Missverständnis des Kollegen Westerwelle: Die Beitrittsfähigkeit im wirtschaftlichen Sinne muss nach den vertraglichen Grundlagen natürlich erst am Ende da sein; aber die Demokratiefähigkeit muss schon am Anfang vorhanden sein.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   In diesem Zusammenhang spielt eine Rolle, dass es bei uns Tausende von Anträgen türkischer Staatsbürger auf Asyl gibt.

(Dr. Gerd Müller (CDU/CSU): 11 000 im letzten Jahr!)

Für die, die sich nicht ständig damit beschäftigen: Asyl wird als Schutz vor staatlicher Verfolgung gewährt.

   Außerdem gibt es andere Punkte, die in anderen Debatten in diesem Haus angesprochen werden. Wir befinden uns zum ersten Mal in der Geschichte der Europäischen Union in der Situation, dass ein Staat Mitglied der Europäischen Union werden will, der mit seinen Soldaten und seinen Truppen völkerrechtswidrig einen Teil eines anderen Staates der Europäischen Union besetzt hält.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn die Türkei Mitglied der Europäischen Union werden will, müsste das erste Kooperationszeichen der Abzug der Truppen aus Nordzypern sein.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Das ist richtig!)

– Ich freue mich, dass auch der Kollege Gerhardt im Namen der FDP diesen Gedanken unterstützt.

(Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Das hätten sie schon längst tun sollen!)

   Meine Damen und Herren, vielleicht kann ich ja im zweiten Teil der Debatte den zweiten Teil meiner Rede vortragen.

(Jörg Tauss (SPD): Nein! Nichts Neues! – Gernot Erler (SPD): Sagen Sie es doch bitte noch mal!)

- Die SPD hat es offenbar noch nicht verstanden. Das ist auch nicht verwunderlich. – Aber ich hoffe, schon im ersten Teil meiner Rede ist deutlich geworden, dass wir – –

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Hintze, Ihre Redezeit ist aber abgelaufen.

(Beifall der Abg. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Peter Hintze (CDU/CSU):

Dann, Herr Präsident, danke ich denen, die mir zugehört haben,

(Gernot Erler (SPD): Das machen wir immer, Herr Hintze!)

und den anderen empfehle ich dringend, meine Rede nachzulesen.

   Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Zunächst weise ich Sie darauf hin, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die Debatte um eine halbe Stunde verlängert wird, wobei die Redezeitverteilung wie üblich ist. Allerdings verzichtet die Union auf zwei Minuten zugunsten der FDP, die dann fünf Minuten Redezeit hat.

(Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): So liberal sind wir! – Gernot Erler (SPD): Das spenden wir der Europäischen Kommission!)

   Zweitens muss ich aufgrund des Protokolls feststellen, dass der Kollege Michael Glos die Kollegin Claudia Roth während ihres Debattenbeitrages als „Verleumderin“ bezeichnet hat.

(Zuruf von der SPD: Was? – Michael Glos (CDU/CSU): Jawohl, dazu stehe ich!)

Ich sehe mich gezwungen, darauf hinzuweisen, dass es unparlamentarisch ist, eine Kollegin oder einen Kollegen des Hauses direkt herabzusetzen.

(Michael Glos (CDU/CSU): Auch wenn sie es vorher tut? – Gegenruf der Abg. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt reißen Sie sich mal zusammen, Herr Glos!)

Auch in einer emotionalisierten Debatte sollte man sich an den parlamentarischen Sprachgebrauch halten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Auch wenn man Glos heißt!)

Das gehört nun einmal zu der Disziplin, der wir uns alle zu unterwerfen haben. Ich bitte, das damit zu beenden.

   Jetzt setzen wir die Debatte fort. Der nächste Redner ist der Kollege Günter Gloser von der SPD-Fraktion.

Günter Gloser (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Hintze, wie hoch muss Ihnen das Wasser stehen, dass Sie eine solche Debatte nutzen, um derartige Drohszenarien zu entwerfen und mit Verunglimpfungen und Unterstellungen zu arbeiten! Ich kann das einfach nicht nachvollziehen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wenn ich die Vorsitzende Ihrer Partei und Fraktion sehe, wie sie da neben ihren Männern sitzt, habe ich manchmal den Eindruck, dass sie denkt: Was soll ich da eigentlich? Was geht da für ein Spiel ab?

   Das möchten wir heute demaskieren. Ich möchte hier namens der SPD noch einmal Folgendes deutlich machen. Wir haben – wie bei allen anderen Prozessen der EU-Erweiterung in der Vergangenheit – gesagt: Am Anfang können noch nicht alle Bedingungen erfüllt sein; es ist ein Prozess, in dem sich die Dinge entwickeln. So war es auch bei den osteuropäischen Ländern. In der Zwischenfrage des Kollegen Westerwelle ist das vorhin erwähnt worden. Sie erinnern sich, glaube ich, nicht mehr an Nizza. In Nizza wollten wir eine nicht nur graduelle, sondern eine sehr intensive Vertiefung erreichen. Zu dem damaligen Zeitpunkt haben wir das leider nicht geschafft. Trotzdem haben wir den osteuropäischen Ländern, um sie nicht länger hinzuhalten, eine Perspektive aufgezeigt und ihnen als Datum das Jahr 2004 genannt. Dadurch ist der Prozess beschleunigt worden. Das war die richtige Strategie.

(Beifall bei der SPD)

   Alle hier im Hause – zumindest wir von der Koalition – warten auf die Vorstellung des Modells einer privilegierten Partnerschaft.

(Zuruf von der SPD: Ja!)

Was ist das eigentlich? Sie reden immer nur in Versatzstücken. In einem Autohaus kann ich mir Modelle anschauen. Sie aber stellen uns Ihr Modell nicht vor. Sie reden nur über den Begriff „privilegierte Partnerschaft“. Die Kollegin Pau hat vorhin zutreffend gesagt, dass Sie mit diesem Ausdruck vielleicht nur Ihre Beziehung untereinander beschreiben wollen, aber nicht das, was Sie in Bezug auf die Türkei konkret vorhaben.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Ich wiederhole die Frage: Warum gab es während der 16-jährigen Regierungszeit von Herrn Kohl zu keinem Zeitpunkt eine Veränderung Ihrer Position? All das, was wir heute diskutieren, hat es damals in ähnlicher Form gegeben. Plötzlich – aufgrund einer für Sie anderen Situation – greifen Sie dieses Thema auf.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

   Wir sagen ganz bewusst – ich will das deutlich herausstreichen –: Wir wollen, dass die Türkei auf dem eingeschlagenen Weg vorangeht und den Prozess der Demokratisierung fortführt. Es kann von Ihnen doch in keiner Weise geleugnet werden, dass sich im politischen und im gesellschaftlichen Bereich vieles verändert hat. Wenn Herr Müller immer davon spricht – Herr Müller beschreibt sozusagen von der Alm aus bestimmte Szenarien; so kennen wir ihn mittlerweile

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nichts gegen die Alm! Da gibt es auch andere!)

– nein, nichts gegen die Alm im Allgemeinen, aber gegen seine Alm –, was da alles noch passieren kann, dann muss ich Sie fragen: Haben Sie nicht einmal zur Kenntnis genommen, wie viele positiven Veränderungen es etwa im Bereich des Strafrechts in der Türkei gegeben hat?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es hat in den letzten Monaten auch positive Veränderungen hinsichtlich der Rolle der Frau und der Sanktionen bei Ehrenmorden gegeben.

   Wir sind uns doch alle darin einig, dass es in diesen Bereichen eine Nachhaltigkeit geben muss. Es kann nicht sein, dass man zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Gesetz beschließt und vielleicht auch kommentiert, es aber nicht in die Praxis umsetzt. Ich denke, die Türkei wird daran gemessen werden. Wir setzen die Hoffnung darauf, dass es einen nachhaltigen Prozess gibt.

   Ich kann Ihnen auch aufgrund von Gesprächen mit türkischen Kolleginnen und Kollegen berichten – auch mit Kolleginnen und Kollegen Ihrer vielleicht künftigen Schwesterpartei AKP –, dass sie immer wieder betonen: Wir gestalten den Prozess in Richtung mehr Menschenrechte für die Menschen in unserem Land und nicht in erster Linie deswegen, um gewisse Kriterien der Europäischen Union zu erfüllen. Denn auch die Bürgerinnen und Bürger in der Türkei sollen Grundrechte besitzen. – Das ist ein ganz wichtiger Fortschritt.

(Beifall bei der SPD)

   Ich möchte noch auf einen Bereich zu sprechen kommen, der nicht nur bei uns, sondern auch in benachbarten Ländern eine Rolle spielt. Wir verbinden mit diesem Prozess eben auch die Hoffnung – das ist seit Helsinki und Kopenhagen deutlich geworden –, dass die Regierung der Türkei auch im Hinblick auf die Zypernfrage weiterhin eine aktive Rolle einnimmt. Dass sie das bisher getan hat, kann von keiner Seite geleugnet werden. Wir hoffen, dass das weiterhin so bleibt. Es sind sicherlich noch weitere Zeichen der türkischen Regierung möglich. Ich denke, die Türkei ist flexibel genug, dies zu tun.

   Es besteht weiterhin die Notwendigkeit, über die türkischen Truppen auf Nordzypern zu sprechen. Ich will an dieser Stelle auch die Frage aufgreifen – diese Frage spielt weniger bei uns eine Rolle als bei unserem Partner Frankreich –, wie sich die Türkei bezüglich der Verfolgung der Armenier und des Genozids an den Armeniern verhält. Dies ist ein wichtiges Thema. Angesichts der Tatsache, dass sich in Kürze Vertreter der Türkei mit Gruppen von Armeniern treffen werden, um über dieses Thema zu sprechen, muss ich fragen: Was wollen wir eigentlich mehr, als dass man sich zusammensetzt und sich der historischen Verantwortung bewusst wird?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich möchte in diesem Haus für das werben – man muss die betreffende Stelle im Protokoll einmal nachlesen, weil sie im Beifall vielleicht untergegangen ist –, was Herr Schäuble vorhin gesagt hat. Ich habe seine Äußerung so verstanden, dass auch er eine Beitrittsperspektive sieht. Er hat nur die Schlussfolgerung gezogen, dass es möglicherweise eine wie auch immer ausgestaltete privilegierte Partnerschaft zwischen der Türkei und der Europäischen Union geben kann, wenn diese Verhandlungen nicht zum Erfolg führen. Diese Haltung, den ergebnisoffenen Prozess mitzugestalten, unterscheidet sich meines Erachtens wohltuend von den Äußerungen, die von der CSU verbreitet worden sind.

   Herr Glos, abgesehen von Ihrem Ausrutscher und der Verleumdung in der gestrigen „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ frage ich mich manchmal: Warum haben Sie denn heute nicht das Wort ergriffen und verkündet: „Ich stehe zu dem, was ich 1997 gesagt habe“? Das ist nämlich genau die Politik, die heute von dieser Koalition auf den verschiedensten Ebenen gemacht wird. Sie aber wollen vergessen machen, was Sie vor wenigen Jahren gesagt haben. Es wäre natürlich ein Zeichen von Führung, wenn die Fraktionsvorsitzende sagen würde: Ich will, dass meine Fraktion bei diesem Thema einmütig ist und sich zu einem solchen Prozess bekennt, wie ihn die Europäische Union begonnen hat. Aber dazu ist Frau Merkel nicht in der Lage.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich glaube, der Prozess, den die Europäische Union der 25 am 17. Dezember dieses Jahres eröffnen wird, ist ein wichtiges Zeichen für die Türkei. Wir sollten, wie wir das auch bei der letzten Erweiterung um zehn Länder getan haben, innenpolitische Ängste – diese gibt es natürlich – und Hinweise auf Risiken ernst nehmen. Aber es ist Aufgabe der Politik, diese Ängste nicht noch durch nicht vorhandene Argumente zu verstärken, sondern klar zu sagen, was durch die Politik leistbar ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Herr Müller, Sie können noch so häufig in diesem Parlament von Mehrbelastungen des EU-Haushaltes in Höhe von 40 Milliarden bzw. 50 Milliarden Euro sprechen. Eindeutig ist – das wird immer wieder gefordert –, dass sich die finanzielle Vorausschau der Europäischen Union für die Zeit nach 2006 verändern wird, dass die Sachpolitiken, zum Beispiel die Landwirtschafts- und die Strukturpolitik, überprüft und andere Schwerpunkte gesetzt werden müssen. Die Zahlen, die vorhin von der CDU/CSU genannt worden sind, werden dann nicht zutreffen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.

   Sicherlich müssen wir auch unseren türkischen Freunden sagen – denn Sie schüren hier Zuwanderungsangst –:

(Michael Glos (CDU/CSU): Das schürt doch Helmut Schmidt!)

Ihr müsst die Binnenwanderung im eigenen Land in den Griff bekommen und genauso, wie wir es getan haben, bestimmte Regionen, die heute unterentwickelt sind, fördern, damit die Wanderung innerhalb der Türkei nicht nur in Richtung Westen, nach Ankara und Istanbul, vonstatten geht. Das ist eine wichtige Aufgabe. Dem ist nicht mit Drohszenarien, Verleumdungen, Unwahrheiten und Unterstellungen zu begegnen, sondern mit Information und Aufklärung. Dazu wollen die SPD und die Koalition auf jeden Fall ihren entscheidenden Beitrag leisten.

(Michael Glos (CDU/CSU): Aber Sie sind dazu ungeeignet!)

– Sie, Herr Glos, haben nur eines im Sinn: zu vernebeln. Das liegt Ihnen besonders.

   Danke.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Friedbert Pflüger.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Der hat ja noch gar nichts gesagt!)

Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir wissen vom dänischen Ministerpräsidenten Rasmussen, dass auch Joschka Fischer lange Zeit gegen eine türkische Vollmitgliedschaft in der EU war.

(Peter Dreßen (SPD): Das halte ich für ein Gerücht!)

Ohne die übrigen EU-Partner zu informieren, hatte Rasmussen während der dänischen Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 2002 einem Fernsehteam erlaubt, bei allen Gelegenheiten zu filmen. Fast immer trug er ein kleines Mikrofon an seinem Revers.

(Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Hört! Hört!)

Es war versteckt; niemand wusste davon. Die Gespräche wurden aufgezeichnet.

(Peter Dreßen (SPD): Das ist sehr fragwürdig!)

   Als der Beitrag darüber 2003 im dänischen Fernsehen lief, war die Aufregung groß. Denn in dieser Fernsehsendung fragt der dänische Außenminister Møller seinen Chef Rasmussen: Habe ich dir schon gesagt, dass Joschka Fischer innerhalb von zwölf Stunden zum Thema Türkei/EU drei verschiedene Meinungen verkündet hat?

(Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört! – Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das meint Herr Møller)

   Weiter erfuhr die Öffentlichkeit, dass Fischer – jedenfalls zeitweise – die Auffassung vertreten habe, dass unbedingt die eine oder andere Form der Angliederung unterhalb der EU-Mitgliedschaft – wir nennen das privilegierte Partnerschaft – gefunden werden müsse.

(Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): So ist das!)

   Herr Fischer, wenn wir heute eine privilegierte Partnerschaft verkünden, Sie aber ausweislich des Mikrofons

(Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist doch gar nicht wahr, was Sie hier erzählen! Das ist kein Nachweis! Das Mikro war doch bei Herrn Møller und nicht bei Herrn Fischer angebracht!)

diese Aussagen damals gemacht haben, dann kann das, was wir heute in dieser Debatte vertreten, nicht so ganz dumm sein.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, es ist doch eindeutig – darüber besteht nirgendwo im Haus Streit; wir sollten gegenüber der Türkei auch nicht so tun, als gäbe es darüber Streit –: Wir alle wollen, dass die Türkei unser Freund und Partner ist. Wir alle würdigen, was sie für uns in der Zeit des Kalten Krieges, aber auch jetzt bei der Stabilisierung des Südostens von Europa geleistet hat. Wir alle wollen und müssen hier mit den Türken friedlich zusammenleben. Sie bereichern uns auf vielfältige Weise. Wir wollen nicht polarisieren,

(Lachen bei der SPD)

wir wollen die Türkei nicht wegstoßen, sondern wir wollen sie im Gegenteil an uns, an Europa, anbinden, weil die geopolitische Stabilität, die von einer solchen Anbindung ausgeht, für uns alle wichtig ist. Darüber besteht in diesem Hause Einigkeit. Versuchen Sie nicht, hier einen künstlichen Streit über Dinge vom Zaun zu brechen, bei denen wir alle einer Meinung sind! Diesen Eindruck der Türkei zu vermitteln ist eine falsche Politik.

(Beifall bei der CDU/CSU – Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das schaffen Sie schon alleine!)

   Wir alle wollen freundschaftliche Beziehungen mit der Türkei. Die Frage ist nur, ob es der Maßstab einer ehrlichen Freundschaft ist,

(Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dass man ehrlich ist, ja!)

dass man möglichst bald für Verhandlungen über eine Vollmitgliedschaft der Türkei eintritt. Dies scheint mir nicht der Fall zu sein. Vielmehr heißt der Maßstab, ob man der Türkei ehrliche, überschaubare und präzise Angebote für die nächsten Jahre macht. Jetzt anzubieten, dass man verhandelt und abwartet, wie es in 15 Jahren aussehen wird, ist keine faire Politik gegenüber der Türkei. Dann werden nämlich 15 Jahre lang Erwartungen aufgebaut.

(Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben doch die ganze Zeit Erwartungen aufgebaut! – Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist der Status quo!)

Anschließend gibt es in Frankreich ein Referendum und die ganze Sache stürzt ab.

   Wir haben demgegenüber ein Modell entwickelt, das neben dem Scheitern und der von Ihnen angestrebten Vollmitgliedschaft auch das Angebot einer privilegierten Partnerschaft enthält. Warum nehmen Sie dieses Modell nicht an? Nur, weil es von der CDU/CSU kommt?

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Weil Sie von Anfang an sagen: Ihr könnt euch noch so anstrengen, ihr habt keine Chance!)

Inzwischen wird doch in ganz Europa darüber diskutiert. Die gesamte französische Nationalversammlung ist dafür. Schreiben Sie diesen Vorschlag doch in das Papier hinein und machen Sie ihn sich zu Eigen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Es ist wichtig, dass wir die Türkei nicht irgendwann scheitern lassen. Vielmehr müssen wir sie auffangen. Dafür brauchen wir Institutionen. Hierfür ist der Gedanke der privilegierten Partnerschaft genau der richtige. Warum sind denn die französischen Sozialisten dafür? Warum können nicht auch Sie dafür sein? Diese Politik, die Türkei nicht ins Leere stürzen zu lassen, wird vielleicht einmal sehr wichtig sein, wenn wir nicht wollen, dass sie sich den Islamisten zu- und von Europa abwendet. Daher sollten Sie die privilegierte Partnerschaft in den Beschluss des Rates hineinschreiben.

   Meine Damen und Herren, nicht nur wir von der Union stellen kritische Fragen im Hinblick auf den baldigen Verhandlungsbeginn. Giscard, Egon Bahr, Helmut Schmidt, Hänsch sowie aus Ihrer Fraktion Klose und Meckel haben völlig legitime und wichtige Fragen gestellt: Überfordern wir die EU mit dem, was wir hier tun? Wolfgang Schäuble, Peter Hintze und Gerd Müller haben dies vorhin schon zum Ausdruck gebracht.

   Die EU muss in der globalisierten Welt handlungsfähig sein. Wir wollen und müssen doch mit einer Stimme sprechen, wenn wir in der internationalen Politik Gewicht haben wollen. Tun wir dies? Wir tun es schon jetzt kaum.

(Jörg Tauss (SPD): Mit „wir“ meinen Sie die Union!)

Schon jetzt gibt es in der EU überall Desintegrations- und Überdehnungstendenzen. Der Stabilitätspakt wird nicht mehr eingehalten. Es ist fraglich, ob wir den Verfassungsvertrag in Europa unter Dach und Fach bekommen. So vieles ist inzwischen in der EU fragil geworden! Wir haben noch überhaupt keine Erfahrungswerte, wie sich die Aufnahme der zehn neuen Länder auf den Integrationsprozess auswirkt.

(Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die werden wir in 15 Jahren aber haben!)

In einer so unklaren Situation nicht einem Land wie Litauen oder Luxemburg, sondern einem riesigen, stolzen Land wie der Türkei ein immerhin sehr weit reichendes Angebot zu machen scheint mir eine nicht verantwortbare Politik und ein schwerer Fehler zu sein.

(Günter Gloser (SPD): Als ob nicht auch Luxemburg stolz ist!)

   Wahrscheinlich helfen Sie damit Herrn Erdogan in den nächsten ein, zwei Jahren. Es ist ein gutes Motiv, ihm bei seinem Reformprozess zu helfen. Aber wir haben die Sorge, dass sich die Türken langfristig enttäuscht fühlen werden – spätestens nach dem französischen Referendum – und wir damit islamistischen Tendenzen in der Türkei Vorschub leisten werden. Der gesamte gut gemeinte Prozess würde kontraproduktiv, wenn die Islamisten in der Türkei gestärkt und nicht geschwächt werden sollten.

(Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie stärken die doch jetzt schon!)

Sie wollen mit dem Prozess der Integration in die EU den Reformprozess in der Türkei stabilisieren. Das ist für sich genommen ein gutes Argument, natürlich wollen wir das alle. Ist es aber auch ein ausreichendes Argument für die Vollmitgliedschaft? Müssen wir nicht auch an unsere Interessen und an die Handlungsfähigkeit der Union denken? Haben Sie vielleicht einmal darüber nachgedacht, ob der Integrationsprozess auch dazu führen kann, Destabilisierungstendenzen in der Türkei zu fördern?

   Ich habe bei meinem Besuch in der Türkei im Mai auch mit Islamisten gesprochen.

(Jörg Tauss (SPD): Nein! Unglaublich!)

Die Islamisten in der Türkei haben sehr klar gesagt: Wir wollen alle, dass die Türkei in die EU kommt, damit wir endlich den Kemalismus und das Kopftuchverbot in der Türkei überwinden können. Herr Gül, der Außenminister, verkündet das im türkischen Fernsehen und führt aus: Wenn wir Verhandlungen mit der EU führen, kann uns niemand mehr eine islamistische Partei in der Türkei verbieten.

   Das heißt, es könnte  natürlich ungewollt  umgekehrt ablaufen. Der EU-Integrationsprozess könnte in der Türkei Auswirkungen haben, die wir nicht wollen, er könnte den alten Laizismus in der Türkei, die Trennung von Staat und Religion, erst infrage stellen. Deswegen, glaube ich, ist es völlig legitim, dass wir besorgte und kritische Fragen an Sie richten und nicht einfach sagen: Wir sind gute Menschen, wir wollen die Türkei und wir wollen Stabilität, deswegen nehmen wir sie auf. Wir müssen sehr vorsichtig und verantwortungsvoll mit dieser äußerst wichtigen Sache umgehen.

(Jörg Tauss (SPD): Machen Sie es mal!)

Das tut meine Fraktion und ich denke, das ist eine Aufgabe für uns alle in diesem Parlament.

   Die Türkei ist unser Freund; daran wird nicht gerüttelt. Deshalb sollten Sie in Ihrem eigenen Interesse oder in dem Interesse, das Sie zu haben vorgeben,

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Haben wir es oder geben wir es vor?)

nicht die Mär verbreiten, dass wir irgendjemanden wegstoßen und in Europa nicht dabeihaben wollen.

(Jörg Tauss (SPD): Unterschriftensammlung!)

Das ist Unsinn, dagegen verwahren wir uns. Wir wollen eine stabile, gute und europaorientierte Türkei. Deswegen machen wir das Angebot der privilegierten Partnerschaft.

(Peter Dressen [SPD]: Warum werden dann Unterschriften gesammelt?)

   Schreiben Sie es doch einfach hinein und tun Sie das, was die Europäische Kommission sagt. Die Europäische Kommission gibt Ihnen in ihrem Bericht eine gute Vorlage.

(Jörg Tauss [SPD]: Legendenbildung!)

   Sie schreibt: Selbst wenn die Verhandlungen mit der Türkei scheitern sollten, muss die Türkei in europäischen Strukturen aufgefangen werden. Diese Aussage kann man ebenfalls in privilegierte Partnerschaft übersetzen. Die Türkei muss aufgefangen werden. Tun wir das doch! Bereiten wir das jetzt schon für den Fall des Scheiterns vor, sodass wir in diesem Fall ein eigenes Modell haben. In diesem Sinne bitten wir Sie herzlich darum, nicht zu polarisieren,

(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN  Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das richtet sich an die rechte Seite des Hauses!)

sondern ganz vernünftig und sachlich das Thema zu beraten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP  Jörg Tauss (SPD): Biedermann und Brandstifter!  Gegenruf des Abg. Michael Glos (CDU/CSU): Das verdient einen Ordnungsruf, Frau Präsidentin!)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ludger Volmer.

Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir, SPD und Grüne, haben in den 80er- und 90er-Jahren alles daran gesetzt, die Regierung Helmut Kohl abzulösen. Wir wollten Helmut Kohl ablösen, weil er reformunfähig war,

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

weil er Probleme ausgesessen hat und weil er eine riesige Staatsverschuldung aufgehäuft hat.

(Peter Hintze (CDU/CSU): Davon musst du reden! Das war ein Eigentor!)

Wir freuen uns darüber, dass wir dies 1998 geschafft haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Wir haben trotz der Fehler, die Helmut Kohl aus unserer Sicht gemacht hat – die Ablösung der Regierung Kohl war historisch überfällig , eines immer anerkannt: Er war ein großer Europäer.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Wir haben die Leistungen Helmut Kohls für Europa als historische Leistungen anerkannt. Die Türkeipolitik, über die wir heute sprechen, war Teil der europäischen Politik Helmut Kohls.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb reden wir heute auch über das Vermächtnis von Helmut Kohl und ich kann die heutige Debatte nur in einem Sinne begreifen: Die CDU/CSU erbt den negativen Anteil der Ära Kohl, nämlich die Reformfeindlichkeit, und Rot-Grün erbt den positiven Anteil, nämlich die vorwärts weisende Europapolitik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Dies ist eine der Lehren dieser Debatte.

   Ich frage mich, warum es jetzt zu diesem Kurswechsel innerhalb der Union kommt. Er ist angesichts der Intensität, mit der die Union 40 Jahre lang die richtige Politik betrieben hat, eigentlich gar nicht zu begreifen. Ich kann mir das nur psychologisch erklären,

(Jörg Tauss (SPD): Tiefenpsychologisch!)

nämlich in dem Sinne, dass der Übervater in jeder Hinsicht in den Hintergrund gedrängt werden und man sich damit auch krampfhaft von den Politiken absetzen muss, die eigentlich richtig gewesen sind. Warum geben Sie das positive historische Vermächtnis von Helmut Kohl preis und betreiben diese – letztlich auch innenpolitisch motivierte – Politik gegen die Türkei? Das ist völlig unverständlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sie geben sie preis unter dem Scheinargument, mehr Optionen und mehr Verhandlungsoffenheit haben zu wollen.

   Es mag ja sein – wir wissen um die Risiken des Verhandlungsprozesses –, dass sich zu irgendeinem Zeitpunkt herausstellt, dass es nicht geht. Dann sind vielleicht Notlösungen gefragt. Wenn man aber bereits heute über Notlösungen und Trostpreise redet, ist das nichts anderes, als dass man eine sich selbst erfüllende Prophezeiung in Gang setzt, und zwar mit dem heimlichen Willen, dass die Verhandlungen scheitern. Ich unterstelle Ihnen: Sie wollen, dass der Verhandlungsprozess scheitert. Deshalb reden Sie sein Scheitern heute herbei. Deshalb reden Sie heute über Notlösungen und Trostpreise und tun so, als seien dies positive Perspektiven.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Wir werden uns dieser sich selbst erfüllenden Prophezeiung entgegenstellen. Wir sind für einen hinsichtlich des Ergebnisses festgelegten Prozess. Wir wollen, dass die Türkei Mitglied der Europäischen Union wird. Wir wissen aber um all die Risiken. Darüber braucht uns niemand zu belehren. Gerade wir Grünen haben uns mit der Menschenrechtslage in der Türkei in den letzten 20 Jahren, seit wir im Bundestag sind, sehr intensiv und kritisch auseinander gesetzt. Wir haben aber auch gelernt: Es bringt nichts, ein solches Land in die Isolation zu treiben.

   Es ist das Ergebnis einer integrativen Außenpolitik, dass die Türkei dabei ist, sich mit außerordentlich bemerkenswerten Schritten in Richtung Demokratie zu entwickeln. Diese Tendenz wollen wir weiter unterstützen. Wir wollen dies auch im Hinblick auf Sicherheitsinteressen, die nach dem 11. September 2001 stärker geworden sind. Dies ist nicht das prioritäre Motiv für den Beitritt der Türkei; aber es ist eine zusätzliche Motivation. Wir können doch nicht über die desaströse Lage im Irak, über die Gefährdungen, die vom Iran ausgehen, über den immer noch ungelösten Nahostkonflikt reden, ohne uns Gedanken darüber zu machen, ob nicht die Europäische Union endlich eine dritte Dimension, eine strategische Dimension braucht, die sie in die Lage versetzt, als strategisch handelnder Akteur Einfluss auf diese Regionalkonflikte zu nehmen. Wenn man über diese dritte Dimension der europäischen Politik nachdenkt, über die strategische Dimension, begreift man sofort, dass der Türkei dabei eine Schlüsselrolle zukommt.

   Deshalb gehört es zu den Schlüsselprojekten auch der deutschen Sicherheitspolitik, die Türkei so weit in den europäischen Kontext bis hin zur Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union zu integrieren, dass sie ihre Scharnierfunktion, nämlich ein laizistischer, gleichwohl islamisch geprägter Staat und eine entsprechende Gesellschaft zu sein, zwischen dem so genannten Westen und der arabisch-islamischen Welt wahrnehmen kann. Eine Türkei an unserer Seite, eine Türkei eng verzahnt mit uns, hat für uns unschätzbare sicherheitspolitische Vorteile.

   Wenn wir die Türkei heute brüskieren, wie die Union das mit ihrem Nein machen will, treiben wir sie ins Niemandsland. Wir Rot-Grünen werden verhindern, dass die Ängste, die hier geschürt werden, dazu führen, dass man die Chancen aus dem Auge verliert. Wir finden, gerade angesichts des internationalen Terrorismus ist es höchste Zeit, dass wir die Chancen ergreifen, die zum Dialog der Kulturen wirklich bestehen. Das ist der Fall und dafür setzt sich Rot-Grün ein.

   Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Werner Hoyer für die FDP-Fraktion.

Dr. Werner Hoyer (FDP):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte, da wir schon die Gelegenheit haben, einige Minuten länger darüber zu diskutieren, auf einige Punkte eingehen, die in dieser Debatte eine Rolle gespielt haben. Es ist über die Beitritt- und Aufnahmefähigkeit gesprochen worden. Wer würde behaupten wollen, dass die Türkei heute beitrittsfähig wäre? Das ist weder unter politischen noch unter wirtschaftlichen Kriterien der Fall.

   Betrachten wir die letzte Erweiterungsrunde, als zehn Länder der Europäischen Union beitraten, und seien wir ehrlich: Waren wir uns, aus heutiger Perspektive, zu Beginn der Verhandlungen immer sicher, dass die Beitrittskandidaten alle politischen und wirtschaftlichen Kriterien erfüllen? Die wirtschaftlichen Kriterien waren sowieso nicht immer erfüllt, die politischen allerdings auch nicht immer.

   Zur Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union – auf dieses Kriterium hat auch mein Kollege Westerwelle aufmerksam gemacht – ist zu sagen, dass die Europäische Union heute insbesondere aus zwei Gründen zweifellos nicht aufnahmefähig ist: Erstens. Wir arbeiten noch immer auf der Basis des Vertrages von Nizza. Auf dieser Basis ist eine Mitgliedschaft der Türkei eindeutig nicht möglich. Deswegen – nicht nur, aber auch deswegen – brauchen wir die Verfassung. Zweitens. Ohne eine Reform der Europäischen Union an Haupt und Gliedern, insbesondere hinsichtlich der Gemeinschaftspolitiken, ist die Europäische Union nicht aufnahmefähig.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Michael Glos (CDU/CSU))

Daher müssen wir diese Reform der Europäischen Union mit Engagement, Kraft und Ambition angehen.

   Meine Damen und Herren, wenn man Beitrittsverhandlungen aufnimmt, muss man ehrlich sein. Wenn die Bedingungen, die man selbst stellt, erfüllt sind, und wenn die Verhandlungskapitel erfolgreich abgeschlossen werden können – es mag viel Skepsis geben, ob das gelingen wird –, dann darf man nicht die mentale Reservation haben, dass man den Beitritt trotzdem nicht will. Aus diesem Grunde heißen die Verhandlungen Beitrittsverhandlungen und nicht etwa Sondierungsverhandlungen über die zukünftige Zusammenarbeit.

(Beifall des Abg. Markus Meckel (SPD))

   Jetzt ist es entscheidend, wie das Verhandlungsmandat ausgestaltet wird. Ich hätte mir gewünscht, die Bundesregierung könnte uns dazu schon etwas mehr sagen, denn das Verhandlungsmandat wird diesen Prozess in den nächsten 15 Jahren bestimmen. Wir werden uns daran orientieren müssen, wenn wir diesen Prozess begleiten.

   In diesem Zusammenhang sind mir folgende Aspekte wichtig: Es müssen einige Bedingungen erfüllt sein, die selbst dann relevant sind, wenn alle Verhandlungskapitel abgeschlossen sind. Die Themen Verfassung und Gemeinschaftspolitiken habe ich bereits genannt. Ausdrücklich nenne ich auch das Thema Zypern; denn es ist völlig undenkbar, dass ein Land Mitglied der Europäischen Union wird, das in einem anderen Mitgliedsland gegen dessen Willen militärisch präsent ist.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Ich glaube, in diesem Punkt sind wir uns völlig einig. Das müssen die Türken wissen. Die Türkei kann sich noch so demokratisch und marktwirtschaftlich entwickeln, aber solange sie die völkerrechtswidrige Besetzung Nordzyperns nicht aufgibt, wird es keinen Beitritt zur Europäischen Union geben.

(Peter Hintze (CDU/CSU): Sehr richtig!)

   Zusätzlich zur Erfüllung dieser Bedingungen brauchen wir einen Prozess des Monitoring. Mir reichen die Fortschrittsberichte der Kommission, die eher ein Routineprozess sind, nicht aus. Das hat nichts mit ungleicher Behandlung zu tun; denn der Gleichheitsgrundsatz besagt, dass Ungleiches auch ungleich behandelt werden muss. Ich wünsche mir, dass das Europäische Parlament und die Parlamente der Mitgliedstaaten in einen solchen Monitoringprozess einbezogen werden, damit wir am Ende der Verhandlungen nicht plötzlich vor unangenehmen Überraschungen stehen.

   Lassen Sie mich noch etwas zur Ergebnisoffenheit sagen. Auf die Türkei kommen, wie auf jeden Beitrittskandidaten, erhebliche Herausforderungen zu. Diese Herausforderungen sind auch dann noch vorhanden, wenn man eines Tages Mitglied der Europäischen Union ist. Ich glaube, darauf müssen wir die Beitrittsländer besser vorbereiten. Das ist auch beim Beitritt der letzten zehn neuen Mitgliedstaaten nicht immer gut gelungen; das haben wir im letzten Jahr, als es um die Verfassung ging, gemerkt.

   Meine Damen und Herren, die Europäische Union definiert sich nicht als ein Endzustand, in den man eintritt, sondern als ein Prozess, der weitergeht. Ein neues Mitgliedsland darf sich selbst daher nicht als Garantie zur Blockade der Vertiefung der Integration in der Europäischen Union verstehen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Ruprecht Polenz (CDU/CSU))

Ich glaube, wir müssen unseren türkischen Freunden klar machen, dass sie, wenn sie Mitglied der Europäischen Union werden, wenn also alle Bedingungen erfüllt sind und wenn wir glauben, einen Beitritt der Türkei verantworten zu können, Mitglied in einem Prozess sind, der seit den Römischen Verträgen als „ever closer union“ beschrieben wird. Wir wollen nicht, dass dieser Prozess aufgrund der Aufnahme eines einzelnen Mitglieds abbricht. Diese Erwartung sollten wir gegenüber unseren türkischen Freunden, mit denen wir ergebnisoffen verhandeln sollten, klar zum Ausdruck bringen, damit es nicht eines Tages auf der türkischen Seite unangenehme Überraschungen gibt.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Damit schließe ich die Aussprache.

   Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Drucksache 15/3949 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Interfraktionell wird auch Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/4031 und 15/4064 an dieselben Ausschüsse wie bei Tagesordnungspunkt 4 a vorgeschlagen. Sind Sie mit diesen Überweisungen einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 n sowie die Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf:

27. a) Beratung des Antrags der Bundesregierung

Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Art. 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen

– Drucksache 15/4032 –

Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss (f)Rechtsausschuss VerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von wegerechtlichen Vorschriften

– Drucksache 15/3982 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)Rechtsausschuss

c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht

– Drucksache 15/3423 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)Rechtsausschuss

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungsurkunden vom 18. Oktober 2002 zur Konstitution und zur Konvention der Internationalen Fernmeldeunion vom 22. Dezember 1992

– Drucksache 15/3879 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit

e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 30. September 2003 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Bulgarien über die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der organisierten und der schweren Kriminalität

– Drucksache 15/3880 –

Überweisungsvorschlag:Innenausschuss (f)Rechtsausschuss

f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 14. Mai 2003 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Indonesien über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen

– Drucksache 15/3882 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)Auswärtiger Ausschuss

g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Änderungsprotokoll vom 26. August 2003 zu dem Vertrag vom 28. Februar 1994 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Moldau über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen

– Drucksache 15/3883 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)Auswärtiger Ausschuss

h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 10. Juli 2000 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Palästinensischen Befreiungsorganisation zugunsten der Palästinensischen Behörde über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen

– Drucksache 15/3884 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)Auswärtiger Ausschuss

i) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Änderungs- und Ergänzungsprotokoll vom 14. Mai 2003 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen zu dem Vertrag vom 10. November 1989 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen

– Drucksache 15/3885 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)Auswärtiger Ausschuss

j) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 27. März 2003 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Tadschikistan über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen

– Drucksache 15/3886 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)Auswärtiger Ausschuss

k) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ehe- und Lebenspartnerschaftsnamensrechts

– Drucksache 15/3979 –

Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss (f)InnenausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

l) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum internationalen Familienrecht

– Drucksache 15/3981 –

Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss (f)Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

m) Beratung des Antrags der Abgeordneten Günther Friedrich Nolting, Helga Daub, Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Angleichung der Ost-Besoldung an Westniveau

– Drucksache 15/589 –

Überweisungsvorschlag:Innenausschuss (f)VerteidigungsausschussHaushaltsausschuss

n) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Daniel Bahr (Münster), Horst Friedrich (Bayreuth), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Bessere Möglichkeiten im Kampf gegen Trunkenheitsfahrten in der Seeschifffahrt schaffen

– Drucksache 15/3725 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)InnenausschussRechtsausschuss

ZP 2 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Dritten Zusatzprotokoll vom 4. Juni 2004 zum Abkommen vom 16. Juni 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie verschiedener sonstiger Steuern und zur Regelung anderer Fragen auf steuerlichem Gebiete

– Drucksache 15/4026 –

Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Uwe Küster, Dirk Manzewski, Jörg Tauss, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Grietje Bettin, Jerzy Montag, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Wettbewerb und Innovationsdynamik im Softwarebereich sichern – Patentierung von Computerprogrammen effektiv begrenzen

– Drucksache 15/4034 –

Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss (f)Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionAusschuss für Kultur und Medien

   Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.

   Die Kolleginnen Petra Pau und Dr. Gesine Lötzsch haben zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Drucksache 15/4032  gemäß § 80 Abs. 4 der Geschäftsordnung beantragt, vor der Ausschussüberweisung eine Aussprache durchzuführen. Zu diesem Antrag erteile ich der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch das Wort.

Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat gestern in ihrer Kabinettssitzung beschlossen, dem Bundestag einen Antrag über die Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA vorzulegen; die Präsidentin hat es ja schon vorgetragen. Wir, die PDS im Bundestag, beantragen eine Debatte über die Verlängerung dieses Mandats.

   Ich gehe davon aus, dass gestern im Bundeskabinett eine sehr gründliche und ausführliche Debatte über diese Angelegenheit stattgefunden hat. Allerdings war diese Debatte nicht öffentlich. Ich denke, es ist die Pflicht des Deutschen Bundestages, diese Debatte auch hier, vor der Öffentlichkeit der Bundesrepublik, zu führen; denn es geht schließlich darum, Menschen in sehr gefährliche Situationen zu schicken mit einem Auftrag, dessen Ende nicht abzusehen ist.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

   Erinnern Sie sich bitte mit mir gemeinsam: Als im Jahr 2001 auf Antrag der Bundesregierung zum ersten Mal über den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen des Mandates, das jetzt verlängert werden soll, abgestimmt wurde, gab es eine breite öffentliche Debatte in Funk, Fernsehen und vor allen Dingen selbstverständlich im Deutschen Bundestag, in den Fraktionen. In der SPD-Fraktion gab es Widerstände. Der Bundeskanzler, Gerhard Schröder, sah sich gezwungen, diese Abstimmung sogar mit einer Vertrauensfrage zu verbinden. Nach Meinung der PDS im Bundestag ist es erforderlich, über die Mandatsverlängerung wiederum öffentlich zu debattieren, damit sich in dieser Angelegenheit keine Abstimmungsroutine einschleicht.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

   Nun werden vielleicht einige Kolleginnen und Kollegen einwenden, dass der Bundesminister der Verteidigung, Herr Dr. Peter Struck, gestern im Rahmen der Regierungsbefragung über die Kabinettssitzung berichtet habe. Ich denke, zumindest diejenigen, die sich an der Sitzung gestern beteiligt haben, werden mir aber zustimmen können, dass die Fragen und die spärlichen Antworten darauf gerade die Notwendigkeit einer öffentlichen Debatte deutlich gemacht haben. Insbesondere die Kollegen von der CDU/CSU, die ja zahlreiche Fragen hatten, müssten unserem Antrag auf Debatte zustimmen.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

   Übrigens: Selbst die Fragerunde gestern blieb der Öffentlichkeit weitgehend verborgen. Sie wurde wegen der Unstimmigkeiten in Brüssel nicht auf Phoenix übertragen – das nur nebenbei, sozusagen als Klammerbemerkung. Ich bitte Sie also herzlich: Stimmen Sie unserem Antrag auf Durchführung einer Debatte zu, damit sich bezüglich der Einsätze der Bundeswehr im Ausland keine Abstimmungsroutine einschleicht!

   Vielen Dank.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Zur Antwort auf diese Antragstellung erteile ich dem Abgeordneten Gert Weisskirchen das Wort.

Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD):

Frau Präsidentin! Liebe Kollegin, Sie haben gestern an der Fragestunde teilgenommen und mit dem Verteidigungsminister diskutiert. Im Namen des Hauses kann ich sagen: Natürlich werden wir eine solche Debatte führen und zwar in der übernächsten Sitzungswoche, auch im Ausschuss. Wir laden noch einmal ausdrücklich dazu ein. Sie haben für Ihre Gruppe im Ausschuss teilnehmen können. Ich bin überzeugt: Wenn Sie es möchten, werden wir Sie sicher im Auswärtigen Ausschuss und auch im Verteidigungsausschuss anhören. Hier findet also nichts im Geheimen statt und es gibt keinen Schleier, der vor Enduring Freedom gezogen wird. Wir werden diese Debatte führen, aber nicht heute. Darauf haben wir uns verständigt.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

   Dann kommen wir zur Abstimmung über den Antrag auf Aussprache. Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der Abgeordneten Petra Pau und Dr. Gesine Lötzsch abgelehnt worden.

   Somit können die Vorlagen wie interfraktionell vorgeschlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie mit diesen Überweisungen einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

   Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 e und 28 g bis 28 m auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

   Tagesordnungspunkt 28 a:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften über die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe in Zivil- und Handelssachen in den Mitgliedstaaten (EG-Prozesskostenhilfegesetz)

– Drucksache 15/3281 –

(Erste Beratung 114. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses(6. Ausschuss)

– Drucksache 15/4057 –

Berichterstattung:Abgeordnete Dirk Manzewski Michael Grosse-Brömer Jerzy Montag Rainer Funke

   Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/4057, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen worden.

   Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Bitte erheben Sie sich, wenn Sie dem Gesetzentwurf in der dritten Beratung zustimmen wollen. – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit auch in dritter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden.

   Tagesordnungspunkt 28 b:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beschluss der im Rat der Europäischen Union vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 28. April 2004 betreffend die Vorrechte und Immunitäten von ATHENA

– Drucksache 15/3787 –

(Erste Beratung 129. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss)

– Drucksache 15/4058 –

Berichterstattung:Abgeordnete Markus Meckel Dr. Andreas Schockenhoff Marianne Tritz Dr. Rainer Stinner

   Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt auf Drucksache 15/4058, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen worden.

   Tagesordnungspunkt 28 c:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum EU-Truppenstatut vom 17. November 2003

– Drucksache 15/3786 –

(Erste Beratung 129. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss)

– Drucksache 15/4059 –

Berichterstattung:Abgeordnete Uta Zapf Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg Marianne Tritz Dr. Rainer Stinner

   Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt auf Drucksache 15/4059, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden.

   Tagesordnungspunkt 28 d:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts

– Drucksache 15/3653 –

(Erste Beratung 126. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses(6. Ausschuss)

– Drucksache 15/4060 –

Berichterstattung:Abgeordnete Dirk Manzewski Michael Grosse-Brömer Jerzy Montag Rainer Funke

   Der Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache 15/4060, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen worden.

   Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Bitte erheben Sie sich, wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit auch in dritter Lesung einstimmig angenommen worden.

   Tagesordnungspunkt 28 e:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Ausschluss von Dienst-, Amts- und Versorgungsbezügen von den Einkommensanpassungen 2003/2004 (Anpassungsausschlussgesetz)

– Drucksachen 15/3783, 15/3985 –

(Erste Beratung 129. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss)

– Drucksache 15/4044 –

Berichterstattung:Abgeordnete Hans-Peter Kemper Clemens Binninger Silke Stokar von Neuforn Dr. Max Stadler

   Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/4044, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen worden.

   Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben, wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen worden.

   Tagesordnungspunkt 28 g:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Entwurf Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften für das Haushaltsjahr 2005Ratsdok. 11445/04

– Drucksachen 15/3779 Nr. 1.57, 15/3874 –

Berichterstattung:Abgeordnete Bartholomäus Kalb Dr. Heinz Köhler

   Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung durch die Bundesregierung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen worden.

   Tagesordnungspunkt 28 h:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen(14. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Petra Weis, Siegfried Scheffler, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD, der Abgeordneten Günter Nooke, Dirk Fischer (Hamburg), Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Joachim Günther (Plauen), Horst Friedrich (Bayreuth), Eberhard Otto (Godern), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Planung und städtebauliche Zielvorstellungen des Bundes für den Bereich beiderseits der Spree zwischen Marschallbrücke und Weidendammer Brücke vorlegen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Günter Nooke, Dirk Fischer (Hamburg), Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Planung und städtebauliche Zielvorstellungen des Bundes für den Bereich beiderseits der Spree zwischen Marschallbrücke und Weidendammer Brücke vorlegen

– Drucksachen 15/2981, 15/2157, 15/3939 –

Berichterstattung:Abgeordnete Petra Weis Günter Nooke

   Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen, der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 15/2981 mit dem Titel „Planung und städtebauliche Zielvorstellungen des Bundes für den Bereich beiderseits der Spree zwischen Marschallbrücke und Weidendammer Brücke vorlegen“.

[Der folgende Berichtsteil – und damit der gesamte Stenografische Bericht der 135. Sitzung – wird morgen,
Freitag, den 29. Oktober 2004,
an dieser Stelle veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/15135
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