Deutscher Bundestag
English    | Français   
 |  Home  |  Sitemap  |  Kontakt  |  Fragen/FAQ
Druckversion  |       
Startseite > INFORMATIONS-CENTER > Plenarprotokolle > Vorläufige Plenarprotokolle >
15. Wahlperiode
[ zurück ]   [ Übersicht ]   [ weiter ]

   139. Sitzung

   Berlin, Freitag, den 12. November 2004

   Beginn: 9.00 Uhr

* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Präsident Wolfgang Thierse:

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

   Der Ältestenrat hat in seiner gestrigen Sitzung vereinbart, dass wegen der Haushaltsberatungen in der Woche vom 22. bis 26. November keine Befragung der Bundesregierung, keine Fragestunden und keine Aktuellen Stunden stattfinden. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ferner möchte ich darauf hinweisen, dass der Ältestenrat auch vereinbart hat, die von der Fraktion der FDP verlangte Aktuelle Stunde zum Thema „Haltung der Bundesregierung zu Plänen, den 3. Oktober als Nationalfeiertag abzuschaffen“ heute als letzten Tagesordnungspunkt aufzurufen.

   Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung

Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Art. 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen

– Drucksachen 15/4032, 15/4165 –

Berichterstattung:Abgeordnete Gert Weisskirchen (Wiesloch)Bernd Schmidbauer Dr. Ludger Volmer Dr. Werner Hoyer

b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 15/4175 –

Berichterstattung:Abgeordnete Alexander Bonde Lothar Mark Herbert Frankenhauser Dietrich Austermann Jürgen Koppelin

   Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen.

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesminister Peter Struck das Wort.

Dr. Peter Struck, Bundesminister der Verteidigung:

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Beteiligung der Bundeswehr an der Operation Enduring Freedom ist auch weiterhin von herausragender Bedeutung für die Sicherheit Deutschlands und aller Staaten, die durch den internationalen Terrorismus bedroht werden. Es ist klar: Nur gemeinsames internationales Handeln kann zum Erfolg führen. Deshalb hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 8. Oktober 2004 mit seiner Resolution 1566 die Weltgemeinschaft erneut aufgefordert, im Kampf gegen den internationalen Terrorismus zusammenzustehen.

   Die bisherigen Einsätze von Streitkräften der an der Operation Enduring Freedom beteiligten Staaten haben terroristische Rückzugsgebiete beseitigt sowie wichtige Transportwege von Terroristen unterbunden und sie hatten generell einen sehr stabilisierenden Einfluss auf die Länder am Horn von Afrika.

   Das Kabinett hat am 27. Oktober 2004 entschieden, dass Deutschland – vorbehaltlich der Zustimmung des Deutschen Bundestages – weiterhin mit bis zu 3 100 Soldaten der Bundeswehr und entsprechender Ausrüstung an dieser Operation beteiligt bleibt. Das entspricht unserem Interesse und unserer Verantwortung für die Vereinten Nationen, die wir auch weiterhin wahrnehmen wollen.

   Derzeit sind rund 290 Soldaten der Marine im Einsatz, weitere Kräfte werden in Bereitschaft gehalten. Natürlich geht es künftig auch darum, ein hohes Maß an Flexibilität bei militärischen Maßnahmen im Kampf gegen den Terrorismus zu erhalten, um auf wechselnde Einsatzerfordernisse reagieren zu können. So unberechenbar die Terroristen agieren, so wichtig ist es für die internationale Koalition, für glaubwürdige und effiziente Einsätze ein Spektrum militärischer Optionen zur Verfügung zu haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aus diesem Grund ist es auch richtig, die bislang nicht ausgeschöpfte Obergrenze für die deutsche Beteiligung beizubehalten.

   Das Spektrum der deutschen Aktivitäten im Rahmen dieser Operation bleibt anspruchsvoll. Die Bundeswehr wird sich grundsätzlich weiterhin mit einer Fregatte und einem Seefernaufklärer am Horn von Afrika beteiligen; diese Region war in der Vergangenheit mehrfach Schauplatz von Attentaten terroristischer Gruppierungen. In der Marinelogistikbasis in Dschibuti werden weiterhin Soldaten stationiert bleiben. Durch die Zusammenfassung der Task Force 150 und der Task Force 151 hat sich das Einsatzgebiet der Marine seit März 2004 auch auf die Arabische See und den Golf von Oman ausgedehnt.

   Allein in den vergangenen zwölf Monaten wurden etwa 10 500 Schiffe und Boote abgefragt und fast 400 Schiffe genau untersucht. Bei Verlängerung des OEF-Mandates, die heute ansteht, wird Deutschland voraussichtlich ab Dezember 2004 erneut den Kommandeur für die internationale Marinestreitkraft am Horn von Afrika stellen.

   Daneben wird sich die Bundeswehr weiterhin aktiv am bündnisgemeinsamen Beitrag der NATO-Marinen für den Kampf gegen den Terrorismus im Mittelmeer, der Operation Active Endeavour, beteiligen. In den vergangenen zwölf Monaten war die Bundeswehr mit einer Fregatte und zeitweise zusätzlich mit Versorgungseinheiten, einem U-Boot und Seefernaufklärern an dieser Operation beteiligt. Im Rahmen dieser Operation wurden im östlichen Mittelmeer rund 19 500 Schiffe abgefragt und 41 davon genauer untersucht. Entsprechend einem neuen Operationsmuster werden ab dem 1. Oktober 2004 schwimmende Einheiten nur noch bei Bedarf eingesetzt. Wir werden die Überwachung dann im Wesentlichen durch Seefernaufklärungsflugzeuge durchführen. Daran wird sich die deutsche Marine mit monatlich acht Flügen aus Nordholz beteiligen.

   Darüber hinaus hält die Bundeswehr einen Airbus A310 und eine CL-601 Challenger für die luftgestützte medizinische Notfallversorgung in einer 24- bzw. 12-Stunden-Bereitschaft zur Verfügung. Im vergangenen Jahr wurden Sanitätskräfte zwar nicht im Rahmen der Operation Enduring Freedom eingesetzt, aber mehrfach außerhalb der Operation genutzt, wie zum Beispiel bei der Rückführung eines Soldaten, der bei einem Raketenanschlag auf unser Lager in Kunduz verletzt worden war.

   Meine Damen und Herren, Deutschland und die Bundeswehr handeln in Solidarität mit unseren Verbündeten und Partnern auf der Grundlage der Beschlüsse des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen. Dies gilt für die Operation Enduring Freedom genauso wie für die deutsche Beteiligung an der Operation ISAF in Afghanistan. An dieser Stelle will ich noch einmal ausdrücklich hervorheben, dass ich eine Zusammenlegung beider Operationen auf absehbare Zeit für falsch halte und dem entgegentreten werde.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Stabilisierungsaufgaben und aktive Terroristenbekämpfung sollten aus politischen, rechtlichen und praktischen Erwägungen heraus wie bisher getrennt bleiben. Es geht nicht um eine Zusammenlegung, sondern darum, über eine verstärkte Zusammenarbeit von ISAF und OEF Synergieeffekte vor Ort zu erzielen, um die Erfolgsaussichten beider Operationen zu vergrößern.

   Deutschland und die Bundeswehr haben in Afghanistan eine tragende und von den Menschen vor Ort anerkannte Rolle für die Sicherung des Friedens und den gesellschaftlichen Wiederaufbau übernommen. Ich bitte Sie daher, das Mandat für diese wichtige Mission mit großer Mehrheit zu verlängern. Unsere Soldaten haben einen Anspruch darauf, dass das Parlament diesen Einsatz mit einer breiten Mehrheit trägt.

   Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile Kollegen Bernd Schmidbauer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Bernd Schmidbauer (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, dass es der Schock des 11. September im Jahre 2001 war, der dazu geführt hat, dass die Staatengemeinschaft Enduring Freedom auf den Weg gebracht hat und dass es gelungen ist, mithilfe von Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen und von Art. 5 des Nordatlantikvertrages sowie entsprechender Resolutionen des Sicherheitsrates zu einer gemeinsamen Anstrengung gegen den internationalen Terrorismus zu kommen.

   Heute stellen sich die Fragen, ob dies noch aktuell ist, ob sich die Bedrohungslage verändert hat und wie wir dies beurteilen. Es gibt viele Stimmen. Ich will eine zitieren. In der „Berliner Morgenpost“ stand kürzlich ein Interview mit dem Chef des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, der sich zum Thema Terrorismus geäußert hat. Auf die Frage, wie groß die Terrorgefahr in Deutschland sei, sagte er:

Die Gefährdung ist unverändert hoch. Wir haben zwar keine konkreten Hinweise auf Anschläge. Madrid, Casablanca, Djerba und Istanbul zeigen aber, dass es weltweit autonome Zellen des islamistischen Terrorismus gibt, die jederzeit zuschlagen können.

Dem ist nichts hinzuzufügen. Das deckt sich mit all den Stellungnahmen, die derzeit abgegeben werden.

   Für den Fall, dass Sie noch eine Stimme aus dem internationalen Bereich brauchen, sage ich Ihnen, dass der ehemalige Geheimdienstchef der Schweiz auf die Frage, ob auch die Schweiz von Terrorismus bedroht sei, kürzlich antwortete:

Die Bedrohungslage hat sich seit dem Ende des Kalten Krieges massiv verändert. Sie ist asymmetrisch geworden. Organisierte Kriminalität, Korruption, Massenvernichtungsmittel, Informationsoperationen und islamistischer Terrorismus heißen die heutigen Herausforderungen.

   Diese Meldungen häufen sich und zeigen deutlich, wie aktuell die Bedrohung heute ist. Wir tun gut daran, in unseren Anstrengungen nicht nachzulassen.

   In jüngster Zeit hat der Chef der Internationalen Atomenergie-Behörde, IAEA, al-Baradei, in Sydney vor einem möglichen Terroranschlag mit nuklearem Material gewarnt und gesagt, dass die Verhinderung eines möglichen Terroranschlags mit nuklearem Material zu einem Wettlauf gegen die Zeit zu werden drohe. Es müssten alle Anstrengungen unternommen werden, um dem neuen Phänomen namens nuklearem Terrorismus zu begegnen.

   Im Übrigen darf ich erwähnen, dass dies überhaupt nicht neu ist. Ich erinnere mich an die großen Debatten in den 90er-Jahren, in denen eine andere Mehrheit die Einsetzung eines Untersuchungsausschuss verlangte, weil man meinte, der Nuklearterrorismus sei inszeniert gewesen. Schon damals war von diesem vagabundierenden Material die Rede und wir alle hätten eigentlich sehen müssen, dass dies der Beginn einer neuen Bedrohung war. Das, was al-Baradei gesagt hat, ist also nicht neu.

   Wichtig ist auch – ich glaube, das haben all diejenigen erkannt, die derzeit über Veränderungen des NVV diskutieren –, zu wissen, wie aktuell diese Dinge geworden sind. Der asiatisch-pazifische Wirtschaftsgipfel, der Ende November in Chile tagt, wird als eines seiner Schwerpunktthemen die Bekämpfung des Terrorismus behandeln. Auch die BKA-Herbsttagung hat sich mit diesen Dingen beschäftigt.

   Der afghanische Präsident Karzai und der pakistanische Staatschef Musharraf haben ein gemeinsames offensives Vorgehen im Kampf gegen den Terrorismus angekündigt. Das halte ich für sehr wichtig. Wir alle konnten uns bei dem Besuch in Pakistan und Afghanistan davon überzeugen, dass hier neue Ideen und Vorschläge auf den Weg gebracht werden, die eine verstärkte internationale Zusammenarbeit zum Ziel haben.

   Wir sehen also, dass das Thema internationaler Terrorismus ein wichtiges Thema ist. Leider nimmt die Bedrohung zu und nicht ab. Andererseits – auch das sage ich – erfüllen sich Gott sei Dank nicht alle an die Wand gemalten Horrorszenarien, zum Beispiel Anschläge während der US-Wahlen. Was hat die Presse dazu nicht alles geschrieben! Es wurden auch Anschläge zum jeweiligen Jahrestag am 11. September prophezeit. Glücklicherweise sind diese Befürchtungen nicht wahr geworden. Letztlich zeigt dies aber auch, dass wir viel zu wenig wissen, dass viel spekuliert wird, dass wir mit unseren Partnern und Freunden noch nicht in Terrornetze eingedrungen sind und dass wir noch lange nicht eine weltweite, einwandfrei funktionierende Kooperation und Koordination haben. Dies gilt es aber zu erreichen, wenn wir den Terrorismus bekämpfen, ihm die Stirn bieten und ihm das Handwerk legen wollen.

   Ich sage allerdings auch, dass man keine Angst haben darf; denn die Angst geistert herum. Ein Zitat sollten all diejenigen beherzigen, die sich mit diesen Dingen beschäftigen: Furcht besiegt mehr Menschen als irgend etwas anderes auf der Welt. Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen und keine Softoperationen durchführen. Wir müssen die politischen Maßnahmen so verändern, dass sie von einer möglichst großen Mehrheit getragen werden können. Das sage ich aus gutem Grund. Ich bin sehr froh über das, was der Verteidigungsminister eben erläutert hat. Lassen wir uns also durch Drohungen nicht vom richtigen Weg abbringen.

   In der Tat können wir einige positive Beispiele vorweisen. Blicken wir zurück auf den Petersberg-Prozess. Wir haben in Afghanistan hervorragende Möglichkeiten, die Dinge voranzubringen. Die Präsidentenwahlen konnten ohne große Unruhen abgehalten werden. Unsere Soldaten in Kabul, Kunduz oder Faizabad haben bei ihrem Einsatz in Afghanistan zusammen mit der ISAF eine wichtige Funktion übernommen. Das hat dazu geführt, dass wir respektiert und gebraucht werden und die Bundeswehr dort eine ganz entscheidende Rolle spielt. Dies ist nicht verbesserbar.

   Ich stimme dem Verteidigungsminister aber darin zu, dass Headquarters zusammengelegt werden müssen. Es muss zu einer besseren Koordination kommen, sodass nicht an jeder Ecke ein anderer Soldat aus einer selbstständigen Operation im Einsatz ist; dies muss vielmehr wesentlich besser abgestimmt werden.

   Unser Respekt und unsere Hochachtung gelten all denen, die dort eingesetzt sind: unseren Soldaten, Polizisten und zivilen Helfern. Man muss wissen – die eingesetzten Kräfte wissen das auch –, dass dies keine ungefährlichen Einsätze sind. Ich will an die Bundesregierung und den Verteidigungsminister appellieren: Tun Sie alles, was in Ihren Kräften steht, um eine maximale Sicherheit zu erreichen! Tun Sie alles, damit unsere Soldaten für diese Einsätze entsprechend ausgestattet sind! Unsere Bundeswehr hat einen Anspruch auf die bestmögliche Ausrüstung für diese Einsätze.

   Das Bundeskabinett hat am 27. Oktober für eine Verlängerung des Einsatzes im Rahmen der Operation Enduring Freedom gestimmt. Die zuständigen Ausschüsse haben dieser Verlängerung einstimmig zugestimmt. Ich denke, dass es wichtig ist, dass sich das Parlament mit einer breiten Mehrheit für die Verlängerung des Einsatzes um weitere zwölf Monate ausspricht. Bei unseren Gesprächen mit den Soldaten vor Ort hat sich deutlich gezeigt, dass diese das Geschehen im Parlament haarscharf beobachten. Täuschen wir uns nicht: Hier wird genau gefragt, welche Mehrheit es im Parlament gibt, wie die Unterstützung des Parlaments aussieht und wie weit der Einsatz durch Beschlüsse des Parlaments gedeckt ist. Deshalb ist meine herzliche Bitte, dass sich das Parlament mit einer sehr großen Mehrheit dafür ausspricht. Dies ist ein wichtiges Signal und ein klares Zeichen dafür, dass sich Deutschland auch weiterhin aktiv an der Bekämpfung des internationalen Terrorismus beteiligt.

   Das war nicht immer so. Ich erinnere mich an das Jahr 2001, als die Regierungskoalition fast an der Frage zerbrochen wäre, ob sie eine eigene Mehrheit für diesen Einsatz zustande bringt. Die Zeiten haben sich geändert.

(Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): Die zerbricht jetzt an sich selber!)

Heute sind wir insgesamt weiter und es muss nicht zur Vertrauensfrage kommen. Ich sage das nur, um zu zeigen, wie wichtig diese Veränderungen für uns alle sind und wie wichtig die Diskussionen waren, die dazu geführt haben, dass wir heute eine breite Basis für die Operation Enduring Freedom haben und uns nicht darüber streiten müssen. Wir erkennen vielmehr, dass das sehr wichtig ist. Wir sehen auch, dass nicht nur militärische Einsätze wichtig sind, sondern dass auch zivile, politische, entwicklungspolitische und polizeiliche Mittel im Rahmen eines Gesamtkonzeptes erforderlich sind. Dazu gehören auch – wir sind gut beraten, diese fortzuführen – die PRTs, die Provincial Reconstruction Teams, in Afghanistan, die eine hervorragende Arbeit leisten, neue Wege gehen

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD) und des Abg. Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

und nicht nur den militärischen Teil, sondern auch den zivilen Teil betonen. Dadurch produzieren wir Sicherheit in der Fläche, leisten einen Beitrag zum Aufbau und stärken die Zentralregierung.

   Entscheidend ist, dass wir uns nicht nur auf die eine Region konzentrieren, sondern den Terrorismus vom Maghreb-Gürtel über die arabische Halbinsel bis nach Asien bekämpfen. Wir müssen erkennen, dass es nicht nur einzelne Mosaiksteine gibt, um die wir uns kümmern müssen, sondern dass wir den Terrorismus insgesamt bekämpfen müssen.

   Halten wir fest: Enduring Freedom ist nicht die Antwort auf den internationalen Terrorismus, sondern eine Antwort auf den internationalen Terrorismus. Enduring Freedom ist ein kleiner, aber unverzichtbarer Baustein im Kampf gegen den Terror und zeigt, dass die internationale Staatengemeinschaft, dass die Vereinten Nationen durchaus in der Lage sind, zu kooperieren und zu handeln, auch wenn in diesem Zusammenhang noch vieles verbessert werden kann und muss. Enduring Freedom zeigt auch, dass die NATO ein wichtiges Instrument der Terrorbekämpfung ist.

   Ich möchte erwähnen und begrüße es sehr, dass die Vereinten Nationen ihre Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus vertiefen wollen und der europäische Antiterrorbeauftragte de Vries und der Direktor des UN-Ausschusses für Terrorismusbekämpfung Javier Ruperez in Brüssel dies gemeinsam anpacken. Auch dies ist ein neues Signal. Nicht nur einzelne Institutionen kämpfen gegen den Terrorismus, sondern wesentlich mehr.

   Ich komme zum Schluss. Oft habe ich die Frage gehört, ob dieser Einsatz wirklich etwas bringt. Er hat in den letzten Jahren eine Unmenge Geld, insgesamt, wenn ich das richtig sehe – Herr Kollege Schmidt, Sie werden das sicher bestätigen –, 800 Millionen Euro, gekostet. Es wäre einmal zu hinterfragen, wie diese finanziellen Mittel im Rahmen von Enduring Freedom optimal eingesetzt werden können.

   Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wir müssen alles tun, um dem Terror den Nährboden und seine Basis zu entziehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Bernd Schmidbauer (CDU/CSU):

Am Schluss war ich gerade. – Wir müssen den Menschen klar machen, dass wir durch das Bekämpfen und das Ausschalten von Terrorismus in ihrer Heimat unsere Heimat schützen.

   Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Marianne Tritz, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Marianne Tritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in der Vergangenheit hier und in der Gesellschaft heftig darüber gestritten, mit welchen Methoden man dem internationalen Terrorismus den Kampf ansagen soll. Diese Diskussion war nötig geworden, weil wir nach dem 11. September 2001 das erste Mal in der Situation waren, dass ein Land, nämlich unser Bündnispartner die Vereinigten Staaten von Amerika, im eigenen Land Opfer eines kriegerischen Angriffs geworden ist, eines Angriffs, der nicht von einem anderen Land, sondern von fanatischen Terroristen ausging.

   Wir alle waren uns schnell einig, dass die Eindämmung des internationalen Terrorismus in erster Linie ein politischer Kampf sein muss, dass wir nur mit politischen, wirtschaftlichen, polizeilichen und gesetzgeberischen Maßnahmen die Bedrohungen, die sich gegen die internationale Gemeinschaft richten, eindämmen können.

   Diese Bundesregierung hat immer einen breiten und tief gehenden Ansatz bei der Bekämpfung des internatonalen Terrorismus verfolgt, dessen Zentrum, der grausame Dschihad-Terrorismus, im Nahen und Mittleren Osten liegt. Es ist ein Terrorismus, der der westlichen Welt den Krieg erklärt hat, der die westliche Welt in einen Krieg der Kulturen verwickeln will, in einen Krieg des Westens gegen den Islam.

   Die Krise des Nahen und Mittleren Ostens ist eine Modernisierungskrise der islamisch-arabischen Welt und einer totalitären Ideologie. Es ist eine fanatische Ideologie, die sich nicht nur gegen die westliche Welt, ihre Werte und ihre Zivilgesellschaften richtet, sondern auch Reformen in der arabischen, der muslimischen Welt verhindern will. Deswegen müssen wir diesen Ländern und ihren Gesellschaften ein ernstes Angebot zur Kooperation machen, wie wir es mit dem Konzept „Wider Middle East“ getan haben.

   Die Bundesregierung hat bewiesen, dass sie im Kampf gegen den internationalen Terrorismus in erster Linie dem Primat der Politik folgt. So hat sie wichtige Beiträge zur Terrorismusbekämpfung auf den multilateralen Ebenen von UN, OSZE, NATO und G 8 geleistet. Deutschland hat den Polizeiapparat in Afghanistan aufgebaut. Es hat geholfen, wichtige Teile der Petersberger Beschlüsse umzusetzen, und sich federführend mit ISAF in Kabul und Kunduz engagiert, um mit sichtbaren wirtschaftlichen Aufbauleistungen eine Perspektive für das afghanische Volk aufzuzeigen. Und wir sind der größte Geber in Afghanistan.

   Obwohl wir die politischen Lösungen in den Vordergrund stellen, bleibt doch der Einsatz militärischer Mittel derzeit ein unverzichtbarer Bestandteil im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Durch die Präsenz in Afghanistan konnte der generelle Ablauf der Präsidentschaftswahlen gewährleistet werden. Die Menschen haben sich getraut, sich registrieren zu lassen, und der Aufbau staatlicher Institutionen schreitet voran. Das alles lässt hoffen.

   Die Bundesrepublik Deutschland hat sich mit einem leistungsfähigen Kontingent in die multinationale Operation Enduring Freedom eingebracht. Hierfür sowie für die Beteiligung an ISAF genießt Deutschland hohe Anerkennung in der Welt. Diese Anerkennung gilt ganz besonders den Peacekeeping-Fähigkeiten der Bundeswehr.

   Im Zuge von Enduring Freedom hat die deutsche Marine einen stabilisierenden Einfluss am Horn von Afrika und natürlich auch im Mittelmeer ausgeübt. Die Seestreitkräfte haben wichtige Handelswege gegen Piraterie und Waffenschmuggel abgesichert. In keinem Fall ist es dabei zu militärischen Auseinandersetzungen gekommen, sondern die Soldaten haben immer in Kooperation mit den Schiffsführern und den entsprechenden Eignern gehandelt.

   Aber der Kampf gegen den internationalen Terrorismus ist noch lange nicht gewonnen. Der furchtbare Anschlag von Madrid im März dieses Jahres ist uns allen noch in Erinnerung. Wie grausam Terrorismus ist, wenn er sich gegen die Zivilgesellschaft richtet, haben wir voller Entsetzen durch die Morde an den Kindern von Beslan erfahren. Die Bedrohung durch al-Qaida und andere Terrorgruppen ist nach wie vor real vorhanden. Kein Mensch kann sagen, wie lange dieser Kampf noch dauern wird und ob er je zu Ende geht.

   Unsere Befürchtungen von damals, wir könnten über die Beteiligung an Enduring Freedom in ein Kriegsabenteuer mit unkalkulierbaren Folgen geraten, haben sich nicht bewahrheitet. Die deutsche Unterstützung war jederzeit ausgewogen, verhältnismäßig und wurde im militärischen Bereich sehr zurückhaltend ausgeschöpft. Das wird auch so bleiben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hält die Fortsetzung der deutschen Beteiligung an Enduring Freedom für notwendig und verantwortbar. Der Umfang von 3 100 Soldaten ermöglicht ein schnelles und flexibles Handeln. Da derzeit nur 500 Soldaten im Einsatz sind und damit die Obergrenzen nicht ausgeschöpft sind, handelt es sich eher um ein „Bereitstellungsmandat“ als um ein Einsatzmandat.

   Ich möchte noch etwas zum Irak anmerken. Wir haben den Irakkrieg abgelehnt. Dabei bleibt es auch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Wir haben uns nicht am Irakkrieg beteiligt und werden dies auch in Zukunft nicht tun, egal in welcher Konstellation. Das war in den letzten Tagen immer wieder Gegenstand der Debatte. Rot-Grün ist ein Garant dafür, dass es unter dieser Bundesregierung keine Beteiligung am Irakkrieg gibt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Herr Schäuble kann tausendmal fordern – ich zitiere gerne aus den Protokollen –, dass wir uns im Falle eines UN-Mandats nicht verweigern könnten. Wir haben dies aber getan und werden es auch weiterhin tun. Das ist der Unterschied: Mit uns gibt es keine Kriegsbeteiligung; unter der CDU/CSU mit Wolfgang Schäuble würden Soldaten in den Irakkrieg geschickt werden.

   Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile Kollegen Rainer Stinner, FDP-Fraktion, das Wort.

Dr. Rainer Stinner (FDP):

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir begehen heute ein Jubiläum – von Feiern möchte ich in diesem Zusammenhang nicht sprechen –; denn heute entscheiden wir gemeinsam zum 40. Mal über den Einsatz deutscher Soldaten im Ausland. Auch wenn wir das schon so oft getan haben, glaube ich, dass diese Entscheidung im Deutschen Bundestag niemals zu einer reinen Routine werden darf.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

   Wir müssen uns auch heute zum 40. Mal folgende Fragen stellen: Dient der Einsatz der Sicherheit und den Interessen unseres Landes? Ist das Mandat, das wir den Soldaten erteilen, durchführbar? Statten wir sie mit den notwendigen Mitteln aus, um ihr Mandat zu erfüllen? Begrenzen wir das Mandat auf das wirklich Notwendige zur Erfüllung der gemeinsamen Aufgaben?

   Wir als FDP haben uns diese Fragen auch zum 40. Mal so deutlich gestellt. Ich darf Ihnen mitteilen, dass wir nach langer Diskussion übereingekommen sind, diesem Mandat mit großer Mehrheit zuzustimmen. Das tun wir aber nicht ohne Bedenken. Wir stimmen zu, weil wir uns sicher sind und zum Ausdruck bringen wollen, dass der Kampf gegen den Terrorismus noch nicht gewonnen ist, dass wir Deutsche auch eigene Sicherheitsinteressen haben und durch diesen Kampf bedroht sind. Wir wollen damit ferner deutlich machen, dass wir unseren Beitrag zu dem Kampf gegen den Terrorismus leisten wollen.

   Die Entscheidung ist uns aber nicht leicht gefallen. Wir stellen hier die Frage nach der Effektivität und Effizienz. Effektivität heißt, die richtigen Dinge zu tun. Das macht die Bundesregierung. Deshalb stimmen wir ihrem Antrag zu.

(Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): Aber nur in diesem Fall!)

   Effizienz heißt, die Dinge, die man tut, richtig zu tun. Hierbei bleiben, wie so häufig beim Handeln dieser Bundesregierung, auch weiterhin Fragen offen.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU))

Sie wollen sich heute ein Vorratsmandat geben lassen. Frau Kollegin Tritz, Sie haben einen verdächtigen neuen Begriff eingeführt, nämlich „Bereitstellungsmandat“. Diesen Begriff habe ich bisher noch nie gehört. Der Parlamentsvorbehalt bezieht sich jedenfalls nicht darauf, Bereitstellungsmandate zu verabschieden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wir nennen das nicht Bereitstellungsmandat; vielmehr meinen wir, dass Sie sich ein Vorratsmandat geben lassen wollen. Auch das entspricht nicht dem Parlamentsvorbehalt. Derzeit sind 500 Soldaten im Einsatz; aber das von Ihnen geforderte Mandat bezieht sich auf 3 100 Soldaten. Das ist das Sechsfache und widerspricht sämtlichen Planungsreserven. Es ist nicht damit zu erklären, dass es um die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung geht.

(Beifall bei der FDP)

Es handelt sich vielmehr um einen Vorratsbeschluss. Wir fragen uns in diesem Zusammenhang: Entspricht das noch unserem Konzept der Parlamentsarmee?

Nach unserer Auffassung bedeutet das Konzept einer Parlamentsarmee, dass wir, das Parlament, eine enge Kontrolle über den jeweiligen Einsatz haben. Da solche Beschlussanträge hier im Plenum leider keine Änderungsanträge zulassen, können wir nur zustimmen oder ablehnen. Wir hätten uns aber gewünscht, dass sich die Bundesregierung, wenn sie denn ein breites Mandat haben möchte, vorher mit uns in den Ausschüssen ausführlicher abgestimmt hätte, als zwei Tage vor der entscheidenden Abstimmung die Vorlage im Ausschuss einzubringen.

   Wir sind sehr erstaunt, dass die Koalitionsfraktionen diese Fragen nicht ähnlich dringlich stellen wie wir. Sie haben schließlich gemeinsam mit uns, den Oppositionsfraktionen, Verantwortung für den Einsatz der Bundeswehr.

(Beifall bei der FDP – Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie kennen doch gar nicht unsere internen Diskussionen!)

Lieber Herr Nachtwei, insbesondere die Grünen sind hier einen langen Weg gegangen, von Abschaffern der Bundeswehr zu unkritischen Durchwinkern von Auslandseinsätzen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Quatsch!)

Ein langer Lauf zu einer neuen Identität Ihrer Partei!

   Wir wollen gar nicht bestreiten, dass es einen natürlichen Konflikt zwischen den Interessen der Regierung an Handlungsfähigkeit und möglichst ungestörtem Handeln – es ist völlig klar, dass wir, wenn wir in der Regierung wären, ähnliche Interessen hätten – und den Interessen an einem Parlamentsbeteiligungsgesetz gibt. Wir brauchen aber nach wie vor dringend ein solches Gesetz und haben dazu einen praktikablen Vorschlag vorgelegt. Ich bedauere deshalb sehr, dass dieses Thema in dieser Woche auf Ihren Wunsch hin abgesetzt worden ist. Ich fordere Sie auf, einem entsprechenden Gesetzentwurf endlich zuzustimmen. Dann bräuchten Sie sich in Zukunft jedenfalls nicht mehr einen sechsfachen Vorratsbeschluss geben zu lassen.

(Zuruf von der SPD: Wir haben einen viel besseren Vorschlag!)

   Wenn wir trotz unserer Vorbehalte Ihrem Antrag zustimmen, dann hat das zwei Gründe. Der erste Grund ist: Wir wollen sehr deutlich machen, dass Deutschland einen fairen Beitrag zum gemeinsamen Kampf gegen den internationalen Terrorismus leistet. Dazu stehen wir, die FDP. Der zweite Grund ist – wenn ich das sage, fällt mir als Oppositionspolitiker kein Zacken aus der Krone –: Wir erkennen an, dass die Bundesregierung – jedenfalls bisher – mit dem Mandat sehr verantwortungsvoll umgegangen ist. Herr Weisskirchen, hier sind wir völlig offen und stimmen Ihnen zu.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Wenn wir heute zustimmen, geben wir der Bundesregierung einen Vertrauensvorschuss. Das ist bei dieser Bundesregierung natürlich alles andere als einfach.

(Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In diesem Fall aber begründet!)

Wir erwarten aber, dass wir in den Ausschüssen noch mehr als bisher in die Lage versetzt werden, die jeweiligen Einsätze zu verfolgen. Ich sage Ihnen ganz deutlich: So etwas, was beim Kosovo-Einsatz geschehen ist, darf nicht noch einmal vorkommen. Wir erwarten Offenheit, Klarheit und wahrheitsgemäße Informationen. Beim Kosovo-Einsatz haben Sie uns, das Parlament, drei Monate lang an der Nase herumgeführt. Wir verbinden unseren Vertrauensvorschuss mit der Erwartung, dass so etwas in Zukunft nicht mehr vorkommt.

(Beifall bei der FDP)

   Ich komme zum Schluss. Wir verknüpfen unsere Zustimmung – die haben wir uns nicht leicht gemacht, aber wir stehen zu ihr – mit der Erwartung, dass es ein Parlamentsbeteiligungsgesetz gibt – wir haben, wie gesagt, einen entsprechenden Antrag eingebracht –, das uns in Zukunft solche Zumutungen wie heute erspart, einen Vorratsbeschluss, ein Bereitstellungsmandat, wie es die Frau Kollegin Tritz genannt hat, zu akzeptieren.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Gert Weisskirchen, SPD-Fraktion.

Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD):

Herr Präsident! Lieber Kollege Stinner, es tut mir Leid – wir kennen uns ja lange genug –, aber das war eine wirklich unangemessene Rede

(Zurufe von der FDP: Was?)

zu einem Problem, das Sie im Grunde verdunkelt haben. Es geht doch darum, dass Enduring Freedom der Rahmen für ein Mandat ist, den Menschen in Afghanistan – das war das auslösende Moment –, die in einer ganz schwierigen Situation leben, in einem Land, das von Terroristen regelrecht erobert worden war, eine Chance zu geben, ihr eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen. So soll endlich eine Entwicklung eingeleitet werden, die den Menschen in Afghanistan die historische Erfahrung überwinden hilft, dass sie herumgestoßen worden sind und dass ihr Schicksal von außen bestimmt wurde, und zwar von Leuten, die versucht haben, Afghanistan zum Spielball ihrer Machtinteressen zu machen. Aber Sie reden hier nur über Vorratsbeschlüsse. Hier geht es nicht um einen Vorratsbeschluss, sondern darum, dass die Menschen in Afghanistan Freiheit bekommen, damit sie selbst handeln, ihr eigenes Schicksal in die Hand nehmen und ihre Form von Demokratie entwickeln können. Nur darum geht es, lieber Herr Kollege Stinner.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der FDP – Dr. Rainer Stinner (FDP): Bereitstellungsmandat!)

   Das, was vor drei Jahren notwendig gewesen ist, bleibt notwendig. Die Menschen in dieser Region brauchen ein gewisses Maß an Sicherheit, damit sie überhaupt selbst handeln können. Deswegen ist Enduring Freedom so wichtig. Der Rahmen von 3 100 Bundeswehrsoldaten wird von der Bundesregierung noch nicht einmal ausgeschöpft; vielmehr werden die vorhandenen Möglichkeiten maßvoll, zurückhaltend und verantwortungsbewusst eingesetzt. Darum geht es und deswegen stimmen wir heute dem Antrag der Bundesregierung zu, lieber Kollege Stinner.

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Weisskirchen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Nolting?

Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD):

Bitte schön.

Günther Friedrich Nolting (FDP):

Herr Kollege, können Sie sich daran erinnern, dass der Herr Bundeskanzler die Vertrauensfrage stellen musste, um zu einer Mehrheit zu kommen, weil die rot-grüne Koalition zunächst nicht bereit war, diese Mehrheit zu stellen?

Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD):

Ich kann mich daran sehr gut erinnern; schließlich habe ich auch in diesem Saal und in der Fraktion für diese Mehrheit gekämpft. Wir haben sie bekommen, weil die Vernunft für Enduring Freedom gesprochen hat. Dieses Anliegen haben wir durchgekämpft und das war, wie Sie sich gut erinnern können, gar nicht so einfach.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Günther Friedrich Nolting (FDP): Und deswegen die Vertrauensfrage?)

   Die Gefahr des Terrorismus ist keineswegs gebannt; deswegen brauchen wir eine Verlängerung von Enduring Freedom.

(Dirk Niebel (FDP): Es ist halt Karneval!)

Lieber Kollege Niebel, es mag sein, dass Sie seit dem 11. November in Karnevalsstimmung sind. Aber hier geht es um einen sehr verantwortungsvollen Beschluss, dem die Mehrheit des Deutschen Bundestages – hoffentlich auch Sie – zustimmen wird. Ich bitte Sie herzlich, zu überlegen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie sollten sich Ihre Rede überlegen!)

bevor Sie Zwischenrufe machen.

   Jetzt möchten Sie eine Zwischenfrage stellen?

Präsident Wolfgang Thierse:

Gestatten Sie diese Zwischenfrage?

Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD):

Ja.

Präsident Wolfgang Thierse:

Bitte schön, Herr Niebel.

Dirk Niebel (FDP):

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Weisskirchen, wenn es sich hier nicht um einen Vorrats- oder, wie die Kollegin von den Grünen sagte, Bereitstellungsbeschluss handelt, können Sie mir dann erklären, aus welchem Grund die Bundesregierung einen Beschluss benötigt, der – derzeit sind gut 500 Soldaten im Einsatz – die Entsendung von 3 100 Soldaten möglich macht? Und warum soll die Bundesregierung bei räumlich begrenzter Tätigkeit der Bundeswehr aufgrund eines Vorratsbeschlusses Soldaten in die halbe Welt entsenden dürfen?

Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD):

Lieber Kollege Niebel, ich bitte Sie herzlich darum, den Antrag zu lesen, den die Bundesregierung hier eingebracht hat. Wenn Sie es bisher nicht getan haben, dann können Sie es jetzt noch nachholen. In diesem Antrag steht alles Wort für Wort. Er enthält eine klare und eindeutige Begründung dafür, dass Enduring Freedom notwendig ist. Dort werden alle Ihre Fragen beantwortet. Darum bitte ich Sie noch einmal, ihn zu lesen.

(Lachen bei Abgeordneten der FDP)

   Der entscheidende Punkt ist, dass der Terrorismus in der Tat nicht besiegt ist. Wenn Sie sich etwa das anschauen, was Ayman al-Zawahiri in seinem jüngsten Buch, das kurz nach dem 11. September erschienen ist, dazu geschrieben hat, dann werden Sie genau erkennen, um welche Strategie es geht. Er hat versucht – genau das will al-Qaida –, gegen den inneren Feind zu mobilisieren. Das heißt: Die Straße in den arabischen Ländern sollte durch die schrecklichen Anschläge in New York und in Washington aufgestachelt werden. Das ist nicht gelungen. Insofern ist die erste strategische Überlegung des Terrorismus nicht von Erfolg gekrönt gewesen.

   Die zweite Überlegung, die al-Qaida und andere zu entwickeln versucht haben, sieht vor, die Länder des Westens in einen inneren Kampf, in einen politischen Kampf gegeneinander, zu verwickeln. Es ist deshalb wichtig, Folgendes deutlich zu machen: An Enduring Freedom sind nicht nur die 22 Mitgliedstaaten der NATO beteiligt, sondern 54 Nationen. Wir brauchen Enduring Freedom also als ein Instrument der Zusammenarbeit, um dem Terrorismus – jedenfalls militärisch – das Rückgrat zu brechen. Das ist leider notwendig.

Enduring Freedom darf aber nicht das einzige Instrument sein. Der Unterschied beispielsweise zwischen der Administration von George W. Bush und uns ist an diesem Punkt ganz augenfällig. Wir versuchen, Enduring Freedom als ein Instrument einzusetzen mit dem Ziel, dass zivile Prozesse in Afghanistan vorankommen. Das ist der klare und eindeutige Unterschied. Aus unserer eigenen Logik heraus würden wir dem Einsatz niemals zustimmen – wir können es auch nicht –, den beispielsweise die USA und andere von uns im Irak verlangen.

   Deshalb werden wir mit Enduring Freedom weiter unser Ziel verfolgen, zivile Prozesse in den Ländern, die vom Terrorismus befallen sind, so zu unterstützen und zu verstärken, dass diese Länder ihren eigenen Weg in eine selbstbestimmte Demokratie gehen können. Die Wahl in Afghanistan hat es deutlich gezeigt. Herr Karzai ist mit 55 Prozent der Stimmen zum Präsidenten Afghanistans gewählt worden. Dieser Prozess hat den Weg dafür geöffnet, dass im Frühjahr des kommenden Jahres ein Parlament gewählt werden kann, das die Geschicke des Landes in die eigene Hand nimmt.

   Wir brauchen Enduring Freedom, damit zivile Prozesse vorankommen können und die Menschen in Afghanistan und anderswo in der Region ihre Freiheit selbstbestimmt erlangen. Deswegen wird die SPD-Bundestagsfraktion dem Antrag der Bundesregierung einstimmig zustimmen.

   Lieber Kollege Dr. Struck, dieser Beschluss wird deutlich machen, so hoffen wir, dass die gesamte Bundesrepublik Deutschland hinter den Soldaten steht, die ein schwieriges Amt übernommen haben und einen schwierigen Job tun. Sie tun es vorbildlich und machen klar, dass wir wollen, dass sich zivile Prozesse gegenüber dem terroristischen Anschlag durchsetzen, mit dem al-Qaida vor drei Jahren versucht hat, uns auseinander zu bringen. Das ist nicht gelungen. Die Bundeswehr sorgt dafür, dass der Weg der Freiheit für eine schwierige Region geöffnet wird. Afghanistan hat den ersten Schritt in eine vernünftige Richtung getan.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Stinner, FDP-Fraktion.

Dr. Rainer Stinner (FDP):

Lieber Herr Kollege Weisskirchen, nachdem Sie mich so freundlich bedacht haben, möchte ich doch die Gelegenheit nutzen, darauf kurz zu antworten. Ich verkneife mir, Ihre Rede zu qualifizieren; das verbietet nämlich die Höflichkeit einem Kollegen gegenüber.

(Beifall bei der FDP)

   Herr Kollege Weisskirchen, es ist Ihnen offensichtlich intellektuell nicht möglich gewesen, den Inhalt meiner Rede aufzunehmen.

(Zurufe von der SPD: Na, na, na!)

Ich habe nicht bezweifelt, dass wir uns im Kampf einsetzen müssen und dass Bedrohungslagen bestehen. Uns ging es ausschließlich um die Diskrepanz zwischen dem Vorratsbeschluss – Ihre Koalitionskollegin Tritz hat von Bereitstellungsmandat gesprochen; das war ein verräterischer Ausdruck – und dem aktuellen Bedarf. Herr Weisskirchen, ist es Ihr Konzept, dass wir hier in Zukunft Bereitstellungsmandate verabschieden? Das war der Punkt, den wir angesprochen haben. Es ging nicht um die grundsätzliche Argumentation, die Sie hier angeführt haben. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen, und ich hoffe, dass Sie auch in der Lage sind, das zur Kenntnis zu nehmen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Weisskirchen, Sie haben das Wort zur Erwiderung.

Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD):

Unabhängig davon, welches Gesetz wir dazu in der nächsten Sitzungswoche beschließen werden, werden wir jedes einzelne Mandat sehr sorgfältig prüfen. Hier wird es keine Vorratsbeschlüsse geben,

(Zuruf von der FDP: Was ist denn das?)

sondern hier wird jedes einzelne Mandat im Detail geprüft werden.

   Lieber Kollege Stinner, Sie sind Mitglied des Auswärtigen Ausschusses. Sie wissen seit mindestens zwei Wochen, dass dieser Antrag in der Substanz so gestellt wird. Nicht ein Komma, nicht ein Wort, nicht ein Satz ist seither geändert worden. Sie haben sich mit diesem Einsetzungsbeschluss sehr vertraut machen können. Dabei bleibt es. Diese Koalition wird in der Substanz von Mandatserteilungen keinerlei Änderungen vornehmen. Sie werden das in diesem Hause noch erkennen und erleben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile dem Kollegen Christian Schmidt, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU):

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir jetzt in den weiteren professoralen Disput eintreten, möchte ich zunächst einmal allen Soldaten der Bundeswehr, die im Rahmen von Enduring Freedom ihren Dienst tun – ich hoffe und denke, dass ich das für das ganze Haus tun kann –, unseren Dank und unsere Anerkennung übermitteln und aussprechen. Ich bin sicher, dass der Verteidigungsminister und der hier anwesende Generalinspekteur das auch Soldaten in geeigneter Form zur Kenntnis bringen werden. Wir gehen hier nicht routinemäßig vor, sondern sind uns der vollen Verantwortung, wie Kollege Stinner schon gesagt hat, für das bewusst, was wir hier zum 40. Mal beschließen. Wir fordern nämlich einen Einsatz, der eine Gefährdung von Leib und Leben der Soldaten beinhalten kann, zugleich aber auch uns allen Schutz gibt. Dafür bedanken wir uns alle herzlich.

(Beifall im ganzen Hause)

   Den intellektuellen Disput, den Sie, Herr Kollege Stinner, eröffnet haben, will ich nicht weiter fortführen. Aber natürlich drängt sich mir wie Ihnen sicherlich auch die Frage auf, welche Rolle die Vernunft, von der Herr Weisskirchen sagte, sie sei da, im Denken von Rot-Grün spielt. Wenn sie nämlich erst durch Vertrauensfragen ans Licht geholt werden muss, kann es mit ihr ja nicht ganz so weit her sein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Losentscheid!)

   Dem Kollegen Nachtwei, der in einem Zwischenruf geäußert hatte, wir würden die internen Diskussionen der Grünen nicht ausreichend berücksichtigen, möchte ich sagen: Angesichts der in der Tat beachtlich geschmeidigen grünen Politik habe ich kein großes Interesse daran, interne Diskussionen der Grünen nachzuvollziehen. Ich stelle nur fest, dass manches, was mit diesem Thema zusammenhängt, sehr viel tiefergehend diskutiert werden müsste, als es derzeit der Fall ist. Verräterisch ist ja vor allem, dass viel häufiger über den Irak als über Afghanistan gesprochen wurde. Das zeigt ja, was eigentlich dahinter steckt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vielleicht geht es in den internen Diskussion ja darum, dass man mit der Bereitstellung von sogar 3 900 Soldaten für Enduring Freedom, wie es ursprünglich im Antrag vorgesehen war, verhindern möchte, dass jemand auf die Idee kommt, eine Beteiligung im Irak zu fordern.

   Kollegin Tritz – ich weiß nicht, wo sie sich gerade befindet –

(Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich sage es ihr weiter!)

hat sich bemüßigt gefühlt, den Kollegen Schäuble zu zitieren. Ich könnte andersherum natürlich in dem Zusammenhang den Verteidigungsminister Struck zitieren. Eines ist ja klar: Wenn man die Antiterrorkoalition im Rahmen der Operation Enduring Freedom begrüßt, sie für richtig und dringend notwendig hält und sich bewusst ist, dass wir alleine nichts bewegen können und unsere Sicherheit immer nur multilateral sicherzustellen ist, muss man sich schon sehr genau überlegen, wie man sich bei anderen Maßnahmen der NATO verhält. Man kann nicht eifrig und stolz deutsche Soldaten in die integrierten Stäbe der NATO schicken und zugleich sagen, bei bestimmten Aktionen möchte man von vornherein außen vor gelassen werden. Wenn man so vorgeht, wird das dazu führen, dass wir irgendwann weder bei politischen Entscheidungen noch bei konkreten Operationen dabei sein werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Das soll heißen, damit es kein Vertun gibt: Kein Mensch hat die Intention, uns gegeneinander auszuspielen nach dem Motto: Mit uns geht es in den Irak, mit den anderen nicht. Darum geht es doch überhaupt nicht.

(Rainer Arnold (SPD): Worum dann?)

Es geht darum, dass die NATO eine Ausbildungsmission für die irakische Polizei und Armee übernehmen soll. Zunächst einmal sollte sich jeder anhören, welche Forderungen der NATO-Generalsekretär in diesem Zusammenhang an uns richtet. Es geht also darum, nicht jeden, der eine Uniform anhat und international tätig ist, davon abhalten zu wollen, sich an gemeinsamen, UN-sanktionierten und auf NATO-Ebene beschlossenen, allgemein als friedensfördernd und gut bezeichneten Aktionen zu beteiligen. Wenn ideologische Ressentiments dazu führen, dass man solche Überlegungen in den Vordergrund rückt, wird man politik- und handlungsunfähig. Aber ich habe natürlich Verständnis dafür, dass eine vernünftige Sicht auf die Dinge zunächst einmal Nachbohren erfordert, vorausgesetzt, es ist überhaupt Vernunft vorhanden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Wenn man, wie der Verteidigungsminister in seiner Einbringungsrede, um eine möglichst breite Unterstützung im Hause wirbt, muss man schon sagen – –

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Arnold?

Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU):

Bitte sehr.

Rainer Arnold (SPD):

Herr Kollege Schmidt, um hier wirklich Klarheit zu bekommen: Können Sie mir sagen, ob Sie der Auffassung sind, dass wir dem Drängen des NATO-Generalsekretärs nachgeben und deutsche Soldaten zusammen mit NATO-Kollegen zur Ausbildung von irakischen Soldaten in den Irak entsenden sollten, oder ob wir nicht vielmehr unseren Beitrag besser dadurch leisten, dass wir irakische Soldaten und Polizisten außerhalb des Iraks ausbilden?

(Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Schwachsinn!)

Bei solchen Forderungen sollten wir schon präzise bleiben.

Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU):

Wenn die Ausbildung von Soldaten und Polizisten sinnvoll in anderen Ländern erfolgen kann, kann man das durchaus tun. Wenn allerdings eine gemeinsame Aktion mit Offizieren der Bundeswehr, der Briten, der Franzosen, der Polen und anderer einen kleinen Stab in Bagdad erfordern würde, dann kann ich nicht verstehen, wieso wir zwar BGS-Beamte in Bagdad der Lebensgefahr aussetzen – es sind ja auch schon zwei zu Tode gekommen –, ebenso zivile Hilfsorganisationen, aber grundsätzlich festlegen, dass sich niemand an der Ausbildung beteiligen darf. Insofern bitte ich Sie, sich selber einmal darüber klar zu werden, was Sie eigentlich wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

   Ich komme zu einem weiteren Punkt, zur Frage der Finanzierung.

(Abg. Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU) meldet sich zu einer Zwischenfrage)

– Ich gestatte selbstverständlich auch die Zwischenfrage des Kollegen Schäuble.

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich habe Sie doch noch gar nicht gefragt!

(Heiterkeit)

Aber bitte.

Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU):

Ich bitte, das nicht als vorauseilenden Gehorsam zu qualifizieren, sondern als Wunsch.

Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU):

Vielen Dank. - Herr Kollege Schmidt, können Sie erklären, warum die Bundesregierung im NATO-Rat der Ausbildungsmission im Irak zustimmt, wenn sie gleichzeitig die Auffassung vertritt, dass es nicht zu verantworten sei, dass sich deutsche Soldaten an einer solchen Initiative – an der alle anderen teilnehmen sollen – beteilligen? Können Sie mir dieses widersprüchliche Verhalten der Bundesregierung erklären?

(Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist die Frage, ob man reagiert oder selbst etwas verantwortet!)

Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU):

Herr Kollege Schäuble, jetzt stehe ich tatsächlich vor einem Problem. Ich würde die Frage gerne beantworten, aber mir fällt dazu nur ein Satz ein: Ich kann es mir nicht erklären. Das ist ein widersprüchliches Verhalten, das die Verlässlichkeit im Bündnis infrage stellt und uns mittelfristig schadet.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Ich will nun die Frage der Finanzierung und damit den Einzelplan 14 ansprechen. Es soll der Beschluss gefasst werden, dass die Zahl der Soldaten im Einsatz im Notfall ausgedehnt wird. Meine Fraktion – andere haben sich angeschlossen – hat übrigens darauf gedrängt, dass bei einer signifikanten Veränderung der Zahl der im Einsatz befindlichen Soldaten und der Einsatzorte eine entsprechende Unterrichtung des Parlaments durch die Bundesregierung stattfindet. Das hat die Bundesregierung in einer Protokollnotiz auch zugesagt. Das ist sehr wichtig, damit deutlich wird, dass das Parlament in dieser Frage nicht außen vor ist. Wenn Sie das gedanklich mit einem Rückholrecht koppeln, dann zeigt das, dass es sich nicht um eine bloße Formalie handelt, sondern das Parlament eine starke Position hat, wenn die Zahl von 500 auf 800 oder von 800 auf 3 000 erhöht werden sollte.

Das kann durchaus der Fall sein. Aber das bringt mich, gerade weil wir in der übernächsten Woche den Haushalt zu beraten haben, zu ganz simplen, schnöden Fragen. 114 Millionen Euro sind im Einzelplan 14 für dieses Mandat vorgesehen; so im Antrag der Bundesregierung nachzulesen. Ich bin der Meinung – ich denke, dass das nicht einmal den Widerspruch des Verteidigungsministers hervorruft –, dass eine eventuelle signifikante Erhöhung nicht aus dem Einzelplan 14 finanziert werden kann. Eine solche signifikante Erhöhung wäre eine gesamtpolitische Aufgabe, die aus anderen Mitteln wie aus dem Einzelplan 60 gespeist werden muss. Wir können bei der ohnehin viel zu knappen Finanzausstattung, bei der Rationierung der Bundeswehr, die wir gerade erleben, nicht alle entstehenden Kosten von einem Ressort alleine tragen lassen. Hier geht es um Außen- und Sicherheitspolitik. Hier geht es um das Interesse unseres Landes. Das heißt, wir müssen alle unseren Beitrag zur Sicherstellung der Finanzierung leisten.

   Es ist nicht absehbar, welche Kämpfe in der nächsten Zeit im Rahmen von Enduring Freedom auszustehen sind. Ich hoffe, dass sie nicht so heftig werden. Trotzdem verweise ich auf das, was der Herr Kollege Schmidbauer so deutlich dargelegt hat, nämlich dass noch erhebliche Gefahren bestehen.

   Morgen erwartet den Verteidigungsminister die nächste Front. Dann wird sich zeigen, ob er in der Lage ist, in der SPD die Beibehaltung der Wehrpflicht durchzusetzen. Ich kann ihm nur wünschen, dass ihm das gelingt. Sonst müsste er – unabhängig von allen grundsätzlichen Überlegungen – feststellen, dass er diesen Einsatz und auch alle anderen künftigen Einsätze nicht mehr finanzieren kann. Da kann Herr Fischer noch so große Reden vor den Vereinten Nationen halten: Das wäre die Bankrotterklärung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort dem Staatsminister Hans Martin Bury.

Hans Martin Bury, Staatsminister für Europa:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle haben die Anschläge vom 11. September 2001 in New York und Washington noch deutlich vor Augen und ebenso deutlich den Terroranschlag in Madrid am 11. März dieses Jahres, bei dem fast 200 Menschen ihr Leben verloren und über 1 000 verletzt wurden. Dieser Terroranschlag hat uns gezeigt: Die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus hat nicht nachgelassen. Deshalb, Herr Kollege Stinner, wäre es ein zumindest missverständliches Signal, wenn man das Mandat reduzieren würde. Ich denke, ein verantwortungsbewusst und flexibel genutzter Rahmen – das haben Sie der Bundesregierung ja ausdrücklich bescheinigt – ist die richtige Antwort auf die asymmetrische Bedrohung, mit der wir es beim internationalen Terrorismus zu tun haben.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Die Ziele dieses internationalen Terrorismus liegen auch in Europa. Die Bekämpfung von international organisierten und weltweit agierenden Gruppierungen erfordert ein breites Spektrum von Maßnahmen: Maßnahmen polizeilicher, politischer, zivilgesellschaftlicher, wirtschaftlicher und entwicklungspolitischer Natur. Das militärische Vorgehen ist dabei nur ein Element, aber ein unverzichtbares. Deutschland leistet hierzu seinen Beitrag seit 2001 in der Operation Enduring Freedom gemeinsam mit 54 anderen Nationen.

   Der Versuch islamistischer Fundamentalisten, eine Spaltung der Weltgemeinschaft zu provozieren, ist gescheitert. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat am 8. Oktober 2004 die Resolution 1566 einstimmig verabschiedet und die Staaten erneut dringend zur Zusammenarbeit aufgefordert, um terroristische Handlungen zu verhüten und zu bekämpfen.

   Das erfolgreiche internationale Engagement in Afghanistan steht beispielhaft für dieses Konzept. In Afghanistan konnten terroristische Gruppierungen durch die OEF-geführten Koalitionskräfte in ihren Handlungs- und Bewegungsmöglichkeiten erfolgreich eingeschränkt werden. Das hat entscheidend zur Verbesserung der Sicherheitslage beigetragen. Ohne Sicherheit kann es keinen nachhaltigen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wiederaufbau geben.

   Der Befriedungs- und Stabilisierungsprozess in Afghanistan schreitet mit der Unterstützung der internationalen Gemeinschaft deutlich voran. In vielen Regionen herrscht eine regelrechte Aufbruchstimmung. Auch die Mädchen haben wieder eine Chance auf Bildung. Die Entwaffnung der Milizen kommt allmählich in Gang. Sichtbarstes und aktuellstes Zeichen des Erfolges in Afghanistan sind die Präsidentschaftswahlen. Mit ihrer demonstrativ hohen Teilnahme an den Wahlen hat die Bevölkerung den Terroristen und den Taliban eine klare Absage erteilt. Ja, die Präsidentschaftswahlen waren ein Plebiszit der afghanischen Bevölkerung gegen den Terror.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Gleichzeitig erwartet die Bevölkerung aber auch die Fortsetzung unseres breit angelegten Engagements, damit die Taliban nie wieder die Macht an sich reißen.

   Liebe Kolleginnen und Kollegen, der heutige Tag erinnert auch daran, dass für die Bekämpfung des islamistischen Fundamentalismus mit seiner totalitären Ideologie Fortschritte bei der Lösung des Nahostkonfliktes von zentraler Bedeutung sind, zusammen mit der Überwindung der tiefen Modernisierungskrise in weiten Teilen der islamisch-arabischen Welt, wie sie die Broader-Middle-East-Initiative der G-8-Staaten zum Ziel hat.

Mit dem Tod Arafats geht eine Ära zu Ende, ohne dass das Ziel eines friedlichen, demokratischen Palästina Wirklichkeit werden konnte. Doch zur Zweistaatenlösung gibt es weiterhin keine Alternative. Eine neue palästinensische Führung, der Disengagement-Plan von Premierminister Scharon sowie die Wahl in den USA haben für die kommenden Monate ein neues Momentum zur Erneuerung des politischen Prozesses auf der Grundlage der Roadmap geschaffen. Dieses Momentum gilt es im Rahmen des Nahostquartetts zu nutzen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Von der Verlängerung des OEF-Mandates durch den Deutschen Bundestag geht ein wichtiges politisches Signal an unsere Partner und an die internationale Staatengemeinschaft aus: Deutschland steht auch in Zukunft zu seiner internationalen Verantwortung für Frieden und die Einhaltung der Menschenrechte.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der „Stern“ hat über das Kommando Spezialkräfte, KSK, in Afghanistan berichtet – ich zitiere –:

Seit der Operation Anaconda, an der im März und April 2001 KSK-Kräfte teilnahmen, treten die Al-Qaida- und Taliban-Kämpfer nicht mehr in Gruppen auf, die meisten sind über die Berge nach Pakistan verschwunden. Das KSK will sein Kontingent ebenfalls abziehen – doch es muss bleiben. „Aus dem sinnvollen Einsatz wurde ein politischer. Wir waren der politische Preis dafür, dass Deutschland die USA im Irak nicht unterstützte“, sagt ein Offizier.
(Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unsinn! Das war ja viel eher!)
„Unser Einsatz machte keinen Sinn mehr, solche Aufträge hätten auch andere erledigen können. Wir haben dort in der Wüste gehockt und Skorpione gefangen.“

   Die Regierung und die konservative Opposition wollen ein Mandat mit einem Budget von 114 Millionen Euro für weitere zwölf Monate beschließen. Umgerechnet auf die derzeit eingesetzten 500 Soldaten sind das pro Tag 624 Euro pro Soldat.

   Die Hilfsorganisation Misereor hat die Kampagne „Mit 2 Euro im Monat helfen“ gestartet. Zehnmal 2 Euro haben zum Beispiel dabei geholfen, dass der vierjährige Alem keinen Hunger mehr leiden muss. Seine Mutter hat im St. Mary Social Center im äthiopischen Wukro Kurse über Gemüseanbau und Hühnerzucht besucht. Das dort erworbene Wissen hat der Frau geholfen, für sich und ihren Sohn eine bescheidene Existenz aufzubauen. Da bewirken 20 Euro schon verdammt viel, wenn man überlegt, dass die Soldaten in Afghanistan am Tag 624 Euro kosten.

   Vielleicht geht es Ihnen ja auch um etwas ganz anderes. Vielleicht geht es nicht um demokratische Verhältnisse in Afghanistan, nicht um die Freundschaft zu den USA und nicht um einen Ausgleich für die Nichtteilnahme Deutschlands am Irakkrieg. Dass es noch einen anderen Grund geben muss, habe ich schon immer vermutet, aber bisher noch nicht so deutlich gelesen wie bei Herrn Michael Dauderstädt. Er schreibt in der „Financial Times Deutschland“ vom 13. Januar dieses Jahres:

Europa braucht eine gemeinsame Rüstungspolitik statt der Gemeinsamen Agrarpolitik, also Kanonen statt Butter.

Dauderstädt beklagt, dass im Jahre 2002 46 Milliarden Euro in der EU für die Landwirtschaft ausgegeben wurden. Dieses Geld würde er „besser für die Forschung, Entwicklung und Produktion von Rüstungsgütern einsetzen“.

   Wer ist Herr Dauderstädt? Ist er ein Rüstungslobbyist? Nein. Herr Dauderstädt ist Leiter des Referats „Internationale Politikanalyse“ der Friedrich-Ebert-Stiftung. Die SPD-Strategen dieser Stiftung wollen also aus Butter Kanonen machen. Das hatten wir schon einmal und dies ist für Deutschland wirklich nicht gut ausgegangen.

   Wer den strategischen Ansatz „Kanonen statt Butter“ im Hinterkopf hat und der Verlängerung des Bundeswehrmandats in Afghanistan zustimmt, der spielt nicht nur mit dem Leben unserer Soldaten, der leitet auch einen Paradigmenwechsel in der deutschen Außenpolitik ein.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

   Dazu, meine Damen und Herren von der SPD, fehlt Ihnen der Wählerauftrag.

   Die PDS lehnt die Verlängerung des Bundeswehrmandates ab.

   Vielen Dank.

(Beifall der Abg. Petra Pau (fraktionslos))

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Andreas Weigel, SPD-Fraktion.

Andreas Weigel (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine der bittersten Erkenntnisse der vergangenen drei Jahre: Terrorismus kann uns allen unmittelbar und in aller Brutalität begegnen. Der internationale Terrorismus stellt eine umfassende Bedrohung für unsere offene Gesellschaft dar. Methode terroristischer Gruppen ist es, eine möglichst hohe Zahl an Opfern zu hinterlassen. Sie wollen ökonomischen, sozialen und psychologischen Schaden anrichten. Es liegt in unserer Verantwortung, für den Schutz der eigenen Bevölkerung vor dieser Bedrohung zu sorgen und jeglicher Form von Gewalt und Intoleranz entgegenzutreten.

(Beifall bei der SPD)

   Bei der Abwehr terroristischer Bedrohungen gibt es allerdings keine Frontlinien und keine geographische Definition des Bedrohungsursprungs. Terrornetzwerke müssen über eine Infrastruktur verfügen, um auf Dauer handlungsfähig zu bleiben: von der Rekrutierung über Training und Planung bis zum Zugang zu Ressourcen. Diese Infrastruktur ist allerdings nicht an ein bestimmtes Land oder Regime gebunden. Der Bedrohung durch den Terrorismus kann nicht allein militärisch begegnet werden. Langfristig muss es unser Ziel sein, die Unterstützung des internationalen Terrorismus in der islamischen Welt zu untergraben. Insgesamt kommt es darauf an, den Zustrom von Geld und Kämpfern sowie die moralische Unterstützung der Terroristen zu unterbinden.

   Mehr als alles andere geht es darum, die Ursachen zu beseitigen, die dazu führen, dass es den Terrorgruppen so leicht fällt, immer wieder junge Menschen zu rekrutieren. Trotz alledem sind jetzt Maßnahmen zum Schutz vor der unmittelbaren terroristischen Bedrohung notwendig, durch die der Terror operativ und militärisch bekämpft werden kann. Wir müssen große Anstrengungen unternehmen, um zu verhindern, dass sich Anschläge wie in New York, Istanbul oder Madrid wiederholen können. Mit unserem Einsatz bei der Operation Enduring Freedom kommen wir unserer internationalen Verantwortung nach.

(Beifall bei der SPD)

   Die Anforderungen, die mit der Operation Enduring Freedom verbunden sind, bedeuten, dass wir die Bundeswehr gegen den globalen Terrorismus einsetzen müssen. Mit Streitkräften, die auf die Abwehr an klaren Frontlinien gegen einen regional definierbaren Gegner ausgerichtet sind, werden wir den neuen, asymmetrischen Bedrohungen militärisch nicht entgegentreten können. Deshalb ist es jetzt notwendig, die vom Verteidigungsminister eingeleitete Transformation der Bundeswehr konsequent fortzusetzen. Die Transformation der Bundeswehr ist die unmittelbare Antwort auf das neue Bedrohungsszenario.

   So wie der gemeinsame Kampf gegen internationale Terrorgruppen nach einer Neuausrichtung der Sicherheitspolitik verlangt, so verlangt er auch nach einer Neuausrichtung sicherheitspolitischer Instrumente. Einsätze gegen internationale Terrorgruppen sind zum tatsächlichen Aufgabenspektrum der Bundeswehr geworden. Derartige Einsätze erfordern leichte, sehr flexibel einsetzbare Kräfte für die Konfliktbewältigung. Das bedeutet zum Beispiel für die Teilstreitkraft Heer eine Orientierung weg von mechanisierten Heereskräften und hin zu kleineren und flexibleren Einheiten für schnelle Krisenreaktionseinsätze auch außerhalb Europas.

   Deshalb haben wir die Division Spezielle Operationen ins Leben gerufen. Mit der DSO ist ein Verband aus spezialisierten Kräften und Spezialkräften geschaffen worden, der den Anforderungen des Antiterrorkampfes entspricht. Innerhalb der DSO ist das Kommando Spezialkräfte besonders für den Einsatz gegen terroristische Infrastruktur ausgebildet. Die Soldaten der DSO werden ebenfalls darauf vorbereitet, vor Ort eingreifen zu können, um terroristische Bedrohungen unserer Einsatzkontingente abzuwenden. Das Heer wird so in die Lage versetzt, einen Beitrag zum Kampf gegen internationale Terrorgruppen zu leisten. Es geht aber auch darum, unsere Soldaten so auszurüsten und auszubilden, dass die Gefahren für die Soldaten im Einsatz so gering wie möglich sind.

   Die Fortsetzung der Operation Enduring Freedom für die Dauer der nächsten zwölf Monate ist zur operativen Bekämpfung terroristischer Gruppen erforderlich. Die Operation Enduring Freedom ist langfristig angelegt. Es geht darum, die Strukturen des Terrors zu zerschlagen, das heißt, Führungs- und Ausbildungseinrichtungen auszuschalten, Terroristen zu bekämpfen, gefangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen sowie ihre Unterstützung durch Sympathisanten zu erschweren.

Den Terroristen werden Rückzugsgebiete verwehrt und Transportwege abgeschnitten. Wir leisten so auch einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Proliferation von Massenvernichtungswaffen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   In den Ländern um das Horn von Afrika hat Enduring Freedom einen stabilisierenden Einfluss ausgeübt und den Bewegungsspielraum von Terroristen begrenzt.

   Deutschlands Beteiligung an Enduring Freedom resultiert sowohl aus der Verantwortung, die der Staat für die Sicherheit seiner Bürger trägt, als auch aus unserer Verpflichtung als Mitglied der internationalen Gemeinschaft. Unser Auftrag ist es, die globalen Netzwerke des Terrors militärisch und politisch zu bekämpfen.

   Gegenüber den heutigen Bedrohungen für unser Land hilft die Politik der klassischen Landesverteidigung und Rüstungskontrolle nur noch begrenzt weiter. Im Kampf gegen terroristische Gruppen müssen wir die Initiative behalten. Wir müssen die Ursachen des Terrorismus mit langem Atem politisch bekämpfen. Wir müssen dem Terrorismus aber auch mit militärischen Mitteln begegnen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile dem Kollegen Karl-Theodor von und zu Guttenberg, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie uns neben den Soldaten auch einmal unseren zivilen Kräften Dank sagen, die ebenfalls unter Einsatz von Leib und Leben versuchen, dem Terror den Boden zu entziehen. Auch sie haben unseren Dank verdient und den sollten wir ihnen abstatten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Die Operation Enduring Freedom wird seit dem Jahr 2001 von vielen weiteren Initiativen flankiert. Die meisten dieser Initiativen zielen auf den so genannten Breiteren Mittleren Osten. So glücklich oder unglücklich diese Formulierung gewählt ist: Der Bundesaußenminister hat auf der Sicherheitskonferenz in München im Februar dieses Jahres richtigerweise ein Konzept für diesen „Breiteren Mittleren Osten“ vorgeschlagen. Wir dürfen uns heute im Gesamtkontext der Verfolgung des internationalen Terrorismus allerdings auch einmal fragen, was aus diesem Konzept des Bundesaußenministers außer wolkigen Ankündigungen geworden ist und in welcher Form es in die anderen Initiativen eingebunden werden soll.

   Auch ist in unserem Land eine breite, tief gehende Diskussion über diese Themenkreise, über die Region des Nahen und Mittleren Ostens, über die einzelnen Staaten kaum erkennbar. Auf internationaler Ebene gibt es Initiativen: die drei Gipfel im Juni dieses Jahres, auch die Operation Enduring Freedom, zu der Deutschland, Herr Bundesminister Struck, wirklich einen gewichtigen und bemerkenswerten Beitrag leistet.

   Seit eineinhalb Jahren haben wir nun zwei große Sicherheitsstrategien: die National Security Strategy der Vereinigten Staaten und die Europäische Sicherheitsstrategie, die sich allerdings mehr gegenüberstehen denn tatsächlich komplementär miteinander verzahnt sind.

(Beifall des Abg. Harald Leibrecht (FDP))

Das ist insgesamt ein Gestrüpp unterschiedlichster Ansätze, das durch lediglich nebulöse Äußerungen nicht wirklich durchdringbarer wird. Bei dem Anspruch, den sich der Bundesaußenminister im Februar dieses Jahres gesetzt hat, ist es an der Bundesregierung, diese unterschiedlichen Ansätze endlich einmal untereinander abzugleichen, komplementär auszugestalten und in Einklang zu bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Im gestrigen „Stern“ lesen wir, in den nächsten Monaten solle ein strategischer Konsens hergestellt werden. Das ist schön. Dazu gehört aber in besonderem Maße, dass wir diesen strategischen Konsens mit unserem transatlantischen Partner wieder herstellen, das transatlantische Verhältnis als wesentlichen Pfeiler der Bekämpfung des internationalen Terrorismus wieder auf gesunde Füße stellen und es als einen gewichtigen Pfeiler unserer Arbeit betrachten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Hier ist sicherlich auch seitens der Vereinigten Staaten einiges zu leisten. Aber gerade der Bundesinnenminister hat in den vergangenen Jahren gezeigt, dass es auch mit der Regierung Bush ein freundschaftliches und zielgerichtetes Miteinander geben kann.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es wäre begrüßenswert, wenn sich diese Erkenntnis auch auf das eine oder andere Ressort übertragen ließe, insbesondere auf die Spitze des Bundesentwicklungshilfeministeriums.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

   Deutschland spielt eine Schlüsselrolle bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus, aber auch bei der notwendigen Ausgestaltung und Reform der hierfür relevanten Institutionen. Hier ist als entscheidender Faktor die weitere Funktionsfähigkeit der NATO zu nennen. Es muss allerdings im Interesse unseres Landes sein – der Kollege Schmidt und andere haben das angesprochen –, dass die zu Recht abgelehnte Toolbox-Mentalität einzelner auch in den Vereinigten Staaten nicht durch spiegelbildliches Verhalten auf unserer Seite noch verstärkt wird. Das kann in diesem Lande keiner wünschen; denn das wäre der falsche Ansatz.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

   Stichwort Vereinte Nationen: Die Debatte um einen deutschen Sitz im Sicherheitsrat mag ja erbaulich sein, sie ist aber im Gesamtkontext, auch im Rahmen der Reform der Vereinten Nationen, zweitrangig. Sie hat eher das Potenzial, den Blick auf die Bedrohungs- und Problemlagen unserer Bevölkerung zu verschleiern denn den Blick auf die Reform der Vereinten Nationen zu verstärken.

   In diesem Zusammenhang dürfen wir auch fragen, wie es in unserem Land eigentlich um die Identifikation mit dem bestellt ist, was es zu schützen gilt. Die Anschläge auf Djerba und in Madrid am 11. März dieses Jahres sind mittlerweile fast aus den Köpfen unserer Bevölkerung verschwunden, ebenso das Bewusstsein, dass unterschiedliche Wertefundamente Ausgangs- und Zielpunkt des internationalen Terrorismus sind. So abstoßend das Werte- und Weltbild fundamentalistischer und islamistischer Gruppierungen ist und so gerne das Weltbild der Amerikaner belächelt wird, so sehr müssen wir uns fragen, ob nicht unser eigenes Weltbild auch unter Billigung relevanter Gruppierungen immer diffuser wird. Wenn wir glauben, dass wir uns am ehesten schützen können, indem wir den Bedrohungsszenarien möglichst konturlos begegnen, dann haben wir den Kampf gegen den internationalen Terrorismus bereits verloren.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich schließe die Aussprache.

   Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 15/4165 zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/4032 anzunehmen.

   Es wird namentliche Abstimmung verlangt. Zu dieser Abstimmung liegt mir eine persönliche Erklärung der Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger vor.

   Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, bei der Stimmabgabe sorgfältig darauf zu achten, dass die von Ihnen verwendeten Stimmkarten Ihren Namen tragen.

   Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Plätze besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.

   Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Also schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.

   Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Hans-Peter Uhl, Eckart von Klaeden, Matthias Sehling, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Richterlich geäußerter Verdacht der Förderung der Schleuserkriminalität durch die Bundesregierung

– Drucksachen 15/3032, 15/3670 –

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Eckart von Klaeden das Wort. Bitte schön.

Eckart von Klaeden (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Seit dem Regierungsantritt der rot-grünen Koalition 1998 hat die Erteilung von Visa erheblich zugenommen. In den GUS-Staaten sind seit dem Jahr 2000 5 Millionen Visa erteilt worden, 900 000 davon alleine von der Deutschen Botschaft in Kiew. Aber nicht nur die Erteilung von Visa hat zugenommen, sondern in erschreckendem Maße auch der Missbrauch von Visa, die Visakriminalität. Von den deutschen Botschaften ausgestellte Visa wurden und werden zur massenhaften Einschleusung von Schwarzarbeitern und zur Einschleusung von Zwangsprostituierten verwandt, sie werden von Terrorverdächtigen und Terroristen zur Einreise genutzt.

   Diese Schleuserkriminalität findet nicht nur mit der Duldung des Auswärtigen Amtes statt, sondern sie wird vom Auswärtigen Amt auch noch gefördert.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist ja unerhört! – Gegenruf des Abg. Reinhard Grindel (CDU/CSU): Genau so ist es!)

Das hat das Landgericht Köln Anfang dieses Jahres in einem Gerichtsurteil gegen den Kopf einer Schleuserbande festgestellt. Der Richter hat in dem Urteil im Hinblick auf die Führung des Auswärtigen Amtes gesagt – ich zitiere –:

Das war ein kalter Putsch der politischen Leitung des Auswärtigen Amtes gegen die bestehende Gesetzeslage.

In der Urteilsbegründung wird weiter ausgeführt, dass der Kopf dieser Schleuserbande eigentlich zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren hätte verurteilt werden müssen. Weil die politische Führung des Auswärtigen Amtes es den Schleusern aber allzu leicht gemacht hat, hat man die Haftstrafe von acht auf fünf Jahre reduzieren müssen.

   Die rechtliche Grundlage dieser Visaerteilungen ist der so genannte Volmer-Erlass aus dem Jahre 2000, in dem sich der ausdrückliche Hinweis befindet, dass er auf Weisung von Bundesminister Fischer erlassen worden ist.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Hört! Hört! Dann ist das ja ein Fischer-Erlass!)

Das ist bei Erlassen unüblich. Mit diesem Hinweis auf die ministerielle Autorität sollten die Bedenken und der Widerspruch aus dem eigenen Apparat des Auswärtigen Amtes überwunden werden.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Wo ist Fischer?)

   Durch diesen so genannten Volmer-Erlass, der nach dem früheren Staatsminister benannt ist, der hier vorne Platz genommen hat und auf dessen Mitarbeit die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode verzichtet, wurde die Beweislast bei der Visaerteilung umgekehrt. Das bewährte Prinzip, ein Visum zu verweigern, wenn Sicherheitsbedenken bestehen, wurde umgekehrt in das Prinzip einer falsch verstandenen Liberalität „in dubio pro libertate“, also im Zweifel für die Freiheit, wobei hier die so genannte Reisefreiheit gemeint ist. Das führte zum Missbrauch der Reisefreiheit; denn diese Reisefreiheit wurde und wird von Schleusern, Terroristen und Terrorverdächtigen ausgenutzt und sie ist von dem Landgericht Köln kritisiert worden.

   Was ist bisher alles geschehen?

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Zu wenig!)

Massenhaft Schwarzarbeiter sind in unser Land gekommen. In Portugal gibt es ganze Ortschaften, in denen russisch gesprochen wird und in denen die Mitteilungen an den Gaststätten auf Kyrillisch stehen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass all diese Menschen durch Besuchsvisa der deutschen Botschaften in den GUS-Staaten nach Portugal gekommen sind.

   Es gibt massenhaft Beschwerden über die Zustände an den deutschen Botschaften – aus Portugal, von der französischen und von der spanischen Grenzpolizei, von der Europäischen Union, aber auch vom Bundeskriminalamt und vom BGS. Mit deutschen Besuchsvisa sind nach den Informationen des russischen Geheimdienstes und des Bundeskriminalamtes auch zwei Tschetschenen eingereist, die an der Vorbereitung und Durchführung des Anschlags auf das Moskauer Musicaltheater beteiligt waren. Auch weitere terrorverdächtige Personen reisen ein. Auf die Ministervorlage für den Bundesminister des Innern werde ich nachher noch eingehen.

   Es gibt aber auch strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes wegen Bestechlichkeit, wegen uneidlicher Falschaussage in dem von mir angesprochenen Prozess und wegen der Teilnahme an Menschenhandel und Schleusung durch Unterlassung. Es geht uns hier nicht darum, die Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes an den Pranger zu stellen.

(Volker Neumann (Bramsche) (SPD): Das machen Sie gerade!)

Wir wollen die Strukturen verändert sehen, die die Rechtsbrüche, die in dem Urteil des Landesgerichts angesprochen worden sind, fördern.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   In diesem Zusammenhang möchte ich einmal aus der Ministervorlage zitieren, die aus diesen Wochen stammt. Dort heißt es, dass in der letzten Zeit eine Zunahme von Unregelmäßigkeiten in der Visumerteilungspraxis des Auswärtigen Amtes zu verzeichnen sei, die Gefahren für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland berge. Diese Unregelmäßigkeiten beträfen die Missachtung der gesetzlich vorgeschriebenen Beteiligungserfordernisse der nationalen Sicherheitsbehörden.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Hört! Hört!)

   Meine Damen und Herren, wenn Terrorverdächtige nach Deutschland einreisen und Terroristen von Deutschland aus agieren können, dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis es zu Anschlägen in Deutschland oder in anderen Schengen-Staaten kommt. Es ist gelebte Sicherheitspolitik, diese Einreise von Terrorverdächtigen und von Terroristen zu verhindern.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Schon heute gibt es Hinweise unserer eigenen Sicherheitsbehörden, dass sich Terrorgruppen zunehmend der Strukturen der Schleuserkriminalität bedienen,

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): So ist es!)

um ihre Aktivisten in den Schengen-Raum und in andere Länder einzuschleusen.

   Wir müssen alles dafür tun, mögliche Anschläge in unserem eigenen Land und in anderen Schengenstaaten zu verhindern. Wenn es zu einem Anschlag gekommen ist, ist es zu spät. Wir müssen auch alles dafür tun – ich denke jetzt an die Niederlande –, entsprechende rassistische Gegenreaktionen zu verhindern. Deutschland bleibt nur dann ein offenes, tolerantes und ausländerfreundliches Land, wenn wir alles tun, um illegale Einreise und Kriminalität zu unterbinden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Wir wollen, dass Studenten und Wissenschaftler nach Deutschland kommen. Wir wollen auch, dass Touristen und Kaufleute nach Deutschland kommen. Aber wir wollen, dass diejenigen, die Frauenhandel betreiben, dass Drogen- und Waffenhändler sowie Terroristen gefälligst dort bleiben, wo sie sind. Wir haben mit der Kriminalität in unserem Land schon genug zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Wir wollen Sie mit unserer parlamentarischen Initiative dazu zwingen, ihre Visapolitik zu ändern und sie vom Kopf wieder auf die Füße zu stellen. Wir wollen, dass bei der Visaerteilung endlich wieder die Sicherheit und die Interessen unseres eigenen Landes und nicht eine falsch verstandene Reisefreiheit im Vordergrund stehen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Strukturen müssen geändert werden. Auch das, was Sie bisher an Maßnahmen unternommen haben, der so genannte Chrobog-Erlass, sind nicht geeignet, die Strukturen tatsächlich zu verändern. Das haben Sie selber gesagt; denn Sie erklären, dass an der grundsätzlichen Ausrichtung Ihrer Visapolitik nichts geändert werden soll.

   Seitdem wir angekündigt haben, einen Untersuchungsausschuss zu diesem Thema einzurichten, bekommen wir vermehrt Hinweise, Anrufe und Unterlagen und auch in der Öffentlichkeit mehren sich die Berichte, dass die Probleme an der Botschaft in Kiew leider keine Einzelfälle sind. Die Einreise der Terroristen, die den Anschlag auf das Musical-Theater vorbereitet haben, ist über Moskau erfolgt. Ebenso gibt es Missstände in Minsk, Colombo, Pristina, Algier

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Tirana!)

und auch Tirana. Die Fälle des Visamissbrauchs und der falschen Strukturen, die nicht angegangen werden, sind Legion. Wir wollen die Strukturen von Grund auf verändern, weil der Fisch vom Kopfe her stinkt.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Gründung dieses Ausschuss stinkt!)

   Wir fordern Sie auf, Ihre Visapolitik zu ändern. Wir werden den Untersuchungsausschuss nutzen, die gemachten Fehler und die falschen Strukturen der Visapolitik aufzudecken und über die Öffentlichkeit dafür zu sorgen, dass diese Strukturen endlich geändert werden, damit die Sicherheit unseres Landes wieder im Vordergrund steht.

   Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, komme ich zurück zu Tagesordnungspunkt 19 und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA bekannt. Abgegebene Stimmen 560. Mit Ja haben gestimmt 550, mit Nein haben gestimmt 10, Enthaltungen keine. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Ich erteile nunmehr das Wort dem Kollegen Detlef Dzembritzki, SPD-Fraktion.

Detlef Dzembritzki (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr von Klaeden, nach Ihrer Wortwahl und den pauschalen Unterstellungen fällt es schwer, darauf ruhig zu reagieren. Ich werde mich dennoch darum bemühen.

   Es ist unbestreitbar das gute Recht und sicherlich auch die Pflicht der Opposition, festgestellte oder vermutete Verfehlungen

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Richter haben das festgestellt!)

im Verantwortungsbereich des Regierungshandelns durch die Kontrollmittel der parlamentarischen Demokratie zu hinterfragen. Wenn Ihr Zwischenruf in diese Richtung ging, stimmen wir überein, Herr Kollege.

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Das haben schon Richter festgestellt!)

Im vorliegenden Fall geht es um die Vergabepraxis bei Kurzzeitvisa an bestimmten deutschen Auslandsvertretungen.

   Wir debattieren heute die Große Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die sich vordergründig mit diesem Sachverhalt befasst und mit dem reißerischen Titel „Richterlich geäußerter Verdacht der Förderung der Schleuserkriminalität durch die Bundesregierung“ daherkommt.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Verdacht“ unterstrichen!)

Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort von Anfang September dieses Jahres überzeugend dargelegt, dass diese von der Opposition erhobenen Vorwürfe und Unterstellungen nicht zutreffend sind.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Clemens Binninger (CDU/CSU): Bitte?)

In den Einzelfällen, in denen es in der Tat zu Unregelmäßigkeiten bei der Visaerteilung durch deutsche Auslandsvertretungen gekommen ist, ist das Auswärtige Amt diesen Vorwürfen nachgegangen, hat die Abläufe und Verfahrensweisen geändert und – wo erforderlich – personalrechtliche Konsequenzen gezogen.

   Nun hat die Union angekündigt, einen Untersuchungsausschuss einrichten zu wollen, der nochmals den Fragen nachgehen soll, die in den Kleinen und Großen Anfragen sowie zahllosen schriftlichen und mündlichen Fragen bereits erschöpfend beantwortet wurden. Duktus und Wortwahl der Großen Anfrage machen dabei dem geneigten Leser deutlich, worum es der Union eigentlich geht und weshalb der Untersuchungsausschuss eingerichtet werden soll. Thematisch ist dieser Vorgang im Verantwortungsbereich des bei der Bevölkerung seit Jahren beliebtesten deutschen Politikers, des Außenministers Joschka Fischer, angesiedelt. Da Sie es nicht schaffen, Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, aufgrund eigener Meriten die Zuneigung der Menschen im Lande zu gewinnen, starten Sie eine destruktive Kampagne, von der Sie hoffen, es werde schon irgend etwas hängen bleiben.

(Ernst Burgbacher (FDP): Jetzt wissen wir es!)

Auch das ist das Recht der Opposition, so wie es unser Recht ist, diese Vorhaben als erbärmlich zu kennzeichnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Das Problem, um das es hier geht, das Spannungsfeld, das es zu beleuchten gilt, ist viel komplexer, als es die Anfrage vermuten lässt. Die Welt ist nicht so simpel, wie die Verfasser glauben. Ihrer Meinung nach wären die Deutschen sicher wie in Abrahams Schoß, wenn nur möglichst wenige Ausländer nach Deutschland reisen dürften. Dieses Weltbild richtet aber außenpolitischen Schaden an und das wissen auch die klugen Außenpolitiker der CDU, die sich in dieser Frage erstaunlich zurückhalten.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Das ist ein einstimmiger Beschluss der Arbeitsgruppe Auswärtiges!)

Die eifrigen Rechts- und Innenpolitiker der Opposition hingegen verzetteln sich in juristischen Detailfragen und verlieren sich in Spitzfindigkeiten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist ein weiterer Beweis, Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, insbesondere von der CDU/CSU, dass Sie immer noch nicht zu einem konstruktiven Politikstil zurückgefunden haben. Mit Ihrem Verhalten werden Sie dem Problem, um das es hier geht, mit Sicherheit nicht gerecht.

   Worum geht es eigentlich? Deutschland ist ein weltoffenes und gastfreundliches Land, das kein Interesse daran hat, sich abzuschotten. Die Deutschen reisen selbst gern und oft. Als Gastgeber und Geschäftsleute haben wir natürlich ein großes Interesse am regelmäßigen persönlichen Austausch mit dem Ausland, sei es aus wirtschaftlichen, kulturellen, touristischen oder familiären Gründen. Wir sind stolz auf diese offene Gesellschaft, der wir uns alle verpflichtet fühlen. Gerade diese Offenheit macht die Attraktivität Deutschlands und auch der Länder der Europäischen Union aus. Die Länder, die der EU kürzlich beigetreten sind, wurden nicht nur durch die Hoffnung auf materielle Vorteile in diese EU gezogen, sondern auch durch die Anziehungskraft der freiheitlichen Gesellschaft motiviert. Diese Entwicklung ist ein Glücksfall für Europa, an den wir noch vor 15 Jahren nicht zu denken gewagt hätten.

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Jetzt kommen Sie mal zum Thema!)

   Aber es gibt auch eine Kehrseite dieser glänzenden Medaille. Diese Offenheit birgt Risiken für die Sicherheit unseres Landes. Wir müssen den Bedürfnissen unserer inneren Sicherheit Rechnung tragen und den zahlreichen Versuchen der illegalen Einreise nach Deutschland und Europa effektiv begegnen. Diese Grundproblematik hat es schon immer gegeben. Nach dem 11. September 2001 ist jedoch das Sicherheitsbedürfnis auch in Europa größer geworden. Abstriche an der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande dürfen nicht gemacht werden. Missbrauch und Korruption im Zusammenhang mit der Erteilung von Visa müssen entschlossen bekämpft werden. Auch für diese Ziele steht die Bundesregierung mit ihrer Politik ein.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Visastellen der deutschen Botschaften und Generalkonsulate arbeiten genau an dieser Schnittstelle, in dem Spannungsfeld von Sicherheitsbelangen auf der einen und dem Wunsch nach unbürokratischen Verfahren und Liberalität auf der anderen Seite. Für viele Ausländer sind die Visastellen der Botschaft oft der erste Berührungspunkt mit Deutschland. Den Visastellen wird immer wieder erklärt, dass ihre Arbeit für Deutschland im Gastland ganz besonders wichtig sei. Wer sich als Bundestagsabgeordneter die Visaabteilungen in den verschiedenen Ländern anschaut, ob in Warschau, in Washington oder in Ouagadougou, wird bestätigen können, dass die Arbeit dort unter schwierigen Bedingungen geleistet wird.

   Was haben die Visaabteilungen eigentlich zu leisten? Sie sind an das deutsche Ausländerrecht und das Schengener Durchführungsübereinkommen gebunden. Auch die Neuregelungen der Einreisebestimmungen im Zuwanderungsgesetz müssen berücksichtigt werden. Damit ist der rechtliche Rahmen abgesteckt, in dem die notwendigen Sicherheitsbelange berücksichtigt werden müssen.

   Auf der anderen Seite müssen neben den bereits erwähnten wirtschaftlichen, kulturellen, wissenschaftlichen und touristischen Gründen natürlich auch die zwischenmenschlichen Aspekte und humanitären Verpflichtungen berücksichtigt werden, die im Visumverfahren eine Rolle spielen. Ebenso müssen wir unseren humanitären und politischen Ansprüchen gerecht werden und dürfen die Erteilung von Visa nicht als Instrument zur Abschottung missbrauchen. Dies kann nur gelingen, wenn Ermessensentscheidungen möglich sind und der Spielraum für eine angemessene Entscheidung gegeben ist. Die richtige Balance auch in der Abwägung humanitärer Aspekte zu finden ist eine Kunst, die schwieriger zu erlernen ist als das Abfragen beim Ausländerzentralregister.

   Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Visastellen dürfen nun erleben, dass in den nächsten Wochen auf Antrag der CDU/CSU-Fraktion ein Untersuchungsausschuss eingerichtet wird. Ein Untersuchungsausschuss wird zu denselben Fragen, die die Union bereits gestellt hat und die durch die Bundesregierung bereits beantwortet wurden, keine neuen Erkenntnisse hervorbringen.

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Das wollen wir mal abwarten!)

Er wird aber, sehr geehrter Herr Grindel, die Bediensteten in den Visastellen pauschal unter Druck setzen und den Ermessensspielraum für sachgerechte Entscheidungen einschränken.

(Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Ach, sehr eigenartig!)

Ob es der Wirtschaftsflügel der CDU wohl begrüßen wird, wenn Konsularbeamte Angst haben, Bona-fide-Regelungen für Geschäftsleute zu treffen? Diese Frage werden Sie beantworten müssen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Darum geht es doch gar nicht, Herr Dzembritzki!)

   Wenn sich die Visumspolitik nach dem Amtsantritt der rot-grünen Bundesregierung der Weltoffenheit und Humanität verpflichtet gefühlt und dieser Grundsatz auch die Praxis der Ausländervertretungen geprägt hat, entspricht das einem modernen Deutschlandbild. Die internationale Lage hat allerdings inzwischen eine Reihe neuer Herausforderungen für unsere Sicherheit hervorgebracht – wir haben in der vorherigen Debatte gerade entsprechende Entscheidungen getroffen, liebe Kolleginnen und Kollegen – und ich gehe davon aus, dass wir alle bereit sind, uns diesen neuen Herausforderungen zu stellen.

   Selbstverständlich hat diese Situation auch Anlass gegeben, die Praxis immer wieder zu überprüfen. Die Visavergabepraxis ist der Kontinuität verpflichtet und sie ist immer wandlungsfähig geblieben. Das Auswärtige Amt hat vor kurzem mit einer neuen internen Regelung eine Anpassung vorgenommen. Das alles hat jedoch nichts mit Fällen organisierter Kriminalität und illegalen Schleusertums zu tun, mit denen sich deutsche Gerichte auseinandersetzen müssen. Diese Machenschaften durch bessere europaweite Vernetzung im Schengenraum zu bekämpfen, muss unser gemeinsames Ziel sein.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sicherheit und Freiheit dürfen dabei nicht als Gegensatz verstanden werden, sondern müssen gemeinsame Aufgabe und Verpflichtung sein.

   Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Ernst Burgbacher, FDP-Fraktion.

Ernst Burgbacher (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Visastellen der deutschen Auslandsvertretungen sind die Außenposten der deutschen Sicherheitspolitik und schon deshalb ist das, worüber wir heute reden, sehr wichtig. Eines ist doch völlig unstrittig: Wenn es in diesem Bereich zu Unregelmäßigkeiten oder Affären kommt oder wenn politisch zweifelhafte Vorgaben bestehen, muss diesen nachgegangen werden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wenn es nur den Verdacht von Schleuserkriminalität, wie ihn größere deutsche Magazine melden, gibt, muss auch dem nachgegangen werden.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das tun wir ja selbstverständlich!)

Deshalb sind wir den Kolleginnen und Kollegen der Union dankbar, dass sie das Thema, das wir auch im Innenausschuss sehr ausführlich erörtert haben, in die Öffentlichkeit gebracht haben.

   Es ist keine Frage: Individuelle Verfehlungen und Ansätze zu kriminellen Handlungen müssen verfolgt und geahndet werden. Natürlich muss aber auch gefragt werden: Stimmen die Voraussetzungen? Sind eigentlich die Vorgaben für die Beamten in den Konsulaten in Ordnung?

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): So ist das! Ganz genau!)

Dazu sage ich für die FDP-Fraktion: Der Volmer-Erlass war nicht in Ordnung.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Das ist ja eigentlich ein Fischer-Erlass!)

– Ich habe Ihrer Großen Anfrage sehr wohl entnommen, Herr Koschyk, dass Sie in Bezug auf den Volmer-Erlass an jeder Stelle dazugeschrieben haben: auf ausdrückliche Weisung des Bundesaußenministers Joseph Fischer. Dass der Minister selber das zu verantworten hat, steht doch völlig außer Frage.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Höchstpersönlich! Wo ist er eigentlich?)

   Der Grundsatz „in dubio pro libertate“ war wohl tatsächlich ein Einfallstor für Fehlentscheidungen. Man muss im Zusammenhang mit diesem Grundsatz berücksichtigen, wie der Begriff Libertas, also Freiheit, ausgelegt wird.

(Zuruf von der SPD: Das ist für einen Liberalen wie Sie ganz interessant ! Die FDP sagt: Libertate ist verkehrt!)

   Freiheit heißt nicht, etwas beliebig zu erleichtern und auf Kontrolle zu verzichten. Freiheit bedeutet vielmehr, die Freiheit zu schützen. Das gilt auch für unsere Freiheit hier. Deshalb sind umfassende Kontrollen notwendig. Das steht außer Frage. Deshalb war der Volmer-Erlass falsch und es ist gut, dass er korrigiert wurde.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Fazit passt nicht zu dem Vorhergehenden!)

   Als Reaktion auf die Kritik folgte der Chrobog-Erlass, der das Prinzip „in dubio pro libertate“ durch Leitlinien mit klaren Kriterien ersetzt. Das begrüßen wir ausdrücklich. Wir begrüßen, dass der Erlass geändert wurde und dass ein Visahandbuch angekündigt worden ist, mit dem den Verunsicherungen in den Auslandsvertretungen Einhalt geboten werden soll. Denn eines ist klar: Die Beamten leisten in diesen Vertretungen eine unwahrscheinlich schwere Arbeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Um diese Arbeit bewältigen zu können, müssen sie mit klaren Regelungen und Richtlinien ausgestattet sein. Andernfalls ist das nicht zu schaffen. Im Übrigen heißt es, dass das Auswärtige Amt Schwierigkeiten hat, Beamte zu finden, die bereit sind, sich in kritische Visastellen versetzen zu lassen. Dabei ist das deutsche Parlament gefordert, sich für die Erstellung von Kriterien und Richtlinien einzusetzen, die den Beamten vor Ort ihre Tätigkeit erleichtern. Angesichts des Chrobog-Erlasses und des angekündigten Handbuchs haben wir die Hoffnung, dass sich einiges ändert.

   Allerdings warne ich davor, in das Gegenteil zu verfallen. Wir alle wissen: Das ist ein hochsensibler Bereich. Die Sicherheit im Inneren wie auch an den Grenzen ist häufig eine Gratwanderung. Niemand in diesem Parlament sollte in den Debatten versuchen, den Bürgerinnen und Bürgern vorzugaukeln, eine Maßnahme alleine reiche aus, um alle Probleme zu lösen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

   Schließlich wird es immer wieder kritische Fälle geben. Wir sollten uns dazu bekennen, dass eine offene und freie Gesellschaft auch gewisse Risiken in Kauf nehmen muss. Wenn eine freie Gesellschaft beginnt, einen Schutzzaun um alle Gefahrenherde zu ziehen, dann geht die Freiheit sehr schnell verloren. In diesem Konflikt leben wir. Seit dem 11. September und dem Beginn des weltweiten Terrorismus leben wir mit diesem Konflikt wesentlich bewusster.

   Dem müssen wir entgegensetzen, dass wir sehr viel stärker auf Weltoffenheit angewiesen sind als viele andere Länder. Wir sind das Land mit den stärksten wirtschaftlichen Verflechtungen. Deshalb braucht auch unsere Wirtschaft Offenheit. Wir wollen die kulturelle Offenheit und wir wollen den Tourismus in Deutschland fördern. Deshalb können wir nicht einfach die Grenzen abschotten und niemanden mehr hereinlassen. Das wäre für unser Land verheerend.

   In diesem Konflikt leben wir. In der heutigen Debatte geht es darum, wie wir diesen Konflikt auflösen können. Wir wollen keine amerikanischen Verhältnisse. Wir wollen nicht, dass – wie in den USA – die Grenzen zum Teil dichtgemacht werden, mit allen Folgen, die aus den USA bekannt sind. Zum Beispiel sind große Veranstaltungen und Kongresse inzwischen abgesagt worden. Die Unternehmen haben Schwierigkeiten, Mitarbeiter in die USA zu entsenden, weil diese kein Visum erhalten. Das kann keine Lösung sein.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): In dubio pro was?)

   Deshalb stellt sich die Frage: Was können wir tun?

(Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was hat denn Herr Kinkel gemacht?)

Wir begrüßen den Chrobog-Erlass, aber wir wissen auch, dass sein Erfolg sehr stark davon abhängt, wie sich seine Umsetzung gestaltet.

   Damit sind wir bei der Besetzung unserer Konsulate. Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Die FDP hatte im Haushaltsausschuss mehrfach den Antrag gestellt, die Rechts- und Visaabteilungen von globalen Stellenkürzungen auszunehmen. Dieser Antrag wurde zweimal abgelehnt. Erst im dritten Anlauf waren wir erfolgreich. Die erwähnten Abteilungen wurden von Stellenkürzungen ausgenommen. Das war sicherlich absolut notwendig; denn wenn man die Probleme betrachtet, kommt man zu dem Schluss, dass dort keine Stellenkürzungen vorgenommen werden dürfen. Anderenfalls könnten Sie so viel erlassen, wie Sie wollten, Sie könnten nichts durchsetzen.

(Beifall des Abg. Hartmut Koschyk (CDU/CSU))

Deshalb bitte ich Sie, für klare Personalstrukturen zu sorgen. Eventuell muss aber intern umgeschichtet werden, um die notwendige Stärke zu gewährleisten.

   Die Union hat vorgeschlagen, die Kompetenzen vom Auswärtigen Amt zum Bundesministerium des Innern zurückzuverlagern. Hierzu erkläre ich für meine Fraktion ganz klar: Das ist der falsche Weg. Wenn ich mich recht erinnere, war es Hans-Dietrich Genscher, der die Kompetenzen auf das Auswärtige Amt übertragen hat. Dort sind sie richtig angesiedelt; denn das Auswärtige Amt ist für die Botschaften und die Konsulate zuständig.

   Lassen Sie mich zum Schluss noch ein paar Sätze zu der geplanten Einsetzung eines Untersuchungsausschusses sagen. Herr Dzembritzki, ich finde es mutig, zu sagen, ein Untersuchungsausschuss werde politische Dinge verhindern und damit sei vieles nicht mehr möglich. Das kann es nun wirklich nicht sein. Allerdings räume ich ein, dass wir im Augenblick noch skeptisch sind. Wenn überhaupt, hätte schon vor einem halben Jahr ein Untersuchungsausschuss eingesetzt werden müssen. Er kommt jetzt reichlich spät. Da Untersuchungsausschüsse die schärfste Waffe sind, die das Parlament hat, werden wir in der FDP-Bundestagsfraktion sorgsam darüber beraten, wie wir uns zu diesem Punkt verhalten werden. Tatsache ist zwar, dass aufgeklärt werden muss, dass die Strukturen verändert werden müssen und dass es eine vernünftige Personalausstattung geben muss. Aber es darf in diesem Zusammenhang nicht alles einbezogen und verschärft werden. Unser Land muss offen bleiben. Das Motto der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland lautet: „Die Welt zu Gast bei Freunden“. Wir müssen alles tun, dass wir ein weltoffenes, sympathisches und gastfreundliches Land bleiben. Daran lassen wir keinerlei Abstriche machen.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort der Staatsministerin Kerstin Müller.

[Der folgende Berichtsteil – und damit der gesamte Stenografische Bericht der 139. Sitzung – wird am
Montag, den 15. November 2004,
an dieser Stelle veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/15139
Seitenanfang [TOP]
Druckversion Druckversion