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15. Wahlperiode
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   145. Sitzung

   Berlin, Donnerstag, den 2. Dezember 2004

   Beginn: 9.00 Uhr

   * * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *

   * * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *

   * * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *

Präsident Wolfgang Thierse:

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

   Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gebe ich Folgendes bekannt: Ende des Jahres scheiden turnusgemäß drei Mitglieder des Verwaltungsrates der Kreditanstalt für Wiederaufbau aus. Die Fraktion der SPD schlägt als Nachfolger für den Kollegen Klaus Brandner den Kollegen Jörg-Otto Spiller vor. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt für eine weitere Amtszeit wieder den Kollegen Dietrich Austermann und die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen wieder die Kollegin Christine Scheel vor. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann sind die genannte Kollegin und die beiden Kollegen als Mitglieder im Verwaltungsrat der KfW bestellt.

   Die Fraktion der SPD möchte im Kuratorium der Stiftung „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ einen Wechsel vornehmen. Der Kollege Marco Bülow – bisher ordentliches Mitglied – soll nunmehr stellvertretendes Mitglied und die Kollegin Gisela Hilbrecht – bisher stellvertretendes Mitglied – soll nunmehr ordentliches Mitglied werden. Sind Sie auch mit diesem Vorschlag einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann sind die genannten Abgeordneten wie vorgesehen in die jeweiligen Gremien entsandt.

   Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:

1 Vereinbarte Debatte: Die Demokratie in der Ukraine festigen

(siehe 144. Sitzung)

2 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Marie-Luise Dött, Dr. Rolf Bietmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Klimaschutz-Doppelstrategie – Kioto-Protokoll zu einem wirksamen Kioto-plus-Abkommen weiterentwickeln und nationale klimafreundliche Entwicklung konsequent fortsetzen

– Drucksache 15/4382 –

b) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Das Kioto-Protokoll national konsequent umsetzen und international verantwortungsvoll weiterentwickeln

– Drucksache 15/4393 –

3 a) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Zusammenleben auf der Basis gemeinsamer Grundwerte

– Drucksache 15/4394 –

Überweisungsvorschlag:Innenausschuss (f)Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungAusschuss für Kultur und Medien

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Max Stadler, Klaus Haupt, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Kulturelle Vielfalt – Universelle Werte – Neue Wege zu einer rationalen Integrationspolitik

– Drucksache 15/4401 –

Überweisungsvorschlag:Innenausschuss (f)Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren

(Ergänzung zu TOP 30)

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Uwe Küster, Dirk Manzewski, Jörg Tauss, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD, der Abgeordneten Dr. Günter Krings, Dr. Norbert Röttgen und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Grietje Bettin, Jerzy Montag, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Rainer Funke, Dr. Karl Addicks, Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Wettbewerb und Innovationsdynamik im Softwarebereich sichern – Patentierung von Computerprogrammen effektiv begrenzen

– Drucksache 15/4403 –

Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss (f)Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Dr. Ole Schröder, Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Promillegrenze in der Seeschifffahrt

> Drucksache 15/4383 <</p>

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)InnenausschussRechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Tourismus

5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP: Haltung der Bundesregierung zur Forschung an embryonalen Stammzellen nach der Volksabstimmung in der Schweiz und den damit verbundenen Auswirkungen für die Forschung in Deutschland

6 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer, Rainer Funke, Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Menschenrechte in der Volksrepublik China einfordern

– Drucksache 15/4402 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer Funke, Dr. Karl Addicks, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Ratifikation des 12. Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention

– Drucksache 15/4405 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)Auswärtiger Ausschuss

7 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung: Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Unterstützung der Überwachungsmission AMIS der Afrikanischen Union (AU) in Darfur/Sudan auf Grundlage der Resolutionen 1556 (2004) und 1564 (2004) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 30. Juli 2004 und 18. September 2004

– Drucksachen 15/4227, 15/4257 –

Berichterstattung:Abgeordnete Gert Weisskirchen (Wiesloch)Joachim Hörster Dr. Ludger Volmer Harald Leibrecht

b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung

– Drucksache 15/4259 –

Berichterstattung:Abgeordnete Alexander Bonde Lothar Mark

Herbert Frankenhauser

Dietrich Austermann

Jürgen Koppelin

8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk Niebel, Rainer Brüderle, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Keine Sperrfrist bei Abschluss eines Abwicklungsvertrags nach arbeitgeberseitiger betriebsbedingter Kündigung

– Drucksache 15/4407 –

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)Rechtsausschuss

   Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.

   Ferner ist vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 21 – Zukunft für Tschetschenien – vor dem Tagesordnungspunkt 20 – Parlamentsbeteiligungsgesetz – aufzurufen.

   Außerdem möchte ich auf eine nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam machen:

   Der in der 135. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Tourismus zur Mitberatung überwiesen werden.

Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Reform der beruflichen Bildung (Berufsbildungsreformgesetz – BerBiRefG)

– Drucksache 15/3980 –

überwiesen:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)InnenausschussRechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

   Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 sowie die Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf:

3. Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung

Kioto-Protokoll tritt in Kraft – Ein Erfolg für den Klimaschutz und eine Verpflichtung für die Zukunft

ZP 2 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Marie-Luise Dött, Dr. Rolf Bietmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Klimaschutz-Doppelstrategie – Kioto-Protokoll zu einem wirksamen Kioto-plus-Abkommen weiterentwickeln und nationale klimafreundliche Entwicklung konsequent fortsetzen

– Drucksache 15/4382 –

b) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Das Kioto-Protokoll national konsequent umsetzen und international verantwortungsvoll weiterentwickeln

– Drucksache 15/4393 –

   Zu der Regierungserklärung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor.

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

   Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Jürgen Trittin.

Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Russische Föderation hat das Kioto-Protokoll ratifiziert. Es wird am 16. Februar nächsten Jahres in Kraft treten. Das ist ein Durchbruch für den internationalen Klimaschutz. Hier hat sich multilaterale Umweltpolitik gegen unilaterales Beharren durchgesetzt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Erstmals gibt es eine völkerrechtlich verbindliche Obergrenze für den Ausstoß von Treibhausgasen. Das In-Kraft-Treten des Kioto-Protokolls ist ein unüberhörbares Signal, dass die internationale Staatengemeinschaft den Klimawandel ernst nimmt. Der Klimawandel ist keine skeptische Prognose mehr, sondern bittere Realität. In diesem Sinne hatte uns der Bundeskanzler auf dem Weltgipfel in Johannesburg gemahnt.

   Meine Damen und Herren, das Kioto-Protokoll leitet eine klimapolitische Trendwende ein. Es gibt ein erstes Ziel – ich betone: ein erstes Ziel – auf dem Weg zu einer Industriegesellschaft vor, die entschieden weniger Treibhausgase emittiert und fossile Brennstoffe effizienter einsetzt als bisher.

   Aktive Klimaschutzpolitik erfordert nicht – wie man gelegentlich hört – den Abschied von der Industriegesellschaft; aktive Klimaschutzpolitik erfordert vielmehr eine andere Industriepolitik. Tony Blair spricht von einer „neuen, grünen industriellen Revolution“. Klimaschutz befördert neue Entwicklungsmodelle in Wirtschaft und Gesellschaft. Der Boom erneuerbarer Energien in Deutschland wirkt beispielgebend auch und gerade für Schwellenländer. Energieeinsparung und die Steigerung der Energieeffizienz schonen das Klima und die natürlichen Ressourcen und sie zahlen sich für private Haushalte, für den Dienstleistungssektor, aber auch für das produzierende Gewerbe sehr rasch in Euro aus. Notwendig sind dafür jedoch die richtigen Anreize.

   Mit dem Kioto-Protokoll bekommt die Nutzung der Atmosphäre erstmals einen Preis. Das Protokoll setzt einen verbindlichen Rahmen, den wir innerhalb der EU und hier in Deutschland umsetzen.

   Eine aktive Klimaschutzpolitik bedeutet aber auch, alle Sektoren und alle Akteure auf den verschiedenen Ebenen miteinzubeziehen. Nur damit schaffen wir die notwendige Akzeptanz in der Gesellschaft für solche nachhaltigen Lösungsansätze. In diesem Sinne schreiben wir das Nationale Klimaschutzprogramm derzeit fort. Wenn man die Entwicklung des Ölpreises und die Rahmenbedingungen an den Weltenergiemärkten analysiert, kann das nur eines heißen: Wir haben erhebliche ökonomische Chancen mit einer konsequenten Klimaschutzpolitik. Wir müssen vom Öl wegkommen. Anhaltend hohe Ölpreise bedrohen den Aufschwung gerade in den entwickelten Volkswirtschaften. Aber die Mehrkosten für Öl machen in den Ländern des Südens die Bekämpfung von Hunger und Armut noch schwerer. Gleichzeitig wird durch Entwicklungen im Mittleren Osten auf dramatische Weise deutlich, welche sicherheitspolitischen Risiken Abhängigkeiten von nur diesem einen Energieträger bergen.

   Eine nachhaltige Gestaltung der Energiepolitik weltweit ist für uns auch und gerade aus Sicherheitsgründen notwendig. Eine intelligente Verknüpfung von Energiepolitik und Klimaschutzpolitik ist entscheidend. Unser Engagement für erneuerbare Energien demonstriert: Klimaschutzpolitik ist machbar und vorteilhaft. Wir wurden durch diese Politik zum Technologieführer. Wir belegen weltweit in der Technologie der Windkraft den ersten Platz und in der Photovoltaik hinter Japan den zweiten. Die Zukunft gehört den erneuerbaren Energieträgern, wie der Bundeskanzler zu Recht festgestellt hat.

   Meine Damen und Herren, über das In-Kraft-Treten des Kioto-Protokolls dürfen wir uns alle freuen. Deutschland gehört – ich sage das parteiübergreifend – zu den Hauptarchitekten der internationalen Klimaschutzpolitik. Grundlage war eine breite Übereinstimmung über alle Parteigrenzen hinweg. Die Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre“ des Bundestags hatte sich schon 1990 für eine konsequente Klimaschutzpolitik ausgesprochen und unter anderem eine Minderung der Treibhausgasemissionen der Industriestaaten um 80 Prozent bis zum Jahr 2050 empfohlen.

   Die Verhandlungen über das Kioto-Protokoll wurden durch die Annahme des Berliner Mandats bei der ersten Klimakonferenz 1995 initiiert. In Bonn gelang dann im Jahre 2001 der entscheidende Durchbruch für die Beschlüsse zur Anwendung des Protokolls. Die Bundesregierung hat sich danach wiederholt und auf allen Ebenen mit Nachdruck bei unseren Gesprächspartnern in Russland für die Ratifikation des Kioto-Protokolls eingesetzt.

   Wir alle, der Bundestag, können das Kioto-Protokoll als einen gemeinsamen Erfolg deutscher Klimapolitik würdigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Otto Fricke (FDP))

Ich möchte an dieser Stelle Ihnen allen – ausdrücklich meiner Vorgängerin, Frau Merkel, für ihre Verdienste – dafür danken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

   Die Klimakonferenz in Buenos Aires im Dezember dieses Jahres findet im Jahr 10 nach dem In-Kraft-Treten der Klimarahmenkonvention statt. Wir können hier auf das Erreichte zurückblicken und andererseits Weichen stellen, um die internationale Klimaschutzpolitik in den kommenden Jahren fortzuentwickeln. Deutschland wird hier im Rahmen der Europäischen Union seine Rolle ernsthaft weiter spielen. Wir können als Europäer und insbesondere als Deutsche in der Klimaschutzpolitik auf beachtliche Erfolge verweisen. Im Januar 2005 wird europaweit der Emissionshandel beginnen. Was viele Anfang dieses Jahres noch nicht geglaubt haben, wird jetzt Wirklichkeit. Mit der Umsetzung des Kioto-Protokolls prägen wir den internationalen Prozess. Damit haben wir bewiesen, dass man als Vorreiter in Europa weltweit tätig werden kann. Aber auch innerhalb Europas gehen wir mit dem Emissionshandel einen völlig neuen Weg. Die EU-Kommission genehmigte den deutschen Nationalen Allokationsplan schon in der ersten Handelsperiode. Wir sehen bereits in dieser Handelsperiode eine Reduzierung des klimaschädlichen Gases CO2 vor. Der Emissionshandel wird helfen, das Klima dort zu schützen, wo es ökonomisch am sinnvollsten ist. Kohlenstoff erhält einen Preis, sodass der Markt seine Funktion als Suchmechanismus für die günstigste Vermeidungsoption und die beste Technik erfüllen kann.

   Deutschland hat mit seiner aktiven Klimapolitik den Ausstoß von Treibhausgasen wesentlich verringern können. Mit einer Reduktion der Treibhausgasemissionen um 237 Millionen Tonnen liegen wir derzeit etwa 2 Prozentpunkte vor der Kioto-Zielmarke von 21 Prozent. Zusammen mit dem Vereinigten Königreich von Großbritannien hat Deutschland wesentlich dazu beigetragen, dass die Europäische Union beachtliche Fortschritte auf der internationalen Bühne vorzeigen kann. Die EU hat bis 2002 die Treibhausgasemissionen um knapp 3 Prozentpunkte gesenkt. Ohne die Anstrengungen, die in Deutschland und im Vereinigten Königreich unternommen worden sind, läge die EU hingegen bei einem Plus von 10 Prozent.

   Deutschland spielt beim Schutz des Klimas innerhalb der EU – wir hoffen: auch global – weiterhin ganz vorne mit. Gesetzliche Maßnahmen und Regeln zum Klimaschutz in Deutschland werden von anderen Ländern als Vorbild angesehen. Das gilt für das Erneuerbare-Energien-Gesetz, aber auch für unseren Ansatz, externe Kosten etwa über die Ökosteuer wieder zu internalisieren. Wir können im Bereich der erneuerbaren Energien sehen: Wir haben im Jahre 2004 erstmals 10 Prozent unseres Stroms regenerativ erzeugt. Zusammen mit den Einsparungen im Bereich der erneuerbaren Wärme – eine vielfach unbeachtete Säule der Energiepolitik – sparen wir inzwischen bis zu 60 Millionen Tonnen Kohlendioxid ein. Damit schützen wir sehr endliche Ressourcen.

Wir haben auf der internationalen Konferenz für erneuerbare Energien im Juni 2004 in Bonn und mit dem dort beschlossenen Aktionsprogramm den globalen Ausbau der Energieerzeugung aus Sonne, Wind, Biomasse und Wasser weit vorangebracht. Mit der Umsetzung dieses Aktionsprogramms werden zugleich bedeutende Klimagasminderungen erreicht. Wenn wir, wie im Aktionsprogramm vorgesehen, über diese Instrumente bis 2015  1 Milliarde Menschen Zugang zu moderner Energie verschaffen wollen, dann werden wir damit nicht nur einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, dass diese Menschen Armut überwinden, sondern wir werden auch jährlich bis zu 1,2 Milliarden Tonnen Treibhausgase weltweit einsparen. – Nur so viel zur Rolle der erneuerbaren Energien beim globalen Klimaschutz.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Auch bei der effizienteren und sparsameren Nutzung von Energie gibt es riesige Potenziale. Wir wollen mit Blick auf die erste Verpflichtungsperiode des KiotoProtokolls mit dem neuen Nationalen Klimaschutzprogramm sicherstellen, dass auch die privaten Haushalte, auch der Verkehr, auch das Kleingewerbe ihren Beitrag zur Reduzierung der CO2Emissionen leisten. Das ist, so quantifiziert in unserem Nationalen Allokationsplan, ein Beitrag von 9 Millionen Tonnen. Das haben wir zu erbringen.

   Es wird dabei darauf ankommen, weitere Minderungspotenziale zu erschließen. Ich finde es ermutigend, dass es in den letzten Jahren gelungen ist, die CO2Emissionen im PKWVerkehr kontinuierlich zu reduzieren. Diesen Trend müssen wir aufrechterhalten. Aber wir müssen auch im Güterverkehr zu einer Trendwende kommen. Ich erwarte, dass die LKWMaut, das heißt der Umstand, dass erstmals Umweltkosten in die Nutzung von Verkehrswegen und damit in die Kalkulation einfließen, hier einen weiteren Schub bringt.

   Im Gebäudebereich wollen wir die bewährten Instrumente – von der Energieeinsparverordnung bis zur gezielten Förderung der energetischen Altbausanierung – fortentwickeln. Gerade hier lassen sich erhebliche Minderungspotenziale kosteneffizient erschließen. Mit der verbindlichen Einführung des Energieausweises ab 2006 auch für Altbauten wird die energetische Qualität eines Gebäudes künftig ein wichtiges Entscheidungskriterium beim Verkauf und bei der Vermietung von Wohnungen und Gebäuden sein. Dieser Ausweis schafft so einen zusätzlichen Anreiz für Wärmeschutzmaßnahmen. Aufgrund der langen Lebensdauer von Gebäuden sind Investitionen in die Verbesserung der Wärmedämmung und der Heizungseffizienz besonders lange wirksam. Wir haben hier noch ein großes Potenzial.

   Wir setzen mit diesem Plan das um, was der Bundeskanzler einmal so formuliert hat:

Wer in der Klimadebatte glaubwürdig bleiben will, der muss der Welt zeigen, dass er tatsächlich große Anstrengungen unternimmt. Er muss zu Hause das umsetzen, was er auf der internationalen Bühne versprochen hat.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Die Anzeichen der von Menschen mit verursachten Klimaänderung werden immer stärker. Meldungen und Warnungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern häufen sich: zunehmende Stürme, Dürren und Überschwemmungen. Die Gletscher in den Alpen und das Polareis schmelzen ab, und zwar in einem Tempo, das Wissenschaftler noch vor zehn Jahren vielleicht für das Jahr 2020 oder 2025 prophezeit haben. Wir werden uns deshalb in Buenos Aires auf der Klimakonferenz vor allen Dingen mit den Folgen der Klimaänderung zu beschäftigen haben. Die Anpassung an den Klimawandel wird mit auf der Tagesordnung stehen.

Anpassungsmaßnahmen sind in Entwicklungsländern wie in Industriestaaten dringlich und unausweichlich. Die Entwicklungsländer sind von den Folgen des globalen Klimawandels am stärksten betroffen. Gleichzeitig fehlen ihnen die Mittel, um diese zu handhaben. Drei nach der Klimakonferenz in Bonn 2001 neu eingerichtete Fonds werden Mittel für Anpassungsmaßnahmen zur Verfügung stellen. Die EU-Mitgliedstaaten werden gemeinsam mit anderen Industrieländern ab dem Jahr 2005 jährlich insgesamt 410 Millionen US-Dollar für den Klimaschutz und für die Anpassung an den Klimawandel zur Verfügung stellen.

   Die Bundesregierung wird sich bei der Konferenz in Buenos Aires konstruktiv an der Diskussion gerade um die Auswirkungen des Klimawandels und die notwendigen Anpassungsmaßnahmen beteiligen. Die Beratungen müssen zusammen mit der Diskussion über die Weiterentwicklung des internationalen Klimaschutzes nach 2012 voranschreiten; denn ohne zukünftige Emissionsminderung und ohne eine Stabilisierung des Klimasystems wird Anpassung in vielen Fällen unbezahlbar oder gar unmöglich.

   Wenn wir über Klimaschutzpolitik reden, müssen wir auch über die Konsequenzen des Untätigbleibens reden. Die Kosten der Flutkatastrophe in Europa 2002 werden auf 16 Milliarden US-Dollar veranschlagt. Die Hitzewelle 2003 hat zum frühzeitigen Tod vieler, besonders älterer Menschen geführt und volkswirtschaftliche Kosten in Europa von 13,5 Milliarden US-Dollar verursacht. In Grenadas Hauptstadt Georgetown wurden in diesem Sommer 90 Prozent der Häuser durch einen der vier Wirbelstürme der diesjährigen Hurrikansaison zerstört. Allein in Florida summieren sich die unmittelbaren Schäden der Hurrikans in diesem Herbst auf mehr als 25 Milliarden US-Dollar. Solche Ereignisse werden sich häufen. Klimaschutz ist machbar. Ein Untätigbleiben können wir uns jedoch nicht leisten.

   Die nächsten Jahre werden entscheidend dafür sein, ob nicht mehr hinnehmbare Folgen des Klimawandels wirklich verhindert werden können. Unsere Leitlinie ist klar: Eine globale Erwärmung um mehr als zwei Grad gegenüber den vorindustriellen Werten muss verhindert werden. Kioto ist ein wichtiger, aber nur ein erster Schritt. Weitere ehrgeizige Schritte müssen folgen.

   Was sind die nächsten Schritte? Der Europäische Rat wird sich auf dem kommenden Frühjahrsgipfel mit Strategien und Zielvorgaben zur mittel- und langfristigen Emissionsminderung beschäftigen, die auch wirtschaftliche Aspekte berücksichtigen. Wissenschaftliche Abschätzungen zeigen, dass die Treibhausgasemissionen weltweit bis 2050 um etwa die Hälfte zurückgehen müssen. Da die Emissionen in Entwicklungsländern zunächst aber noch steigen werden, bedeutet das für die Industriestaaten eine Minderung um etwa 80 Prozent.

   Erste Notwendigkeit: Die Industrieländer müssen sich auf ehrgeizige Reduktionsziele verständigen. Dabei ist eine ausgewogene Verteilung der Klimaschutzanstrengungen auf die beteiligten Staaten erforderlich. In diesem Zusammenhang setzt sich die Bundesregierung dafür ein, dass sich die EU ein mittelfristiges Reduktionsziel von 30 Prozent bis 2020 setzt. Unter dieser Voraussetzung wird Deutschland seine Treibhausgasemissionen bis 2020 gegenüber dem Niveau von 1990 um 40 Prozent reduzieren. Wir müssen aber auch die USA wieder in den internationalen Klimaschutzprozess einbinden. Der größte Verursacher von Treibhausgasemissionen muss seiner Verantwortung endlich gerecht werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Zweitens. Auch Schwellen- und Entwicklungsländer mit hohen und rasch wachsenden Emissionen müssen erste wirksame Klimaschutzverpflichtungen übernehmen. Wir können es uns global nicht leisten, dass diese Länder – ich sage es einmal so – die gleichen Fehler begehen wie wir. Wir brauchen eine globale Energiewende. Ziel ist eine weltweit nachhaltige Energieversorgung durch den Ausbau erneuerbarer Energien und die massive Erhöhung der Energieeffizienz beim Einsatz fossiler Energieträger. Bei der Deckung des absehbaren zusätzlichen Energiebedarfs in Schwellen- und Entwicklungsländern wird der Nutzung erneuerbarer Energien eine Schlüsselrolle zukommen.

   Ich finde es ermutigend, dass sich China, das sein Bruttosozialprodukt bis 2020 vervierfachen will, gleichzeitig vorgenommen hat, bis 2010 10 Prozent seines Stroms regenerativ zu erzeugen. Das zeigt übrigens, dass hier ein Markt von durchaus großem Interesse auch für deutsche Firmen entsteht.

   Drittens. Wir brauchen Politiken und Maßnahmen für den bisher nicht erfassten grenzüberschreitenden Flug- und Schiffsverkehr. Internationale Wettbewerbsgesichtspunkte sind dabei zu berücksichtigen. Die Treibhausgasemissionen des internationalen Flug- und Schiffsverkehrs nehmen weiter zu und gefährden die Erfolge der Klimaschutzpolitik. Der UNEP-Chef Klaus Töpfer hat Recht – ich zitiere ihn –: Es ist ökologisch ein Unding, dass der Treibstoff so weit heruntersubventioniert wird, dass Flüge für 10, 20 oder 30 Euro zu haben sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Meine Damen und Herren, wir stehen an einem Wendepunkt. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal den Bundeskanzler zitieren:

Wer beim Klimaschutz bremst oder auch nur auf der Stelle tritt, wird in nur wenigen Jahren den Anschluss an die wichtigsten Märkte des nächsten Jahrhunderts verpassen.

   Bei aller Freude über das In-Kraft-Treten des Kioto-Protokolls – es bleibt kaum Zeit zum Feiern. Wir müssen weiter an der Bekämpfung des globalen Klimawandels arbeiten. Aktive Klimaschutzpolitik bietet eine Chance, Katastrophen abzuschwächen bzw. zu vermeiden. Aktive Klimaschutzpolitik bietet eine Chance für größere Unabhängigkeit vom Öl und damit für mehr Versorgungssicherheit im Energiebereich. Aktive Klimaschutzpolitik bietet auch und gerade eine Chance für nachhaltiges globales Wachstum und für mehr Beschäftigung. Vor allen Dingen stehen wir aber vor der Herausforderung, unserer Verantwortung gegenüber den nachfolgenden Generationen gerecht zu werden.

   Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Klaus Lippold, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sieben Jahre sind vergangen, seit die internationale Staatengemeinschaft das Kioto-Protokoll angenommen hat. In dieser Zeit – so müssen wir feststellen – haben sich die Trends, auf die wir damals beschwörend hingewiesen haben, ganz entscheidend verstärkt: Ich denke an die Abschmelzung der Polkappen sowie zunehmende Versteppung und Desertifikation, das heißt die Verwüstung von Böden. Darüber hinaus geht es aber auch um Fragen wie die Vernichtung der tropischen Regenwälder und um die möglichen Folgen eines Anstiegs des Meeresspiegels. Ich glaube, wir sind über den Punkt hinaus, dass man infrage stellen könnte, dass sich die Dinge katastrophal entwickeln werden, wenn wir nicht endlich handeln.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Das ist für uns deshalb von besonderer Bedeutung, weil die großen Schadensfolgen, die damit verbunden sind, noch von keinem richtig eingeschätzt werden. Ich glaube, die Schätzungen, die wir vorliegen haben, stellen eher die Untergrenze der auf uns zu kommenden Bedrohungen als die Obergrenze dar.

   Für uns in der CDU/CSU-Fraktion ist das Anlass, unserer eigenen Politik im Klimaschutz- und Umweltbereich eine ethische Fundierung zu geben. Wir meinen nämlich, aus umweltethischen Gründen ist es geboten, den nachfolgenden Generationen eine bewohnbare, die wachsende Bevölkerung menschenwürdig versorgende und deren Entwicklungschancen berücksichtigende Welt zu übergeben. Wir müssen darauf hinarbeiten, dass die Armutsgrenze zwischen Nord und Süd überwunden wird. Wir im Norden müssen unseren Verpflichtungen dem Süden gegenüber nachkommen. Notwendig ist auch, dass wir den Artenreichtum der Schöpfung bewahren. Gerade hier gibt es zurzeit ganz ernste Probleme.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

   Vor dem Hintergrund der Vision einer ungeteilten bewohnbaren Welt müssen wir bei aller Freude über das In-Kraft-Treten des Kioto-Protokolls auch sehen, dass dieses – da teilen wir Ihre Einschätzung, Herr Minister – nur einen ersten wichtigen Schritt darstellt.

Wissenschaftler warnen uns davor, Umwelt- und Klimaschutzpolitik nur als Symbolpolitik zu betreiben. Wir müssen weitere harte, konkrete Verpflichtungen nachfolgen lassen, um die Probleme zu lösen. Deshalb will ich, bei aller Notwendigkeit, in Buenos Aires über Anpassungsmaßnahmen zu sprechen, noch einmal darauf hinweisen, dass wir darüber hinaus an der Weiterentwicklung der Vorsorgepolitik zwingend arbeiten müssen; denn mit Anpassungsmaßnahmen allein werden wir die Probleme nicht lösen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da diese Anpassungsmaßnahmen zum Beispiel in den Inselstaaten des Pazifik überhaupt nicht möglich sind, müssen wir von vornherein auf andere Regelungen hinarbeiten.

   Ich freue mich darüber, dass Russland für die Ratifikation des Protokolls gewonnen werden konnte; das ist ein ganz entscheidender Schritt. Wir sollten nun gemeinsam mit der Russischen Föderation darüber nachdenken, wie wir auch bilateral in diesen Fragen Positionen weiterentwickeln können.

   Ich will damit aber auch die Aufforderung an die Bundesregierung verbinden, dass wir uns darum bemühen, auch die USA für diesen Prozess zu gewinnen. Es gibt erfreuliche Anzeichen im Kongress – ich denke an McCaine – und im Senat. Amerikanische Politiker überlegen jetzt offensichtlich, ob sie sich diesen Fragen nicht in anderer Form zuwenden sollten, als das früher der Fall war. Wir sollten mit diesen das Gespräch suchen und den Ansatz weiterentwickeln, um die USA für die Lösung unseres Problems zu gewinnen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir nicht handeln, werden jährlich allein 500 Millionen Tonnen CO2 zusätzlich ausgestoßen. Das überspielt die bisherigen Erfolge, die wir in der Bundesrepublik Deutschland zum Beispiel durch den Ausstieg ausFCKW, den Fluorkohlenwasserstoffen, erreicht haben. Das war ein guter und richtiger Schritt, aber es macht deutlich, dass unser Handeln allein nicht ausreichend ist. Wir müssen über Russland und die USA hinaus insbesondere die Schwellenländer in den weiteren Prozess einbeziehen. Dabei müssen wir als Industrieländer uns nach wie vor unserer besonderen Rolle in diesem Prozess bewusst sein.

   Herr Minister, Sie haben davon gesprochen, China wolle 10 Prozent seiner Energie regenerativ erzeugen. Das ist positiv. Aber bei der Explosion des Energieverbrauchs in China stellt sich natürlich die Frage: Was ist mit den verbleibenden 90 Prozent? Wie wird sich dies in Zukunft entwickeln? Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, werden alle Einsparmaßnahmen in den Industrieländern der westlichen Welt durch die Entwicklung in den Schwellenländern überspielt. Deshalb ist das für uns ein ganz zentraler Punkt, an dem wir ansetzen müssen. Ich glaube, das können wir nicht so laufen lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Gleichzeitig sollte Deutschland auf die EU einwirken, in Richtung der anderen Wirtschaftsblöcke – APEC, AFTA, NAFTA – eine vergleichbare Politik zu betreiben wie innerhalb der Europäischen Union. Wir müssen auch auf dieser Ebene Mitstreiter gewinnen, wenn wir erfolgreich sein wollen. Das heißt aber auch, dass wir beispielhaft sein müssen bei der Reduzierung von Emissionen über verschiedene Instrumente. Auf europäischer Ebene haben wir jetzt Emissions Trading, den Handel mit Emissionsrechten, eingeführt. Das ist ein guter Schritt. Wir müssten solche Vereinbarungen aber nicht nur auf der Ebene der EU, sondern weltweit haben. Erst dann wird das Instrument voll funktionsfähig.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   Ich bitte auch darum, Herr Minister, dass wir die Möglichkeiten, die über Clean Development Mechanism und Joint Implementation gegeben sind, in vollem Umfang und nicht begrenzt nutzen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Michael Kauch (FDP))

Es ist egal, wo Kohlendioxid emittiert wird; es kommt darauf an, dass diese Emissionen reduziert werden. Deshalb ist wichtig, hier keine Begrenzung vorzusehen. Reduktionsleistungen sollten dort erbracht werden, wo sie kostengünstig möglich sind.

   Sie haben in der letzten Diskussion zu dieser Frage noch einmal darauf hingewiesen, dass das bei der Selbstverpflichtung nicht der Fall sei. Herr Minister, die Selbstverpflichtung hatte ein anderes Ziel und in dieser Hinsicht waren wir in der Bundesrepublik erfolgreich. Die Selbstverpflichtung zielte darauf ab, dass wir für die Bundesrepublik Deutschland ein Ziel vorgeben, aber der Wirtschaft die kostengünstigste Möglichkeit belassen, dieses Ziel zu erreichen. Deshalb ist eine Selbstverpflichtung nach wie vor sinnvoll und nicht so zu qualifizieren, wie Sie es damals gemacht haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Ich gehe davon aus, dass wir heute, Herr Minister, so viel Übereinstimmung haben wie selten zuvor in einer Debatte in diesem Hause. Ich halte das nicht für falsch, weil ich glaube, dass unsere gemeinschaftlichen Anstrengungen weltweit – Sie haben auf die Klimaschutzkommissionen verwiesen – von Erfolg gekrönt waren.

   Aber, Herr Minister, das erspart uns natürlich nicht, auch einmal darauf hinzuweisen, dass das eine oder andere nicht geschehen ist und dass Sie sich klammheimlich von dem einen oder anderen verabschiedet haben. Sie schreiben in dem Antrag, den Sie heute als Koalition vorlegen, dass Deutschland seine nationale Reduktionspflicht – 21 Prozent der Emission von Treibhausgasen gegenüber dem Basisjahr 1990 – in dem vorgesehenen Zeitraum, der erst später liegt, erfülle. Sie sagen aber nicht, dass wir ursprünglich einmal von einer Verpflichtung von 25 Prozent Reduktion ausgegangen sind. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, der BUND, ruft das sehr deutlich in Erinnerung und sagt:

Deshalb wird das nationale Klimaschutzziel zur Verringerung der Kohlendioxid-Emissionen um 25 Prozent bis 2005 gegenüber 1990 mit großem Abstand verfehlt werden.

Herr Minister, Sie sollten sehen, was Sie verpasst haben, warum Sie es verpasst haben und wie wichtig es ist, etwas zu tun.

   Gerade der letzte Ansatz, Herr Minister, ist ganz entscheidend, damit wir über Ankündigungen hinauskommen. Sie haben zu Beginn dieses Jahres gesagt, Sie wollten ein überarbeitetes Klimaschutzprogramm vorlegen.

(Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Reden Sie doch mit Merz darüber oder mit Frau Merkel! Sie lehnen alles ab, was wir vorschlagen!)

Wir haben jetzt Ende des Jahres 2004 und ich sehe nicht, Herr Minister, dass dieses überarbeitete Klimaschutzprogramm vorläge. Ankündigungen genügen nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Die Frage, was wir 2020 und 2040 erreichen, ist sicherlich von Bedeutung. Aber wichtiger ist, dass wir die Nahziele erreichen und uns nicht mit Fernzielen über das Nichterreichen von Nahzielen hinwegtäuschen. Das kann es nicht sein; deshalb müssen wir da anders vorgehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Wir erwarten, dass Sie dies mit einem energiepolitischen Gesamtkonzept leisten, das Sie in dieses Klimaschutzprogramm einbauen. Wir gehen nach wie vor davon aus, dass wir einen vollständigen Energiemix brauchen, nicht einen eingeschränkten, wie Sie ihn vorsehen,

(Beifall der Abg. Gudrun Kopp (FDP))

weil Sie das Ziel auf diese Art und Weise nicht erreichen können. Ich bitte Sie auch, Herr Minister, sehr deutlich zu machen, dass wir auf internationaler Ebene noch stärker als bisher vorgehen müssen.

   Lassen Sie mich aber noch einen Punkt aufgreifen, den Sie angesprochen haben: Gebäudesanierung. Wir gehen nach wie vor davon aus, dass hier ein entscheidendes, großes Potenzial liegt. Aber wir bitten Sie, das wahr zu machen, was Sie in Ihr Koalitionspapier geschrieben haben, nämlich hier steuerliche Anreize zu verankern. Dieser Punkt fehlt. Damit könnte eine CO2-Minderung in einer Höhe erreicht werden, die wir mit den bisherigen Instrumenten nicht erreichen. Bitte reden Sie nicht nur darüber, sondern handeln Sie auch.

(Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das gilt für Sie besonders!)

Dann kommen wir weiter.

   Wir werden Sie auch unterstützen, wenn es darum geht, im Bereich der Reduktion der Emissionen im Verkehr, der autobezogenen Emissionen, weiterzukommen. Ich glaube, dass hier ein weiterer deutlicher und wichtiger Ansatzpunkt liegt.

   Wir müssen, Herr Minister, die internationale Umweltpolitik reformieren. Dem UNEP fehlen Mandat und Ressourcen. Die CSD kann die Richtung der globalen Umweltpolitik kaum beeinflussen. Die Sekretariate der Umweltkonventionen sind weltweit verstreut. Die Global Environmental Facility ist unterfinanziert. Hier gibt es genügend Ansatzpunkte, bei denen wir etwas tun müssen, etwas ändern müssen.

   Ich glaube, wir werden über alle Fraktionen hinweg mit unseren Wirtschaftspolitikern noch einmal über die Vereinbarkeit von Umweltschutz und WTO sprechen müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Das ist ein Ansatz, den ich für wichtig und richtig halte. So wie wir in der Union das Klimaschutzziel in der Gesamtzielsetzung unserer politischen Arbeit verankern wollen, müssen wir dieses Ziel auch gemeinschaftlich verknüpfen und die WTO-Regeln mit dem Umweltschutz in Einklang bringen.

   Vor diesem Hintergrund bin ich der Meinung, dass wir uns gemeinschaftlich darum bemühen sollten, unseren Beitrag zu einem schnelleren Erreichen des globalen Ziels zu leisten. Es ist wahrscheinlich die bedeutendste Herausforderung, die vor uns liegt. Wir sollten sie, wie gesagt, gemeinschaftlich angehen. Das hilft unseren Bürgern und den Menschen weltweit.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Ulrich Kelber, SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ulrich Kelber (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wird immer deutlicher: Der durch Menschen verursachte Klimawandel ist die größte globale Herausforderung unserer Zeit. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat es auf dem Weltnachhaltigkeitsgipfel 2002 in Johannesburg festgehalten:

Die weltweite Zunahme extremer Wetterereignisse zeigt eines ganz klar: Der Klimawandel ist keine skeptische Prognose mehr – er ist bittere Realität, weltweit, in allen Kontinenten ... Diese Herausforderung verlangt von uns entschiedenes Handeln.

Diese Ansicht wird von immer mehr politischen Führern geteilt. Ich nenne beispielsweise Tony Blair, dessen wissenschaftlicher Chefberater den Klimawandel für eine größere Bedrohung hält als den internationalen Terrorismus.

   Aber auch in den Unternehmen setzt sich diese Einsicht durch. In der letzten Sitzungswoche gab es eine Veranstaltung von BP Deutschland, auf der der Vorstandsvorsitzende Dr. Franke den Klimawandel ebenfalls als die „größte Herausforderung“ bezeichnet hat und die Politik aufgefordert hat, schnell Klimaschutzziele für den Zeitraum bis zum Jahr 2050 zu nennen, damit der Investitionsrahmen geklärt werden kann.

(Beifall bei der SPD)

   Angesichts der Größe dieser Herausforderung ist die Tatsache, dass das Kioto-Protokoll unwiderruflich am 16. Februar nächsten Jahres in Kraft tritt, gar nicht hoch genug einzuschätzen. Die Ratifizierung des Kioto-Protokolls durch Russland ist auch ein Erfolg europäischer und deutscher Diplomatie; denn der Druck der USA auf Russland, nicht zu ratifizieren, war enorm. Deswegen sage ich: Es ist auch ein persönlicher Erfolg des Bundeskanzlers, der dieses Thema immer wieder in Moskau angesprochen hat.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ich spreche übrigens ganz bewusst von der „Herausforderung Klimawandel“ und nicht von der „Bedrohung Klimawandel“. Natürlich sind die Gefahren durch den Klimawandel so dramatisch, dass sich sowohl Nichthandeln als auch zögerliches Handeln von selbst verbieten. Aber bloß Negativszenarien zu beschreiben löst in der Öffentlichkeit nichts anderes aus als Resignation. Deswegen müssen wir die großen Chancen, die die Klimaschutzpolitik mit sich bringt, betonen. Es sind gesellschaftliche und wirtschaftliche Chancen, für die es sich zu engagieren lohnt. Davon muss man die Menschen überzeugen.

(Beifall bei der SPD)

   Es sind neue, energieeffiziente Produkte, die der Klimaschutz hervorbringt und mit denen Deutschland auf dem Weltmarkt punkten kann. Es sind die eingesparten Kosten für die Energieträger, die in die Finanzierung von Dienstleistungen fließen und dort neue Arbeitsplätze schaffen können. Ich will es einmal so sagen: Ich finanziere doch lieber den Handwerker, der auf meinem Dach Wärmedämmungen anbringt, als fundamentalistische Strukturen in Saudi-Arabien über das Begleichen meiner Ölrechnung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Unruhe bei der CDU/CSU)

– Ich bin kein Außenpolitiker und darf das deswegen einmal deutlich aussprechen.

   Angesichts der Tatsache, dass in der verarbeitenden Industrie in Deutschland Löhne und Nebenkosten nur 21 Prozent, aber Material- und Energiekosten 56 Prozent der Gesamtkosten ausmachen, wird deutlich, dass der Klimaschutz ein sehr großes Kostensenkungspotenzial auch in der verarbeitenden Industrie hat. Das ist für den Standort Deutschland sehr wichtig. Klimaschutz kann dazu beitragen, dass die Kosten der Unternehmen, die von schwankenden Energiepreisen sehr betroffen sind, gesenkt werden können.

   Klimaschutz bietet aber auch gesellschaftliche Chancen. Es muss offen angesprochen werden: Unser weltweites System der Versorgung mit Rohstoffen und Energie funktioniert leidlich für 1 Milliarde Menschen und das auch nur für einen sehr eng begrenzten Zeitraum, nämlich in der Gegenwart. Es bietet dem Großteil der Menschheit aber keine Chance, Wohlstand zu erlangen, und nimmt den kommenden Generationen diese Chance für die Zukunft. Deswegen ist es richtig, aus jeder Tonne Öl, aus jeder Kilowattstunde Strom und aus jeder Schiffsladung Rohstoffe wesentlich mehr Wohlstand herauszuholen, um damit heute mehr Menschen und auch den kommenden Generationen zu ermöglichen, in Wohlstand leben zu können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn am 16. Februar das Kioto-Protokoll in Kraft tritt, dann sind die Klimaschutzziele bis 2010/2012 festgelegt. Aber wir müssen schon heute über das Kioto-Protokoll hinausdenken. Was kommt dann? Diese Debatte wird in Buenos Aires beginnen und nächstes Jahr innerhalb der Europäischen Union und der G 8 fortgeführt. Es geht darum – dies ist erwähnt worden –, den Anstieg der Durchschnittstemperatur auf der Erde auf maximal 2 Grad zu beschränken. Nur dann – so die Meinung der Wissenschaft – ist dieser Klimawandel einigermaßen zu bewältigen.

   Früher haben die Lobbyisten einfach geleugnet, dass es einen Klimawandel gibt. Heute sind sie etwas geschickter. Sie wollen uns weismachen, es sei viel besser und billiger, sich an die höheren Temperaturen anzupassen, als die Emissionen von Treibhausgasen drastisch zu senken.

   Man sollte sich einmal die entsprechenden Zahlen und Ereignisse anschauen. Das Deutsche Institut für Wirtschaft schätzt, dass selbst ein gemäßigter Klimawandel allein in Deutschland in den nächsten Jahrzehnten Kosten von fast 150 Milliarden Euro – es spricht noch von 137 Milliarden und mehr – verursachen wird. Das sind die Folgekosten vermehrter Wetterextreme, von Dürreschäden, Deichbauten und anderem mehr.

   Nicht enthalten sind in dieser Schätzung die zu erwartenden Opfer an Menschenleben. Gestern wurde eine Studie renommierter europäischer Wissenschaftler aus dem Bereich Wetter und Klima veröffentlicht, die besagt, dass der Extremsommer 2003 zu 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit bereits auf den menschlich verursachten Klimawandel zurückzuführen ist. Man hat einen statistischen Abgleich mit den Zahlen in anderen Sommern durchgeführt und ist zu dem Ergebnis gekommen: Es gab allein in Deutschland 7 000 zusätzliche Hitzetote, 35 000 in Europa. Das sind Größenordnungen, die wir uns vor Augen führen müssen.

   Was werden wohl die Angehörigen der Todesopfer der Stürme in Haiti und Japan davon halten, dass es eine Diskussion darüber gibt, ob man sich statt des Klimaschutzes einfach an den Klimawandel anpassen sollte? Seit Menschengedenken sind noch nie in so kurzer Zeit so starke Stürme in so kurzen Abständen über diese Regionen hereingebrochen.

   Reine Anpassung ist keine Lösung; wir brauchen eine deutliche Senkung der Emissionen. Wer etwas anderes vorschlägt, setzt seine eigenen kurzfristigen wirtschaftlichen Vorteile vor das Allgemeinwohl.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages hat festgestellt, dass in den Industriestaaten zur Begrenzung des Klimawandels eine Reduktion der Emissionen von Treibhausgasen um 80 Prozent bis 2050 notwendig ist. Diese Einschätzung wurde von den führenden Wissenschaftlern der Welt immer wieder bestätigt.

   SPD und Grüne haben sich vorgenommen, bis 2020 die Emissionen in Deutschland um 40 Prozent zu senken, wenn sich die EU zu einer Senkung um 30 Prozent verpflichtet. Außerdem – auch das können Sie dem heutigen Antrag entnehmen – wollen wir die Initiativen anderer europäischer Staaten, zum Beispiel die Schwedens und Großbritanniens, bis 2050 die Emissionen in der EU um 60 Prozent zu senken, aufgreifen und zu einer gemeinsamen europäischen Initiative weiterentwickeln.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Ich erinnere an das Zitat des Chefs von BP Deutschland: Die Wirtschaft will diese langfristigen Perspektiven. Sie will wissen, in welche Richtung sie investieren soll, weil sie Wirtschaftsgüter benötigt, die über 30 oder 40 Jahre abgeschrieben werden müssen.

   Wir wollen auch die Entwicklungs- und Schwellenländer in den Klimaschutz einbinden. Wir bekennen uns in unserem heutigen Antrag dazu, dass in dieser Frage auf lange Sicht weltweit nur ein für alle Menschen gleiches, einziges Recht existieren kann. Niemand kann sich auf Dauer das Recht herausnehmen, mehr Treibhausgase emittieren zu dürfen als Menschen in anderen Regionen dieser Welt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn die Industriestaaten dieses Bekenntnis abgeben, wird dies die Entwicklungs- und Schwellenländer dazu bewegen, ebenfalls Verpflichtungen im Rahmen des Klimaschutzes zu übernehmen.

   Wenn das die Entwicklungs- und Schwellenländer tun, hat das einen weiteren Vorteil; denn das Nichteinbinden der Entwicklungs- und Schwellenländer war immer ein von den Vereinigten Staaten vorgetragenes Argument dafür, sich nicht an den weltweiten Anstrengungen zum Klimaschutz zu beteiligen. Dieses Argument wäre weg. Wir sollten dann nicht in dem Druck nachlassen, darauf hinzuwirken, dass die USA entweder das Kioto-Protokoll oder spätestens die Nachfolgevereinbarungen ebenfalls ratifizieren und als weltweit größter Emittent ihrer Verantwortung an dieser Stelle nachkommen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Ich möchte dazu einen weiteren Vorschlag machen. Um den Druck weiter zu erhöhen, sollte die Europäische Union anbieten, dass einzelne Bundesstaaten der USA dem europäischen Emissionshandel beitreten können. Denn auf der Ebene der Bundesstaaten gibt es einen großen Widerspruch zur Klimaschutzpolitik von George Bush. Diese Kritik muss gestärkt werden, um an dieser Stelle zu einem anderen Ergebnis zu kommen.

Beruhigend ist in diesem Zusammenhang, dass es die US-Wirtschaft ist, die beginnt, den Druck auf den Präsidenten zu erhöhen. Denn sie befürchtet erstens, nicht mit wettbewerbsfähigen Produkten auf dem Weltmarkt auftreten zu können. Zweitens achten die weltweit agierenden Investmentfonds, die zur Refinanzierung der wirtschaftlichen Tätigkeit dienen, immer stärker darauf, ob eine Firma auf eine Welt mit mehr Klimaschutz vorbereitet ist. In dieser Hinsicht bekommen die amerikanischen Unternehmen immer schlechtere Noten und damit Probleme mit ihrer Refinanzierung. Von daher beginnt auch das Weltfinanzsystem, den Klimaschutz stückweise zu unterstützen.

   Die Enquete-Kommission des Bundestages hat nachgewiesen, dass Klimaschutz keine wirtschaftlichen Nachteile mit sich bringt. Im Gegenteil, mit dem Emissionshandel, der Förderung erneuerbarer Energien und auch dem fortzuschreibendem Klimaschutzprogramm haben wir effiziente Instrumente. Wir werden aber neue Instrumente entwickeln müssen. Ich schlage zum Beispiel vor, dass man von dem japanischen Beispiel lernt und ein deutsches und europäisches Top-Runner-Programm einführt. Das heißt, man identifiziert die wichtigsten Energie verbrauchenden Produkte – PCs, Klimaanlagen, Kühlschränke, Autos – und schreibt vor, dass jedes Produkt innerhalb kürzester Zeit den Energieeffizienzstandard des zu dem Zeitpunkt effizientesten Produkts erreichen muss. Es wird also etwa in 2004 gesagt: In 2010 darf kein PC mehr verkauft werden, der nicht wenigstens die Energieeffizienz des besten PCs des Jahres 2004 erreicht. Die Japaner werden dies tun und allein damit ihre CO2-Emissionen vermutlich um 16 Prozent in den nächsten 15 Jahren reduzieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Klimaschutz bietet also neue Produkte, neue Jobs, neue Möglichkeiten und mehr Nachhaltigkeit. Der Klimaschutz ist eine große Chance. Diese Chance müssen wir beherzt und konsequent ergreifen.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort der Kollegin Birgit Homburger, FDP-Fraktion.

Birgit Homburger (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte gibt uns Gelegenheit, noch einmal über die Situation des internationalen Klimaschutzes kurz vor dem Beginn der nächsten Klimakonferenz zu sprechen.

   Die FDP begrüßt, dass durch die Ratifizierung des Kioto-Protokolls durch Russland ein Durchbruch für den internationalen Klimaschutz erzielt wurde. Endlich kann nun das Kioto-Protokoll in Kraft treten.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Das ist auf der einen Seite ein Verdienst des Deutschen Bundestages, dessen Enquete-Kommission zum Schutz der Erdatmosphäre schon vor 14 Jahren für eine konsequente Klimaschutzpolitik votiert hat. Die Verhandlungen über das Kioto-Protokoll wurden allesamt in den 90er-Jahren begonnen und 1997 beendet, unter Regierungsbeteiligung der FDP. Herr Minister Trittin, da Sie hier heute Morgen ausgeführt haben, dass die Unterschrift Russlands auch ein Erfolg der jetzigen Regierung war, hätten Sie dazusagen sollen, dass das auch ein Erfolg der parlamentarischen Bemühungen war; denn hier haben sich vor allen Dingen die Parlamente – auch der Umweltausschuss des Deutschen Bundestages – eingeschaltet und Gespräche geführt. Deshalb ist das ein Gesamterfolg der Parlamente auf der Welt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Jetzt ist von entscheidender Bedeutung, dass der Kioto-Prozess in Gang gehalten wird und dass weitere Länder, insbesondere die USA, dazu bewogen werden, der Kioto-Gemeinschaft beizutreten. Es müssen rechtzeitig tragfähige Konzepte für das Kioto-Protokoll und seine Instrumente auch für die Zeit nach 2012 entwickelt werden. Ich kann Ihnen vonseiten der FDP weiterhin eine konstruktive Zusammenarbeit anbieten. Ich muss Ihnen aber sagen, Herr Minister Trittin, dass ich erwartet hätte, dass Sie hier heute Morgen etwas dazu sagen, wie Sie auf internationaler Ebene in den Klimaverhandlungen weiter verfahren wollen. Da Sie das nicht getan haben, wird die FDP-Bundestagsfraktion für die nächste Sitzung des Umweltausschusses einen Bericht anfordern, damit Sie uns Rede und Antwort stehen und uns sagen, wie Sie diesen internationalen Prozess befördern wollen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Scharfe Drohung!)

Sie haben ja so schön gesagt, Herr Trittin, dass Deutschland der Hauptarchitekt der internationalen Klimapolitik sei. Leider kann man nicht behaupten, dass dies unter Ihrer Ressortverantwortung zutrifft. Wenn ich mir anschaue, wie die Bedingungen in Europa zustande gekommen sind, dann muss ich feststellen, dass Deutschland dies nicht wirklich beeinflusst hat. Die Voraussetzungen zur Nutzung der flexiblen Instrumente des Kioto-Protokolls – Joint Implementation, CDM und Kohlenstoffsenken – sind in Deutschland nach wie vor nicht geschaffen. Die FDP hat hier in den letzten Jahren in insgesamt acht Anträgen konkrete Vorschläge unterbreitet. Wir haben Ihnen Vorschläge gemacht, wie wir Deutschland auf den Emissionshandel und die Absenkung von Emissionen vorbereiten können. All diese Anträge haben Sie mit den Stimmen von Rot-Grün abgelehnt.

(Beifall bei der FDP – Ulrich Kelber (SPD): Zu Recht!)

   Ich habe mit Verwunderung das große Lob, das Sie hier heute Morgen dem Emissionshandel erteilt haben, zur Kenntnis genommen. Ich kann mich noch gut erinnern, wie lange Sie sich dagegen gesträubt haben, den Emissionshandel in Deutschland einzuführen. Letztendlich wird der Emissionshandel in Deutschland durch den Zwang der EU zum 1. Januar nächsten Jahres eingeführt. Wenn es nach uns gegangen wäre, wäre dieses effiziente Instrument zur Erreichung von Klimaschutzzielen in Deutschland sehr viel früher eingeführt worden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Die FDP bekennt sich dazu, dass wir auch auf nationaler Ebene Anstrengungen unternehmen und verstärken müssen, um zu einem wirksamen und auch wirtschaftlichen Klimaschutz zu kommen. Dazu muss für Deutschland allerdings ein schlüssiges Gesamtkonzept unter Einbeziehung aller Instrumente und Sektoren erarbeitet werden. Im Augenblick gilt der Emissionshandel nur für die Industrie. Wir haben Sie aufgefordert, dieses Instrument auf die Bereiche Verkehr und Haushalte auszuweiten. Wir brauchen ein schlüssiges Gesamtkonzept. Das von Ihnen angekündigte überarbeitete Klimaschutzprogramm liegt immer noch nicht vor.

   Ihre Aussage, Sie wollten sich für eine Emissionsminderung innerhalb der EU um insgesamt 30 Prozent und – unter dieser Voraussetzung – in Deutschland um 40 Prozent einsetzen, ist, Herr Minister Trittin, ein hilfloser Versuch, zu überdecken, dass Sie für Deutschland kein klimapolitisches Gesamtkonzept haben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ulrich Kelber (SPD): Immer die gleichen Allgemeinplätze!)

   Wir brauchen Energieeinsparungen, wir brauchen Anstrengungen zur Steigerung der Energieeffizienz und wir brauchen Anstrengungen im Bereich der erneuerbaren Energien. Aber das, was bis jetzt vorliegt, ist Stückwerk. Wir brauchen in Deutschland ein Energiegesamtkonzept. Wir haben auch dazu einen Antrag vorgelegt.

   Herr Minister, Sie haben gesagt, dass die Abhängigkeit vom Öl verringert werden soll. Sie haben aber nicht gesagt, dass auch die Abhängigkeit vom Gas verringert werden soll. Sie haben im Zusammenhang mit dem Emissionshandel Anreize für eine verstärkte Nutzung von Gas gesetzt. Sie haben aber keinen Ton dazu gesagt, dass bereits in 20 Jahren die Gasvorräte überwiegend in Russland und Turkmenistan sein werden. Das sind nicht unbedingt die stabilen Regionen dieser Erde.

(Beifall bei der FDP)

Wenn Sie davon reden, dass wir die Abhängigkeit vom Öl verringern sollen, sollte das auch für andere Bereiche gelten.

   Hier stellt sich die Frage, Herr Trittin: Was sagen Sie eigentlich zu dem glorreichen Vorstoß des Kanzlers,

(Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was sagen Sie denn, was wir tun sollen?)

die Nutzung von Gas und Öl aus Russland in Deutschland zu stärken und eine Initiative zu ergreifen für ein deutsches Finanzkonsortium zur Beteiligung an dem lukrativen Gasgeschäft in Russland? Sehr verehrter Herr Minister Trittin, ich bin der Meinung, dass diese Bundesregierung hier einen großen Fehler macht. Sie erhöhen damit zum einen die Abhängigkeit von einer bestimmten Region. Zum anderen – das ist für uns ein ganz besonderer Punkt – ist die Firma Jukos in Russland enteignet worden; dem bisherigen Eigentümer wird ein rechtsstaatswidriger Prozess gemacht. Wenn dann die deutsche Bundesregierung dazu auffordert, das Kernstück dieses Konzerns zu kaufen bzw. sich daran zu beteiligen, ist das aus deutscher Sicht nicht nur klimapolitischer, sondern auch energiepolitischer Unsinn. Das ist vor allen Dingen auch unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Menschenrechte ein unmögliches Verhalten dieser Bundesregierung.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Sie verkennen, dass in wenigen Jahrzehnten mehr als die Hälfte aller Treibhausgasemissionen in Schwellen- und Entwicklungsländern auftreten werden. Mit flexiblen Instrumenten könnten wir hier eine kostengünstige Reduzierung der Emissionen erreichen. Gerade in diesen Ländern gibt es riesige Potenziale für die Senkung von Emissionen, und zwar sowohl ökologisch als auch ökonomisch, weil man dort die Emissionen zu deutlich niedrigen Kosten mindern kann. Da das Weltklima an Grenzen nicht Halt macht, sollten wir dieses Potenzial endlich nutzen. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Hier haben Sie versagt! Andere Länder in Europa haben aufgrund des Kioto-Protokolls bereits heute Vereinbarungen getroffen, damit diese flexiblen Instrumente zur Reduzierung von Klimagasemissionen genutzt werden können. Dazu gehören die Niederlande, Österreich, Dänemark und Norwegen. Ich könnte Ihnen auch noch andere Länder aufzählen. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: In Deutschland ist all das noch nicht gemacht worden. Es hätte aber gemacht werden müssen. Hier haben Sie schlicht und ergreifend versagt.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulrich Kelber (SPD): Immer die gleichen Reden, egal bei welchem Thema!)

   Deswegen ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Bundesregierung mit geeigneten Schwellen- und Entwicklungsländern baldmöglichst in Verhandlungen über zwischenstaatliche Übereinkommen zur gemeinsamen Durchführung von Klimaschutzprojekten tritt. Das ist die Voraussetzung dafür, dass deutsche und ausländische Unternehmen gemeinsam diese Emissionsminderungen auf rechtlich sicherem Boden durchführen können.

   Dabei geht es im Übrigen nicht darum, dass die Schwellen- und Entwicklungsländer, wie Sie es ausgedrückt haben, nicht dieselben Fehler machen wie wir, sondern darum, dass wir Technologietransfer gewährleisten, was mit den Instrumenten des Kioto-Protokolls auf hervorragende Weise möglich ist. Auf der einen Seite können wir in diesem Bereich Technologie- und Kapitaltransfer durchführen, auf der anderen Seite Entscheidendes für das Weltklima erreichen. Deswegen wollen wir, dass diese Instrumente endlich auch in Deutschland genutzt werden.

(Beifall des Abg. Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU))

   Wir fordern Sie auf, unverzüglich einen Gesetzentwurf zur Umsetzung der europäischen Richtlinie, der so genannten Linking Directive, vorzulegen, die am 13. November dieses Jahres in Kraft getreten ist. Darin wird festgelegt, dass genau diese Instrumente zur Reduzierung der Kosten beim Klimaschutz auch in Deutschland genutzt werden können. Sie haben jetzt ein Jahr Zeit, um diese Richtlinie umzusetzen. Ich hoffe, Sie werden dieses eine Jahr nicht brauchen. Sie wissen nämlich schon seit langem, dass diese Richtlinie umgesetzt werden muss. Daher fordern wir Sie auf, sofort einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Frau Kollegin, ich muss Sie bitten, zum Ende zu kommen.

Birgit Homburger (FDP):

Herr Präsident, Klimaschutz ist eine nationale und eine internationale Herausforderung. Wir werden sie nur gemeinsam meistern können. Die FDP wird sich weiterhin konstruktiv daran beteiligen. Herr Minister Trittin, machen Sie endlich Ihre Hausaufgaben! Wir feiern das In-Kraft-Treten des Klimaschutzprotokolls. Diese Bundesregierung allerdings kann man in keiner Weise feiern.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Reinhard Loske, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Michael Müller (Düsseldorf) (SPD))

Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich zu meinen Ausführungen komme, will ich kurz dem Kollegen Lippold und der Kollegin Homburger antworten. Herr Lippold, ich finde es gut, dass in diesem Hohen Hause in Sachen Klimaschutzpolitik offenbar nach wie vor ein breiter Konsens besteht. Auch finde ich es richtig, dass man sich, wenn man ein Ziel wie das 2005-Ziel verfehlt, darüber Gedanken macht, warum das geschehen ist, und dass man darüber Rechenschaft ablegt. Aber ich finde es unstimmig, wenn Sie einerseits beklagen, dass das 2005-Ziel nicht erreicht worden ist, andererseits aber jede Klimaschutzmaßnahme, die wir vorschlagen, ablehnen. Das passt vorne und hinten nicht zusammen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Nun zu Ihnen, Frau Homburger. Sie haben wieder das Hohelied der flexiblen Instrumente gesungen und von Clean Development Mechanism und Joint Implementation gesprochen. Für die Zuhörerinnen und Zuhörer sage ich: Das bedeutet im Wesentlichen, dass man Klimaschutz außerhalb der eigenen Landesgrenzen betreibt, weil es dort angeblich billiger ist.

(Zuruf von der FDP: Von wegen „angeblich“!)

Unser Ansatz ist ein anderer. Wir wollen, dass ökologische Innovationen und Strukturwandel hier geschehen, weil wir glauben, dadurch auf den Weltmärkten der Zukunft ganz vorne zu sein. Deswegen brauchen wir hier im Lande Strukturwandel und Innovationen. Bitte folgen Sie uns auf diesem Pfad! Das wäre vernünftig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Sie haben über unsere Abhängigkeit von Öl und Gas gesprochen – hier stimme ich Ihnen voll zu –, die zu groß ist. Beim Öl beträgt sie über 90 Prozent, beim Gas 75 Prozent. Diese Abhängigkeit wird noch stärker werden. Die Diversifizierungsstrategie, der zufolge wir unsere Energie aus verschiedenen Bezugsländern bekommen, ist zwar richtig, aber nur begrenzt möglich. Denn diese Ressourcen konzentrieren sich nun einmal in einer bestimmten Region der Welt; das ist so. Übrigens habe ich nichts gegen Turkmenistan. Bei Ihnen klang im Unterton immer mit: Ausgerechnet Turkmenistan! Meine Güte, die Gasressourcen sind nun einmal dort. Die beste Versicherung gegen eine allzu große Abhängigkeit von Öl und Gas – hier sollten wir uns einig sein – ist Energieeinsparung. Daran müssen wir arbeiten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Jetzt komme ich auf die Rahmenbedingungen der Klimapolitik zu sprechen. Es ist sehr wichtig, dass das Kioto-Protokoll am 16. Februar 2005 in Kraft tritt. Es ist eine gemeinsame Anstrengung von Bundesregierung und Bundestag gewesen, sich dafür einzusetzen; das war richtig. Denn auch in diesem Hause hat es Leute gegeben, die eine andere Tonlage angestimmt haben und für den Fall, dass das Kioto-Protokoll nicht in Kraft tritt, über einen Plan B nachdenken wollten. Manche haben gesagt, das wird sowieso nicht kommen, oder das stillschweigend gehofft. Man kann nur sagen: Es ist gut, dass wir in dieser Sache einen langen Atem gehabt haben. Man kann nur all denjenigen danken, die sich dafür eingesetzt haben. Denn ohne das In-Kraft-Treten des Kioto-Protokolls – darüber müssen wir uns im Klaren sein – wäre der Klimaschutzprozess erlahmt; das wäre ganz schlimm gewesen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zum nationalen Klimaschutzprogramm. Auch das ist eine Randbedingung, die wir sehr ernst nehmen müssen. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie uns sehr bald sagt, was sie zu tun gedenkt, um das Klimaschutzziel zu erreichen. Ich sehe ein ganz großes Hoffnungszeichen darin – Uli Kelber hat es bereits angesprochen –, dass die Briten sowohl die Präsidentschaft in der EU als auch die bei der G 8 übernehmen. Es ist ein Zeichen von strategischer Außenpolitik, wenn Blair jetzt sagt, dass er die G-8-Präsidentschaft vor allen Dingen nutzen will, um den Klimaschutz voranzubringen und das mit dem Thema Afrika, also der Nord-Süd-Gerechtigkeit, zu verknüpfen – das ist genau der richtige Ansatz –, und wenn er sagt, er will die EU-Ratspräsidentschaft dafür nutzen, dass wir uns Gedanken über die zweite Verpflichtungsperiode ab 2012 machen. Ferner meint er, dass der Luftverkehr endlich in das Klimaschutzregime einbezogen werden soll. Es kann doch nicht angehen, dass ein Bereich mit einer derartigen Dynamik systematisch ausgespart wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Das sind sehr positive Vorschläge und da mache ich mir eine Menge Hoffnung. Ich glaube, wir können es uns in der Tat nicht mehr leisten, den Luftverkehr aus dem Kioto-Regime und dem EU-Klimaschutzregime herauszulassen – er gehört hinein. Es wird einen Wettbewerb um die besten Instrumente geben, also ob es der Emissionshandel sein soll, wie die Briten meinen, oder eher fiskalische Elemente, die wir bevorzugen. Man wird sehen. Aber klar ist: Da muss etwas passieren. Ich betrachte das als positiven Wettbewerb zwischen Großbritannien und Deutschland um die Vorreiterrolle im europäischen Klimaschutz; das sehe ich mit einer gewissen Freude. Diese Art von Wettbewerb finde ich sehr gut. Wenn zwei so große Staaten wie Großbritannien und Deutschland das Thema auf der Agenda so weit nach oben setzen, dann kommt der internationale Klimaschutzprozess in Europa und in den Vereinten Nationen hoffentlich voran.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Zu den Rahmenbedingungen noch Folgendes: Wir hatten in den 70er-Jahren eine sehr starke Debatte über die Endlichkeit der Ressourcen. Die Sorge stand im Vordergrund, dass uns die Ressourcen ausgehen, vor allen Dingen Öl und Gas. In den 80ern und 90er-Jahren wurde mehr über Klimaschutz geredet, über die begrenzte Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre in Bezug auf Spurengase. Die Einsicht nahm zu, dass die Grenze dabei nicht so sehr am Boden liegt, sondern am Himmel: nämlich in der Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre. Ich glaube, die Synthese muss jetzt, im vor uns liegenden Jahrhundert, darin bestehen, dass wir beide Themen zusammendenken: die Ressourcenverfügbarkeit und die Klimafrage. Denn beides gehört zusammen. Wer die richtigen Antworten für den Klimaschutz und eine Strategie weg vom Öl findet, der wird die Nase vorn haben. Wir müssen das zusammendenken; das ist ganz zentral.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Uli Kelber hat gemeint, wir sollten nicht die negativen Dinge in den Vordergrund stellen. Ich will trotzdem, um noch einmal klar zu machen, wie wichtig es ist, dass wir jetzt handeln, ein paar Meldungen der letzten Wochen und Monate aufgreifen. Wenn wir abstrakt reden – die Klimaforschung sagt dieses und jenes; die Wetterextreme nehmen zu –,ist das zwar richtig, klingt aber auch irgendwie leblos. Deswegen werde ich ein paar konkrete Dinge nennen: Nach einer Studie der Weltgesundheitsorganisation sterben schon heute jährlich mehr als 150 000 Menschen an den Folgen des Klimawandels; eine sehr traurige Zahl, wie ich finde.

   Das Internationale Komitee für Arktiswissenschaften und der Arktis-Rat haben eine gemeinsame Studie vorgelegt, in der sie zu dem Schluss gekommen sind, dass die Arktis in besonderer Weise anfällig ist für die globale Erderwärmung. Die Wissenschaftler befürchten, dass die Eisbären in der Arktis aussterben werden; das halte ich für eine sehr traurige Nachricht, übrigens auch für meine Kinder, für viele Kinder.

   Die Universität Zürich hat eine Studie vorgelegt, nach der zwischen 1985 und 2000 die Gletscher in der Schweiz bereits 18 Prozent ihrer Fläche verloren haben; in den gesamten Alpen sind es 22 Prozent gewesen.

   Der Deutsche Wetterdienst hat vor wenigen Tagen erklärt: Nach Einschätzung der Klimaforscher könnten die Jahresdurchschnittstemperaturen in Deutschland bis zum Jahr 2100 von heute 8,3 Grad Celsius auf rund 11 Grad Celsius steigen. Die damit verbundenen nasseren Winter und trockeneren Sommer würden zu mehr Hochwasser im Winter und größerem Wassermangel im Sommer führen. Wir haben es also mit fundamentalen Veränderungen zu tun.

   Ich hatte eigentlich gehofft, Herr Brüderle wäre auch hier; für ihn habe ich eine besonders traurige Nachricht herausgesucht: Dietmar Rupp von der Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau in Baden-Württemberg warnt davor, dass infolge des Klimawandels die Eisweinlese in Deutschland völlig ausfallen könnte. Der Eiswein, ein hohes Kulturgut, wird also möglicherweise auch verschwinden. Das ist eine schlimme Nachricht, nicht nur für Herrn Brüderle, sondern für uns alle.

(Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schrecklich, schrecklich!)

   Im zweiten Teil meiner Ausführungen möchte ich etwas zu unserem Antrag sagen. Was sind die Kernelemente des Antrages? Zunächst einmal ist es für uns ganz wichtig, dass sich Deutschland das Ziel setzt, den Ausstoß seiner Klimagase bis 2020 um 40 Prozent zu reduzieren. Wir wollen, dass die Bundesregierung in der Klimaschutzstrategie Pfade dafür aufzeigt, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Das ist eine sehr zentrale Forderung von uns. Gleichzeitig wollen wir, dass sich die Bundesregierung in Brüssel dafür einsetzt, dass der Ausstoß bis 2020 EU-weit um 30 Prozent reduziert wird. Frau Homburger, Sie sprachen vorhin von einem Ablenkungsmanöver. Das ist völliger Blödsinn. Wir alle wissen, dass wir gemeinsam handeln müssen. Die EU der 25, also nach der Erweiterung um die neuen Beitrittsländer, bietet ganz andere Einsparmöglichkeiten als die alte EU der 15. Diese Potenziale müssen und wollen wir ausschöpfen.

   Zweiter wichtiger Punkt unseres Antrages. Wir müssen Vorreiterallianzen schmieden. Die Länder, die gemeinsam handeln wollen, sollen das auch tun. Man sollte nicht darauf warten, bis auch der Letzte noch auf den Zug aufspringt. In dem weiten Feld zwischen nationalen Alleingängen und vollständiger Harmonisierung gibt es sehr viele Handlungsmöglichkeiten. Gleichgesinnte können gemeinsam handeln. Wir benötigen im Klimaschutz Koalitionen der Willigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Den dritten Punkt, der in diesem Antrag für uns sehr wichtig ist, möchte ich als „gerechtigkeitsorientierten Klimaschutz“ bezeichnen. Mit dem Ansatz, der besagt, wer viel emittiert, der erhält auch viele Emissionsrechte, und wer wenig emittiert, der erhält auch nur wenige Emissionsrechte, werden wir die Entwicklungsländer niemals ins Boot der internationalen Klimapolitik holen können. Das wäre nicht nur unmoralisch, sondern auch unrealistisch. Es ist aber ganz zwingend, dass wir sie ins Boot holen. Deswegen schlagen wir in unserem Antrag den Ansatz vor, dass alle Erdenbürgerinnen und Erdenbürger langfristig die gleichen Pro-Kopf-Rechte haben; denn dieses Gerechtigkeitskriterium ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Entwicklungsländer hinzukommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Im Englischen wird es mit „contract and converge“ bezeichnet. Die Industrieländer müssen ihre Emissionen also senken und die Emissionen der Entwicklungsländer dürfen zwar noch moderat wachsen, aber es gibt eine Obergrenze, ein Cap, die nicht überschritten werden darf. Das zusammengenommen könnte dazu führen, dass die Blockade der internationalen Politik überwunden wird. Uli Kelber sprach es bereits an: Das war immer einer der Haupteinwände des US-Senats. Er hat nämlich gesagt, man brauche die Einbeziehung der Entwicklungsländer. Mit dem, was wir hier vorschlagen, beziehen wir die Entwicklungsländer mit ein, stellen aber gleichzeitig klar: Die Hauptverantwortung  das richtet sich an die USA  tragen natürlich die Industrieländer; denn sie haben das Problem verursacht. Deswegen müssen die USA wieder an Bord kommen. Das ist zwingend erforderlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   In dieser Angelegenheit sehe ich in den USA durchaus auch den einen oder anderen Hoffnungsschimmer. Es gibt die Initiative zum Emissionshandel der Senatoren McCain und Lieberman, die im Senat, ich glaube, über 40 Stimmen bekommen hat. Wir sehen, dass die amerikanische Öffentlichkeit die Ergebnisse der Arktis-Studie und anderer Studien mit Erschrecken zur Kenntnis nimmt und dass sich in vielen US-Bundesstaaten  New York State, Kalifornien und andere  in Sachen Klimaschutz durchaus eine ganze Menge tut. Das heißt, die USA sind kein verlorenes Land in Sachen Klimaschutz. Ich muss zwar leider sagen, dass von der Bundesebene im Moment wenig zu erwarten ist; die Ebene darunter ist aber durchaus agil. Bezogen auf die Bundesebene versprechen wir uns von den guten Beziehungen zwischen Blair und Bush bzw. zwischen Großbritannien und den USA eine gewisse Belebung des transatlantischen Klimadialogs.

   Zum Thema Joint Implementation und CDM, die hier bereits angesprochen wurden. Es ist klar, dass wir diese Instrumente nutzen wollen und dass wir es unserer Wirtschaft ermöglichen müssen, dass sie sie nutzt. Für uns ist aber auch klar, dass wir hohe Qualitätsstandards brauchen. Es muss sicher sein, dass es hier keinen Missbrauch gibt. Deswegen halte ich eine Orientierung an einem goldenen Standard, also an der besten verfügbaren Technologie, zumindest dort, wo öffentliche Mittel fließen, für das Allermindeste, was wir anstreben sollten.

   Grundsätzlich sind wir ohnehin der Meinung, dass man von dem Denken wegkommen muss, es sei alles nur eine Bürde, eine Last und ein Kostenfaktor. Wir müssen viel stärker die Chancen sehen und die Herausforderungen begreifen; denn es ist doch ganz offenkundig, dass der Klimaschutz der Innovationsmotor der Zukunft werden kann und muss.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

   Wir glauben, dass derjenige, der auf die Fragen Antworten hat, wie man Öl oder auch ganz allgemein fossile Energieträger am besten ersetzt und wie man das Klima am besten schützen kann, auch den größten wirtschaftlichen Erfolg haben wird, und zwar deshalb, weil er auf den Weltmärkten der Zukunft ganz vorne mitspielen wird. Wir wollen das und wir hoffen, dass das ein gemeinsames Anliegen des Hohen Hauses ist.

   Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Peter Paziorek, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn am 16. Februar des nächsten Jahres erstmals völkerrechtlich verbindlich ein Klimaschutzsystem in Kraft tritt, das verbindliche Verpflichtungen zur Treibhausgasreduzierung vorgibt, dann ist das ein Meilenstein für den internationalen Klimaschutz. Gerade wir als Umweltpolitiker müssen klar und deutlich sagen: Das ist wahrhaft ein historischer Schritt. Wir als Union freuen uns, dass wir seit 1990 auch international in den verschiedenen Positionen daran mitgewirkt haben, einen solchen Erfolg im Februar nächsten Jahres zu ermöglichen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Weil das aus unserer Sicht ein Meilenstein ist, lieber Kollege Reinhard Loske, möchte ich Sie persönlich ansprechen, da Sie zu Beginn völlig zu Recht konstatiert haben, dass bis jetzt aufgrund der vorliegenden Anträge und Redebeiträge glücklicherweise festzustellen ist: In den Grundsätzen der Klimaschutzpolitik gibt es in diesem Haus einen großen Konsens. In dem Fall hätten wir uns als Union gewünscht, dass wir dazu einen gemeinsamen Antrag formuliert hätten. Bis 1998 verhielt es sich so: Wenn wir – ich war mehrfach dabei – auf internationale Konferenzen mussten, haben wir zuvor als Mehrheitsfraktion immer das Gespräch mit der Opposition gesucht, um beim Klimaschutz die gemeinsame Basis herauszustellen. Wir wollten so deutlich machen, dass das Parlament in Grundsätzen der internationalen Klimaschutzpolitik hinter der Regierung steht. Das haben wir bis 1998 als Mehrheitsfraktion angeboten. Das wissen Sie, Herr Müller, und auch Sie, Frau Mehl. Wir sind oft persönlich auf Sie zugegangen.

   Deshalb lautet heute unsere kritische Frage: Warum haben Sie das nicht gemacht, sondern wollen eigene Anträge durchsetzen? Es wäre besser gewesen, wir hätten den Konsens in gemeinsamen Anträgen betont. Es wäre besser gewesen, Sie wären auf uns zugegangen. Damit wäre dokumentiert gewesen, dass wir dieses Ziel weltweit gemeinsam erreichen wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Ulrich Kelber (SPD): Dann hätten Sie beim Emissionshandel etwas mehr Bereitschaft zeigen müssen!)

– Herr Kelber, das ist jetzt nur noch Nachkarten. Wenn Sie hier dazwischenrufen: „Dann hätten Sie uns beim Emissionshandel ein bisschen mehr entgegenkommen müssen“,

(Ulrich Kelber (SPD): Nein, beim Klimaschutz!)

frage ich Sie: Haben Sie denn immer noch nicht verstanden, dass es darum geht, einerseits Grundsätze herauszustellen, um deutlich zu machen, was wir wollen, andererseits um den richtigen Weg zu ringen? Das ist die Aufgabe des Parlaments. Karten Sie doch nicht mit solchen Zwischenrufen nach!

(Beifall bei der CDU/CSU – Georg Girisch (CDU/CSU): Der weiß es doch nicht, der Kelber!)

   Heute, wenige Tage vor einer wichtigen Klimavertragsstaatenkonferenz in Buenos Aires, wäre es sicher interessant gewesen, Antworten auf einige zentrale Fragen zu geben, die Position unseres Landes auf dieser Konferenz zu erläutern und – das geht darüber hinaus – aufzuzeigen, was nach 2012 geschehen soll. Es hätte heute konkret eine Antwort auf die zentralen Fragen der Klimaschutzpolitik gegeben werden müssen, nämlich wie weit der globale Klimaschutz gehen soll, darf und muss. Es geht also um die Frage: Was passiert nach 2012?

   Ich muss deutlich sagen: Es reicht nicht, was Sie an Zielvorstellungen genannt haben, zum Beispiel dass dann, wenn die EU eine Reduktion von 30 Prozent erreichen will, bei uns 40 Prozent angestrebt werden sollen. Wie dieser Klimaprozess nach 2012 völkerrechtlich weltweit flankiert werden soll, haben Sie im Detail nicht gesagt. Sie haben das bekannte Ziel auf europäischer Ebene dargelegt. Sie haben aber nicht erklärt, welche Konzeption Sie nach 2012 wirklich anstreben. Es wäre doch wenige Tage vor der Konferenz in Buenos Aires interessant gewesen, hier im Deutschen Bundestag über solche konkreten Fragen zu diskutieren. Damit hätten Sie deutlich machen können, in welche Richtung es gehen soll, ob man dafür noch Verbündete gewinnen muss und ob daran eventuell Fraktionen aus diesem Hause mitwirken müssen, weil das die Regierung nicht allein machen kann. – Diese konkreten Punkte haben heute in der Berichterstattung der Regierung leider gefehlt.

(Beifall bei der CDU/CSU – Ulrich Kelber (SPD): Dann machen Sie es doch!)

– Es kann nicht die Aufgabe der Regierung sein, zu erklären: Wir als Regierung machen das nicht – das haben Sie gerade gesagt –, sondern das ist Aufgabe der Opposition. – In dem Fall können Sie auch gleich abdanken und darauf verzichten, Politik zu machen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Ulrich Kelber (SPD): Ich kann nicht abdanken, weil ich kein Regierungsamt habe!)

Es gibt leider in den letzten Tagen eine Diskussion in Deutschland über die Frage: Wie viel Klimaschutz können wir uns in Deutschland vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Entwicklung noch leisten? Zeigen Sie jetzt mit dem Finger bitte nicht auf Wirtschaftsorganisationen. Sie selbst haben zum Beispiel die Stellungnahme des neuen Vorstandsvorsitzenden von BP zitiert. Es gibt Stellungnahmen von noch vielen anderen. Man hat manchmal das Gefühl, als ob einige Wirtschaftsleute viel weiter sind, als das in der Politik wahrgenommen wird. Ich will darauf abzielen, dass es in der Regierung höchstwahrscheinlich keine einheitliche Position gibt; denn wenn ich die Stellungnahme von Herrn Clement im Wirtschaftsbericht lese, nämlich dass sich die Wirtschaftspolitiker gegen überzogene Standards der Umweltpolitiker wehren müssten, und wenn ich heute feststelle, dass der Umweltminister sehr stark in seinen Reden betont, dass Deutschland bei den erneuerbaren Energien Weltmeister ist und man in dem Bereich tatsächlich Gutes erreicht hat, wir aber gleichzeitig nirgendwo ein belastbares Energiekonzept finden, das Wirtschaftspolitik und Umweltpolitik zusammenführt, dann kann ich nur sagen: Dieses Konzept gibt es in dieser Regierung höchstwahrscheinlich nicht, weil es einen Dissens zwischen denen, die Wirtschaftspolitik machen, und denen, die Umweltpolitik machen, also zwischen dem Umweltminister und dem Wirtschaftsminister, gibt. Sie haben keine Linie und das müssen wir Ihnen vorwerfen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse:

Kollege Paziorek, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hustedt?

Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU):

Gerne.

(Georg Girisch (CDU/CSU): Das kam aber sehr spontan!)

Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Paziorek, Sie haben sich mit Ihrem Kollegen Seehofer im Fraktionsvorstand sehr heftig dafür eingesetzt, dass die CDU/CSU-Fraktion hier im Bundestag dem EEG zustimmt. Stimmt es, dass Herr Merz und Frau Merkel das verhindert haben? Kann man daraus schließen, dass in Ihrer Fraktion in dieser Frage diametral entgegengesetzte Positionen vertreten werden?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU):

Frau Hustedt, ich kann Ihnen klar und deutlich antworten: Frau Merkel und Herr Merz haben nichts verhindert.

(Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben es nur nicht ermöglicht!)

Das, was Sie hier in der Öffentlichkeit wiedergeben, ist völlig falsch. Richtig ist, dass sich viele Umweltpolitiker, auch ich, in der Bundestagsfraktion dafür eingesetzt haben, dass die erneuerbaren Energien eine realistische Perspektive bekommen. Für uns sind erneuerbare Energien mehr als nur Windenergie. Das will ich deutlich sagen. Da gibt es andere Ansatzpunkte.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Birgit Homburger (FDP) – Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Das wollen doch alle!)

Aber der Ansatz, der dann in der Fraktion gefunden worden ist, ist richtig. Wir alle sagen gemeinsam: Wir wollen in 2007/08 prüfen, wie wir den Emissionshandel und die Förderung der erneuerbaren Energien eventuell rechtlich miteinander verbinden können. Das war der Kompromiss im Fraktionsvorstand. Das war kein Votum gegen die erneuerbaren Energien. Das war ein Votum dafür, dass wir zu einem geeigneten Zeitpunkt eine Zwischenbilanz ziehen, um die Fördermechanismen eventuell besser aufeinander abzustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   An diesem Bereich wird deutlich, wie sehr im Detail um die einzelnen Schritte, zum Beispiel die Verbindung des Emissionshandels mit der Förderung erneuerbarer Energien, gerungen werden muss, ohne dass man das große Ziel aus den Augen verlieren darf. Die Zusammenfassung von Umweltpolitik, Klimaschutzpolitik und Wirtschaftspolitik erfordert eine kluge Politik. Deshalb möchte ich für unsere Fraktion die Akzente in vier Punkten etwas anders setzen, als es der Minister in seiner Regierungserklärung getan hat.

   Erstens. Eine Klimaschutzpolitik, die nicht durch ein Energiekonzept flankiert wird, wird auf Dauer scheitern. Wir können nicht einerseits Klimaschutzpolitik betreiben, andererseits in der Energiepolitik gegenläufige Ziele anstreben. Das ist der große Vorwurf, den wir Ihnen machen müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es gibt keine Rahmendaten und keine Vereinbarung darüber, wie der Kraftwerkpark in Deutschland nach 2010 erneuert werden soll. Wenn wir die Verbesserung der Wirkungsgrade erreichen, dann haben wir Hervorragendes geleistet. Wir werden eine Summe von 40 Milliarden Euro in die deutsche Wirtschaft pumpen. Das bedeutet Arbeitsplätze und das bedeutet Technologiefortschritt. Deshalb sagen wir: Beides gehört zusammen. Legen Sie bitte solch ein Konzept vor! Erst dann wird eine Klimaschutzpolitik auch im nationalen Rahmen glaubwürdig.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zweitens. Es kann nicht sein, dass wir auf europäischer Ebene Vereinbarungen treffen und Zielvorstellungen über die Verringerung des CO2-Ausstoßes entwickeln, dann aber nicht mehr nachprüfen, ob die anderen Staaten in Europa tatsächlich diese Ziele erreichen. Es kann nicht sein, dass große Ziele auf europäischer Ebene nur verkündet werden und dann keiner prüft, ob die Reduktion des CO2-Ausstoßes in anderen Staaten tatsächlich realisiert wird. Dass nur wir in Deutschland auf diesem Weg erfolgreich sind, die anderen Staaten die Reduktion aber nur versprechen und in Wirklichkeit den CO2-Ausstoß beispielsweise um 9 Prozent erhöhen – ich will die Staaten nicht nennen –, darf auf europäischer Ebene nicht toleriert werden. Deshalb fordern wir von der Regierung klare Worte gegenüber einem solchen falschen Geleitzug auf europäischer Ebene.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Drittens. Es reicht nicht, Ankündigungen zu machen; wir müssen vielmehr darauf achten, wie die Haushaltspolitik tatsächlich gestaltet wird. Wir haben bei den Haushaltsplanberatungen in den letzten Sitzungen des Umweltausschusses erfahren, dass es Haushaltsansätze zur Förderung der erneuerbaren Energien im Ausland gibt, dass aber die dafür zur Verfügung stehenden Mittel nicht abgerufen werden.

   In einer Diskussion in diesem Hause ist darauf hingewiesen worden, dass ausreichend Mittel für die Gebäudesanierung vorhanden sind. Später war festzustellen, dass die Mittel bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau nicht in dem Maße abgerufen worden sind, wie es die Haushaltsansätze ermöglichen. Erlauben Sie mir deshalb ein kritisches Wort gegenüber Ankündigungen wie denen, die Sie heute Morgen gemacht haben, Herr Minister.

   Wir brauchen eine Bilanz, aus der hervorgeht, inwieweit die Mittel, die Sie im Haushalt veranschlagt haben, auch tatsächlich abgerufen und die entsprechenden Vorhaben realisiert werden. Denn das ist die Schwachstelle Ihrer Regierung: Es reicht nicht, Vorhaben anzukündigen; vielmehr muss klar und deutlich gesagt werden, inwiefern wir konkret mithelfen können, dass all das, was versprochen wird, auch realisiert wird. An dieser Stelle gibt es bei Ihnen Defizite.

   Deshalb halten wir auch die Anregungen und Forderungen der FDP für richtig und unterstützen sie. Wir müssen uns im Umweltausschuss damit befassen, welche die konkreten Ziele der internationalen Klimaschutzpolitik sind und was für die Zeit nach 2012 vorgesehen ist. Wir müssen uns auch mit der Frage beschäftigen, wie es sich mit den Ankündigungen und der anschließenden Realisierung verhält. Es geht nicht an, hier immer wieder ein großes Wolkengebäude aufzubauen, hinter dem sich die Tatsache verbirgt, dass die Realisierung nicht sehr positiv verläuft. Das werden wir als Union nicht mehr tolerieren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Viertens. Lieber Kollege Reinhard Loske, ich kann nicht verstehen, dass Sie Ihr grundsätzliches Bekenntnis, es sei richtig, die flexiblen Instrumente stärker zu nutzen, einschränken, indem Sie sagen, das sei nur dann möglich, wenn der beste technische und ökologische Standard in den Schwellen- und Entwicklungsländern realisiert wird. Wenn in China der Wirkungskreis eines Kohlekraftwerks von 19 Prozent auf beispielsweise 40 Prozent hochgesetzt wird, dann wird damit zwar nicht der beste Wirkungsgrad von 45 Prozent erreicht, aber weltweit bedeutet dies doch einen gewaltigen Fortschritt. Deshalb sind wir sehr enttäuscht darüber, dass auch von Ihnen, Herr Kelber, immer wieder darauf hingewiesen wird,

(Ulrich Kelber (SPD): Nein!)

dass die Anrechnung und die flexiblen Instrumente ein Ausweichen von deutscher Seite bedeuteten. Das stimmt aber nicht. Wir müssen die Chancen nutzen. Von Ihnen müssen wir konkret wissen, wie Sie die EU-Richtlinie umsetzen wollen, die innerhalb eines Jahres umgesetzt werden muss.

   Dass entsprechende Maßnahmen in Entwicklungs- und Schwellenländern auch mit deutschen Mitteln finanziert werden können, wäre ein Fortschritt und damit könnten wir den Klimaschutz auf internationaler Ebene weiterbringen. Hören Sie auf zu blockieren und von vornherein die Einführung des bestmöglichen Standards zu fordern! Denn damit machen Sie eine gute Idee kaputt und das wäre ein Rückschritt für den internationalen Klimaschutz.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Jörg van Essen (FDP))

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile Kollegen Hermann Scheer, SPD-Fraktion, das Wort.

Dr. Hermann Scheer (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle wissen – das ist auch in der heutigen Debatte wieder zum Ausdruck gekommen –, dass das Kioto-Protokoll eine schwere Geburt war. Die Verhandlungen dauerten nahezu zehn Jahre und das Ergebnis ist, gemessen an dem tatsächlichen Problem, minimal.

   Wir wissen zwar, dass wir wegen der großen Zahl der Beteiligten auf internationaler Ebene häufig mit Minimalergebnissen leben müssen; denn diese sind besser als gar kein Ergebnis. Wir wissen aber auch, dass nach den Vorstellungen des Intergovernmental Panel on Climate Change – es hält eine Minderung der Treibhausgasemissionen um 60 Prozent bis 2050 für notwendig – ein Klimaschutz, der eine Reduktion um 5 Prozent bis zum Jahr 2012 nur bei den beteiligten Industrieländern vorsieht, nicht das Maß aller Dinge sein kann.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Wenn man die Gründe für die bestehenden Widerstände kennt, dann ist es sicherlich nicht sehr realistisch, bezogen auf alle Länder der Erde davon auszugehen, dass das angestrebte Ziel bis zum Jahr 2050 auch nur annähernd erreicht werden kann, wenn nicht die Voraussetzung erfüllt ist, dass wir über Kioto – das ist auch von Uli Kelber und Reinhard Loske angesprochen worden – bzw. über die Prämissen der bisherigen Verhandlungen und der versuchten Entscheidungsfindung sowie über die bisher praktizierten Methoden hinausdenken.

Nicht alles, was notwendig ist, lässt sich international aushandeln. Es gibt nämlich in der gesamten internationalen Diskussion – das ist für meine Begriffe eines der Hauptprobleme – einen unüberbrückbaren politikmethodischen Widerspruch zwischen der Notwendigkeit, Maßnahmen und Initiativen zu beschleunigen und auszubauen, und dem Willen, alles im weltweiten Konsens zu erreichen. Beides zugleich geht nicht. Die Schlussfolgerung, die daraus gezogen werden muss, ist, dass man neben den Versuchen, zumindest Minimalkonsense international zu erreichen, verstärkt auf andere und insbesondere eigene Initiativen setzen muss.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist deshalb so wichtig, weil die Darstellung von Klimaschutzmaßnahmen im Kioto-Protokoll als Last – das ist schon in psychologischer Hinsicht nicht vorteilhaft – im Grunde genommen die Vorbedingung dafür war, dass anschließend um die Lastenverteilung gefeilscht wurde, und die Hinweise, dass dies ein riesiger Vorteil ist, ständig unter den Tisch fallen und nicht mehr ein wesentliches Element der Entscheidungsfindung bei solchen Verhandlungen sind.

   Das Kioto-Protokoll setzt ein Minimalziel und seine Umsetzung bereitet natürlich Probleme. Aber wir müssen weiter denken; denn die Clean Development Mechanism haben unter anderem den Effekt, dass dieses Minimalziel zum Maximalziel wird. Schließlich werden ökonomische Anreize nur für das Erreichen des Minimalziels gegeben. Deswegen müssen wir – das sollten wir schon in unserem jetzigen Handeln berücksichtigen – auf der einen Seite das Kioto-Protokoll umsetzen und auf der anderen Seite weitere Initiativen vorantreiben. Das ist die zwingende Schlussfolgerung, die sich aus dem geschilderten objektiven Problem ergibt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang sind – darüber muss auch auf internationaler Ebene reflektiert werden – die Kalkulationsmethoden einer optimalen Kostenallokation für klimaschützende Maßnahmen; denn diese würden in letzter Konsequenz bedeuten, dass jedwede Umweltinvestition in Deutschland unverantwortlich wäre, weil mit dem gleichen Geld etwa im Senegal oder in Thailand mehr CO2-Emissionsreduktion als bei uns erreichbar wäre. Diese gewissermaßen konzeptionell angelegte Konsequenz kann aber niemand verantwortlich ziehen. Im Kioto-Protokoll sind in dieser Hinsicht zwar gewisse Bremsen eingebaut worden. Aber diese gedankliche Prämisse begegnet uns ständig in wirtschaftswissenschaftlichen Gutachten. Manche gehen sogar so weit und sagen: Aus diesen Gründen sollte man etwa das Erneuerbare-Energien-Gesetz abschaffen. – Eine geradezu absurde Konsequenz, die daraus gezogen wird!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Bei den beschriebenen Kalkulationsmethoden, die zunehmend auch Gutachten von bestimmten Umweltinstituten prägen, fallen – neben dem Klimaschutz – automatisch andere harte ökonomische Fakten und ethische Motive flach, die eigentlich zu neuen Initiativen führen müssen. Die Gesundheitsschäden des herkömmlichen Energiesystems lassen sich mit CO2-Minderungkalkulationen nicht erfassen, ebenso nicht die Sicherheitsvorteile, die sich aus einer „Weg vom Öl“-Strategie und der damit einhergehenden Minderung der militärischen Sicherheitskosten ergeben, die sicherlich auch bei uns weiter steigen werden. Im Moment gehen diese Kosten in den USA und in Großbritannien nicht zuletzt zulasten des Klimaschutzes und ökologischer Investitionen.

Ein weiteres Problem ist der unglaublich hohe Wasserverbrauch von herkömmlichen Kraftwerken. Die Einsparung von Wasser durch den Wechsel zu Systemen, die mit erneuerbaren Energien arbeiten, lässt sich ebenfalls nicht mit CO2Minderungskalkulationen erfassen.

   Schon gar nicht lässt sich das Problem der Entwicklungsländer damit lösen. Viele dieser Länder müssen schon heute mehr für den Import von Erdöl zahlen, als sie durch den Export überhaupt erwirtschaften. Die Konsequenz ist, dass diese Länder, volkswirtschaftlich gesehen, eindeutige Vorteile haben, wenn sie von Ölimporten zur Produktion heimischer Energieträger, insbesondere eigener Bio-Treibstoffe – darauf ist ihre Infrastruktur besonders angewiesen –, wechseln.

   Das alles sind Belege dafür, dass wir zusätzlich zur Fortsetzung von Klimaschutzverhandlungen und ihrer Optimierung weitere Initiativen brauchen. Dazu gehören Appelle und das Insistieren auf der Ethik der individuellen Verantwortung; denn das, was man selbst aus ethischen Gründen, in eigener Verantwortung und mit eigenem Spielraum – so er gegeben ist – macht, lässt sich mit keinem Modell verrechnen, wie immer es aussieht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Aus diesem Grunde nenne ich ein paar Hinweise, wo Ansatzpunkte liegen könnten.

   Ein Ansatzpunkt zur Eindämmung des Energieverbrauchs im Flugverkehr könnte die WTO sein. Die Steuerbefreiung der Flug- und Schiffstreibstoffe ist ein klarer Fall der Diskriminierung der Verkehrsträger des Landverkehrs; denn die Treibstoffe dieser Verkehrsträger sind besteuert.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Insofern hätte sich die WTO schon längst damit beschäftigen müssen. Sie hätte für eine Beseitigung dieser Diskriminierung eintreten können, und zwar nicht mit dem Ziel, die Treibstoffe des Landverkehrs von der Steuer zu befreien, sondern mit dem Ziel, auch die Treibstoffe des Schiffs- und des Flugverkehrs zu besteuern.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

   Ein anderer Ansatzpunkt ist der Energiehandel. Die WTO hätte schon längst im Energiehandel tätig werden müssen. Wenn sie es nicht von sich aus tut, dann muss man versuchen, sie dazu zu bringen. Wir haben es heute mit der absurden Situation zu tun, dass der Handel mit fossilen Energien quasi zollfrei ist, dass aber der Handel mit Energieeffizienztechniken und mit Solarenergietechniken teilweise mit Zöllen von bis zu 80 Prozent belegt ist. Wenn wir vorankommen wollten, müsste es eigentlich genau umgekehrt sein. Das läge im Interesse aller Länder, nicht zuletzt der Dritten Welt und sogar der eigenen Exportwirtschaft.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

   Schließlich sollten wir zwingend die Initiative ergreifen – wir sollten nicht warten, wie sich das internationale System, das in dieser Frage bisher versagt hat, dazu verhält –, die Förderung erneuerbarer Energien auf internationaler Ebene zu institutionalisieren. Die Regierungsfraktionen haben einen entsprechenden Beschluss gefasst. Auch der Koalitionsvertrag enthält dieses Ziel. Auf dem internationalen Parlamentarierforum in Bonn am 2. Juni parallel zur Konferenz „Renewables 2004“ ist der Antrag, eine internationale Agentur für erneuerbare Energien einzurichten, einstimmig, also auch mit den Stimmen der Kollegen aller Fraktionen aus diesem Hause, verabschiedet worden.

   Man kann dies nicht davon abhängig machen, ob das UNSystem und die anderen UNOrganisationen damit einverstanden sind. Sie sind damit nicht einverstanden. Wenn sie nämlich damit einverstanden wären, dann müssten sie zugeben, dass sie in dieser Frage das Notwendige bisher nicht zustande gebracht haben oder zustande bringen durften, weil ihre Statuten es ihnen untersagen.

   Aus diesem Grunde kann man nicht einfach nur auf die Internationale Energie-Agentur verweisen. Sie hat gerade einen Zuwachs der Nutzung fossiler Energieträger um 80 Prozent bis zum Jahr 2050 als unabweisbar notwendig dargestellt. Es gibt Organisationen, die wie die IEA für fossile Energien oder wie die Internationale Atomenergiebehörde für die Mobilisierung und den Technologietransfer der Atomenergie da sind. Es gibt auf der institutionellen Ebene nichts Vergleichbares zur internationalen Mobilisierung erneuerbarer Energien. Deswegen dringen wir darauf, nun die notwendigen Schritte zur Umsetzung einzuleiten. Wir müssen hier initiativ werden; denn wir haben diese Idee entwickelt. Daher sollten wir hier voranschreiten und andere mitziehen, auch wenn sie im Moment noch zögerlich sind. Wenn sie nicht heute mitmachen, dann machen sie eben morgen mit.

   Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Franz Obermeier, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Franz Obermeier (CDU/CSU):

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Es ist in der Tat so, dass in der Klimaschutzpolitik über die Zielsetzung offenbar fraktionsübergreifend Konsens besteht.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Wohl wahr!)

Insofern war die Regierungserklärung des Bundesumweltministers auch wenig angreifbar. Sie enthielt wenige Einzelheiten und war sehr allgemein gehalten.

   Ich möchte auf die Aussagen meines Vorredners zurückkommen. Zur Besteuerung von Kerosin im Flugverkehr beispielsweise haben wir in allen Fraktionen eindeutige Festlegungen. Die Frage ist nur: Warum sind wir bei diesem Einzelthema in den zurückliegenden Jahren – immerhin haben wir seit sechs Jahren einen grünen Umweltminister – keinen Schritt vorangekommen? Ist das Untätigkeit oder Unvermögen?

   Der Bundesumweltminister hat eine Rede gehalten, ohne irgendwo einmal eine Quelle für seine Zahlen anzugeben. Ich möchte mich auf Zahlen der Internationalen Energie-Agentur beziehen. Wenn man diese Zahlen verinnerlicht, dann erkennt man, dass das Bild in der internationalen Klimapolitik nicht ganz so rosig ist, wie es heute gemalt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Nehmen wir beispielsweise die Prognosen für den Zeitraum von 1990 bis 2010: In diesem Zeitraum werden alle Industrie- und Transformationsländer bei den CO2-Emissionen statt eines Minus von 5,2 Prozent ein Plus von 9 Prozent erreichen. In der Europäischen Union wollten wir eigentlich um 8 Prozent reduzieren. Nach diesen Prognosen, die auch von anderen Instituten gestützt werden, erreichen wir in Europa aber allenfalls eine schwarze Null. Sehen wir nach Russland: In Russland haben wir eine CO2-Reduzierung um ein Drittel zu verzeichnen. Die Russen sind Gott sei Dank dem Kioto-Protokoll beigetreten. Nach der Ratifizierung setzt der Handel für 1,5 Milliarden Tonnen CO2 ein. Wo bleibt der positive Klimaeffekt? In den Entwicklungsländern werden die CO2-Emissionen um 98,6 Prozent steigen.

(Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bis wann?)

Dies bedeutet, dass wir in dem genannten Zeitraum weltweit insgesamt mit einer Steigerung auf 29,4 Milliarden Tonnen zu rechnen haben. Es gibt namhafte Wissenschaftler, national und international, die aufgrund dieser Zahlen davon reden, dass das Kioto-Protokoll gescheitert ist. In der CDU/CSU-Fraktion gehen wir nicht so weit. Aber wir müssen diese Problematik sehr wohl konstatieren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Jetzt komme ich auf die nationale Politik zurück. Wo bleibt der Ansatz der Bundesregierung dafür, innerhalb der nächsten sechs Jahre eine weltweite Klimapolitik zu forcieren? Zu Zeiten unserer Regierung, 1993, hat man in der COP schon eindeutige Zielsetzungen beschlossen: „Verabschiedung und Durchführung von Programmen und Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimaveränderung“ oder „Entwicklung und Transfer von Techniken zur Reduktion von Klimagasen“. Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, das beschränkte sich bei Ihnen ausschließlich auf Windenergie und erneuerbare Energien, was nicht ganz verkehrt ist, aber bei weitem nicht ausreicht. Sie haben die Forschung und Entwicklung bei den fossilen Energieträgern fast zum Erliegen gebracht.

   Wenn Sie nun den Blick nach China oder Indien richten, um zu sehen, wie dort der Energiehunger gestillt wird, dann erkennen Sie: Es rächt sich ganz bitter, dass wir in Deutschland als führende Nation bei der Forschung und Nutzung fossiler Energieträger nahezu ausfallen.

Die Technikfeindlichkeit von Rot-Grün treibt hier ganz besondere Blüten.

(Widerspruch bei der SPD – Lothar Mark (SPD): Das sind Platitüden!)

Man beschränkt sich ausschließlich auf das, was – –

(Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Haben Sie einmal etwas von Emissionshandel gehört, den Sie abgelehnt haben?)

– Der Emissionshandel, Frau Kollegin, hat nichts mit Technik und Technologien zu tun. Nur am Rande bemerkt: Vor dem Hintergrund dessen, was auf internationaler Ebene und insbesondere in den genannten Ländern in Sachen Kernenergie in den nächsten Jahren alles passiert, ist es ganz bitter, dass wir uns auch aus diesem Bereich, wenn es nach Ihnen geht, verabschieden sollen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf von der SPD: Technologie ist bei Ihnen nur Atom!)

– Ich rede allen Energieträgern das Wort, weil der weltweite Energiehunger in den nächsten Jahren und Jahrzehnten so groß sein wird, dass wir sämtliche Register zur Erzeugung von Energie – das geht von Treibstoffgewinnung bis hin zu Stromerzeugung – ziehen müssen.

(Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Toll!)

   Herr Dr. Scheer, wir stimmen darin überein, dass wir unsere Konzepte den Entwicklungs- und Schwellenländern nicht überstülpen können. Eines muss aber klar sein: Das, was wir können – das beginnt bei erneuerbaren Energien und geht bis zur Kernenergie –, müssen wir im Sinne eines effektiven Klimaschutzes Staaten auf der ganzen Welt günstig anbieten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Im Übrigen wird das im Moment auch auf den Klimarahmenkonferenzen so diskutiert. Das können Sie überall nachlesen.

   Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland muss sich öffnen und wieder zur Entwicklung der bestmöglichen Techniken zurückkehren, um sie in Deutschland und in den Ländern, die in den nächsten Jahren eine gewaltige Entwicklung nehmen werden, einsetzen zu können. Ich habe den Eindruck, dass wir international gesehen eine einäugige Politik betreiben, weil wir uns nicht trauen, Ländern wie China einsatzfähige effiziente Techniken auf der Basis fossiler Energieträger anzubieten.

   Zum Schluss lassen Sie mich festhalten: Vorbeugender Klimaschutz muss sinnvoll sein. Im Saldo dürfen wir nur teilweise auf teure Techniken zum Klimaschutz setzen. Wir müssen auch immer volkswirtschaftliche Aspekte im Auge haben.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegin Michaele Hustedt, Bündnis 90/Die Grünen.

Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Verehrter Präsident! Meine Damen und Herren! Das Jahr 2005 wird ein sehr bedeutsames Jahr für den Klimaschutz werden: Das Kioto-Protokoll tritt in Kraft und es beginnt die Debatte über ein Kioto-plus-Abkommen; der Emissionshandel in Deutschland und in Europa beginnt; Deutschland wird ein neues Klimaschutzprogramm auflegen und Großbritannien hat angekündigt – das wurde schon gesagt –, während seiner EU- und G-8-Präsidentschaft den Klimaschutz zu einem Schwerpunktthema zu machen.

   Großbritannien hat sich im Übrigen ohne kleinliches Schielen auf die EU das ganz klare Ziel gesetzt, bis zum Jahre 2050 die CO2-Emissionen im eigenen Land um 60 Prozent zu reduzieren. Ich finde, es ist an der Zeit, dass auch wir in Deutschland uns das nächste Ziel vornehmen: Das wäre eine Reduktion der CO2-Emissionen um 40 Prozent bis zum Jahre 2020.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

   Angesichts der aktuellen Fakten, die uns im Augenblick geballt erreichen, sind wir uns, Herr Obermeier, Herr Lippold und Herr Paziorek, anscheinend in der sehr traurigen Analyse einig, dass der Treibhauseffekt schon längst zur Wirklichkeit geworden ist und es auch schon für unsere Generation und nicht erst für zukünftige weit reichende Folgen für die Ökologie haben wird, wenn wir nicht sehr schnell und sehr entschieden handeln. Ansonsten könnte ein Umsteuern noch viel teurer werden. Eines möchte ich dabei schon anmerken: Was nützen die Sonntagsreden der Umweltpolitiker von der CDU/CSU, bei denen im Gegensatz zu den Politikern der FDP Hopfen und Malz nicht ganz verloren sind, wenn sie sich nicht gegen Merz und Merkel durchsetzen

(Franz Obermeier (CDU/CSU): Wieso? Brauchen wir doch gar nicht!)

und dafür sorgen, dass tatsächlich auch aktive Maßnahmen für den Klimaschutz auf den Tisch gelegt werden?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Das ist doch nur ein parteipolitischer Popanz!)

Überzeugen Sie Ihre Fraktionsspitze, dass sie nicht immer gegen die erneuerbaren Energien zu Felde zieht, und helfen Sie uns bei unseren Bemühungen, für Akzeptanz in der Gesellschaft zu sorgen, Akzeptanz auch dafür, dass es etwas kostet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Wir haben der Photovoltaik zugestimmt!)

Unterstützen Sie uns in der Strategie „Power vom Bauer“, in der es um nachwachsende, durch den Landwirt produzierte Rohstoffe für Treibstoffe, für die chemische Industrie und für Wärme und Strom geht.

(Franz Obermeier (CDU/CSU): Das ist doch nicht neu!)

– Das ist für uns nicht neu, aber in Ihrer Fraktion setzen Sie sich nicht durch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Für Biomasse waren wir permanent! Auch Biomasse ist unser Ziel!)

Begleiten Sie konstruktiv den CO2-Emissionshandel! Durch diesen Prozess werden Innovationen angestoßen, damit in der neuen Investitionsperiode für neue Kraftwerke auf moderne und neueste Technologien gesetzt wird.

   Abschließend möchte ich noch etwas zum Bereich Wärme sagen, einem Thema, das mir für den Rest der Legislaturperiode sehr am Herzen liegt. In den anderen Bereichen haben wir schon sehr viele Maßnahmen beschlossen, aber Sie haben alle Initiativen – das wurde schon gesagt – abgelehnt.

(Franz Obermeier (CDU/CSU): Nein!)

35 Prozent des Primärenergieverbrauchs entfallen auf das Heizen.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Ja!)

Das bedeutet, wir haben ein gigantisches Einsparpotenzial von jährlich 114 000 Terawattstunden. 25 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr könnten hier eingespart werden. Wir könnten damit einen sehr großen Beitrag für den Klimaschutz leisten. Die Erhöhung der Öl- und Gaspreise belastet auch die Menschen, die in diesem Jahr häufig schon 10 oder 20 Euro pro Monat mehr für Heizkosten ausgeben müssen.

   18 Milliarden Euro Investitionen wären in diesem Bereich nötig. Damit könnten Hunderttausende von Arbeitsplätzen geschaffen werden, die nicht exportiert werden können. Es geht dabei um Arbeitsplätze bei Handwerkern, in der notleidenden Bauindustrie oder in der Dämmstoffindustrie, bei kleinen und mittelständischen Unternehmen. Eine Offensive weg vom Öl brächte uns in eine umweltfreundliche Win-Win-Situation.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

   Bei zwei Dritteln aller Häuser, die zurzeit modernisiert werden, werden nur Schönheitsreparaturen durchgeführt. Obwohl an diesen Häusern wegen dieser Arbeiten sowieso ein Gerüst steht, findet keine Modernisierung im Hinblick auf energetische Aspekte statt. Das ist ein Skandal und eine Herausforderung, der wir uns stellen sollten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Franz Obermeier (CDU/CSU): Daran leidet aber das Erdklima nicht!)

   Auch im Gebäudebereich haben wir mehr gemacht, als Sie je auf den Weg gebracht haben. Unser CO2-Gebäudesanierungsprogramm ist weltweit einmalig und hat tatsächlich zu 100 000 Sanierungen geführt. Aber es ist zu wenig.

(Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU): Warum habt ihr denn nicht mehr getan? Das ist doch eine Sonntagsrede!)

Ich möchte auch Sie mitnehmen und hoffe, dass wir gemeinsam in nächster Zeit Initiativen vorschlagen.

(Franz Obermeier (CDU/CSU): Dann macht halt etwas!)

Dazu gehören die ambitionierte und bedarfsgerechte Umsetzung der Idee des Gebäudepasses und eine Aufstockung des CO2-Gebäudesanierungsprogramms ebenso wie ein Wärmegesetz zur Förderung der erneuerbaren Energien und ein Vorrang für die Biogaseinspeisung beim Energiewirtschaftsgesetz, das zurzeit in der Beratung ist. Ich bin gespannt, ob Sie diese Vorschläge, die wir in nächster Zeit auf den Weg bringen wollen, ablehnen werden.

(Franz Obermeier (CDU/CSU): Wenn sie etwas taugen, nicht!)

Dann sind Sie allerdings genauso unglaubwürdig wie bisher. Sie werden nur glaubwürdig, wenn Sie bereit sind, auch in diesem Bereich Schritte voran zu gehen.

   Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Kurt-Dieter Grill, CDU/CSU-Fraktion.

Kurt-Dieter Grill (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrte Frau Hustedt, die „Sonntagsreden“ – ganz abgesehen davon, ob man den Sonntag für diesen Begriff missbrauchen sollte – gebe ich gerne zurück. Ich bin davon ausgegangen, dass wir heute eine wahrhaftige Debatte führen, und habe deshalb nicht alle Unterlagen mitgebracht.

   Sie haben in Ihrer Rede insbesondere den Gebäudebereich und den Wärmebereich sehr stark aufgeblasen und die Situation so dargestellt, als hinge alles davon ab, ob wir als Opposition mitmachen. Sie haben versucht, davon abzulenken, dass der Nachhaltigkeitsrat Ihnen bescheinigt hat, dass Sie bei der Energieeinsparung am wenigsten getan haben. Da sind wir aber mitten im Gebäudebereich und dazu kann ich nur sagen:

Sie haben ein Problem geschildert, aber verschwiegen, dass Sie in den letzten sechs Jahren genau für dieses Problem keine Lösung erarbeitet haben. Das ist Ihre Bilanz.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Mich regt in dieser Debatte am meisten auf, dass Sie die Probleme zwar an vielen Stellen richtig beschreiben – auch überhöht –, dass aber das, was Sie an Lösungen anzubieten haben, in einem krassen Widerspruch zu der Beschreibung der Probleme steht. Ich mache das einmal an der Rede von Herrn Scheer deutlich: Abgesehen von der Frage, ob das Steuerkonzept richtig ist, steht die Beschreibung, die Herr Scheer hier abgegeben hat, in einem krassen Widerspruch zu dem, was diese Bundesregierung, dieser Bundeskanzler auf internationalen Konferenzen vorgetragen hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Die Kollegin Homburger hat auf Russland hingewiesen. Wir haben gestern in einer Debatte über die Ukraine gemeinsam demonstriert, worum es uns geht. Aber wenn Sie Russland hier als Erfolgsbeispiel darstellen – wir werden uns mit Russland noch sehr nachhaltig beschäftigen müssen –, dann sage ich Ihnen als Sozialdemokraten: Fragen Sie einmal – ich will das hier jetzt nicht vortragen, weil mir daran liegt, dass wir über die Frage noch einmal intern reden; im Übrigen haben Sie sich an dieser Stelle so verhalten, dass Sie mit uns keinen gemeinsamen Antrag formuliert haben; zu Amerika würden Sie jeden Tag mit uns gemeinsam einen Antrag erarbeiten – den Kollegen Erler, was er aus Moskau in Bezug auf das Kioto-Abkommen mitgebracht hat. Ich rate Ihnen dringend dazu. Angesichts dessen haben wir alle keine Veranlassung, zu feiern, dass irgendjemand ratifiziert hat. Es stellt sich die Frage: Nutzen die Russen das Kioto-Protokoll als Instrument für die ökonomische und ökologische Erneuerung Russlands? Dahinter mache ich – nach den Gesprächen, die ich in dieser Woche geführt habe – immer noch ein Fragezeichen.

   Im Zusammenhang mit der fossilen Energie sage ich Ihnen zwei Dinge:

   Erstens. Schauen Sie sich einmal die Energieforschungspolitik an. Dann werden Sie zu der Erkenntnis gelangen, dass es – angesichts der Tatsache, dass die Kohle in den nächsten 400 Jahren eine bedeutende Rolle in der Weltenergieversorgung spielen wird, was auch immer Sie hier vortragen – in der Forschung zu fossilen Energieträgern ein schweres Versäumnis gibt.

   Zweitens. Ich kann Ihnen drei, vier Reden des Bundeskanzlers beibringen, in denen er sich über die Zukunft der Energieversorgung in Deutschland und in Europa auslässt und die Solarenergie sozusagen nach ganz hinten schiebt. Er spricht sich dafür aus, dass die Kernkraftwerke in Deutschland durch Steinkohle- und Braunkohlekraftwerke ersetzt werden. Das sind die Reden des Bundeskanzlers, Ihres Regierungschefs. Sie haben nichts dazu gesagt, auch heute hier nicht, wie eine konsistente Politik denn aussehen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

   Das sagt Ihnen im Übrigen auch der Nachhaltigkeitsrat: kein Konzept, zu wenig Forschung und zu wenig Energieeinsparung. Das ist die Kritik des Nachhaltigkeitsrates unter Vorsitz von Volker Hauff.

   Ein Weiteres. Ich bin mit Herrn Loske durchaus einverstanden, wenn er sagt, dass wir das zusammen bedenken müssen. Ich bin sehr dafür, auch unter dem Gesichtspunkt der europäischen Politik. Peter Paziorek hat zu Recht darauf hingewiesen, dass wir, wenn wir glaubwürdig bleiben wollen, auch als Europäer, uns angesichts dessen, was jetzt an Bilanz vorliegt, nicht als Musterknabe im globalen Maßstab aufspielen dürfen und dass wir alle, auch unsere europäischen Nachbarn und nicht nur Amerika, Veranlassung haben, uns um Fortschritte zu bemühen.

   Wenn wir ein Scheitern der Lissabon-Strategie, der Wachstumsstrategie, konstatieren müssen, dann stellt sich doch die Frage: Was tun wir, um die ökonomisch effizientesten Felder der Klimapolitik zu identifizieren und als Erste in Angriff zu nehmen,

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Ja! Das ist ein richtiger Ansatz!)

damit wir ökonomische und ökologische Effizienz in Europa zusammenbringen und die Lissabon-Strategie als Wachstumsstrategie und als Nachhaltigkeitsstrategie vorantreiben können?

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Sehr gut!)

Daran zu arbeiten bedeutet mehr als die Reden, die Sie heute hier gehalten haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Ich kann in den sechs Minuten meiner Redezeit nicht alle Punkte anführen. Ich will zum Schluss aber noch eines sagen: Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, Sie haben in Ihren Reden viele Punkte angesprochen. Herr Kelber, Sie haben aus der Rede des Kanzlers, die er auf dem Gipfel in Johannesburg gehalten hat, zitiert.

(Ulrich Kelber (SPD): Ja!)

In Johannesburg wurde beschlossen – dazu hat der Kanzler beigetragen –, 645 Millionen Dollar für die Lösung der Weltenergieprobleme bereitzustellen. Auf dem Gipfel in Bonn wurde dann ein bisschen nachgebessert. Ich rate Ihnen dringend, sich einmal den Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung anzuschauen: Der Etat ist nicht größer als vorher.

   Die G-8-Staaten haben 2001 in Buenos Aires auf der Weltnenergiekonferenz ein Konzept hinsichtlich erneuerbarer Energien – das habe ich hier schon einmal vorgetragen – für 1 Milliarde Menschen präsentiert. Kapitalbedarf: 500 Milliarden Dollar in 20 Jahren.Wenn man sich dann aber ansieht, was bisher umgesetzt wurde, dann muss man sagen, dass Ihre Reden Schall und Rauch sind.

(Lothar Mark (SPD): Das stimmt nicht!)

Denn das zentrale Problem der Kapitalbeschaffung – dieses Kapital ist notwendig, damit die Beschlüsse der G 8 umgesetzt werden können – ist nicht gelöst.

   Ich denke, wir müssen zur Wahrhaftigkeit und zu einer konsistenten Politik zurückkehren.

   Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Lothar Mark (SPD): Sie!)

Präsident Wolfgang Thierse:

Ich erteile das Wort Kollegen Michael Müller, SPD-Fraktion.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

Michael Müller (Düsseldorf) (SPD):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Grill, es ist ein Widerspruch, einerseits von Wahrhaftigkeit zu reden, aber andererseits Einzelpunkte aus dem Zusammenhang zu reißen und daraus eine willkürliche Strategie zu entwickeln. Das passt nicht zusammen.

(Beifall bei der SPD)

   Ich finde es, ehrlich gesagt, intellektuell unredlich, wenn man bei einem so großen Problem der Menschheit wie dem der Klimaänderung vordergründig parteitaktisch operiert.

(Lothar Mark (SPD): Und er hat gesagt, er kehrt zur Wahrhaftigkeit zurück!)

Das hilft uns nicht weiter. Wir hatten in diesem Haus bezüglich dieser zentralen Zukunftsfrage immer einen breiten Konsens. Man kann ihn auch durch Nickeligkeiten zerstören. Dagegen wehre ich mich.

   Um was geht es? Es geht um den zentralen Punkt, dass die Menschheit dabei ist, in der Stratosphäre die Fenster zu schließen. Wir verändern damit ihre Chemie und Dynamik sowie die Wärmebilanz und den Energiehaushalt. Dies hat nicht nur zur Folge, dass es auf der Erde immer wärmer wird, sondern auch, dass sich die Lebensbedingungen auf der Erde in einer immer größeren Geschwindigkeit grevierend verändern.

   Es ist kein – im engeren Sinne – ökologisches Thema. Es ist vielmehr die zentrale Frage, wie die Zukunft unserer Zivilisation gesichert werden kann. Es ist weit mehr als ein Fachthema. Es ist eine Herausforderung an die gesamte Menschheit. Denn es geht um die Frage, ob die industrielle Zivilisation eine Zukunft hat oder nicht. Darauf kann man nicht mit Klein-Klein antworten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Aus meiner Sicht gibt es bei der Klimafrage folgende entscheidenden Punkte:

   Erster Punkt. Wir erleben, dass sich beim Thema Klimaveränderung und nachholende Industrialisierung unsere Diskussion auf die großen Debatten der letzten 30 Jahre, sozusagen wie in einem Brennglas, fokussiert. Unsere Welt ist im Kern auf die Industrieländer ausgerichtet. Dort lebt aber nur ein Viertel der Menschheit. Diese Strukturen müssen nun auf die restlichen 5 Milliarden bis 6 Milliarden Menschen erweitert werden. Die bisherigen Strukturen sind aber nicht übertragbar. Wir müssen also begreifen – das ist eine unglaublich große Herausforderung –, dass wir eine Welt geschaffen haben, die aus wenigen reichen und sehr vielen armen Ländern besteht. Aufgrund der Industrialisierung werden die armen Länder jetzt reicher. Daraus folgt, dass wir mit der Natur nicht mehr so umgehen dürften, wie wir es bisher getan haben.

   Der zweite Punkt. Es besteht nach wie vor ein hohes Bevölkerungswachstum in Höhe von 75 Millionen Menschen pro Jahr. Es ist zwar nicht die entscheidende Ursache unseres Problems, aber dadurch wird die Problematik zugespitzt. Nach wie vor verbrauchen die Industrieländer, die ein niedriges Bevölkerungswachstum haben, überdurchschnittlich viele Ressourcen.

   Der dritte Punkt. Wir erleben zum ersten Mal, dass wir hinsichtlich der Natur an Grenzen stoßen. Seit etwa 500 Jahren ist der Fortschrittsgedanke der Menschheit auf ein Immer-Mehr, Immer-Schneller und Immer-Höher ausgerichtet. Auf einmal müssen wir feststellen, dass es Grenzen gibt, die wir nicht überspringen dürfen.

Dieses sind entscheidende Punkte. Es stellt sich daher die Frage, wie unser Denken und Handeln verändern können. Lassen Sie mich ein paar Punkte nennen, die mich in diesem Zusammenhang sehr bewegen:

   Erstens. Ich muss feststellen, dass, betrachtet man die großen Umweltgefahren, wie zum Beispiel die Belastung des Wasserrücklaufs und der Atmosphäre oder die Zerstörung der Artenvielfalt, mehr als die Hälfte der heute feststellbaren Zerstörungen in den letzten 20 Jahren eingetreten sind. Ein zentrales Problem ist, welchen unglaublichen Beschleunigungsmechanismus wir bei der Umweltzerstörung haben.

   Zweitens. Wir erleben den Widerspruch zwischen dem Heute und der Zukunftsverantwortung, weil wir einen Großteil der Probleme, insbesondere bei den Klimaveränderungen, heute anrichten, aber ihre Auswirkungen erst in der Zukunft feststellen werden. Was bedeutet es in einer Welt, die nur auf Kurzfristigkeit ausgerichtet ist, dass wir mit einer solchen Gefahr konfrontiert sind? Auch da kann man nicht in einem engeren Sinne parteipolitisch operieren, sondern muss sehr viel weiter denken.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Welche Verantwortungslosigkeit der Politik ist es, wenn wir trotz unseres Wissens immer erst dann reagieren, wenn eine Katastrophe eingetreten ist? Das können wir uns bei diesem Thema nicht leisten. Darum geht es.

(Beifall des Abg. Lothar Mark (SPD))

   Drittens. Auch den Punkt „Umgang mit Unwissenheit“ halte ich für ungeheuer wichtig. Wir haben es mit so komplexen Herausforderungen zu tun, dass wir feststellen müssen: In vielen Bereichen kennen wir zwar die Trends der Gefahren. Aber wir können nicht mit Sicherheit sagen, ob sie nicht möglicherweise noch sehr viel schneller und umfangreicher eintreten, als wir es befürchten.

   Die internationale Gemeinde der Klimawissenschaftler geht bei der Erwärmung von einer Bandbreite zwischen 1,4 und 5,8 Grad bis Ende dieses Jahrhunderts aus. Wahrscheinlich werden es 2,5 Grad sein; aber es kann auch eine Erwärmung um 5,8 Grad geben. Eine solche Erwärmung kann die Erde überhaupt nicht verkraften. Schon eine Erwärmung um 2,5 Grad ist mehr als das, was eigentlich verträglich wäre. Aber eine Erwärmung um 5,8 Grad wäre zum Beispiel für die Ernährungslage in der Welt undenkbar. Das wäre die Programmierung von Unfrieden auf der Erde und neuer gewalttätiger Konflikte.

   Deshalb können wir uns nicht mit der These zufrieden geben, die Erwärmung sei ein globales Thema und deshalb müsse global gehandelt werden. Wenn global unzureichend gehandelt wird, dann kommen wir aus dem Dilemma nicht heraus. Antworten müssen gegeben werden. Natürlich wollen wir globale Antworten geben. Aber was machen wir denn, wenn dies schon auf nationaler Ebene schwierig ist und wir zu langsam operieren und es auf globaler Ebene erst recht schwierig ist und wir noch langsamer reagieren?

   Es gibt doch gar nichts anderes als die Dreistufenstrategie, mit der wir begonnen haben, nämlich erstens national, wo es ökonomisch verträglich und sozial sinnvoll ist, Vorreiterrollen einzunehmen – es gibt doch gar keine andere Position –, zweitens in Europa das Feld zu bereiten, eine gemeinsame Strategie in Angriff zu nehmen – da sind wir Gott sei Dank ein Stück vorangekommen –, und drittens, wo immer es geht, internationale und globale Verträge abzuschließen.

   Zu Letzterem muss man allerdings sagen: Das scheitert vielfach an dem Widerspruch zwischen den Interessen der Industrieländer und den Nachholbedürfnissen der Entwicklungsländer. Wir können das doch nicht einfach wegdiskutieren. Es hat auch viel damit zu tun, dass vor allem die reichen Länder Angst davor haben, etwas zu verändern, weil sie in der Ökologie nur eine Bedrohung, aber keine Chance für die Zukunft sehen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen deutlich machen, dass die Ökologie eine Chance ist. Das ist gerade in der Klimadebatte unsere Aufgabe.

   Ein weiterer zentraler Punkt ist: Wie kann man einen solchen Paradigmenwechsel hin zum Klimaschutz in einer Welt hinbekommen, die auf immer kurzfristigere Entscheidungen ausgerichtet ist? Das zentrale Thema des Klimaschutzes ist es, in größeren Zeiträumen zu denken. Aber wir haben vor allem in der Wirtschaftswissenschaft eine Eindimensionalität, ein dort vorherrschendes Denken, das sich nur an denDreimonatszyklen der Vierteljahresberichte orientiert. Mit Vierteljahresberichten kann ich die langfristigen Veränderungsprozesse in der Natur und vor allem in den Klimasystemen nicht erfassen.

(Lothar Mark (SPD): Das ist wahr!)

Die Kurzfristigkeit, die die Ökonomie seit einigen Jahren beherrscht, ist gesellschaftspolitisch und ökologisch das Furchtbarste, was es überhaupt gibt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen uns gemeinsam dagegen wehren. Eine ökologische Modernisierung kann keine Kurzfristpolitik sein, sondern ganz im Gegenteil: Verantwortungsübernahme auch für größere Zeiträume.

   Wir müssen weiterhin sagen: Natürlich haben wir als Nationalstaat eine begrenzte Handlungsfähigkeit; natürlich sind die Kohlendioxidemissionen der Bundesrepublik global gesehen relativ gering. Aber ich frage: Kann das eine Beruhigung sein oder was heißt es, wenn ich sage: „Wir sind doch nur mit einem geringen Teil beteiligt; schauen Sie doch einmal nach China“?

(Franz Obermeier (CDU/CSU): Das ist Realismus!)

– Das hat nichts mit Realismus zu tun; das ist Versagen. Denn es ist ganz klar: China orientiert sich an der Modernität der Industriestaaten.

(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Das hat auch Herr Obermeier gesagt!)

Wenn die Modernität der Industriestaaten eine Anpassung an globale Zwänge bedeutet, dann orientiert sich auch China daran. Modernität muss Innovation bedeuten, vor allem auf dem Feld der ökologischen Modernisierung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Darüber streiten wir uns! – Franz Obermeier (CDU/CSU): Genau da versagen Sie!)

Genau da sind wir Vorreiter; denn Sie haben überhaupt nicht begriffen, dass eine moderne Energiepolitik eben nicht der Austausch von Energieträgern ist. Es geht nicht darum, wie Sie jetzt beispielsweise wieder meinen, mehr Atomenergie zu haben.

(Franz Obermeier (CDU/CSU): Wir reden von Technologietransfers!)

   Nein, moderne Energiepolitik ist etwas völlig anderes, nämlich wo immer es geht, Energieumsätze zu vermeiden. Das ist ein ganz anderer Ansatz. Dieser Ansatz, Energieumsätze zu vermeiden, ergibt sich eben nicht nur aus der Wahl der Energieträger, sondern aus dem Gesamtkonzept. Es müssen optimale Strukturen geschaffen werden, um möglichst wenig Energie zu verbrauchen. 150 Jahre lang galt die Philosophie, dass nur mit immer mehr Energieeinsatz Fortschritt möglich sei. Wir müssen die Philosophie entwickeln, dass mit immer weniger Energie- und Ressourcenverbrauch Fortschritt möglich wird. Das ist ein anderes Verständnis, ein innovatives Verständnis. Unterstellen Sie uns insofern nicht, wir hätten kein Energiekonzept. Wir haben ein anderes Konzept als Sie – das richtige Konzept.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Bleiben wir also bei den Fakten. Der natürliche Gehalt von Kohlenstoff in der Atmosphäre würde etwa bei 280 Teile auf 1 Million Teile liegen – dieser Wert stammt aus der Zeit zu Beginn der Industrialisierung, also etwa 1850 –; heute liegt dieser Wert, wenn man alle Treibhausgase auf Kohlenstoff umrechnet, etwa bei 430 ppm. Wir wissen, dass eine Erhöhung auf 560 ppm, also die Verdopplung gegenüber dem natürlichen Wert, eine Erwärmung von 2 Grad Celsius bedeutet; das ist in der Diskussion inzwischen unbestritten. Das heißt, wir haben auch vor dem Hintergrund der Zeitverzögerung, die ich angesprochen habe – Klimaänderungen haben einen Vorlauf von etwa 40 bis 50 Jahren –, nur noch verdammt wenig Zeit, eine Katastrophe zu verhindern. Deshalb kommt es darauf an, zu begreifen, dass wir zukünftige Klimaprobleme nur heute verhindern können. In der Zukunft bleiben die Anpassungskosten. Die Anpassungskosten werden jede Ökonomie in ihren Fähigkeiten weit überfordern. Wir werden dann nichts mehr lösen können. Insofern heißt für uns die entscheidende Aufgabe, Vorsorge mit moderner Innovationspolitik zu verbinden. Dieser Aufgabe nehmen wir uns an.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Lassen Sie mich in dem Zusammenhang noch etwas sagen. Viele glauben, die Klimaproblematik sei vor allem ein Thema der tropischen und subtropischen Breiten; ich weiß, Herr Paziorek, Sie glauben das nicht. In der Zwischenzeit ist aber klar: Die Klimaproblematik wird zu einer zentralen Herausforderung für Europa, vor allem für Nordeuropa. Ich will hierzu zum Abschluss nur drei Punkte nennen.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Drei Punkte sind zu viel.

Michael Müller (Düsseldorf) (SPD):

Wenn man sieht, dass sich das Phytoplankton, also die biologische Pumpe in den Meeressystemen, nach Norden zurückzieht, wenn man sieht, dass sich der Salzgehalt im Atlantik verändert, wenn man sieht, dass der Druckwirbel schwächer wird, und wenn man sieht, dass das so genannte Heinrich-Ereignis, nämlich das Abschmelzen von Gletschern, dramatisch zunimmt, dann wird man begreifen müssen: Die Klimaproblematik wird zu einem europäischen Problem. Deshalb ist es keine Frage unserer Großzügigkeit gegenüber dem Rest der Welt, es ist eine Frage unseres ureigenen Interesses, Vorreiter beim Klimaschutz zu sein und zu bleiben.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Ich schließe damit die Aussprache.

   Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/4398. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt.

   Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/4382 mit dem Titel „Klimaschutz-Doppelstrategie – Kioto-Protokoll zu einem wirksamen Kioto-plus-Abkommen weiterentwickeln und nationale klimafreundliche Entwicklung konsequent fortsetzen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt.

   Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/4393 mit dem Titel „Das Kioto-Protokoll national konsequent umsetzen und international verantwortungsvoll weiterentwickeln“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen.

   Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 sowie die Zusatzpunkte 3 a und 3 b auf:

4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, Kristina Köhler (Wiesbaden), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Politischen Islamismus bekämpfen – Verfassungstreue Muslime unterstützen

– Drucksache 15/4260 –

Überweisungsvorschlag:Innenausschuss (f)Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 3 a) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Zusammenleben auf der Basis gemeinsamer Grundwerte

– Drucksache 15/4394 –

Überweisungsvorschlag:Innenausschuss (f)Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungAusschuss für Kultur und Medien

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Max Stadler, Klaus Haupt, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Kulturelle Vielfalt – Universelle Werte – Neue Wege zu einer rationalen Integrationspolitik

– Drucksache 15/4401 –

Überweisungsvorschlag:Innenausschuss (f)Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

   Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Widerspruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen.

   Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Wolfgang Bosbach.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wolfgang Bosbach (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Helmut Schmidt hat vor wenigen Tagen behauptet, es sei ein Fehler gewesen, Gastarbeiter aus anderen Kulturkreisen anzuwerben. Insbesondere eigene Parteifreunde haben ihn dafür heftig kritisiert. Man kann darüber streiten, ob diese Aussage in der Sache richtig und politisch vernünftig ist, aber ein solcher Streit ist müßig. Seit Jahrzehnten leben Menschen aus anderen Kulturkreisen mitten unter uns. Sie sind längst ein Teil unserer Gesellschaft geworden. Es geht also nicht um die Frage, ob wir mit ihnen zusammenleben oder zusammenleben wollen, sondern um die Frage, wie wir das wollen.

   Bemerkenswert ist die Äußerung von Helmut Schmidt auf jeden Fall: Erstens. Wir können nicht jeder Forderung der Wirtschaft nach mehr ausländischen Arbeitskräften nachkommen. Angesichts der dramatischen Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt müssen wir uns zunächst darum bemühen, die inländischen Arbeitslosen in Brot und Arbeit zu bringen, bevor wir weitere Zuwanderung nach Deutschland organisieren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Außerdem findet Zuwanderung nie nur auf Arbeitsplätze statt, sondern immer auch in unsere Gesellschaft. Deswegen muss die Integrationskraft unserer Gesellschaft Maßstab für die Zuwanderung nach Deutschland sein und diese Integrationskraft ist nicht unbegrenzt.

   Zweitens. Unter Integrationsgesichtspunkten ist Zuwanderung nicht gleich Zuwanderung. Wenn wir Menschen – wie in den vergangenen Jahrzehnten überwiegend geschehen – aus anderen Kulturkreisen nach Deutschland kommen lassen, ist das für Staat und Gesellschaft eine andere Herausforderung als beispielsweise die Binnenmigration innerhalb der Staaten der Europäischen Union.

   Drittens. Es gibt im Zusammenhang mit Zuwanderung insbesondere aus anderen Kulturkreisen nicht nur Besorgnis erregende Fehlentwicklungen, sondern es gibt dramatische Probleme. Diese Probleme muss man offen ansprechen dürfen, ohne dass sofort reflexartig die Rassismuskeule gezogen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer zieht die denn?)

Es kann nicht sein, dass man offenkundige Probleme nicht anspricht, weil man befürchten muss, sofort mit dem Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit konfrontiert zu werden.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer macht das denn? – Gegenruf des Abg. Reinhard Grindel (CDU/CSU): Du an erster Stelle!)

   In Deutschland leben heute über 3 Millionen Muslime, davon fast 750 000 mit deutscher Staatsangehörigkeit. Das sind unsere Nachbarn, unsere Arbeitskollegen, unsere Mitschülerinnen und Mitschüler. Der allergrößte Teil von ihnen ist friedlich, rechtstreu und bemüht sich zumindest um Integration in unsere Gesellschaft. Ihnen müssen wir entgegenkommen. Deswegen ist es richtig, dass im neuen Zuwanderungsgesetz ein eindeutiger Schwerpunkt auf dem Bereich der Integration liegt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sebastian Edathy (SPD))

   Wenn über den Islam oder über Islamismus gesprochen wird, ist eine Differenzierung wichtig. Wir müssen unterscheiden zwischen dem Islam als Religion, als Glaubensgemeinschaft einerseits und dem Islamismus sowie dem religiös motivierten Terrorismus andererseits. Es wird immer wieder gesagt, wir dürften niemanden unter Generalverdacht stellen. Das ist richtig und deswegen tut das auch niemand.

(Beifall der Abg. Kristina Köhler (Wiesbaden) (CDU/CSU) – Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD): Das wäre schön!)

Richtig ist aber auch: Der islamistisch motivierte Terrorismus hat seine Wurzeln in religiösem Fanatismus. Wer dies leugnet, verschließt die Augen vor der Wirklichkeit. Deswegen müssen wir diesen islamistischen Extremismus viel entschiedener bekämpfen, als das in der Vergangenheit der Fall war.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Religionsfreiheit heißt nicht Narrenfreiheit. Religionsfreiheit heißt nicht Freiheit für religiöse Fanatiker. In Deutschland leben inzwischen über 30 000 Islamisten. Von ihnen gelten gut 3 000 als gewaltgeneigt; sie befürworten also die Anwendung von Gewalt. Oder sie sind sogar gewaltbereit, das heißt, sie sind bereit, zur Durchsetzung ihrer Ziele selbst Gewalt anzuwenden. Von denen müssen wir uns trennen, lieber heute als morgen. Das hat mit Ausländerfeindlichkeit überhaupt nichts zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Wir sind ein tolerantes Land. Aber wenn wir das auf Dauer bleiben wollen, dann muss gelten: keine Toleranz gegenüber Intoleranten und kein Wegducken, wenn unsere religiöse Toleranz dazu missbraucht wird, für eine islamistische Ordnung zu werben, die exakt diese Toleranz abschaffen will.

(Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Sehr richtig!)

Dagegen vorzugehen, das ist nicht nur unser Recht, sondern sogar unsere Pflicht. Niemand kann sich auf Religionsfreiheit berufen, der seine religiöse Überzeugung dazu nutzen will, den demokratischen Rechtsstaat und den Pluralismus zu zertrümmern, um anschließend auf diesen Trümmern einen islamistischen Gottesstaat zu errichten.

   In Deutschland gibt es fast 3 000 Moscheen und Gebetshäuser. Davon gelten etwa 100 als nachrichtendienstlich relevant. Daher unsere Forderung: Wir müssen genauer hinsehen und hinhören. Wir müssen unsere Dienste und Sicherheitsbehörden so ausstatten, dass sie in der Lage sind, Gefahren rechtzeitig zu erkennen und abzuwehren. Der Islamismus ist in erster Linie keine religiöse, sondern eine politische Bewegung. Sein Ziel ist es, die Trennung von Kirche und Staat aufzuheben,

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Das ist seine Grundlage, nicht sein Ziel!)

um einen islamistischen Gottesstaat zu errichten.

   Nicht Recht und Gesetz einer demokratisch gewählten verfassunggebenden Versammlung sollen maßgeblich sein, sondern nur der Koran und die Worte und Taten des Propheten. Dieser islamistischen Ordnung hat sich nach der Vorstellung der Islamisten jede private Lebensführung und jede Staatsgewalt zu unterwerfen. Das ist eine neue Form von Totalitarismus. Demokratie und Islamismus sind ein Widerspruch in sich. Das ist ein Grund dafür, warum es kein islamistisches Land gibt, das eine Demokratie ist, jedenfalls keine Demokratie in unserem Sinne. Diese islamistischen Länder sind absolute Monarchien, Diktaturen oder – wie beispielsweise der Iran – Theokratien.

   Für uns muss auch an dieser Stelle gelten: Wehret den Anfängen! In einer Moschee wurde beispielsweise Folgendes gepredigt – ich zitiere wörtlich –:

Amerika ist ein großer Teufel, Großbritannien ein kleiner, Israel ein Blut saugender Vampir. Einst waren die Europäer unsere Sklaven, heute sind es die Muslime. Dies muss sich ändern. ... Wir müssen die Ungläubigen bis in die tiefste Hölle treiben. Wir müssen zusammenhalten und uns ruhig verhalten, bis es soweit ist. ... Wir müssen die Demokratie für unsere Sache nutzen. Wir müssen Europa mit Moscheen und Schulen überziehen.

Solche Sätze kennzeichnen eine Geisteshaltung, die mit unserer Verfassung unvereinbar ist.

(Sebastian Edathy (SPD): Das bestreitet niemand! – Hans-Michael Goldmann (FDP): Wer bestreitet das denn?)

Wer sich in dieser Form äußert, hat sein Aufenthaltsrecht in Deutschland spätestens am Ende seiner Predigt verloren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wer sich so äußert, der weist sich selbst aus Deutschland aus.

   Wir beschäftigen uns in unserem Antrag sehr intensiv mit islamischen und islamistischen Glaubenseinrichtungen. Hundertprozentig politisch korrekt ist es sicherlich, aus einem Gutachten, das das Land Nordrhein-Westfalen in Auftrag gegeben hat, zu zitieren. Darin geht es um das, was in den Schulbüchern der berühmten König-Fahd-Akademie in Bonn-Bad Godesberg steht. Durch die Schulbücher werden die Kinder auf den „Kampf gegen Ungläubige“ vorbereitet. Nach einer Pressemeldung heißt es:

So stehe „das Töten nicht unter Tabu, sondern wird, wenn es um den Glauben geht, für notwendig gehalten“. Den Schülern werde „eingetrichtert, dass der Islam und damit alle Muslime seit den Kreuzzügen bis heute durch die Juden und die Christen existenziell bedroht seien“. Es sei „erste Pflicht eines jeden Muslims, sich auf den Kampf gegen diese Feinde vorzubereiten“.

Nein, die erste Pflicht ist die Integration in dieses Land, nicht aber der Kampf gegen die Ungläubigen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Wenn Imame aus der Türkei oder aus anderen islamischen Ländern in Deutschland ankommen und hier wirken, ohne unsere Geschichte, unsere Kultur, unsere verfassungsmäßige Ordnung und unsere ganz alltägliche gesellschaftliche Realität zu kennen, dann kann das Wirken dieser Imame die Integration nicht fördern, sondern sie nur erschweren. Das wollen wir ändern. Daher machen wir ganz konkrete Vorschläge. Es gibt keinen einzigen vernünftigen Grund, unsere Vorschläge abzulehnen.

   Die Kritik an unserem Antrag hat sich bislang nur an einem einzigen Punkt festgemacht: an der Verwendung des Begriffes „Leitkultur“. Lassen Sie mich einmal zitieren, was der Schöpfer dieses Begriffes, Professor Bassam Tibi, dazu gesagt hat.

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Er spricht aber von europäischer, nicht von deutscher Leitkultur! Das ist ein Unterschied! Das sollten auch Sie nach dieser langen Debatte zur Kenntnis nehmen!)

– Bleiben Sie ganz entspannt. – Ich zitiere ihn:

Es schmerzt mich mitzuerleben, mit welchen Diffamierungen die Parteien im Streit um die „Leitkultur“ arbeiten. Diesen Begriff in die Verbindung mit der unheilvollen deutschen Geschichte von 1933 bis 1945 zu bringen, wie es Marieluise Beck getan hat, grenzt an Rufmord. Solche Äußerungen gegen das Konzept der Leitkultur haben eine Wirkung wie Steine und Gummigeschosse des Hasses im Nahen Osten. Ich erwarte eine rationale Diskussion über den Gegenstand.

Darüber sollten die Kritiker einmal in Ruhe nachdenken.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Multikulti ist kein Zukunftsmodell, Multikulti ist gescheitert.

(Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ach Quatsch!)

Wenn wir ein friedliches Miteinander von Menschen unterschiedlicher Nationalität, Hautfarbe oder Religion wollen, dann brauchen wir einen gemeinsamen, werteorientierten gesellschaftlichen Konsens.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Herr Kollege Bosbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Beck?

Wolfgang Bosbach (CDU/CSU):

Ja.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Lieber Herr Kollege Bosbach, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass dieser von Herrn Tibi geäußerte Zusammenhang von mir so nicht hergestellt worden ist, und sind Sie bereit, das Weitertragen dieses Gerüchts, der Zuschreibung zu mir, zu unterlassen?

Wolfgang Bosbach (CDU/CSU):

Das nehme ich gerne zur Kenntnis und hoffe, dass ich damit auch zur Kenntnis nehmen kann, dass Sie diesen Begriff nicht mehr für einen Kampfbegriff

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das hat sie nicht gesagt!)

gegen die vielfältigen, pluralen Lebensäußerungen in unserem Volk halten, sondern für eine Selbstverständlichkeit, die das Fundament beschreibt, auf dem wir alle gemeinsam stehen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Sehr merkwürdig diese Reaktion!)

   Warum sollten wir diesen Konsens, die Orientierung an uns alle – das gilt übrigens auch für die Deutschen – verpflichtende Normen und Werte nicht „freiheitliche demokratische Leitkultur“ nennen? Wir brauchen mehr Integration einerseits und mehr Entschlossenheit gegen jede Form von Extremismus andererseits. Wer dies mit uns gemeinsam will, der kann dem Antrag zustimmen.

   Danke fürs Zuhören.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt der Fraktionsvorsitzende der SPD, Franz Müntefering.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Franz Müntefering (SPD):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Titel der beiden Anträge, die wir heute hier diskutieren,

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Drei Anträge!)

sind schon symptomatisch.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Der Antrag der Koalition heißt „Zusammenleben auf der Basis gemeinsamer Grundwerte“, der der CDU/CSU heißt „Politischen Islamismus bekämpfen“.

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Das geht noch weiter! – Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Das ist nur die eine Hälfte! – Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Lesen Sie den ganzen Text vor! – Reinhard Grindel (CDU/CSU): Das ist schofelig!)

Das ist ein bisschen Programm bei Ihnen. Ihr Problem ist, dass Sie das Thema der Integration und das Thema Extremismus oder gar internationaler Terrorismus leichtfertig miteinander verknüpfen; das ist die Schwäche Ihrer Argumentation.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. Dr. Max Stadler (FDP) meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Herr Fraktionsvorsitzender, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Franz Müntefering (SPD):

Einen Moment, bitte. – Hören Sie noch ein bisschen zu; vielleicht habe ich ja doch Recht.

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Sie haben die Unwahrheit gesagt, Herr Müntefering! Der Titel lautet anders! Falsche Dinge sagen und dann Fragen nicht beantworten wollen! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Die Sache ist doch eindeutig: Wer gegen unsere Gesetze verstößt – und die Gesetze sind klar und eindeutig –, der muss zur Rechenschaft gezogen werden, ob Deutscher oder Ausländer. Gewalt ist nicht erlaubt, auch nicht in Familien. Hass predigen ist nicht erlaubt, auch nicht in Moscheen. Eine Frage von Integration ist das aber nicht,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Clemens Binninger (CDU/CSU): Was? Wovon denn dann? – Reinhard Grindel (CDU/CSU): Wo leben Sie denn?)

das ist eine Frage der Gesetze. Wir sind dafür, dass diese Gesetze angewandt werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Integration ist eine ganz praktische Frage: eine Frage des Alltags, eine Frage der Nachbarschaft, eine Frage des Miteinanders. Wir haben seit 40 Jahren Menschen eingeladen, in dieses Land zu kommen. Wir haben darum geworben, mitzuhelfen, dass Deutschland Wohlstandsland bleibt.

Viele sind gekommen. Wir haben Arbeitskräfte zu uns geholt, zu denen wir lange Zeit Gastarbeiter gesagt haben. Eines ist auf diesem Weg klar geworden: Weil viele Menschen zu uns gekommen sind, müssen wir jetzt über das Problem der Integration diskutieren.

   Noch eines: Dadurch, dass wir Arbeitskräfte zu uns geholt haben, leben jetzt 7,3 Millionen Ausländer bei uns, wovon 3,3 Millionen Muslime sind. Viele von ihnen sind in Sportvereinen, am Arbeitsplatz und als Geschäftsleute in großen und kleinen Betrieben aktiv. Es gibt übrigens 50 000 türkische Unternehmerinnen und Unternehmer, die 300 000 Menschen beschäftigen. Muslime und Ausländer insgesamt aus allen Teilen der Gesellschaft sind in Vereinen und Verbänden. In Moscheen gehen sie weniger. 80 Prozent der Muslime sind religiös nicht aktiv. Das alles klingt ziemlich deutsch.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ganz zweifelsfrei gibt es aber auch Probleme, zum Beispiel hinsichtlich der Sprache: bei der frühkindlichen Erziehung, in der Schule, beim Religionsunterricht, im Beruf und wegen der Chancen, die Frauen und Mädchen genommen werden, weil sie keine Gelegenheit haben, die Sprache zu erlernen. Es ist wichtig, die Sprache zu erlernen. Das gehört zentral mit zur Integration. Ich glaube, dass wir hier sehr nah beieinander und uns einig sind.

   Es ist vielleicht gut, an dieser Stelle zwei Dinge festzuhalten: Erstens. Wenn in diesem Land gegen Gesetze verstoßen wird – ob von Deutschen oder von Ausländern –, muss dies sanktioniert werden. Zweitens. Um in unserem Land bestehen zu können, muss unsere Sprache gelernt werden. Das müssen die Ausländer von sich aus wollen. Wir wollen ihnen dabei helfen. In diesen beiden Punkten sehe ich keine Differenz zwischen unseren Ansichten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann (FDP))

   Herr Bosbach, es ist problematisch, dass Ihr Antrag danach Passagen enthält, durch die deutlich wird, was Sie mit Ihrer Diskussion im Schilde führen. In Ihrem Forderungskatalog gibt es den sehr interessanten Punkt 4. Sie stellen dort fest, dass es um ein Konzept geht, mit dem langfristig ein friedliches und fruchtbares Miteinander der religiösen und der nicht religiösen Menschen in Deutschland erreicht werden soll. Das haben Sie wahrscheinlich ein wenig schnell hingeschrieben. Ich will das nicht näher untersuchen; denn das hat mit Ausländern und Integration überhaupt nichts mehr zu tun. Hier bewegen Sie sich auf einem ganz anderen Feld.

(Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Wo steht das denn? Das stimmt ja nicht! – Hans-Michael Goldmann (FDP): Sie haben einen völlig falschen Antrag vorliegen!)

   Sie stellen in Ihrem Antrag weiter fest, dass Integration nicht Assimilation meint. Das sehen wir auch so. Das ist gut und ein dritter Punkt, in dem wir übereinstimmen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

In Ihrem Antrag heißt es unter Nr. 4 weiter:

Integration meint ... die Anerkennung des Verfassungsstaates und der freiheitlich demokratischen Leitkultur in Deutschland ...

Diese Formulierung finde ich interessant. Hier haben Sie die Leitkultur endlich einmal aus dem pathetischen Nebel herausgeholt und festgestellt, dass Sie mit der Leitkultur grundgesetzliche Regelungen meinen. Wenn Sie das meinen, dann ist es okay. Dann heißt es eben nicht mehr FDGO, sondern FDLK, also freiheitlich demokratische Leitkultur. Das ist etwas seltsam und nicht besonders aufregend.

   Leider geht der Satz an dieser Stelle aber noch weiter. Sie schreiben nämlich, dass Integration auch das Erlernen der in diesem Land gewachsenen kulturellen Grundvorstellungen meint. Das wurde additiv formuliert. Neben der Anerkennung des Grundgesetzes steht also das Erlernen gewachsener kultureller Grundvorstellungen als Bedingung für Integration. Was meinen Sie damit?

   Welche kulturellen Grundvorstellungen sollen die Muslime obligatorisch über das hinaus erlernen, was in unserem Grundgesetz steht?

(Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Sprache!)

Ich nehme an, dass Sie Art. 3 Grundgesetz – Gleichheit vor dem Gesetz – nicht infrage stellen. In Abs. 3 steht:

Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.

Ich nehme an, dazu stehen Sie nicht im Widerspruch.

   Für Art. 4 des Grundgesetzes – Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit – gilt das wahrscheinlich genauso. In Abs. 1 steht:

Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

In Abs. 2 steht:

Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
(Veronika Bellmann (CDU/CSU): Lesen kann er!)

   Herr Bosbach, meine Damen und Herren von der Opposition, es bleibt die Frage, was Sie meinen.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Ja!)

Wenn Sie die freiheitlich-demokratische Grundordnung, wie sie im Grundgesetz steht, und die Gesetze, die aus ihm abgeleitet werden, zu Ihrer so genannten Leitkultur erklären, dann frage ich mich, was die kulturellen Grundvorstellungen sind, die Zuwanderer in unser Land Ihrer Meinung nach zusätzlich zwingend erlernen müssen. Das ist hier nicht erklärt. Das, was Sie eben dazu gesagt haben, hat die Sache nicht deutlicher und klarer gemacht, Herr Bosbach.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Herr Kollege Müntefering, es gibt eine Reihe von Wünschen nach Zwischenfragen. Zunächst möchte Herr Kollege Stadler eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie sie zu?

Franz Müntefering (SPD):

Zwei lasse ich gerne zu.

Dr. Max Stadler (FDP):

Herr Müntefering, nun haben Sie einige Zeit Ihre Gedanken entwickelt, woran ich Sie auch gar nicht hindern wollte. Ich möchte Sie nur fragen, ob Sie bereit sind, zu bestätigen, dass wir uns in der heutigen Debatte nicht mit zwei Anträgen, wie Sie gemeint haben, sondern mit drei Anträgen befassen.

   Ich bin deswegen zu der Frage gekommen, weil Sie darauf abgestellt haben, dass aus der Titelbezeichnung von Anträgen ein Rückschluss auf den Inhalt gezogen werden kann, und der Antrag der FDP den Titel trägt: „Kulturelle Vielfalt – Universelle Werte – Neue Wege zu einer rationalen Integrationspolitik“. Es wäre schön gewesen, wenn Sie diesen Antrag in Ihre Überlegungen einbezogen hätten. Dann hätten wir erfahren, wie Sie sich dazu verhalten.

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Das musste mal gesagt werden!)

Franz Müntefering (SPD):

Wenn ich eine Minute mehr Redezeit gehabt hätte, hätte ich Ihren Titel ebenfalls nennen können. Jetzt haben Sie es getan. Ich kann nur bestätigen, dass der Antrag vorliegt.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Jetzt hat der Kollege Bosbach das Wort.

Wolfgang Bosbach (CDU/CSU):

Herr Kollege Müntefering, Sie haben gerade unter Hinweis auf die entsprechende Formulierung in unserem Antrag begrüßt, dass wir keine Assimilation, aber Integration erwarten. Sie haben wörtlich gesagt: Assimilation lehnen wir ab. Meine Frage ist: Wer ist „wir“? Sind das die Eheleute Müntefering, die gesamte SPD oder die SPD-Bundestagsfraktion?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Es ist keine zweieinhalb Jahre her, dass der Bundesminister des Innern die Assimilation von Ausländern in Deutschland gefordert hat.

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Er hat darüber wieder in einem Interview gepredigt!)

Hier im Deutschen Bundestag hat er die Forderung nach Assimilation unter Hinweis darauf verteidigt, dies heiße doch nur ähnlich werden, Anpassung, und dies könne man doch mit guten Gründen fordern. Lehnen Sie das ab? Oder schließen Sie in dieses „wir“ den Bundesinnenminister mit seiner Meinung nicht ein?

Franz Müntefering (SPD):

Ich habe festgestellt, Herr Bosbach, dass Sie in Ihrem Antrag erklären: Assimilation wollen wir nicht. Das habe ich für gut befunden; denn das wollen wir auch nicht. Deutlicher kann man doch gar nicht sein. Meine Worte sind doch klar verständlich.

(Beifall bei der SPD – Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Meine Frage war: Wer ist „wir“?)

Ich spreche als Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und als Mitglied dieser Partei. Das ist wahrscheinlich bekannt; darüber sollten Sie sich keine Sorgen machen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Gehört Herr Schily nicht dazu?)

   Da ich aber noch nicht ganz fertig bin, will ich Sie, Herr Bosbach, weiterhin ansprechen. Unter Nr. 4 Ihres Antrags heißt es, dass das Grundgesetz die Leitkultur sei.

(Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Bestandteil!)

Das ist interessant, aber uns nicht fremd. Wenn Sie Ihre Aussage darauf reduzieren, dann wäre das ein Fortschritt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Nicht reduzieren!)

– Wenn Sie Ihre Aussage nicht darauf reduzieren, dann ist das noch interessanter; denn Sie haben weitere kulturelle Grundvorstellungen eingefordert. Ich habe Sie daraufhin gefragt: Was meinen Sie damit? Wenn man das mit dem abgleicht, was im Grundgesetz steht, dann stellt sich die Frage: Was bleibt Ihnen denn dann noch?

(Zurufe von der SPD: Richtig!)

Deshalb ist für mich zweifelhaft, ob das, worüber jetzt diskutiert wird, von Ihnen wirklich ehrlich gemeint ist. Ich vermute, dass dahinter etwas ganz anderes steckt. Ich glaube, Herr Bosbach, die CDU/CSU hat entdeckt, dass man mit diesem Thema Wahlkampf machen könnte.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich denke, dass es Ihnen darum geht und Sie nicht an der Klärung der Tatbestände interessiert sind, über die wir hier miteinander reden.

   Sie entdecken die Möglichkeit, mit diesen kulturellen Grundvorstellungen im deutschen Interesse, das Frau Merkel immer im Munde führt, in Verbindung mit Patriotismus ein Thema aufzubauen, das auch für den Parteitag ab Sonntag angekündigt ist. Die Sache mit dem deutschen Interesse ist deshalb so interessant, weil Sie, als wir damit im Zusammenhang mit dem Irakkrieg argumentiert haben, empört aufgeschrien haben, dass das nicht angehe.

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Jetzt vielleicht mal zur Sache, Herr Müntefering!)

– Das ist zur Sache.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Reinhard Grindel (CDU/CSU): Das ist überhaupt nicht zur Sache!)

Vielleicht wissen Sie nicht, was Ihre Vorderen wollen. Als die Sache mit dem deutschen Interesse auf unseren Plakaten zur Europawahl stand, haben Sie versucht, das zu karikieren. Jetzt sind Sie dabei, zu formulieren, was das deutsche Interesse ist. Sie müssten für das Plagiat eigentlich Lizenzgebühren bezahlen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Reinhard Grindel (CDU/CSU): Sie waren auch schon mal lustiger!)

   Vergleichbar sind Ihre Aussagen zum Patriotismus. Wir haben in unserer 141-jährigen Geschichte vieles für das Land erreicht. Das Land gehört uns nicht und es gehört auch Ihnen nicht. Das, was uns miteinander verbindet, ist, dass alle Menschen, die in diesem Lande wohnen, ob Deutsche oder nicht, ob Mitglieder Ihrer Partei, meiner Partei oder anderer Parteien, denselben Anspruch, dasselbe Recht und die Aufgabe haben, diesem Land zu dienen. Wenn eine Partei sagt „Wir sind die Patrioten“, dann kann vielleicht ein Wort von Johannes Rau helfen, der einmal gesagt hat: „Patrioten sind Menschen, die ihr Land lieben.

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Eine super Erkenntnis!)

Nationalisten sind Menschen, die die Heimatländer anderer missachten.“  Dies gilt auch für Menschen aus anderen Ländern, die bei uns sind. Deshalb gehört das sehr wohl zum Thema der Integration.

   Wir alle sind gut beraten, wenn wir in großer Achtung voreinander, auch vor anderen Völkern und anderen Ländern, unseren Patriotismus hier im Land nicht überhöhen.

(Veronika Bellmann (CDU/CSU): Den muss man erst einmal haben!)

Wir sind so gute Patrioten wie Sie. Auch das nehmen wir als Sozialdemokraten für uns in Anspruch. Den Beweis dafür kann man gut und einfach führen.

   Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Zu einer Kurzintervention erhält zunächst der Abgeordnete Pflüger das Wort.

Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU):

Herr Müntefering, Sie haben eben den Titel des CDU/CSU-Antrages mit den Worten „Politischen Islamismus bekämpfen“ zitiert und ergänzt, dass man schon an dem Titel sehen könne, dass die Union, wenn es um Islam und Islamismus gehe, vor allen Dingen eine Kampfposition einnehme.

(Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD): Ja, das ist der Eindruck!)

Sie haben damit den Eindruck vermittelt, es sei heute unser Bestreben, eine Kampflinie aufzubauen. Sie haben den Menschen nur die halbe Wahrheit gesagt. Das ist manchmal noch schlimmer als die Unwahrheit; denn der Antrag heißt „Politischen Islamismus bekämpfen – Verfassungstreue Muslime unterstützen“. Warum haben Sie eigentlich diesen zweiten Teil verschwiegen? Uns geht es darum, dass wir der überwältigenden Mehrheit der Muslime, die bei uns vernünftig leben, arbeiten und Steuern zahlen und sich hier integrieren wollen, Brücken bauen.

   Wir reden im dritten Absatz von Punkt I dieses Antrags davon, dass 1 Prozent der Muslime laut Verfassungsschutzbericht dem extremen Islamismus zuneigt. Wie können Sie es mit sich selbst und ihrer Politik vereinbaren, mit der verkürzten Wiedergabe der Überschrift eine ganze Fraktion in eine bestimmte Ecke zu drängen und den Eindruck zu vermitteln, als ob ein Teil dieses Hauses nicht mit den Ausländern, die bei uns leben, friedlich zusammenleben will? Das ist unerträglich und das müssen Sie hier zurücknehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Lesen Sie doch mal Ihren Antrag selber!)

   Dasselbe gilt für das Thema Patriotismus. Auch ich bin dagegen, einem anderen im Rahmen einer normalen politischen Debatte Patriotismus abzusprechen.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Sehr gut! Das müssen Sie mal Ihren Leuten sagen!)

Wer wollte bestreiten, dass sich auch die Sozialdemokraten für dieses Land eingesetzt haben? Patriotismus darf man nicht in erster Linie als Keule benutzen.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Aha! Sehr gut!)

   Sie haben auch mit der Aussage Recht, dass Patriotismus nicht in der Weise geäußert werden darf, dass man auf andere Länder herabschaut. Aber wenn Bundesminister Trittin kurz vor seinem Amtsantritt 1998 erklärt, er habe in der Vergangenheit nie die deutsche Nationalhymne gesungen und er werde sie auch nicht in Zukunft singen,

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielleicht singt er so schlecht!)

wenn diese Bundesregierung einen nationalen Feiertag abschaffen will und Herr Trittin eine Woche später erklärt, er möchte einen islamischen Feiertag einführen,

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Hat er nicht!)

dann zweifle ich in der Tat daran, dass bei allen Mitgliedern der Regierungsfraktionen patriotisches Verständnis herrscht. Uns geht es um aufgeklärte Vaterlandsliebe. Das ist nichts Schlimmes; sie ist vielmehr etwas Gutes und Richtiges.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Herr Kollege.

Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU):

Ich komme zu meinem letzten Punkt. Zum Begriff der Leitkultur werden die Kollegin Köhler und der Kollege Grindel, die den Antrag im Wesentlichen formuliert haben, gleich noch etwas ausführen. Lassen Sie mich nur so viel anmerken: Dass der Begriff Leitkultur hier als Kampfbegriff nach dem Motto „Diejenigen, die ihn verwenden, wollen andere Kulturen und Religionen gering schätzen“ aufgebaut wird, ist schwer erträglich.

(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Wir sind sehr für Religionsfreiheit und wir sind sehr dafür, dass sich andere Menschen nicht assimilieren müssen.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Nun muss er aber langsam aufhören!)

Wir meinen aber auch, dass eine Gesellschaft, die darauf verzichtet, über das Grundgesetz hinaus eine Leitkultur zu definieren – die sich zum Beispiel in der deutschen Sprache zeigt –, dazu herausfordert, parallele Gesellschaften zu schaffen. Deswegen glauben wir, dass der Begriff der Leitkultur, sofern er in einer vernünftigen Weise verwendet wird, weiterführt.

(Beifall bei der CDU/CSU – Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist doch ein Popanz!)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Bitte, Herr Müntefering.

Franz Müntefering (SPD):

Der Antrag Ihrer Fraktion trägt die Überschrift „Politischen Islamismus bekämpfen – Verfassungstreue Muslime unterstützen“.

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Das haben Sie so nicht vorgelesen!)

Dass Sie die Bekämpfung des politischen Islamismus zum Kernpunkt dieses Antrags und der Ausführungen von Herrn Bosbach gemacht haben,

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Nein! Gleichrangig neben dem anderen!)

steht doch außer Zweifel.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Reinhard Grindel (CDU/CSU): Wollen Sie das nicht?)

   Was ich Ihnen nahe legen wollte, ist – hören Sie gut zu, Herr Bosbach und Herr Pflüger! –

(Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Unterscheiden wir uns darin?)

– das kann schon sein; dann stellen wir das eben gemeinsam fest –, dass der Verstoß gegen Gesetze und das Thema Integration auseinander gehalten werden sollten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Menschen, die gegen Gesetze verstoßen, müssen mit Sanktionen rechnen, und zwar unabhängig davon, ob sie zum Beispiel Ausländer sind, ob sie Muslime sind.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Insofern gilt: Wer hetzt und Gewalt anwendet, unterliegt unseren Gesetzen. Das muss man nicht unter der Überschrift „ Politischen Islamismus bekämpfen“ beschreiben; es unterliegt unseren Gesetzen. Die Frage der Integration geht darüber hinaus; es geht dabei um das Zusammenleben und Zusammenwirken der Menschen in unserem Land.

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Reden Sie mal mit Ihren Kommunalpolitikern! Die werden Ihnen sagen, was los ist!)

   Sie haben Punkt 4 Ihres Antrags angesprochen. Ich habe nichts dagegen, wenn Sie von der Leitkultur sprechen. Ich habe es lediglich begrüßt und freue mich wirklich darüber, dass Sie bereit sind, diesen Begriff zu präzisieren. Viele Menschen im Land fragen sich, was Sie damit meinen. Sie haben diesen Begriff seinerzeit eingeführt, um sich, die CDU, als eine Partei mit einem besonderen kulturellen Hintergrund vorzustellen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja auch so!)

   Ich habe mich immer wieder gefragt, was Sie eigentlich meinen und wer Sie eigentlich sind. In diesem Punkt verstehe ich Sie nicht. In Ihrem Antrag haben Sie erstmals schriftlich formuliert, dass es Ihnen im Kern um unseren Verfassungsstaat und um unser Grundgesetz geht.

   Ich betone noch einmal: Wenn Sie sagen, die Leitkultur entspreche unserem Grundgesetz, dann ist das in Ordnung. Das können Sie ruhig als Leitkultur beschreiben. Dagegen habe ich nichts. Ich würde zwar nicht diesen Begriff dafür verwenden, weil es sich um eine Erhöhung besonderer Art handelt, aber darüber hinaus kommen wir uns schon näher.

   Sie haben aber noch nicht erläutert, Herr Pflüger – das werden Sie möglicherweise noch tun –, was Sie mit dem Erlernen der „gewachsenen kulturellen Grundvorstellungen“ – additiv zum Grundgesetz, obligatorisch für alle Menschen, die zu uns ins Land kommen – meinen. Sie meinen damit hoffentlich nicht, dass sie alle Mitglieder der CDU werden sollen. Das haben Sie sicherlich nicht gemeint.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Jetzt hat der Abgeordnete und Innenminister Otto Schily das Wort zu einer Kurzintervention.

(Zurufe von der CDU/CSU: Der Abgeordnete!)

Otto Schily (SPD):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Mein Kollege Müntefering hat eben für die SPD-Fraktion erklärt, dass wir Assimilation nicht erzwingen wollen. Damit spricht er auch für den Abgeordneten Otto Schily.

   Aber ich will auch darauf hinweisen, dass Assimilierung erlaubt ist.

(Lachen und Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Nein, nicht Assimilieren erlauben!)

Insofern haben Sie mich völlig falsch zitiert, Herr Bosbach. Ich habe in dem Interview, das Sie vielleicht meinen – Herr Prantl zitiert mich falsch und Sie zitieren mich falsch –, keine Assimilierung gefordert.

(Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Was Sie im Plenum gesagt haben, nicht im Interview!)

– Nein, ich habe nie Assimilierung gefordert. Das ist völlig falsch.

    Ich meine, auch Assimilierung kann eine Form der Integration sein; wir sollten sie nicht aus Gründen der Political Correctness für beklagenswert halten.

In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gibt es viele Integrationsvorgänge, die nichts anderes als Assimilierung sind. Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen – Herr Professor Frankenberg, Wissenschaftsminister in Baden-Württemberg, hat mir diese Anekdote gerade berichtet -: Als er sich kürzlich – wie das auf einer langen Autofahrt schon einmal geschieht – mit seinem Fahrer, der deutscher Staatsbürger serbischer Abstammung ist und einen serbischen Namen trägt, über die Probleme Baden-Württembergs unterhalten hat, hat dieser gesagt: Frau Schavan kann nicht Ministerpräsidentin von Baden-Württemberg werden, weil sie nicht zu uns gehört. Dazu kann ich nur sagen: Dieser Mann ist assimiliert und integriert. Das finde ich in Ordnung.

(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ein weiteres Beispiel: Cem Özdemir spricht reines Schwäbisch. Auch das ist eine gewisse Form von Assimilierung. Ich wüsste nicht, was daran beklagenswert sein sollte.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Trotzdem kennt er sich in der Türkei noch gut aus und spricht fließend Türkisch. Er bildet also eine interkulturelle Brücke.

   Lassen Sie uns doch nicht dogmatische Grabenkämpfe führen! Wir sollten die Beantwortung der hier zur Diskussion stehenden Fragen viel lockerer angehen. Es gibt viele Formen der Integration. Assimilierung ist nicht des Teufels, sondern unter den Bedingungen des Grundgesetzes erlaubt.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Noch eine dritte Kurzintervention des Abgeordneten von Klaeden. Weitere Kurzinterventionen lasse ich dann aber nicht mehr zu.

   Bitte, Herr von Klaeden.

Eckart von Klaeden (CDU/CSU):

Herr Müntefering, ich möchte gerne auf Ihre Ausführungen zum Begriff der freiheitlich-demokratischen Leitkultur eingehen. Sie haben gesagt – ich glaube, damit gebe ich Sie richtig wieder –, dies sei für Sie nur dann verständlich, wenn damit das Grundgesetz gemeint sei. Für uns gehören zur freiheitlich-demokratischen Leitkultur in Deutschland auch das geschichtliche Erbe und die Verantwortung aus der Geschichte, zum Beispiel die besondere Verantwortung unseres Landes gegenüber Israel, obwohl davon kein Wort im Grundgesetz steht.

(Zuruf von der SPD)

In der Präambel des Grundgesetzes steht nichts von der besonderen Verantwortung für Israel. Aber diese Verantwortung gehört aufgrund unserer Geschichte zur freiheitlich-demokratischen Leitkultur unseres Landes.

   Ich finde, dass jeder, der nach Deutschland kommt und die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben will, diese besondere Verantwortung akzeptieren muss. Wer das nicht will, der, finde ich, gehört auch nicht in dieses Land.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Herr Müntefering, möchten Sie erwidern? – Nein.

   Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans-Michael Goldmann.

Hans-Michael Goldmann (FDP):

Sehr verehrte, geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP-Fraktion hat in dieser Woche ein breit angelegtes Integrationspapier, an dessen Erarbeitung insbesondere der Kollege Haupt beteiligt war, beschlossen und wird damit das Thema in Partei und Gesellschaft angehen. Sie hat außerdem einen Antrag im Bundestag eingebracht; dieser ist vorhin angesprochen worden. Herr Müntefering, es ist schade, dass Sie sich, der Sie sich sonst sehr viel mit Sprache beschäftigen, mit den Grundaussagen unseres Antrags nicht befasst haben. Wir heben darin den Wert kultureller Vielfalt hervor und fordern die Orientierung an allgemeingültigen Werten und das Beschreiten neuer, rationaler Wege in der Integrationspolitik. Ich frage mich, ob das, was wir eben erlebt haben, dazu geeignet ist, eine rationale und von den Menschen getragene Integrationspolitik in unserem Land voranzubringen.

(Beifall bei der FDP – Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Ich bin da sehr klar!)

– Herr Schmidt, wir können uns sehr gerne darüber unterhalten. Aber mir ist das Thema zu ernst, als dass ich es dauernd durch Zwischenbemerkungen und Unklarheiten weiter verwässern will.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Sehr wahr!)

   Sehr gelehrter Herr Kollege Bosbach, ich habe Sie heute Morgen im Frühstücksfernsehen und auch hier wieder als einen Mann des scharfen Wortes erlebt. Ich finde, dass manche Ihrer Formulierungen in der Schärfe etwas unglücklich sind. Religionsfreiheit in Verbindung mit Narrenfreiheit zu bringen – in welcher Form auch immer –, halte ich für unqualifiziert.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Keine Narrenfreiheit!)

– Herr Bosbach, Sie können so lange dazwischenrufen, wie Sie wollen. Hören Sie lieber gut zu!

Ich habe mir die Mühe gemacht, mich mit dem berühmten Punkt vier des CDU/CSU-Antrags auseinander zu setzen. Es liegt sicherlich an mir, dass ich ihn nicht in Gänze verstanden habe. Aber wir wollen doch festhalten, dass Sie zwischen den Worten „Anerkennung des Verfassungsstaates“ und den Worten „der freiheitlichen demokratischen Leitkultur“ das Verbindungswort „und“ gesetzt haben. Das heißt, es gibt so etwas wie die Anerkennung des Verfassungsstaates und es gibt daneben etwas anderes, nämlich eine freiheitliche demokratische Leitkultur.

(Dr. Ole Schröder (CDU/CSU): Ja, natürlich!)

– Können Sie mir einmal sagen, was das ist?

(Dr. Ole Schröder (CDU/CSU): Zum Beispiel das Nationale! Das Nationale steht doch auch nicht im Grundgesetz!)

– Bevor Sie den Mund aufmachen, hören Sie mir lieber zu und denken Sie einmal nach!

(Beifall bei der FDP – Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Sie haben doch „Können Sie mir einmal sagen, was das ist?“ gefragt!)

– Herr Bosbach, Sie legen bei diesem Thema schon wieder diese integrative Art an den Tag. Sie brüllen in der Gegend herum und produzieren Sprechblasen.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Man kann es eigentlich ganz einfach machen. Sie sind ja ein Sprachakrobat und wissen daher, was ein Hauptwort und was ein Wiewort ist.

(Heiterkeit bei der FDP)

In Ihrem Antrag ist das Hauptwort „Leitkultur“ und sind die Wiewörter „freiheitlich“ und „demokratisch“. Nach meinem Verständnis sollten bei der Integration „Demokratie“, „Freiheit“ und „Gleichheit“ die Hauptwörter sein.

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Das ist ja Wortklauberei!)

Wenn man das praktiziert, dann kann man durchaus eine Kultur entwickeln, die einen in bestimmten Lebensbereichen leitet; aber der Oberbegriff für unser demokratisches, für unser emanzipatorisches, für unser integratives Tun darf nicht der diffuse Begriff der Leitkultur sein, den Sie in Ihrem Antrag zum Ausdruck bringen.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Geis?

Hans-Michael Goldmann (FDP):

Nein, das möchte ich jetzt nicht, weil ich mir viel Mühe gegeben habe, diesen Gedanken zu entwickeln.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Das merkt man aber nicht!)

– Herr Bosbach, das unterscheidet uns vielleicht. Ich weiß wenigstens, was in Ihrem Antrag steht. Bei einigen, die eben geredet haben, hatte ich nicht unbedingt den Eindruck, dass sie alles verstanden haben, was darin steht.

(Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Jetzt haben Sie Recht!)

   Herr Kollege Bosbach, wir sollten uns vielleicht ein wenig mehr auf den Begriff der Rechtskultur verständigen. Ich denke, es ist völlig klar: Wer sich an das hält, was im vorderen Teil Ihres Antrags angesprochen wird, nämlich an die Anerkennung des Verfassungsstaates und unserer Rechtskultur – das fängt damit an, dass man nicht die Zeitung liest, wenn man von einem Kollegen direkt angesprochen wird; aber das, was Sie machen, ist wahrscheinlich eine Variante der Leitkultur –,

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

der soll bei uns aufgenommen und integriert werden; das ist überhaupt keine Frage. Derjenige, der das nicht tut, der hat in unserer Demokratie, in unserem Rechtsstaat nichts zu suchen. Da sind wir uns völlig einig.

   Mit Ihrem Begriff der Leitkultur – ich habe eben versucht, darzustellen, dass er falsch ist – machen Sie etwas anderes – ich halte das für gefährlich –: Im Grunde genommen reduzieren Sie das Ganze auf das Erscheinungsbild eines Menschen: auf das Tun, auf das Essen, auf das Hören von Musik, möglicherweise sogar auf das Aussehen.

(Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Anschnallen! Sie befinden sich im freien Fall!)

Damit stellen Sie Menschen anderer Kulturkreise in eine gefährliche Ecke unserer Gesellschaft. Deswegen kann ich Sie nur herzlich darum bitten: Verabschieden Sie sich eindeutig von dem Begriff der Leitkultur!

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Lassen Sie uns gemeinsam dafür eintreten, dass die Menschen, die zu uns gekommen sind, an Demokratie und Kultur teilnehmen! Lassen Sie uns dafür sorgen, dass diese Menschen bereit und willens sind, unsere Sprache zu lernen, damit sie begreifen, was wir unter Ehe und Partnerschaft verstehen. Lassen Sie uns dann klar sagen, dass zum Beispiel eine Zwangsheirat mit unserem demokratischen Verständnis überhaupt nicht in Einklang zu bringen ist.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie uns darauf hinarbeiten, dass sich die Muslime in Deutschland ein Stück mehr zusammenfinden, damit wir den runden Tisch der Religionen an vielen Stellen gemeinsam ausgestalten können.

   Das Thema Integration in unsere Gesellschaft erfordert nach meiner Auffassung eine gründliche, eine tiefer gehende Beratung. Wir sind dazu gerne bereit.

   Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Claudia Roth.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich freue mich, dass Sie sich schon freuen.

   Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich frage mich schon, was diese Debatte leisten muss. Sie muss verantwortlich geführt werden und sie darf keine Stimmungsmache sein. Sie muss Probleme benennen, aber sie darf keine Ängste schüren.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Sie muss vor allem mit Polemik aufhören und muss konstruktive Vorschläge für die Verbesserung der Integration leisten;

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Wer hat denn diesen Ton in die Debatte gebracht?)

das vermisse ich bei Ihnen sehr.

   Diese Debatte muss auch mit einer Lebenslüge Schluss machen. Es geht um die Anerkennung unserer Realität,

(Clemens Binninger (CDU/CSU): Ja, in der Tat!)

ob einem das passt oder nicht. Ich komme aus Bayern. Da passt es vielen nicht, aber es ist so: Deutschland ist ein Einwanderungsland. Das ist die Anerkennung unserer Realität.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Also Multikulti!)

   Wir haben Menschen und nicht Gäste und nicht bloß Arbeitskräfte in dieses Land geholt. Max Frisch und Gustav Heinemann haben das sehr früh erkannt. Diese Migranten haben den Wohlstand in diesem Land mit gefördert und dieses Deutschland in den letzten Jahrzehnten mit geprägt. Unser Land ist Lebensmittelpunkt für Millionen von ausländischen Neubürgern geworden. Sie sind hier, sie wollen hier sein und sie sollen bitte hier bleiben. Diese Sicherheit müssen wir ihnen geben. Wir müssen ihnen und ihren Kindern das Gefühl geben, dass Deutschland auch ihre Heimat ist. Das tun Sie in den seltensten Fällen; zu dem Schluss komme ich, wenn ich mir die öffentliche Debatte der letzten Woche vergegenwärtige.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

   Deutschland ist eine multikulturelle Gesellschaft, Herr Bosbach, und das wissen Sie auch. Das ist die Realität. Die Realität ist nicht gescheitert. Jede fünfte Ehe in diesem Land ist binational. Jedes fünfte Kind hat einen Migrationshintergrund. Deutschland ist auch ein multireligiöses Land. 3,3 Millionen Moslems leben in diesem Land. Diese Moslems sollten sich endlich eine entsprechende Repräsentanz geben. Das halten wir für sehr notwendig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Wer etwas für Integration tun will, wer zusammenführen und nicht spalten will, der darf sich dieser Realität nicht verweigern. Sie ablehnen oder rückgängig machen zu wollen ist illusionär. Ausgrenzung verbaut die Chancen von Integration.

   Herr Bosbach, Sie sind wirklich ein Akrobat, was die Sprache angeht. In Ihrem Antrag ist von der Leitkultur die Rede. Heute Morgen laufen Sie aber wieder mit dem Begriff der deutschen Leitkultur durch alle Agenturen.

(Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Wir leben ja in Deutschland!)

Das ist nicht das, was Bassam Tibi sagt. Der redet von der europäischen Leitkultur. So wie Sie landauf, landab über deutsche Leitkultur, über deutsche kulturelle Umgangsformen – da frage ich mich wirklich, was das sein soll – reden, so wie Sie heute in den Agenturen wieder von der deutschen Leitkultur sprechen – ich kann es Ihnen gern zeigen, Herr Bosbach –, ist das nicht integrativ, sondern da hierarchisieren Sie. Sie hierarchisieren Kulturen, Sie hierarchisieren Religionen und Sie hierarchisieren Menschen. Es muss aber darum gehen, die gleichberechtigte Teilhabe und Chancengleichheit zu fordern.

(Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Wo denn? In Deutschland?)

Das tun Sie nicht, obwohl Sie jetzt in Ihrem Antrag das Wörtchen „deutsch“ gestrichen haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Anerkennung der Realität, das heißt auch anzuerkennen: Ja, es gibt Schwierigkeiten. Ja, es gibt Konflikte. Ja, es gibt Probleme. Aber Integration funktioniert in weiten Bereichen auch. Drei Viertel der Migranten leben nicht in ethnisch geprägten Vierteln. Die Zahl der Kontakte der Deutschen der jüngeren Generation zu Migranten nimmt zu. Das Schlechtreden von erfolgreicher Integration ist das pure Gegenteil von Patriotismus, von dem Sie immer reden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Reinhard Grindel (CDU/CSU): Wer macht das denn, Frau Roth? Das macht doch niemand! Das ist doch nicht wahr!)

   Die Stigmatisierung von Menschen in Bezirken mit hohem Ausländeranteil löst überhaupt kein Problem.

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Sagen Sie das Herrn Buschkowsky!)

Was wir nicht brauchen, Herr Grindel, ganz sicher nicht, ist eine Ausländerquote, wie Herr Schönbohm sie gefordert hat,

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Was sagt denn Herr Buschkowsky?)

was auf Zwangsumsiedlungen hinauslaufen würde. Was wir nicht brauchen, ist die Forderung von Frau Schavan, dass plötzlich nur noch in Deutsch gebetet werden darf.

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Das hat sie doch nicht gesagt!)

Das ist keine Integration, sondern das spaltet und das ist ein Signal für Ausgrenzung. Das ist Gift für die politische Stimmung in diesem Land.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Was wir brauchen, ist eine systematische Integrationspolitik. Das ist über Jahrzehnte, auch dank Ihnen, versäumt worden. Sie betrifft nicht nur die Neuzuwanderer – das ist jetzt im Zuwanderungsgesetz festgelegt –; sie ist auch nachholende Politik. Sie fordert von allen Seiten Integrationsbereitschaft ein. Integrationspolitik heißt zuallererst Sprachförderung im frühkindlichen Alter – das muss uns sehr viel wert sein –, heißt weiter Öffnung des öffentlichen Dienstes, der Polizei und des Verfassungsschutzes für Menschen mit einem Migrationshintergrund. Sie reden immer davon. Aber wie sieht denn die Praxis in den Ländern, die Sie regieren, aus? Da passiert doch das pure Gegenteil.

(Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt nicht! Purer Unsinn!)

   Integrationspolitik beinhaltet gezielte Förderung von Migranten bei Ausbildung, Bildung und auf dem Arbeitsmarkt, gezielte Förderung von Frauen und Mädchen. Man redet zwar immer darüber, aber in Bayern werden die Mittel für Integration im Haushalt gerade um 50 Prozent gekürzt.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von Klaeden?

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ein bisschen später kann er sie gerne stellen.

(Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Es geht jetzt aber zu dieser Sache!)

Integration beinhaltet auch – das unterstützen wir sehr – Ausbildung von Imamen an deutschen Universitäten und deutschsprachigen islamischen Religionsunterricht.

   Ich denke, dass von dieser Debatte heute das Signal ausgehen muss, dass Moslems in diesem Land nicht unter Generalverdacht stehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Natürlich! Wer tut das denn?)

Das heißt überhaupt nicht, dass wir nicht selbstverständlich für eine entschiedene Bekämpfung islamistisch-extremistischer Bestrebungen sind. Auch Sie wissen, dass wir keine Aufhetzung zu Gewalt und keinen Antisemitismus in den Moscheen dulden. Sie wissen auch, dass wir uns offensiv mit Vorstellungen von religiös oder kulturell begründeten Formen von Unfreiheit oder Ungleichheit auseinander setzen und dass wir Maßnahmen zum Beispiel gegen die Zwangsverheiratung ergriffen haben.

   Wir treten ein für die Religionsfreiheit: hier bei uns auch für Moslems, in der Türkei auch für Christen und Aleviten. Religionsfreiheit heißt aber nicht, dass religiöse Vorstellungen über die demokratische Rechtsordnung gestellt werden dürfen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Deswegen darf aber Integrationspolitik doch nicht auf Ordnungspolitik reduziert werden, wie es meiner Meinung nach in Ihrem Antrag der Fall ist. Integrationspolitik muss doch den Islam als gleichberechtigte Religion anerkennen und zum Ziel haben, den Islam quasi bei uns einzubürgern. Denn ein europäischer Islam ist doch der beste Beitrag im internationalen Kampf gegen den islamistischen Extremismus.

   Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Multikulturalität ist nicht nur Realität, sie stellt für uns auch ein starkes Ideal dar, womit wir Freiheit, Vielfalt und die Achtung unterschiedlicher Lebensweisen und Lebensentwürfe verbinden. Sie erfordert eine Kultur der Differenz sowie eine Kultur der Toleranz und des Respekts. Toleranz in einer multikulturellen Demokratie bewegt sich immer im Rahmen unserer Verfassungsordnung. Die Zukunft liegt also im Pluralismus, nicht in der Monokultur. Die Zukunft erfordert einen viel stärkeren interreligiösen und interkulturellen Dialog, nicht den Kampf der Kulturen oder die Hierarchisierung von Kulturen und Religionen. Das gemeinsame Fundament, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist das Grundgesetz, das ist unsere Verfassung, das sind die universellen Menschenrechte, das ist unsere Demokratie. In diesem, aber nur in diesem Sinn bin ich gerne Verfassungspatriotin.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Zu einer Kurzintervention erhält der Abgeordnete Bosbach das Wort.

(Sebastian Edathy (SPD): Wird Ihnen dann besser, Herr Kollege? – Weiterer Zuruf von der SPD: Och nee!)

Wolfgang Bosbach (CDU/CSU):

Frau Kollegin Roth, ich habe mich zu Wort gemeldet, weil Sie glaubten, darauf hinweisen zu müssen, dass ein erheblicher Unterschied zwischen den Wortpaaren „Leitkultur in Deutschland“ und „deutsche Leitkultur“ bestehe. Ich darf Ihnen einmal vorlesen, was die CDU Deutschlands vor genau vier Jahren beschlossen hat:

Integration erfordert deshalb, neben dem Erlernen der deutschen Sprache sich für unsere Staats- und Verfassungsordnung klar zu entscheiden und sich in unsere sozialen und kulturellen Lebensverhältnisse einzuordnen. Dies bedeutet, dass die Werteordnung unserer christlich-abendländischen Kultur, die vom Christentum, Judentum, antiker Philosophie, Humanismus, römischen Recht und der Aufklärung geprägt wurde, in Deutschland akzeptiert wird. Das heißt nicht Aufgabe der eigenen kulturellen und religiösen Prägung, aber Bejahung und Einordnung in den bei uns für das Zusammenleben geltenden Werte- und Ordnungsrahmen.
… Multikulturalismus und Parallelgesellschaften sind kein Zukunftsmodell. Unser Ziel muss eine Kultur der Toleranz und des Miteinander sein – auf dem Boden unserer Verfassungswerte und im Bewusstsein der eigenen Identität. In diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn die Beachtung dieser Werte als Leitkultur in Deutschland bezeichnet wird.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Wenn Sie, Frau Kollegin Roth, bei der Frage, was deutsche Leitkultur bzw. was Leitkultur in Deutschland ist, minutenlang nur in rhetorische Erregungszustände bis hin zum Brüllen verfallen, dann kann das nur heißen, dass Sie in der Sache überhaupt nichts dagegensetzen können.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Ihre Reden sind selten erregend, Herr Bosbach!)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Kristina Köhler.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Kristina Köhler (Wiesbaden) (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Müntefering – er ist leider nicht da –

(Zurufe von der SPD: Doch!)

– Entschuldigung, ich habe Sie nicht gesehen – hat uns eben vorgeworfen, im Antrag der CDU/CSU-Fraktion stehe das Thema Islamismus im Fokus. In der Tat haben Sie damit gar nicht Unrecht; das Thema Islamismus steht im Fokus. Aber ich frage: Wer sind denn die ersten Opfer der Islamisten? Die ersten Opfer sind doch die verfassungstreuen Muslime hier in Deutschland. Deshalb haben wir in der Überschrift unseres Antrags den Zweiklang „Politischen Islamismus bekämpfen – Verfassungstreue Muslime unterstützen“ gewählt. Diesen Zweiklang wollten Sie in Ihrem Zitat nicht wahrhaben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Wir haben das Thema Islamismus auch deshalb in den Fokus gestellt, weil hier ein unglaublicher Handlungsbedarf besteht. Ein Wegwerfsatz „Wir wollen jeden Extremismus bekämpfen“ reicht nicht. Nachdem Frau Roth gerade versichert hat, diese Bundesregierung dulde keine Aufhetzung zur Gewalt hier in Deutschland, muss ich Ihnen leider ein Beispiel vortragen:

   Ich habe gestern am Bahnhof Zoo die türkischsprachige Zeitung „Vakit“ gekauft. Hier habe ich sie liegen. Nach Angaben ihres Verlages in Mörfelden-Walldorf im Kreis Groß-Gerau erscheint diese Zeitung in einer Auflage von 10 000 Exemplaren. Allein in der gestrigen Ausgabe, finden sich einige verabscheuenswürdige Aussagen. Ich zitiere nur drei Sätze aus einer beglaubigten Übersetzung dieser Ausgabe:

Die Wahrheit ist: Es gab keinen Holocaust. Auch die so genannten Gaskammern sind eine Lüge. Das ist alles nichts anderes als zionistische Musik.
(Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Pfui!)

Meine Damen und Herren, das sind ungeheuerliche Aussagen.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Das ist aber schon jetzt strafbar! – Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dafür gibt es Gesetze!)

– Das ist strafbar, richtig.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Sie müssen Anzeige erstatten!)

Ich habe lange überlegt, ob ich diese Aussagen hier wörtlich vortragen soll, aber ich tue es, weil ich will, dass wir aufwachen und dass uns klar wird: Wir reden hier nicht über Kleinigkeiten oder über missverständliche oder ungeschickte Formulierungen,

(Hans-Joachim Hacker (SPD): Da greift das deutsche Recht doch jetzt schon!)

sondern über Antisemitismus in seiner krassesten Form.

(Sebastian Edathy (SPD): Wo ist der Handlungsbedarf, Frau Kollegin? – Weiterer Zuruf von der SPD: Strafgesetzbuch!)

– Sie fragen: Wo ist der Handlungsbedarf?

(Zurufe von der CDU/CSU: Unglaublich! – So eine Unverschämtheit! – Gegenruf des Abg. Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Künstliche Empörung! Alles wieder künstlich! – Rita Pawelski (CDU/CSU): Das muss geahndet werden! – Sebastian Edathy (SPD): Das ist bereits jetzt strafbar, nach geltendem Recht!)

   Meine Damen und Herren, wir sind hier in Deutschland zu Recht sehr sensibel beim Thema Antisemitismus

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Das sind wir auch!)

und deswegen frage ich Sie zum Thema „Handlungsbedarf“: Warum können solche islamistischen Hetzblätter unbeanstandet am Bahnhof Zoo hier mitten in Berlin verkauft werden?

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Streb-Hesse?

Kristina Köhler (Wiesbaden) (CDU/CSU):

Ja.

Rita Streb-Hesse (SPD):

Frau Kollegin, ich denke, Sie haben an den Reaktionen gemerkt, dass es nicht streitig ist, dass das Hetze ist und dass dagegen strafrechtlich vorgegangen werden muss.

(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Ist es aber dann nicht auch Hetze – dazu würde ich gerne Ihre Meinung hören –, wenn die CDU im hessischen Landtag in der letzten Woche fordert

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

– hören Sie bitte zu! –, dass sich die Einwanderer zur Verfassung und zu den christlich-humanistischen Werten bekennen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Ist doch richtig!)

sich aber anschließend in einer weiteren Debatte die CDU-Landesregierung und die CDU-Landtagsfraktion geschlossen hinter den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Irmer stellen, der mehrfach in den Zeitungen, die er selbst herausgibt, und in anderen Äußerungen fordert,

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ein übler Hetzer!)

dass – jetzt hören Sie genau zu – EU-Kommissar Verheugen des Hochverrats angeklagt wird, weil er sich für den Beitritt der Türkei zur EU ausgesprochen hat,

(Zuruf von der FDP: Wo ist die Frage?)

und dass eine Umerziehung von Homosexuellen stattfinden muss,

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Was hat denn das mit unserer Debatte zu tun?)

der – jetzt geht es noch weiter – seit Jahren den Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Tarek al-Wazir, aus einer binationalen Ehe stammend, mit dem Beinamen „Mohammed“ tituliert und der die Bundesjustizministerin – da weiblich – des Schwachsinns bezichtigt?

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Frau Kollegin – –

Rita Streb-Hesse (SPD):

Es ist gefordert worden, dass der Kollege diese Äußerungen zurücknimmt und sich entschuldigt. Ich denke, in einigen Punkten müsste er zivilrechtlich belangt werden. Ich bin erstaunt, wenn die gleiche Fraktion hier im Bundestag – –

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Frau Kollegin, Sie wollten eine Zwischenfrage stellen. Es ist doch recht schwierig, auf eine Frage zu antworten, die sich auf Vorgänge in einem anderen Parlament bezieht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Es stand in allen Zeitungen!)

Aber Sie können das gerne versuchen, Frau Köhler.

Kristina Köhler (Wiesbaden) (CDU/CSU):

Ich habe durchaus eine Frage gehört, Frau Streb-Hesse, nämlich ob ich das nicht ebenso unglaublich finde. Da sage ich Ihnen: nein. Ich möchte das nicht mit der Leugnung des Holocausts gleichsetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Frau Kollegin, auch der Kollege Volker Beck möchte eine Zwischenfrage stellen.

Kristina Köhler (Wiesbaden) (CDU/CSU):

Entschuldigung, ich möchte jetzt fortfahren.

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dem sind Sie wohl nicht mehr gewachsen! – Lachen bei der CDU/CSU)

   Meine Damen und Herren, das wirklich Unglaubliche ist, dass diese Blätter hier in Deutschland neben der „Frankfurter Rundschau“ und der „Welt“ einfach so verkauft werden können.

   Der Islamismus führt aber auch zu einer tagtäglichen Unterdrückung von so genannten Ungläubigen. Dabei sind „Ungläubige“ nicht nur Christen oder Nichtmuslime, sondern „Ungläubige“ im Sinne der Islamisten sind auch die ganz große Mehrheit der verfassungstreuen Muslime hier in Deutschland. Diese Gruppe ist das erste Opfer der Islamisten und vielleicht sogar ihr größtes.

   Deswegen tun wir den verfassungstreuen Muslimen bitter Unrecht, wenn wir islamistische Organisationen als Vertreter der Muslime in Deutschland anerkennen.

(Zuruf von der FDP)

– Ich finde es schön, dass Sie mir da zustimmen; denn in dem Antrag von der FDP steht, dass Sie hier keine Tabus kennen wollen, dass Sie einen Dialog mit den Repräsentanten aller muslimischen Gruppen führen wollen. Ich sage Ihnen: Für die CDU/CSU sind Organisationen tabu, die sich nicht eindeutig zu unserer Verfassung bekennen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Denn wir können es den verfassungstreuen Muslimen in Deutschland einfach nicht zumuten, Islamisten als ihre Repräsentanten anzuerkennen, weil wir nämlich ganz genau wissen, dass die riesige Mehrheit der Muslime in Deutschland mit dem Islamismus nichts zu tun hat.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Da haben Sie hundertprozentig Recht!)

   Die Bundesregierung – ich meine nicht Sie, Herr Minister Schily – hat hier weniger Berührungsängste. Da gibt es zum Beispiel den Islamrat. Der Islamrat wird dominiert von der islamistischen Vereinigung Milli Görüs, die wiederum vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Genau dieser Islamrat ist für unseren Bundesumweltminister Jürgen Trittin ein wichtiger Partner im Kampf für eine ökologischere Welt. Denn Herr Bundesumweltminister Trittin hat in seinem Haushalt ein gemeinsames Projekt mit dem Islamrat mit dem Titel „Islam und Umweltschutz am Beispiel des Wassers“.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Ich will einmal wohlmeinend unterstellen, dass der Herr Bundesumweltminister hier aus Naivität handelt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Mit Sicherheit!)

Aber genau diese Naivität können wir uns hier in Deutschland nicht mehr leisten. Wir müssen klar zwischen den Islamisten und den verfassungstreuen Muslimen unterscheiden und wir müssen uns auch endlich Gedanken darüber machen, wie wir die verfassungstreuen Muslime in ihrem Kampf gegen die Islamisten unterstützen wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

   Noch eine Bemerkung zu der notwendigen und sehr wichtigen Differenzierung zwischen Islam und Islamismus. Die Islamisten missbrauchen den Islam.

   Das ist das eine. Das andere ist: Es ist unerträglich, dass man sich bei jedem Satz gegen den Islamismus des Vorwurfs erwehren muss, man habe den Islam in Gänze gemeint.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Frau Kollegin, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Kristina Köhler (Wiesbaden) (CDU/CSU):

Nein, ich möchte jetzt fortfahren.

   Für die CDU/CSU möchte ich ein für alle Mal klarstellen, wo unsere Trennlinie liegt. Sie liegt nicht zwischen Christen und Muslimen, sondern sie liegt zwischen denen – das können Christen und Muslime sein –, die unsere grundlegenden Normen anerkennen und auf dem Boden unserer Verfassung stehen,

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und warum sollen da dann deutsch reden?)

und denen, die Intoleranz und Unterdrückung predigen und die unsere Verfassung zerstören wollen. Es geht nicht um eine Auseinandersetzung der Religionen, sondern um eine Auseinandersetzung zwischen Freiheit und Unterdrückung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Hans-Michael Goldmann (FDP): Da haben Sie Recht! – Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sagen Sie das Herrn Irmer!)

   An dieser Stelle bin ich nicht zu einem Dialog bereit. Ich weiß, dass unter dem Begriff „Dialog der Kulturen“ viel Gutes geschieht. Aber ich bin nicht bereit, über Demokratie und Menschenrechte zu verhandeln.

(Beifall bei der CDU/CSU – Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer verhandelt denn darüber?)

Die Beachtung der Menschenrechte ist eine Mindestanforderung an jeden, der in unserem Land leben möchte. Über diese Mindestanforderungen müssen wir an dieser Stelle sprechen.

(Hans-Joachim Hacker (SPD): Grundgesetz!)

   Damit sind wir bei der demokratischen Leitkultur.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ah!)

Ich weiß, dass viele von Ihnen diesen Begriff nicht mögen. Ich habe aber, ehrlich gesagt, von Ihnen noch keinen besseren Vorschlag gehört.

(Hans-Joachim Hacker (SPD): Doch: Grundgesetz!)

Unbestritten ist doch, dass eine funktionierende Gesellschaft einen Kern an gemeinsamen Normen und Werten benötigt.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Völlig klar!)

Durch diese wird die Gemeinschaft begründet, erhalten und weiterentwickelt. Dazu gehört nicht nur, die Werte unserer Verfassung anzuerkennen, sondern beispielsweise auch – Sie wollten ja Beispiele hören –, dass eine gewisse Kenntnis über die Geschichte unseres Landes vorhanden ist.

(Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Sehr richtig!)

Denn wer in Deutschland leben will, muss auch willens sein, die Lehren anzuerkennen, die wir aus unserer Geschichte gezogen haben.

(Hans-Joachim Hacker (SPD): Ein ganz gefährliches Thema!)

Wer nämlich die demokratische Leitkultur anerkennt, der wird nicht über eine „zionistische Weltverschwörung“ räsonieren. Zur demokratischen Leitkultur gehört insbesondere: keine Toleranz der Intoleranz.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Das ist eine Frage des Wissens!)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Zu einer Kurzintervention erhält die Abgeordnete Deligöz das Wort.

Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Kollegin Köhler, eigentlich wollte ich wegen eines wichtigen Termins an dieser Debatte nicht teilnehmen. Ich habe die Debatte aber am Bildschirm verfolgt und bin jetzt in den Plenarsaal gekommen, weil ich Ihnen Folgendes sagen muss: Ich bin bekennende Muslimin, aber – das gebe ich gerne zu – nicht besonders religiös. Bei solchen Debatten allerdings entdecke ich plötzlich die Religion in mir. Durch die Art und Weise, mit der Sie in dieser Debatte pauschalieren und uns alle über einen Kamm scheren,

(Widerspruch bei der CDU/CSU – Hartmut Büttner (Schönebeck) (CDU/CSU): Stimmt doch nicht!)

machen Sie mich zu einer bekennenden und religiösen Muslimin. Das ist das Ergebnis Ihres Umgangs mit diesem Thema!

(Anhaltender Widerspruch bei der CDU/CSU)

   Wenn Sie schon eine Zeitung wie „Vakit“ zitieren – ich gebe gerne zu, dass es ein wirklich verabscheuungswürdiges Zitat war –, dann müssen Sie aber auch erwähnen, dass es in Deutschland auch Zeitungen wie beispielsweise „Deutsche Stimme“, „Junge Freiheit“, und „Deutsche Nationalzeitung“ gibt. In denen finden Sie viele Stellen, die ich mindestens genau so verabscheuungswürdig finde. Trotzdem kann man nicht sagen, dass alle Christen oder alle Menschen in Deutschland hinter den Aussagen dieser Zeitungen stehen.

   Hinsichtlich Ihres Zitats will ich noch hinzufügen: Es gibt Medienvielfalt und es gibt die Pressefreiheit. Solche Meinungen zu äußern wie die, die Sie gerade zitiert haben, steht in Deutschland unter Strafe.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ein Offizialdelikt! Das wahr Volksverhetzung! – Zurufe von der CDU/CSU)

– Getroffene Hunde bellen. Was wollen Sie eigentlich? Ich finde Ihre Reaktion nicht richtig.

   Ich will noch eines sagen: Die Hinwendung zur Religion ist auch Folge einer gescheiterten Integrationspolitik, die Sie zu verantworten haben. Es hat sich in diesem Land aber etwas geändert. Denn diese Regierung hat sich zum ersten Mal zu den Migranten bekannt, also auch zur Generation meiner Eltern und zu meiner Generation. Das sollten Sie zur Kenntnis nehmen. Auch wenn Ihnen das nicht passt, dürfen Sie noch lange nicht diese richtige Politik torpedieren.

   Wir leben in diesem Land und sind ein Teil dieser Gesellschaft. Ich bekenne mich dazu, in diesem Land sehr bewusst Verantwortung zu übernehmen. Ich wehre mich aber gegen pauschale Anschuldigungen gegen Muslime, die ebenfalls einen Anspruch auf die Ausübung ihrer Religion haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Widerspruch bei der CDU/CSU)

Kristina Köhler (Wiesbaden) (CDU/CSU):

Frau Kollegin Deligöz, Sie haben mir eben Pauschalierung vorgeworfen. Ich möchte Sie bitten, mir im Anschluss, wenn das Protokoll meiner Rede vorliegt, zu zeigen, in welchem Satz ich pauschaliert habe. Ich habe den Unterschied zwischen Muslimen und Islamisten ganz deutlich herausgestellt. Ich habe mich genau dagegen verwahrt, dass ein Angriff auf den Islamismus immer als ein Angriff auf den Islam umgedeutet wird. Entschuldigung, das haben Sie eben wieder getan.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: Ja, das war kein guter Beitrag!)

   Zum Zweiten. Sie haben die Zeitung „Vakit“ angesprochen. Ich glaube, wir sind uns einig, dass die von mir zitierte Aussage auf keinen Fall von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, sondern Volksverhetzung ist.

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

– Ja, das hat sie gesagt. – Es wäre doch hier der richtige Ort, die Verantwortlichen in diesem Hause zu fragen, warum das einfach so geschieht und warum zum Beispiel der Verfassungsschutz nichts tut.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie sind doch verantwortlich!)

Warum kann eine Zeitung mit einer solchen Aussage in Deutschland verkauft werden?

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das gehört vor Gericht und nicht in den Deutschen Bundestag!)

Ich glaube nicht, dass ich gestern zufällig auf das erste Exemplar gestoßen bin, in dem eine solche antisemitische Hetze stattfindet.

   Wir dulden das hier in Deutschland und das muss sich ändern!

(Beifall bei der CDU/CSU – Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das duldet doch keiner! Waren Sie bei der Staatsanwaltschaft?)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Sebastian Edathy.

(Unruhe)

– Ich möchte alle Seiten bitten, die Emotionen ein bisschen herunterzukochen. Wir alle wissen, dass das eine besonders schwierige Debatte ist; dafür sprechen ja auch die Reaktionen. Aber man sollte sich gegenseitig noch zuhören können. – Bitte.

Sebastian Edathy (SPD):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Köhler, Sie haben Recht: Das Wissen um deutsche Geschichte zu mehren muss unser aller Anliegen sein. Mein Vater ist in Indien geboren worden. Er hat mir vor kurzem erzählt, dass er bei einem Skatabend, als er das Stichwort „Bismarck“ aufbrachte, gefragt worden ist, ob das der mit dem Hering sei. Das war eine Antwort eines deutschen Mitbürgers. Insofern hat dieses Anliegen nicht viel mit dem Thema „Leitkultur“ oder gar „Integration“ zu tun.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Die Debatte über das Thema Integration hat in den vergangenen Wochen mitunter Züge getragen, angesichts deren ich mich bisweilen gefragt habe, über welches Land eigentlich geredet wird. Über Deutschland, dessen Geschichte und Gegenwart stets von Migration mitgeprägt wurde und wird und das sich durch Pluralität auszeichnet? Unser Land hat mit seiner Heterogenität überwiegend gute Erfahrungen gemacht, mit Ideologien des Homogenitätsstrebens aber stets nur schlechte. Deshalb kann man sagen: Die große Vielseitigkeit unseres Landes gehört eindeutig eher zu seinen Stärken als zu seinen Schwächen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Meine Damen und Herren, zu den diesjährigen Preisträgern des Wettbewerbs „Jugend forscht“ gehören Jakob Bierwagen und Julia Oberland ebenso wie Giuseppe Nicolaci, Nikon Rasumov und Masud Sultan. Auf die Leistungen dieser jungen Leute können wir gleichermaßen stolz sein.

   Einer der populärsten zeitgenössischen Autoren hierzulande ist Wladimir Kaminer. Der erste deutsche Film, der nach 20 Jahren wieder einen Goldenen Bären gewann, wurde von Fatih Akin gedreht. Xavier Naidoo ist einer der meistgehörten deutschen Popkünstler. Ohne Gerald Asamoah, Miroslav Klose und Kevin Kuranyi wäre es – auch das ist richtig – um die Offensivkraft der deutschen Fußballnationalmannschaft eher schlecht bestellt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Aber das versteht die CDU/CSU nicht!)

   Was verbindet die Menschen unseres Landes gleich welcher Herkunft oder Religion? Im demokratischen und sozialen Rechtsstaat Deutschland kann es darauf nur eine Antwort geben: Die – ausreichende – Grundlage für das Zusammenleben aller Menschen in diesem Land ist das Grundgesetz, unsere Verfassung, sonst nichts.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Über die Einhaltung dieser Verfassung – auch das gehört zur Realität im Einwanderungsland Deutschland – wacht übrigens unter anderem Verfassungsrichter Udo Di Fabio, der Enkel eines Zechenarbeiters, der aus Italien in das Ruhrgebiet eingewandert ist.

   Wir waren uns in diesem Hause nach den Terrorattacken vom 11. September 2001 darüber einig, dass wir nicht der falschen These vom Kampf der Kulturen, festgemacht am Religionsbegriff, das Wort reden. Es wäre falsch, es wäre verheerend, diese gemeinsame Position aufzugeben oder hinter ihr zurückzufallen. Es ist gleichermaßen falsch, eine Debatte über Integrationsfragen zuvorderst als sicherheitspolitische Debatte zu führen. Diesen Vorwurf, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU, muss man Ihnen an dieser Stelle machen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Es wäre verwerflich und zutiefst beleidigend, wenn man bei den über 3 Millionen Menschen muslimischen Glaubens in Deutschland auch nur annähernd den Eindruck erweckte – in den letzten Wochen könnte dies auch aufgrund mancher unbedachter Worte leider geschehen sein –, sie würden unter den Pauschalverdacht gestellt, potenzielle Extremisten zu sein. Das wäre falsch. Islamismus hat mit dem Islam ebenso wenig zu tun wie seinerzeit die Kreuzzüge mit den Grundwerten des Christentums.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann (FDP))

   Friedrich der Große – nicht unbedingt ein Republikaner – hat einmal zutreffend bemerkt:

Alle Religionen sind gleich und gut, wenn nur die Leute, die sich zu ihnen bekennen, ehrliche Leute sind.
(Zuruf von der SPD: Das ist wahr!)

Meine Damen und Herren, aus guten Gründen ist die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses Bestandteil des Grundgesetzes. Zugleich gilt: Das Wirken von Hasspredigern, gleich welcher religiöser oder ideologischer Couleur, kann und darf nicht geduldet werden. Unsere Demokratie ist wehrhaft; Extremismus, egal welcher Art, wird stets den gemeinsamen Widerstand der Demokraten finden.

   Wie Sie vielleicht wissen, bin ich Mitglied der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover. Ich weiß nicht, ob ich hier der einzige bin; Herr Goldmann, wie ist das mit Ihnen?

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Ich bin katholisch!)

Na ja!

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Etwas mehr Toleranz bitte!)

Als Mitglied dieser Landeskirche sage ich: Wer meint, als Christ in Deutschland den Muslimen in Deutschland Integrationsbereitschaft pauschal absprechen zu dürfen,

(Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Das hat auch keiner gemacht!)

der sei insbesondere an das neunte Gebot erinnert, das da lautet:

Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.
(Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Wer hat das denn gemacht?)

Denn es ist doch wahr: Das Zusammenleben in Deutschland gestaltet sich ganz überwiegend friedlich und zivilisiert. Das spricht für die Stärke und Stabilität unserer Gesellschaftsordnung. Diese Stärke und Stabilität zu bestreiten, wäre falsch und würde die Wirklichkeit verzerren; es wäre zudem höchst unpatriotisch.

   Wahr ist aber auch: Es gibt Defizite. Der Anteil von Schulabbrechern mit Migrationshintergrund ist zu hoch, die Beherrschung der deutschen Sprache als entscheidender Schlüssel für gelingende Integration vielfach nicht ausreichend. Hier wirken sich Versäumnisse der Vergangenheitsfolgen schwer aus.

   CDU und CSU haben lange Zeit verneint, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist und dass viele der Menschen, die in dieses Land kamen, nicht Gäste waren, sondern Nachbarn und neue Mitbürger wurden. Von dieser Realitätsverweigerung war in den 80er-Jahren und in weiten Teilen der 90er-Jahre die Bundespolitik geprägt.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So denken die doch immer noch!)

Eine zeitgemäße Reform des Staatsbürgerschaftsrechtes und ein Zuwanderungsgesetz, das unter anderem eine systematische Sprachförderung vorsieht, konnten im Interesse unseres Landes erst von einer rot-grünen Bundestagsmehrheit durchgesetzt werden.

(Zuruf von der SPD: Jawohl!)

   Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, ist es nicht angebracht, wenn Sie in den Mittelpunkt Ihrer Äußerungen die Klage darüber stellen, dass diejenigen, denen Sie lange Zeit die Zugehörigkeit zu unserem Gemeinwesen abgesprochen haben, zu wenig Zugehörigkeitsgefühle entwickelt hätten und dass diejenigen, denen man die Schlüssel zur Öffnung der Türen in unsere Gesellschaft lange Zeit vorenthalten hat, im gemeinsamen deutschen Haus ihre Zimmer zu selten verlassen. Helfen Sie mit, insbesondere in den von Ihnen regierten Bundesländern – so, wie wir es auf Bundesebene tun –, Integrationsprozesse zu fördern und zu unterstützen, auch materiell und finanziell.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Achten wir gemeinsam darauf, soziale Probleme nicht zu ethnisieren oder zur Angelegenheit einer Religionsgemeinschaft zu erklären. Es sind ja nicht die Kinder von aus der Türkei kommenden Chirurgen oder – wenn ich an meinen Vater denke – indischstämmigen Pastoren, die Schwierigkeiten haben, ihre Teilhabechancen in unserem Land zu nutzen. Vielmehr reden wir doch von unterprivilegierten, sozial schwachen Menschen, und dabei nicht nur von Menschen mit Migrationshintergrund, deren Familien seit kurzem oder seit wenigen Generationen in Deutschland leben. Wir reden auch von Nichtmigrantenfamilien, in denen es Tendenzen zur Verfestigung eines Status der Benachteiligung gibt.

   Wir sind es nicht zuletzt unserer Selbstachtung als Mitglieder einer offenen, keinem Klassendenken verhafteten Gesellschaft schuldig, gemeinsam dafür Sorge zu tragen, dass insbesondere mit Blick auf heranwachsende Generationen das Motto der Jugenddörfer auch unser Leitsatz wird: Keiner darf verloren gehen!

   Einige Bausteine zum Erreichen dieses Ziels sind der Ausbau der Betreuung von Kindern im Vorschulalter, wo nötig eine möglichst früh einsetzende Sprachförderung, mehr Durchlässigkeit im Schulwesen, Religionsunterricht unter staatlicher Aufsicht und eine Ausweitung von Qualifizierungsmaßnahmen für junge Bürger ohne Schulabschluss.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Denn wir stellen fest: Anfällig für extremistische Parolen sind Menschen, die keine Perspektive sehen. Das gilt für den Rechtsextremismus genauso wie für den Islamismus. Dem entgegenzuwirken, ist unsere gemeinsame Aufgabe.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Ein Zusammenleben in Respekt der Menschen untereinander, in Achtung vor der Würde des anderen, ohne Angst vor Verschiedenheit ist möglich. Dieses Zusammenleben zu gestalten, ist zugleich der Auftrag des Grundgesetzes, den zu erfüllen wir immer wieder aufs Neue gefordert sind.

   Am Vorabend des 60. Jahrestages des Kriegsendes können wir selbstbewusst feststellen: Das Maß an Zivilisierung der deutschen Gesellschaft war noch nie so groß wie heute. Darauf können wir gemeinsam stolz sein. Wir müssen aber zugleich darauf achten, dies nicht als Selbstverständlichkeit zu betrachten. Wir müssen vielmehr dafür Sorge tragen, dieses kostbare Gut zu wahren und zu mehren. Dazu gehört, Konflikte, die es in einem offenen Land immer geben wird, friedlich auszutragen.

   Unserer Gesellschaft tut es nicht gut und sie entwickelt sich nicht gut weiter, wenn man sie in Gruppen, in Teile spaltet. Nicht um Teile, sondern um das Ganze geht es. Das im Auge zu behalten, rational und mit behutsamer Sprache zu argumentieren statt zu stigmatisieren, die breite Grundlage unseres Gemeinwesens zu stärken und in dessen Vielseitigkeit nicht zuerst ein Risiko, sondern zuerst eine Chance zu erblicken, sollte uns leiten. Auf diesem schwierigen Weg gab und gibt es viele Unwägbarkeiten – das wird auch so bleiben – und dieser Weg ist bisweilen steinig. Aber es gibt nur diesen Weg; denn alle anderen würden in eine Sackgasse führen.

   Auf ein Deutschland, in dem das Zusammenleben von Menschen verschiedenster Herkunft, Religionen und Weltanschauungen auf der Basis der gemeinsamen Werte unseres Grundgesetzes nicht nur gelingt, sondern selbstverständlich geworden ist, können wir zu Recht stolz sein. An der Weiterentwicklung unseres Landes in diesem Sinne zu arbeiten, ist unser aller Verpflichtung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Max Stadler.

Dr. Max Stadler (FDP):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die FDP-Fraktion will mit ihrem heutigen Antrag und insbesondere mit dem von meinem Kollegen Klaus Haupt entwickelten Integrationskonzept einen Beitrag zur Versachlichung der Integrationsdebatte leisten. Dies scheint mir angesichts des Verlaufs der heutigen Debatte dringend erforderlich.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Wir haben heute wieder gesehen, dass die Verwendung ideologisch besetzter Begriffe wie „Multikulti“ oder „Leitkultur“

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ach Max!)

eher dazu führt, dass die Kontrahenten aneinander vorbeireden. Das führt ebenso wenig weiter, wie es etwas bringen würde, wenn man sich in der Argumentation ausschließlich auf Negativbeispiele stützen oder gar die Augen vor den Problemen verschließen würde.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

   Frau Kollegin Köhler, die unerträgliche Passage aus einer Zeitung, die Sie vorhin zitiert haben, ist ein Fall für die Staatsanwaltschaft in Berlin.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ist es!)

Wenn sie davon Kenntnis erlangt, muss sie einschreiten. Das ist völlig selbstverständlich. Bei uns gilt zwar das Recht auf Meinungsfreiheit, aber das hat Grenzen. Es ist wichtig, das festzuhalten, weil wir gleich darauf zurückkommen.

(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   In der jetzigen Situation brauchen wir pragmatische Lösungen. Diese pragmatischen Lösungen haben ihre Basis in den Grundwerten unserer Verfassung. Ich nenne Ihnen aus dem Konzept der FDP-Fraktion ein Beispiel: Wir wollen – wie viele andere dies jetzt auch fordern –, dass für Kinder im Vorschulalter Sprachtests verpflichtend sind, damit man die Kinder gegebenenfalls entsprechend fördern kann, damit in der ersten Grundschulklasse alle so viele Deutschkenntnisse haben, dass ihre Bildungschancen nicht gemindert sind. Ein zentraler Grundsatz unseres Grundgesetzes lautet: gleiche Bildungschancen für alle.

   Bei dieser Debatte können wir immer wieder auf das Grundgesetz zurückgreifen. Im Zentrum steht natürlich die Achtung der Menschenwürde, die in Art. 1 niedergeschrieben ist und vorangeschickt werden muss. Ich darf aber darauf aufmerksam machen, dass das Grundgesetz noch drei weitere deutliche Aussagen enthält, die für die Integrationsdebatte bedeutsam sind, nämlich erstens die Gewährleistung der persönlichen Freiheit, zweitens die Grenzen, die die Freiheitsrechte finden, und drittens die Chance auf gesellschaftliche Teilhabe.

   Zum Ersten. Das Grundgesetz sichert jedem Einzelnen seine persönliche Freiheit zu, auch die persönliche Freiheit, gemäß den eigenen kulturellen Wurzeln zu leben. Kulturelle Vielfalt wird im Grundgesetz somit ausdrücklich anerkannt.

   Zum Zweiten. Das Grundgesetz kennt nicht nur Grundrechte, sondern auch Grundpflichten. Ich nenne in diesem Zusammenhang ganz bewusst das Beispiel, dass es nicht nur ein Erziehungsrecht der Eltern gibt, sondern dass in Art. 6 des Grundgesetzes ausdrücklich von der elterlichen Pflicht zur Erziehung gesprochen wird.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sogar zuvörderst!)

   In Art. 2 des Grundgesetzes wird jedem das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit verbürgt, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt. Das heißt, kulturelle Eigenheiten und Freiheitsrechte finden ihre Grenzen in Grundpflichten und in der Wahrung der Rechte anderer. Deswegen ist es selbstverständlich ein liberales Grundanliegen, wenn wir etwa mit aller Entschiedenheit gegen Zwangsverheiratungen von Frauen vorgehen.

(Beifall bei der FDP – Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die sind schon verboten! Das steht schon im Gesetzblatt!)

Dazu hat die FDP in Baden-Württemberg eine Initiative gestartet.

   Zum Dritten. Die Grundrechte – dieser Punkt ist wichtig; allerdings gerät er manchmal in Vergessenheit – sind auch dadurch gekennzeichnet, dass sie jedem Einzelnen das Recht auf aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und an politischen Entscheidungen zubilligen. Deswegen stelle ich die Frage: Warum sollten Menschen, die bereits länger als fünf Jahre rechtmäßig in Deutschland leben, über kommunale Angelegenheiten, also über ihren eigenen unmittelbaren Lebensbereich, nicht mitbestimmen dürfen?

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Meine Damen und Herren, auch in der heutigen Debatte dürfen wir nicht so tun, als gäbe es die Bemühungen um Integration erst seit zwei oder drei Wochen. Selbstverständlich arbeiten viele Menschen seit Jahren und zum Teil auch mit großem Erfolg daran. Aber wir hätten mit dem Zuwanderungsgesetz schon vor Jahren eine neue Qualität der Integrationspolitik schaffen können, wenn wir nicht viel zu viel Zeit durch unnötigen Streit verloren hätten.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das zum Beispiel von der SPD-Fraktion wohlmeinend ausgerufene „Jahrzehnt der Integration“ ließ bisher auf sich warten. Das muss jetzt endlich angepackt werden.

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Wie selbstgerecht! Herr Stadler hat ja auch blockiert!)

   Meine Damen und Herren, wir waren, was den Integrationsteil des Zuwanderungsgesetzes betrifft, nicht mutig genug. Die nachholende Integration blieb nahezu ausgespart. Das heißt auf Deutsch: Was macht es für einen Sinn, dass jemandem, der am 2. Januar nächsten Jahres nach Deutschland einreist, ein Deutschkurs angeboten wird, jemandem, der am heutigen 2. Dezember einreist, aber nicht, obwohl beide wahrscheinlich ungefähr die gleiche Zeit hier bleiben werden? Ich halte das für einen schweren Fehler.

   Warum gibt es eigentlich keine angemessene Regelung, die vorsieht, dass wir Menschen, die seit vielen Jahren mit ihren Familien hier leben, deren Kinder hier geboren sind und die bestens integriert sind, hier behalten und ihnen erlauben können, dauerhaft in Deutschland zu leben? Auch eine solche Regelung zu schaffen, das ist im Zuwanderungsgesetz nicht gelungen.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wahrscheinlich war es falsch, dass wir Juristen am Ende der Verhandlungen unter uns waren. Integration ist nämlich eine Aufgabe für alle.

   Daher greift die FDP-Fraktion den Vorschlag von Guido Westerwelle auf, der verlangt hat, einen „Runden Tisch der Religionen“ ins Leben zu rufen. Wir brauchen, wie ich es vorgeschlagen habe, –

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Herr Kollege Stadler!

Dr. Max Stadler (FDP):

– tatsächlich einen pragmatischen Dialog ohne Berührungsängste mit all denen, die bereit sind, die Wertvorstellungen des Grundgesetzes weiter zu transportieren, sodass sie bei allen Menschen, die in Deutschland leben, bald Gemeingut sind.

   Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt die Parlamentarische Staatssekretärin Marieluise Beck.

Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend; Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Stadler, Sie haben mir in vielen Punkten aus dem Herzen gesprochen.

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Das kann nicht überraschen!)

Wir haben noch einen langen Weg vor uns, was die integrationspolitischen Angebote von uns als aufnehmender Gesellschaft anbelangt. Wir werden uns sicherlich noch viele Male damit auseinander setzen, in diesem Haus und auf der Ebene der Länder und Kommunen, wo ein wesentlicher Teil der Integrationsarbeit geleistet wird.

   Wir sind uns einig, dass jeder Extremismus, der die Religion über die Gesetze des Staates stellt, mit einem demokratischen Rechtsstaat nicht vereinbar ist. Deswegen soll und muss der demokratische Staat den Islamismus mit allen rechtsstaatlichen Mitteln bekämpfen. Dazu gehört das Strafrecht, Frau Köhler, dazu gehört – wie ich auch gefordert habe – mehr Fremdsprachenkompetenz bei der Polizei und beim Verfassungsschutz, damit islamistische Quellen ausgemacht werden.

   Doch wir alle sagen: Islamismus ist nicht gleichzusetzen mit Islam. Ich füge hinzu: Auch religiöser Konservativismus ist nicht gleichzusetzen mit Islamismus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben die Aufgabe, uns jeder Generalverdächtigung von Muslimen entgegenzustellen, weil wir nicht ausgrenzen wollen; es würde sich ja eines Tages gegen uns wenden, wenn wir ausgrenzen würden. Wenn wir wollen, dass sich jemand zu diesem Land und zu seinen Werten bekennt, dürfen wir ihn nicht von vornherein unter Verdacht stellen.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Das ist richtig!)

Wir brauchen den Dialog mit den Muslimen und wir müssen ehrlich bezeugen, dass wir gewillt sind, den Islam als Religion gleich zu behandeln. Aus Dialog, Anerkennung und Repression besteht der Dreischritt, mit dem wir den politischen Islamismus austrocknen können.

   In den letzten vierzig Jahren sind Anhänger einer uns weitgehend fremden Religionsgemeinschaft zugewandert. Lange war diese Religion in unserem Lande nicht sichtbar und wir haben als aufnehmende Gesellschaft viel zu lange nicht gehandelt. Noch immer ist der deutschsprachige islamische Religionsunterricht in unseren Schulen über Modellprojekte nicht hinausgekommen. Noch immer steckt die Ausbildung von Imamen an deutschen Universitäten in den Kinderschuhen und es fehlt an einem kontinuierlichen Dialog mit den Muslimen. Dieser ist nicht leicht – ich weiß, wovon ich spreche –, weil die Organisationen oft undurchsichtig sind und man sich durchaus auf einem schwierigen Terrain befindet, wenn man mit den Verbänden zusammentrifft. Es gibt immer noch kaum kluge Ansätze, wie auch die Muslime zu einer institutionellen Organisationsform kommen können, in der der Staat ein verlässliches Gegenüber hat. Der Kollege Koschyk ist jetzt nicht da, daher bitte ich, es ihm auszurichten: Das ist das, was unter Staatskirchenrecht zu verstehen ist.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das soll er einmal nachlesen!)

   Spannend ist, was der neu gewählte Vorsitzende der bürgerlich-konservativen französischen Regierungspartei, Nicolas Sarkozy, seinen Franzosen ins Stammbuch schreibt:

Die Integration setzt weiterhin voraus, daß die Republik Platz macht. Viele unserer muslimischen Mitbürger haben das nicht unbegründete Gefühl, daß es ihnen schwerer gemacht wird als anderen Franzosen, einen Platz zu finden.

Diese Beschreibung, meine Damen und Herren, trifft leider auch auf Deutschland zu.

   Pluralität ist Kennzeichen von Einwanderungsgesellschaften, von modernen Gesellschaften überhaupt. Gerade deshalb müssen auch wir fragen, was unsere Gesellschaft zusammenhält. Im Kern geht es um die Frage des Zusammenlebens in unserem demokratischen Rechtsstaat; auf der Grundlage unserer Verfassungswerte.

   Ich habe vorgeschlagen, dass wir die Einwanderer zum Patriotismus einladen. Die Einladung bedeutet, dass unsere Verfassung auch ihre Verfassung ist. Wer nicht eingeladen wird, der gesellt sich auch nicht dazu.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wer nicht anerkannt wird, der identifiziert sich auch nicht. Es darf nicht um Ausgrenzung gehen, sondern es muss immer um Einbeziehung gehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wir sollten unsere Kraft darein legen, dass die Dazugekommenen sich wirklich zugehörig fühlen können, ohne dass sie der Herkunft ihrer Eltern, ihrer Religion oder ihrer Kultur abschwören müssten. Das schafft Identifikation und öffnet die Türen für Integration.

   Unsere Verfassung fordert Freiheit der Meinungen und Religionen, nicht ihre Übereinstimmung. Unsere Verfassung lässt kulturelle Differenz zu, ja sie begreift sie als Recht: Es gibt ein Recht auf Differenz, es gibt ein Recht auf Anderssein. Es geht darum, abweichende Lebensweisen – auf der Basis gemeinsamer Grundwerte – anzuerkennen.

Weil der Begriff „Leitkultur“ so unscharf ist, hat der Kollege Schäuble nicht umsonst gesagt, er schlage vor, ihn besser nicht weiter zu verwenden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

   Toleranz heißt deshalb auch: Zumutungen aushalten.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja. – Für die einen ist das Kopftuch eine Zumutung, für die anderen eine künstlerische Persiflage auf den Koran oder die Bibel.

   Es gibt nicht die Muslime, die Türken und auch nicht die Deutschen.

(Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Sehr wahr!)

Das sollte unsere Grundhaltung sein.

   Frau Präsidentin, zum Schluss möchte ich die Kolleginnen und Kollegen gerne noch dazu auffordern, ins Kino zu gehen. Gönnen Sie sich den Film „Rhythm is it!“ In ihm können Sie sehen, wie die bewundernswerten Künstler Sir Simon Rattle und Royston Maldoom junge Menschen – unter ihnen sind viele Migranten – zu einer atemberaubenden künstlerischen Hochleistung bringen. Sie verlangen diesen Menschen viel ab.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Frau Kollegin, bitte. Ich glaube, Ihr Tipp ist angekommen.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sie fordern Anstrengung und Disziplin und glauben an ihre Fähigkeiten. Dies könnte auch unser integrationspolitisches Motto sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Reinhard Grindel.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Reinhard Grindel (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser Bundespräsident Horst Köhler hat sich gestern in Tübingen erstmals zur Integrationsdebatte geäußert. Er sagte:

Keine Gruppe darf aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden, keiner aber darf sich auch selber ausschließen.

Toleranz sei deshalb nicht mit Gleichgültigkeit und Ignoranz zu verwechseln.

   Es ist sicher richtig und muss festgehalten werden: Die Mehrheit der Muslime bei uns ist integrationsbereit und achtet unsere Gesetze und Verfassungsprinzipien. Es wächst aber die Zahl derjenigen, die auf Abschottung setzen, die über Moscheevereine fundamentalistisches Gedankengut verbreiten, die Eltern zwingen, ihre Kinder in die Koranschule zu schicken, sodass sie nicht mit ihren deutschen Mitschülern spielen können, und die Integration verhindern wollen. Zentrale Aufgabe der Politik muss es daher sein, die integrationswilligen und weltoffenen ausländischen Mitbürger zu unterstützen und sie in ihrem Wunsch zu stärken, in Deutschland selbstbestimmt zu leben. Das ist unsere Aufgabe. Daran müssen wir härter als bisher arbeiten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Die Vorsitzenden der Grünen haben in diesen Tagen dagegen einen Aufsatz im „Tagesspiegel“ unter dem Motto „Multikulti ist Freiheit“ veröffentlicht.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Multi-Kulti“ stand nicht darüber!)

Frau Roth, das ist abwegig. Multikulti toleriert islamisierte Räume in unseren Städten und Verhaltensweisen von Ausländern, die zu Unfreiheit führen. Keine Toleranz gegenüber Intoleranten – das schafft Freiheit und Rahmenbedingungen, die wir für die Integration brauchen. So muss es sein. Frau Roth, das, was Sie multikultimäßig als Freiheit definiert haben, brauchen wir nicht.

   Die türkischstämmige Schauspielern Sibel Kekilli hat in dieser Woche dem „Focus“ ein eindrucksvolles Interview gegeben, in dem sie die Unterdrückung muslimischer Frauen und Mädchen anprangert. Sie sagt:

Aber ich finde, von deutscher Seite darf auch nicht weggeguckt werden. Es fängt im Kleinen an: Deutsche Gerichte fällten Urteile, dass muslimische Mädchen wegen der Religion ihrer Eltern nicht zum Sport und auf Klassenfahrten durften. Was ist denn das für eine Toleranz, die auf Kosten der Mädchen geht?
(Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Richtig!)

   Ich frage vor allem die Grünen: Was ist eigentlich aus Ihrem Anspruch auf Emanzipation geworden?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Frau Roth, Sie lassen die Mädchen, von denen Sibel Kekilli zu Recht spricht, im Stich und machen die Unterdrückung noch schlimmer, indem Sie solche Mädchen am liebsten auch noch in den Schulen mit Kopftuch tragenden Lehrerinnen konfrontieren wollen. Das ist ein völlig falscher Weg, mit dem Sie gerade diesen Mädchen nicht gerecht werden.

(Beifall bei der CDU/CSU – Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist gut, wenn Sie sich um Frauen- und Mädchenrechte kümmern!)

   Wir wollen Selbstbestimmung und Integration. Wir wollen kein Klima des Nebeneinanders, aus dem schnell ein Gegeneinander wird, wir wollen ein Klima des Miteinanders. Mich bedrückt es, dass immer erst etwas Schlimmes wie der Anschlag auf Theo van Gogh geschehen muss, bevor wir über die wirklichen Probleme beim Zusammenleben von Ausländern und Deutschen sprechen.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Von wann ist denn Ihr Antrag? – Hans-Michael Goldmann (FDP): Das ist gelebte Intoleranz!)

   Jetzt sagen alle, Deutsch sei der Schlüssel zur Integration. Das haben wir als Union immer gesagt. SPD und Grüne schreiben in ihrem Antrag zum Thema Integrationskurse:

Nach dem Grundsatz des „Förderns und Forderns“ werden Rechte und Pflichten klar formuliert.

   Schön wär’s, kann ich dazu nur sagen. Wir haben bei den Zuwanderungsverhandlungen eindringlich und nachdrücklich an Sie appelliert, Integrationskurse verpflichtend zu machen. Wir wollten, dass künftig niemand eine Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis bekommt, der nicht erfolgreich einen Integrationskurs besucht hat. Damit wollten wir erreichen, dass auch diejenigen, die in einer Parallelgesellschaft leben, den Zwang spüren, einen Integrationskurs zu besuchen, sodass wir über diesen Weg an die Menschen herankommen, um ihnen auch Beratungsangebote zu machen.

   Das wäre ein überzeugendes Integrationskonzept.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Sonntag-Wolgast?

Reinhard Grindel (CDU/CSU):

Ich möchte erst diesen Gedanken zu Ende führen. – Sie haben den Ansatz, Integrationskurse verpflichtend zu machen, aus ideologischen Gründen verhindert. In Ihrem Antrag schreiben Sie:

Mit der Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes sind die vielfältigen integrationspolitischen Versäumnisse der Vergangenheit aber nicht vollständig ausgeräumt.

Dazu kann ich nur sagen: Fassen Sie sich an Ihre eigene Nase. An CDU und CSU liegt es wirklich nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU – Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was haben Sie denn 16 Jahre gemacht? Was haben Sie denn in Ihrer Regierungszeit gemacht?)

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD):

Herr Kollege Grindel, nun sind Sie zwar erst seit dieser Legislaturperiode Mitglied des Deutschen Bundestages. Aber es sollte doch auch vorher Ihrer Aufmerksamkeit nicht entgangen sein, wo die Hauptversäumnisse der Integrationspolitik der letzten drei bis vier Jahrzehnte lagen und dass es die rot-grüne Koalition war, die zum Beispiel mit der Staatsbürgerschaftsreform Anforderungen an die Sprachkenntnisse und die Verfassungstreue der Eingewanderten stellte. Im Zuwanderungsgesetz, das weite Teile Ihrer Partei nach Kräften bekämpft haben, wird endlich auch das Kernstück der Integration, Sprachkurse nach dem Grundsatz des Förderns und Forderns, konsequent als Ziel verfolgt. Das kann doch Ihrer Aufmerksamkeit nicht entgangen sein, sodass Sie hier zu behaupten wagen, es gebe tief greifende Versäumnisse.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ilse Falk (CDU/CSU): Wo ist die Frage?)

Reinhard Grindel (CDU/CSU):

Erste Antwort: Ich kann nicht erkennen, dass die wachsende Zahl von Einbürgerungen die Integration tatsächlich gefördert hätte. Genau das Gegenteil ist der Fall.

(Sebastian Edathy (SPD): Das Gegenteil ist der Fall?)

Mit der Optionsregelung, die Sie bei der Staatsbürgerschaft eingeführt haben, mit der ausländische Kinder Deutsche werden können, ohne Deutsch sprechen zu können und ohne einen Bezug zu unserem Land zu haben, sorgen Sie dafür, dass Integration eben nicht erreicht wird, Frau Dr. Sonntag-Wolgast.

(Widerspruch bei der SPD)

   Zweite Antwort: Die PISA-Studie beweist – das ist ein Beispiel für Integration –, dass ausländische Kinder in Bayern einen größeren Schulerfolg haben als deutsche Kinder in Bremen. Das sollte Ihnen zu denken geben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

   Ich nenne Ihnen ein weiteres Beispiel: Länder und Kommunen warten seit Monaten auf die Verordnung zu den Integrationskursen. Die Grünen haben diese lange verhindert. Sie haben versucht – der Bundesinnenminister weiß das –, die Anforderungen an das Sprachniveau zu senken. Darüber hinaus haben Sie Ausnahmetatbestände durchgedrückt, bei denen Ausländer die Kurse doch nicht besuchen müssen. Erst gestern ist die Verordnung nun endlich beschlossen worden. Eine gute Vorbereitung für die Integrationskurse, die wir wohl alle als wichtig erachten, ist dadurch um Monate verzögert worden. Bei der ersten Nagelprobe, bei der Sie zeigen konnten, wie ernst Sie es mit der Integration nehmen, war Ihnen Ideologie wichtiger, als ein ordentliches Konzept vorzubereiten, mit dem vor Ort tatsächlich Probleme gelöst werden können, statt Ideologien zu frönen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer gibt denn die Mittel für die Integration?)

   Der SPD-Bürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky, hat in diesen Tagen immer wieder erklärt, es gebe bei der Integration Rückschritte und in den Parallelgesellschaften seines Bezirks hätten junge Muslime wenig Zukunftsperspektiven. Die Zahl junger Menschen, die dort ohne Abschluss die Schule verlassen, wachse ständig an. – Ich will darauf verweisen, dass es an deutschen Hochschulen rund 30 000 muslimische Studentinnen gibt, die sehr erfolgreich sind. Aber kaum eine von ihnen trägt ein Kopftuch. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es einen Zusammenhang zwischen guter beruflicher Perspektive und der Frage gibt, ob Eltern ihren Kindern die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben in Deutschland geben, bei dem die Kinder selbst entscheiden dürfen, welchen Weg sie gehen wollen.

   Viele Moscheen – das hat unsere öffentliche Anhörung zu islamistischen Einflüssen auf Staat und Gesellschaft gezeigt – sind mittlerweile weniger Gotteshäuser als vielmehr umfassende Kulturzentren, in denen Bildung, politische Informationen und Freizeitgestaltung stattfinden und in denen Kinder ihr Wochenende verbringen müssen. Deshalb darf uns nicht gleichgültig sein, was dort vermittelt wird. Deshalb ist die Forderung richtig, dass Imame Deutsch können und unser kulturelles Leben kennen müssen.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)

   Wir haben – einige Vertreter Ihrer Fraktion wie Frau Akgün waren dabei – mit einer Gruppe des Innenausschusses bereits bei einem Besuch im Juni in Ankara den Leiter des türkischen Amtes für Religionsfragen darum gebeten, dass Imame Deutschkurse besuchen, bevor sie zu uns kommen und auch länger bei uns bleiben dürfen.

Er hat dem zwar sehr zugestimmt und gesagt, es solle sich etwas ändern; aber geschehen – Frau Kollegin Roth, Sie wissen das – ist bis heute nichts. Ich fordere von dieser Stelle gerade die türkische Regierung auf, uns bei unseren Integrationsbemühungen wirklich zu unterstützen und den Ankündigungen auch Taten folgen zu lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wahr ist leider auch: Moscheen werden immer mehr zum Treffpunkt für radikale und gewaltbereite Islamisten und zu Orten von Indoktrination und Volksverhetzung. SPD und Grüne schreiben stolz in ihrem Antrag:

Das neue Zuwanderungsgesetz ermöglicht die Ausweisung von gefährlichen ... Hetzern, die die Freiheitsrechte unserer verfassungsrechtlichen Grundordnung missbrauchen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und von den Grünen, fair wäre es gewesen, wenn Sie in Ihrem Antrag hinzugefügt hätten: Und wir danken CDU und CSU dafür, dass sie so nachdrücklich dafür gesorgt haben, dass im Zuwanderungsgesetz etwas für mehr Sicherheit getan wird. – Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, könnten wir Hassprediger und Terrorverdächtige in Zukunft nicht ausweisen.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Das ist Unsinn!)

Es waren wir – die CDU/CSU –, die – auch über unsere Kollegen in den Bundesländern – diese Bestimmung in das Zuwanderungsgesetz hineingebracht haben.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Geschichtsklitterung!)

Das gilt es festzuhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Das ist demagogisch!)

   Ich komme zum Schluss.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD: Gott sei Dank!)

Multikulti ist in Wahrheit Kuddelmuddel. Es ist eine Lebenslüge, weil Multikulti in vielen Vierteln eben nur Monokultur geschaffen hat, wo Anreize zur Integration fehlen. Sibel Kekilli meint dazu in ihrem „Focus“-Interview, das ich bereits erwähnt habe:

Die Politiker müssen unbedingt klar machen, dass ein Nebeneinander nicht geht.

Dem kann man nur zustimmen. CDU und CSU haben immer gesagt: Wir brauchen mehr Integration

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mehr Frauenrechte!)

und wir brauchen mehr politische Unterstützung für Integrationswillige. Sonst fährt die Ausländerpolitik in Deutschland gegen die Wand.

   Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Lale Akgün von der SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Dr. Lale Akgün (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war neun Jahre alt, als ich 1962 nach Deutschland kam. Konrad Adenauer war Bundeskanzler und Conny Froboess sang das Lied „Zwei kleine Italiener“, die erste poetische Beschreibung des Gastarbeiterdaseins in Deutschland. Damals gab es in Deutschland 670 000 Ausländer. Sie galten als interessant und exotisch, aber keinesfalls als belastend oder gar gefährlich. Sie lebten in Arbeiterheimen und hatten keinerlei Kontakt zur deutschen Gesellschaft, aber merkwürdigerweise sprach niemand von „Parallelgesellschaften“. Das Wort Integration kannten nur Soziologen.

   Ganz anders stellt sich die Situation heute dar. Die Debatte, die wir heute zu den Themen Integration, Islamismus und Extremismus erleben, droht sich hochzuschaukeln und das politische Klima in Deutschland zu vergiften, vor allem dann, wenn man sich in der Argumentation nicht auf sachliche Inhalte konzentriert, sondern Vorurteile durch ständiges Wiederholen zu zementieren versucht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In dieser Situation bedauere ich es zutiefst, dass es einige Politiker aus den Reihen der CDU/CSU gibt, die die Debatte auf eine theoretische Ebene heben, die Stimmung anheizen, Angst vor Überfremdung schüren und sich dabei unkritisch altbekannter unsinniger Argumente aus der rechten politischen Ecke bedienen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn ich mir anschaue, dass Sie nun zum dritten Mal die Leitkulturdebatte anheizen, dann muss ich mich nicht mehr fragen, welche Wirkung Sie damit beabsichtigen. Das macht mir Sorgen, Kolleginnen und Kollegen der Union.

   Sie, Frau Köhler, haben eben mit Leidenschaft vorgetragen, dass Sie für die Bekämpfung des Islamismus sind und dass Sie in keiner Weise mit Islamisten oder mit Fundamentalisten reden würden. Frau Köhler, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass der bayerische Innenminister, Herr Beckstein, am 29. September bei einer Caritas-Veranstaltung hier in Berlin mit mir auf dem Podium sehr offen dargestellt hat, dass er in den letzten drei Monaten mindestens vier Mal bei Milli Görüs war und dort gerne war.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Klar, da macht er ja Empfänge!)

Nun frage ich mich, ob Sie in Ihrer Partei verschiedene Linien verfolgen, und ich frage mich, ob Sie uns hier etwas anderes erzählen, als die CSU hintenherum macht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Diese Frage beantwortet sich von selbst! – Dr. Ole Schröder (CDU/CSU): Herr Schily kontrolliert die doch!)

   Deutschland ist ein demokratischer und weltoffener Staat. Gerade deshalb werden wir es nicht tolerieren, dass Extremisten die demokratischen Freiheiten missbrauchen und Andersgläubige und Andersdenkende verunglimpfen oder gar bedrohen. Ich denke, darin sind wir uns in diesem Hause über alle Fraktionsgrenzen hinweg im Grundsatz einig.

   Ich fordere ebenso energisch dazu auf, in der Debatte die Trennlinie zwischen dem Islam als Religion und dem Islamismus – also der politischen Instrumentalisierung der Religion – nicht zu verwischen. Wir dürfen nicht pauschal eine der großen Weltreligionen für die Verbrechen einiger Terroristen verantwortlich machen. Diese Klischees schüren Rassismus und Islamophobie

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann (FDP))

und liefern den Neonazis die Steilvorlage für die menschenverachtende Hetze gegen die Einwanderer und den Islam. Ich will an dieser Stelle in Erinnerung rufen, dass in den vergangenen zehn Jahren in Deutschland über 100 Menschen Opfer rassistischer Gewalt geworden sind.

   Die große Mehrheit der Muslime in Deutschland bekennt sich ohne Wenn und Aber zu den Werten der Verfassung, nicht nur verbal, sondern aus innerster Überzeugung und in dem Bewusstsein, dass Extremismus und Islamismus alle Menschen bedrohen, besonders auch die Muslime, die demokratisch denken und jede Form von Extremismus ablehnen.

   Demokratischen Muslimen fällt übrigens nichts leichter, als einen Eid auf das Grundgesetz abzulegen, wenn dies als Teil der Einbürgerungszeremonie eingeführt werden sollte. Dann sollte dies aber nicht nur für die Muslime, sondern für alle Einzubürgernden gelten. Ich betone das bewusst, weil ich aus eigener Erfahrung spreche. Sie kennen meine Position hinsichtlich der Integration und des Rechts auf gleichberechtigte Religionsausübung für Muslime, die ich auch im Zuge der Diskussion über das Kopftuchtragen von Lehrerinnen immer wieder vorgetragen habe.

   Das alles hat mir viel Kritik und hässliche Drohungen von Rechtsextremen und Islamisten gleichermaßen beschert. Das alles ist zu ertragen, weil ich weiß, wie viel Zuspruch ich andererseits aus der Mitte unserer Gesellschaft von Deutschen und Migranten, von Muslimen wie Christen bekomme.

   Aber es gibt einen Punkt, bei dem auch bei mir das Fass innerlich überläuft, und zwar immer dann, wenn ich als Muslimin generell stigmatisiert werde, wenn ich von Journalisten gefragt werde, ob ich um 22 Uhr abends noch ein Interview geben darf, ob mein Mann mir das erlaubt und ob auch ich zwangsverheiratet sei. Ich merke deutlich, dass in der öffentlichen Diskussion etwas aus dem Ruder gelaufen ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann (FDP) – Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Von der CDU angetrieben!)

   Jede Zwangsehe ist eine zu viel. Aber sie ist im normalen Alltag doch nicht der Regelfall. Die Öffentlichkeit beschäftigt sich zurzeit viel zu sehr mit Sensationen und viel zu wenig mit der Realität der Zugewanderten.

   Alle reden von Integration. Aber wie definiert man sie? In soziologischer Hinsicht besteht die Minimalanforderung an die Integration darin, Steuern zu zahlen und seine Kinder in die Schule zu schicken. Integration kann aber auch heißen, gesellschaftliche und politische Verantwortung zu übernehmen. Dazwischen gibt es unzählige Schattierungen und Möglichkeiten.

   Wir sollten uns davor hüten, die Definitionsmacht über Integration und Desintegration zu beanspruchen und Menschen zu Objekten unserer Integrationsvorstellungen machen zu wollen. Machen wir uns eines klar: Die Politik kann niemanden integrieren. Wir können aber die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Zugewanderten die Chance bekommen und den Wunsch verspüren, in dieser Gesellschaft anzukommen.

   Wenn Herr Schönbohm meint, dass er Zwangsmittel zur Integration nicht ausschließen will, dann kann ich ihn nur bedauern, weil er den Sinn und das Ziel von Integration nicht verstanden hat. Aber ebenso bedaure ich diejenigen, die er zwangsintegrieren möchte.

   Wir von der Koalitionsfraktion haben einen Antrag vorgelegt, der den Schwerpunkt auf die Gemeinsamkeit in diesem Land und auf das Zusammenleben auf der Grundlage gemeinsamer Werte legt. Es geht um Versöhnen statt Spalten, um es mit den Worten von Johannes Rau auszudrücken, und zwar nicht durch Wegsehen und beliebiges Nebeneinander, sondern durch ein bewusstes, aktives Miteinander. Dem entspricht unser Verständnis von Integration. Wir wollen allen Menschen – auch den Zugewanderten – die gleichberechtigte Teilhabe am politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben ermöglichen. Verschiedenheit ist für uns kein Ausschlusskriterium, sondern ein Anlass, die individuellen Potenziale der Menschen zu fordern und zu fördern.

Lassen Sie uns nach vorne schauen und das tun, was im Bereich der Integration über das Zuwanderungsgesetz hinaus getan werden muss. Im Bereich der Erstintegration durch die Sprache ist der Bund bei der Schaffung dieser Voraussetzungen einen großen Schritt vorausgegangen, indem er die Kosten für die Kurse übernommen hat. Nun müssen wir aber auch die Bundesländer in die Pflicht nehmen und sicherstellen, dass sie ihre Zusagen betreffend die Finanzierung der kursbegleitenden Kindererziehung und Nachholintegration einhalten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Daher der Appell an die Unionsfraktion: Nutzen Sie Ihren Einfluss auf die unionsregierten Bundesländer und sorgen Sie dafür, dass sie die Integrationsmittel nicht kürzen, sondern ihrer Verantwortung gerecht werden! Stimmen Sie im Bundestag für unsere sinnvollen Vorschläge, zum Beispiel die Abschaffung der Eigenheimzulage und die Verwendung der dadurch frei werdenden Mittel für die Bildung. Auch das ist ein Schritt hin zu mehr Integration.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Übrigens sagen auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und CSU, viele richtige Dinge, was die Integration betrifft: Die zugewanderten Menschen müssen richtig Deutsch sprechen. Sie müssen sich um Bildung und berufliche Qualifizierung bemühen. Sie müssen Kontakte knüpfen. Trotzdem gehen Ihre Appelle nicht in die Herzen der zugewanderten Menschen, weil Sie sie nicht als Teil der deutschen Gesellschaft begreifen. Das spüren die Zugewanderten. Das Wirgefühl, das eine Gesellschaft ausmacht und das die Grundlage eines gesunden Patriotismus werden könnte, bleibt aus.

   Apropos Patriotismusdebatte: Sie sollte nicht geführt werden, um einen Teil der Bevölkerung auszuschließen, sondern um alle einzuschließen. Dieses Land ist auf der Suche nach dem Wirgefühl. Ob Ost und West oder Einheimische und Zugewanderte – die trennenden Schneisen gehen durch die Bevölkerung. Wenn jedoch jemand glaubt, dass ein Wirgefühl auf Kosten der Zugewanderten erzeugt werden kann, und zudem Angstgefühle in der Bevölkerung hervorruft und diese instrumentalisiert, schadet er diesem Land. Das ist das pure Gegenteil von Patriotismus.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   Angesichts der demographischen Entwicklung in unserem Land haben wir nur dann eine Chance, Deutschland auf Weltniveau zu halten, wenn wir ein Wirgefühl entwickeln. Wir können es uns nicht leisten, einen erheblichen Teil unseres Nachwuchses als Ausländer auszuschließen. In meiner Heimatstadt Köln beispielsweise beträgt der Ausländeranteil 30 Prozent.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Kollegin Akgün, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Lale Akgün (SPD):

Ja. – Ich appelliere an alle in diesem Haus: Werden wir ruhig ein wenig patriotisch! Reden wir von den letzten 50 Jahren bundesdeutscher Geschichte! Es ist die gemeinsame Geschichte von Deutschen und Zugewanderten, auf die wir alle ein wenig stolz sein dürfen. Einheimische und Zugewanderte müssen endlich begreifen, dass dieses Land ihr gemeinsames Land ist und dass sie gemeinsam Verantwortung für dieses Land und seine Menschen tragen. Das ist Patriotismus, wie ich ihn verstehe. Unter diesen Voraussetzungen bin ich eine überzeugte Patriotin.

   Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Pau.

Petra Pau (fraktionslos):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Politischen Islamismus bekämpfen – Verfassungstreue Muslime unterstützen“ – so lautet der Titel des CDU/CSU-Antrags. So weit, so gut, und zwar auch deshalb, weil „-ismen“ immer ideologische Dogmen und damit Gefahren für die Gesellschaft und ihre Mitglieder bergen. Das Dumme am Antrag der CDU/CSU ist: Er wirbt in warmer Prosa und zielt auf eiskalte Fakten.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

So wird betont: „Der Islam ist eine große Weltreligion.“ Dann wird ein spezifischer EU-Islam erfunden. Was würde wohl der Papst von einem weiß-blauen Bayernkatholizismus halten?

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) – Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie könnte ein EU-Islam aussehen: mit dem Katholiken Stoiber und dem Evangelen Beckstein als Propheten? Oder wie stellen Sie sich das vor?

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Gefährlicher ist aber die wieder belebte Forderung nach einer deutschen Leitkultur. Was ist das: die Weißwurst, die Bulette oder der Döner, die Französische Revolution, der Tag der Befreiung oder Bayern München? Immer wenn die Debatte über Ihre angeblich notwendige Leitkultur sachlicher wird, bleiben von Ihren Forderungen nur zwei richtige und wichtige übrig: Wer hier lebt, sollte Deutsch sprechen und verstehen können sowie das Grundgesetz achten. Dazu lädt der Antrag der CDU/CSU aber nicht ein. Die Union macht keine Angebote, sondern droht mit Aussperrung.

   Nun wissen wir wohl: Manche Antragsteller denken noch mehr in die vermeintliche deutsche Leitkultur hinein. Sie geraten damit in eine böse Falle; denn wer Menschen mit einer anderen Kultur gering schätzt, der missachtet ihre Würde, der bricht mit Art. 1 des Grundgesetzes.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wer das tut, der signalisiert, die deutsche Kultur – was immer das ist – sei höherwertig. Wohin das führen kann, sollten alle bedenken, und zwar vorher. Die ganze Leitkulturdebatte ist falsch. Sie ist gefährlich. Aus meiner Sicht erweist sie der Integration einen Bärendienst.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Hinzu kommt im vorliegenden CDU/CSU-Antrag das übliche Spiel: Sie wollen Bürgerrechte abbauen und den Datenschutz schänden. Sie wollen noch mehr persönliche Daten sammeln, speichern und austauschen. Auch das steckt in Ihrem Antrag. Das ist – leider – Trend, bedauerlicherweise zunehmend auch bei der SPD und bei einigen Grünen. Die PDS lehnt das ab.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

   Dann gibt es in der ganzen Debatte noch richtige Treppenwitze. Wer nach Deutschland kommt, solle einen Eid auf das Grundgesetz leisten, meinte Edmund Stoiber gestern wieder. Ausgerechnet der Ministerpräsident Bayerns, dessen Landtag im Mai 1949 das Grundgesetz mit Mehrheit abgelehnt hat, schlägt jetzt vor, es solle ein Eid geleistet werden.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) – Zuruf des Abg. Norbert Geis (CDU/CSU))

   Ich finde, die historische Schmach dieser Abstimmung ist tilgbar, indem alle Bürgerinnen und Bürger Bayerns, Herr Kollege Geis, einen Eid aufs Grundgesetz leisten.

(Norbert Geis (CDU/CSU): Aber Sie auch!)

Bitte keine Extrawurst für Nichtdeutsche, gleiches Recht für alle, auch für Deutsche, auch für Bayern!

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nichts gegen Bayern! Es gibt solche und solche!)

   Da wir schon bei diesem Thema sind: Man kann das Grundgesetz nicht hochhalten, wenn man es zugleich aushöhlt. Das ist aber seit 1990 Usus, in der Ära Kohl ebenso wie unter der Regierung Schröder. Wie wir praktisch erfahren haben, wog ein persönliches Versprechen für Kanzler Kohl in der CDUSpendenaffäre mehr als sein Amtseid auf das Grundgesetz.

   Man schafft keine bürgernahe Verfassung, indem man die Bürgerinnen und Bürger von Verfassungsentscheiden ausschließt. Die Forderung nach Volksabstimmungen, zum Beispiel zur EUVerfassung, bleibt aktuell.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos))

In nahezu allen EULändern gehört das zur demokratischen Kultur. Nur die „besonders leitenden“ Deutschen, übrigens nicht nur bei der CDU/CSU, wollen davon noch immer nichts wissen.

   Ein Schlussgedanke. Bis in die SPD hinein wurde dieser Tage verkündet, die multikulturelle Gesellschaft sei gescheitert und sie sei eine gefährliche Illusion. Ich finde das genauso langweilig wie die Diskussion darüber, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist oder nicht. Wir sind beides: multikulturell und ein Einwanderungsland. Die eigentliche Frage ist, wie wir damit positiv umgehen. Darauf gibt der CDU/CSUAntrag keine Antworten. Das finde ich schade; aber das war wohl Ihre Absicht.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) sowie des Abg. Swen Schulz (Spandau) (SPD))

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister des Innern, Ute Vogt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ute Vogt, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister des Innern:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir haben in Deutschland ab und zu Anlass, einmal zu schauen, was wir zu leisten in der Lage sind oder schon einmal gewesen sind. Ich will deshalb einen Blick in die Geschichte werfen, in das Jahr 1699. Damals hat der württembergische Herzog Eberhard Ludwig 3 000 Glaubensflüchtlinge, Waldenser genannt, aufgenommen. Sie waren aus ihrer ehemaligen Heimat vertrieben worden. Eberhard Ludwig wollte damit die Landwirtschaft voranbringen; er wollte in seinem Herzogtum Bauern ansiedeln. Er hat angeordnet, dass jede Familie etwa acht Personen in den Scheunen der entsprechenden Gehöfte aufzunehmen hat.

   Die Anwohner haben sich beklagt und sie haben dagegen protestiert. Als Folge dessen hat der Herzog verfügt, dass die Waldenser selbst preiswert und kostengünstig Ackerland erwerben dürfen. Sie haben eigene Schulen aufgemacht. Sie haben französisch gesprochen. Sie waren alles andere als verbunden mit der Gesellschaft.

   Auch in meinem Wahlkreis leben Waldenser.

(Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Noch Ihr Wahlkreis!)

An den Ortsnamen Perouse, Serres, Großvillars und Kleinvillars erkennt man, dass Waldenser einmal dorthin gezogen sind. Die einzelnen Familien sind heute ganz genauso deutsch wie alle anderen auch. Ausgrenzung ist in ihrem Leben überhaupt nicht mehr spürbar, und das, obwohl sie eine unterschiedliche kulturelle Prägung und eine unterschiedliche Religion haben, die sie – auch heute noch – leben.

   Ich habe das deshalb gesagt, weil das ein Beispiel dafür ist, wie Integration positiv funktioniert hat – in einer Zeit, in der diese Zuwanderer für die damalige Landbevölkerung mit Sicherheit genauso fremd waren, wie heute dem einen oder anderen in Deutschland die Zuwanderer aus einem anderen Kulturkreis fremd sind. Wir sollten uns darauf besinnen, dass wir durchaus in der Lage sind, eine solche Integration zu meistern; zu vielen Zeiten unserer Geschichte waren wir dazu in der Lage.

   Wir sollten ehrlich miteinander umgehen, von gegenseitigen Schuldzuweisungen wegkommen und einmal feststellen: Wir alle miteinander haben in vielen Jahrzehnten bei der Integration die Anforderungen an uns unterschätzt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

   Zu jeder Zeit – das ist schon richtig; das hat der Kollege Stadler angesprochen – haben sich viele um das Thema Integration gekümmert. Zu nennen sind Initiativen, Wohlfahrtsverbände, Vereine und Kommunen. Auch Länder haben Projekte durchgeführt. Der Bund hat hier und da einmal etwas gefördert. Dass wir insgesamt in der Gesellschaft tatsächlich erkannt haben, dass es eine Aufgabe ist, die wir als gemeinsames Projekt, vor allem als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und auch als Verpflichtung der politischen Landschaft annehmen müssen, war später. Die Verantwortung und die Verpflichtung daraus haben wir erst jetzt mit dem Zuwanderungsgesetz gemeinsam übernommen.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

   Wir haben überwunden, denke ich, was uns in der Debatte lange getrennt hat, nämlich dass sich die einen immer nur auf die Bedrohungen und auf die Schilderung dessen konzentriert haben, was uns geschehen kann, wenn Menschen aus anderen Ländern kommen, und dass sich die anderen darauf konzentriert haben, darzustellen, was die Chancen und die Bereicherungen sind. Dabei hat man nur reflexartig aufeinander reagiert. Wir sollten nicht gering schätzen, was wir mit dem Zuwanderungsgesetz geschafft haben. Wir sind an einen Punkt gelangt, wo wir erkannt haben, dass beides notwendig ist: zum einen deutlich zu machen, dass Integration bedeutet, dass es die Verpflichtung derer gibt, die in ein Land zuwandern, sich dieser Integrationsanforderung zu stellen, und zum anderen die Verpflichtung zu übernehmen, Integrationsangebote zu machen. Da sind wir tatsächlich viel weiter, als wir in der öffentlichen Debatte und im öffentlichen Streit manchmal zu erkennen geben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

   John Locke hat einmal formuliert: Die Sprache ist der große Kanal, durch den die Menschen einander ihre Entdeckungen, Folgerungen und Erkenntnisse vermitteln. – Ich glaube, dass das eine Schlüsselbeschreibung auch für das ist, was wir unter Integration verstehen sollten. Wir müssen uns miteinander auf die gemeinsamen Rechtsgrundlagen verständigen bzw. müssen anerkennen, dass wir auf der Grundlage der hier geltenden Gesetze friedlich zusammenleben. Wir sollten gleichzeitig aber auch aufgeschlossen und offen bleiben dafür, voneinander Erkenntnisse über das Leben zu gewinnen, ohne daraus eine Ausschließlichkeit zu formulieren.

   Es wurde schon angesprochen: Wir haben im Kabinett gestern die Verordnung zu den Integrationskursen beschlossen.

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Das hätte auch ein paar Wochen früher sein können!)

– Es hätte auch früher sein können; damit hätte ich kein Problem gehabt. – 208 Millionen Euro stehen jetzt für Integrationskurse zur Verfügung. Es steht nicht nur Geld für diejenigen zur Verfügung, die neu zuwandern. Es ist gelungen, zumindest einen Teil der Mittel für diejenigen zur Verfügung zu stellen, die bereits in Deutschland leben, aber trotzdem noch Bedarf haben, die deutsche Sprache zu lernen.

   Deshalb glaube ich schon, dass wir eine wichtige Vorleistung vonseiten des Bundes erbringen; das ist ein wichtiger Meilenstein. Dazu gehört aber, das Ganze mit Leben zu füllen, auch in den Ländern, auch in den Kommunen.

   Das Thema Bildung wurde schon angesprochen. Für mich ist entscheidend, dass wir nicht warten, bis die Kinder in der Schule Probleme haben, bis die Jugendlichen den Hauptschulabschluss nicht schaffen und zum Schluss keinen Beruf bekommen, weil ihnen die Sprache als Grundlage fehlt, sondern dass in den Ländern Initiativen ergriffen werden, nach denen zum Beispiel verpflichtend der Sprachstand festzustellen ist, bevor die Kinder eingeschult werden, oder im Kindergartenbereich etwas getan wird, damit Sprache gelernt wird, sodass die Kinder mit ausreichenden Sprachkenntnissen in die Schule gehen können und nicht erst dort festgestellt werden muss, dass die Anforderungen gar nicht erfüllt werden können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU), zur SPD gewandt: Guten Morgen!)

   Eine Erkenntnis, die wir in vielen unterschiedlichen Regelungen im Zuwanderungsgesetz auch festgeschrieben haben, ist wesentlich dafür, dass Integration und Zusammenleben unterschiedlicher Menschen in Deutschland organisiert werden kann. So werden in dem Gesetz ganz deutlich diejenigen, die hier kein Aufenthaltsrecht bekommen können, weil sie sich verfassungswidrig verhalten, gegenüber allen anderen abgegrenzt. Dadurch nehmen wir die vorhandenen Ängste der Menschen ernst, verstärken sie aber nicht, sondern ergreifen durch entsprechende Gesetzgebung alle notwendigen Maßnahmen.

   Nachdem Sie, Herr Kollege Grindel, in Ihrer Rede vorhin darauf abgestellt haben, was man tun muss, um sich gegenüber denjenigen abzugrenzen, die sich feindlich gegenüber der Verfassung verhalten, möchte ich Sie noch einmal daran erinnern, dass es die SPD-geführte Bundesregierung zusammen mit dem grünen Koalitionspartner war, die dafür gesorgt hat, dass sich Extremisten nicht mehr als religiöse Gruppe tarnen können, indem sie sich unter dem Mäntelchen einer Glaubensgemeinschaft sammeln und einen vom Grundgesetz geschützten Tarnverein aufmachen.

   Das haben wir durchgesetzt; in Ihrer Regierungszeit sind Sie in dieser Frage nicht aktiv geworden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Metin Kaplan ist nicht zu Ihrer Zeit ausgewiesen worden.

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Sie wollten bei der Zuwanderung über Sicherheit gar nicht reden! Das ist die Wahrheit!)

Nach den damals geltenden Gesetzen hätten wir weder das Vereinsverbot noch die Ausweisung durchsetzen können. Der Fairness halber bitte ich Sie, das in dieser Debatte anzuerkennen und sich nicht immer nur auf billige Polemik zu stützen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

   Diese klare Unterscheidung, die das Zuwanderungsgesetz zwischen denen, die sich gegen die Verfassung stellen, und denen, die hier dauerhaft friedlich leben wollen – denen wendet man sich sogar positiv zu –, macht, ist der Knackpunkt dafür, dass durch gemeinsame Anstrengung die Integration derer gelingt, die hier friedlich mit uns leben wollen. Zugleich wird auch der Dialog gefördert, indem wir die Benennung von Ansprechpartnern für die staatliche Seite fordern. Es ist ja häufig schwierig, bei den Muslimen einen Ansprechpartner zu finden. Zugleich erachten wir es als notwendig, von den Glaubensgemeinschaften legitimierte Ansprechpartner als Gegenüber zu haben. Darum müssen wir werben und das müssen wir auch einfordern. Diese Forderung kann man, wie ich glaube, auch von unserer Seite aufstellen.

   Zu einem weiteren Punkt, den Sie angemahnt haben, möchte ich Ihnen Folgendes sagen: Von der Bundesregierung geförderte Deutschkurse für türkische Imame gibt es bereits seit dem Jahr 2002. Wir finanzieren gemeinsam mit Diyanet und der Botschaft in Ankara Sprachkurse, in denen sie Deutsch lernen und sich zugleich auf die hiesige Kultur einlassen können. Wir sind also in vielem weiter, als Sie denken. Wenn Sie sich einfach nur einmal erkundigen oder im Ausschuss dann, wenn man etwas vorträgt, zuhören würden, dann würden manche Aufgeregtheiten gar nicht erst entstehen und müssten manche Versäumnisse nicht angemahnt werden, da viele Dinge schon seit langem vonseiten der Regierung erledigt worden sind.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Kollegin Vogt, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Ute Vogt, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister des Innern:

Ich komme zum Schluss. – Ich denke, dass wir uns der Thematik Integration auch in der Tradition der Aufklärung, in der wir stehen, annehmen sollten. Da gerade das Thema „Leitkultur“ immer wieder zu einem Reizthema wird, schlage ich vor, dass wir uns gemeinsam an der Haltung eines Mannes orientieren, die für einige aus Ihren Reihen durchaus hilfreich sein kann. Halten wir es mit der Leitkultur so, wie es Heiner Geißler formuliert hat: Unsere Leitkultur ist unsere Verfassung und die ist auf der Grundlage unserer historischen Erfahrungen entstanden. – Davon sollten wir uns leiten lassen, also weg von der Propagierung von Schlüsselbegriffen hin zur praktischen Verfassungstreue. Das ist der legitime und richtige Weg für Deutsche und für diejenigen, die aus anderen Ländern zu uns kommen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt der Kollege Norbert Geis von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Norbert Geis (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind uns alle einig, dass die Integration der bei uns lebenden zugewanderten ehemaligen Ausländer die wichtigste Aufgabe unseres Staates, aber auch eine wichtige Aufgabe unserer Gesellschaft insgesamt ist. Der Mord in den Niederlanden hat uns schlagartig bewusst gemacht, dass es auch bei uns Parallelkulturen und Parallelgesellschaften gibt. Wenn sich diese Strukturen verfestigen, sind Konflikte vorprogrammiert. Insofern müssen wir nicht mit dem Finger auf die Niederlande deuten. Eine solche Situation kann auch bei uns entstehen, wenn es nicht gelingt, diese Strukturen abzubauen und die Integration voranzubringen.

   Die Integration ist ohne Alternative, aber sie ist nicht einfach. Sie ist nicht einfach, weil die Kulturen natürlich unterschiedlich sind. Ich habe immer vollen Respekt vor jedem Muslim, der in Treue seinen Glauben lebt, sich zu seinem Glauben bekennt und versucht, sich nach den islamischen Regeln zu richten. Aber die Regeln des Islam und die Regeln, die ihren Ursprung in unserer Kultur haben, sind nicht dieselben.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Richtig!)

Wir müssen den Versuch unternehmen – wir können gar nicht anders –, beide Regeln zwar nicht in Einklang, aber in einen Zusammenklang zu bringen, um ein vernünftiges Miteinander zu ermöglichen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

   Die Regeln werden bestimmt von dem jeweiligen Menschenbild und das Menschenbild des Islam ist ein anderes als das unserer Kultur, das aus dem Christentum heraus verständlich ist.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Völlig richtig!)

Im Islam ist der Mensch Gott bedingungslos unterworfen; im Christentum versteht sich der Mensch als Kind Gottes, als Partner Gottes, als Ebenbild Gottes. Diese Ebenbildlichkeit Gottes hat nach Paul Kirchhof zu dem radikalsten Freiheits- und Gleichheitssatz der gesamten Rechtsgeschichte geführt und die Kultur unseres Abendlandes bestimmt. Deshalb haben wir eine andere Entwicklung genommen als beispielsweise der islamisch bestimmte Orient. Das ist der Grund für die Unterschiede.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Völlig richtig!)

   Für uns sind die Einmaligkeit, die Unvergleichbarkeit jedes Einzelnen, seine Freiheit und seine unverletzbare Würde höchste Güter. Beim Islam bestimmt die Umma, die Gemeinschaft der Gläubigen, das Leben des Einzelnen. Die Freiheit des Einzelnen steht nicht so im Vordergrund wie beispielsweise im abendländischen Westen. Das ist der Unterschied. Wir müssen in einem Prozess des Dialogs versuchen, diesen Unterschied vielleicht nicht auszugleichen, aber Verständnis füreinander zu wecken, um eines Tages eine Angleichung zu erreichen. Ich glaube, Integration kann nur gelingen, wenn auch die Angleichung gelingt. Das ist ein Prozess, der nicht von heute auf morgen abgeschlossen werden kann; es ist ein langwieriger Prozess.

   Aus erwähntem Freiheitssatz heraus ist im Westen die Demokratie entstanden. Die Demokratie setzt die individuelle Freiheit und die Unverletzlichkeit des Menschen voraus und bietet gleichzeitig den verfassungsrechtlichen Rahmen, in dem eine solche Lebensform gelebt werden kann. Das finden wir in diesem Maße in den islamisch regierten Ländern nicht. Diese Feststellung muss auch in einer solchen Debatte erlaubt sein,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

ohne deswegen gleich in die Ecke zu geraten, man würde sich überheben. Ich denke gar nicht daran, hier Wertungen vorzunehmen. Ich möchte nur einmal den Unterschied herausstellen, um die Schwierigkeiten bei der Integration deutlich zu machen. Integration ist ein schweres Werk, aber wir können uns nicht davor drücken. Wir müssen diese Aufgabe meistern.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Max Stadler (FDP))

   Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine wichtige Aufgabe unserer Gesellschaft und vor allem unseres Staates besteht darin, alles zu unternehmen, um den bei uns lebenden Muslimen, insbesondere den jugendlichen Muslimen, eine gute Ausbildung zu ermöglichen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir müssen erreichen, dass die Muslime in den Mittelstand hineinkommen. Dann werden sie nämlich aus ihren abgekapselten Straßenzüge, ihre Parallelgesellschaft, verlassen und in andere Wohngegenden ziehen;

(Ute Kumpf (SPD): Die müssen Sie erst einmal in die Schulen bringen!)

dann wird es zu einem vernünftigeren Miteinander kommen. Die soziale Lage ist im Augenblick ein Hemmnis bei der Integration. Dieses Problem muss gemeistert werden. Das ist allerdings in erster Linie unsere Aufgabe, also eine Aufgabe unseres Staates und unserer Gesellschaft.

Aber Integration ist nie eingleisig. Integration ist immer eine Sache zwischen Zugewanderten und aufnehmender Gesellschaft. Natürlich müssen diejenigen bei uns, die zugewandert sind, unsere Sprache sprechen. Das ist aber nur der erste Schritt. Wir wissen, dass in Frankreich Muslime leben, die, weil sie beispielsweise aus Marokko kommen, von Kindheit an Französisch sprechen, dass es aber dort trotzdem große Unterschiede, dass es Parallelgesellschaften gibt. Die Sprache ist sehr wichtig, aber sie ist nur der erste Schritt.

   Der zweite Schritt ist die Anerkennung unserer Verfassung. Das ist richtig und das ist heute auch schon gesagt worden. Allerdings ist das nicht ganz so einfach, wie es sich manchmal angehört hat. Denn in jeder Verfassung – und in unserer Verfassung erst recht – sind Lebensformen niedergeschrieben. Die diesen Lebensformen zugrunde liegenden Überzeugungen drücken sich also in der Verfassung aus.

   Damit sind wir schon mitten in einer Kulturdebatte. Sie können die Verfassung nicht losgelöst von der Kultur sehen. Da bin ich anderer Meinung als Sie.

(Widerspruch bei der SPD)

Sie können die Verfassung nicht nur rechtspositivistisch sehen, sondern müssen sie in einen Kulturzusammenhang stellen. Aus diesem Kulturzusammenhang ist die Verfassung entstanden.

(Beifall bei der CDU/CSU – Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und wer entscheidet, welcher der richtige ist?)

– Lassen Sie mich das bitte in aller Ruhe ausführen. Sie können ja anderer Meinung sein; darüber brauchen wir nicht zu streiten.

   Deswegen haben die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes in die Präambel ausdrücklich den Gottesbezug hineingeschrieben. Sie wollten damit zum Ausdruck bringen, dass unsere Verfassung, dass unser staatliches Leben nicht ohne unsere christliche Tradition gesehen werden darf.

   Angesichts der in der Verfassung zum Ausdruck gebrachten Lebensformen, Überzeugungen und Wertvorstellungen müssen Sie eine Kulturdebatte führen. Die „Leitkultur“ ist zwar ein Reizwort; das gebe ich zu. Aber wenn Sie die Verfassung als Grundlage unseres Zusammenlebens ansehen, kommen Sie nicht an dem Gedanken vorbei, dass Sie damit auch verlangen, dass die kulturellen Vorstellungen und die Geschichte unseres Volkes angenommen werden.

(Hans-Michael Goldmann (FDP): Sie haben das in Ihrem Antrag aber getrennt!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Geis, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hartmann?

Norbert Geis (CDU/CSU):

Bitte.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Hartmann, bitte.

Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD):

Herr Kollege Geis, ich bin Ihnen ausdrücklich dankbar für diesen sehr nachdenklichen, abwägenden und auch philosophisch fundierten Beitrag, den Sie zum Schluss dieser Debatte leisten. Sie wägen verschiedene Kulturen und verschiedene Werthaftigkeiten gegeneinander ab. Ich teile das. Ich teile auch die Orientierung am christlichen Menschenbild. Gestatten Sie mir die Frage – ich meine sie völlig unpolemisch, eher als Anregung für Ihren Wortbeitrag –: Würden Sie mir zugestehen, dass die Orientierung am Personsein, am christlichen Menschenbild nicht verhindert hat, dass in Europa und in Deutschland schreckliche Barbarei möglich war, dass also diese Orientierung alleine keineswegs ausreichen kann, um ein gefestigtes demokratisches Staatswesen aufzubauen?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Norbert Geis (CDU/CSU):

Das ist zweifellos richtig. Aber Sie müssen natürlich sehen, dass es in der Geschichte immer Brüche gibt und dass jeder Mensch Brüche in sich trägt. Jeder Mensch kann versagen und so kann auch ein Volk versagen. Sie dürfen dabei aber den Grundansatz nicht außer Acht lassen. Wir kommen aus unserer abendländischen Geschichte nicht heraus; sie ist 2 000 Jahre alt. Niemand kann aus seiner Geschichte aussteigen und unsere Geschichte ist nun einmal vom christlich-jüdischen Erbe bestimmt. Dazu kommen viele andere Momente: die Aufklärung, die ganze Gedankenwelt der Renaissance. Sie müssen im Grunde genommen die Griechen und die Römer mit einbeziehen. Dann kommen Sie letztendlich nicht zu einer 2 000-jährigen, sondern sogar zu einer 3 000-jährigen Geschichte. Vor diesem Hintergrund existiert unsere Kultur.

   Ich stimme Ihnen zu, dass es furchtbare Brüche in unserer Geschichte gab. Aber ich glaube, dass sie nicht mit dem Ansatz unserer Kultur in Einklang gebracht werden müssen, sondern dass sie einfach furchtbare Brüche gewesen sind.

(Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Aber vor Pervertierung hat es uns nicht bewahrt!)

– Hat es uns nicht bewahrt. Kein Mensch ist davor bewahrt, so auch ein Volk nicht.

Ein Schlussgedanke noch. Hier ist vom Eid auf die Verfassung und von Verfassungspatriotismus gesprochen worden. Ich will nicht sagen, dass das verkehrt ist. Aber es reicht nicht. Zur Annahme der Verfassung gehört auch, die Geschichte zu akzeptieren. Herr von Klaeden hat dies vorhin in seinem sehr guten Wortbeitrag gesagt.

   Wenn wir es mit der Integration ernst meinen, dann müssen wir von den bei uns lebenden Muslimen verlangen, dass sie die Verantwortung für unsere Geschichte mittragen. Es kann nicht sein, dass in einem Volk eine Gruppe Verantwortung trägt und die andere Gruppe nicht. Auch die Zugewanderten müssen die Verantwortung für unsere Geschichte, sowohl für den guten als auch für den schrecklichen Teil, mittragen. Das ist mehr als der Eid auf die Verfassung und mehr als Verfassungspatriotismus. Das ist echter Patriotismus.

   Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Ich schließe die Aussprache.

   Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/4260, 15/4394 und 15/4401 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

   Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 a bis 30 c sowie den Zusatzpunkt 4 auf:

30. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher Vorschriften

– Drucksache 15/4294 –

Überweisungsvorschlag:Gesundheit und Soziale Sicherung (f)Aussschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Joachim Günther (Plauen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Feldversuche über die Vor- und Nachteile von 60-Tonnen-LKW starten

– Drucksache 15/3951 –

Überweisungsvorschlag:Aussschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Horst Friedrich (Bayreuth), Joachim Günther (Plauen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Wasserstraßenausbaugesetz vorlegen

– Drucksache 15/4039 –

Überweisungsvorschlag:Aussschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

ZP 4 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Uwe Küster, Dirk Manzewski, Jörg Tauss, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD, der Abgeordneten Dr. Günter Krings, Dr. Norbert Röttgen und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Grietje Bettin, Jerzy Montag, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Rainer Funke, Dr. Karl Addicks, Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Wettbewerb und Innovationsdynamik im Softwarebereich sichern – Patentierung von Computerprogrammen effektiv begrenzen

– Drucksache 15/4403 –

Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss (f)Aussschuss für Wirtschaft und Arbeit Aussschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungAussschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Aussschuss für Kultur und Medien

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Dr. Ole Schröder, Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Promillegrenze in der Seeschifffahrt

– Drucksache 15/4383 –

Überweisungsvorschlag:Aussschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)InnenausschussRechtsausschuss Aussschuss für Wirtschaft und Arbeit Aussschuss für Tourismus

   Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.

   Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

   Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 31 a bis 31 f. Es handelt sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

   Tagesordnungspunkt 31 a:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle und weiterer Abgeordneter

Engpass zwischen Wiesbadener Kreuz und Krifteler Dreieck (Autobahn A 66) beseitigen

– Drucksachen 15/3104, 15/4095 –

Berichterstattung:Abgeordneter Reinhard Weis (Stendal)

   Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/3104 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.

   Wir kommen nun zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.

   Tagesordnungspunkt 31 b:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 164 zu Petitionen

– Drucksache 15/4273 –

   Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Sammelübersicht 164 ist einstimmig angenommen.

   Tagesordnungspunkt 31 c:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 165 zu Petitionen

– Drucksache 15/4274 –

   Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Sammelübersicht 165 ist einstimmig angenommen.

   Tagesordnungspunkt 31 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 166 zu Petitionen

– Drucksache 15/4275 –

   Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Sammelübersicht 166 ist einstimmig angenommen.

   Tagesordnungspunkt 31 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 167 zu Petitionen

– Drucksache 15/4276 –

   Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Sammelübersicht 167 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.

   Tagesordnungspunkt 31 f:

Beratung der ersten Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses

zu 23 gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des sechsten Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland eingegangenen Wahleinsprüchen

– Drucksache 15/4250 –

Berichterstattung:Abgeordnete Erika Simm Hermann Bachmaier Hans-Joachim Hacker Petra-Evelyne Merkel Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)Manfred Grund Thomas Strobl (Heilbronn)Jerzy Montag Jürgen Koppelin

   Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.

[Der folgende Berichtsteil – und damit der gesamte Stenografische Bericht der 145. Sitzung – wird morgen,
Freitag, den 3. Dezember 2004,
an dieser Stelle veröffentlicht.]
Quelle: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/plenarprotokolle/15145
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