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Das Parlament
Nr. 01-02 / 12.01.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Hermann Glaser

Angetrieben von der Droge Macht

Fragen der Psychoanalyse nach dem Verhalten der politischen Klasse

Eigentlich ist es naheliegend, dass Politiker publizistisch auf die Couch gelegt werden: sind doch ihre Psychosen und Neurosen wenig verborgen. Die öffentliche und veröffentlichte Indiskretion kennt keine Zurückhaltung, auch was den Privatbereich betrifft. Die Psychopathologie der Politik ist etwa bei Illustrierten profitmaximierend beliebt. Wo das Thema der seelischen Störungen in der Politik jedoch wissenschaftlich angegangen wird, hat der Voyeur an sich nichts zu suchen.

Dennoch ist es eine Gratwanderung, wenn in diesem Buch zum Beispiel bei der psychoanalytischen Untersuchung etwa Helmut Kohls ("Masse und Macht") Leben und Tod von dessen Ehefrau Hannelore ausgeleuchtet werden. "Die Frage wird wohl immer offen bleiben, wie viel Hannelore von den unmoralischen und kriminellen Machenschaften ihres Mannes wusste, wie viel sie ahnte und inwiefern die Gewissheit, dass er mit ihr nicht weniger rücksichtslos verfuhr wie mit allen anderen Menschen, ihr letztlich den Lebensmut genommen hat."

Schon dieses Zitat macht deutlich, dass der Autor durchaus "rücksichtslos" argumentiert; allerdings unter dem christlichen Motto von Matthäus 16,26 (sein Konfirmationsspruch): "Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele."

Dämon des Menschen

Das Wort korrespondiert, in negativem Kontrast, mit einem Nietzsche-Ausspruch: "Der Dämon der Macht. Nicht die Notdurft, nicht die Begierde - nein, die Liebe zur Macht ist der Dämon des Menschen. Der Dämon wartet und wartet und will befriedigt werden." Das ist natürlich einseitig gesehen, denn zumindest in der Demokratie wird Macht nur auf Zeit verliehen; zudem kann man froh sein, dass immer wieder Personen und auch Persönlichkeiten das "Geschäft der Politik", das keineswegs als "schmutzig" bezeichnet werden kann und darf, betreiben.

Freilich wird die Vorstellung Max Webers, dass Politik als Beruf das starke langsame Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß bedeute, in Hinblick auf die Wirklichkeit mit Fragezeichen zu versehen sein, zumal das Wechselspiel von Narzissmus und Macht (Hauptthema dieses Buches) solcher Idealtypik widerspricht: "Ungezügelte Selbstbezogenheit, Sieger-Mentalität, Karriere-Besessenheit und Größenphantasien sind Eigenschaften, die der narzisstisch ge-störten Persönlichkeit den Weg in die Schaltzentralen der Macht ebnen."

Und weiter: "Indem sich der narzisstisch gestörte Führer vorzugsweise mit Ja-Sagern, Bewunderern und gewitzten Manipulatoren umgibt, verschafft er sich eine Bestätigung seines Selbstbildes, untergräbt jedoch zugleich seine realistische Selbstwahrnehmung und verfestigt seinen illusionären und von Feindbildern geprägten Weltbezug."

Den sich in seine totalitäre Selbstbezogenheit einkapselnden "Führer" kennt allerdings die Demokratie nicht. Die Autorität der herrschenden Macht wird hier, nicht zuletzt von der Opposition, deren Stärke allein schon aus diesem Grunde so wichtig ist, ständig befragt (hinterfragt), wodurch das Vorhandensein von Kompetenz bewiesen werden muss (beziehungsweise deren Fehlen evident wird).

Aber die Borderline, da Machtausübung in Machtmissbrauch übergeht, ist nicht immer klar erkennbar; das zeigen die Fallstudien, die sich mit Uwe Barschel und Helmut Kohl befassen; weitere Kapitel handeln von der 68er-Generation und Slobodan Milosevic.

Disparates Material

Der Verfasser arbeitet also mit einem sehr disparaten Studienmaterial; bei Joschka Fischer, der im Mittelpunkt der Abhandlung über die Protestbewegung steht, ist er zudem beeinträchtigt von der Tatsache, dass er der gleichen Generation wie der grüne Politiker angehört; es fällt ihm somit "viel schwerer, die notwendige Distanz zu gewinnen, die für eine ausgewogene Betrachtung notwendig ist. … Ich werde deshalb die biographische Entwicklung viel zurückhaltender interpretieren, als ich das bei den anderen Politikern getan habe. Stattdessen werde ich Joschka Fischer vornehmlich als Repräsentanten der 68er-Generation betrachten und mein Augenmerk auf das Zusammenspiel von Macht und kollektivem Narzissmus in der Auseinandersetzung der Generationen richten."

Das an Beobachtungen reiche Buch beschäftigt sich einerseits mit den destruktiven Seiten des Narzissmus in der Politik und zeigt, wie schwer es dem einzelnen Politiker fällt, vor allem wenn er Erfolg hat, sich dem Sog der Selbstbezogenheit zu entziehen; andererseits ist anthropologisch festzustellen, "dass jeder von uns in seinem Leben ständig Macht ausübt, so wie auch jeder von uns ständig auf narzisstische Selbstbestätigung angewiesen ist, die von der Anerkennung durch andere abhängt".

Das Gleichgewicht zwischen Selbstbewusstsein und Selbstkritik, Ichstärke und kommunikativer Offenheit ist für jeden Menschen schwer zu finden - im Besonderen für Politiker in einer dominanten Medienwelt, in der jede Verunsicherung als Schwäche interpretiert wird.

Das Buch konfrontiert jeden, nicht nur den "anderen" (den Politiker) mit schwerwiegenden Anfragen. Es gilt, eigene Antworten zu finden - in skeptischer Würdigung des oft dogmatisch erhobenen Wahrheitsanspruchs der Psychoanalyse. Die Erkenntnisse und Möglichkeiten der politischen Psychologie - speziell auf psychoanalytischer Grundlage - sollte man durchaus ernst nehmen und als Orientierungshilfe inmitten neuer Unübersichtlichkeit, gerade im Bereich öffentlicher Moral, nutzen.

Hans-Jürgen Wirth

Narzissmus und Macht.

Zur Psychoanalyse seelischer Störungen in der Politik.

Psychosozial-Verlag, Gießen 2002;

439 S., 24,90 Euro

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