|
|
Hermann Glaser
Angetrieben von der Droge Macht
Fragen der Psychoanalyse nach dem Verhalten der
politischen Klasse
Eigentlich ist es naheliegend, dass Politiker publizistisch auf
die Couch gelegt werden: sind doch ihre Psychosen und Neurosen
wenig verborgen. Die öffentliche und veröffentlichte
Indiskretion kennt keine Zurückhaltung, auch was den
Privatbereich betrifft. Die Psychopathologie der Politik ist etwa
bei Illustrierten profitmaximierend beliebt. Wo das Thema der
seelischen Störungen in der Politik jedoch wissenschaftlich
angegangen wird, hat der Voyeur an sich nichts zu suchen.
Dennoch ist es eine Gratwanderung, wenn in diesem Buch zum
Beispiel bei der psychoanalytischen Untersuchung etwa Helmut Kohls
("Masse und Macht") Leben und Tod von dessen Ehefrau Hannelore
ausgeleuchtet werden. "Die Frage wird wohl immer offen bleiben, wie
viel Hannelore von den unmoralischen und kriminellen Machenschaften
ihres Mannes wusste, wie viel sie ahnte und inwiefern die
Gewissheit, dass er mit ihr nicht weniger rücksichtslos
verfuhr wie mit allen anderen Menschen, ihr letztlich den Lebensmut
genommen hat."
Schon dieses Zitat macht deutlich, dass der Autor durchaus
"rücksichtslos" argumentiert; allerdings unter dem
christlichen Motto von Matthäus 16,26 (sein
Konfirmationsspruch): "Was hülfe es dem Menschen, wenn er die
ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner
Seele."
Dämon des Menschen
Das Wort korrespondiert, in negativem Kontrast, mit einem
Nietzsche-Ausspruch: "Der Dämon der Macht. Nicht die Notdurft,
nicht die Begierde - nein, die Liebe zur Macht ist der Dämon
des Menschen. Der Dämon wartet und wartet und will befriedigt
werden." Das ist natürlich einseitig gesehen, denn zumindest
in der Demokratie wird Macht nur auf Zeit verliehen; zudem kann man
froh sein, dass immer wieder Personen und auch
Persönlichkeiten das "Geschäft der Politik", das
keineswegs als "schmutzig" bezeichnet werden kann und darf,
betreiben.
Freilich wird die Vorstellung Max Webers, dass Politik als Beruf
das starke langsame Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und
Augenmaß bedeute, in Hinblick auf die Wirklichkeit mit
Fragezeichen zu versehen sein, zumal das Wechselspiel von
Narzissmus und Macht (Hauptthema dieses Buches) solcher Idealtypik
widerspricht: "Ungezügelte Selbstbezogenheit,
Sieger-Mentalität, Karriere-Besessenheit und
Größenphantasien sind Eigenschaften, die der narzisstisch
ge-störten Persönlichkeit den Weg in die Schaltzentralen
der Macht ebnen."
Und weiter: "Indem sich der narzisstisch gestörte
Führer vorzugsweise mit Ja-Sagern, Bewunderern und gewitzten
Manipulatoren umgibt, verschafft er sich eine Bestätigung
seines Selbstbildes, untergräbt jedoch zugleich seine
realistische Selbstwahrnehmung und verfestigt seinen
illusionären und von Feindbildern geprägten
Weltbezug."
Den sich in seine totalitäre Selbstbezogenheit
einkapselnden "Führer" kennt allerdings die Demokratie nicht.
Die Autorität der herrschenden Macht wird hier, nicht zuletzt
von der Opposition, deren Stärke allein schon aus diesem
Grunde so wichtig ist, ständig befragt (hinterfragt), wodurch
das Vorhandensein von Kompetenz bewiesen werden muss
(beziehungsweise deren Fehlen evident wird).
Aber die Borderline, da Machtausübung in Machtmissbrauch
übergeht, ist nicht immer klar erkennbar; das zeigen die
Fallstudien, die sich mit Uwe Barschel und Helmut Kohl befassen;
weitere Kapitel handeln von der 68er-Generation und Slobodan
Milosevic.
Disparates Material
Der Verfasser arbeitet also mit einem sehr disparaten
Studienmaterial; bei Joschka Fischer, der im Mittelpunkt der
Abhandlung über die Protestbewegung steht, ist er zudem
beeinträchtigt von der Tatsache, dass er der gleichen
Generation wie der grüne Politiker angehört; es
fällt ihm somit "viel schwerer, die notwendige Distanz zu
gewinnen, die für eine ausgewogene Betrachtung notwendig ist.
… Ich werde deshalb die biographische Entwicklung viel
zurückhaltender interpretieren, als ich das bei den anderen
Politikern getan habe. Stattdessen werde ich Joschka Fischer
vornehmlich als Repräsentanten der 68er-Generation betrachten
und mein Augenmerk auf das Zusammenspiel von Macht und kollektivem
Narzissmus in der Auseinandersetzung der Generationen richten."
Das an Beobachtungen reiche Buch beschäftigt sich
einerseits mit den destruktiven Seiten des Narzissmus in der
Politik und zeigt, wie schwer es dem einzelnen Politiker
fällt, vor allem wenn er Erfolg hat, sich dem Sog der
Selbstbezogenheit zu entziehen; andererseits ist anthropologisch
festzustellen, "dass jeder von uns in seinem Leben ständig
Macht ausübt, so wie auch jeder von uns ständig auf
narzisstische Selbstbestätigung angewiesen ist, die von der
Anerkennung durch andere abhängt".
Das Gleichgewicht zwischen Selbstbewusstsein und Selbstkritik,
Ichstärke und kommunikativer Offenheit ist für jeden
Menschen schwer zu finden - im Besonderen für Politiker in
einer dominanten Medienwelt, in der jede Verunsicherung als
Schwäche interpretiert wird.
Das Buch konfrontiert jeden, nicht nur den "anderen" (den
Politiker) mit schwerwiegenden Anfragen. Es gilt, eigene Antworten
zu finden - in skeptischer Würdigung des oft dogmatisch
erhobenen Wahrheitsanspruchs der Psychoanalyse. Die Erkenntnisse
und Möglichkeiten der politischen Psychologie - speziell auf
psychoanalytischer Grundlage - sollte man durchaus ernst nehmen und
als Orientierungshilfe inmitten neuer Unübersichtlichkeit,
gerade im Bereich öffentlicher Moral, nutzen.
Hans-Jürgen Wirth
Narzissmus und Macht.
Zur Psychoanalyse seelischer Störungen in der Politik.
Psychosozial-Verlag, Gießen 2002;
439 S., 24,90 Euro
Zurück zur
Übersicht
|