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Das Parlament
Nr. 01-02 / 12.01.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Peter Manstein

Produkte als Nährstoffe nutzen

Eine Revolution ökologischen Denkens?
Es überrascht schon, dass die amerikanische Originalausgabe des Buches - anders als die "normal" auf Papier herausgegebene deutsche Version - auf Kunststofffolien gedruckt ist und dass dies die Autoren auch noch als besonders umweltfreundlich ausgeben. Immerhin wird dafür die endliche Ressource Erdöl eingesetzt. Des Rätsels Lösung liegt in dem Kernanliegen des Buches: Es geht um ein neues Konzept von umweltfreundlichen Produkten.

Produkte sollen von Anfang an so hergestellt werden, dass sie gefahrlos verwendet und am Ende ihres Gebrauchs problemlos entweder als Nährstoff des biologischen Kreislaufes oder des technologischen Kreislaufes dienen können. Das hört sich nicht gerade originell an, denn die Forderung etwa nach einem recycling- gesundheits- und umweltfreundlichen Design für industrielle Produkte ist an sich nichts Neues. Aber dahinter steckt hier eine radikale Idee:

Die meisten sich selbst als "umweltfreundlich" verstehenden industriellen Produkte - so urteilen die Autoren nicht zu Unrecht - sind nur unter bestimmten Aspekten umweltverträglich (sie sind frei von x und y), sie enthalten jedoch immer noch Schadstoffe und/oder werden über hunderte Kilometer (gar nicht so umweltfreundlich) transportiert und /oder mit fossiler Energie hergestellt (um von Atomkraft zu schweigen) und/oder ihre Materialien können nicht hochwertig, sondern nur minderwertig recycelt werden ("Downcycling").

Es ist schon erstaunlich: Wirklich umweltfreundliche Produkte konnten die Autoren für ihre diversen praktischen Projekte etwa für Firmen wie Nike, Ford, Unilever und BP meist nicht auftreiben, sie mussten sich also selbst daran machen, eine solches Design zu entwickeln.

Braungart/McDonough nennen ihr Konzept "Öko-Effektivität" und setzten sich damit von der "Öko-Effizienz" ab, die in ihren Augen nur der Versuch ist, grundsätzlich schlechte Produkte partiell zu verbessern: Indem zum Beispiel durch ihre Verwendung letztlich doch ein Schadstoffeintrag in die Umwelt erfolgt beziehungsweise sich ihre Schadstoffe anreichern, würden Öko-Effizienz-Anstrengungen nur den Niedergang der Umwelt hinauszögern, gingen aber letztlich nicht an die Ursachen dieses Niedergangs heran.

Zwar kann man sich über die Begrifflichkeiten streiten, aber in der Tat ist eine wirklich schadstofffreie und wirklich umweltfreundliche Produktion eine wichtige Perspektive, um die - oft versteckten - Umweltbelastungen der bisherigen Produktion und ihrer Produkte zu erkennen.

Dieser Ansatz befördert also eine neue "Denke": So geht es den "Konsumenten" doch häufig gar nicht darum, industrielle Produkte materiell zu konsumieren. Was sie dagegen eigentlich wollen, ist eine Dienstleistung: Sie wollen fernsehen, aber nicht Kupferkabel verbrauchen (geschweige denn sich eine Sondermüllansammlung von hunderten gefährlichen Stoffen in das Wohnzimmer stellen, wie es heute noch der Fall ist). Es wäre also sinnvoll, dass sie das Fernsehgerät nur leihen, das dem Produzenten gehören könnte. Für diesen ist das ausgeliehene Gerät aber nur von bleibendem Wert, wenn es auch die darin enthaltenen Materialien sind, also problemlos und hochwertig wieder als industrieller Nährstoff dienen kann. In diesem Sinne haben die Autoren zum Beispiel an einem Praxisprojekt "Miete dir ein Lösungmittel" gearbeitet.

Klar und anschaulich

Neben der gedanklichen Klarheit zeichnet das Buch aus, dass es immer wieder anschauliche Beispiele bringt: Michael Braungart, Professor für Chemische Verfahrenstechnik und Stoffstrommangement an der Fachhochschule Lüneburg, und sein Partner William McDonough, Architekturprofessor in den USA, haben nicht nur Theorie zu bieten, sondern mehrfach ihre Ideen erfolgreich in die Praxis umgesetzt. Und das Konzept muss keineswegs ökonomischen Erwägungen widersprechen, im Gegenteil:

Ein von ihnen entwickeltes Fabrikationsgebäude, das Licht und Luft hereinlässt und vielfältige Perspektiven auf eine naturnahe Umwelt bietet, das das Binnenklima unter anderem mit einem begrünten Dach angenehm regelt, hat auch wesentlich zur Steigerung der Produktivität der Mitarbeiter beigetragen. Das Beispiel zeigt auch, dass es vielfach nur um einen - allerdings entscheidenden - ersten Schritt geht: Denn es käme ja weiter darauf an, was dort wie produziert wird.

Sehr sympathisch ist an dem Ansatz, dass er dazu auffordert, ebenso verschwenderisch wie die Natur zu sein, statt zugunsten der Umwelt Verzicht zu üben und in Schuldgefühlen zu versinken, so als wären die Menschen per se eine Fehlkonstruktion. Zu unserem vielfach schlechten Umweltgewissen passt in den Augen der Autoren das von vielen Umweltbewussten empfohlene mausgraue Recyclingpapier. Jetzt wird klar, warum die amerikanische Version auf einem hochwertigen Kunststoff gedruckt wurde:

Er lässt sich genau zu dieser Buchproduktion recyclen und die Druckfarben ebenso. Damit das funktioniert, müsste sich aber auch bei dem "Lesekunden" ein Wandel einstellen: Er müsste gewillt und problemlos fähig sein, das Buch als Nährstoff dem Buchproduzenten wieder zuzuführen. Dieser Problemkreis bleibt in der Publikation ausgespart.

Hat der Produzent ein Interesse daran, das eingesetzte, hochwertige Material zurückzubekommen, verleiht er es gar nur, dann ginge es auch nicht um möglichst große Haltbarkeit der Produkte (die Autoren sprechen gar von der "Tyrannei langlebiger Produkte"), sondern der Kunde könnte "fröhlich" konsumieren und seinen Modevorstellungen folgen. Der verschwenderisch blühende Kirschbaum und die fleißigen, den Boden bearbeitenden Ameisen werden in dem Buch vielfach als Sinn- und Vorbilder dargestellt, die nicht nur für sich selbst Werte schaffen, sondern für ihre Umwelt von mehrfachem Nutzen sind. Vitalität und Lebenslust sind Schlüsselworte des an der Öko-Effektivität orientierten Ansatzes. Eng verknüpft damit sind weitere: lokale Verankerung / Vielfalt ("wir müssen wieder Eingeborene werden") und regenerative Energien.Auch wenn neben anschaulichen Praxisbeispielen vieles hier noch manifestartig als "großer Wurf" formuliert ist - eine Auseinandersetzung mit diesem anregenden Buch ist sehr zu empfehlen.

Michael Braungart / William McDonough

Einfach intelligent produzieren,

Cradle to cradle:

Die Natur zeigt, wie wir die Dinge besser machen können.

Berliner Taschenbuch, Berlin 2003;

267 S., 9,90 Euro

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