"Struktur und Gefahren der rechtsextremistischen Szene neu bewerten"
Berlin: (hib/WOL) Die Strukturen der rechtsextremistischen Szene und das Gefahrenpotential des Rechtsextremismus erfordern anlässlich der Münchner Vorkommnisse erhöhte Aufmerksamkeit und eine neue Bewertung. Dies hat die Regierung am Mittwochvormittag im Innenausschusses erklärt. Danach haben die Fahndung und die "Verhinderung eines wahrscheinlich geplanten Anschlags" zur Einweihung der Sankt Jakobs Synagoge eine Verlagerung der rechtsextremistischen beziehungsweise rechtsterroristischen Szene deutlich gemacht. Der Fahndungserfolg "war kein Zufall", sagte Staatssekretär Fritz-Rudolf Körper (SPD) auf eine Frage der Abgeordneten. Er widersprach damit Medienberichten, erst die Aussage eines von den eigenen Leuten verprügelten aussteigewilligen Szeneangehörigen habe zum Hinweis auf den Täter und zur Sicherstellung von Waffen und Sprengstoff geführt. Laut Regierung gibt es derzeit drei Erkenntnisebenen bei der rechtextremistischen Szene. Danach ist eine Zunahme von sogenannten "Kameradschaften" zu beobachten, die überwiegend aus jugendlichen gewaltbereiten Skinheads bestehen. Rund 2800 Personen, zu über 88 Prozent männlich und mit einem Durchschnittsalter von 23 Jahren, seien bundesweit in 160 Kameradschaften engagiert. Diese Strukturen, so ergänzte der anwesende Präsident des Bundesverfassungsschutzes Heinz Fromm, seien aber nicht im herkömmlichen Sinne "organisiert", sondern agierten immer so, "dass es nicht verbotwidrig ist". Bei den regelmäßigen "stammtisch-ähnlichen" Treffen gebe es häufig keinerlei Ansatzpunkt für eine Verfolgung nach der Definition terroristischer oder krimineller Vereinigungen. Zu beobachten sei dagegen eine erhebliche Zunahme körperlicher Gewalttaten. Es gebe Erkenntnisse über 272 Personen, die in Verbindung mit 737 Gewalttaten - Körperverletzung und Landfriedensbruch - gebracht werden.
Im Bereich des politisch agierenden Rechtsextremismus werde dagegen derzeit nicht über gewalttätige Aktivitäten diskutiert. Diese Einschätzung erfolge "in Übereinstimmung" mit allen Bundes- und Landesbehörden von Polizei, Verfassungsorganen und Justiz. Hier habe sich die Szene mit klaren verbalen politischen Aussagen und einem attraktiven häufig musikalischen Musikprogramm vielmehr bundesweit auf wöchentliche Veranstaltungen konzentriert. Drittens sei ein Rückgang der Zugehörigkeit zum rechtsextremen politischen Lager zu beobachten. Dies dürfe aber nicht zu einer Unterschätzung des vorhandenen Gefahrenpotentials führen. Insgesamt mache es die Veränderung in der Szene schwieriger, Absichten und Vorgänge präzise einzuschätzen. Dies habe sowohl mit der "eher spontanen Gewaltbereitschaft" bei den Kameradschaften zu tun als auch damit, dass im Internet zunehmend darauf verzichtet werde Propaganda zu treiben. Stattdessen würden häufig passwortgeschützte interne Botschaften ausgetauscht, sagte Fromme auf Fragen der Ausschussmitglieder. Allgemein begrüßt wurde in diesem Zusammenhang die Ankündigung der Regierung, mit den Ländern ein Operations- und Analyseboard zu gründen, um die Aktivitäten der Szene und ihre hohe Affinität zu Waffen aufmerksam zu beobachten. Die Ausschussvorsitzende Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD) ging abschließend auf die Aussage der Regierung ein, das NPD-Verbotsverfahren habe möglicherweise einen dämpfenden Trend bewirkt und zum Rückgang von Mitgliedschaften im rechten Spektrum beigetragen. Sie sagte, dies dürfe nicht dazu führen, das tatsächliche Gefahrenpotenzial zu unterschätzen.