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Das Parlament
Nr. 47 / 15.11.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Manfred Funke

Prinzipienfest

Ulrich von Hassells Aufzeichnungen

Auf die eigenmächtige Verkündigung der deutschen Wehrhoheit reagierten im April 1935 Paris, London und Rom gemeinsam mit einer antideutschen Riegelpolitik. Doch im Herbst zerbrach diese, als Mussolini das Völkerbundsmitglied und Kaiserreich Abessinien angriff. Der damit eröffnete Kampf Roms gegen England um die Vormachtstellung im Mittelmeer trieb den "Duce" an Hitlers Seite, um im Norden ein Gegengewicht gegen London verfügbar zu haben.

Umgekehrt suchte auch Hitler durch ein Bündnis Rom-Berlin britische Kräfte im Süden zu binden. Und in der Tat zog der Locarno-Garant England nicht blank, als deutsche Truppen am 7. März 1936 das entmilitarisierte Rheinland besetzten. Rom war über diese Ablenkung der Weltpolitik vom Krieg gegen Haile Selassie erfreut, aber auch entsetzt. Der mit dem Duce nicht abgestimmte Coup ließ das Misstrauen Mussolinis rasch wieder emporschnellen. Wollte Hitler Italien letztendlich doch noch gegen England ausspielen?

Einmal mehr musste der deutsche Botschafter in Rom, Ulrich von Hassell, all seine Beschwichtigungskünste aufbieten und zugleich über diesen Vorfall hinaus die deutschen Interessen gegen den Expansionismus Hitlers abschirmen, für den Italien als Ersatz für das widerborstige England immer bedeutsamer wurde.

Unter dem Eindruck der Rückschläge der italienischen Hilfstruppen für Franco im Spanischen Bürgerkrieg warnte von Hassell in Berlin offen vor einer Überschätzung Italiens als einzigem Bundesgenossen des Reichs. Gegenüber Göring sprach er von der Gefahr, die darin läge, dass Deutschland und Italien sich als zwei Lahme unterhakten, um durch die Gegend zu humpeln.

Am 19. März 1937 wies von Hassell Hitler persönlich auf die Möglichkeit eines westlichen Gegenblocks einschließlich amerikanischer und sowjetischer Unterstützung hin. Aus deutscher Sicht sei deshalb eine

elastischere Politik gegenüber London und Moskau vernünftigerweise geboten. Doch der Botschafter konnte Hitlers Illusionen über Italiens Kampfstärke nicht entkräften. Resigniert notierte er: "Ich stellte wieder die eigentümliche Mischung einer weiten Schau im Stile des Propheten mit auf der einen Seite soldatischer Entschlossenheit, auf der anderen naiven Milchmädchenrechnungen fest."

In dieser Aufzeichnung über das Gespräch Hitlers mit seinem Missionschef in Rom besitzt ein Satz Schlüsselcharakter: "Wie die letzten Male immer kreisten seine Gedanken um den militärischen Pol, um die Kriegsmöglichkeit, um die Kriegschancen..." Da sich Hassell dieser Vabanque-Politik entzog, wurde er am 17. Februar 1938 aus Rom abberufen.

Immer stärker verband sich von Hassell danach der konservativen Opposition. Im Fall des Gelingens des Attentats vom 20. Juli 1944 sollte er Außenminister in einem Kabinett Goerdeler werden. Mutig und aufrecht trat er Freisler entgegen, der am 8. September 1944 das Todesurteil über ihn sprach und es noch am selben Tag vollstrecken ließ.

Die Briefe von Hassells an seine Frau Ilse, geb. von Tirpitz, seine geheimen Aufzeichnungen und Dossiers über Gespräche mit den Großen seiner Zeit dokumentieren die faszinierende Lebenswelt der europäischen Diplomatie am Vorabend der Katastrophe. Die Papiere sind zugleich bedrückende Zeugnisse einer konservativen Großdeutschland-Politik, die sich partiell mit der Hitlers verband und dann von der rassistischen NS-Lebensraumideologie ebenso geschmeidig wie brutal liquidiert wurde.

Ulrich von Hassell

Römische Tagebücher und Briefe 1932 - 1938.

Herausgegeben von Ulrich Schlie unter Mitarbeit von Thies Schulze,

Herbig Verlag, München 2004; 384 S., 34,90 Euro

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