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Das Parlament
Nr. 47 / 15.11.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Eberhard von Lochner

Freundschaft in mörderischer Zeit

Briefwechsel zwischen Alfred Schütz und Eric Voegelin

Was für ein fesselndes Buch für alle Zeitgenossen, die verstehen wollen, was Politik und Philosophie miteinander zu tun haben! Alfred Schütz (1899 - 1959) und Eric Voegelin (1901 - 1985), zwei herausragende Gestalten europäischer Gelehrsamkeit im 20. Jahrhundert, sind dem deutschen Publikum zu wenig bekannt. Umso verdienstvoller ist die Edition des Briefwechsels zwischen diesen interessanten Persönlichkeiten.

"Eine Freundschaft, die ein Leben ausgehalten hat" lautet der Titel des Buches - ein Zitat Voegelins aus dem Jahre 1958. Er lässt bereits den Grundton des Dialogs über mehr als 20 Jahre anklingen: Freundschaft zwischen zwei Sozialwissenschaftlern angesichts von Verfolgung und Emigration und schwierigem Neubeginn in den USA.

Der Briefwechsel beginnt 1938. Schütz und Voegelin sind von den Nationalsozialisten aus ihrer Wiener Lebens- und Geisteswelt vertrieben worden und vergewissern sich sozusagen, dass sie noch am Leben sind (Schütz 1945: "Meine weitere Familie … ist vollständig ausgerottet").

Schütz, der als Bankangestellter nicht mit der gleichen Intensität wie Voegelin seine philosophischen und soziologischen Interessen verfolgen konnte, hatte im Anschluss an Max Weber und Edmund Husserl versucht, die Lebenswelt des Menschen mit seinen alltäglichen Problemen zu durchdenken und so den "sinnhaften Aufbau der sozialen Welt" (so der Titel seines ersten Buches) zu ergründen.

Voegelin hatte eine glänzende Karriere an der Wiener Universität begonnen, die politisch relevant wurde, als er sich mit der Rassenideologie der Nazis und dem autoritären Staat Österreich auseinander setzte. Weil er in der Politik der österreichischen Kanzler Dollfuß und Schuschnigg den Versuch sah, das größere Übel des Nationalsozialismus abzuwenden (wie übrigens auch Sigmund Freud und Karl Kraus), musste er in den ersten Wochen nach dem Einmarsch deutscher Truppen mit seiner Verhaftung rechnen. Die abenteuerliche Flucht in die Schweiz glückte, und Voegelin konnte sich in den USA eine neue wissenschaftliche Existenz aufbauen.

Räumlich getrennt (Schütz lebte in New York, weiter als Bankmanager beschäftigt und sich langsam in einen erlesenen Kreis von Sozialwissenschaftlern integrierend - Voegelin lehrte in Baton Rouge/Louisiana), blieben sie in engem brieflichen Kontakt. Ihre Lebensumstände, das Schicksal von Bekannten und Freunden nebst Kommentaren zu Kultur und Politik während und nach dem Zweiten Weltkrieg geben den Briefen die Atmosphäre des biographisch Interessanten. Keineswegs marginal sind dabei die Analysen politischen Wahnsinns (Hiroshima).

Schwerpunkt des Austausches ist aber immer der jeweilige Fortschritt dessen, woran man gerade schreibt. Voegelin tritt hier mit seinem in Deutschland erst jetzt, nach fast 50 Jahren, übersetzten Hauptwerk "Order and History" und der "Neuen Wissenschaft der Politik" in den Vordergrund. Nach dem Leitartikel über dieses Buch im "Time"-Magazin (1953) steht Voegelin im Zenit seines Ruhms in Amerika. Auf seiner Europa-Reise 1950 war er, um seine Forschungen zur politischen Gnosis auszubauen, mit Spitzenpersönlichkeiten der damaligen Geisteswissenschaften zusammengetroffen - mit Karl Jaspers, Urs von Balthasar, Alois Dempf.

Zweifel über das richtige geistige Milieu

Als Voegelin den Ruf an den neu gegründeten Lehrstuhl für Politische Wissenschaft der Münchner Universität erhielt, hatte Alfred Schütz Zweifel, ob dort das richtige geistige Milieu für den überaus anspruchsvollen und selbstbewussten Freund vorhanden sei. Er sollte in gewissem Sinne Recht behalten - Voegelin konnte seinem Werk dort nicht den Platz verschaffen, der ihm gebührte. Als Schütz völlig überarbeitet und schwer krank mit nur 60 Jahren starb, setzte Voegelin in seinem Buch "Anamnesis" dem Freund ein anrührendes Denkmal: "Einer der feinsten philosophischen Köpfe unserer Zeit ist noch immer der stille Partner meines Denkens."

Dem Vorwort der Herausgeber ist zuzustimmen, dass dieser Briefwechsel nicht nur Wesentliches zum Verständnis der Lebens- und Arbeitswelt der emigrierten Intellektuellen beiträgt, sondern auch aufmerksam macht auf zwei Klassiker des Nachdenkens über Ethik und Politik.

Alfred Schütz, Eric Voegelin

Eine Freundschaft, die ein Leben ausgehalten hat. Briefwechsel 1938 - 1959.

Herausgegeben von Gerhard Wagner und Gilbert Weise.

UVK-Verlag, Konstanz 2004;

610 S., 98,- Euro

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