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Nr. 47 / 15.11.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Jeanette Goddar

Eine Revolution in Bildung anzetteln

Vbw-Studie legt Finanzierung vor

Bescheiden geht anders. Die Autoren der jüngsten bundesweiten Bildungsstudie wollen nichts Geringeres als einen Umsturz: "Unser Ziel ist es, eine Art Bildungsrevolution anzuzetteln." Der das sagt, ist wiederum der Öffentlichkeit bisher nicht als Revolutionär bekannt: Randolf Rodenstock ist Präsident der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), einem Zusammenschluss von 110 Verbänden und Einzelpersonen, die insgesamt 3,3 Millionen Menschen beschäftigen.

In der letzten Oktoberwoche legte der vbw den zweiten Teil der Studie "Bildung neu denken!" vor. Dass es den überhaupt gibt, ist zwar vielleicht noch nicht revolutionär, aber zumindest beachtlich. Anders als üblich haben die Verfasser nämlich auf die inhaltlichen Vorschläge, die sie bereits vor einem Jahr machten, auch ein Konzept zur Finanzierung folgen lassen. Mit der ökonomischen Analyse beauftragt wurde die Schweizer Prognos AG; wissenschaftlicher Koordinator ist der Berliner Erziehungswissenschaftler und Präsident der Freien Universität Dieter Lenzen.

Die Umgestaltung des Bildungssystems nach der Vision der Bayern würde Deutschland in jedem Jahr 26,7 Milliarden Euro kosten - und das Land damit im OECD-Vergleich der Industriestaaten von Platz 18 auf Platz 3 hinter den USA und Südkorea platzieren. "Viel Geld", konstatiert Rodenstock - aber andererseits doch nur 33 Euro pro Einwohner "für den wertvollsten Rohstoff, den wir haben." Außerdem sei Bildungspolitik die beste Sozialpolitik: "Dass wir zurzeit sechs mal soviel für Soziales wie für Bildung ausgeben ist ein Skandal", sagt Rodenstock.

Um die fehlenden 26 Milliarden zusammenzubringen, sollen staatliche wie private Ausgaben umgeschichtet werden. Auf staatlicher Seite würden die Länder als Bildungsverantwortliche den größten Teil der Mehrkosten tragen müssen, der Bund würde vor allem in die Hochschulen und die Kommunen in die Vorschulen investieren. Genommen werden soll das Geld unter anderem aus zweckgebundenen Steuern: Allein die Einnahmen aus der Mineralölsteuer betrügen jährlich 40,7 Milliarden; jene aus der Tabaksteuer 12 Milliarden, rechnet Dieter Lenzen vor: "Da kann man zielgerichtet umorganisieren." Aber auch die Wirtschaft und die Privathaushalte sollen für bessere Bildung in die Tasche greifen: Unternehmen sollen für die Weiterbildung zahlen; jeder Bürger ein bei seiner Geburt eingerichtetes "Bildungskonto" regelmäßig aufstocken. "Bildung ist Daseinsvororge", so Lenzen weiter, "da kann man von jedem erwarten, dass er investiert."

Junge Leute mit Abitur gesucht

Von den 26 Milliarden - das ist ein Viertel der jetzigen Ausgaben extra - soll die Hälfte in Grundschulen fließen. Die (Ganztags-)Grundschule von morgen soll früher anfangen, länger dauern und mehr individuelle Förderung und Diagnostik bieten. Mehr als 5,4 Milliarden Euro würde nach Berechnungen der Forscher die verlängerte Grundschulzeit kosten; weitere 5,7 Milliarden der konsequente Umbau zu einer Schule, die von acht bis 18 Uhr geöffnet hat. Für gezielte Förderung in der Schulzeit wie in den Ferien, neue Medien und Tests zum Beginn und Ende der Primarschule werden in dem Konzept 1,9 Milliarden veranschlagt. Dafür, dass die Primarstufe den größten Teil der Investitionen braucht, gibt es für Dieter Lenzen einen guten Grund: "Wir brauchen 50 bis 70 Prozent junge Leute mit Abitur", prognostiziert er, - "und die Entscheidung darüber, ob jemand das schafft, fällt früh."

Nach Lenzens Ansicht ist es eins der größten Mankos des Bildungssystems, dass seit Jahren völlig entgegengesetzt dieser simplen Erkenntnis gehandelt wird. "In die Jüngsten wird viel zu wenig investiert - stattdessen versucht man mühselig, das Versäumte bei den Älteren zu reparieren. Das muss sich ändern." Rodenstock ergänze, dass auch die Investitionen, die Eltern zu leisten hätten, ungerecht verteilt seien: So finanzierten wenig verdienende Eltern das Studium der Kinder aus wohlhabenden Familien mit; und müssten dann auch noch Geld für einen Kindergarten aufbringen.

Geld gespart werden kann nach Ansicht der Experten in dem Bildungssystem von morgen auch: zum Beispiel durch die Abschaffung des Sitzenbleibens sowie durch mehr befristete Beschäftigungsverhältnisse. Dass ein Wirtschaftsverband für die Abschaffung von Klassenwiederholungen eintrat, war 2003 nur eine von mehreren Überraschungen des ersten Teils von "Bildung neu denken". Darüber hinaus sieht die Schule von morgen so aus: Sechs Jahre lang werden Kinder gemeinsam unterrichtet und danach auf nur noch zwei Schulformen mit hoher Durchlässigkeit verteilt. Die Hauptschule wird abgeschafft.

Beginnen soll die schulische Laufbahn bereits im Alter von vier Jahren - wer dann noch nicht über die nötigen Voraussetzungen verfügt, folgt mit fünf oder sechs. Und nicht nur für die Schüler würde sich vieles ändern: Der Lehrer soll zum "Lehrprofi" ohne Beamtenstatus werden. Er wäre ganztags in der Schule und in weiten Teilen der bisherigen Ferienzeit mit Fortbildung oder dem Unterricht für Schwächere beschäftigt.

Für den vbw ist das Konzept alternativlos. "Wir brauchen eine Revolution", sagt Rodenstock, "sonst rauben wir unseren Kindern und Enkeln Chancen. Und Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit." Warum? Bis zum Jahr 2040 wird die Zahl der Arbeitskräfte in Deutschland von 40 auf 25 Millionen zurückgehen; am stärksten verliert das Land Bürger im innovativsten Alter zwischen 30 und 39. Und irgendwer wird die Arbeit in einer Welt, die immer mehr hoch qualifizierte Arbeitskräfte braucht, erledigen müssen. Unter den Schülern von heute, rechnet die Bayerische Wirtschaft vor, gehen dafür zu viele verloren: Zurzeit verlässt jeder Fünfte die Schule ohne Abschluss.

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