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Das Parlament
Nr. 47 / 15.11.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Igal Avidan

Keine Erbin des Antisemitismus

Die Tochter von Albert Speer ist Gründerin der Stiftung "Zurückgeben"
Vor zehn Jahren sollte die Erziehungswissenschaftlerin Hilde Schramm, 68, mehrere romantische Bilder von ihrem Vater, Hitlers Architekten und Rüstungsminister Albert Speer, erben. Der Kriegsverbrecher hatte sie in der Zeit des Nationalsozialismus erworben, und Schramm musste davon ausgehen, dass diese Gegenstände einmal Juden gehört hatten, die sie vor ihrer Emigration zwangsverkaufen mussten oder dass sie enteignet wurden. In beiden Fällen hatte ihr Vater persönlich Vorteil daraus gezogen. Daher wollte sie ihr Erbe nicht antreten.

Schramm suchte vergeblich nach den rechtmäßigen Eigentümern und beschloss daraufhin, die Bilder zu verkaufen und aus dem Erlös zusammen mit anderen Frauen eine Stiftung zu gründen, um damit jüdische Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen in Deutschland zu unterstützen. "Wir möchten zum Wiederbeleben des jüdischen Leben in Deutschland ganz wenig beitragen", sagt sie bescheiden. Damit die jüdischen Frauen sich nicht verpflichtet fühlen, Deutschen gegenüber dankbar zu sein, sitzen in der Jury ausschließlich jüdische Frauen.Viele Deutsche zogen materielle Vorteile aus der Vertreibung und Ermordung der Juden - von einer freigewordenen Professur bis hin zur günstigen Übernahme einer Arztpraxis oder eines Ladengeschäftes. Deutsche Notare, Banken und Versicherungsgesellschaft machten gute Geschäfte mit der Enteignung jüdischen Vermögens und vererbten diesen Wohlstand an die nächsten Generationen. Die Stiftung "Zurückgeben" will aber nicht moralisieren, sondern wichtige Projekte fördern, die auch Deutschland zugute kommen, betont Geschäftsführerin Karin Wieckhorst: "Das sind Filme, Lesungen, Bilder, wissenschaftliche Untersuchungen. Diese Werke fließen in die Gesellschaft hinein und sind gerade für Deutschland so wichtig."

Wenig finanzielle Unterstützung

Aber nicht wichtig genug, dass sich die Medien für die zumeist unbekannten Stipendiatinnen interessieren würden. Sehr viele Deutsche loben die Idee der Stiftung, aber nur sehr wenige unterstützen deren Arbeit finanziell, entweder weil sie sich an die Vergangenheit ihrer Familie nicht erinnern wollen oder weil sie die Förderung jüdischer Frauen für ein Anliegen der Regierung halten. Aufgrund der knappen Mittel ist das Büro der Stiftung nur dreimal pro Woche nachmittags besetzt, was die öffentliche Präsenz der Stiftung nicht gerade erleichtert. Hilde Schramm ist da wesentlich bekannter, sowohl als Erziehungswissenschaftlerin wie auch als Lokalpolitikerin der Grünen und ehemalige Vize-Präsidentin des Berliner Abgeordnetenhauses. Dass sich die Journalisten bei der Berichterstattung vor allem für Schramm und insbesondere für ihre Biographie interessieren, löst Kritik innerhalb der Stiftung aus, obwohl Schramm die Öffentlichkeit nicht sucht und Fragen nach ihrem Vater höflich aber bestimmt zurückweist.

Auf hartnäckiges Nachfragen öffnet sie einen Katalog, in dem eines jener Bilder prangt, über die sie ihren Vater nie befragt hatte. "Das Bild hat mich nur als Erbstück interessiert, dessen Erlös ich der Stiftung geben kann," sagt sie. Dann beschreibt sie widerwillig das Werk des italienischen Malers Consalvo Carelli: Der Hafen von Neapel im 19. Jahrhundert.

Ob sich ihr Vater in seiner Funktion als "Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt" diese Bilder bei der Zwangsräumung von Berliner Juden ab 1937 angeeignet hat, kann Schramm nicht sagen, nur das: "Mein Vater war kunstverständig. Ich weiß aber nicht, was in seiner Berliner Amtswohnung hing, weil ich als Kind nur ein paar Mal sehr kurz dort war. So einfach ist das nicht, dass man denken kann, er hatte Gegenstände aus der NS-Zeit nach dem Krieg bei sich stehen gehabt." Da die Bilder nicht bekannt waren, konnten ihre ehemaligen Besitzer nicht identifiziert werden.

Das Wort "Raubgut" kommt häufig vor im Gespräch mit der Psychotherapeutin Irene Anhalt. Sie erbte wertvolle Biedermeiermöbel von ihrer geliebten Großmutter. Beim Recherchieren stellte sie schockiert fest, dass "diese moralische Person sich 1943, nachdem sie ausgebombt worden war, blindlings an jüdischem Eigentum bereichern konnte". Weil sie nicht "Erbin von Nationalsozialismus und Antisemitismus" sein wollte, trennte sich auch Anhalt von ihrem Erbe und schloss sich der Stiftung an. Dabei betont auch sie, dass die Stiftung nicht gegründet wurde, um zu moralisieren, sondern, um bewusst zu machen, dass die Großeltern in jeder Familie in Deutschland am Nationalsozialismus beteiligt waren und dass sich jeder in Deutschland mit dem Holocaust auseinander setzen muss, egal ob seine Eltern oder Großeltern während der Nazi-Zeit Verbrechen an den Juden begangen haben oder nicht. "Es ist nicht nur eine Sache der Bundesregierung, sondern von jedem Einzelnen, der Teil an den Privilegien dieses Landes hat. Dazu gehört der geistige, ideelle aber auch dingliche Wohlstand, den jüdische Deutsche geschaffen haben."

Um Unruhe unter der Zivilbevölkerung zu verhindern, wurden in allen bombardierten deutschen Städten auf Auktionen Gegenstände aus jüdischem Besitz versteigert, sagt der Historiker Frank Bajohr von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg. "Allein nach Hamburg wurden 2.700 vollgestopfte Zugwaggons aus den Niederlanden transportiert - Möbel, Pelzmäntel, Schmuck, Bügeleisen und sogar Lebensmittel. Rund 100.000 Menschen - vor allem Frauen - die meisten Männer waren an der Front - nahmen an den Versteigerungen teil. Sie wussten, dass es sich um den Besitz deportierter oder ausgewanderter Juden handelte, und in Kleinstädten sogar, wem jedes Sofa, jeder Tisch und Stuhl persönlich gehört hatten. Bedürftige Deutschen erhielten von der NS-Volkswohlfahrt Anzüge mit eingenähten Judensternen."

Woher stammen die Möbel?

Zurückhaltende Freude herrscht zum Jubiläumsfest im Wappensaal des Berliner Roten Rathauses. Die rund 250 Gäste - Durchschnittsalter 45, mehr Frauen als Männer - unterhalten sich munter mit Bekannten. Aber das Verbrechen an den Juden überlagert das Gespräch wie ein schwarzer Schatten. Staatssekretär André Schmitz erinnert daran, dass viele Deutsche nicht wissen, woher ihr Wohnzimmermobiliar stammt, "oder sie wollen es nicht wissen".

Nach den Reden füllt Elzbieta Sternlicht am Klavier den großen Raum mit den Klängen von Fanny Hensel. Diese begabte Musikerin war nicht nur die Enkelin des großen jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn und die Muse ihres berühmten Bruders Felix Mendelssohn Bartholdy, sondern auch eine sehr interessante Komponistin. Durch die finanzielle Förderung der Stiftung "Zurückgeben" konnte die polnische Jüdin Sternlicht bisher unveröffentlichte Werke Hensels auffinden und auf CD einspielen. Jahrelang hat sie sich geweigert, deutschen Boden zu betreten, auch weil sie im Holocaust viele Angehörige verloren hat. Jetzt lebt Sternlicht in Berlin und spricht über das Vertrauen zu Deutschland, das sie nicht zuletzt durch die Stiftung "Zurückgeben" gewinnt: "Das war das erste Mal, dass ich in Deutschland eine Förderung bekam. Noch wichtiger als das Geld war jedoch die Würdigung meiner Arbeit, die mich gerührt und mich an die Stiftung gebunden hat."

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