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Oliver W. Schwarzmann
Der Betrug als Chiffre unserer Zeit
Werden die Finanzmärkte zur Gefahr für
die Demokratie?
Unter dem Aktenzeichen "F" findet sich eine prall gefüllte
Akte. Der einprägsame Titel zeigt, worauf das Werk hinaus
will: Es geht um zweifelhafte, hochspekulative, oft oder fast immer
um kriminelle Machenschaften an internationalen
Finanzmärkten.
Zu einem richtigen Finanz-Thriller gehört die große
und undurchsichtige Welt der Wirtschaft und Politik, deren Akteure
oft - einzeln oder wahrscheinlich allesamt - in irgendeiner, meist
nie nachweisbarer Form in dubiose Finanzgeschäfte verwickelt
sind. Folgerichtig ist der Auftakt des Buches eine Mauerschau im
spannenden, populistischen Thrillerjargon über die
Machenschaften von mehr oder weniger bekannten Spekulanten oder,
hier besser passend, Finanzjongleuren, die Börsen und Banken
dreist manipulierten. Die Requisiten am Tatort sind bekannt und
immer dieselben: Spekulation, Anlagebetrug, Geldwäsche,
Verstrickungen in die internationalen Machtzentralen.
Zweifellos ist der Finanzmarkt ein geeignetes Refugium für
Spekulanten und Manipulatoren, denn die Auflösung des Kapitals
in die Unsichtbarkeit globaler Kontenvorgänge, die
internationalen Verkettungen des Marktes, einem monetären
Irrgarten gleich, und seine psychologischen Mechanismen haben
Produkte und Möglichkeiten geschaffen, die einem Mix aus
Cleverness, Insiderwissen und kriminellem Potenzial den Weg
bereiten können.
Doch Vorsicht: Der Finanzmarkt und seine Produkte sind dazu da,
so viel und so schnell wie möglich Geld zu machen.
Spekulationen gehören dazu; sie sind notwendig, um den Markt
in Gang zu halten und oftmals sorgen sie für die notwendigen
Ausgleichsbewegungen.
Kritisch wird es, wenn Spekulationen zum Massentrend werden.
Diese Hebelwirkung, selbst nur als Gerücht, ist fähig,
Unternehmen, Banken und sogar ganze Volkswirtschaften empfindlich
zu treffen. Hetzer hat natürlich Recht, wenn er dann von
"Spekulationskultur" und "Casinowirtschaft" berichtet, die nichts
mit ökonomischer Realität gemein haben. Dennoch muss man
verstehen lernen, dass der Finanzmarkt ein eigenständiger,
virtueller Kosmos geworden ist, der seinem spekulativen Charakter
folgt statt wirtschaftlicher Realentwicklung.
Radikale Veränderungen
Die Ursache liegt in der rasanten Metamorphose der letzten drei
Jahrzehnte. Der altehrwürdige Finanzmarkt mit seinen
konservativen Idealen hat sich seit Mitte der 70er-Jahre radikal
verändert: Innovative Finanzprodukte drängen seither
progressiv auf den Markt, immer neuere, international ausgerichtete
Anlageoptionen sind entstanden, gemanagt von transnationalen und
weitverzweigten Allfinanz-Konzernen.
Es geht schon lange nicht mehr um biedere Finanzströme zur
Bezahlung von Waren oder um die langfristige Entwicklung von
Unternehmen und Wirtschaftssystemen. In der Kapitalökonomie
lautet die allgemeine Maxime für jeden, irgendwie an den
Finanzströmen Anteil zu haben. Hetzer bestätigt: "Die
Organisierte Kriminalität und die bürgerliche
Erfolgsgesellschaft haben mindestens eine Gemeinsamkeit. Ihr
jeweiliges Interesse an der Gewinnmaximierung und an der
Minimierung der Steuerlast sind gleich groß." Dass Gier blind,
taub und letztlich arm macht, weiß jeder, doch ihr entziehen
können sich nur wenige, wie Hetzer im Kapitel "Hochstapler und
Kaufleute" berichtet, wo er zeigt, dass und auf welch plumpe Weise
kluge Kaufleute immer noch auf Versprechungen von
Anlagebetrügern hereinfallen.
In einer schnelllebigen, technologisch urbanisierten
Wettbewerbs-Welt wird der Kampf um Geld und Macht härter.
Demzufolge verändern sich auch die Methoden. Grenzen
verschwimmen und immer mehr mischen mit. Hetzer: "Es wird darum
gehen, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem Verhalten
eines Verdächtigen, welcher der Organisierten
Kriminalität zuzurechnen ist, und einer Vielzahl von Managern,
Bankern und Politikern zu diskutieren."
Die Organisierte Kriminalität nutzt Mittel und Methoden
ihrer Zeit. Kontenwirrwarr, Verrechnungs- und
Buchhaltungsmanöver, freizügige Offshore-Standorte und
Steueroasen sowie Schattenwirtschaft und Steuerhinterziehung zeigen
die moderne Geldwäsche als subtile Finanzstrategie innerhalb
eines "komplexen Systems illegaler und legaler Aktivitäten,
die untereinander verflochten und verwoben sind".
Über ihre Geldwäschepraxis integriert und etabliert
sich die Organisierte Kriminalität in den ohnehin
dschungelartig wuchernden Wirtschaftsstrukturen. Denn Geld wird
nicht mehr als Geld gewaschen, sondern: "Funktionell ist die
Geldwäsche die finanztechnische Ergänzung zum
ungehinderten Spiel der Marktkräfte und seinen illegalen
Ausprägungen. Sie ist gewissermaßen der
Transformationsriemen zwischen einander widersprechenden
gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen
Systemen."
So folgt auf diese nüchterne Erkenntnis ein skeptisches
Schlussurteil des Autors über die Perspektive,
Finanzkriminalität eindämmen zu können: "Sieht man
in der Organisierten Kriminalität eine Radikalisierung
wirtschaftlicher Prozesse, entstehen unkontrollierbare
Wechselbeziehungen zwischen dem (noch) ehrbaren Kaufmann und dem
(schon) salonfähigen Mafioso". Letzterer begegnet uns wohl
immer öfter: "Bereicherung ist zum Daseinszweck oder gar
Lebenssinn avanciert. Der Betrug ist zur Chiffre unserer Zeit
geworden." Es ist ein Buch, das aufklärt, ganz entgegen dem
Verdruss des im Epilog zitierten Kästner, der schließt:
"Ach, ich und Menschen meines Schlages verstehn das nicht! Sie
lesen's nur."
Wolfgang Hetzer
Tatort Finanzmarkt. Geldwäsche zwischen Kriminalität,
Wirtschaft und Politik.
Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2003; 188 S., 14,90
Euro
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