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Hartmut Hausmann
Sammlungspolitik im rechten Spektrum erzeugt
Spannungen
Entsteht eine neue "europäische
Mitte"?
Martin Schulz, Spitzenkandidat der deutschen SPD
bei der Europawahl im Juni, witterte bereits Morgenluft für
die bis 1999 führenden, aber beim letzten Urnengang klar zur
zweitstärksten Kraft hinter der christdemokratischen
Europäischen Volkspartei (EVP) zurückgefallenen
europäischen Sozialdemokraten (SPE) im Europäischen
Parlament. Mit markigen Worten, wie "Rechtsruck der EVP-Fraktion"
und "der politischen Bauchladen fliegt auseinander", kommentierte
er eine Sondersitzung der EVP-Fraktion und Meldungen über
Abspaltungen.
Dieses Frohlocken war sicherlich voreilig.
Richtig ist aber, bei der Positionierung für die nächste
fünfjährige Wahlperiode bis 2009, bei der alle sieben
politischen Gruppierungen in Straßburg auf zusätzliche
Verstärkung aus den neuen Beitrittsländern hoffen, hat
EVP-Fraktionsvorsitzender Hans-Gert Pöttering einen deutlichen
Prestigeverlust hinnehmen müssen. Durch die Aufnahme von sehr
unterschiedlichen nationalen Abgeordneten und Gruppen aus dem
rechtskonservativen Spektrum, von denen nicht wenige
Integrationsgegner sind, hatte Pöttering versucht, eine
politische Kraft zu schmieden, gegen deren Willen in Straßburg
kaum etwas durchzusetzen sein sollte. Dieses Sammelbecken umfasste
neben dem eigentlichen, föderalistisch proeuropäischen
Kern auch die britischen Konservativen, einen Teil der
französischen Gaullisten sowie Berlusconis Forza-Abgeordnete
und die der spanischen Partido Popular. Diese Bandbreite
politischer Grundeinstellungen aber ist wohl zu groß, als dass
sie auf Dauer Bestand haben könnte, weil die Plattform der
gemeinsamen Überzeugungen immer kleiner wurde.
Zum Ausbruch kam der länger angestaute
Unmut, als Pöttering auf einer Fraktionssitzung eher
beiläufig über ein neues Fraktionsstatut abstimmen lassen
wollte. Dieses sollte den Konservativen, über ihr erneut
bestätigtes Recht hinaus, in institutionellen Fragen auch
gegen die Fraktionsmehrheit agieren zu dürfen, mehr eigenes
Personal und per Satzung das Recht auf einen
Fraktionsvizepräsidenten zugestehen. Damit sollte den von dem
Abgeordneten Roger Helmer aus dem Wahlkreis East Midlands immer
wieder neu forcierten Bestrebungen bei den Briten entgegengewirkt
werden, sich von der EVP zu trennen und wie früher eine
eigenständige Fraktion zu bilden. Dieses Entgegenkommen
Pötterings könnte, so fürchten alte
Fraktionsmitglieder, zu fortgesetzten Erpressungsversuchen durch
die Briten führen, denn auf den besten Plätzen in England
sind zur Europawahl fast ausschließlich ausgemachte
Europagegener nominiert.
Zwar wurde in einer Fraktionssondersitzung
zwei Tage später dem Weiterbestehen der Fraktionsgemeinschaft
grundsätzlich und mit großer Mehrheit zugestimmt, aber
über das einzustellende Personal sollen die Briten auch in
ihrem Bereich nicht eigenständig entscheiden, verlangte die
Niederländerin Ria Oomen-Ruijten. Einzelheiten des Abkommens
sollen bis Ende März erarbeitet werden. Das Ja zum weiteren
Zusammengehen von EVP und ED wurde, auch durch eine sehr schwache
Präsenz erzeugt. Hartmut Nassauer, der Obmann der deutschen
Christdemokraten, hatte seine Schäfchen mobilisiert,
während seine französische Kollegin Margie Sudre ihre
Abgeordneten zum Teil erst gar nicht über Pötterings
Pläne informiert hatte, weil einige schon auf dem Absprung
sind und die meisten anderen ohnehin dagegen gewesen
wären.
Dem Anspruch der EVP als stärkste Kraft
im Europaparlament wird nach Auffassung des französischen
Föderalisten Jean-Louis Bourlanges der europäische
Gestaltungsanspruch weitgehend geopfert. Mit anderen
Fraktionskollegen der UdF, die erst vor etwa einem Jahrzehnt unter
Giscard d'Estaing wegen dessen persönlicher Ambitionen von den
Liberalen zur EVP gewechselt waren, legt Bourlanges den
Rückwärtsgang ein und will Ende des Monats zusammen mit
dem liberalen Fraktionsführer Graham Watson, linken
Christdemokraten Italiens sowie belgischen Kollegen eine neue
europäische Kraft der Mitte bilden.
Mögen auch führende EVP-Politiker
den möglichen Absprung der UdF-Kollegen als Manöver der
französischen Innenpolitik abtun, ungefährlich ist er
nicht. UdF-Parteichef Francois Bayrou soll bereits zusammen mit dem
früheren italienischen Spitzenkandidaten der Liberalen,
Francesco Rutelli, ein Konzept für ein neues europäisches
Integrationsverständnis ausgearbeitet ha-ben, das einem
Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zufolge zudem die
ideelle und aktive Unterstützung von Kommissionspräsident
Romano Prodi haben soll. Sollte eine mit einem glaubwürdigen
Anspruch auftretende "Neue Europäische Mitte"
tatsäch-lich konkrete Formen annehmen, könnte sie
durchaus attraktiv für andere Gruppen werden, die entweder
noch in bei der EVP oder bei den Grünen beheimatet sind oder
wie schon bisher die katalanische CDC bei den Liberalen eine
politische Heimat gefunden haben. Bis klar ist, ob aus diesen
Plänen etwas wird, kann die EVP die Ereignisse noch mit einem
einfachen "Managementfehler" ihres Vorsitzenden abtun.
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