Astrid Pawassar
Zäher Kampf um die Braunkohle
Sachsen: Eine kleine Gemeinde lässt Politik
und Wirtschaft verzweifeln
Es schmerzt sie, wenn man sie als renitent
bezeichnet. Die 140 übrig gebliebenen von einstmals über
300 Einwohnern des Ortes Heuersdorf in der Leipziger
Tieflandsbucht. Seit ihnen die politische Wende das Recht dazu
gibt, kämpfen sie darum, in ihrer angestammten Heimat bleiben
zu können. Das bisschen Braunkohle unterm Dorf sei es nicht
wert, ihnen ihre Wurzeln zu nehmen, sagen sie. Davon gebe es doch
jetzt genug im großen Europa.
Das "bisschen", das sollen 52 Millionen
Tonnen sein. Sie seien dringend notwendig, um das neu errichtete,
hochmoderne Kraftwerk von Lippendorf zu speisen, meint die
Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft (MIBRAG). Denn Heuersdorf
liegt am Rande des Abbaugebietes "Vereinigtes Schleenhain", das
insgesamt 400 Millionen Tonnen Braunkohle nach Lippendorf liefern
soll.
Ab 2009 sollen hier die Schaufelbagger
arbeiten und den Rohstoff für fünf zusätzliche
Betriebsjahre des Kraftwerkes zutage fördern. Bis zum Jahr
2039 soll dann der Tagebaubetrieb laufen.
Alle Versuche, die Renitenz der letzten
Heuersdorfer mit Umsiedlungsprämien zu bekämpfen, sind
bislang fehlgeschlagen. Denn für nur fünf Betriebsjahre
wollen sie ihren gewachsenen Ort nicht hergeben. Nicht die Kirche,
nicht den Friedhof, nicht die vertrauten Gebäude, die zum
größten Teil über 100 Jahre alt sind und auch so
aussehen.
Seit zehn Jahren führen die Heuersdorfer
ihren Kampf gegen die MIBRAG und gegen die Landesregierung. Das
Recht war bislang auf ihrer Seite. Nicht, weil ihnen Grund und
Boden ihres Heimatortes unverbrüchlich zustünden. Sondern
weil der Braunkohlenplan des Regionalen Planungsverbandes
Westsachsen verfahrenstechnisch unsauber zustande gekommen war. Und
weil der Sächsische Landtag einer Gesetzesvorlage der
Regierung zugestimmt hatte, die vor dem Verfassungsgericht keinen
Bestand hatte.
Damit handelte sich die CDU-Regierung zwar
den Vorwurf des Dilettantismus seitens der Opposition ein. Doch in
der Sache sind auch SPD und PDS einer Meinung mit der
Staatsregierung: Die Heuersdorfer Kohle muss gefördert werden.
Es geht um Arbeitsplätze. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas
Jurk rechnet großzügig und kommt auf "fast 7.000
Arbeitsplätze im Südraum Leipzigs, die direkt oder
indirekt von der Braunkohleförderung
abhängen".
Die MIBRAG selbst hatte nur für rund
3.400 Beschäftigte Großalarm gegeben. Die amerikanischen
Eigner des Konzerns würden allmählich unruhig und seien
geneigt, den Krempel hinzuschmeißten, warnte
MIBRAG-Geschäftsführer Bruce de Marcus vor der
Anhörung des Wirtschaftsausschusses des Sächsischen
Landtages zum neuen Heuersdorf-Gesetz.
Das Allgemeinwohl, so sieht es auch der
PDS-Abgeordnete Michael Friedrich, müsse Vorrang haben vor den
Interessen einiger Weniger. Die Heuersdorfer hätten die Chance
verpasst, geschlossen an einen neuen Ort umzusiedeln.
Planungs- und Rechtssicherheit heißen
nun die Forderungen an die Landesregierung. Die bemüht sich
jetzt, ihr Umsiedlungsgesetz unanfechtbar zu gestalten. Eine
einvernehmliche Regelung zur Umsiedlung der letzten 140
Heuersdorfer wünscht sich der CDU-Wahlkreisabgeordnete Rolf
Jähnichen und versucht, die standhaften Dorfbewohner mit der
Aussicht auf eine "entscheidende Verbesserung der
Lebensverhältnisse" zum Umzug zu bewegen.
Damit ist nicht etwa ein modernes
Häuschen im Grünen gemeint, sondern eher die
Disney-Land-Variante, die auch schon SPD-Landrätin Petra
Köpping vorgeschlagen hat, den originalgetreuen Aufbau einiger
Heuersdorfer Leitbauten und des Dorfplatzes an einem anderen
Ort.
Die Landrätin, eine ausgewiesene
Fachfrau im Anzapfen öffentlicher Geldquellen in Form von
Fördermitteln, schwärmte im Regionalfernsehen auch schon
von modernster Infrastruktur dieses neuen, auf Alt getrimmten
Ortes: "Alles mit erneuerbaren Energien. Vielleicht wird es ja das
modernste Dorf Europas." Als Bürgermeisterin des ebenfalls vom
Abriss bedrohten Dorfes Dreiskau-Muckern hatte sie es geschafft,
diesem Ort neues Leben einzuhauchen und ihn für Künstler,
Handwerker und junge Familien attraktiv zu machen.
Während die MIBRAG sich in dieser Frage
wegen der zu erwartenden Mehrkosten zwar nicht ablehnend, aber doch
zurückhaltend äußerte, gaben einige Heuersdorfer dem
MDR-Fernsehen unverhohlen ihre Meinung zu Protokoll. "Sie
können doch kein gewachsenes Dorf aus der Erde verpflanzen,
das gibt es doch gar nicht. Wir gehen nirgendwo anders hin." Wenn
es sein muss, will man erneut vor dem Landtag in Dresden
protestieren.
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