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Barbara Dribbusch
Das soziale Risiko des Jobverlustes wird
privatisiert
Beschäftigungspolitik in Deutschland nach
Hartz II und III
Wer heute zurückblickt auf den Zustand der
Arbeitslosenversicherung in der alten Bundesrepublik, dem
müssen die früheren Zeiten fast paradiesisch erscheinen.
In den 60er-Jahren lag der Beitragssatz bei 1,3 Prozent, die
Arbeitsämter hatten trotzdem immer noch Geld übrig. Denn
ihre Zielgruppe war klein: In der Bundesrepublik Deutschland
herrschte praktisch Vollbeschäftigung. Bundesarbeitsminister
Hans Katzer (CDU) bemängelte Ende der 60er-Jahre gar, die
Bundesanstalt für Arbeit müsse weg vom ,,bloßen
Anhäufen sowie der kommerziellen Anlage von
Milliardenbeträgen" hin zu einem "produktiven Einsatz der
Mittel zur Schaffung und Umstrukturierung von
Arbeitsplätzen".
Diese satten Zeiten sind lange vorbei. 4,5
Millionen Arbeitslose sind heute bei den Ämtern registriert.
Mit den bereits verabschiedeten so genannten Hartz-Gesetzen wird
die Arbeitslosenversicherung erneut reformiert und deren Leistungen
deutlich zurückgeschraubt. Die entscheidende Veränderung:
Die soziale Fallhöhe für Erwerbslose wird
größer. Niemand, der seinen Job verliert, kann heute noch
erwarten, durch Maßnahmen der Arbeitsämter dauerhaft
gestützt und auf einem Einkommensniveau gehalten zu werden,
das erheblich über der Armutsgrenze liegt. Die alte
Ausstattung von Arbeitslosengeld und -hilfe, die auch den
Angehörigen der Mittelschicht-Milieus ihren Status sicherten,
wenn sie ihren Job verloren, wird es so in Zukunft nicht mehr
geben.
Drei Neuerungen sind dafür entscheidend:
Erstens wird durch die Hartz-Gesetze die Bezugsdauer des
Arbeitslosengeldes für Ältere verkürzt. Nach einer
Übergangszeit bekommen Erwerbslose nur noch für ein Jahr
Arbeitslosengeld, wer über 55 Jahre alt ist, hat einen
Anspruch von anderthalb Jahren. Damit wird der früheren Praxis
ein Riegel vorgeschoben, Ältere auf Kosten der
Arbeitsämter in den frühen Ruhestand zu schicken. Das
Bild der vielen Frührentner, die braungebrannt in Spanien
überwintern, gehört wohl bald der Vergangenheit
an.
Die zweite wichtige Neuerung: Arbeitslosen-
und Sozialhilfe werden ab 2005 zum so genannten Arbeitslosengeld II
zusammengelegt. Dieses so genannte Arbeitslosengeld II liegt in
etwa auf Höhe der heutigen Sozialhilfe und wird nach dem
Bedürftigkeitsprinzip gewährt. Die frühere
Arbeitslosenhilfe, die nach dem zuvor verdienten Entgelt berechnet
und zeitlich unbegrenzt gezahlt wurde, ist damit
abgeschafft.
Langzeitarbeitslose etwa auch aus
akademischen Milieus, die früher mal einen gutbezahlten Job
oder eine gut bezahlte ABM hatten und danach einen unbegrenzten
Anspruch auf Arbeitslosenhilfe besaßen, werden künftig
erheblich weniger Geld zur Verfügung haben als
bisher.
Wer das neue Arbeitslosengeld II bekommt, dem
werden "angemessene Wohnkosten" erstattet und ein monatlicher
Regelsatz von 345 Euro, beziehungsweise in den neuen
Bundesländern 331 Euro ausgezahlt. Die deutsche Sozialpolitik
hat damit gewissermaßen eine Mindestsicherung
geschaffen.
Beim Arbeitslosengeld II werden das eigene
Vermögen und das Einkommen des Partners oder der Partnerin
relativ streng angerechnet. Alleinstehende dürfen an eigenem
Vermögen inklusive Alterssicherung höchstens einen Betrag
von 400 Euro pro Lebensjahr behalten. Bei einem 50-Jährigen
sind das beispielsweise 20.000 Euro. Wer eine Lebensversicherung
besitzt, die mehr wert ist als diese Freibetragsgrenze, muss diese
Versicherung auflösen. Gerade Erwerbstätige, etwa in den
Facharbeitermilieus, befürchten daher, ihr mühsam
Angespartes schnell wieder verlieren zu können, wenn sie in
höherem Alter betriebsbedingt entlassen werden und keine
Stelle mehr finden. "Mein Mann ist Maurer und 54 Jahre alt. Wenn
der seine Stelle verliert, müssen wir nach einem Jahr
Arbeitslosengeld das Ersparte aufbrauchen und bekommen
anschließend Sozialhilfe und das war's". So beschreibt eine
Ehefrau in einer Fernsehsendung ihre Ängste. Die
Arbeitsmarktreformen verstärken die Furcht vor dem sozialen
Absturz - vielleicht ist auch das der Grund, warum die SPD im Jahre
2003 soviel Mitglieder verloren hat.
Die dritte wichtige Neuerung in den
Arbeitsämtern verstärkt diese Ängste noch. Die
Arbeitsförderung wurde besonders unter der Ägide des
inzwischen abgelösten Chefs der Bundesanstalt für Arbeit,
Florian Gerster, umgestellt. Die Bundesanstalt heißt jetzt
"Bundesagentur für Arbeit" (BA), die Arbeitsämter sind
"Agenturen für Arbeit". "Die Erhöhung von
Effektivität und Effizienz des Dienstleistungsangebots der BA
ist wesentliches Ziel des Reformprozesses. Im Mittelpunkt der
geschäftspolitischen Ausrichtung des Jahres 2003 stand neben
diesem grundsätzlichen Ziel die Umsteuerung der
Arbeitsförderung hin zu einem stärker aktivierenden und
präventiven Ansatz" heißt es im vierten Quartalsbericht
der BA aus dem Jahre 2003. Weiterbildungskurse und
AB-Maßnahmen wurden erheblich zurückgefahren, stattdessen
sollen Erwerbslose mehr in neugegründeten Zeitarbeitsfirmen,
den Personal-Service-Agenturen (PSA) beschäftigt werden und
mithilfe von kürzeren, so genannten Trainingsmaßnahmen
möglichst rasch in den regulären Jobmarkt
zurückkehren.
Diese Umsteuerung weg von der Förderung
eines "zweiten Arbeitsmarktes" hin zur Integration in den
regulären Jobmarkt ist ein erheblicher Einschnitt. Denn in den
vergangenen Jahrzehnten hatten sich die Arbeitsämter für
bestimmte Personengruppen im Westen, im Osten sogar für ganze
Regionen zu einer Art Ersatz-Arbeitgeber entwickelt.
Wie sehr sich diese Funktion als
"Ersatz-Arbeitgeber" gewandelt hat, zeigt ein Rückblick. Aus
heutiger Sicht beispielsweise erscheinen die Bedingungen der ABM in
den 80er-Jahren in der alten Bundesrepublik noch recht komfortabel.
Damals wurden AB-Maßnahmen noch annähernd tariflich
bezahlt. Akademiker, die beispielsweise in einer ABM an einem
Forschungsprojekt teilnahmen, bekamen dafür in etwa den
Tariflohn für den öffentlichen Dienst. Durch die ABM
erwarben die Teilnehmer immer wieder einen neuen Anspruch auf
Arbeitslosengeld. Nach der ABM mussten sie eine Wartezeit von einem
halben Jahr erfüllen, danach kam die nächste
AB-Maßnahme. Es entstanden die so genannten "ABM-Karrieren",
in denen Teilnehmer jahrelang sozialarbeiterisch, aber auch
künstlerisch oder wissenschaftlich auf Kosten der
Arbeitsämter beschäftigt wurden.
Nach der Wiedervereinigung bekamen die
AB-Maßnahmen in den neuen Bundesländern ein noch nie
dagewesenes Gewicht. Als die Arbeitslosenzahlen im Osten in die
Höhe schossen, wurden dort hunderttausende von ABM geschaffen.
Parkpflege, Denkmalpflege, Umweltschutz - im Osten waren diese
Wirtschaftsbereiche weitgehend ABM-dominiert. Später versuchte
die Politik, mehr Beschäftigungsmaßnahmen bei privaten
Arbeitgebern anzusiedeln, es entstanden die so genannten
Strukturanpassungsmaßnahmen, die SAM. Aber auch hier endeten
die Jobs meist dann, wenn die Subvention auslief.
Mit der neuen Politik der Arbeitsämter
wurden diese Beschäftigungsmassnahmen und auch die
Weiterbildung gekappt. Die Zahl der Teilnehmer an ABM und
Weiterbildungskursen ist im Januar 2004 im Vergleich zum
Vorjahresmonat um 20, beziehungsweise 30 Prozent,
zurückgegangen. Die ABM heute sind zudem erheblich
verkürzt. Durch die Teilnahme an den kürzeren ABM
lässt sich kein neuer Anspruch auf Arbeitslosengeld mehr
erwerben. Stattdessen werden Joblose eher in so genannte
Trainingsmaßnahmen geschickt, die oft nur drei Monate dauern.
Während dieser Maßnahmen bekommen die Teilnehmer nur eine
Leistung in Höhe des Arbeitslosengeldes, beziehungsweise der
Arbeitslosenhilfe.
Im Unterschied zu ABM und Weiterbildung wurde
die so genannte "direkte Förderung regulärer
Beschäftigung", also etwa Eingliederungs- oder
Existenzgründungszuschüsse, erhöht, im Januar 2004
nahmen im Vergleich zum Vorjahresmonat 27 Prozent mehr Erwerbslose
daran teil.
Besonders die Selbständigkeit und die
Personal-Service-Agenturen wurden stärker subventioniert. So
gewährten die Arbeitsämter im Jahre 2003 doppelt so viele
Zuschüsse zu Existenzgründungen als im Jahr davor. Im
Januar zählte die BA zudem fast 1.000
Personalservice-Agenturen mit mehr als 43.000
Plätzen.
Zur neuen Politik passt, dass auch die
Zumutbarkeitsregeln für Erwerbslose verschärft wurden:
Langzeitarbeitslose müssen danach jeden Job annehmen, auch
wenn er bis zu 30 Prozent unter Tarif bezahlt wird. Die Berater in
den Arbeitsagenturen praktizieren zunehmend eine "assistierte
Vermittlung", das heißt, bei manchen Jobsuchenden sind Leute
vom Arbeitsamt in den Bewerbungsgesprächen mit dabei. Damit
soll es den Arbeitslosen erschwert werden, eine ungeliebte
Tätigkeit zu vermeiden, indem sie sich beim
Vorstellungsgespräch bewusst ungünstig oder
gesundheitlich eingeschränkt präsentieren.
Mehr Druck auf die Arbeitslosen sowie
billigere und kürzere Maßnahmen - mit dieser Umsteuerung
will die BA nicht zuletzt Geld sparen. Der frühere BA-Chef
Florian Gerster hatte es sich zum Ziel gesetzt, mit möglichst
wenig Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt auszukommen. Im
BA-Bericht zum vierten Quartal wird denn auch die "Verkürzung
der durchschnittlichen Förderungsdauer" und die "deutliche
Senkung der Kosten je Fördermassnahme" positiv
hervorgehoben.
Die Umstellung der Arbeitsämter weg von
den ABM, die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und die zeitlich
striktere Begrenzung des Arbeitslosengeldes - diese Reformen in der
Arbeitslosensicherung haben gravierende soziale Folgen. Mehr als
zuvor sind Leute, die ihren Job verlieren, heute darauf angewiesen,
in der freien Wirtschaft möglichst schnell wieder eine neue
Arbeit zu finden, um nicht allzu tief sozial
abzustürzen.
Politiker verbrämen diese Entwicklung
gerne mit der Ideologie von der größeren
"Eigenverantwortung" der Arbeitslosen, die es sich früher
angeblich zu bequem gemacht haben. Doch dabei handelt es sich um
ein moralisches Paradox, das dem Sozialstaat leider innewohnt. Denn
der heutige finanzielle Engpass der Bundesagentur für Arbeit,
der in den 60er-Jahren im Westen so noch gar nicht vorstellbar war,
dieser finanzielle Engpass resultiert vor allem aus den
Spätfolgen der Wiedervereinigung und der aktuell schlechten
allgemeinen Wirtschaftslage. Im Jahre 2003 stagnierte das Wachstum,
zeitweise schrumpfte es sogar. Die Zahl der angebotenen Jobs geht
heute noch weiter zurück. Damit sinkt einerseits die Zahl der
Einzahler in die Arbeitslosenversicherung, andererseits steigt die
Zahl der Leistungsempfänger, die keine Stelle finden. Die
klammen Kassen haben Kürzungen zur Folge - paradoxerweise
appelliert man also genau dann an die "Eigenverantwortung" der
Erwerbslosen, wenn die aktuelle Joblage besonders ungünstig
ist, um diese Eigenverantwortung in eine erfolgreiche Stellensuche
umzusetzen. Wenn man bedenkt, dass in Westdeutschland erwerbslose
Hochschulabsolventen noch Mitte der 70er-Jahre nach ihrem Examen
einfach so Arbeitslosenhilfe bekamen und damals kaum einer von
"Missbrauch" sprach, dann wird schnell klar, wie verschiebbar die
moralischen Maßtäbe sind.
Die Arbeitslosenzahlen sollen sich in den
nächsten Jahren laut Wirtschaftsprognosen nicht nennenswert
verringern, die Entwicklung durch die Reformen der
Arbeitsförderung wird sich dennoch entsprechend fortsetzen:
Das soziale Risiko des Jobverlustes und dessen Folgen wird damit
mehr und mehr auf den Einzelnen verlagert, also
privatisiert.
Das Armutsrisiko tragen dabei nicht nur Leute
ohne Berufsausbildung oder Bürger und Bürgerinnen in
wirtschaftsschwachen Regionen, die wenig mobil sind. Auch für
die Qualifzierten in Mittelschicht-Milieus kann Arbeitslosigkeit
zum sozialen Absturz führen, wenn sie auf Dauer keinen Job
mehr finden.
Besonders brisant ist dabei die Altersfrage,
also der Umgang mit den Erwerbslosen über 45, die heute zu
jung für die Rente sind, vielen Unternehmen aber auch schon
als zu alt für eine Neueinstellung gelten.
Der Zugang zur Erwerbswelt, und zwar für
die Dauer eines ganzen Arbeitslebens, wird damit zum entscheidenden
Thema der künftigen Sozialpolitik. Auch die rot-grüne
Regierung muss sich dem stellen.
Barbara Dribbusch ist Redakteurin der
"tageszeitung" in Berlin.
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