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Eva Haacke
Bilanz nach einem Jahr: Die Ich-AG boomt - der
Job-Floater schwimmt nicht / Von Eva Haacke
Erfolge und Fehlschläge auf der
"größten Baustelle"
Simone Helm (35) ist hochzufrieden. Um sie herum
toben acht Kleinkinder und veranstalten einen
Höllen-lärm. Die gelernte Erzieherin hat zusammen mit
ihrer Kollegin Jacqueline Grundt (30) zwei Ich-AGs zur
Kinderbetreuung auf dem Prenzlauer Berg in Berlin gegründet.
Beide waren zuvor arbeitslos. Ihr "Lummerland" trifft in eine
ideale Marktlücke: Denn in dem Bezirk liegt die Geburtenrate
20 Prozent höher als im Rest der Stadt, und die beiden machen
den städtischen Kindertagesstätten mit deutlich
niedrigeren Preisen Konkurrenz. "Für uns ist das ein Ausweg
aus der Arbeitslosigkeit und gleichzeitig eine
Übergangslösung, bis wir Fördergelder für die
Gründung eines richtigen Kinderladens bekommen", berichtet
Simone Helm.
Für Arbeitslose gibt es seit gut einem
Jahr im Rahmen der Hartz-I- und Hartz-II-Gesetze die
Mög-lichkeit, eine so genannte "Ich-AG" zu gründen.
Umgekehrt sollen Unternehmen, die Jobs schaffen, über das
Programm "Kapital für Arbeit" (Job-Floater) mit
zinsgünstigen Krediten unterstützt werden. Die bisherige
Bilanz der beiden Arbeitsmarktreformen sieht allerdings sehr
unterschiedlich aus. Der Arbeitsmarkt bleibt die "größte
Baustelle" (Bundeskanzler Schröder) der
Bundesregierung.
Während 2003 bundesweit rund 83.000
Arbeitslose eine Ich-AG gründeten und dafür sorgten, dass
sich in der Arbeitsmarktstatistik die Zahl der Selbständigen
um 1,3 Prozent auf fast 4,2 Millionen Personen erhöhte, ist
das Programm "Kapital für Arbeit" ein Flop: Im ersten Jahr
haben darüber nur 11.214 Arbeitslose einen Job bei kleinen und
mittelständischen Firmen gefunden. Diese Arbeitsplätze
wurden mit einem Kreditvolumen von stolzen 785 Millionen Euro
gefördert, berichtet die Kreditanstalt für Wiederaufbau
(KfW). Trotz solchen Kapitaleinsatzes blieb die Initiative weit
hinter den Erwartungen zurück. "Wirkungslos", urteilt der
Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK).
Bundeswirtschaftminister Wolfgang Clement (SPD) hatte noch 2002 auf
mindestens 50.000 neue Stellen durch "Kapital für Arbeit"
gehofft.
Jetzt soll bei den Vergaberichtlinien des
Programms nachgebessert werden: Bisher bekommen Klein- und
Mittelbetriebe, die Arbeitslose einstellen pro Kopf bis zu 100.000
Euro zinsverbilligte Darlehen. Die Laufzeit des Kredits
beträgt zehn Jahre. Dies nun soll nun auch möglich sein,
wenn sie nicht - wie bisher vorgeschrieben - mindestens einen vom
Arbeitsamt vermittelten Arbeitslosen einstellen. Künftig
sollen für die günstigen Kredite ganz allgemein
Investitionen mit beschäftigungsfördernder Wirkung
ausreichen.
De facto wird "Kapital für Arbeit" damit
abgeschafft und in ein Mittelstandsförderprogramm mit dem
Titel "Unternehmerkapital" umgebaut. Das Ziel des Programms bleibt
zwar der Abbau der Arbeitslosigkeit, es führt aber vor allem
zu einer Stärkung der Kapital-Basis der Mittelständler.
Eine naheliegende Idee, denn die Eigenkapitalausstattung ist in
Deutschland im internationalen Vergleich sehr niedrig. Die Kredite,
die die KfW über die jeweiligen Hausbanken an die Unter-nehmen
zur Beschäftigungsförderung vergibt, bestehen zur einen
Hälfte aus Fremdkapital, also einem klassischen
Förderkredit, und zur anderen Hälfte aus
"Mezzanine-Kapital", das wie Eigenkapital behandelt
wird.
Nach Ansicht des FDP-Arbeitsmarktexperten
Dirk Niebel wird dadurch aber nicht wirklich etwas besser: "Die
Unternehmen brauchen eine Steuerstrukturreform, um
Arbeitsplätze schaffen zu können. Es ist doch unsinnig,
ihnen das Eigenkapital erst über Steuern wegzunehmen und dann
per Subvention teilweise zurückzuerstatten."
Deutlich mehr Erfolg als "Kapital für
Arbeit" kann das Programm der "Ich-AGs" verbuchen, auch wenn der
Begriff zum "Unwort des Jahres" gekürt wurde.
Das Konzept: Jeder der Arbeitslosengeld oder
-hilfe bezieht oder in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme
tätig ist, kann Unterstützung für den Schritt in die
Selbständigkeit beim Arbeitsamt beantragen. Bei freien Berufen
wie etwa Journalist oder Grafik-Designer genügt eine
Bescheinigung des Finanzamts. Bei gewerblichen Jobs, etwa einem
Kurierdienstleister, reicht die Vorlage eines Gewerbescheins. Die
Existenzgründer müssen für die finanzielle
Förderung zwar keinen ausgearbeiteten Business-Plan beim
Arbeitsamt vorlegen, aber eine gut überlegte und
ausformulierte Geschäftsidee ist hilfreich und erleichtert die
Genehmigung zur Ich-AG. Mut und Einsatz gehören sicherlich
dazu, denn bei der Ich-AG haftet der Einzelunternehmer
persönlich. Er kann keine Verluste oder Verbindlichkeiten auf
Aktionäre abwälzen, sondern muss selbst dafür gerade
stehen.
Die Förderung läuft drei Jahre
lang. Im ersten Jahr gibt es monatlich 600 Euro, im zweiten Jahr
360 Euro und im dritten Jahr schießt Vater Staat noch 240 Euro
zu. Vom ersten Tag an zahlen die Existenzgründer niedrige
Beiträge für die Rentenversicherung, etwa 230 Euro
jährlich. Zusätzlich haben sie bei der Kranken- und
Pflegeversicherung einen enormen Vorteil: Sie werden einfach auf
der Basis eines fiktiven Bruttoeinkommens von 1.190 Euro
eingestuft.
Aufpassen muss nur, wer mit seiner Ich-AG im
Jahr mehr als 25.000 Euro Gewinn erwirtschaftet. Dann muss zwar
kein Fördergeld zurückgezahlt werden, es gibt aber im
folgenden Jahr kein Geld mehr vom Ar-beitsamt.
So erfolgreich sich die Anzahl der Ich-AGs
nach einem Jahr entwickelt hat, es bleibt eine Grundkritik: "Ich
fürchte, langfristig ist dabei ein für den
Beitrags-zahler beschäftigungspolitisches Strohfeuer zu
erwar-ten", sagt Hanns-Eberhard Schleyer vom Zentralver-band des
Deutschen Handwerks (ZDH). "Denn es muss kein von fachkundiger
Seite geprüfter tragfähiger Geschäftsplan vorgelegt
werden." Es sei fraglich, wie lange die meisten der Ich-AGs
überleben, zumal das Fördergeld im zweiten und dritten
Jahr deutlich sinkt.
Dirk Niebel hält wenig von den Ich-AGs.
"Die Tatsache, dass man für die Gründung einer Ich-AG
keine Voraussetzungen mitbringen muss, ist zwar ein gut ge-meinter
liberaler Ansatz mit wenig Bürokratie, aber die Verbleibsquote
dürfte genau deshalb nicht sehr hoch ausfallen", so Niebel.
"Letztlich geht es hier nicht um die Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit, sondern um ein kurzfristiges Ziel: Rein in die
subventionierte Selbständigkeit, raus aus der
Arbeitslosenstatistik."
Rot-Grün will nun nachbessern:
Ich-AG-Kandidaten sollen künftig die Teilnahme an
betriebswirtschaftlichen Weiterbildungsmaßnahmen nachweisen.
Klaus Brandner, sozialpolitischer Sprecher der
SPD-Bundestagsfraktion erklärt: "Die Gründer müssen
das erste Jahr der Selbständigkeit, in dem sie finanziell
massiv unterstützt werden, dazu nutzen, ihre
betriebswirtschaftlichen Kenntnisse zu vertiefen." Dazu sollten die
Bundesagentur für Arbeit als auch private Träger
Bildungsbausteine entwickeln. "Denn gerade kleine und
mittelständische Unternehmen scheitern oft an fehlender
betriebswirtschaftlicher Sachkenntnis", so Brandner.
Er schlägt vor, die Regelungen des so
genannten Überbrückungsgelds auf die Ich-AGs zu
übertragen - zunächst für ein Jahr auf freiwilliger
Basis. Das Überbrückungsgeld ist ein älteres
Instrument zur Förderung von Existenzgründungen. Hier
müssen Existenzgründer, die zuvor arbeitslos waren, ein
Gutachten der Industrie- und Handelskammer über ihre
Geschäftsidee vorlegen. Ein Verfahren, das sich offenbar
bewährt hat: Auch nach drei Jahren sind noch 70 Prozent der
jungen Firmen auf dem Markt.
Allein im vergangenen Jahr nutzen über
130.000 Existenzgründer die Möglichkeit,
Überbrückungsgeld zu erhalten. Wer in den Genuss von
Überbrückungsgeld kommen will, muss zunächst eine
erfolgversprechende und nachprüfbare Geschäftsidee
vorlegen. Das Geld wird direkt ab Beginn der Arbeitslosigkeit ein
halbes Jahr lang monatlich gezahlt. Die Höhe richtet sich nach
dem Arbeitslosengeld oder der Arbeitslosenhilfe, die ohne den
Schritt in die Selbständigkeit vom Amt bezahlt werden
müsste. Dazu kommt für Bezieher von Arbeitslosengeld ein
Zuschlag in Höhe von 68,5 Prozent und bei Arbeitslosenhilfe
immerhin noch 42,3 Prozent. Wer beispielsweise Anspruch auf 1.500
Euro Arbeitslosengeld hat, erhält sechs Monate lang mehr als
2.500 Euro Überbrückungsgeld monatlich. Die
Rentenversicherung ist freiwillig, für die Kranken- und
Pflegeversicherung wird ein Bruttoeinkommen von 1.785 zugrunde
gelegt.
Überbrückungsgeld oder Ich-AG -
welcher Weg in die Selbständigkeit ist denn nun der richtige?
Bei ei-nem Anspruch auf hohes Arbeitslosengeld zusammen mit einer
ausgereiften Geschäftsidee ist das Überbrückungsgeld
die bessere Variante. Wenig Arbeitslosenunterstützung und
geringe Investitionen sprechen eher für die Ich-AG. Spannend
bleibt die Frage, wie viele der neuen Selbständigen
durchhalten. Das dürfte nicht unwesentlich davon
abhängen, wie sich die Konjunktur entwickelt. Denn egal, wie
man den phantasievollen Gründern den Start erleichtert:
Klappen kann es nur, wenn es für sie auch genügend
Aufträge gibt.
Eva Haacke ist Korrespondentin der
"WirtschaftsWoche" in Berlin.
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