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Karl-Otto Sattler
"Wir wechseln nicht nur das Namensschild
aus"
Hartz III und die Zukunft der
Arbeitsagenturen
Medienkarrieren gehören eigentlich nicht
zum gängigen Berufsbild derer, die in den Zimmern der
Arbeitsämter Dienst tun. Doch keine Regel ohne Ausnahme. Zu
Shooting-Stars auf Bildern und in Artikeln zahlreicher Zeitungen
sind inzwischen jene Damen avanciert, die im Empfangsraum eines
Betonbaus mit wenig aufregendem Outfit in der schwäbischen
Provinz die Ankommenden lächelnd begrüßen und
freundlich ihre hilfreichen Dienste anbieten: Im Internet surfen?
Hier stehen die Computer. Kurze Fragen zu Formularen? Rufen Sie
doch von diesem Telefon aus einfach im Servicecenter an. Ihr Antrag
ist etwas komplizierter? Da geht es zu den Info-Tischen mit
Personal im ersten Stock. Ein intensiveres Beratungsgespräch
ist nötig? Da müssen wir erst einen Termin für die
nächsten Tage vereinbaren.
Es sind nicht nur die üblichen Besucher,
nämlich Erwerbslose, die beim Betreten des Komplexes
zunächst einmal "Guten Morgen" oder "Guten Tag" vernehmen.
Bestaunt werden die Mitarbeiterinnen an der Pforte in diesen Wochen
auch von Pilgergruppen, die aus allen Teilen der Republik eigens
anreisen und hier in Heilbronn eine schöne neue Welt
begutachten - die bald die eigene der Neugierigen sein wird,
nämlich der 180 Arbeitsämter zwischen Alpen und
Ostsee.
Das enorme Interesse, am vergangenen
Donnerstag absolvierte sogar Bundeskanzler Gerhard Schröder
eine Visite, gilt einem Novum, das derzeit unter verschiedenen
Titeln gehandelt wird: Mal ist die Rede von der bundesweit ersten
"Arbeitsagentur der Zukunft", mal vom "Kundenzentrum der Zukunft",
mal, das Gewohnte verschwindet eben nicht so rasch, vom "Arbeitsamt
der Zukunft". Sprecherin Andrea Rupp: "Der Andrang der Delegationen
mit Kollegen aus anderen Städten ist so groß, dass wir
ein detailliertes Besuchsprogramm organisieren müssen." Was
den meisten Interessenten kaum bekannt sein dürfte: Der
schicke weiße Tresen, an dem die Empfangsdamen postiert sind,
ist eigentlich gar nicht so modern, wie er anmutet. Früher war
das Stück eine ausrangierte Theke, die im Keller des alten
Arbeitsamts vor sich hin verstaubt war - und nun renoviert eine
ungeahnte Renaissance erlebt.
Aus alt mach neu: Das Ensemble aus
Begrüßungsequipe und Info-Tresen in Heilbronn gilt
inzwischen als kleines Symbol für die gesamte Umgestaltung der
deutschen Arbeitsverwaltung von der Zentrale in Nürnberg bis
zu den Ämtern fernab in der Provinz. Hartz III heißt die
Überschrift über diesem internen Umbau. "Dienstleistung"
lautet das Zauberwort der Performance: Es gehe darum,
Arbeitsuchende und Arbeitgeber "gleichermaßen optimal zu
bedienen", sagt Olaf Möller, Sprecher des Landesarbeitsamts
Berlin-Brandenburg, das derzeit mit Hochdruck für März
die Eröffnung der ersten Modellagentur in Eberswalde
vorbereitet.
Wer sich in Konzeptpapiere vertieft oder sich
mit den Machern der Zäsur unterhält, liest und hört
konsequent von "Kunden": So nämlich werden fortan jene
bezeichnet, die erwerbslos geworden sind und sich von den
ehemaligen Arbeitsämtern und nunmehrigen Arbeitsagenturen
einen Job erhoffen. Schnell, professionell, effizient: Das sind die
Direktiven für die "Qualität des Kundenservice". Olaf
Möller: "Wir wechseln nicht nur das Namensschild aus, wir
machen etwas Neues". Behördenmief, Wartenummern, lange
Wartezeiten, oft miese Stimmung zwischen Arbeitslosen und
Beschäftigten: Diese Kainsmale des alten Arbeitsamts sollen
der Vergangenheit angehören. Das Verschwinden der
Warteschlangen ist denn auch das Augenfälligste, was ins Auge
springt. Rainer Bomba als Projektleiter in Heilbronn sagt, man
wolle "den Druck der Flure rausnehmen". Andrea Rupp: "Bei uns sind
die Wartezeiten im Schnitt auf sieben Minuten gesunken."
Zu Hartz III zählt manches, etwa die
Neujustierung der Hierarchiestrukturen oder die Umwandlung der
Landesarbeitsämter zu Regionaldirektionen samt drastischer
Personalreduzierung. Im Mittelpunkt aber steht der Umbau des
Arbeitsamts vor Ort in ein "Kundenzentrum der Zukunft". Der
große Testlauf findet momentan in Heilbronn statt. Bis April
soll in jedem regionalen Bezirk eine weitere Modellagentur folgen,
in Annaberg-Buchholz, Augsburg, Bremerhaven, Eberswalde, Essen,
Halle, Mainz, Marburg und Schwerin. Und bis Anfang 2005, so die
Planung, werden sich sämtliche 180 Arbeitsämter als
Reform-Agenturen präsentieren.
Seit Oktober wurde das Pilotvorhaben in
Heilbronn schrittweise umgesetzt, erst seit Februar ist das neue
System vollständig in Kraft. Ein Dreh- und Angelpunkt sind die
ersten Meter hinter der Eingangstür, für Bomba und seine
Crew das "Kundenportal". Dort geschieht das, was in den Konzepten
des Spiritus rector im kühlen McKinsey-Duktus als
"Segmentierung von Kundenströmen" oder als
"Kundenstrommanagement" definiert wird.
Bei mindestens 70 Prozent der Anliegen, mit
denen Besucher anrücken, handelt es sich nämlich nach
Analysen um kleinere Angelegenheiten, die ohne größeren
Aufwand erledigt werden können - eben gleich im
Eingangsbereich. So soll Zeit gewonnen werden für jene
Angestellten, die im gründlichen persönlichen
Gespräch bei der Jobvermittlung helfen sollen, die im Kontakt
mit Arbeitgebern freie Stellen ausfindig machen wollen oder die in
nicht einfachen Fällen bei der Berechnung des
Arbeitslosengelds zusammen mit den Betroffenen die Unterlagen
durchgehen. Beratung und Vermittlung einerseits sowie
Leistungsgewährung andererseits werden strikt getrennt - wobei
diese beiden Bereiche im Zuge des "Arbeitsamts 2000" erst
zusammengelegt wurden.
Filtern und Steuern sind angesagt. Vielleicht
vermögen in Heilbronn schon die Mitarbeiterinnen am
Info-Tresen die Frage eines Erwerbslosen nach der korrekten
Urlaubsmeldung oder nach dem Formular fürs Kindergeld zu
beantworten. Gleich nebenan kann ein Besucher neben dem Schild
"Neuer Service! Auskunftstelefone" den Hörer in die Hand
nehmen, einen roten Knopf drücken und sich von der Stimme am
anderen Ende der Leitung erläutern lassen, welche Papiere er
fürs Arbeitslosengeld einreichen muss - die er dann mit der
Post schickt. Oder er erhält, nach ausführlicher
Begründung seines Begehrs, einen Termin bei einem
Vermittler.
Die Strategen der "Kundenzentren"
kalkulieren, dass die "Kunden" im Übrigen mehr und mehr
Telefonanfragen von zu Hause aus erledigen. Und wenn einmal alle
bisherigen Arbeitsämter als Agenturen funktionieren,
können Anrufer aus Saarbrücken oder Cottbus schon mal in
solchen "Call-Centern" in Hamburg oder München landen. Das ist
effizient und rationell, aber schafft so etwas nicht auch Distanz
und Anonymität? Andrea Rupp meint, das könne man "positiv
und negativ sehen".
Grundsätzlich gilt: Fortan dringt ins
Innere der Agentur nur noch vor, wer einen Gesprächstermin
hat. Die Eingangszone fungiert auch als Hürde. So
charakterisiert denn das Magazin "Focus" das Arbeitsamt der Zukunft
als "freundliche Festung". Immerhin: Wer in Heilbronn einfach mal
so vorbeischaut ("Nicht terminierter Zugang", so die offizielle
Klassifizierung), schafft es mit seinem zwar kleinen, aber
vielleicht nicht ganz so einfachen Anliegen möglicherweise
noch eine Treppe höher zu einem kurzen Vis-à-Vis mit
einem Bediensteten - um etwa zu klären, warum das
Arbeitslosengeld seit ein paar Wochen überfällig
ist.
Mit Wohlgefallen nimmt man in Heilbronn zur
Kenntnis, dass bereits in der Testphase die 30 Computerterminals
bestens frequentiert sind. Nicht ausgeschlossen, dass das mit einer
weiteren freundlichen Dame zu tun hat. Unter
"www.arbeitsagentur.de" lächelt sie den Neugierigen nach dem
Einloggen mit strahlender Miene an ("Hallo, ich heiße Bea"):
Klick für Klick weist sie allen Surfern, die im Netz nach
einer neuen Stelle fahnden, den Weg. Oder Arbeitgeber können
mit Beas Hilfe präzise nach neuen Beschäftigten mit ganz
bestimmten Qualifikationen Ausschau halten.
Integriert in die Hartz III-Reform ist auch
der Ausbau des "Virtuellen Arbeitsmarkts" (VAM). Das Novum an
diesem Online-Angebot: Erwerbslose wie Unternehmer können
eigenständig im Internet eine Anzeige eingeben - und ohne
Einschaltung der Arbeitsagentur Kontakt aufnehmen. Die hat
überdies einen "Job-Roboter" kreiert, der als Suchmaschine
durchs Netz kreist und die Internetseiten von Firmen auf
Stellenofferten hin durchforstet. VAM-Leiter Jürgen Koch in
Nürnberg schätzt, dass bereits in zwei Jahren jede zweite
Arbeitsvermittlung über das Internet abgewickelt wird. Olaf
Möller vom Landesarbeitsamt Berlin-Brandenburg rechnet damit,
dass auch die bislang noch zögerliche Zusammenarbeit mit
kommerziellen Internet-Jobbörsen zunehmen wird.
Klärende Gespräche und
Datenerhebung am Eingang, Anrufe per Telephon, Surfen im Internet:
Die Verlagerung von Aktivitäten und Arbeit in diese Bereiche
soll in der Agentur selbst Zeit freischaufeln für die
persönliche Beratung. Nach einer Terminvereinbarung kann sich
ein Vermittler gründlicher als bisher auf ein Gespräch
mit einem Erwerbslosen vorbereiten und sich vorab mit dessen
Qualifikationen und Bewerbungschancen befassen. Vor allem aber will
das neue "Kundenzentrum" den Kontakt mit Arbeitgebern
intensivieren. Die Maxime: Nicht mehr einfach in eine Firma 15 bis
20 Arbeitslose in der Erwartung schicken, einer werde vielleicht
hängenbleiben. Nun sollen die Vorschläge genauer auf die
Anforderungen eines Unternehmens abgestimmt werden: Die Zahl der
Bewerber wird von vornherein begrenzt, doch die sollen
"passen".
Bessere Erfolgsaussichten sollen die
Arbeitgeber motivieren, mehr Jobs an die Agenturen zu melden. Olaf
Möller: "Bisher ist nur ein Drittel aller offenen Stellen bei
uns registriert." Künftig würden die Vermittler der
"Kundenzentren" auch mal "bei einem Betrieb klingeln, mit dem Chef
einen Kaffee trinken und fragen, wie es denn demnächst so mit
Ausbildungsplätzen aussieht".
Die intensivere Betreuung der Arbeitgeber ist
für die Gewerkschaften ein wichtiger Grund, die Hartz
III-Reform zu unterstützen. Wilhelm Adamy, Leiter der
Abteilung Arbeitsmarktpolitik beim DGB-Bundesvorstand: "Da ist noch
viel zu tun." Und grundsätzlich sei es zu begrüßen,
wenn nun in den Arbeitsagenturen "der Dienstleistungscharakter
stärker betont wird". Adamy: "Die ersten Erfahrungen in
Heilbronn sind ermutigend."
Von Rainer Bomba, dem Projektleiter im
Württembergischen, stammt ein bemerkenswerter Satz: "Bei uns
sollen sich die Kunden fühlen wie Privatpatienten." Aber setzt
man Kunden und Privatpatienten unter Druck, droht man ihnen mit
Sanktionen, und dies jetzt noch mehr als bisher ohnehin schon?
Zwingt man Erwerbslosen noch schärfere Zumutbarkeitsregelungen
bei der verpflichtenden Annahme von schlecht bezahlten Jobs auf?
Zudem werden die Arbeitslosen in verschiedene Klassen eingruppiert:
in "Marktkunden", die mit wenig Unterstützung selbst eine
Stelle finden können, in "Beratungskunden", deren Situation
schon etwas komplizierter ist, und in "Betreuungskunden", die als
ganz schwierig gelten. Hartz III, mithin der weithin
begrüßte interne Umbau der Bundesagentur, ist ja nur ein
Teil dessen, was als "Reform des Arbeitsmarkts" in Gang gesetzt
worden ist - da gibt es noch andere Aspekte, in deren Licht die
Erwerbslosen freilich nicht unbedingt als hofierte "Kunden"
erscheinen.
Werden in den neuen Zentren nun mehr Menschen
einen Arbeitsplatz finden? Das sei, meint die Heilbronner
Sprecherin Andrea Rupp, nach einer so kurzen Testphase noch nicht
messbar. Effizientere Arbeitsagenturen, die ohne Zweifel notwendig
seien, könnten nur einen flankierenden Beitrag bei der
Entlastung des Arbeitsmarkts leisten, betont Wilhelm Adamy vom DGB:
"Das zentrale Problem sind doch die fehlenden Stellen." Rainer
Bomba, der Projektleiter in Schwaben, sagt es so: "Wir können
nur die Vermittlung verbessern. Neue Arbeitsplätze zu
schaffen, ist Sache von Wirtschaft und Politik."
Karl-Otto Sattler arbeitet als freier
Journalist in Berlin.
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