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Bert Schulz
Raus aus der Schublade, rein die Schublade
Alle Jahre wieder: Streit um eine
Ausbildungsplatzabgabe
Aus dem undurchsichtigen Dickicht der
Reformdebatte ragt die Diskussion über eine mögliche, und
inzwischen wieder wahrscheinlicher gewordene Ausbildungsplatzabgabe
deutlich heraus. Während viele andere Maßnahmen zum Umbau
des Sozialstaates wie ein kompliziertes Konstrukt aus Anreizen und
Zwängen, Einschränkungen und Umverteilungen wirken,
besticht dieses Instrument durch eine geradezu simple Struktur und
erhoffte Wirkung: Die Politik drängt und sanktioniert, die
Wirtschaft reagiert.
Man fühlt sich in die Zeit der
späten 60er- und frühen 70er-Jahre zurückversetzt,
als die Politik, insbesondere die sozialdemokratische, noch in
Allmachtsphantasien gegenüber der Ökonomie schwelgte. Was
nicht automatisch heißen muss, dass eine solche Abgabe heute
anachronistisch wäre. Die Debatte, ob man Unternehmen, die
keine oder zu wenig Auszubildende einstellen, mit finanziellen
Mitteln dazu motivieren respektive bestrafen sollte, ist nicht neu.
In jenen Frühjahren des vergangenen Jahrzehnts, in denen sich
abzeichnete, dass im Herbst die Zahl der Lehrlinge jene der
Lehrstellen deutlich übersteigen würde, gehörte die
Forderung zum üblichen Kanon der Gewerkschaften und vieler
sozialdemokratischer Politiker. Im Verlauf des Jahres verebbte sie
dann meist wieder.
Auch im Reformjahr 2003 schien der
Ausbildungsplatzabgabe ein solches Schicksal zu drohen. In seiner
Regierungserklärung am 14. März 2003 hatte Bundeskanzler
Gerhard Schröder (SPD) noch gesagt: "Jeder weiß, ich bin
kein Freund der Ausbildungsabgabe. Aber ohne eine nachhaltige
Verbesserung der Ausbildungsbereitschaft und ohne die
Übernahme der zugesagten Verantwortung für diesen Bereich
ist die Bundesregierung zum Handeln verpflichtet und sie wird das
auch tun." Nach Ansicht des Kanzler trägt die Wirtschaft "auch
gesellschaftliche Verantwortung", was sich vor allem im Engagement
für junge Menschen am Anfang ihres Berufslebens zeigen
müsse. Damit stand die Drohung nach Einführung einer
Sanktion, wenn auch vorsichtig abgeschwächt, im
Raum.
Dann passierte lange nichts. Anfang Oktober
schien es so, als ob die Abgabe wohl vom Tisch sei - zumindest vom
Tisch des Kanzlers und SPD-Vorsitzenden. Nach weiteren Appellen an
die Unternehmen und der gemeinsamen Ausbildungsoffensive des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung, des Wirtschafts-
und Arbeitsministeriums sowie von Wirtschaft und Gewerkschaften war
bis dahin die so genannte Lehrstellenlücke offiziell auf
unerwartet niedrige 20.000 geschrumpft. Zudem hatte die Regierung
die Verordnung, die die Eignung der Ausbilder regelt, für
fünf Jahre ausgesetzt, um, wie es hieß, "formale
Hemmnisse für ausbildende Betriebe abzubauen".
Mitte November musste die Regierung dann
eingestehen, dass die Situation auf dem Arbeitsmarkt allen
Anstrengungen zum Trotz weiterhin "angespannt" sei; weitere
Anstrengungen der Wirtschaft wären erforderlich. Erneut wurde
mit der Einführung von "gesetzlichen Maßnahmen" gedroht.
Parallel sprach sich der SPD-Parteitag in Bochum für eine
Ausbildungsabgabe aus, und auch die Bundestagsfraktion der Partei
beschloss bei wenigen Gegenstimmen die Einführung einer
Lehrstellenabgabe - gegen den Willen von Wirtschaftsminister
Wolfgang Clement. Bis Februar solle ein Gesetzentwurf formuliert
sein. In dieser Woche dürfte es so weit sein.
Seit Anfang dieses Monates, seit also klar
ist, dass ein Gesetzentwurf wirklich vorbereitet wird, nimmt der
politische Streit täglich an Schärfe zu.
Erwartungsgemäß protestiert die Wirtschaft: Der
Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages,
Ludwig Georg Braun, nennt die Pläne "abenteuerlich" und
prophezeit einen "dramatischen Anstieg" der Jugendarbeitslosigkeit
sowie einen "Aufstand der kleinen Betriebe". Auch der Einzelhandel
lehnt die Abgabe strikt ab. Die CDU sieht die Gefahr eines
"Bürokratiemonsters", mit dem "Planwirtschaftler" bei der
Stange gehalten werden sollten (Baden-Württembergs
Ministerpräsident Erwin Teufel), die FDP droht vorsorglich
schon einmal mit Verfassungsklage.
Zustimmung kommt von den Grünen und den
Gewerkschaften. Der DGB wirft der Wirtschaft ebenso
erwartungsgemäß vor, ihre im vergangenen Frühjahr
gegebene Ausbildungsplatz-Zusage gebrochen zu haben. Die Zahl
fehlender Lehrstellen betrage nicht, wie offiziell gemeldet, gut
20.000, sondern, so DGB-Chef Michael Sommer, "weit über
200.000". Viele Jugendliche würden sich, da sie keinen
Ausbildungsplatz gefunden hätten, als Ungelernte bewerben oder
wären kurzfristig auf Berufspraktika ausgewichen. Unklar ist
unterdessen vor allem die Position der SPD: Nicht nur der
Wirtschaftsminister, sondern auch mehrere
SPD-Ministerpräsidenten haben sich öffentlich gegen eine
Ausbildungsabgabe ausgesprochen. Schröder und andere
einflussreiche SPD-Mitglieder erklärten, dass die Wirtschaft
das geplante Gesetz durch freiwillige Lösungen noch verhindern
könne. Auch der designierte neue SPD-Parteichef Franz
Müntefering unterstrich, dass der Freiwilligkeit auf jeden
Fall Vorrang eingeräumt werden solle. Wenn Ende September
genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen
würden, "dann bleibt das Gesetz in der Schublade". Er betonte
jedoch zugleich: "Wenn es nicht gelingt - und es gelingt seit
Jahren nicht -, dann muss man die Konsequenzen ziehen." Eine
Ausbildungsplatzabgabe sei "keine Strafe", sondern eine Umlage wie
andere Abgaben auch.
Ausnahmeregelungen
Wirklich? Noch sind einige wichtige Details
des geplanten Gesetzes unklar - und auch, ob es politisch
überhaupt eine Chance auf Verwirklichung hat. Prinzipiell
sollen Betriebe und Behörden, die nicht ausreichend ausbilden,
Lehrstellen in anderen Unternehmen mitfinanzieren. Über einen
so ausgestatten Fonds sollen nach den bisherigen Planungen
zusätzliche Lehrstellen in den Betrieben mit jeweils 5.000 bis
8.000 Euro bezuschusst werden. Ob eine Abgabe überhaupt
erhoben werde, soll davon abhängen, ob an einem
jährlichen Stichtag - geplant ist bisher der 30. September -
ausreichend Ausbildungsplätze vorhanden sind. Wie hoch die
Kosten für die einzelnen Betriebe sind, dürfte sich
deswegen nach der Gesamtzahl der fehlenden Lehrstellen
richten.
Als problematisch könnten sich die
Ausnahmeregelungen erweisen: So sollen Firmen mit einer
ausreichenden Ausbildungsquote sowie neugegründete Betriebe
oder kleine Betriebe mit höchstens zehn Mitarbeitern von der
Abgabe verschont bleiben. Und als Reaktion auf die Proteste von
einigen SPD-regierten Bundesländern wird jetzt überlegt,
auch ganze Länder oder Regionen von der Abgabe zu befreien,
wenn sie über Bedarf ausbilden. Sollte diese regionale
Regelung jedoch umgesetzt werden, ist sehr wahrscheinlich die
Zustimmung des Bundesrates notwendig. Das hatte die rot-grüne
Koalition bisher vermeiden wollen, weil die Union, strikter Gegner
der Abgabe, dort die Mehrheit hat. Sollte die Umschiffung des
Bundesrates schon bei der Formulierung des Entwurfs nicht gelingen,
ist das Gesetz sowieso vom Tisch - und das wohl
endgültig.
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