Constanze Hacke
Ein Weihnachtsgeschenk, das den Konsum ankurbeln
soll
Erst verschoben, dann vorgezogen - die
Steuerreform
Ein zusätzliches Weihnachtsgeschenk sollte
es sein: Bis in die letzten Dezember-Tage saßen Vertreter der
rot-grünen Bundesregierung mit Oppositionspolitikern zusammen
und verhandelten über ein Steuerreformpaket. Mit dem
teilweisen Vorziehen der letzten Stufe der Steuerreform sollte die
Wirtschaft in Deutschland wieder angeschoben werden. Was nun nach
zähen Verhandlungen im Vermittlungsausschuss am 1. Januar 2004
in Kraft getreten ist, war dem Grunde nach schon seit gut vier
Jahren beschlossene Sache: Denn am 6. Juli 2000 verabschiedete der
Bundestag eine Steuerreform auf Raten, die drei einzelnen Stufen
sollten jeweils im Zweijahres-Abstand Steuerrealität
werden.
Anfangs war das auch noch kein Problem: Die
erste Stufe der Reform trat am 1. Januar 2001 in Kraft; damals
wurde der Eingangssteuersatz für die niedrigsten Einkommen von
22,9 auf 19,9 Prozent gesenkt, der Spitzensteuersatz beläuft
sich seitdem nur noch auf 48,5 statt wie vorher auf 51 Prozent.
Für Januar 2003 war die nächste Stufe geplant. Sie wurde
aber von der Flutkatastrophe in Ostdeutschland weggespült: Um
die Mehrbelastungen der öffentlichen Kassen besser stemmen zu
können, verschob die Bundesregierung die zweite
Steuerreformstufe auf den 1. Januar 2004.
Für die aktuelle Entwicklung und den
gefundenen Kompromiss gab die lahmende Konjunktur in Deutschland
das Tempo vor: Regierung und Opposition waren sich einig, dass nur
ein steigender Privatkonsum die Wirtschaft wieder ankurbeln
könne. Aber nur derjenige gibt Geld aus, der auch welches
übrig hat: So war die Idee geboren, die dritte und letzte
Stufe der Steuerreform vorzuziehen und mit der verschobenen zweiten
Stufe zusammenzulegen - um den Bürger zu entlasten und ihn zu
mehr Konsum zu animieren.
Allerdings machte die Opposition einen
Kompromiss in Sachen Steuerreform von der Frage der Finanzierung
abhängig: Steuerentlastungen komplett auf Pump lehnten CDU und
CSU ab. Im Vermittlungsausschuss einigte man sich daher darauf,
statt der geplanten zwei Stufen 2004 nur 1? Stufen der Reform zu
realisieren und den Rest auf 2005 zu verschieben. So belaufen sich
die Steuerentlastungen zunächst einmal nur auf rund 8,9
Milliarden Euro - und müssen so nur noch zu einem Teil durch
neue Kredite finanziert werden. Den Wegfall der Steuereinnahmen
für den Staat sollen außerdem Privatisierungserlöse
von rund fünf Milliarden Euro ausgleichen - und eine Liste von
Subventionskürzungen, die die Ministerpräsidenten von
Nordrhein-Westfalen und Hessen, Steinbrück (SPD) und Koch
(CDU), erarbeitet hatten. Die Streichliste sieht vor, dass
sämtliche Steuervergünstigungen in einem Schritt um
jeweils zwölf Prozent abgebaut werden.
Mit dem Steuerkompromiss wurden zum 1. Januar
2004 die Steuertarife gesenkt: Der höchste Steuersatz der
Einkommensteuer liegt nun bei 45 statt wie bisher 48,5 Prozent. Der
niedrigste Steuersatz beläuft sich nunmehr auf 16 Prozent
statt bislang auf 19,9 Prozent. Künftig muss generell erst ab
einem Jahreseinkommen von 7.664 Euro Einkommensteuer gezahlt
werden. Dieser so genannte Grundfreibetrag, der ohne jegliche
Steuerbelastung bleibt, wurde um mehr als 400 Euro
erhöht.
Mit der Ende Dezember 2003 auf den Weg
gebrachten Steuerreform sollen laut Bundesfinanzminister Eichel
alle Steuerzahler seit Januar mehr netto auf dem Konto haben. Die
Bundesbürger jedoch beurteilen den im Vermittlungsausschuss
gefundenen Kompromiss mit Skepsis: Laut einer Umfrage des
Forsa-Instituts glauben 63 Prozent der Befragten nicht, dass das
Steuerreformpaket zu mehr Wachstum oder Beschäftigung
führen wird. Zudem ist ein Großteil der Bevölkerung
enttäuscht über den Umfang der Entlastungen. Insgesamt 45
Prozent der Befragten hatten sich mehr Geld im Portemonnaie
erhofft.
Geld für Geschenke hatte
Bundesfinanzminister Eichel aber eigentlich auch gar nicht. Da die
Entlastungen der Steuerreform finanziert werden mussten, muss der
Bund nicht nur Teile seines Vermögens verkaufen und neue
Schulden aufnehmen. Viele lieb gewonnene Zulagen, Freibeträge
und Pauschalen fielen dem Rotstift der
Subventionskürzungsliste zum Opfer.
Pendlerpauschale
So gehören Pendler zu den Verlierern der
Steuerreform. Denn sie können ihre Kosten für die Fahrt
zur Arbeit künftig nur noch sehr begrenzt steuerlich geltend
machen. Das ist ein Teil des Preises, der für die Senkung der
Einkommensteuertarife gezahlt werden musste. Bis Jahresende 2003
konnten für die ersten zehn Kilometer der einfachen Fahrt zur
Arbeit 36 Cent und für die darüber hinaus gehenden
Kilometer 40 Cent geltend gemacht werden. Ab diesem Jahr sieht das
anders aus: Denn nun kann der Arbeitnehmer bei seiner
Steuererklärung nur noch 30 Cent pro Kilometer bei der
Entfernungspauschale ansetzen. Das führt beispielsweise bei
einem Arbeitnehmer, der 50 Kilometer am Tag zu fahren hat - in
Ballungsgebieten eine durchaus übliche Entfernung -, dazu,
dass die Entlastung für Fahrten zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte sich um rund 180 Euro pro Jahr verringert. Zudem
darf der Arbeitnehmer maximal 4.500 Euro pro Jahr bei der
Steuererklärung geltend machen, wenn er kein Auto benutzt. Bis
Ende vergangenen Jahres belief sich diese Höchstgrenze bei der
Pendlerpauschale noch auf 5.112 Euro.
Auch das Jobticket, das bislang steuerfrei
war, bietet künftig weniger Möglichkeiten für
Pendler. Denn die Steuerbefreiung der Zuschüsse für
Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit
öffentlichen Verkehrsmitteln ist komplett gestrichen worden.
Das Jobticket unterliegt künftig nur noch den
steuerbegünstigten Sachbezügen, die der Arbeitgeber
seinem Beschäftigten gewähren kann. Allerdings wurde der
Steuerfreibetrag dafür - ebenfalls mit der Steuerreform - von
50 auf 44 Euro pro Monat gesenkt. Ob Jobticket oder
Benzingutschein: Alles, was 44 Euro im Monat übersteigt, muss
also künftig ganz normal versteuert werden.
Leistungen, die Arbeitnehmer von ihrem Chef
erhalten, sind somit künftig steuerlich weniger
begünstigt: Davon sind unter anderem auch Belegschaftsrabatte,
Heirats- und Geburtshilfen, Sachprämien oder
Vermögensbeteiligungen am eigenen Betrieb betroffen.
Zuschläge für Nachtarbeit sowie die Arbeit an Sonn- und
Feiertagen sind künftig nicht mehr unbegrenzt steuerfrei,
sondern nur noch bis zu einem Stundenlohn von 50 Euro. Auch wer den
Betrieb verlässt, ist finanziell von den Kürzungen bei
den Steuervergünstigungen betroffen: Der Freibetrag für
Abfindungen wurde von 8.181 Euro auf 7.200 Euro gesenkt. Für
ältere Arbeitnehmer belaufen sich die steuerlichen Freigrenzen
nun auf 9.000 Euro (ab dem 50. Lebensjahr) beziehungsweise auf
11.000 Euro (ab dem 55. Lebensjahr).
Wer privat fürs Alter vorsorgt, kann
dies künftig nur noch in begrenztem Maße bei der
Steuererklärung geltend machen: Konnten bis Ende vergangenen
Jahres Lebensversicherungen und private Rentenpolicen steuerlich
noch komplett abgesetzt werden, ist dies nun nur noch bis zu 88
Prozent der Summe möglich. Zudem wurde der Sparerfreibetrag
gekürzt, und zwar auf 1.370 Euro für Ledige und 2.740
Euro für Verheiratete. Vom Rotstift ebenfalls betroffen: die
Arbeitnehmersparzulage, also die Förderung der
vermögenswirksamen Leistungen: Der begünstigte
Sparbeitrag wurde von 480 auf 470 Euro gesenkt, zudem wurde der
Zulagensatz von zehn auf neun Prozent gekürzt. Damit reduziert
sich für den Arbeitnehmer die maximale Zulage von 48 Euro auf
42,30 Euro pro Jahr.
Auch für Unternehmen ändert sich
einiges: Bislang durften Firmen alle im zweiten Halbjahr
angeschafften Maschinen und Anlagen in dem betreffenden Jahr mit
der Hälfte des Jahresbetrags abschreiben. Das geht jetzt nicht
mehr: Nun muss das Unternehmen den Monat angeben, in dem investiert
wurde - und darf die Abschreibung nur noch anteilsmäßig
geltend machen. Zu den schlechten Nachrichten für Unternehmen
gehört auch, dass der Verlustvortrag per Steuerreform
beschränkt wurde. Jenseits eines Sockelbetrags von einer
Million Euro sind ab jetzt 40 Prozent des Gewinns steuerpflichtig,
egal wie viele Verluste im Vorjahr gemacht wurden. Lebens- und
Krankenversicherungsunternehmen müssen ihre
Beteiligungserträge ab diesem Jahr zu 100 Prozent versteuern -
allerdings können sie nun auch Verluste und Wertminderungen
aus den Beteiligungen steuermindernd absetzen.
Gestrichene Vergünstigungen
Auch Unternehmensnachfolger sind von den
Kürzungen betroffen: Der Freibetrag bei der Erbschaftsteuer
wurde für Betriebsvermögen von 256.000 Euro auf 225.000
Euro gesenkt. Im Erbfall muss die Erbschaftsteuer nämlich aus
dem Betriebsvermögen entrichtet werden - den Freibetrag
gewähren die Finanzämter darüber hinaus nur unter
der Voraussetzung, dass das Betriebsvermögen mindestens
fünf Jahre in der Nachfolgegeneration erhalten
bleibt.
Der Rotstift bei den
Steuervergünstigungen trifft aber auch Selbstständige und
Freiberufler: Hier sind es insbesondere Geschäftsessen und
Kundengeschenke, die künftig nur noch begrenzt steuerlich
abzugsfähig sind. So können Bewirtungskosten nur noch zu
70 Prozent bei der Steuer geltend machen - und Geschenke nur noch
bis zu einem Betrag von 35 Euro. Immerhin blieben sie von einer
Ausweitung der Gewerbesteuer verschont: Diese ist ebenso vom Tisch
wie die Berücksichtigung von Zinsen, Pachten, Mieten und
Leasingraten bei der Gewerbesteuer. Dafür bleibt den Kommunen
mehr Geld aus dieser Steuer, nur noch 20 statt bislang 28 Prozent
werden über das Umlageverfahren an Bund und Länder
verteilt. So erhalten Städte und Gemeinden die ihnen zugesagte
Entlastung von rund 2,5 Milliarden Euro in diesem Jahr; ab 2005
soll sich die jährliche Entlastung der kommunale Kassen sogar
auf rund 3 Milliarden Euro belaufen.
Von den Kürzungen zur Finanzierung der
Steuerreform sind auch staatliche Zuschüsse betroffen -
Beispiel Erziehungsgeld: Hier wurden die Einkommensgrenzen für
Eltern gesenkt. Das bedeutet, dass künftig nur noch Eltern mit
einem pauschalisierten Jahres-Nettoeinkommen bis 30.000 Euro einen
Anspruch auf Erziehungsgeld haben. Bislang belief sich diese Grenze
noch auf 51.130 Euro. Bei Alleinerziehenden wird die
Einkommensgrenze von 38.350 Euro auf 23.000 Euro Jahreseinkommen
gesenkt. Auch das Erziehungsgeld selbst wurde - wenn auch
geringfügig - zusammengekürzt: Bis zum Ende des zweiten
Lebensjahres des Kindes zahlt der Fiskus 300 statt bislang 307 Euro
im Monat. Eltern, die sich von vorneherein nur auf ein Jahr
Erziehungsgeld festlegen, erhalten 450 Euro monatlich statt bislang
460 Euro.
Die Kürzungen bei der Eigenheimzulage
werden sich dagegen erst mit den Jahren auswirken. Denn alle, die
bis zum Jahresende 2003 einen notariellen Kaufvertrag haben
beglaubigen lassen oder mit dem Bau begonnen haben, kommen noch
acht Jahre lang in den Genuss der alten Förderung. Seit dem 1.
Januar 2004 aber gelten für alle, die sich nun für den
Kauf oder Bau eines Hauses oder einer Wohnung entscheiden, neue
Spielregeln. Künftig wird nicht mehr unterschieden, ob Alt-
oder Neubau erworben wird. Ab sofort wird einheitlich
gefördert, und zwar über acht Jahre mit einem Betrag von
1.250 Euro pro Jahr. Vor allem für Bauherren und Käufer
einer neuen Eigentumswohnung ergeben sich hier kräftige
Einbußen. Denn früher belief sich die jährliche
Förderung für Neubauten immerhin auf 2.556 Euro. Und
diejenigen, die das eigene Heim um beispielsweise einen Dachausbau
oder den Anbau einer Einliegerwohnung erweitern wollen, gehen
künftig leer aus. Denn Ausbau und Erweiterungen fallen
komplett aus dem Förderrahmen heraus. Zugleich wurden die
Einkommensgrenzen, die für den Bezug der Eigenheimzulage nicht
überschritten werden dürfen, gesenkt, und zwar auf 70.000
Euro für Alleinstehende (bislang 81.807 Euro) und 140.000 Euro
für Ehepaare (bis 2003: 163.614 Euro). Bei den
Einkommensgrenzen werden die Einkünfte aus zwei Jahren
zusammengerechnet - daran hat sich nichts geändert. Für
Familien gibt es allerdings eine gute Nachricht: Mit jedem Kind
erhöht sich diese Einkommensgrenze nach wie vor um 30.000
Euro. Und die Kinderzulage der Eigenheimförderung, das so
genannte Baukindergeld, wurde auf 800 Euro erhöht.
Immerhin: Wer auf Eigentum spart, kann dies
auch weiterhin mit der Wohnungsbauprämie tun. Denn die ist -
entgegen ersten Planungen - nicht dem Rotstift zum Opfer gefallen.
Gekürzt wurde aber auch hier: Bausparverträge werden
künftig pro Jahr nur noch mit bis zu 45 Euro bei Ledigen
gefördert, bei Verheirateten beläuft sich die
Wohnungsbauprämie künftig nur noch auf 90 Euro pro Jahr.
Von den Kürzungen sind auch laufende Verträge
betroffen.
Vorläufig letzter Akt
Die Entlastung durch die Steuerreform ist
daher bei weitem nicht so hoch wie erhofft. Niedrigere
Freibeträge zehren den Gewinn wieder auf. Der psychologische
Effekt könnte viele dazu veranlassen, das Geld lieber auf ein
Sparkonto zu legen als es für privaten Konsum auszugeben.
Abzuwarten bleibt in dieser Hinsicht der vorläufig letzte Akt
der Steuerreform, wenn Anfang 2005 die Einkommensteuertarife ein
weiteres Mal gesenkt werden: Der Eingangsteuersatz beträgt ab
dem 1. Januar 2005 auf 15 Prozent, der Spitzensteuersatz
beläuft sich dann auf 42 Prozent.
Die "Agenda 2010" ist in Sachen Steuern dann
abgeschlossen - die Diskussion um eine grundlegendere Steuerreform
noch lange nicht. Dass eine Steuerreform nicht zwangsläufig
mit Steuerausfällen verbunden sein muss, rechnet der
Finanzwissenschaftler Paul Kirchhof vor: Wenn mit einem
konsequenten Steuervergünstigungs- und Subventionsabbau
wirklich jeder sein Privileg verliert, können noch niedrigere
Einkommensteuersätze vielleicht schon in naher Zukunft ohne
schmerzhafte Gegenfinanzierung steuerliche Realität
werden.
Constanze Hacke arbeitet als freie
Wirtschaftsjournalistin in Köln.
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