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Das Parlament
Nr. 10 / 01.03.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Heinz Brill

Die Wiederkehr des Raumes

Die Geopolitik wird neu entdeckt

Karl Schlögel, geboren 1948, studierte an der Freien Universität Berlin, in Moskau und St. Petersburg Philosophie, Soziologie, Osteuropäische Geschichte und Slawistik. Er ist Professor für Osteuropäische Geschichte an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder. In zahlreichen Büchern und Essays widmete er sich Europas Osten, den er wie wenige aus eigener Anschauung kennt.

Im Herbst 2003 erschien von ihm das Sammelwerk "Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik". Der Obertitel ist bei dem Anthropogeographen Friedrich Ratzel entliehen und schien Schlögel als das denkbar präziseste Motto für die in diesem Buch unternommenen Versuche und Anläufe, die geschichtliche Welt zu deuten.

Das Buch besteht aus Geschichten, Erkundungen und Reflexionen. Insgesamt sind es etwa 50 Studien. Sie alle kreisen um den einen Gedanken: was geschieht, wenn wir Geschichte und Ort zusammendenken?

Mit seinem Buch reiht sich Schlögel in die zahlreichen Neuerscheinungen zur Geopolitik ein. Allerdings nicht im traditionellen Sinne, in dem Angewandte Geopolitik als das Studium von Macht, Raum und Zeit in Verbindung mit politischen Akteuren verstanden wird. Vielmehr sind Schlögels Studien im Schwerpunkt der Geohistorie und der Geophilosophie zuzuordnen.

Das Verdienst des Autors besteht vor allem darin, Raum und Räumlichkeit in ihrer Bedeutsamkeit für die Geopolitik und die kulturelle Entwicklung der Welt wieder zu thematisieren und zugleich das Thema "Raum" für die Geschichtswissenschaft zu enttabuisieren. Es dürfte kein Zufall sein, dass das Kompendium des Historikers Schlögel rechtzeitig vor dem 45. Deutschen Historikertag, dessen Generalthema "Kommunikation und Raum" lautet, herauskam. Damit kann er durchaus als "spiritus rector" der Veranstaltung bezeichnet werden. Denn das Motto der Tagung "Kommunikation und Raum" ist bei Schlögel im Untertitel seines Buches als "Zivilisationsgeschichte und Geopolitik" zu erkennen.

Neue Ordnungen

Allen Reden vom "Ende der Geschichte" und allen Mutmaßungen vom "Verschwinden des Raumes" erteilt Schlögel eine rigorose Absage. In seinen Analysen vertritt Schlögel vielmehr die These von der "Wiederkehr des Raumes". Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes entstehe ein neuer Raum, eine neue Ordnung der Welt, während die Begriffe und die Sprache, die sie erfassen sollen, noch nicht bereitstehen. Die Zeit sei günstig, eine große, in Deutschland verschwundene und vom nazistischen Diskurs kontaminierte theoretische Tradition zurückzugewinnen. Wer will - so Schlögel - könne das als "spatial turn" bezeichnen. Die Quellen dazu sprudeln reichlich.

Jede geschichtliche Epoche hat ihre eigenen Raumvorstellungen, und jede Zeit macht sich ihr eigenes Bild vom Raum. Zur Frage von "Raum und Zeit" kann mit Schlögel, Hans-Dietrich Schütz, Hermann Heller und anderen das Fazit gezogen werden: Es ist der politische Wille, der innerhalb des Globalen abgegrenzte Räume schafft, nicht die Natur und auch nicht die Religion, so oft das auch behauptet wird.

Karl Schlögel

Im Raume lesen wir die Zeit.

Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik.

Hanser Verlag. München 2003; 464 S., 25,90 Euro

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