|
|
Christian Hacke
Arbeitswut und Begierden
Ein weiterer Band der
Max-Weber-Gesamtausgabe
Die in diesem Band enthaltenen 383 Briefe sind
vermutlich nur ein Bruchteil derer, die Max Weber kurz vor Ausbruch
des Ersten Weltkrieges geschrieben hat. Sie vermitteln jedoch einen
aufschlussreichen Eindruck seiner wissenschaftlichen Arbeiten,
seines akademischen Lebens und nicht zuletzt seiner
persönlichen Lebensverhältnisse. 1913/14 entstanden
Webers wichtigste Schriften wie Teile von "Wirtschaft und
Gesellschaft", darunter vor allem die Rechts-, Religions- und
Herrschaftssoziologie. Zusammen mit der etwa zehn Jahre früher
entstandenen "Protestantischen Ethik" bilden sie den Kern von
Webers weltberühmten Schriften.
Vor Kriegsbeginn hatte Weber offensichtlich
ein untrügliches Gefühl für die kommende Leistung,
schrieb er doch an seinen Tübinger Verleger Siebeck im Februar
1913: "Der große Artikel: ?Wirtschaft, Gesellschaft, Recht und
Staat' wird das systematisch Beste, was ich bisher geschrieben
habe." Diese Arbeiten entstanden im geplanten "Grundriss der
Sozialökonomie", dessen Herausgeberschaft Weber
übernommen hatte.
Allerdings zeigt der Briefwechsel mit seinem
Verleger Paul Siebeck auch, dass Weber diese Arbeit zunehmend als
Bürde empfand und schließlich bedauerte, sie je
angefangen zu haben. Bei Kriegsausbruch wurde die Fertigstellung
auf unabsehbare Zeit vertagt. Erst nach Webers Tod wurden
fragmentarische Teile seiner Manuskripte von Marianne Weber als
zweiter und dritter Teil von "Wirtschaft und Gesellschaft"
publiziert.
Die Briefe bestätigen Max Webers
streitbaren, um nicht zu sagen bisweilen cholerischen Charakter.
Selten ließ er eine Gelegenheit aus, sich mit Anderen
anzulegen, suchte das Duell oder führte Prozesse -
natürlich selbst -, weil er Anwälte für unfähig
hielt und selbst mit seiner juristischen Ausbildung gerne
glänzte. Entsprechend intensiv und selbstbewusst war Webers
Rechtsberatung gegenüber Frieda Gross, die, mit dem
berühmten, aber rauschmittelabhängigen Psychoanalytiker
Otto Gross verheiratet, um das Sorgerecht für die Kinder rang.
Interessant sind in diesem Zusammenhang auch Webers Reisen nach
Ascona, zum Wohnort von Frieda Gross, wo er in eine "Welt voller
Zauberweiber, Anmuth, Tücke und Glücksbegier" eintauchte,
aber grundsätzlich Distanz hielt.
Liebesbeziehung zu Else Jaffe
Die gedrechselte Sprache seiner Briefe mit
Blick auf die "erotische Bewegung" lässt ahnen, dass Max Weber
sich im selbstverordneten stahlharten Gehäuse seiner
Verantwortungsethik nicht immer wohl fühlte. Die Briefe deuten
an, dass er "Frau Frieda" nicht nur gerne half, sondern
darüber hinaus von ihr angezogen war, gleichzeitig aber
Annäherung fürchtete. Max Weber war gerade in diesen
Jahren tief zerrissen: Ein Mann, der in der Arbeitswut seine
erotischen Begierden und emotionalen Sehnsüchte zu
verdrängen suchte. 1910 hatte er sich von Else Jaffe
zurückgezogen; erst 1919/20 sollte diese Liebesbeziehung eine
Erfüllung finden. Die Reisen nach Ascona dienten Weber also
auch der Flucht und Erholung, aber auch der Entwöhnung von
Beruhigungs- und Schlafmitteln.
Der vorliegende Briefband ist vorbildlich
herausgegeben, doch hätte viel Banales ausgelassen werden
können. Trotzdem gibt es Trouvaillen, also Wertvolles: Die
Briefe an seinen Kollegen Werner Sombart, vor allem über
dessen Buch "Der Bourgeois", geben einen glänzenden Einblick
in das vertraute und zugleich rivalisierende Verhältnis der
beiden herausragenden Repräsentanten deutscher Soziologie in
der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Von Interesse sind
auch die Briefe und Streitigkeiten mit den Kollegen Ferdinand
Tönnies und Robert Michels. Bewegend und aufschlussreich auch
der Brief an seine Mutter vom 12. April 1914.
Webers Einstellung zum Ersten Weltkrieg zeigt
sich am treffendsten in seinem Brief an Paul Siebeck vom 7.
September 1914, als dessen Sohn Robert gefallen war: "Nun ist er
mit der gleichen Begeisterung wie für seine Kunst für die
Existenz unseres Staates und unserer Kultur in die Schranke
getreten und durch den schönsten Tod, den das Schicksal an
uns, die wir alle sterben müssen, zu vergeben hat, abgerufen
worden."
Für Max Weber war wie für die
überwältigende Mehrheit der Deutschen dieser Krieg
groß und wunderbar. Doch auch diese Einschätzung sollte
Weber, wenn auch nach langem inneren Ringen in den folgenden
Jahren, unter dem Eindruck der Ereignisse modifizieren.
Max Weber
Gesamtausgabe II/8, Briefe 1913 bis
1914.
Herausgegeben von M. Rainer Lepsius und
Wolfgang Mommsen in Zusammenarbeit mit Birgit Rudhard und Manfred
Schoen.
Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 2003; 901
S., 279,- Euro
Zurück zur Übersicht
|