Helmut Heinzelmeier
Konquistadoren, Piraten, Sklavenhändler
Die wechselvolle Geschichte der karibischen
Inseln
Weißer Sandstrand und schattenspendende Palmen,
kristallklares Meer und erfrischende Cocktails, exotische
Schönheiten und eingängige Reggae-Rhythmen - fertig ist
das touristische Karibik-Klischee. Nur die Wenigsten wissen etwas
von der anderen Seite karibischer Gegenwart. Armut am Rande der
Großstädte, steigende Kriminalität und weit
verbreiteter Drogenmissbrauch. Die Wenigsten wissen um die blutige
karibische Geschichte. Jahrhunderte voller Konqistadoren, Piraten,
srupelloser Sklavenhändler und -halter. Vor diesem Hintergrund
wird Aktuelles - nicht nur in Haiti - verständlich.
Als Kolumbus 1492 in der Karibik landete, lebte dort
zumindestens eine Million Indianer. Wenige Generationen später
waren es nur noch einige tausend. Ursache dieser demographischen
Katastrophe waren eingeschleppte Krankheiten und die brutale
spanische Besatzungspolitik. Aber auch die Spanier wurden dort
nicht glücklich. Es gab wenig Gold. Um zu überleben,
hätte man das Land bestellen müssen. Deswegen hatte man
die gefährliche Reise über den Atlantik nicht auf sich
genommen. Einem Bauerndasein in Kastilien hatte man ja entfliehen
wollen. So dachten insbesondere die spanischen Heerführer - in
ihrer Mehrheit mittellose Kleinadlige. Sie träumten davon,
möglichst viel Gold zusammenzuraffen, um in Spanien das Leben
eines wohlhabenden Edelmannes zu führen. Als Hernán
Cortés, dem Eroberer Mexikos, Ackerland auf der Insel
Hispaniola - heute in Haiti und Dominikanische Republik unterteilt
- angeboten wurde, war seine kurze Antwort: "Ich bin gekommen, um
Gold zu holen, nicht um den Boden zu pfügen wie ein
Bauer."
Die Spanier richteten den Blick auf Amerika. Da wurde man
fündig und stieß auf die unermesslichen Gold- und
Silberschätze der Azteken und Inka. Die Karibik verkam zu
einer armseligen Etappe.
Stattdessen setzten sich in der unübersichtlichen Inselwelt
Piraten aus aller Herren Länder fest. Alles Gold und Silber,
das die Spanier in Amerika erbeuteten, verschifften sie via Karibik
in Richtung Heimat. Das war leichter gesagt als getan. In der
Karibik lauerten Hunderte von Piratenschiffen auf die goldbeladenen
Galeonen. Das 17. Jahrhundert ging als Zeitalter der Piraten in die
Geschichte der Karibik ein.
Deren starke Stellung kam nicht von ungefähr. Sie genossen
lange die mehr oder weniger offene Unterstützung der
Engländer, Franzosen und Holländer, denen an einer
Schwächung des Erzrivalen Spanien gelegen war. Ende des 17.
Jahrhunderts war es mit der Hochzeit der Freibeuter vorbei. Die
nordwesteuropäischen Kolonialmächte fassten in der
Karibik Fuß. Sie waren stark genug, den Spaniern Paroli bieten
zu können. Die Piraten-Hilfstruppen wurden nicht mehr
gebraucht. Im Gegenteil: Mit gemeinsamen Jagden machten die
Kolonialherren dem Übel ein Ende.
Die Nordwesteuropäer forcierten den großflächigen
Anbau insbesondere von Zuckerrohr. Die Karibik wurde Teil des so
genannten "Plantagenamerika", das von den Südstaaten der
heutigen USA über die Karibik bis Nordostbrasilien reichte.
Auf riesigen Plantagen wurden tropische Exportgüter angebaut.
Dafür benötigte man Arbeitskräfte. Indianer gab es
kaum noch. Weiße kamen nicht in der erforderlichen Zahl. Also
griff man auf die Sklaverei zurück, die es schon seit den
Zeiten von Kolumbus gab. Im 18. Jahrhundert begann jedoch die hohe
Zeit des transatlantischen Sklavenhandels.
Schätzungsweise zwölf Millionen Schwarzafrikaner sind
im Laufe der Jahrhunderte nach Amerika verschifft worden. Der
Menschenhandel richtete sich nach Angebot und Nachfrage. Fang und
Verkauf blieben über die Jahrhunderte hinweg hinweg weitgehend
unter der Kontrolle von Afrikanern - bis heute ein Tabu in der
afrikanischen Geschichtsschreibung. Die Nachfrage kam, insbesondere
im 18. Jahrhundert, hauptsächlich aus der Karibik. Die
größten Sklavenhandelsnationen waren die Niederlande,
England, Frankreich und Portugal.
Gefragt waren vor allem junge Männer. Angesichts der harten
Plantagenarbeit war man an Muskelkraft interessiert. Die Pflanzer
verfolgten eine sehr eigene "Einkaufspolitik". Nach ihrer Rechnung
hatte sich der Kaufpreis eines Sklaven nach fünf Jahren
amortisiert. Bis dahin wurde er schonungslos ausgebeutet. Nicht
allzu viele überlebten diese fünf Jahre. Der Importbedarf
war riesig. Deutlich geringer fiel er in den Südstaaten der
USA aus, wo man eine andere Politik verfolgte. Man gestaltete das
Zahlenverhältnis der Geschlechter günstiger, achtete auf
natürliche Reproduktion und war deshalb weniger auf Importe
angewiesen.
Spätestens zu Beginn des 18. Jahrhunderts dominierte der
Zuckerrohranbau sowohl die britischen - von Barbados im Osten bis
Jamaica im Osten - als auch die französischen Besitzungen -
unter anderem Martinique, Gouadeloupe und Haiti. Das Geschäft
mit dem Zucker war kapitalintensiv und risikoreich, es drohten
Naturkatastrophen, SKlavenaufstände oder Preisverfall in
Europa. Blieb man davon verschont, lockten riesige Gewinne.
Voraussetzung war der Rückgriff auf ein Millionenheer
versklavter Arbeitskräfte. Ohne den forcierten Zuckerrohranbau
hätte es nie einen derartigen Bedarf an Sklaven gegeben. Ihr
Preis stieg stetig und sank erst wieder in der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts, als England dem Sklavenhandel abschwor und
gegen ihn vorging. Bei einigen westafrikanischen Herrschern brach
darüber mittleres Entsetzen aus. Zu gut hatten sie am Verkauf
ihrer Landsleute verdient. Verzweifelt offerierten sie billige
Sonderangebote. Kuba, das im 19. Jahrhundert einen verspäteten
Zuckerboom erlebte, profitierte davon.
Im 18. Jahrhundert war Jamaica die bedeutendste Zuckerinsel und
stellte zeitweise über 40 Prozent der Weltzuckerproduktion.
Die Kolonialherren im fernen Europa profitierten von dieser
Entwicklung einiges - wenn auch nicht annähernd so viel, um
damit, wie verschiedentlich behaupttet wird, in England die erste
industrielle Revolution Europas finanzieren zu können. Auch im
18. Jahrhundert hielt sich der Anteil der Karibik am englischen
beziehungsweise europäischen Außenhandel in engen
Grenzen.
Mögen die Residenzen der Zuckerbarone heute wie eine
ländliche Idylle anmuten, einst waren sie nicht weniger als
das. Allein schon aufgrund des krassen Zahlenverhältnisses
zwischen Weiß und Schwarz - bestenfalls 1:25, zumeist 1:100.
Unter den wenigen Weißen ging stets die geheime Angst um, dass
sich die schwarzen Massen einmal gegen sie erheben würden.
Nicht zuletzt deshalb ging man auch bei kleinsten
Unbotmäßigkeiten mit äußerster Härte
vor.
Die Geschichte der Sklaverei war immer auch eine Geschichte des
Widerstands. Das begann bereits auf der Überfahrt von
Westafrika nach Westindien. Viele Gefangene flüchteten sich in
den Freitod. Viele zogen sich in den Plantagen auf verdeckten
Protest, verlangsamtes Arbeiten, Sabotage zurück. Andere
schlossen sich in Geheimgesellschaften zusammen, die die
Unterdrückung mit Gegenterror beantworteten - sei es mit einer
Prise Gift im Essen des Herren. Immer wieder flackerte offener
Aufruhr auf. Im 18. Jahrhundert drohte er sich auf Jamaica zu einem
Flächenbrand auszuweiten. Die Aufbegehrenden auf Jamaica
konnten sich - im Unterschied zu ihren Leidensgenossen auf
kleineren Inseln wie Barbados - in die unzugängliche Bergwelt
des Inselinneren flüchten. Von dort aus lieferten sie den
Engländern generationenlang einen erbitterten Kleinkrieg. Wie
verzweifelt jedoch die Aufstände geführt wurden - auf
Jamaica, in der Karibik -, die Zuckerbarone mit ihren Bluthunden
behielten stets die Oberhand Zur Abschreckung wurden die
Anführer lebendig gekreuzigt. Nur ein einziger Sklavenaufstand
führte zum Erfolg, der von Saint-Domingue 1791, im Gefolge der
französischen Revolution.
Das Ende der Sklaverei war damals vorgezeichnet. Anfang des 19.
Jahrhunderts begann sich der karibische, auf Zwangsarbeit
basierende Zuckerrohranbau zu überleben. Überproduktion
führte zu Preisverfall. In Europa entdeckte man den
Rübenzucker.
Kaum irgendwo auf der Welt hat Geschichte so nachhaltig auf
Gesellschaften eingewirkt wie in der Karibik. In Afrika und Asien
kamen und gingen die Kolonialmächte, die Völker blieben.
In der Karibik war dies anders. Die Urbevölkerung war
ausgerottet. Mit den Sklaven aus Afrika und den vielen asiatischen
Kontraktabeitern wurde eine völlig neue Bevölkerung
geschaffen, was Folgen bis heute hat. Die karibische Gesellschaft
ist unsicher und von vielen Selbstzweifeln geplagt und auf der
Suche nach eigener Identität vornehmlich auf die USA, Kanada
und Europa fixiert.
"Ein roter Nigger, der lieben das Meer,
Bin ich, mit echt kolonialem Diplom;
halb Holländisch, Nigger und English in mir,
Bin entweder niemand oder eine Nation.
(Derek Walcott, Literaturnobelpreisträger 1992)
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