Hartmann Wunderer
Braune Kameradschaften
Im Schatten rechtsradikaler Parteien
Endlich fühlte sich die junge Lisa aus dem
ostthü-ringischen Greiz in einer Gruppe aufgehoben, so, wie
sie war, 19 Jahre alt, 100 Kilogramm schwer. In der rechten Gruppe
fand sie zwar keinen Freund, aber sie erfuhr "Kameradschaft". In
ihrer Heimat fand sie weder Anerkennung noch Arbeit. Halt bot ihr
schließlich die Glatzenszene, für die Lisa bald
Rechtsrock-Konzerte organisierte. Mit ihrer "Kame-radschaft"
"Braune Teufel" baute sie eine Greizer Sektion auf sowie eine
Internetseite mit der bezeichnenden Adresse
www.alcolholocaust.de.
Was lässt sich aus derartigen Informationen über die
neue rechtsradikale Szene der braunen Kameradschaften ableiten? Die
Autorinnen und Autoren dieses Sammelwerks, überwiegend freie
Journalisten, haben viel Material zu dem neuen und bislang wenig
beachteten Netzwerk der militanten "Freien Kameradschaften"
zusammengetragen. Sie haben sich im Dunstkreis und Schatten der
rechtsextremistischen Parteien zusammengefunden, zu ihnen
zählen militante Neonazis, gewaltbereite Skinheads sowie
aggressive Rechtsrock-Musiker. Die Aktivitäten der
mittlerweile circa 160 lokalen "Kameradschaften", die sich in
Aktionsbüros zusammengeschlossen haben, und deren
Gewaltbereitschaft würden bislang von den zuständigen
staatlichen Organen sträflich unterschätzt.
Die Autorinnen und Autoren beschreiben innere Strukturen dieser
Kameradschaften und betonen dabei deren Gewaltbereitschaft sowie
das Horten von Waffen und Sprengstoff, die offenbar auch gegen das
jüdische Zentrum in München eingesetzt werden sollten.
Weitere Kapitel befassen sich mit der Rolle von jungen Frauen.
Deren Anteil beträgt zwar nur 5 Prozent; die Auswertung
polizeilicher Ermittlungsakten habe aber ergeben, dass Frauen
anteilsmäßig häufiger an Delikten wie
Volksverhetzung und Gewaltaktionen beteiligt seien. Zwar seien alte
Rollenklischees gerade in diesen männerbündischen Gruppen
lebendig, aber das "Heimchen am Herd" sei auch in dieser Szene
nicht mehr ein verbindliches Leitbild.
Weitere Kapitel beschreiben die spezifische Rolle von
Rechtsrock-Musikern, deren Werbeeffekt nicht unterschätzt
werden dürfe, ferner spezifische Dresscodes. Andere
Beiträge widmen sich den erfolgreichen Bestrebungen,
Großimmobilien zu erwerben, um dort Schulungszentren zu
errichten. Mittlerweile agieren diese Gruppen nicht mehr nur am
rechten Rand, ihr Einfluss reiche bis in die Mitte der
Gesellschaft, von der sie auch Zulauf und Unterstützung
erhalten.
Die Beiträge vermitteln eine Fülle instruktiver
Ein-blicke in diese Szene. Stark unterbelichtet bleiben allerdings
sozialstrukturelle Aspekte und analytische Zugriffe: Welche
familialen, kulturellen und sozialen Faktoren begünstigen das
Entstehen und Wachstum dieses braunen Milieus? Wie stabil erscheint
es, welche Zusammenhänge gibt es mit anderen Gruppen des
rechtsextremistischen Lagers? Warum liegen einige Schwerpunkte
dieser Gruppen in den neuen Ländern? Die große Fülle
von Einzelbeobachtungen kann derartige analytische Defizite nicht
beheben.
Merkwürdig erscheint schließlich die Aufforderung an
staatliche Organe zu einem beherzten Handeln gegen rechts, so als
könnte man mit staatlicher Repression dumpfen
nationalistischen Ressentiments beikommen. Insofern bleibt der
aufklärerische Wert dieses Bändchens begrenzt.
Andrea Röpke/Andreas Speit (Hrsg.)
Braune Kameradschaften.
Die neuen Netzwerke der militanten Neonazis,
Ch. Links Verlag Berlin, 2004; 206 S., 14,90 Euro
Der Autor arbeitet als Wissenschaftspublizist in Wiesbaden.
Zurück zur
Übersicht
|