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Uta Grundmann
Gustav Adolf und Napoleon, August Bebel, die
Kerzenrevolution und die Leipziger Frauenwelt
Seine zentrale geographische und politische Lage
machte Leipzig immer zu einem Ort kriegerischer wie friedlicher
Auseinandersetzungen
Wichtige reichs- wie handelspolitische
Verkehrsadern führten schon im 15. und 16. Jahrhundert von,
nach, durch Leipzig und um die Stadt herum. Das machte sie nicht
nur zum Handels- und "Reichsmeßplatz", sondern samt dem
Leipziger Raum immer wieder zum Schlachtenort. In einer weiten,
flachen, waldarmen Ebene gelegen, mit Bastionen, Torwerken und
Wällen versehen, war außerdem in den umliegenden
kleineren Städten und Orten Verpflegung und Ausrüstung
für die Soldaten zu holen.
Im siebenjährigen Krieg (1756 - 63)
stand die Stadt fast ununterbrochen unter preußischer
Besatzung; 10.286.430 Taler hatten die Leipziger Kontributionen zu
leisten. Daran erinnert heute keine Tafel und kein Gedenkstein.
Umso mehr aber an zwei Schlachten des 30-jährigen Krieges.
"Gustav Adolph Christ und Held rettete bei Breitenfeld
Glaubensfreiheit für die Welt" steht auf dem Gedenkstein, der
in dem kleinen Ort nahe Leipzig an den 7. September 1631 erinnert,
als der Schwedenkönig gemeinsam mit Kurfürst Johann Georg
I. von Sachsen gegen die kaiserlichen Truppen unter Tilly siegte.
Der bürgerliche Breitenfelder Gutsherr und Kaufmann
Gruner-Blümer ließ den Stein 200 Jahre nach der Schlacht
aufstellen.
Doch auch auf ganz andere Weise wird an diese
Schlacht erinnert: Eine Biermarke der Region schmückt sich bis
heute mit einem behelmten Schwedenkopf und der Legende vom
durstigen Gustav Adolf. Weil in Rotenhahn die Soldaten alles
weggetrunken hatten, wurde der König nach Klein-Crostitz
verwiesen, wo ihm in einer Silberkanne würziges Bier gereicht
wurde. Zum Dank schenkte der König einen mit Rubinen besetzten
Goldreif und siegte am nächsten Tag in der Schlacht von
Breitenfeld. Seitdem wird das Bier aus dem "Schwedenquell" gebraut,
und gerade eröffnete die Brauerei einen
"Gustav-Adolf-Saal".
Museumskomplex
Ein richtiger kleiner Museumskomplex entstand
auf dem historischen Schlachtengelände in Lützen. 1632
standen sich hier die Kaiserlichen unter Wallenstein und die
Schwedischen unter Gustav Adolf gegenüber. Der König,
noch keine 38 Jahre alt, fiel in der Schlacht; Wallenstein, der mit
25.000 Söldnern nur die lebenswichtige Etappenstraße
verteidigen wollte, gab am Abend den Rückzugsbefehl, die
Schweden siegten durch Unentschieden.
An den Tod des Königs erinnerte
zunächst ein Granitfindling mit der schlichten Inschrift "G.
A. 1632". 1837 wurde dieser "Schwedenstein" mit einem von Karl
Friedrich Schinkel entworfenen Säulenbaldachin aus
Gußeisen überwölbt, gestiftet vom schwedischen
Konsul Oskar Ekman und dessen Frau Maria. 1903 und 1904 schickte
das landwirtschaftliche Ministerium zu Stockholm im Auftrag von
König Oskar II. Bäume aus schwedischen Wäldern
für einen Park auf dem Schlachtfeld. 1907 wurde dann die
"Schwedische Kapelle" gebaut, ein Sandsteinquaderbau mit 14 Meter
hohem Glockenturm. Von den zwei Blockhäusern, im schwedischen
Stil der Kriegszeit erbaut, dient eines, 1994 neu gestaltet, als
Museum. Im Schloss-Heimatmuseum ist die Schlacht mit 3.600
Zinnfiguren nachgestellt. Gute Beziehungen zu Schweden hat man in
Lützen bis heute; 1993 besuchte das Königspaar Carl XVI.
Gustav und Silvia den Ort.
Ein Wahrzeichen und Touristenmagnet ist in
Leipzig das Denkmal für die Völkerschlacht vom 16. bis
19. Oktober 1813. Der 91 Meter hohe Turmbau wurde zwischen 1898 und
1923 gebaut, aber schon 1913 pompös eingeweiht. Die Idee hatte
der Leipziger Architekt Clemens Thieme, der auch die Baukosten von
sechs Millionen Mark mit dem 1894 dafür gegründeten
Deutschen Patriotenbund sammelte. Die Pläne entwarf der
Düsseldorfer Architekt Bruno Schmitz. 1.200.000 Kubikmeter
Stampf- und Eisenbeton wurden als "Ruhmesmal für die Helden
der Befreiungskriege" geweiht.
Es war eine Massenschlacht. Die
Verbündeten Preußen, Russland, Österreich und
Schweden stellten drei Heere mit 275.000 Mann gegen Napoleon und
seine 180.000 Soldaten auf. Mehr als 120.000 Menschen starben auf
beiden Seiten. Napoleon verlor die Schlacht. Daran erinnern in der
68 Meter hohen Kuppelhalle des Denkmals acht "Masken des
Schicksals" und 16 Wache haltende Krieger.
Noch weitere Denkmale in und um Leipzig
erinnern an diese Schlacht. Westlich des Kolosses findet sich ein
roter Granitwürfel, der "Napoleonstein": Von dort beobachtete
der Kaiser bei der Quandtschen Tabaksmühle am 18. Oktober den
Kampf und gab gegen 16 Uhr den Befehl zum Rückzug. Etwa 3,5
Kilometer Luftlinie entfernt liegt der "Monarchenhügel", von
dem aus Friedrich Wilhelm III., Alexander I. und Franz I. die
Schlacht beobachteten.
Zwischen 1861 und 1863 ließ der
Leipziger Theodor Apel auf eigene Kosten 46 "Apelsteine" an
Brennpunkten der Kämpfe aufstellen; ein runder Kopf und ein
"N" symbolisierte die Franzosen, ein spitzer Kopf mit "V" die
Verbündeten. Sie sollten Marksteine sein für
"entsetzlichstes Unheil, zu welchem Menschen die ihnen von Gott
gegebenen Kräfte gemißbraucht" (Apel). Im ehemals
umkämpften Torhaus Dölitz sind in etwa 80 Dioramen mit
20.000 Zinnfiguren die Schlachten nachgestellt.
Seit 1863 steht ein kubischer Stein als
"Brückensprengungsdenkmal" an der Ecke
Jahnallee/Thomasiusstraße. Die Brücke über die
Mühlelster war am Ende der Völkerschlacht der einzige
Rückzugsweg für Napoleons Heer. Doch ein
französischer Korporal sprengte die Brücke zu früh,
Hunderte ertranken, darunter auch der polnische General und
napoleonische Marschall Fürst Joseph Poniatowski.
Den 22.000 gefallenen russischen Soldaten
schließlich gilt die St. Alexeij-Gedächtniskirche nahe
der Deutschen Bücherei, 1912/13 vom Leningrader Architekt
Wladimir Prokowski im Nowgoroder Stil des 16. Jahrunderts erbaut.
Den 16-seitigen, 55 Meter hohen Turm schmücken eine vergoldete
Zwiebelkuppel und ein Patriarchenkreuz. Heute ist sie nicht nur
Gruft und Gedenkstätte für gefallene Soldaten, sondern
ein nach wie vor genutztes orthodoxes Gotteshaus. Noch eine andere
Erinnerung ist mit diesem Bau verbunden: Der Tenor Nicolai Gedda
verbrachte dort einige Kinderjahre, als sein Ziehvater Michail
Ustinoff hier Kantor und Chordirigent war. Am Harmonium in der
kleinen Dienstwohnung im rechten Seitenflügel der Kirche
erhielt Gedda die ersten Gesangsstunden.
Zum Glück hat Leipzig aber nicht nur
kriegerische Denkmale zu bieten (auch wenn ein "Neues Leipziger
Taschenwörterbuch für Einheimische und Fremde" von 1999
deren 32 auflistet). Der imposante Portikus des Bayrischen Bahnhofs
kündet noch heute davon, dass von 1836 bis 1839 mit der
Leipzig-Dresdner-Eisenbahn die erste längere Schienenstrecke
in Deutschland gebaut wurde. Der Bahnhof gilt als das wohl
älteste Beispiel eines klassizistischen Zweckbaus dieser Art.
Ein weiteres "Denkmal" hat längst Nachfolger in jeder
größeren Stadt, und das, obwohl der Namensgeber
eigentlich nichts damit zu tun hatte: Der
Schrebergarten.
Der Leipziger Arzt und Pädagoge Daniel
Gottlob Moritz Schreber (1808 - 1861) vertrat ein
Erziehungskonzept, zu dem - vor allem für Kinder -
körperliche Ertüchtigung im Freien gehörte. 1864,
drei Jahre nach seinem Tod, pachtete der Schuldirektor Ernst
Innocenz Hauschild ein Stück Land für einen
Kinderspielplatz, der zu Ehren des Freundes Schrebergarten genannt
wurde Da war von Porree, Lauch und Karotte noch keine Rede, auch
nicht von Kleingartensparten, die in der DDR die Speisezettel der
werktätigen Bevölkerung bereichern sollten.
Im Jahr 1849 schrieb Louise Otto-Peters (1819
- 1895), erste politische Dichterin Deutschlands, einen Aufruf an
die Sächsische Regierung: "Im Namen der Moralität, im
Namen des Vaterlands und im Namen der Humanität fordere ich
Sie auf: Vergessen Sie die Frauen nicht! Vergessen Sie die
Fabrikarbeiterinnen, die Tagelöhnerinnen und Strickerinnen
nicht. Fragen Sie nach ihrem Verdienst, nach dem Druck, unter dem
sie schmachten, und Sie werden erkennen, wie dringend nötig
Ihre Hilfe ist!"
Vom selben Jahr an bis 1852 war sie die
Herausgeberin der "Frauenzeitung für höhere weibliche
Interessen". 1865 lud sie zum ersten Frauenkongress nach Leipzig,
aus dem der "Allgemeine Deutsche Frauenverein" hervorging.
Mitstreiterinnen waren Auguste Schmidt und Henriette Goldschmidt
(1825 - 1929), die 1871 einen Verein für Familien- und
Volkserziehung, 1872 ein Seminar für Kindergärtnerinnen
und 1911 die "Hochschule für Frauen zu Leipzig" in der
Königstraße gründete. Dort, in der heutigen
Goldschmidtstraße 20, erinnert eine Tafel daran. Das 1900
für Louise Otto-Peters auf dem Alten Johannisfriedhof
errichtete Denkmal steht heute im Rosental, am Rand eines
Spielplatzes. Die Inschrift lautet: "Der Führerin auf neuen
Bahnen / In Dankbarkeit und Verehrung /
Die deutschen Frauen."
Doch auch Louise Otto-Peters schaffte es
nicht, in Leipzig eine Mädchenschule zu etablieren. Schon 1840
forderten viele Eltern ein solches Institut, doch die Behörden
lehnten ab: Dies wäre nur eine Standesschule, und
außerdem hätten für Mädchen nach der
Konfirmation die Mütter zu sorgen. Es dauerte bis zum 16.
Oktober 1871, ehe die "1. Städtische Höhere
Mädchenschule mit Studienanstalt zu Leipzig" eröffnen
konnte, zunächst in einem alten Gebäude bei der
Thomaskirche; später war "eine der wichtigsten
Bildungsstätten der Leipziger Frauenwelt" am Schletterplatz
und im Pestalozzi-Stift untergebracht.
In die erste Klasse gingen bei der
Gründung gerade einmal sieben Schülerinnen. 1921, im 50.
Jahr, waren es über 900. Die Schule sollte eine höhere
Bildung bieten, als es die Volksschulen konnten; nach sieben
aufsteigenden Klassen gab es einen der Reifeprüfung der
Realschule gleichwertigen Abschluss. Neben wissenschaftlichen
Fächern wurden Zeichnen, Gesang und Nadelarbeit gelehrt,
"wahlfrei" auch Stenographie. In der 1911 gegründeten
"Studienanstalt" wurden junge Mädchen auf das Studium
vorbereitet. Dies war eine ganz neue Schulorganisation ohne
Vorbild.
Ganz dem Geist der Zeit entsprach allerdings
die strenge Schulordnung: Auffallender Schmuck war verboten,
Unterhaltung auf dem Weg zur Andacht und in die Aula ebenso. Auch
für die Mittagspause mussten Schülerinnen, deren
Elternhaus weiter entfernt war, dem Klassenlehrer eine Familie
nachweisen, bei der sie sich aufhielten. Und auch, wo die
Mädchen nach Schulschluss auf Mitschülerinnen zu warten
hatten, war genau festgelegt: "Innerhalb des Schulgitters oder
zwischen äußerer und innerer
Eingangstür".
Bereits 1876 war die Mädchenschule in
die Kategorie der höheren Schulen aufgenommen worden, und 1921
konnte Stadtrat Dr. Ackermann konstatieren: "Es dürfte im
Deutschen Reich nicht viele Schulen geben, die eine so
glänzende äußere Entwicklung aufzuweisen haben wie
unsere 1. Höhere Mädchenschule".
Leipzig kann sich auch die "Wiege der
deutschen Arbeiterbewegung" nennen. 1863 wurde hier der Allgemeine
Deutsche Arbeiterverein gegründet, dessen erstes Programm vom
ersten Präsidenten Ferdinand Lassalle stammte, der 1840/41 die
Leipziger Handelsschule besuchte. In Leipzig beantragte ein
Drechslergeselle beim Rat der Stadt das Bürgerrecht: August
Bebel, der zusammen mit dem Marx-Schüler Wilhelm Liebknecht
(1865 - 90 in Leipzig) 1869 die SPD begründete.
An Bebel erinnert eine Tafel am Haus
Gustav-Adolf-Straße 14. Eine Tafel am Haus Braustraße 15
erinnert an Karl Liebknecht, der 1916 zusammen mit Rosa
Luxemburg den Spartakusbund gründete und
1919 zusammen mit ihr ermordet wurde. Ihre
Karl-Liebknecht-Straße nennen die Leipziger liebevoll "Karli"
und verteidigen sie vehement gegen jeden Versuch der
Umbenennung.
Sachsen trug eine zeitlang den Beinamen
"rotes Königreich", gab es hier doch eine breite Mitte der
gemäßigt sozialdemokratischen Arbeiterschaft, war die
Partei stärker als anderswo in der Bevölkerung verankert.
1901 zählte man 25.000 Mitglieder, 1914 schon 177.500, - das
waren mehr organisierte Sozialisten als in Frankreich und Italien
zusammen. 1914 wirkten 2094 Sozialdemokraten in
Gemeindevertretungen, 332 in
Stadtverordnetenversammlungen.
Im Foyer des Schauspielhauses erinnert noch
heute eine Tafel an die Konstituierung eines Großen Rates der
Arbeiter- und Soldatenräte am 9. November 1918. Im Jahr 1919
wurde Sachsen der erste Freistaat in Deutschland, noch vor Bayern.
Nach dem Triumph der sächsischen Partei bei der Reichstagswahl
1903 hatte der "Vorwärts" geschrieben, Deutschland müsse
werden, was Sachsen bereits sei.
Inzwischen hat Leipzig auch Gedenkorte
für die jüngere und jüngste Geschichte. Eine Tafel
im Boden neben dem Alten Rathaus erinnert an den russischen Panzer,
der am 17. Juni 1953 hier stand. Ein richtiger "T 34", zumal als
Werbung für eine benachbarte Ausstellung, waren den Leipziger
aber dann doch zu martialisch. Im "Museum Runde Ecke" in der
ehemaligen Stasi-Zentrale klärt eine ständige Ausstellung
über den Kontroll- und Spitzelstaat DDR auf. Und neben der
Nikolaikirche, in der die "Kerzenrevolution" ihren Anfang nahm,
deuten Lichter im Boden und eine den Kirchensäulen
nachgestaltete Stele auf die Ereignisse von 1989 hin. Vor der
Nikolaikirche, die Spenden für die Sanierung des Innenraums
braucht, steht immer noch das Schild "Offen für
alle".
Die Autorin arbeitet als Literatur- und
Theaterkritikerin in Leipzig.
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