Ursula Homann
Trotz allem haben sie noch großes Glück
gehabt
KZ-Überlebende gründen eine Musik-Band
und finden in Amerika eine neue Heimat
Sechs qualvolle Jahre musste der polnische Jude Jack Eisner in
deutschen Konzentrationslagern zubringen, zuletzt in
Flossenbürg. Im Frühjahr 1945 wurden er und seine Freunde
- allesamt junge Juden aus Polen - von amerikanischen Soldaten
befreit. "Von einem Tag auf den andern", erzählt Jack Eisner,
"waren wir Überlebende frei und auf uns selbst gestellt in
einer Welt, die uns meist feindlich gesonnen war". Eine Weile irrte
die Gruppe umher, verarmt und heimatlos, bis sie im Juli 1945 in
der von amerikanischen Truppen besetzten bayerischen Kleinstadt
Cham eine vorläufige Bleibe fand.
Noch hing der Schatten der Vergangenheit über ihr. Doch sie
waren jung, der Autor jener Zeit noch keine 20 Jahre alt, und
voller Tatendrang. Zunächst wollten sie nur eins: Rache
üben und Tätern und Mitläufern heimzahlen, was
Deutsche ihnen angetan hatten. Sie jagten Nazis und
Kriegsverbrecher auf eigene Faust und sagten vor Gericht gegen sie
aus. Manche wären dabei fast selbst zu Mördern geworden.
Nebenbei schmuggelten sie Juden und Flüchtlinge über die
Ostgrenzen und versuchten, sich durch Schwarzmarktgeschäfte
Geld zu beschaffen. Irgendwann wollte jeder von ihnen "dieses
unselige Land" verlassen.
Nicht nur ihr gemeinsames jüdisches Schicksal verband sie
miteinander, auch ihre Liebe zur Musik. Einige von ihnen hatten im
KZ in der Lagerkapelle gespielt. Der Autor selbst war vor dem Krieg
Chorknabe und Stipendiat an der Warschauer Musikhochschule gewesen.
Man träumte davon, eine Musikband zu gründen und mit ihr
durchs Land zu tingeln, um für Überlebende des
Naziterrors zu spielen.
Einer von ihnen, Haim Baigelman, Abkömmling einer
angesehenen Lodzer Musikerfamilie, hatte in Polen vor der
Deportation seine Instrumente vergraben. Kurzerhand entschloss sich
Jack Eisner, zusammen mit zwei seiner Gefährten dorthin zu
reisen, um die vergrabenen Instrumente zu holen. Das war indes
leichter gesagt als getan. Denn die Zeiten waren chaotisch und
unsicher, und so erwies sich ihre Reise alsbald als ein waghalsiges
und abenteuerliches Unterfangen. Nach allerlei Zwischenfällen
kamen sie schließlich heil wieder zurück. Der
Gründung der Band "Happy Boys" stand nun nichts mehr im Wege.
Eisner erzählt detailliert und plastisch von der Gründung
der Band, von dem, was vor dem ersten Konzert alles bedacht und
besorgt, erledigt und angeschafft werden musste: Anzüge, ein
Touren-Bus, Notenständer und weitere Instrumente.
Die Premiere war ein großer Erfolg. Die Band spielte fortan
in amerikanischen Militärclubs und Flüchtlingslagern an
verschiedenen Orten - in Feldafing, Fernwald, Landsberg und auch in
Bergen-Belsen. Überall ernteten sie begeisterten Applaus und
konnten sich vor Anfragen kaum retten.
Der Autor berichtet auch davon, dass am Jom-Kippur-Tag 1945 nur
wenige den Weg zur Synagoge fanden. Die meisten der
überlebenden Juden, vor allem die jungen, hatten sich
enttäuscht von Gott abgewandt, da er sein auserwähltes
Volk, ihrer Meinung nach, während der schlimmen Zeit im Stich
gelassen hatte. Aber es geschahen auch Zeichen und Wunder. Jack
Eisner fand während einer Reise nach Prag seine tot geglaubte
Mutter wieder - auf dem voll besetzten Bahnhof von
Zebrzydowice.
Schließlich war die Zeit für die lang geplante
Auswanderung gekommen. Alle Happy Boys wanderten - einer nach dem
anderen - bis Ende 1949 in die USA aus und ließen sich an
verschiedenen, teils sehr weit voneinander entfernten Orten nieder.
Der letzte war der Autor mit seiner jungen Frau Lusia. Doch 1965,
20 Jahre nach der Gründung der Band "Happy Boys", traf man
sich in New York wieder und feierte das Jubiläum mit einem
Open-Air-Konzert. Wie einst wurde die Gruppe euphorisch
bejubelt.
Im letzten Teil des Buches geht Eisner auf sein Leben in Amerika
ein, wo er "mit der Erfahrung und Ausdauer eines Überlebenden
des Holocaust zu Wohlstand gelangte". Er schildert, wie er sich den
Alltag zurückerobert hat, indem er "die Vergangenheit
akzeptierte und sie dem Vergessen entriss". Das half, in den Alltag
zurückzufinden.
In seinen letzten Jahrzehnten - Jack Eisner starb am 25.August
2003 im Alter von 77 Jahren - hielt er Vorträge vor jungen
Leuten, engagierte sich auf mannigfaltige Weise in Israel und in
Warschau und setzte sich mit aller Energie für die Errichtung
eines Denkmals für die ungezählten Kinder und
Jugendlichen ein, die im Warschauer Ghetto ums Leben gekommen
waren. Auch finanzierte er einen Gedenkstein zu Ehren von Janusz
Korczak, dem berühmten Arzt, der mit zweihundert Waisenkindern
aus dem Warschauer-Ghetto in Treblinka ermordet worden war.
Beide Denkmäler wurden 1993 anlässlich des
50jährigen Jubiläums des Ghetto-Aufstandes in Anwesenheit
des amerikanischen Vize-Präsidenten Al Gore und des
israelischen Premierministers Izhak Rabin enthüllt. Ihren
Höhepunkt fand Eisners Erinnerungsarbeit im April 1994 durch
eine Audienz beim Papst. Damals ehrte der Vatikan erstmalig die
Opfer des Holocaust. Rückblickend erkennt Jack Eisner dankbar,
dass er trotz allem noch großes Glück gehabt habe.
Das Buch ist flott und so spannend und lebendig erzählt,
dass sprachliche Unebenheiten kaum ins Gewicht fallen.
Jack Eisner
Die Happy Boys.
Eine Jüdische Band in Deutschland 1945 bis 1949 auf der
Suche nach Vergeltung.
Aus dem Amerikanischen von Steve Klimchak.
Aufbau-Verlag, Berlin 2004;
139 S., 21,90 Euro
Ursula Homann arbeitet als freie Journalistin in
Arnsberg/Sauerland.
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