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Das Parlament
Nr. 12-13 / 15.03.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Wolfgang Benz

Diabolisches Werkzeug

Eine Arbeit über den Gestapochef Müller

Heinrich Müller, Amtschef IV im Reichssicherheitshauptamt, der Terrorzentrale des NS-Staats, zuletzt SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Polizei, gehörte zu den farblosen Gestalten unter den Mächtigen des Regimes. Ende April 1945 ist er im untergehenden Berlin verschwunden. Die Spurensuche hat Geheimdienste und Journalisten, Gerichte und Historiker jahrzehntelang beschäftigt.

Müller kam 1900 in München als Kind katholisch-kleinbürgerlicher Eltern zur Welt. Nach einer Lehre als Flugzeugmonteur brachte er es im Ersten Weltkrieg zum Unteroffizier. 1919 trat er in den Münchner Polizeidienst ein, diente sich empor und wechselte zur Bayerischen politischen Polizei, wo er die Gunst seines Vorgesetzten Reinhard Heydrich errang.

Nach Herkunft stand er bis 1933 der katholischen Bayerischen Volkspartei nahe. Er gehörte auch nicht zu den "Märzgefallenen", die 1933 eilig das Mitgliedsbuch der NSDAP erwarben. Am 20. April 1934 trat er der SS bei. Parteigenosse wurde Müller erst 1938. Er war fleißig wie ein Berserker, führte praktisch kein Privatleben, machte Karriere, wie dies aus so bescheidenen Anfängen nur im NS-Staat möglich war.

Wegen seiner exponierten Stellung im Herrschaftsapparat und weil er sie offensichtlich wegen seiner Sekundärtugenden inne hatte, erhofft man sich von einer Biographie des Gestapo-Chefs Aufschlüsse über das Wesen des Regimes, also darüber, wie die Verfolgung und Vernichtung von Menschen geplant und vollzogen wurde, jenseits aller Rationalität.

Bornscheins Buch über Müller enttäuscht leider in jeder Hinsicht. Dass es für ein Porträt des Menschen Müller kaum Fakten jenseits der Karrieredaten gibt, ist dem Verfasser nicht anzulasten. Wohl aber, dass er offensichtlich kein Konzept hat. Der Autor interessiert sich vor allem für Instanzenzüge, Organisationsschemata und Geschäftsverteilungspläne; ebenso akribisch zählt er Ehrungen, Beförderungen und Auszeichnungen auf. Neues wird bei so schlichtem Positivismus nicht zutage gefördert, obwohl der Autor, folgt man dem Quellenverzeichnis, in allen einschlägigen Archiven gerackert hat und gern aus den Dokumentenfunden zitiert. Die durch die Forschung gewonnene Erkenntnis ist dagegen völlig vernachlässigt worden.

Dilettantisch

Das Ergebnis ist entsprechend. Wie sehr der Autor auf dem Feld der NS-Forschung dilettiert, wird auf Schritt und Tritt deutlich. So liest man zum Beispiel (S. 100) den Satz "Zur Bearbeitung aller die jüdische Rasse betreffenden Angelegenheiten diente das bereits mehrfach erwähnte Juden-Referat". An anderer Stelle wird von "Rentendörfern" gefaselt, in denen Himmler privilegierte Juden aus Frankreich, Ungarn und Rumänien "untergebracht" haben soll. Im Jahr 1943 sei in diesem Zusammenhang das Lager Theresienstadt in ein Altersghetto ("Rentendorf") umgewandelt worden.

Naiv und teilweise falsch sind die Mutmaßungen über das Schicksal der polnischen Juden. Sie hätten, schreibt Bornschein mitleidig, unter der deutschen Besetzung besonders zu leiden gehabt: "Sie wurden erniedrigt und misshandelt, zum Arbeitseinsatz ins Reich geschickt oder in Ghettos eingepfercht." Er behauptet (S. 77), von 1933 bis 1945 seien 18 Millionen Menschen in Konzentrationslager verschleppt worden, von denen elf Millionen zu Tode kamen. Müller soll die "Aktion Reinhard" als Vergeltungsschlag geleitet haben, bei der die gesamte jüdische Bevölkerung nach Auschwitz verbracht worden sei. Die Liste grober Fehler lässt sich beliebig verlängern.

Hölzern und ungelenk wird das vorgetragen, und nationalsozialistischer Jargon findet sich ohne Anführungszeichen. So schreibt er "nach den Judenpogromen vom November 1938 verfolgte die Staatsführung nunmehr zwei Hauptziele zur Lösung des Judenproblems: 1. Die Zurückdrängung der Juden aus den einzelnen Lebensgebieten des deutschen Volkes, 2. Die Zurückdrängung der Juden aus dem Lebensraum des deutschen Volkes." Das ist die Sprache des Protokolls der Wannsee-Konferenz. Aber das kennt Bornschein auch nicht, denn er vermutet "auf der Tagesordnung standen die verschiedenen Tötungsmöglichkeiten" (S. 103).

Joachim Bornschein

Gestapo-Chef Heinrich Müller.

Technokrat des Terrors,

Militzke-Verlag, Leipzig 2004; 224 S. 24,80 Euro

Professor Wolfgang Benz leitet das Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin.

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