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Andrea Dunai
Die Mörder sitzen im Café und
verspotten ihre Opfer
Die Gräuel während der Balkankriege
und ihre Ahndung
Der Prozess der Vergangenheitsbewältigung ist bislang weder
in Kroatien noch in Serbien richtig in Gang gekommen. Langsam
wächst eine neue Generation heran, die über den Krieg in
Jugoslawien so gut wie nichts weiß. Augenzeugen, die mutig
genug sind, über Ereignisse aus dem Krieg zu berichten, zahlen
oft mit dem eigenen Kopf für ihre Offenheit. An vielen
einflussreichen Stellen sitzen noch immer die ehemaligen Vertrauten
des verstorbenen Präsidenten Franjo Tudjman oder von Slobodan
Milo¨evic, und die Propagandamaschinerie ist unverändert
wirksam.
Vor dem Gebäude des zentralen Gerichts in Zagreb sammeln
sich Veteranenverbände, sobald ein kroatischer
"Vaterlandsverteidiger" von einst zum Kriegsverbrecher erklärt
wird. Nicht nur in ihren Augen sind die "Helden der Nation"
schließlich ehrbare Bürger und selbstredend ohne Schuld.
Bis 2002 wurde kein einziger Kroate von Kroatien an das
Internationale Tribunal in Den Haag ausgeliefert!
Die Richter betrachten die Angeklagten, die in den Niederlanden
entweder auf Vorladung oder aus eigener Initiative aussagen, aus
einem anderen Blickwinkel. Es sind auch geladene Zeugen dabei. Die
Erörterung der Bedeutung von "ethnischen Säuberungen" ist
das Hauptthema in diesen Gerichtssälen. Argumente, dass etwa
die Tötung von 150 serbischen Zivilisten in Gospic im Winter
1991 die Folge einer Reihe von Zufällen gewesen sei, weisen
die Richter sofort zurück. Wie entschlossen die Täter
darüber schweigen möchten, zeigt die Tatsache, dass der
Augenzeuge Milan Levar, ein Serbe, der nach dem Krieg nach Kroatien
zurückgekehrt war, im Sommer 2000 am ehemaligen Tatort
ermordet wurde.
Die Täter, die angeblich nur zum Vergnügen muslimische
Frauen in der bosnischen Gebirgsstadt Focavergewaltigt und an
montenegrinische Soldaten weiterverkauft haben, sitzen bereits ihre
Freiheitsstrafen von 28, 20 und 12 Jahren ab. Slavenka Drakulics
Bilanz: "Gäbe es nicht Den Haag, Kunarac, Kovac und Vukovic
würden noch immer auf der Hauptstraße von Foca im
Café sitzen, rauchen, Schnaps trinken und Anekdoten aus dem
Krieg erzählen. Dort würde man ihnen mit dem Respekt
begegnen, den sie als Veteranen verdienen. Und käme
zufällig eine der von ihnen vergewaltigten Frauen
vorüber, würden sie mit dem Finger auf sie zeigen und
lachen…"
Nach Angaben des Tribunals müsste gegen rund 20.000
Menschen ein Prozess wegen Kriegsverbrechen in Kroatien und Bosnien
und Herzegowina angestrebt werden. Dass es zu einer solchen
Größenordnung nicht kommen wird, ist keine Prophezeiung,
dennoch wird angestrebt, etwas mehr als 200 Verdächtige
höchsten Ranges zu verurteilen.
Wichtig wäre allerdings zu wissen, auf welcher Ebene der
"hohe Rang" anfängt. Dazu liefert das Buch keine Antwort. Ist
zum Beispiel der als durchaus sympathisch geschilderte Angeklagte,
der Profiangler Goran Jelisic, der im Mai 1992 in Luka
eigenhändig mehr als 100 kroatische und muslimische Gefangene
tötete, von dieser Rangordnung? Ist seine Strafe von 40 Jahren
Freiheitsentzug das, was er verdient? Die Leserinnen und Leser sind
oft durch nostalgische Exkurse der Verfasserin ein wenig auf sich
gestellt. Mal spielt sie mit dem Gedanken, was ein
Massenmörder in der vorhergehenden, kommunistischen Ära
an einem 25. Mai, dem Tag der Jugend und gleichzeitigen Geburtstag
von Josip Broz Tito so gemacht haben konnte, welche Gedanken die
Tochter des auf freiem Fuß befindlichen Exgenerals Ratko
Mladic, des "Schlächters von Bosnien", am Vorabend ihres
Freitods beschäftigten oder warum die feministisch angehauchte
Ehefrau von Slobodan Milo¨evic sich immer noch so altmodisch
kleidet und eine Kleopatrafrisur trägt.
Dem Expräsidenten Jugoslawiens und später Serbiens
wird ein extra Kapitel gewidmet, aus dem wir erfahren können,
dass der Mann, der für 200.000 Todesopfer die Verantwortung zu
tragen hat, immer noch im jugoslawischen Trakt des
niederländischen Luxuskerkers sitzt. Auch Radislav Krstic,
vormals Armeegeneral der Serbischen Republik und Kommandeur des
Drina-Korps, wird eine wichtige Rolle in diesem Buch zugeteilt. Er
wird mit 46 Jahren Gefängnisstrafe dafür zahlen, dass er
in der UN-Schutzzone Srebrenica im Juli 1995 ein Massaker befohlen
hat, dem 7.000 Muslime zum Opfer fielen und das 30.000 Menschen zu
Vertriebenen machte.
Die Reihe der namhaften Kriegsverbrecher wird mit Biljana
Plav¨ic vollendet. Sie ist nicht nur die einzige weibliche
Angeklagte, sondern die einzige aufrichtige Person, die als
ehemaliges Mitglied der Geheimpolizei und der
Militärführung der Serbischen Republik mit Entsetzen
über die grausamen Geschehnisse in den Konzentrationslagern
Omarska, Keraterm und Manjaca ihre Schuld bekennt.
Slavenka Drakulic leistet mit dem Buch zweifelsohne einen
wichtigen Beitrag zu der Publizistik über die jüngsten
Kriege und deren Folgen auf dem Balkan. Sie nimmt in ihrer Arbeit
gleichermaßen die Rolle einer objektiven Beobachterin, einer
mitfühlenden Mutter und Frau sowie einer gebildeten
Zeitgenossin ein. Dies ist besonders wichtig, da die Balkankriege
mit ihren Gräueln allmählich aus dem europäischen
Bewusstsein verschwinden.
Slavenka Drakulic
Keiner war dabei.
Kriegsverbrechen auf dem Balkan vor Gericht.
Deutsch von Barbara Antkowiak.
Zsolnay Verlag, Wien 2004; 160 S., 16,90 Euro
Andrea Dunai ist Osteuropa-Expertin und arbeitet als freie
Journalistin in Berlin.
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