Klaus W. Wippermann
In der "Denkfalle Zeitgeist"
Aufklärung aus eher konservativer
Sicht
Themen wie Massenzuwanderung bei Massenarbeitslosigkeit,
Staatsverschuldung sowie der Fastbankrott unserer sozialen
Sicherungssysteme stehen hier wohl an erster Stelle. Mit der
Tabuisierung auch der offensichtlichen Integrationsprobleme von
Minderheiten ist verbunden die des Selbstverständnisses der
eigenen Nation. Damit hängt wiederum zusammen eine ganz
bestimmte, einseitige Interpretation unserer Zeitgeschichte. Dass
auch hier ein zutiefst gestörtes Verhältnis vorliegt, das
wird uns vor allem vom Ausland immer wieder vorgehalten.
Wie kann man aus dieser "Denkfalle Zeitgeist" herauskommen, wo
ist der "Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit"?
Für Kant war dies nur möglich aufgrund des individuellen
Mutes vieler, sich ihres eigenen Verstandes ohne Bevormundung zu
bedienen.
Dieser Band, der zahlreiche Aufsätze aus der Zeitschrift
"Mut" - dem "Forum für Kultur, Politik und Geschichte" -
versammelt, zum Teil aktualisiert, ermöglicht eine
gegenüber der "herrschenden Lehre" etwas andere Sicht und
Interpretation bekannter Probleme. Darüber hinaus versucht er,
"Wege aus der Gefahr" aufzuweisen, indem ein - eher konservativer -
Standort beschrieben wird, von dem aus sich die Autoren mehr
realitätstüchtige Selbstvergewisserung und
Zukunftsfähigkeit erhoffen.
So fragt Klaus von Dohnanyi: "Hat uns die Erinnerung das
Richtige gelehrt?" Er verneint diese Frage insofern, als etwa die
hochgelobten Tugenden des deutschen Widerstands - Mut,
Zivilcourage, Verpflichtung auf das Gewissen - heute zu bloßen
Leerformeln geronnen seien. In der politischen Praxis würden
sie ganz im Gegenteil persönliche und gesellschaftliche
Ächtung zur Folge haben, wenn mutige "Andersdenkende" ihre
Meinung vertreten. Dies gilt auch für manche Aspekte deutscher
Zeitgeschichte, wie Arnulf Baning und Peter Steinbach
verdeutlichen.
Eine kritischere Sichtweise gibt es auch bei den Analysen
derzeitiger Politikfelder: "Haben wir eine Verschiebung des
politischen Koordinatensystems?" Und falls ja, was bedeutet das?
Die Antworten ist bei Eckhard Jesse zu finden. Ernst-W.
Böckenförde und Ralf Dahrendorf wiederum befassen sich
mit den inneren Gefährdungen des Parlamentarismus: Wie gelangt
man (wieder) zu einer demokratischen Willensbildung, die diesen
Namen verdient? Wie sind die Erstarrung und die zunehmende
Bürgerferne der parlamentarischen Institutionen zu
verhindern?
Zahlreiche Beiträge widmen sich den Gefahren und Chancen
zukünftiger Entwicklungen. So befürchtet Ralph Giordano,
dass der Islamismus zum Totalitarismus des 21. Jahrhunderts werden
könnte, während Peter Schütt im friedlichen
Miteinander von Kirchen, Moscheen und Synagogen
"Orientierungspunkte für eine europäische Leittradition"
der Zukunft sieht. Sehr viel skeptischer ist Hermann Lübbe.
Die einzig adäquate Reaktion auf die sich immer weiter
steigernde Dynamik gesellschaftlicher wie technologischer
Veränderungen sieht er in einer gleichermaßen
gesteigerten Lernfähigkeit - ein einfacher Begriff für
eine höchst komplexe, schwierige Tugend. Und sie ist auch
himmelweit entfernt von der "Spaßgesellschaft", wie sie Reiner
Kunze mit seiner Absurdität in einem unübertrefflichen
Gleichnis vorführt, deren Ende aber Horst W. Opaschowski
voraussieht.
Gegen Anomie und Apathie
Ein "konservativer"Gesellschaftsentwurf gegenüber den
vorherrschenden Tendenzen von Desintegration, Anomie und Apathie,
vor allem aber auch für eine stärkere
Zukunftsfähigkeit ist nicht denkbar ohne ethische
Selbstvergewisserung. Auch hier seien nur zwei Autoren genannt,
Friedhelm Farthmann und Richard Schröder: Nur eine
Zivilgesellschaft, deren Leitidee nicht primär die
Selbstverwirklichung des Einzelnen oder von Minderheiten ist - da
dies zumeist nur auf Kosten anderer insgesamt möglich sei -,
könne den Herausforderungen zukünftiger, bisher in dieser
Dimension unbekannter Umbrüche standhalten.
Bernhard C. Wintzek (Hrsg.)
Denkfalle Zeitgeist. Eine Ermutigung zu Maß und Mitte in 40
Essays.
MUT Verlag, Asendorf 2004; 552 S., 34,80 Euro
Der Autor war über viele Jahre verantwortlicher Redakteur
der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte".
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