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Albrecht Schönherr
Gelebtes Vermächtnis für unsere
Zeit
Eine kurze, aber prägnante Einführung
zu Dietrich Bonhoeffer
Renate Bethge nennt ihr Buch: "Dietrich Bonhoeffer, eine Skizze
seines Lebens". Damit kommt sie dem Bedürfnis vieler entgegen,
sich dem Theologen, dessen Name in so vieler Menschen Munde ist,
dem Häuser und einige Schulen gewidmet sind, zu nähern.
Man muss nicht immer nach dem gewaltigen Werk Eberhard Bethges -
immerhin 1.300 Seiten stark - greifen, um sich über den Mann,
der wie kein anderer moderner Theologe die Kirche bewegt hat, ein
Bild zu machen. Man erhält auch hier eine authentische
Schilderung seines Lebens, - von seiner leiblichen Nichte und der
Gehilfin ihres Mannes beim Entstehen von dessen Riesenwerk.
Eine "Skizze" erlaubt aber auch, eigene Akzente zu setzen. Aus
Renate Bethges Buch wird - wie sollte es anders sein - die starke
Bindung Bonhoeffers an seine Familie überaus deutlich. Wie
stark sie gewesen ist, zeigt allein schon die Tatsache, dass sein
letztes Gedicht, ja, seine letzte schriftliche Äußerung
überhaupt, unter den Bedingungen der furchtbaren Haft in der
Prinz-Albrecht-Straße in Berlin, an die Braut und die ganze
Familie gerichtet ist. Es ist eine einzigartige Tatsache, dass ein
ausgesprochenes Familiengedicht in das Gesangbuch der Evangelischen
Kirche aufgenommen worden ist. Dies Gedicht ist ein
bewunderungswürdiges Zeugnis für die Glaubensgewissheit
eines Christen unter den wahrhaft teuflischen Bedingungen des
"Reichssicherheitshauptamtes" der SS.
Natürlich würdigt die große Biografie Eberhard
Bethges diese Zusammenhänge. Das gilt auch für Renate
Winds einfühlsames Werk, das das Werden von Bonhoeffers
Theologie aus seinen Erfahrungen heraus verständlich macht.
Aber bei Renate Bethge kommt die Bindung an die Familie sozusagen
aus erster Hand. Sie bringt einiges, das so nicht in den anderen
Biografien zu stehen kommt, besonders die Erinnerung an die
früheste Kindheit. Sie vermittelt uns auch manches Foto, das
bisher nicht bekannt war.
Es entspricht nicht Renate Bethges Art, gefühlig oder
überschwänglich zu schreiben. Das kleine Buch ist
nüchtern und sachlich, so wie wohl in der Familie Bonhoeffer
miteinander gesprochen wurde. Gerade das macht das kleine Buch so
glaubwürdig.
Besonders wichtig scheint mir zu sein, was sie über die
frühen Jahre Dietrichs geschrieben hat. Die Romreise bekommt
ihren wichtigen Platz im Leben des Heranwachsenden. Mir hat auch
sehr gefallen, wie Renate Bethge Dietrichs Liebe zu den Kindern
darstellt, auch wenn es die nicht gerade zarten Bengels aus der
Zionsgemeinde im Norden Berlins sind. "Er liebte die Kinder und die
Kinder liebten ihn." Das ist im Blick auf seinen späteren
theologischen Weg gewiss nicht ohne Belang gewesen.
Die zentrale Bedeutung der ökumenischen Konferenz von
Fanö wird deutlich; allerdings hätte ich mir
gewünscht, dass das Friedensangebot nicht ausgelassen wird:
"Friede auf Erden, das ist kein Problem, sondern ein mit der
Erscheinung Christi selbst gegebenes Gebot" (Dietrich Bonhoeffer:
Werke, Band 13, Seite 298). Das Predigerseminar der Bekennenden
Kirche in Finkenwalde hat seinen ihm gebührenden Platz. Es
war, wie er es selbst sagt, die "beruflich und menschlich
ausgefüllteste Zeit" seines Lebens. Er hat seine schon lange
geplante Reise nach Indien aufgegeben - der Ruf der Bekennenden
Kirche war ihm dringender. Das in Finkenwalde geübte
gemeinsame Leben ist sein, wie ich meine, vielleicht wichtigstes
Vermächtnis für die Kirche heute.
Besonders beeindruckend schildert Renate Bethge ihres Mannes
Eberhard Hereinwachsen in die Familie, an dem sie zweifellos ihren
erheblichen Anteil hatte, - eine Familie, die auf einen Schlag zwei
Söhne und zwei Schwiegersöhne verloren hat. Renate
schließt wie Eberhard mit dem Brief des Vaters an einen
Kollegen: "Wir sind wohl traurig, aber stolz auf ihre gradlinige
Haltung."
Das Buch von Renate Bethge ist in seiner gestrafften Kürze
für viele, die sich schnell und authentisch orientieren
wollen, ein verlässliches und hilfreiches Werk. Vielleicht
fragen manche Verehrer Bonhoeffers: Warum nach so vielen
Büchern über ihn noch ein Weiteres? Wir fragen: Warum
nicht längst dieses?
Renate Bethge
Dietrich Bonhoeffer. Eine Skizze seines Lebens.
Gütersloher Verlagsanstalt, Gütersloh 2004;
96 S., 12,95 Euro
Albrecht Schönherr, Altbischof von Berlin-Brandenburg, ist
einer der letzten noch lebenden Freunde und Vertrauten Dietrich
Bonhoeffers.
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