"Gedruckter Salon der politischen
Auseinandersetzung"
Interview mit Wolfram Weimer, Chefredakteur vom
neuen Debattenmagazin "Cicero"
Am 25. März erscheint in Berlin mit einer
Startauflage von 120.000 Exemplaren erstmals das neue politische
Monatsmagazin "Cicero". Entwickelt wurde die neue Zeitschrift von
Wolfram Weimer. Das Magazin, das sich als Autoren- und
Debattenmagazin versteht und vom dem Schweizer Verlag Ringier
herausgegeben wird, hat seinen Sitz in Potsdam unweit der
Glienicker Brücke und damit an einem geschichtsträchtigen
Ort. Nach einer längeren Entwicklungsphase arbeitet Weimer
jetzt an der ersten Ausgabe von "Cicero".
Qualitätsjournalismus ist nicht tot, sagt Wolfram Weimer,
politische Debatten sind wieder gefragt.
Das Parlament
Herr Weimer. Was ist "Cicero"?
Weimer "Cicero" ist das erste politische
Monatsmagazin in Deutschland, das erste politische Magazin aus der
Hauptstadt Berlin. Ein Reflektorium nach angelsächsischem
Vorbild. Ein Magazin von der Art, wie es sie mit "Atlantic
Monthly", "The Spectator" oder "Nouvelle Observateur" in Amerika,
in England und in Frankreich gibt. Dieses Genre versuchen wir in
Deutschland zu etablieren.
Das Parlament
Alle reden von der Medienkrise, braucht man
da nicht sehr viel Mut, mit einem neuen Projekt auf den Markt zu
kommen?
Weimer Krisen sind wahrscheinlich die besten
Zeiten, um etwas Neues zu beginnen. Die Medienkrise wird dazu
führen, dass es Innovationen gibt, dass es Wagnisse gibt, die
den Markt politischer Zeitschriften bereichern. Viele Verlage
antworten auf die Medienkrise mit Boulevard und Nutzwert, wir
antworten darauf mit dem Gegenteil, mit Salon und Denkwert. Das
Bedürfnis nach Qualität im Journalismus wird in der Krise
größer und nicht kleiner.
Das Parlament
Ist Qualitätsjournalismus überhaupt
noch gefragt?
Weimer Die Konjunkturkrise ist nicht das Ende
des Qualitätsjournalismus. Im Gegenteil führt diese dazu,
dass man sich wieder viel schärfer darauf konzentriert, was
echte Qualität ist. "Die Zeit" steigert ihre Auflage,
"Atlantic Monthly" erreicht in den USA Rekordauflagen. Es gibt eine
Spreizung des Marktes. Die Boulevard-Medien halten sich recht gut,
die wirklich auf Qualität konzentrierten Substanzmedien auch.
Das Problem liegt im Mittelfeld. Wir konzentrieren uns mit "Cicero"
auf die Bildungselite.
Das Parlament
Sie wollen zu dem politischen Magazin der
Berliner Republik werden. Journalistisch steht die Berliner
Republik jedoch für etwas anders, für Tempo, für
Skandalisierung und für flache politische Talkshow. Wie wollen
Sie diesem Trend etwas entgegen setzen?
Weimer Solche Trends sind wie Gezeiten, sie
kommen und sie gehen. Jeder übertriebene Trend verkehrt sich
in sein Gegenteil. Es gibt einen Pendelschlag zurück zum
Substanziellen, zurück zum Originären. Ein Retro-Trend
nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch im Journalismus. Dem
werden wir Rechnung tragen. Wenn es anders wäre, hieße
dies ja, Big-Brother und Dschungel-Show wären die Perspektive
auch des politischen Journalismus. Das glaube ich nicht. Eine
bürgerliche Elite, eine politische Elite schafft sich Foren,
die sie braucht. Foren der Selbstvergewisserung ihrer eigenen
Identität.
Das Parlament
Magazine, die in den letzten Jahren
erfolgreich waren, funktionieren nach dem Häppchenprinzip.
Auch "Der Spiegel" hat sich diesem Trend angepasst. Politische
Wochenzeitungen wie "Die Woche" wurden eingestellt, weil sie nicht
genug Leser fanden, die Berliner Seiten der "Frankfurter
Allgemeinen Zeitung" ließen sich nicht länger
finanzieren. Überregionale Tageszeitungen kämpfen ums
Überleben, weil Anzeigen ausbleiben. Gibt es überhaupt
Bedarf für anspruchsvollen politischen Journalismus, für
Debatte und Reflexion?
Weimer Wer heute noch auf
Häppchen-Journalismus oder Boulevardisierung setzt, macht
einen großen Fehler. Jede Zeit gebiert ihre Medien. Die
80er-Jahre waren ein äußerliches Jahrzehnt. Reise-,
Wellness und Design-Magazine setzten erfolgreich auf
gesellschaftliche Strömungen. In den 90er-Jahren war Nutzwert
angesagt. "Focus", Börsenmagazine, "Financial Times" waren die
großen Neugründungen. Jetzt beginnt die neue
Ernsthaftigkeit.
Das Parlament
Was ist die neue Zeit, die neue
Ernsthaftigkeit?
Weimer Die Spaßgesellschaft ist
Vergangenheit, auch in der Politik. Der Kanzler lässt sich
nicht mehr mit Cohiba fotografieren. Guido Westerwelle geht nicht
mehr in den Big-Brother-Container, noch fährt Angela Merkel im
Käfer-Cabriolet umher. Es hat ein deutlicher Wandel im
politischen Empfinden stattgefunden. Das spiegelt sich auch im
Journalismus wider. Wir reden über ernste Themen, über
Terrorismus, über Krieg, über Weltwirtschaftskrise. Wir
debattieren über Dinge, die vor fünf Jahren undenkbar
gewesen sind. Es gibt ein Comeback des Politischen. Wir hatten ein
sehr stark ökonomistisch geprägtes Jahrzehnt, jetzt wird
der politische Diskurs in den Mittelpunkt rücken. Das
Bedürfnis nach ernster Behandlung statt oberflächlicher
Verquatschung ist da, dem wollen wir folgen.
Das Parlament
Also ist "Cicero" eine Antwort auf die
Talkshow-Politik?
Weimer Wenn man so will, wird "Cicero" das
Gegenteil davon. Wir setzen bewusst auf das gedruckte Wort, auf den
ernsten Gedanken. Wir setzen bewusst auf den Autorentext. Wir gehen
damit den entgegengesetzten Weg zur Vertalkshowung des
öffentlichen Diskurses.
Das Parlament
Seit den 80er-Jahren sind die großen
gesellschaftlichen Debatten verflacht. Wo sind die grundlegend
unterschiedlichen Konzepte, über die sich streiten ließe?
Lässt sich dies mit einer Zeitschrift wieder
beleben?
Weimer Das Gegenteil ist der Fall.
Deutschland steckt in einer tiefen mentalen Krise, in einer
schweren Phase der Selbstfindung, in solchen Phasen der
Selbstvergewisserung ist das Bedürfnis nach Orientierung
größer als in Phasen der allgemeinen Happyness. Insofern
werden die politischen Debatten sehr viel heftiger geführt und
sehr viel ernster. Wenn man sieht, was bei Wahlen passiert, welche
Wählerwanderungen es gibt, in welche Schwierigkeiten die
rot-grüne Bundesregierung gekommen ist, wie heftig die
Verteilungs- und Reformkonflikte ausgetragen werden. Dann glaube
ich, die politische Debatte ist zurück und trägt
ernsthaft zur politischen Willensbildung bei.
Das Parlament
Viele Leute sagen, debattiert worden ist
genug, alles wurde rauf und runter diskutiert. Politik muss endlich
handeln, dabei muss sie unterstützt werden. Gibt es nicht ein
Defizit an politischer Umsetzung?
Weimer Das mag sein, aber das ist nicht die
Aufgabe des Journalismus. Wir sind Menschen des Diskurses, Menschen
der Idee. Unsere Funktion ist eine andere. Im Übrigen fordern
immer neue Konstellationen, immer neue Herausforderungen, immer
neue Debatten.
Das Parlament
Aber in der Politik geht es doch nicht um die
großen Entwürfe, um politische Richtungsentscheidungen.
Da wird um Prozente gefeilscht, um Nebensätze gerungen, und
Reformen werden zugunsten parteitaktischer Kompromisse
geopfert.
Weimer Das sehe ich nicht so. Hinter allen
diesen Fragen stehen sehr ernste politische Auseinandersetzungen.
Ich teile auch nicht die Analyse, dass unsere Politik schlechter
geworden ist. Die Diskreditierung des Politischen ist eine
Ablenkung von Problemen, die wir in anderen Teilen der Gesellschaft
haben. Unsere Wirtschaftseliten haben in vielerlei Hinsicht
versagt, unsere bürgerliche Gesellschaft ist in mancher
Hinsicht feige. Oft ist die Politik nur das Schutzschild, auf das
man alles projizieren kann. Unsere Politik ist nicht so schlecht,
wie es im öffentliche Diskurs erscheint.
Das Parlament
Haben die Medien zu dem beigetragen, was Sie
die Diskreditierung des Politischen nennen?
Weimer Nein, die Medien sind daran
unschuldig. Die Politik ist immer nur so gut, wie es die
Gesellschaft erlaubt. Die Bürgergesellschaft entlädt sich
gerne ihrer Verantwortung, indem sie fehlende Aktion und die eigene
Verunsicherung auf das Politische projiziert. Aber die Gesellschaft
ist stark in Bewegung geraten. Sie steht an einer Bruchstelle ihrer
Geschichte.
Das Parlament
Was sind die Themen, über die diskutiert
werden muss, welches sind die großen Debatten, an denen diese
Bruchstelle erkennbar wird?
Weimer Die eine zentrale Linie ist die der
Ordnungspolitik. Da geht es: Freiheit gegen Staat. Wie viel
Freiheit will sich diese Gesellschaft leisten, wie viel soziale
Verantwortlichkeit, wie viel Kontrolle. Die andere große
Bruchlinie ist die der kulturellen Identität. Welche Rolle
spielt zukünftig Religion, welche Zukunft hat die Nation. Wie
stellen wir uns zur islamistischen Herausforderung. Das sind die
beiden Bruchstellen, an denen sich große gesellschaftliche
Debatten in den kommenden Jahren ausrichten.
Das Parlament
Sind dies auch die Fragen, bei denen Sie
publizistische Maßstäbe setzen wollen?
Weimer Wir haben keinen missionarischen
Eifer. "Cicero" ist ein Autorenmagazin. Wir sind eine
nicht-schreibende Redaktion und laden Autoren aller Denkrichtungen
und Parteien zur offenen Debatte ein. Wir sind ein gedruckter Salon
der politischen Auseinandersetzung.
Das Parlament
Trotzdem braucht eine Zeitungsredaktion doch
eine Grundphilosophie, einen eigenen Standpunkt...
Weimer Wir sind ausdrücklich kein Blatt
des politischen Richtungsjournalismus. Wir heißen nicht
zufällig "Cicero". Marcus Tullius Cicero war der Urvater der
politischen Debatte, der auch die andere Meinung geschätzt und
gefördert hat. Er war einer der Vordenker der res publica
gegen die Entartung der Macht. Insofern sind wir im besten Sinne
ein liberales Debattenblatt.
Das Parlament
Gibt es überhaupt eine republikanische
Debattentradition in Deutschland?
Weimer Diese Art von Magazin begründet
eine Tradition wieder. In den 20er-Jahren gab es diese sehr
intensiv. Da erschienen Zeitschriften wie "Hochland", "Fackel" und
"Weltbühne". Die Nazis haben diese Kultur vernichtet. Nach dem
Zweiten Weltkrieg hat nur Enzensberger in den 80er-Jahren mit der
Zeitschrift "Transatlantik" versucht, die Tradition
wiederzubeleben. Dieser Versuch war sehr literarisch geprägt.
Wir starten jetzt mit einem eindeutig journalistischen Ansatz, mit
einer Zeitschrift, die vom Interview, über die Reportage oder
den Essay bis zur kurzen Glosse, alle journalistischen Genre
bietet.
Das Parlament
Aber ihre unmittelbaren Vorbilder erscheinen
im Ausland, das heißt diese Tradition kehrt auf Umwegen nach
Berlin zurück?
Weimer Vieles dieser Debattenkultur hat in
Deutschland in Tages- und Wochenzeitungen weiter gelebt, mehr als
in Ländern im angelsächsischen Raum. Nur, die Zeitungen
sind durch die Strukturkrise derart in Bedrängnis geraten,
dass damit der Raum für neue Formate offen wird. Wenn "Die
Woche" schließen muss, große Tageszeitungen Redakteure
entlassen müssen, Seiten einsparen müssen, ihre
Bühnen verkleinern, dann heißt dies nicht, dass die
Nachfrage geringer geworden ist. Also wird die Lücke auf dem
Markt für Magazine wie "Cicero" größer. Was für
die einen Krise ist, ist für die anderen Chance.
Das Interview führte Christoph
Seils.
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