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Christian Hacke
Zur Verantwortung bereit sein
Die Aktualität der "Erinnerungen" von Hans
Jonas
Mit dem Namen Hans Jonas verbindet sich vor
allem sein Buch über "Das Prinzip Verantwortung". Es erschien
1979, als Jonas schon 75 Jahre alt war und bereits ein bewegtes
Leben hinter sich hatte. Er wurde 1903 in Mönchengladbach
geboren und starb im Februar 1993 in New Rochelle bei New York.
Jonas stammte aus einem jüdischen Elternhaus: Der Vater, ein
angesehener Textilfabrikant aus Mönchengladbach, starb 1938,
Jonas' Mutter wurde in Auschwitz ermordet.
Jonas hatte in Freiburg und Heidelberg bei
Husserl, Heidegger und Bultmann studiert, war mit Hannah Arendt
befreundet, emigrierte 1933 über London nach Palästina,
wo er als Mitglied in einer bewaffneten Untergrundorganisation zum
militanten Zionisten wurde und 1945 mit den englischen Alliierten
in Deutschland einmarschierte: "Nie wieder zurückzukehren, es
sei denn als Soldat einer erobernden Armee", dieses Gelöbnis
hatte er wahr gemacht.
Jonas emigrierte 1945 zunächst wieder
nach Palästina, doch fasste er dort nicht dauerhaft Fuß,
sondern lehrte ab 1949 in Montreal und Ottawa, um dann ab 1955 bis
1976 bis zu seiner Emeritierung an der New School for Social
Research in New York zu wirken.
Die vorliegenden Erinnerungen entstanden aus
langen Gesprächen mit Rachel Salamander, der Herausgeberin der
"Literarischen Welt", und mit Christian Wiese von der
Universität Erfurt. Im September 1989 konnte Rachel Salamander
Jonas dazu bewegen, seine Lebensgeschichte zu erzählen, die
sie dann auf 33 Tonbändern aufnahm. Entstanden ist das
bewegende Zeitdokument eines Mannes, der sich zunächst mit der
spätantiken Gnostik, einer dualistischen Religion der
misslungenen und also rückgängig zu machenden
Schöpfung beschäftigte, und der ein halbes Jahrhundert
später mit seinem "Prinzip Verantwortung" den Entwurf einer
Ethik für die technologische Zivilisation wagte, der ihn weit
über die Fachkreise und über das akademische Leben hinaus
prominent machte.
Der Ruhm kam spät, aber mit
unvergleichlicher Wucht. Davor lag die Erarbeitung einer
Philosophie des Organischen, die die Konsequenzen aus der Ablehnung
des gnostischen Dualismus zog und sich vor allem gegen den modernen
Nihilismus wandte. Eindrucksvoll sind in diesem Band auch die
abgedruckten Lehrbriefe an seine Frau, die Jonas schrieb, als er in
der Jewish Brigade Group der britischen Armee gegen Hitler
kämpfte.
Wie seine enge Freundin Hannah Arendt war
Jonas ein kämpferischer jüdischer Philosoph, der nicht
nur mit der Feder gegen die totalitären Ideologien anging. Er
hatte zwar 1928 bei Martin Heidegger promoviert, war dann aber
lebenslang von dessen Neigung zum Nationalsozialismus bitter
enttäuscht. Doch grenzt sich Jonas nicht nur von Heidegger,
sondern auch von Ernst Blochs Prinzip Hoffnung ab: Utopie
täusche die Menschen über ihre Conditio humana, ihre
Verletzlichkeit und Endlichkeit hinweg, so sein Diktum.
Das Prinzip Verantwortung traf den Nerv der
Zeit, denn durch die Entzauberung der Welt mittels einer modernen
Wissenschaft, die keinen Raum für die Ehrfurcht vor dem
kosmischen Mysterium lasse, so Jonas, dominiere das darwinistische
Prinzip, das zu einem metaphysischen Vakuum führte, dem die
moderne philosophische Ethik nichts entgegenzusetzen habe. Jonas
suchte dieses Vakuum durch seine Ethik der Ver-antwortung
auszufüllen, mit dem er auf neue Verletzlichkeiten der
Weltgesellschaft verwies.
Ein menschenfeindliches Universum im Zeichen
von Heimatlosigkeit und Verlorenheit, diesen Bruch zwischen Mensch
und Natur, suchte Jonas durch eine Naturphilosophie des Organischen
zu überwinden. In seiner Leibhaftigkeit mit der Welt
verflochten, soll der Mensch diese verantwortlich gestalten. Auf
dieser Grundprämisse entwickelte Jonas die Verantwortung
für die "Weiterwohnlichkeit" der Welt. War es früher die
Religion, die mit dem Jüngsten Gericht drohte, so sind es
für Jonas heute die "Neuen Globalen Fragen", die den Planeten
bedrohen. Sein Versuch einer Ethik für die technologische
Zivilisation verdichtet sich ganz im Sinne von Kant: "Handle so,
dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der
Permanenz echten menschlichen Lebens auf der Erde."
Jonas kritisierte die utopische Ethik der
Vervollkommnung des Menschen im Zeichen totalitärer Ideologien
und plädierte stattdessen verantwortungsethisch im Sinne Max
Webers. Seine tiefe Zuneigung zum Leben selbst steht als
höherer Wert gegenüber jedem utopischen Entwurf. Doch
warnte er vor Passivität und Fatalismus und plädierte
für eine zukunftsorientierte Ethik, die die Möglichkeiten
und Grenzen der technischen Kultur neu ausleuchten muss.
Jonas Erinnerungen sind mit Nachdruck zu
empfehlen, weil sie auf lebendige Weise die Tiefe seines Denkens
widerspiegeln, aber auch sein erzählerisches Talent deutlich
machen. Jonas war ein Mensch, der sich mit erstaunlicher
Präsenz an Details zu erinnern vermochte und folglich das
tragische Schicksal seiner Generation der jüdischen Deutschen
lebensnah aufleuchten lässt: Das jüdische Leben in der
Weimarer Republik, der Untergang im Nationalsozialismus, die
Emigration nach Palästina und sein erfolgreiches Wirken in
Nordamerika, seiner zweiten Heimat.
Zusammen mit den Erinnerungen von John Herz
und Felix Gilbert bilden die Erinnerungen von Hans Jonas ein
bleibendes Vermächtnis deutsch-jüdischer Intellektueller,
die nach 1933 in der Emigration in Nordamerika ihr Lebenswerk
fortsetzten und zugleich das geistige Leben der atlantischen
Zivilisation von Amerika aus auf Europa zurück wirkend
befruchteten.
Hans Jonas
Erinnerungen.
Insel Verlag, Frankfurt/M. 2003; 495 S.,
24,90 Euro
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