Christian Hauck
Wende von Nordost nach Süden
Schleswig-Holsteins
"Außenpolitik"
Im Jahr 2000 trat Volker Rühe als
CDU-Spitzenkandidat in Schleswig-Holstein an, um die Regierung von
Ministerpräsidentin Heide Simonis abzulösen. In seinem
Programm fand sich eine kleine Sensation. Neben die bis dahin von
der Koalition propagierte Ostseezusammenarbeit sollte eine
Nordseekooperation treten. Dieser Ansatz war neu. Nach der
verlorenen Wahl geriet dieser Plan jedoch wieder in
Vergessenheit.
Schleswig-Holstein liegt zwischen zwei
Meeren: der Ostsee und der Nordsee, die die Dänen zutreffender
Vesterhavet (Westmeer) nennen. Warum sind nur die Nachbarn im
Ostseeraum aber nicht die Nordseeanrainer im Fokus der Kieler
Regierung? Und vor allem: Was hat diese "Nebenaußenpolitik"
dem nördlichsten Bundesland bislang gebracht ?
Auf die erste Frage gibt es eine
geographische, eine historische und eine politische Antwort. Das
Meer verbindet immer dann, wenn Schiffe fahren. Kiel und
Lübeck liegen als einzige nennenswerte Fährhäfen des
Landes an der Ostsee. Historisch hatte es Schleswig-Holstein immer
mit den Machtzentren des Ostseeraumes zu tun. Über
Jahrhunderte befanden sich die Gottorfer Herzöge im
machtpolitischen und dynastischen Spannungsfeld zwischen
St.Petersburg und Kopenhagen.
Wirklich entscheidend für die
spätere politische Ostsee-Ausrichtung des Landes aber war die
Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg. 1945 fiel östlich von
Lübeck der Eiserne Vorhang. Schon bald darauf begannen Kiel
und Lübeck, auf kommunaler Ebene Kontakte nach Skandinavien
und sogar in den kommunistischen Machtbereich zu knüpfen.
Sportereignisse wie die Kieler Woche halfen dabei. Höhepunkt
war die Begründung einer Städtepartnerschaft zwischen
Kiel und Tallinn im damals noch sowjetisch besetzen Estland. Wenig
später folgten sogar formelle Freundschaften mit
Königsberg (Kaliningrad) und Tilsit (Sovietsk).
Die Mächtigen in Ost und West
tolerierten diese Politik des angelehnten Fensters. Während
deutsche Spitzenpolitiker Besuche im Baltikum vermieden, um keine
Anerkennung der sowjetischen Okkupation zu implizieren,
schüttelten Kiels Stadtväter in Tallinn fleißig die
Hände ihrer kommunistischen Amtskollegen.
Bis 1988 ignorierte die damalige
CDU-Landesregierung diese Entwicklung. Man ließ die
Städte zwar gewähren, tat sich mit eigenen
Aktivitäten aber schwer. Mit der Regierungsübernahme
durch Björn Engholm änderte sich das schlagartig.
Außenpolitik wurde Chefsache. Der neue Ministerpräsident
besuchte die Nachbarn, knüpfte Kontakte und förderte den
kulturellen Austausch. Und auch nach dem Wechsel von Engholm zu
Simonis 1993 blieb die Ostseekooperation wichtig. Die
Federführung wechselte von der Staatskanzlei zu Justiz- und
Europaminister Gerd Walter, der durch seine vielfältigen
Kontakte schnell zum "Mister Ostsee" avancierte.
Gleichwohl änderten sich ab 1992 die
Rahmenbedingungen entscheidend. Mit der Unabhängigkeit der
baltischen Staaten und den ersten Überlegungen zur
EU-Osterweiterung gewann die Ostseekooperation nationales Format.
Gesprächspartner der Regierungen von Finnland, Estland oder
Dänemark war ohnehin in erster Linie Berlin und nicht Kiel.
Geblieben ist die Zusammenarbeit auf Gebieten, wo
ausschließlich die Länder zuständig sind, vor allem
beim kulturellen Austausch. Bei der Bekämpfung der
organisierten Kriminalität steht die Landespolizei in enger
Beziehung mit den Kollegen im Baltikum. Und die Investitionsbank
Kiel ist zur zentralen Abwicklungsstelle der
EU-Förderprogramme für den Ostseeraum
geworden.
Was früher sensationell und politisch
heikel war, ist heute Normalität. Betrachtet man die
Besuchsprogramme bei offiziellen Reisen von
Ministerpräsidentin Simonis nach Skandinavien, so erscheint
manches Treffen mit Regierungsmitgliedern des Gastlandes inzwischen
als reine Höflichkeit. In den Beziehungen zu Polen
konzentriert sich Kiel auf die Ebene der Wojwodschaften. An Glanz
und politischer Bedeutung verloren hat die Konferenz der
Parlamentarier des Ostsee-Raums, zu der alljährlich der
Landtag anlässlich der Kieler Woche einlädt. Während
früher viele Parlamente ihre erste Garnitur an die Förde
schickten, sind heute manche Staaten gar nicht mehr
vertreten.
Wirtschaftlich hat die Ostseekooperation
Schleswig-Holstein bislang nicht nennenswert vorangebracht.
Direktinvestitionen der skandinavischen Nachbarn sind selten. Und
umgekehrt finden die Produkte der mittelständisch
geprägten Wirtschaft Schleswig-Holsteins nur selten den Weg in
die Regale der Ostseeanrainer. In einem finnischen Supermarkt ist
zwar die Konfitüre eines hessischen Herstellers
erhältlich, nicht jedoch das Produkt aus Bad
Schwartau.
Harte Konkurrenten
Auch die millionenschweren
Dienstleistungsverträge zwischen finnischen
Sozialversicherungsträgern und medizinischen Einrichtungen
über Herzoperationen und Hüftgelenke gehen an
Schleswig-Holstein vorbei nach Großbritannien oder in die
Niederlande - Ergebnis einer intensiven Akquisitionsstrategie, wie
sie ein finanzschwaches Bundesland allein nicht leisten kann.
Einzig die frühere Landesbank Kiel (heute HSH Nordbank)
schaffte es, sich mit einer konsequenten Strategie im gesamten
Ostseeraum gut aufzustellen.
Die Regierung in Kiel hat aus der Entwicklung
den richtigen Schluss gezogen. Sie hat die Ostseekooperation vom
Kabinettsrang auf Referentenebene degradiert und konzentriert sich
heute stattdessen auf die über Jahrzehnte hinweg
vernachlässigte Zusammenarbeit mit dem Nachbarn Hamburg - mit
Erfolg, wie die Zusammenlegung der Landesbanken und wichtiger
Behörden zeigt. Damit hat ein wohl nicht mehr umkehrbarer
Paradigmenwechsel in der "Außenpolitik" Schleswig-Holsteins
stattgefunden - vom Nordosten nach Süden.
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