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Matthias Lohre
Entwicklungspolitik ist mehr als
Schreibtischarbeit
"Zwischen Hörsaal und Projekt" schickt zum
dritten Mal junge Leute zu GTZ-Projekten in aller Welt
Auf Nicole Derbinski können sie stolz sein bei der
Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ). Die
28-Jährige macht ihren Alterskollegen vor, wie internationale
Kooperation aussehen kann. Bereits zum zweiten Mal arbeitet die
gebürtige Bremerin im Auftrag der GTZ in Indonesien. Was sie
an der Humboldt-Uni und der Freien Universität zu Berlin bei
ihren Südostasienstudien gelernt hat, setzt sie heute in
Jakarta und kleineren Städten um: Nicole Derbinski forscht
über Frauen in klein- und mittelständischen Unternehmen,
verhandelt mit Regionalregierungen und ist dabei, wenn sich
Vertreter internationaler Organisationen wie UNICEF und GTZ bei
gemeinsamen Förderprojekten abstimmen.
Organisieren, handeln, vor Ort etwas bewirken; das will Nicole
Derbinski, und deshalb ist die Gesellschaft für Technische
Zusammenarbeit so stolz auf sie. Schließlich hat erst die GTZ
der jungen Frau ermöglicht, ihre Pläne umzusetzen. Die
Initiative "Zwischen Hörsaal und Projekt" ermutigt seit zwei
Jahren Studenten in Berlin und den ostdeutschen Bundesländern,
sich in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit zu
engagieren. Die Studentin gehörte 2002 zu den ersten
Preisträgern. In Absprache mit der GTZ vergeben Dozentinnen
und Dozenten pro Seminar ein Referatsthema, das einen direkten
Bezug zur Arbeit der Gesellschaft oder einer anderen international
arbeitenden Organisation hat. Politikwissenschaftler machen ebenso
mit wie Psychologen und Wirtschaftswissenschaftler. Im laufenden
Wintersemester forschten die Studenten unter anderem über den
nachhaltigen Umgang mit natürlichen Ressourcen in den Anden
oder über Stadtplanung in China. Vor zwei Jahren erhielt
Nicole Derbinski als Lohn für ihre Seminar-Arbeit den
gewünschten Praktikumsplatz bei einem GTZ-Projekt in
Indonesien. Doch ein halbes Jahr Vor-Ort-Erfahrung reichte ihr
nicht: Heute arbeitet die junge Frau wieder über mehrere
Monate in Jakarta.
Anfang Februar kamen in Berlin zum dritten Mal Studenten und
Juroren zusammen, um aus den 27 Teilnehmern von "Zwischen
Hörsaal und Projekt" drei Preisträger zu wählen. Die
Jury verlieh beim eintägigen Symposium Julika Schmitz und
Desiree Zwanck den ersten Preis. Die Wirtschafts- und
Sozialwissenschafts-Studentinnen des Landbaus an der Berliner
Humboldt-Universität wurden ausgezeichnet für ihre
Peru-Arbeit "Geht vorsichtig mit unserem Wissen um!" Die
Begründung der Jury: "Sie haben sowohl überzeugend die
Ebene der Indio-Frauen im Altiplano wahrgenommen als auch die
politische Dimension des Themas "indigenes Wissen" und dessen
Stellenwert in globalen Konferenzen und Konventionen
vermittelt."
Viele Teilnehmer hoffen, durch ihre Arbeit "einen Fuß in
die Tür zu bekommen", sagt Sascha Maier. Der 28-jährige
Politik-Student an der FU Berlin hat zwar für seinen
Seminar-Vortrag über "neue Wege in der internationalen
Entwicklungspolitik" in diesem Jahr keinen der drei Preise
erhalten. Trotzdem hat sich die Teilnahme für ihn gelohnt:
Bald wird er neun Monate lang für die GTZ arbeiten, und das
noch während seines Studiums. Sein Ziel bleibt, einmal im
grenzübergreifenden Great Limpopo Park in Mosambik und
Südafrika zu arbeiten. Die rege Teilnahme engagierter
Studenten wie Sascha Maier hat dazu beigetragen, dass aus dem
bisherigen Pilotprojekt "Zwischen Hörsaal und Projekt" in
diesem Jahr ein fester Bestandteil des GTZ-Programms geworden ist.
Die Zukunft scheint damit erstmal gesichert. Die
Projekt-Initiatorin Regine Schönenberg hofft aber auf noch
mehr Teilnehmer im nächsten Wintersemester. Neben den Berliner
Universitäten, den Unis in Rostock und Potsdam sowie der
Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder nehmen dann
voraussichtlich auch Vertreter der Uni Leipzig am Wettbewerb
teil.
Die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit mit Sitz im
hessischen Eschborn unterhält in 63 Ländern eigene
Büros. In mehr als 130 Ländern beschäftigt sie
10.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Hauptauftraggeber ist das
Bundesministerium für Bildung und Forschung. Daher ist der
GmbH der Austausch mit Universitäten nicht neu. "Neu ist aber,
dass wir in systematischer Weise in Kooperation mit verschiedenen
Universitäten getreten sind", sagt Franziska Donner, Leiterin
des Berliner GTZ-Büros.
Theorie und Praxis
Initiatorin Regine Schönenberg wünscht sich, dass alle
Preisträger ähnlich begeistert von ihren eigenen
Praxis-Erfahrungen sind, wie es Nicole Derbinski zurzeit in
Indonesien ist. Schließlich ist es das Anliegen von
Schönenberg und ihren Kollegen, die wissenschaftliche Theorie
an den Universitäten mit der Praxis der
Entwicklungszusammenarbeit zu verbinden. Aber mit Blick auf
angebliche Fachleute für internationale Zusammenarbeit und
deren Gutachten sagt sie: "Wenn sich in den Köpfen erst einmal
Strukturen festgesetzt haben, ist es nahezu unmöglich, diese
Menschen für andere Sichtweisen empfänglich zu machen."
Zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen will die Uni-Dozentin
daher den Studenten zeigen, dass Hochschulseminare die Arbeit vor
Ort nicht ersetzen können. "Deshalb fangen wir schon
während des Studiums an."
Wenn "Zwischen Hörsaal und Projekt" im nächsten
Wintersemester in die vierte Runde geht, wird Nicole Derbinski
nicht mehr in Indonesien arbeiten, sondern in Berlin die Ergebnisse
ihrer Vor-Ort-Studien in ihrer Magisterarbeit zusammenfassen. Auch
für die Zeit nach dem Examen kann sie sich Aufenthalte in
Südostasien vorstellen: "Thailand und Laos finde ich sehr
interessant." Die Vorzeigestudentin wird der internationalen
Kooperation also möglicherweise erhalten bleiben. Und die
Initiatoren von "Zwischen Hörsaal und Projekt" wären
damit ihrem Ziel ein wenig näher: Sie hätten jungen
Wissenschaftlern gezeigt, dass Entwicklungszusammenarbeit mehr sein
kann als das Schreiben von Gutachten. Matthias Lohre
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