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Detlef Hamer
Beatles-Träume
Jugend und Pubertät in der DDR
Der gereimte Spruch, der in den 70er-Jahren von damaligen
Jugendlichen kolportiert und von ihnen gelegentlich insgeheim auf
ostdeutsche Haus- und Tunnelwände gebracht wurde, ist im Titel
dieses Buches wohl absichtsvoll nur zur Hälfte genannt, denn
er lautet vollständig: Wer die Beatles nicht kennt - ist
impotent. In seiner Drastik mag er sich als Gebärde des
Protestes Heranwachsender gegen die damals allgegenwärtige
politische Bevormundung und gegen jene staatliche Ignoranz
verstehen, die "westliche" Denk- und Lebensart verteufelte oder gar
nicht erst zur Kenntnis nahm.
Der vorliegende Band berichtet in gestrafften Episoden, die nur
wenige Wochen zwischen Schuljahresabschluss und Sommerferienende
umfassen, von den Erlebnissen, Erfahrungen und Gefühlen eines
fast 16-jährigen Jungen in Mecklenburg. Klaus Levitzow, der
Ich-Erzähler, wurde vom Vater, einem angepassten, jedoch nicht
unkritischen Reichsbahn-Angestellten, nicht zum Duckmäusertum,
aber zur Unauffälligkeit erzogen. Er legt sich zunächst
mit seiner dogmatischen Staatsbürgerkunde-Lehrerin an. Weil er
die Sprachregelung vom "antifaschistischen Schutzwall" nicht
mitträgt und schlicht von der Mauer spricht, gerät er in
beträchtliche Schwierigkeiten, die in drakonische Strafen
einmünden könnten. Er wird zum Direktor beordert, der
milde verfährt, indem er eine für den durchweg
leistungsstarken Schüler vorgesehene Belobigung streicht und
es dabei belässt.
Der Klassenlehrer, die weithin sympathischste Figur unter den
agierenden Pädagogen, weil er mit den ihm Anvertrauten offen,
ehrlich und verständnisvoll umgeht, sorgt zudem dafür,
dass der Zwist nicht eskaliert, indem er einerseits ein gutes Wort
für seinen Schützling einlegt und ihn andererseits in
einem Gespräch unter vier Augen zu mehr Vorsicht mahnt.
Angesichts des Vorfalls schwankt Klaus zwischen dem Gefühl,
ein mutiger aufrührerischer Held zu sein, worin ihn einige
Mitschülerinnen und Mitschüler noch bekräftigen,
oder sich ganz und gar unnötig in eine heikle Situation
gebracht zu haben, die nichts als Unheil verheißt.
Eine derartige Ambivalenz verlangt nach Verdrängung und
Zerstreuung. Beides findet der doch mehr unfreiwillige Held in
kurzweiligen Treffen mit seinen Alterskumpanen, auch in ersten
Flirts mit dem weiblichen Geschlecht. Hinter der Folie der privaten
erotischen Erkundungsversuche des zum Manne Heranwachsenden gibt
die Handlung Raum für die Daseinssicht großer Teile
ostdeutscher Jugendlicher: Der Musik- und Bekleidungskult aus der
westlichen Hemisphäre wird, soweit es irgend geht, in den
eigenen Lebensstil einbezogen - gefragt sind die nicht unbedingt
offiziell vertriebenen Schallplatten der Beatles und anderer
Gruppen sowie Jeans aus dem Intershop.
Stimmig und wieder nicht
Der Verfasser Lutz Dettmann (Jahrgang 1961) hat eine im ganzen
stimmige Zeitreise in die selbst erlebten 70er-Jahre unternommen
und dabei weitgehend überzeugend versucht, sich an die Diktion
seines jugendlichen Erzählers zu halten, die man ihm nur
bisweilen nicht abnimmt, wenn etwa vom "Charisma" die Rede ist, ein
Begriff, der dieser Altersklasse fern liegt, oder wenn das
berühmte Gorbatschow-Wort vom Zu-spät-Kommen zitiert
wird, das doch erst 1989 ins Bewusstsein der Öffentlichkeit
gedrungen ist. Vielleicht wird in zu vielen Szenen zu viel geraucht
und getrunken (um nicht zu sagen: gesoffen), und die wiederholt
beschriebenen "Selbstversuche" der Jungen und Mädchen, durch
Mix von Cola und der rezeptpflichtigen, aber heftig schwarz
gehandelten Beruhigungstablette Faustan (die dem westdeutschen
Valium entspricht) einen besonderen Rausch-Kick zu erlangen,
dürften sich im richtigen Leben nicht gar so häufig
abgespielt haben. Zu den Höhepunkten zählt fraglos die
trotz mancher Hürden letztlich erfüllte erste
tatsächliche Liebe zwischen Klaus und Cornelia, die den Stoff
für eine eigene, in sich geschlossene Erzählung
hergäbe.
In manchen Ansätzen erinnert das Buch an den vielgelesenen
Roman "Helden wie wir" von Thomas Brussig (Jahrgang 1965), bereits
Mitte der 90er-Jahre erschienen, ohne freilich an dessen
provokatorische Poetik heranzureichen. Leider muss auch angemerkt
werden, dass die Topographie seiner tatsächlichen und
"erfundenen" Namen für Städte, Straßen und
Häuser, soll sie denn als imposantes Mittel der Verfremdung
gelten, im ganzen zu holprig daherkommt, weil sie für den
Leser auf Anhieb Erkennbares und Ausgedachtes zu übersichtlich
schichtet, statt alles kräftig durcheinander zu wirbeln, um so
ein tunlichst eigenständiges Panorama zu entfalten.
Lutz Dettmann
Wer die Beatles nicht kennt. Flegeljahre im Arbeiter- und
Bauernstaat. Roman.
Langen Müller, München 2004; 332 S., 19,90 Euro
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