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Florian Kain
Kommt jetzt ein neues Wahlrecht?
Hamburg: Bürgerinitiative setzt
Volksentscheid durch
Mit besonderer Spannung sieht man in Hamburg dem Ergebnis des
Urnengangs am 13. Juni entgegen, denn parallel zur Europawahl sind
1,24 Millionen Hanseaten aufgerufen, über ein neues Wahlrecht
zu entscheiden. Flaue Gefühle in der Magengegend machen sich
deshalb zurzeit insbesondere bei manch einem Vertreter der
Großparteien breit. Denn sollte die Volksinitiative "Mehr
Bürgerrechte - ein neues Wahlrecht für Hamburg"
tatsächlich erfolgreich sein und damit automatisch Gesetz
werden, dann würde das eine radikale Abkehr von den bislang
üblichen Gepflogenheiten der Abgeordnetenwahl, ja das Ende
jeglicher parteigesteuerter Automatismen bedeuten.
Bislang existieren in der Hansestadt keine Wahlkreise, die
Direktwahl bestimmter Kandidaten ist gar nicht möglich. Die
Bürger haben lediglich eine einzige Stimme, mit der sie
über die Verteilung der Mandate an die Parteien entscheiden.
Aus deren Landeslisten ergibt sich dann, wer ins Parlament
einziehen darf - eine in ganz Deutschland einmalige Situation. "Das
hat zur Folge, dass die Abgeordneten für ihre Wiederwahl viel
stärker vom Wohlwollen ihrer Parteioberen abhängig sind
als vom Wahlvolk. Mündigkeit und Selbstbewusstsein sind nicht
gefragt", meinen Manfred Brandt und Angelika Gardiner von der
Vereinigung "Mehr Bürgerrechte".
Tatsächlich stehen bislang die meisten der künftigen
Parlamentsmitglieder bereits Monate vor der Bürgerschaftswahl
fest. Um das zu ändern, waren die Mitglieder der
Volksinitiative ausgezogen, um in der Elbmetropole die nötigen
Unterschriften einzusammeln, die für die Herbeiführung
eines Volksentscheids gebraucht werden. Ihr Credo: "Wir wollen,
dass die Menschen selbst bestimmen können, wer Abgeordneter
werden soll." Die Botschaft kam an: 81.000 Hamburger ließen
sich überzeugen und unterschrieben auf den Listen der
Initiative. Das sind mehr als die benötigten fünf Prozent
aller Wahlberechtigten.
Konkret schlägt die Vereinigung nun folgendes Prozedere
vor: Es sollen 17 Mandatswahlkreise entstehen, in denen mehrere
Kandidaten direkt gewählt werden. Jeder Bürger hat
insgesamt zehn Stimmen, nämlich jeweils fünf für die
Direktkandidaten und fünf für Kandidaten auf offene
Landeslisten der Parteien. Dabei können die Wähler ihre
Kreuze entweder bei einem einzigen Kandidaten machen (Kumulieren)
oder an mehrere Bewerber verteilen - auch über die
Parteigrenzen hinweg (Panaschieren).
Die Wahlrechtsreform, für die in der Hansestadt unter
anderem der Staatsrechtsprofessor Hans-Peter Bull und
Bischöfin Maria Jepsen Überzeugungsarbeit leisten, wird
von den großen Parteien abgelehnt. Nur FDP und GAL stellen
sich hinter den Vorschlag, natürlich mit Blick auf eine
Verbesserung der eigenen Chancen. Ob bei der Initiative aber
tatsächlich am 13. Juni die Sektkorken knallen, gilt als
offen. Denn die Bürgerschaft hat auf den Volksentscheid
geschickt und schnell reagiert und präsentiert nun eine eigene
Wahlrechtsreform als Gegenmodell, auf das sich CDU und SPD geeinigt
hatten. Es orientiert sich am Bundestagswahlprinzip mit zwei
Stimmen pro Wahlberechtigtem und sieht nicht 17, sondern 50
Wahlkreise mit jeweils einem Direktkandidaten pro Partei vor, der
per Erststimme gewählt wird. Mit der zweiten Stimme soll (wie
im Bund auch) die Landesliste einer Partei gewählt werden.
Offizielle Begründung: Der Vorschlag der Initiative sei zu
kompliziert, "Chaos in den Kabinen, zahlreiche ungültige
Wahlzettel und undurchsichtige Wahlergebnisse" wären die
unvermeidbare Folge. Die Erfinder der Offensive halten dagegen:
"Bis fünf zählen kann doch jeder!"
Am 13. Juni gilt: Der Entwurf mit den meisten Ja-Stimmen wird
Gesetz - sofern mindestens 240.000 Bürger für ihn votiert
haben.
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