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Astrid Pawasser
Ein handfester Skandal?
Sachsen: Debatte über Missbrauch von
Fördermitteln
Ein krimireifer Einsatz brachte es an den Tag: In Sachsen sind
möglicherweise in großem Stile Fördermittel aus dem
Europäischen Sozialfonds (ESF) veruntreut worden. Die von
Justizminister Thomas de Maizière (CDU) initiierte
Sonderermittlungskommission INES brachte sich kurz nach ihrer
Gründung bereits mit einem Paukenschlag ins öffentliche
Bewusstsein. Zeitgleich morgens um 9 Uhr hatten Staatsanwälte
Anfang Mai an mehreren Orten Wohnungen und Büros von 16
Verdächtigen durchsucht. Auch das Wirtschaftsministerium in
Dresden blieb nicht ungeschoren. Zwei Personen landeten umgehend in
Untersuchungshaft. Einem ehemaligen Abteilungsleiter im
Wirtschaftsministerium wird vorgeworfen, die nicht sachgerechte
Genehmigung von ESF-Geldern betrieben zu haben. Der zweite Festge-
nommene ist ein ehemaliger hochrangiger Gewerkschafter, der als
Geschäftsführer einer Qualifizierungsgesellschaft
fungierte, die die Fördermittel zweckfremd verwendet haben
soll. Es soll sich um einen Betrag von bis zu 21 Millionen Euro
handeln.
Im Kern geht es um die Auffanggesellschaft QMF, die 1998 bei der
Privatisierung des Dresdner Zentrums für Mikroelektronik (ZMD)
gegründet worden war. Nach Darstellung des
Wirtschaftsministeriums hatten die Erwerber der Chipfabrik, die
Gebrüder Rittinghaus, als Vorstände der inzwischen pleite
gegangenen Sachsenring Automobiltechnik AG darauf gedrungen, eine
Auffanggesellschaft für 140 zu entlassene Arbeitnehmer von ZMD
zu gründen. Wie Wirtschafts- minister Martin Gillo (CDU) jetzt
dem Landtag erklärte, hätten sie die Firma QMF als
Projektträger präsentiert. Geschäftsführer
dieser "Qualifizierungsgesellschaft für Mikroelektronik und
Fahrzeugtechnik" war ein Gewerkschaftsfunktionär, der auch im
Aufsichtsrat der Sachsenring AG saß. Die im Zuge von
Rationalisierungen in den Unternehmen ZMD und SAG entlassenen
mehreren hundert Arbeitnehmer wurden zwecks Weiterbildung zur QMF
geschickt und sollen dort Praktika absolviert haben, die in
Wahrheit keine waren, sondern eine Weiterbeschäftigung an
ihren alten Arbeitsplätzen - finanziert nicht durch den
Betrieb, sondern durch den Europäischen Sozialfonds.
Nach den Recherchen des sächsischen Wirtschaftministeriums
bekamen die "Umschüler" Unterhaltsgelder, die ihrem
früheren Nettolohn entsprachen. Außerdem seien allgemeine
PC-Schulungen als "Qualifizierungsmaßnahmen" abgerechnet
worden, die zum Teil länger als 24 Stunden am Tag gedauert
haben sollen.
Ans Licht gekommen war der Schwindel durch Stichproben, die
EU-Kontrolleure vorgenommen haben - ein Umstand, der das
sächsische Wirtschaftsministerium bereits zu wortreichen
Erläuterungen über das eigene aufklärerische Wirken
veranlasst hat. Allein, die Opposition mag das nicht so recht
glauben. Einen weiteren Deal auf der "nach oben offenen
sächsischen Skandalskala" glaubt der wirtschaftspolitische
Sprecher der SPD-Fraktion, Karl Nolle, zu erkennen. Nolle, der
sonst vehement die angebliche Regierungshörigkeit der
sächsischen Staatsanwaltschaften beklagt, zeigte sich
allerdings befriedigt darüber, dass die Ermittler diesmal der
drohenden Verjährung von Straftaten zuvorgekommen sind.
Während der Wirtschaftsminister mit vergleichsweise milden
Tadeln belegt wird, weil er noch nicht im Amt war, als der
Fördermittelmissbrauch geschah, schießt sich die
Opposition im Landtagswahljahr voll auf den Regierungschef ein. Der
Vorsitzende der PDS-Fraktion, Peter Porsch, beklagte das anhaltende
Schweigen von Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU).
Wochenlang habe sich Milbradt als moralische Instanz des Ostens
aufgespielt und den anderen ostdeutschen Bundesländern den
falschen Umgang mit Geldern für den Aufbau Ost vorgehalten und
jetzt drücke er sich vor einer Regierungserklärung zur
Förderpolitik in Sachsen. Vorsorglich drohte Porsch mit einem
neuen Untersuchungsausschuss in der kommenden
Legislaturperiode.
Wirtschaftsminister Gillo hatte zuvor von 80 weiteren
Verdachtsfällen gesprochen und indirekt eingeräumt, dass
die Kontrollmechanismen bei der Fördermittelvergabe vor seinem
Amtsantritt nicht ausreichend waren. In der Tat hatte er durch
heftiges Verschieben von Personal zu Beginn seiner Amtszeit
bestehende Strukturen zerstört; die in die Kritik geratene
Abteilung 5 des Wirtschaftsministeriums, die für die
Fördermittel zuständig war, wurde inzwischen
aufgelöst, ihre Aufgaben der Sächsischen Aufbaubank
übertragen. Mit der EU-Komission will sich Sachsens Regierung
über eine Umschichtung der genehmigten Fördermittel
verständigen: Weg von beschäftigungspolitischen
Maßnahmen für den so genannten "Zweiten Arbeitsmarkt" hin
zur Förderung von Investitionen über den
Europäischen Fonds für regionale Entwicklung.
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