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Jutta Witte
Allein und ohne Notruf
Rheinland-Pfalz: Tod einer Erzieherin wird
aufgearbeitet
Die Tragödie, die sich im vergangen November im
rheinland-pfälzischen Rodalben abspielte, machte bundesweit
Schlagzeilen. Drei Jugendliche - alle Insassen des dortigen
Jugendheims Mühlkopf - überfielen nach dem Ergebnis der
Ermittlungen nachts ihre Erzieherin, schnitten das Telefonkabel
durch, schlugen die Frau mit einer Pfanne nieder, stachen mit einem
Messer auf sie ein und entkamen. Die 26-jährige Pädagogin
wurde erst am nächsten Morgen - verblutet - gefunden. Der Fall
beschäftigt nun nicht nur das Landgericht in Zweibrücken,
sondern auch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss im
rheinland-pfälzischen Landtag.
Denn die Heimgruppe, zu der die drei mutmaßlichen
Täter gehörten, ist Bestandteil des Landesprojektes
"Heimunterbringung statt Untersuchungshaft". Das Projekt, das
jugendlichen Straftätern die Erfahrungen eines
Gefängnisaufenthalts ersparen soll, erlebte die Katastrophe
knapp zwei Monate nach seinem Start. "Die Frau hatte keine Chance",
glaubt der CDU-Abgeordnete Josef Rosenbauer. Die CDU wirft sowohl
dem Internationalen Bund (IB) als Träger der Einrichtung als
auch dem Justiz- und Sozialministerium Mängel im
pädagogischen und im Sicherheitskonzept vor. Der
Untersuchungsausschuss soll klären, ob fachliche Vorbereitung,
Aufnahmeverfahren, Sicherheitsvorkehrungen und
Qualitätsmangement unzureichend waren. Die Union will vor
allem herauszufinden, wer genau in der Landesregierung und den
nachgeordneten Behörden die Verantwortung dafür
trägt, dass es zu dem tödlich endenden Übergriff
kommen konnte.
Dass in Zusammenhang mit der neuen Projektgruppe, die im
vergangenen Oktober ihre Arbeit aufnahm, offenbar einiges schief
gelaufen ist, ergibt ein Bericht von Ende Januar, den das
Sozialministerium zur Aufklärung des Vorfalls in Auftrag
gegeben hatte. Hiernach hatte die getötete Erzieherin alleine
Nachtdienst und besaß keinen mobilen Notruf. Ein Messerblock,
aus dem die mutmaßlichen Täter ihre Tatwerkzeuge nahmen,
sei nicht genügend gesichert gewesen. Zudem monieren vor allem
die Fachleute vom Strafvollzug, dass die Jugendlichen nachts nicht
in ihren Zimmern eingeschlossen waren. Das Sicherheitskonzept trage
den "spezifischen Alltagsbedingungen in einer geschlossenen Gruppe
zur U-Haft-Vermeidung nicht in ausreichender Weise Rechnung".
Der Vorwurf wiegt besonders schwer, weil die Verantwortlichen
hier durchaus auf Erfahrungen einer Einrichtung zurückgreifen
konnten, die bereits seit 20 Jahren das Konzept "Heimunterbringung
statt Untersuchungshaft" erfolgreich praktiziert. In der
entsprechenden Gruppe im baden-württembergischen
Heinrich-Wetzlar-Haus steht neben einem Nachtdienst ein weiterer
pädagogischer Mitarbeiter als Nachtbereitschaft zur
Verfügung. Beide sind durch Funkgeräte miteinander
verbunden. Denn gerade die Nacht, erklärt Heimleiter Michael
Weiss, sei ein "sensibler" Zeitraum, in dem die Jugendlichen in
ihren Zimmern zum Nachdenken kämen und verstärkt mit
unkontrollierten Handlungen zu rechnen sei. "Es geht um die
menschliche Autorität", betont Weiss. Die aber konnten die
Erzieher im Rodalbener Jugendheim offenbar nicht vermitteln. Denn
der Bericht beschreibt nicht nur Mängel in Bezug auf das
Sicherheitssystem, sondern auch hinsichtlich der pädagogischen
Praxis. Im Bericht wird bezweifelt, dass Grenzen immer "klar und
deutlich" gezogen wurden. Auch gebe es eine "deutliche Diskrepanz"
zwischen der Leistungsbeschreibung der Einrichtung und der
tatsächlichen Qualifikation der Mitarbeiter. Die getötete
Erzieherin kam frisch von der Universität. Die Jugendlichen
versteckten ihren Schlüssel und rempelten sie beim Sport an.
Vorfälle, die in der Kürze der Zeit nicht "evaluiert"
wurden. Die drei haben nach Angaben des Berichts den Zeitpunkt des
Ausbruchs bewusst in die Zeit des Nachtdienstes der
26-jährigen Berufsanfängerin gelegt - in der Annahme, sie
sei leicht zu überwältigen.
Probleme gab es offenbar auch beim Aufnahmeverfahren eines der
drei Jugendlichen, den das Jugendheim nach einem ersten
Gespräch mit dem Jungen nicht aufnehmen wollte, unter anderem,
weil offensichtlich Fluchtgefahr bestand. Die Gründe der
Heimleitung wertete das hinzugezogene Justizministerium allerdings
als "nicht überzeugend". Obwohl der Bericht die untersuchten
Mängel nicht als ursächlich für den Tod der jungen
Frau bezeichnet, soll nun ein neues Konzept für ein
transparenteres Aufnahmeverfahren sorgen und die Beschäftigung
"erfahrener und einschlägig qualifizierter Mitarbeiter" sicher
stellen. Vor allem soll künftig der Nachtdienst doppelt
besetzt und die Mitarbeiter mit einem mobilen Notruf ausgestattet
werden.
Trotz der umfassenden Untersuchung fühlt sich die CDU nicht
vollständig und widerspruchsfrei informiert. "Warum sind die
jetzt erarbeiteten Maßnahmen nicht vor dem Start des Projektes
entstanden?", fragt Josef Rosenbauer - auch mit Blick auf das
Sicherheitskonzept im Heinrich-Wetzlar Haus. "Mängel im
Gesamtkonzept" räumt der SPD-Abgeordnete Jochen Hartloff ein.
Der mit der Zustimmung aller Fraktionen eingesetzte
Untersuchungsausschuss diene der CDU aber vor allem als politisches
Instrument, fürchtet der Jurist: "Er soll aufwärmen, was
sich zum Aufwärmen nicht eignet."
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