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Volker Koop
Immer mehr Tote und Ekelshows
Abschaltknopf gegen Geschmacksverirrungen auf
dem Bildschirm
"Quote" ist das Zauberwort im deutschen
Fernsehen, und um möglichst viel Zuschauer zu erreichen,
lassen sich die Sender - insbesondere die privaten - immer Neues
einfallen. Offensichtlich gehen die Fernsehgewaltigen davon aus,
dass möglichst viele Tote in Krimis besonders reizvoll sind.
Opfer müssen mediengerecht umgebracht werden, das heißt
möglichst qualvoll, beispielsweise in einem Backofen. Wer
Nervenkitzel anderer Art bevorzugt, kann sich bei Sexspielen im
Big-Brother-Container wahlweise entspannen oder Anregungen
verschaffen oder sich bei "Fear Factor" die Haare zu Berge stehen
lassen.
Zensur oder Vorzensur will niemand, aber doch
eine Selbstkontrolle, die sich am halbwegs guten Geschmack
orientiert und ethische Grundwerte nicht völlig außer
Acht lässt.
Für den SPD-Bundestagsabgeordneten
Jörg Tauss bleibt die Aufsicht und Kontrolle über Medien
in einer freien Gesellschaft mit einer freien Medienordnung immer
ein besonders sensibler Bereich. Das Grundgesetz verlange aus gutem
Grund eine staatsferne Organisation des Rundfunks wie der Aufsicht;
von daher blieben die Selbstkontrolle im Falle des
öffentlich-rechtlichen Rundfunks oder die Kontrolle der
privaten Anbieter durch die Landesmedienanstalten völlig
außer Frage. Natürlich müssten alle Rundfunkanbieter
Grundregeln einhalten und jugendschutzrechtliche Vorschriften
beachten. Doch jede Form einer Vorab-Prüfung des Programms
griffe substanziell in das Grundprinzip der Programmfreiheit ein
und geriete in gefährliche Nähe zur Zensur. Zumindest
sofern es sich nicht um rechtswidriges Verhalten handle, das
entsprechend zu sanktionieren sei, scheine eine nachträgliche
öffentliche Diskussion umstrittener Fälle mit einer
eventuell anschließenden internen Überprüfung der
Programmrichtlinien wesentlich angemessener zu sein. Eine gewisse
Skepsis, ob ein solches Prinzip tatsächlich funktioniert,
lässt der Medienbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion
durchklingen, wenn er weiter sagt: "Dies gilt um so mehr bei Fragen
des Niveaus, über das sich im deutschen Fernsehen vortrefflich
streiten lässt - Dschungelcamp lässt grüßen.
Aber auch die beste (Selbst-)Kontrolle bietet keine Garantie, dass
die Grenzen des guten Geschmacks oder noch erträglicher
Sinnarmut doch unterschritten werden - doch darüber sollte
allein das Publikum mit der Fernbedienung entscheiden."
Sendungen wie "Fear Factor" nimmt der medien-
und kulturpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion,
Hans-Joachim Otto, ins Visier, wenn er darauf verweist, dass es
viele Spielarten der Angst gebe: Prüfungsangst, Angst vor dem
Weltuntergang, Angst vor engen Räumen. Allerdings jage "Fear
Factor" keinem Angst ein, allenfalls den Kandidaten, die mit einer
Beharrlichkeit Dinge machten, die der Normalbürger vielleicht
in seiner Kindheit einmal aufregend gefunden habe, beispielsweise
an einem Schweineauge zu knuspern oder in einen Karton mit Spinnen
zu greifen. "Natürlich", so der FDP-Politiker, "musste da ein
Aufschrei des Entsetzens durch die politische und publizistische
Landschaft hallen. Die Betroffenheitsliga steht stramm und ein
wohliges Geächze geht durch die Feuilletons: Verrohung der
Sitten, die schlimmen Medien, die armen Kinder und die ganze
Leier." Er appelliert an die Fernseh-Verantwortlichen, die
Zuschauer nicht mit immer mehr solcher Sendungen zu langweilen;
Medien sollten sich nicht auf jede Albernheit stürzen und den
Untergang des Abendlandes beklagen. Hans-Joachim Otto weiter: "Das
gleiche gilt für die Gutmenschen in der Politik." Der
FDP-Bundestagsabgeordnete jedenfalls weigere sich, bei jeder
Gelegenheit, die sich durch eine neue Abart der Fernsehunterhaltung
biete, zu neuen Ufern der tiefen Betroffenheit aufzubrechen. Es
gebe immer noch ein probates Mittel gegen den schlechten Geschmack
und zu viel Gewalt im deutschen Fernsehen: Den Abschaltknopf zu
drücken, das helfe besser als jede
Gesetzesverschärfung.
Den Aspekt des Jugendschutzes hebt die
Grünen-Abgeordnete Grietje Bettin hervor und stellt fest, dass
im Zuge von "Dschungel-Camp" und "Fear Factor" die Frage nach Moral
und der Einhaltung ethischer Standards und dem Schutz der
Menschenwürde in Fernsehsendungen jetzt wieder diskutiert
wird. Menschenunwürdige Darstellungen und brutale Gewalt
gehörten selbstverständlich nicht ins Fernsehprogramm und
noch weniger vor Kinderaugen. Gremien wie die Landesmedienanstalten
und Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle hätten eben
darum die Aufgabe, Gewaltverherrlichung und menschenverachtende
Darstellungen aus dem alltäglichen Fernsehprogramm zu
verbannen und Sendungen vor ihrem Start entsprechend zu
prüfen. Da besonders Kinder und Jugendliche vor brutalen
Darstellungen geschützt werden müssten, sei vor einem
Jahr die Kommission für Jugendmedienschutz eingerichtet
worden, die eng mit den Selbstkontrolleinrichtungen von Rundfunk
und Telemedien zusammenarbeite. Derartige Verzahnungen nach dem
Konzept der "regulierten Selbstregulierung" seien der richtige Weg,
der Branche die Einhaltung von Standards aufzuerlegen, die
staatliche Kontrolle dabei aber nicht aus der Hand zu
geben.
Jugendschutz, aber keine Zensur
Für die Mehrheit dürfte Grietje
Bettin sprechen, wenn sie fordert: "Der Jugendschutz muss bei der
Bewertung solcher Sendungen selbstverständlich stets schwerer
wiegen als das allgemeine Zuschauerinteresse. Allerdings
müssen sich auch die öffentlich-rechtlichen Sender
stärker an ihren eigenen Qualitätsmaßstäben
messen lassen. Um spannende und qualitativ-hochwertige Krimis oder
Tatorte zu produzieren, muss nicht der allgemeine Trend zu Gewalt
und Brutalität mitgemacht werden. Doch bei aller Kritik am
Niveau verschiedenster Sendung, kann Grietje Bettin der Situation
auch Positives abgewinnen: "Durch das dadurch ausgelöste
Entsetzen kommt ein gesellschaftlicher Diskurs in gang, der die
Auseinandersetzung mit medienethischen Standards fördert und
eine öffentliche Moral herzustellen hilft. Nicht zuletzt sieht
sich die Branche gezwungen, aktiv zu werden und eigene Programme zu
überprüfen - was immer der erste Schritt sein
muss."
Auf das Argument, es gebe schließlich
einen Ausschaltknopf, geht der saarländische CDU-Abgeordnete
Albrecht Feibel ein und erinnert daran, dass gerade viele Kinder
und Jugendliche allein vor dem Fernseher säßen und sich
ihr persönliches "Weltbild" anhand von "Fear Factor" oder
besonders grausamen Krimis zurechtlegten und gar nicht daran
dächten, auf "harmlosere" Programme umzuschalten. Wenn man das
Werbeumfeld solcher Sendungen betrachte, seien sie ja
schließlich auch die Zielgruppe. Niemand dürfe sich
wundern, dass Teile der heranwachsenden Generation brutale Gewalt
als etwas völlig Normales betrachteten, wenn detail-verliebte
Regisseure den Fernsehschirm dazu missbrauchen könnten,
möglichst qualvolles Sterben zu inszenieren. Niemand wolle
Zensur, auch nicht in Form der "Schere im Kopf". Wenn private
Anbieter die Grenzen des guten Geschmacks häufig weit hinter
sich ließen, sei das schlimm genug: "Wenn aber die
gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Sender auf
den Zug aufspringen und ihre selbst formulierten hohen ethischen
Maßstäbe ad absurdum führen, werden sie ihrem
Auftrag, zu dem auch Bildung und Erziehung gehören, nicht mehr
gerecht."
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