K. Rüdiger Durth
"...und das Kanzleramt wird in Flammen
stehen"
Verfassungsschutzbericht vorgelegt - Die
Islamisten nicht unterschätzen / Von K. Rüdiger
Durth
"Deutschland ist auch weiterhin ein
Aufklärungsziel für die Nachrichtendienste einer Reihe
fremder Staaten." Eigentlich kein aufregender Satz aus dem
Verfassungsschutzbericht 2003 der Bundesregierung, den dieser Tage
Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) der Öffentlichkeit
übergeben hat. Doch der Nachsatz beinhaltet einige
Brisanz.
Denn es sind vor allem die Nachrichtendienste
der befreundeten Russischen Föderation, die zwischen Rhein und
Oder ihre Agenten einsetzen: "Der Anteil der
Nachrichtendienstangehörigen am Gesamtpersonal der russischen
Auslandsvertretungen in Deutschland lag auch im Jahr 2003 auf
unverändert hohem Niveau, zeigte sogar eine geringfügig
ansteigende Tendenz. Im europäischen Vergleich sind die
russischen Aufklärungsdienste damit im Legalresidenturbereich
in Deutschland deutlich überrepräsentiert. Ihren
größten Geheimdienststützpunkt auf deutschem Boden
unterhalten die russischen Dienste in der Botschaft der Russischen
Föderation in Berlin. Die dortige Personalkonzentration macht
deutlich, dass SWR (ziviler Auslandsnachrichtendienst) und GRU
(militärischer Auslandsnachrichtendienst) ein besonderes
Augenmerk auf die Aufklärung der deutschen und
ausländischen Institutionen in der Bundeshauptstadt gerichtet
haben."
Das sind zugleich deutliche Hinweise an die
Russen, dass die Bundesregierung die unerlaubte
Nachrichtenbeschaffung genau beobachtet. Und diese beschränkt
sich nicht nur auf politische und militärische Vorgänge,
sondern auch auf wirtschaftliche Bereiche. Angewandt werden die
unterschiedlichsten Methoden - von der "Abschöpfung" von
Kontaktpersonen bis zur Verwendung "toter Briefkästen", von
der Teilnahme an Seminaren bis zur Auswertung des Internet, von
Einladungen in Restaurants bis hin zur Gewährung materieller
Vorteile.
Offen verweist der Verfassungsschutzbericht
2003 auf die Diskrepanz zwischen der positiven Entwick-lung des
politischen Verhältnisses zwischen beiden Ländern und der
unverändert großen Spionagetätigkeit der russischen
Dienste, die auch erhebliche wirtschaftliche Schäden zur Folge
hat. Auch die russischen Medienagenturen bieten laut
Verfassungsschutzbericht den Geheimdiensten "eine große Anzahl
von Stellen für den verdeckten Einsatz von
Nachrichtendienstangehörigen".
Was der Spionage der Russischen
Föderation recht ist, ist den anderen GUS-Staaten
offensichtlich billig. Sie bedienen sich häufig der
deutschstämmigen Aussiedler, die zunehmend wieder ihre alte
Heimat besuchen. Auch die ausländischen Hilfsorganisationen in
den GUS-Staaten sind ein "Ausspähziel" der dortigen
Nachrichtendienste. Namentlich wird die Gesellschaft für
technische Zusammenarbeit (GTZ) genannt.
Sehr aktiv sind in Deutschland auch die
chinesischen Nachrichtendienste. Ihr vorrangiges Ziel ist es, den
technologischen Abstand zu den führenden Industriestaaten zu
verringern. Sowohl Diplomaten als auch Journalisten werden zur
Nachrichtenbeschaffung herangezogen. Sehr aktiv ist in dieser
Hinsicht auch die nordkoreanische Botschaft in Berlin. Zahlreiche
Nachrichtendienste aus dem Nahen Osten und Nordafrikas haben
vorrangig die Aufgabe, in Deutschland lebende Oppositionelle zu
unterwandern.
Im Verfassungsschutzbericht: PDS
Traditionell wird der jährliche
Verfassungsschutzbericht mit einer Übersicht über rechts-
und linksextremistische Bestrebungen eingeleitet. Aber auch die
PDS, die in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern Regierungspartei und
darüber hinaus in den Landtagen von Sachsen-Anhalt, Sachsen
und Thüringen vertreten ist und im Bundestag über zwei
Direktmandate verfügt, steht weiterhin unter Beobachtung des
Verfassungsschutzes. Dabei wird darauf hingewiesen, dass die PDS
nach wie vor den Sozialismus als ein notwendiges Ziel anstrebt. Ein
besonderes Augenmerk lenkt der Verfassungsschutzbericht 2003 auf
die "Kommunistische Plattform" der PDS mit rund 1.500 Mitgliedern
sowie einiger anderer partei-interner Gruppen, die als linksextrem
eingestuft werden.
Kommunistische Parteien und Gruppen (von den
trotzkistischen Gruppen über den Linksruck bis hin zur
Sozialistischen Alternative, von der Marxistisch-Leninistischen
Partei Deutschlands bis zur Kommunistischen Partei Deutschlands)
spielen im politischen Leben der Bundesrepublik Deutschland keine
Rolle. Zusammengenommen verfügen sie über einige Tausend
Mitglieder. Allerdings neigen zahlreiche Mitglieder zu
extremistischen Handlungen. Freilich tun sich auf diesem Feld vor
allem die "Autonomen" (schätzungsweise 5000 Anhänger)
hervor.
Die Autonomen zielen wie alle
linksextremistische Organisationen letztlich auf eine
Überwindung des "herrschenden Systems". Sie halten die
Anwendung von Gewalt für legitim, weil nur mit ihr die
strukturelle Gewalt der herrschenden Klasse überwunden werden
kann. Zu den Aktionsformen der Autonomen gehören Brand- und
Sprengstoffanschläge, gewalttätige Demonstrationen mit
Steinen und anderen Wurfgeschossen. Außerdem haben sich
innerhalb der militanten autonomen Szene Strukturen verfestigt, die
bei ihren Anschlägen die Grenze zu terroristischern
Gewalttaten überschreiten.
In Zahlen ergibt für den organisierten
Linksextremismus im vergangenen Jahr folgendes Bild: 31.300
Personen gelten als linksextrem, davon 5.400 als gewaltbereit.
Gegenüber 2002 haben sich diese Zahlen nicht wesentlich
verändert. Von den 3.614 linksextremistischen Straftaten
entfallen 803 auf linke Gewalttaten (darunter ein versuchtes
Tötungsdelikt, 192 Körperverletzungen, 36
Brandstiftungen, 29 gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-,
Schiffs- und Straßenverkehr).
Rechtsextremismus
"Das rechtsextremistische Weltbild wird von
nationalistischen und rassistischen Anschauungen geprägt." So
leitet der neue Verfassungsschutzbericht das Kapitel über
rechtsextremistische Bestrebungen ein und ergänzt:
"Rechtsextremisten treten in aller Regel für ein
autoritäres politisches System ein, in dem Staat und Volk -
nach ihrer Vorstellung ein ethnisch geschlossenes Volk - als
angeblich natürliche Ordnung in einer Einheit
verschmelzen."
Unter den gewaltbereiten Rechtsextremisten
spielen die Skinheads eine besondere Rolle. Ihr Weltbild wird als
"diffus" beschrieben. Sie treten mit spontanen Gewalttaten und
aggressiver, volksverhetzender Musik in Erscheinung. Der
Verfassungsschutzbericht: "Die Skinhead-Musik ist nach wie vor
für viele Jugendliche attraktiv. So erhalten diese
Jugendlichen Kontakt zur rechtsextremistischen Szene.
Skinhead-Musik hat damit eine bedeutende Funktion bei der
Entstehung und Verfestigung von Gruppen rechtsextremistischer
gewaltbereiter Jugendlicher."
Insgesamt zeigte sich die
rechtsextremistische Szene aus der Sicht des Verfassungsschutzes
für terroristische Strategien "wenig empfänglich".
Innerhalb der rechtsextremistischen Szene war keine intensiv
geführte Gewaltdiskussion festzustellen: "Ein Klima, das die
Entstehung terroristischer Strukturen begünstigen würde,
bestand nicht." Der Waffenbesitz wird als "abstrakte Gefahr"
bezeichnet. Viele Rechtsextremisten verfügen über eine
"hohe Affinität zu Waffen und Sprengstoffen". Immer wieder
werden bei Hausdurchsuchungen Waffen und Sprengstoffe
sichergestellt.
Gefährlicher wird vom Verfassungsschutz
wie bereits erwähnt die rechtsextremistische Skinhead-Musik
eingeschätzt. Entsprechende Konzerte bilden zugleich die
Möglichkeit zum Treffen der Szene. Insgesamt wurden 2003 in
Deutschland 119 solcher Konzerte registriert. 2002 waren es 112.
Allerdings kamen nur zu zwei Konzerten mehr als 500 Besucher. Die
durchschnittliche Teilnehmerzahl lag also bei 160. 22
Veranstaltungen dieser Art konnten verhindert werden, weitere 17
wurden von der Polizei aufgelöst.
Wie volksherhetzend und damit strafbar solche
Musik-Texte sind, zeigt beispielsweise das Lied "Volk steh auf":
"Jeder Neger ist dann zu Haus in Afrika oder hängt an einem
Baum, und Europa ist dann wieder weiß, denn für Affen ist
hier kein Raum...Wir brennen alle Judaskirchen ab, denn wir
brauchen hier kein Christentum...Schwarz-rot-gold wird abgeschafft
und das Hakenkreuz wird wieder wehen ... Die Bundesregierung
stürzen wir und das Kanzleramt wird in Flammen
stehen."
An zwölf Konzerten nahmen auch
rechtsextremistische Musikgruppen aus dem Ausland (vor allem
Großbritannien und Österreich) teil. Aber auch deutsche
Bands wurden ins Ausland eingeladen. Ausgemacht hat der
Verfassungsschutz ferner 18 rechtsextremistische Liedermacher, die
bei unterschiedlichen Veranstaltungen auftraten. Vertrieben wird
die Musik, die im Handel verboten ist, über etwa 50
Versandhäuser und zahlreiche Szeneläden.
Weniger Mitglieder
Und wie sehen die Zahlen aus? Ende 2003 gab
es in Deutschland 169 (2002: 146) rechtsextremistische
Organisationen und Personenzusammenschlüsse (Kameradschaften).
Die Zahl ihrer Mitglieder sowie der nichtorganisierten
Rechtsextremisten ist von 45.000 im Jahr 2002 auf 41.500 im
vergangenen Jahr zurückgegangen. Dazu kommen weitere 10.000
gewaltbereite Rechte, unter anderem solche, die Gewaltanwendung
befürworten. Im Jahr 2003 wurden 10.795 rechte politische
Straftaten registriert. Dazu kommen noch 1.473 politisch motivierte
Straftaten gegen Ausländer, die nicht eindeutig einem
politischen Lager zuzuordnen sind. Die Statistik weist in der
Rubrik rechter politisch motivierter Kriminalität vor allem
7.554 Propagandadelikte auf. Dazu kommen sieben versuchte
Tötungsdelikte, 637 Körperverletzungen, 24
Brandstiftungen, zwölfmal Raub, 45 Widerstandsdelikte, 225
Sachbeschädigungen. Die meisten Gewaltdelikte richteten sich
gegen Fremde.
Übrigens ereigneten sich 2003 in
absoluten Zahlen die meisten Gewalttaten mit rechtsextremistischem
Hintergrund in Nordrhein-Westfalen (95 Delikte). Bezieht man diese
allerdings auf je 100.000 Einwohner, belegt das
bevölkerungsreichste Bundesland einen Platz im Mittelfeld der
Statistik. Bezogen auf die Einwohnerzahl liegt Brandenburg bei
rechtsextremistischen Gewalttaten mit 87 an der Spitze: "Nach wie
vor ist ein deutlicher Schwerpunkt in den östlichen
Ländern festzustellen. Im Durchschnitt wurden dort mit 2,08
Gewalttaten je 100.000 Einwohner mehr als dreimal so viele
Gewalttaten registriert wie in den westlichen
Bundesländern."
Neben rechtsextremistischen Skinheads,
Kameradschaften und andere Gruppen (die zum Teil verboten sind)
spielen selbstverständlich auch die Neonazis eine wichtige
Rolle, deren Zahl von 2.600 im Jahr 2002 auf 3.000 im vergangenen
Jahr gestiegen ist. Die Zahl der Gruppen stieg auf 95 (in denen die
160 Kameradschaften enthalten sind). Die Mitgliederzahl der
rechtsextremistischen Parteien sank im vergangenen Jahr um knapp
4.000 auf 24.500 (darin sind die Mitglieder der Republikaner
enthalten, von denen der Verfassungsbericht feststellt, dass nicht
jedes einzelne Mitglied rechtsextremistisch sei). Vor allem die
Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) und die Deutsche
Volksunion (DVU) verloren viele Mitglieder.
Nach Überzeugung der
Verfassungsschutzbehörden hält die NPD - das von
Bundestag und Bundesrat sowie Bundesregierung angestrengte
Verbotsverfahren wurde vom Bundesverfassungsgericht eingestellt -
unverändert an ihrer "offenen, aggressiv-kämpferischen
Feindschaft gegenüber der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung" fest. Ihre Mitgliederzahl beträgt nur noch rund
5.000. Von den Republikanern (rund 8.000 Mitglieder) heißt es,
dass sie weiterhin "tatsächliche Anhaltspunkte für
rechtsextremistische Bestrebungen" aufweisen. Mit 11.500
Mitgliedern ist die Deutsche Volksunion weiterhin die
größte Organisation im rechtsextremistischen
Parteienspektrum. Ihre Schwerpunkte: Fremdenfeindlichkeit,
Antisemitismus und Antiamerikanismus.
Insgesamt blieb das Niveau der
rechtsextremistischen Straf- und Gewalttaten aus der Sicht der
Verfassungsschutzbehörden auch 2003 - trotz eines gewissen
Rückgangs - "weiterhin hoch". Also bleiben dem Rechts- und
Linksextremismus die ungeteilte Aufmerksamkeit des
Verfassungsschutzes erhalten. Weiterhin wird auch die
Scientology-Organisation (SO) beobachtet, deren Mitgliederzahl mit
rund 3.000 angegeben wird. Nach wie vor richte sich die Lehre
dieser Organisation, die sich gern als "Kirche" bezeichnet, gegen
die freiheitliche Grundordnung der Bundesrepublik
Deutschland.
Islamismus hat Fuß gefasst
Wenn von links- oder rechtsextremistischen
Straftaten die Rede ist, darf man die Gewaltbereitschaft
beispielsweise linksextemistischer Türken nicht außer
Acht lassen. Gemeinsames Ziel der unterschiedlichsten Gruppen ist
die Überwindung der bestehenden Gesellschaftsordnung in der
Türkei. Dazu gehören unter anderem die Revolutionäre
Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) mit 700 Mitgliedern, die
Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten mit 850
Anhängern, die Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei
(MLKP) mit 600 Mitgliedern.
Von den rund 500.000 in Deutschland lebenden
Kurden werden vom Verfassungsschutz rund 12.000 extremistischen
Organisationen zugerechnet. Unter ihnen verfügte der
Freiheits- und Demokratiekongress Kurdistans (KADEK), der im
Frühjahr 2002 aus der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans
(PKK) hervorgegangen ist, nach wie vor über die
größten Mobilisierungsfähigkeiten. Ende vergangenen
Jahres löste sich KADEK auf. Kurze zeit später wurde der
Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL) gegründet.
Im Jahr 2003 wurden von extremistischen
Ausländergruppierungen 70 regelmäßig erscheinende
Zeitschriften herausgegeben, von denen 47 linksextremistische, 21
islamistische und drei nationalistische Positionen vertraten. 24
dieser Titel wurden von türkischen Linksextremisten
herausgegeben. Das Internet spielt für die Extremisten - ob
deutsche oder ausländische - eine zentrale Rolle. Es wird
nicht nur für die Propaganda, sondern vor allem auch für
die Organisation genutzt.
Der Islamismus hat längst in Deutschland
Fuß gefasst, wo Ende 2003 rund 7,3 Millionen Ausländer,
darunter mehr als drei Millionen Muslime (meist türkischer
Herkunft) lebten. Die meisten von ihnen leben nach dem
Verfassungsschutzbericht ihren Glauben im Rahmen der freiheitlichen
Gesellschaftsordnung. Lediglich rund ein Prozent habe sich einer
oder mehrerer der 24 islamistischen Organisationen angeschlossen.
Diese konnten auf knapp 31.000 Mitglieder bauen. Allerdings ist der
Wirkungskreis dieser Orga- nisationen wesentlich größer.
Über die von ihnen betriebenen Moscheen und Islamischen
Zentren erreichen sie nicht nur ihre Mitglieder, sondern auch
mehrere Tausend Muslime, die diese Einrichtungen
regelmäßig besuchen.
Terrorismus: Keine Entwarnung
Im Blick auf die Ereignisse vom 11. September
2001 in New York und Washington sowie vom 11. März 2004 in
Madrid gilt auch in Deutschland ein besonderes Augenmerk
möglichen islamistischen Terroristen. Dazu stellt der
Verfassungsschutzbericht 2003 nüchtern fest: "Auch in bezug
auf Deutschland kann trotz hohen Fahndungsdrucks und Erfolgen der
Sicherheitsbehörden keine Entwarnung gegeben werden. Die
zahlreichen Festnahmen mutmaßlicher islamistischer
Gewalttäter in Westeuropa, auch in Deutschland, verdeutlichen
vielmehr den Grad der Präsenz und der Vernetzung von
Strukturen arabischer Mujahedin in Europa. Bei den Ermittlungen
aufgefundene Dokumente und Materialien deuteten immer wieder auf
Anschlagplanungen und Vorbereitungen hin. Auch in Deutschland ist
weiterhin von einem - zahlenmäßig nicht konkret zu
beziffernden - Potenzial arabischer Mujahedin mit internationalen
Verbindungen auszugehen."
Deutschland kommt nicht nur als
Vorbereitungsraum für Anschläge in anderen Ländern
in betracht, sondern auch Einrichtungen in der Bundesrepublik
selbst können nach Meinung der deutschen
Sicherheitsbehörden Ziel von Anschlägen werden. Denn in
den Augen von Islamisten gehört Deutschland wegen seines
Engagements in Afghanistan zu den sogenannten Kreuzzüglern, zu
den Helfern Israels und der USA: "Die hohe Gefährdung für
US-amerikanische, israelische und jüdische sowie britische
Einrichtungen in Deutschland besteht fort. Einrichtungen anderer
westlicher Alliierter der USA sowie prowestlich ausgerichteter
muslimischer Staaten müssen ebenfalls als gefährdet
angesehen werden."
Viele Jahre warf der Verfassungsschutz zwar
ein Auge auf islamistische Organisationen wie Milli
Görüs, mit knapp 30.000 Mitgliedern die größte
extremistische, oder den Kalifstaat (über 1.000
Anhänger), drückte aber in der Regel beide Augen zu. Denn
die Sicherheit der Bundesrepublik war nicht unmittelbar betroffen.
Auch andere arabische oder palästinensische Organisationen
konnten von Deutschland aus operieren. Etwa gegen Israel.
Inzwischen hat sich viel geändert. Es wurde auch höchste
Zeit. Neben dem Kalifstaat sind weitere islamistische
Organisationen verboten worden, werden mögliche islamistische
Gewalttäter streng beobachtet und im Verdachtsfall von
Gewalttaten oder der Mitwisserschaft von Terroranschlägen
verhaftet. Das alles ist auch mit "erhöhtem Fahndungsdruck"
gemeint.
Freilich sind der Regierung oft auch die
Hände gebunden. Etwa bei der Ausweisung von Metin Kaplan, dem
"Kalifen von Köln", der wegen Mordaufrufs an seinem Berliner
Konkurrenten zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt
worden war. Ein Gericht setzte die Ausweisung außer Kraft,
weil auf Kaplan in der Türkei ein Hochverratsprozess wartet.
Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Ausweisung bald mit
richterlicher Erlaubnis der nächst höheren Instanz
vollzogen werden kann.
Heute weiß man, dass auch in zahlreichen
Moscheen und Koranschulen von Mili Görüs gegen die
Integration der Türken in die deutsche Gesellschaft Stellung
bezogen wird. Zunehmend versuchen islamistische Gruppen, die sich
gern auf die vom Grundgesetzt gewährte Religionsfreiheit
berufen, Parallelgesellschaften aufzubauen. Auch wollen sie in
Deutschland Freiräume schaffen, die eine Anwendung der Scharia
langfristig ermöglicht.
Der Verfassungsschutzbericht 2003: "Auch 2003
setzte die IGMG (also Milli Görüs) ihre faktisch
desintegrative islamische Bildungsarbeit fort, die sich
schwerpunktmäßig an türkische Kinder und Jugendliche
richtet. Mit ihrem Gesellschaftsmodell, das letztlich auf eine
einheitlich religiös formierte Gesellschaft hinausläuft,
fördert sie die Entstehung und Ausbreitung islamischer Milieus
in Deutschland. Gleichzeitig versucht sie sich als auf dem Boden
der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehende
Organisation darzustellen, die sich um Integration
bemühe."
Die Zahl der Anhänger islamistischer
Organisationen aus dem arabischen Raum stieg gegenüber 2002 im
vergangenen Jahr leicht auf insgesamt 3.300 an. Der ägyptische
und der syrische Zweig der Muslimbruderschaft (MB) verfügten
zusammen über 1.300 Mitglieder. Die Anhängerschaft der
libanesischen Hizb Allah (Partei Gottes) umfasste weiterhin rund
800 Personen. Nicht bezifferbar ist die Mitgliederzahl der
Netzwerke Arabischer Mujahedin.
Hinter dem Netzwerk Arabischer Mujahedin
verbirgt sich die Organisation Al Qaida (zu Deutsch: Die Basis) mit
Usama Bin Laden an der Spitze. Propagiert wird die Verteidigung der
muslimischen Welt gegen Ungläubige, die mit einer militanten
Ablehnung der westlichen Gesellschaft verbunden ist. Zahlreiche in
Deutschland lebende Mitglieder dieser Netzwerke wurden im
Zusammenhang mit verschiedenen Terroranschlägen (darunter auch
denen des 11. September) verhaftet.
Die Zahl der Anhänger anderer
islamistischer Gruppen in Deutschland reicht von einigen wenigen
(Jihad Islami) bis zu einigen Hundert (Islamische Heilsfront). Auf
rund 300 Mitglieder kann sich die radikale Islamistische
Widerstandsbewegung (HAMAS) in Deutschland stützen, die
für viele Anschläge in Israel verantwortlich ist. Die
pan-islamische Bewegung Partei der Befreiung (HuT) mit 200
Anhängern will unter Ablehnung nationalstaatlicher Strukturen
die Einigung der islamischen Gemeinschaft (Umma) in einem
weltweiten islamischen Staat unter der Führung eines Kalifen
verwirklichen. Die HuT unterliegt in Deutschland einem
Betätigungsverbot durch den Bundesinnenminister.
Der Verfassungsschutzbericht 2003 zeigt, dass
die demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland nach
wie vor von zahlreichen Seiten bedroht wird - von Rechts- und
Linksextremisten ebenso wie von Islamisten und dass Deutschland
nach wie vor ein Tummelplatz für ausländische
Nachrichtendienste mit den unterschiedlichsten, allesamt aber mit
dem Grundgesetz nicht vereinbaren Tätigkeiten ist. Deshalb ist
Verfassungsschutz auch weiterhin eine notwendige Aufgabe des Bundes
und der Länder.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz
zählte im vergangenen Jahr rund 2.400 Bedienstete und erhielt
einen Zuschuss aus dem Bundeshaushalt von knapp 145 Millionen Euro.
Im Nachrichtendienstlichen Informationssystem (NADIS) von Bund und
Ländern waren immerhin rund 985.300 personenbezogene
Eintragungen enthalten.
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