Martin Ebbing
Ministerpräsident Alawi will keine
Marionette der Amerikaner sein
Irakische Souveränität im Schatten der
USA
Die ganze Angelegenheit dauert nicht länger als 30 Minuten.
Innerhalb der heftig gesicherten ehemaligen Palastanlagen Saddam
Husseins im Zentrum Bagdads, wo sich die Zivilverwaltung der
amerikanischen Besatzung einquartiert hatte, verabschiedete sich
US-Statthalter Paul Bremer von gut drei Dutzend geladenen
Gästen. Er überreichte ein in Leder gebundenes Dokument,
in dem Präsident George Bush die Zivilverwaltung für
aufgelöst erklärte.
Die Übergabe der Macht an eine neue irakische Regierung war
aus Sicherheitsgründen um zwei Tage vorverlegt worden. Man
wollte Aufständischen und Terroristen nicht zu einem
angekündigten Zeitpunkt ein attraktives Ziel auf dem
Präsentierteller bieten. Das war schon symbolhaft genug
für die gegenwärtige Situation im Irak.
Von den ehemals hochgesteckten Zielen wie Freiheit, Demokratie
und wirtschaftliche Prosperität, die das Weiße Haus vor
Beginn des Krieges formuliert hatte, war nichts zu hören.
Wenige der Versprechen, die den Irakern gemacht wurden, sind
tatsächlich erfüllt worden. Etwas trotzig hielt Bremer in
seinen Abschiedsbemerkungen daran fest, dass der Irak heute besser
dastehe als bei seiner Ankunft vor 14 Monaten. "Jeder, der daran
irgendwelche Zweifel hat, sollte sich einmal die Massengräber
in Hilla anschauen", forderte er die Kritiker heraus.
Die überwiegende Mehrheit der Iraker, die von der
Machtübergabe erst später aus dem Fernsehen erfuhren,
teilt mit ihm die Zufriedenheit, dass Saddam Hussein gestürzt
wurde, der die Opfer seines brutalen Regimes in Hilla und in
Massengräbern an anderen Stellen des Landes verscharren
ließ. Zufrieden ist die Mehrheit aber nicht damit, dass die
neu gewonnene Freiheit begleitet wird von Chaos und Unsicherheit.
Hohe Kriminalität paart sich mit hoher Arbeitslosigkeit. Es
fehlt an essentiellen Diensten wie ausreichendem Strom und einem
funktionierenden Abwassersystem, und zu den wirtschaftlichen
Schwierigkeiten gesellt sich das Gefühl der Erniedrigung durch
die oft ignorant auftretenden US-Soldaten.
Empfänger der Mappe war Ijad Alawi, der neue
Premierminister des Irak, der nun die Geschicke seines Landes in
eigener Regie leiten soll. Mit dem Händedruck zwischen ihm und
Bremer sollte die wiedergewonnene Souveränität des Iraks
besiegelt werden.
Formell kann Alawi Minister ernennen und entlassen, die die
Regierungsgeschäfte in eigener Verantwortung führen. Die
neue Regierung kann einen eigenen Haushalt verabschieden und sie
kontrolliert die Öleinnahmen. Sie kann auch eigene Beziehungen
zu anderen Staaten aufnehmen und besitzt eine eigene Stimme in
internationalen Organisationen, aber dennoch sind der
Souveränität enge Grenzen gesteckt.
Es befinden sich mehr als 160.000 ausländische Soldaten auf
irakischem Boden, die nicht der Kontrolle Bagdads, sondern dem
Befehl des Pentagon unterstehen. Nicht nur diese Truppen, sondern
auch zivile US-Mitarbeiter, die in offizieller Mission unterwegs
sind, bleiben für die irakische Justiz tabu. Wenn ein GI bei
der Suche nach Terroristen einen Iraker misshandelt, dann wird er
von der irakischen Polizei nicht verhaftet werden können.
Es existiert zwar eine vage formulierte Übereinkunft, dass
sich die US-Truppen bei ihren Operationen mit der neuen irakischen
Regierung abstimmen müssen, aber wie weit das
Mitbestimmungsrecht der Iraker geht, ist nicht festgelegt. Von der
Aussage Außenminister Powells, die US-Truppen würden
sofort abziehen, wenn die irakische Regierung dies wünsche,
ist nicht mehr die Rede.
Noch bis zum Abend vor seinem Abflug hat Zivilverwalter Bremer
eine Reihe von Verordnungen erlassen, die "für das irakische
Volk bindend" sein sollen. Dazu zählen die Gründung von
Kommissionen zur Regulierung des Finanzmarktes sowie der
elektronischen Medien, die Ernennung von Finanzinspekteuren in den
verschiedenen Ministerien, die Regel, dass die Steuerrate nicht 15
Prozent übersteigen dürfe, sowie der Schutz des
internationalen Copyrights. Einige seiner Verfügungen wie die
Ernennung eines nationalen Sicherheitsberaters und des
Geheimdienstchefs für fünf Jahre gehen sogar über
die Amtszeit der jetzt amtierenden Regierung hinaus, die
spätestens zu Beginn nächsten Jahres durch eine frei
gewählte Regierung ersetzt werden soll.
Am weitreichendsten ist das Wahlgesetz, das Bremer hinterlassen
hat. Es verbietet beispielsweise Parteien jede Verbindung mit
Milizen. Die Wahlkommission hat darauf zu achten, dass kein
Kandidat in seinen Reden Sympathien für Terrorismus erkennen
lässt. Jeder dritte Platz auf den Parteienlisten für die
Parlamentswahlen muss mit einer Frau besetzt werden. Die
Einzelheiten dieses Gesetzes sind im Irak noch weitgehend
unbekannt, und es gilt als sicher, dass sie heftige Kontroversen
auslösen werden.
Diese Erlasse können theoretisch von der neuen Regierung
wieder aufgehoben werden, wie dies bereits mit der
Wiedereinführung der Todesstrafe, die Bremer suspendiert
hatte, geschieht. Aber der Prozess ist nicht einfach. Notwendig
sind hierzu nicht nur die Mehrheit des Kabinetts, sondern auch die
Zustimmung des Interimspräsidenten sowie seiner zwei
Stellvertreter.
Insgesamt 123 "Berater" werden in den verschiedenen irakischen
Ministerien tätig sein. Wie weit ihr Einfluss geht, ist noch
offen, aber auf jeden Fall haben sie die Überzeugungskraft des
Geldes. Nur ein geringer Teil der 16,4 Milliarden US-Dollar, die
der amerikanische Kongress für den Wiederaufbau zur
Verfügung gestellt hat, sind bislang tatsächlich für
Projekte ausgegeben worden. Dies ist Geld, auf das die irakische
Regierung dringend angewiesen ist, soll sich die Situation im Land
rasch verbessern. Über die Verwendung der Mittel werden aber
die Amerikaner entscheiden.
Die Fäden zieht dabei der neue US-Botschafter John D.
Negroponte, der noch am Abend nach der Auflösung der
Zivilverwaltung in Bagdad eingetroffen ist. Er ist Herr über
die mit mehr als 900 Mitarbeitern größte US-Botschaft der
Welt, die - bis Ersatz gefunden ist - weiterhin in jenen
Räumen arbeitet, in denen schon Bremers Team untergebracht
war.
Noch vor seinem Abflug aus den USA hatte Negroponte
angekündigt, dass er die Arbeit im Stillen bevorzugen werde.
Von ihm seien keine täglichen Pressekonferenzen zu erwarten.
Wenn etwas zu sagen sei, dann sei dies Aufgabe der Iraker.
Ministerpräsident Alawi wird dies nur recht sein, denn sein
politischer Erfolg wird wesentlich davon abhängen, ob er den
Eindruck vermeiden kann, nichts anderes als eine Marionette der
Amerikaner zu sein. Meinungsumfragen zeigen, dass eine Mehrheit der
Iraker bereit ist, ihm eine Chance zu geben. Die selben
Meinungsumfragen zeigen aber auch, dass die überwiegende
Mehrheit jeden Einfluss der Amerikaner entschieden ablehnt. So ist
abzusehen, dass er nach außen hin mit der Kritik an den
Amerikanern nicht sparen wird, während er im Stillen gezwungen
ist, mit ihnen eng zu kooperieren.
Alawis erste Herausforderung besteht darin, ein Mindestmaß
an Sicherheit und Ordnung herzustellen. Dazu zählen nicht nur
der Kampf gegen Terroristen und bewaffnete Aufständische,
sondern vor allem auch eine Eindämmung der Kriminalität.
Die Besatzer haben ihm hierfür eine Polizei hinterlassen, mit
der bislang wenig Staat zu machen ist.
Nominell stehen zwar 120.000 neu rekrutierte Polizisten auf der
Gehaltsliste, davon erscheinen aber nicht einmal 90.000
täglich zum Dienst. Die Hälfte hat keine Grundausbildung
absolviert, und viele der Polizisten, die noch aus Saddam Husseins
Zeiten übernommen wurden, bedienen sich auch weiterhin
damaliger Praktiken wie willkürlicher Festnahme und Gewalt
gegenüber Beschuldigten. Zudem fehlt es weiter an elementarer
Ausrüstung wie beispielsweise Funkgeräten.
Ohne die tätige Hilfe der Amerikaner wird die neue
Regierung jedoch kaum in der Lage sein, ihre Sicherheitskräfte
soweit in Verfassung zu bringen, dass sie tatsächlich etwas
gegen die vielfältigen Bedrohungenausrichten kann. De facto
kann Alawi nicht einmal seine eigene persönliche Sicherheit
und die der Mitglieder seiner Regierung garantieren. Ohne den
Schutz der Amerikaner wäre er bald ein toter Mann.
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