Robert Luchs
Brasiliens Ärmste wehren sich
Das Schicksal in die Hand nehmen
Täglich müssen Frauen in den Elendsquartieren in den
wirtschaftlich unterentwickelten Ländern neue Wege finden, um
ihre Familien zu ernähren. Das fällt ihnen leichter, wenn
sie sich zusammenschließen und ihre Projekte gemeinsam
betreiben. Zeigen sich erste Erfolge, dann wird das
Selbstbewusstsein dieser Frauen gestärkt und sie wagen sich
mit ihren Geschlechtsgenossinnen an neue Vorhaben. Ein solches
beispielhaftes Projekt ist Conjunto Palmeira, benannt nach einem
Stadtteil von Fortaleza, der Hauptstadt des brasilianischen
Bundesstaates Ceara.
Die Geschichte von Conjunto Palmeira ist inzwischen 30 Jahre
alt. Im Jahre 1973 wurden die ersten Bewohner auf dem ehemaligen
Sumpfgebiet angesiedelt, nachdem sie ihre Unterkünfte durch
eine große Überschwemmung verloren hatten. Die Ansiedlung
erfolgte planlos, es gab weder Wasserversorgung noch
Abwasserregulierung, keine Stromversorgung oder sonstige
öffentliche Dienstleistungen. Drei Jahre später wurde die
erste Busverbindung zum Zentrum eingerichtet, zwei Jahre
später begann der Bau einer kleinen Kirche.
Die Einrichtung kirchlicher Basisgruppen (Comunidades Eclesiais
de Base) und intensive Jugendarbeit katholischer Priester
löste einen Prozess sozialer Organisation aus, dem die
damalige Militärregierung eine eigene Initiative
entgegensetzte: ein Gemeindezentrum mit zwei Sozialarbeiterinnen.
1979 folgte ein Gesundheitsposten und eine erste Schule. Der
Rückschlag kam Mitte der 1980er-Jahre, als wieder eine
Überschwemmung die Bewohner von rund 600 Häusern
obdachlos werden ließ. In diesem Jahr begannen die Bewohner
von Conjunto Palmeira, ihrer Forderung nach einem Dränagekanal
Nachdruck zu verleihen.
Bewohner griffen zur Selbsthilfe
Von den Behörden der Hauptstadt weitgehend alleinegelassen,
griffen die Bewohner zur Selbsthilfe, kümmerten sich um die
Entsorgung des Mülls und bauten gemeinschaftlich eine
Ziegelproduktion auf. Ein Jahr später beschlossen die
Einwohner, den 1.700 Meter langen Kanal in eigener Regie und
eigener Arbeitskraft zu bauen. Ein lokaler Rat wurde gebildet, der
eine so genannte Managementeinheit aus Bewohnern des Stadtteils
gründete. Diese erhielt nach langen Verhandlungen die
notwendigen Mittel zum Kauf von Baumaterialien und zur Anmietung
von Maschinen. Der Kanal, in den die Bürger von Conjunto
Palmeira so viele Hoffnungen setzten, wurde 1995
fertiggestellt.
Etwa zur gleichen Zeit wurden aus örtlichen Zuschüssen
finanzierte lokale "Verfügungsfonds" eingesetzt. Mit Hilfe
dieser Fonds erwarben die Bewohner des Stadtteils erste Erfahrungen
mit der eigenständigen Planung kleiner Projekte und der
Verwaltung der dafür notwendigen Finanzmittel. Als
nächster Schritt gründeten die Bewohnervereine mit Hilfe
eines Darlehens einen kleinen Rotationsfonds, der mit einem
Zu-schuss aus Mitteln der deutschen technischen Zusammenarbeit und
von OXFAM aufgestockt wurde. Einige Bewohner wurden in Fortaleza im
Bereich Finanzmanagement geschult - die Banco Palmas war
entstanden, und zwar aus der Erkenntnis heraus, dass die bereits
erreichten Verbesserungen in dem Wohnumfeld nur mit Hilfe
höherer Einkommen auch Bestand haben würden.
Die Kredite der Banco Palmas kommen hauptsächlich den
Frauen zugute. Die Kreditkarte (PalmaCard) ist nur in dem Stadtteil
Palmeiras gültig und soll den lokalen Einkauf durch die
Einwohner, insbesondere der Einwohnerinnen fördern. Viele von
ihnen haben keinen Zugang zum staatlichen Bankensystem mit seinen
extrem hohen Zinsen oder sie erhalten keinen Kredit mehr aufgrund
säumiger Ratenzahlungen. Die Zinsen liegen zwischen 1,5 und
drei Prozent im Monat.
Kunsthandwerk "PalmArt"
Zwölf durch die Banco Palmas finanzierte Näherinnen
haben sich zur Produktionsgruppe "PalmaFashion" zusammen
geschlossen. Zehn weitere Frauen, die das neue Kreditsystem sehr
erfolgreich nutzen, bieten Kunsthandwerk unter dem Motto "PalmArt"
an. Nach drei Jahren besitzt die lokale Bank bereits 920 Kunden und
hat 446 Kredite an Kleinstunternehmer und 1.220 Konsumkredite
vergeben. In den 94 Geschäften, in denen die PalmaCard
zugelassen war, stieg der Umsatz um durchschnittlich 40 Prozent.
Durch die Finanzierung entstanden rund 500 Arbeitsplätze.
Es treten allerdings auch Probleme auf: Der durch die Arbeit von
Freiwilligen, Spenden und Mitteln der internationalen
Zusammenarbeit finanzierte Fonds trägt sich nicht selbst.
Damit dies der Fall ist, müsste der Kapitalstock
beträchtlich erhöht werden. In gleichem Maße
würden die Managementprobleme zunehmen.
Noch ist kein Ausweg aus dem Dilemma in Sicht. Was aber
zunächst für die Bewohner von Palmeira zählt, ist
der Impuls, der vor allem bei den Frauen ausgelöst wurde.
Hervorgerufen durch solidarisch begleitete Eigeninitiative sind sie
sich ihrer Möglichkeiten bewusst geworden. Viele von ihnen
sind heute nicht mehr allein von dem abhängig, was ihre
Männer durch Gelegenheitsarbeit verdienen. Das stärkt ihr
Selbstbewusstsein und macht sie freier für Aktionen
ähnlicher Art.
Die Erfolge in der Bekämpfung der Armut sind
beträchtlich und geben in ihrer positiven Wirkung inzwischen
weit über die Grenzen von Palmeira hinaus in der aktuellen
brasilianischen Diskussion über solidarische Wirtschaftsformen
ein viel beachtetes Beispiel. Die inzwischen gewonnenen Erfahrungen
zeigen mehr als deutlich, dass Frauen in außerordentlich
schwierigen Situationen mit verhältnismäßig
bescheidenen Mitteln dennoch nachhaltige Verbesserungen für
sich selbst und ihre Familien zu erzielen vermögen.
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