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Thomas Veser
Die Polen büffeln
Verwaltungsvorschriften
Nach dem EU-Beitritt: Ein gewaltiger
Nachholbedarf an Know-how
Den Ländern Ostmitteleuropas verlangt die
Anpassung ihrer Verwaltungsstrukturen im Hinblick auf den
vollzogenen Beitritt zur Europäischen Union einen ziemlichen
Kraftakt ab. Der Beitrag zeigt am Beispiel der westpolnischen
Region Wielkopolska die Schwierigkeiten, aber auch die Chancen
dieses Prozesses.
Die ersten Eindrücke während ihres
Praktikums in der Brüsseler EU-Zentrale schienen Anna
Zielinskas dunkle Vorahnungen nur zu bestätigen: Tausende von
Seiten Verwaltungsvorschriften, ebenso viele Experten und eine
weltfremde Bürokratie. Das könne doch in der Wirklichkeit
nicht funktionieren, dachte sich die 29-jährige Angestellte
der Verwaltung der westpolnischen Region Wielkopolska. Trotzdem
entschloss sich Zielinska, die an der Universität Poznan
(Posen) zuvor Politikwissenschaften studiert hatte, für ein
zweites Praktikum in Brüssel. Und dabei erwarb sie auch
positive Erfahrungen. Es gelang ihr, Kontakte mit Angehörigen
der Europäischen Kommission und den Vertretungen deutscher
Bundesländer aufzubauen, dann verschaffte sie sich Einblicke
in das Europa der Regionen, schließlich machte sie sich mit
der Strukturpolitik vertraut. Vor allem in den
vernachlässigten Regionen könnten die Strukturbeihilfen
das Zusammenwachsen Europas beschleunigen, resümiert Anna
Zielinska, die Wielkopolska mit ihren neu erworbenen Kenntnissen
und einer kräftigen Portion Zuversicht über alle Grenzen
hinweg mit anderen Regionen vernetzt.
Als Angestellte des Posener Marschallamtes,
wie die regionale Verwaltungsbehörde heißt, half
Zielinska mit, ihre Heimatregion, die fast so groß ist wie
Nordrhein-Westfalen, auf den Beitritt Polens zur Europäischen
Union im Mai 2004 vorzubereiten. Für Wielkopolska, von Berlin
und Warschau aus jeweils in drei Bahnstunden erreichbar, steht
einiges auf dem Spiel: Von den rund 11,4 Milliarden Euro, die Polen
in den ersten drei Jahren nach dem Beitritt aus dem
EU-Strukturfonds erhalten soll, sollen 191 Millionen Euro der
westpolnischen Region zugute kommen.
Nun ist das Land um die 600.000 Einwohner
zählende Messestadt Posen zwar eine von Polens
Wachstumsregionen, die bei Auslandinvestoren einen guten Ruf haben.
Doch die verkümmerte Infrastruktur muss zuerst allmählich
auf das in der EU übliche Niveau gehoben werden. Dass
Förderanträge korrekt ausgefüllt und geltende
EU-Normen eingehalten werden, ist Aufgabe von Anna Zielinska und
ihren Kollegen, die sich dafür in Brüssel und in der
Partnerregion Hessen vorbereitet haben. Unterstützt wurden sie
während der Zeit ihres Praktikums von der gemeinnützigen
Hertie-Stiftung in Frankfurt am Main. Diese stellt für das
Projekt, das rund 30 jüngeren Bediensteten der Posener
Regionalbehörden Praktika ermöglicht, 160.000 Euro zur
Verfügung.
Nach dem Willen der Stiftung, die sich auf
diese Weise einen "bürgernahen" Beitrag zur europäischen
Integration erhofft, sollen die Praktikanten dereinst den harten
Kern einer funktionstüchtigen Regionalverwaltung bilden. Wie
weit entfernt Wielkopolska von diesem Ideal noch ist,
bekräftigt Stefan Mikolajczak, der als aus Wahlen
hervorgegangener Marschall (Leiter der regionalen Selbstverwaltung)
ein Gegengewicht zum Woiwoden bildet. Der von oben ernannte Woiwode
vertritt als verlängerter Arm Warschaus die zentralstaatliche
Verwaltung, die in Polen auch nach der 1999 erfolgten
Verwaltungsreform noch zahlreiche Aufgaben in den Regionen
wahrnimmt. Er residiert in einem Nachkriegszweckbau, in dem auch
dem Marschall und seinen Mitarbeitern sozusagen als Untermietern
Räume zugewiesen wurden.
Polens Regionen, deren Zahl bei der
territorialen Neugliederung des Landes auf Grund des Wunsches der
EU nach weniger, aber größeren Einheiten von 49 auf 16
reduziert worden war, sind etwas künstliche Gebilde, auf dem
Reißbrett entstanden. Die Regionalisierung sei ein zäher
Vorgang, erläutert der Marschall. Nach wie vor behindere die
Konzentration der Staatsmacht auf Warschau die regionale
Entwicklung, und immer noch werde um die klare Abgrenzung von
Zuständigkeiten gestritten. Fordere man für die eigenen
Aufgaben die nötigen Finanzmittel, dann klopfe einem Warschau
freundschaftlich auf die Schultern und sage lediglich: "Das kriegt
ihr schon selber hin", meint der Marschall
verärgert.
Tatsächlich herrscht in Polens
Staatskasse gähnende Leere, es bleibt in den Regionen nur die
Hoffnung auf gemeinschaftliche Strukturmittel. Mit Geld allein ist
es aber noch nicht getan, es muss in den
Zuständigkeitsbereichen der Region, darunter Gesundheitswesen,
Bildung, Umweltschutz und Wirtschaftsförderung, auch sinnvoll
eingesetzt werden.
Einblicke in eine funktionierende
Regionalverwaltung verschaffen sich die Posener Hospitanten in der
Wiesbadener Staatskanzlei und dann in der Brüsseler
Landesvertretung. Dort werden sie in Teams einbezogen und je nach
Interessengebiet individuell betreut. Diesen Weg beschritt auch die
37-jährige Beata Joanna Lozinska, die nach dem Abschluss ihres
Kunstgeschichtsstudiums die Beamtenlaufbahn wählte. "Seit
Mitte der 90er-Jahre spürten wir, dass sich Polen endlich
öffnet", berichtet sie. Allmählich sei der gigantische
Nachholbedarf an Verwaltungs-Know-how deutlich geworden. Lozinska
näherte sich dem Brüsseler EU-Räderwerk, indem sie
sich in das Internet-Angebot der Kommission einarbeiten ließ
und ihre Posener Mitarbeiter anschließend auf diesem Gebiet
schulte. Ihre anfängliche Euphorie über das von unten
entstehende Europa der Regionen erhielt nach einigen Besuchen im
Ausschuss der Regionen empfindliche Dämpfer: Dieser Ausschuss
berät, wirkliche Macht besitzt er aber nicht, musste sie
erkennen; ihr ausgeprägtes Selbstvertrauen ist daran jedoch
nicht zerbrochen.
Inzwischen muss sie sich mit Anna Zielinska,
Przemek Bialczyk und Radoslaw Krawczykowski wieder den
Herausforderungen des Posener Behördenalltags stellen. In
Wiesbaden und Brüssel gebe es für jedes Sachgebiet einen
Experten, der nur dafür zuständig sei, dort herrschten
ganz andere Bedingungen, erinnert sich der Germanist und
Sprachwissenschafter Bialczyk. Da die polnischen
Regionalbehörden erst im Aufbau begriffen seien, müsse
jeder qualifizierte Mitarbeiter wohl oder übel sämtliche
Themengebiete behandeln, fügt er hinzu.
Im siebten Stock eines Verwaltungsblocks an
der Posener Bäckerstraße teilen sich die ehemaligen
Praktikanten einen bescheidenen Raum, in dem gleichzeitig alles
bewältigt werden soll: Die wenigen Bediensteten müssen
pausenlos Anfragen beantworten, neue Bestimmungen formulieren und
sich selbst weiterbilden: Polnische Verwaltungsbeamte der
Übergangsphase haben nicht eben beneidenswerte
Arbeitsbedingungen. Unter diesen widrigen Umständen lässt
sich nur schwer ein Konzept für die Behördenarbeit
entwickeln. Und bisweilen kommt es vor, dass zurückgekehrte
Praktikanten bei ihren Initiativen gebremst werden. Allerdings
dürfte kein Vorsatz dahinter stecken, glaubt
Zielinska.
Zwar herrscht am renommierten
Hochschulstandort Posen durchaus kein Mangel an geeigneten
Universitätsabgängern; stärker als die Aussicht auf
eine Beamtenlaufbahn wirkt jedoch der Lockruf des Geldes:
Während Zielinska und Mitarbeiter mit höherer
Qualifikation Monatsgehälter in Höhe von umgerechnet 500
Euro erhalten, bietet die Privatwirtschaft bis zu viermal so viel
an. Allerdings mit einem Haken, wie der Politikwissenschafter
Krawczykowski versichert: Überraschende Kündigungen
gehörten in der Privatwirtschaft zum Alltagsleben. Dagegen
garantiere die Behörde bei geringeren Löhnen
Stabilität, da könne man die Zukunft besser planen. Aller
Voraussicht nach wird das Posener Marschallamt auch künftig
mit einer dünnen Personaldecke über die Runden kommen
müssen. Und weil qualifizierte Mitarbeiter fehlen, wird die
Freistellung geeigneter Praktikanten, die nach Wiesbaden und
Brüssel dürfen, zum mühsamen Tauziehen mit den
Vorgesetzten. Denn diese klagen darüber, dass man ihnen
dringend benötigte Arbeitskräfte entziehe.
Fachkräftemangel herrscht auch am
regionalen Zentrum für Sozial- und Fürsorgepolitik, wo
die 27-jährige Izabela Fabis angestellt ist. Trotz dieser
Probleme ist es der dynamischen Psychologin gelungen, sich für
ein sechswöchiges Praktikum in Hessen freistellen zu lassen.
Sie wolle schließlich wissen, wie Wohlfahrtsverbände in
Deutschland wirken, um dann zu prüfen, ob sie die gewonnenen
Erfahrungen auch in ihre tägliche Arbeit einbringen
könne, erläutert sie selbstbewusst. Ihr noch
ungebrochener Optimismus wirkt außerordentlich
ansteckend.
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