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Das Parlament
Nr. 28 / 05.07.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Matthias Lohre

Posemuckel macht sich fit für den Weltmarkt und kämpft gegen ein Klischee

Das bayerische Erfolgsmodell "Laptop und Lederhose" auf polnische Art?

Das Wort "Posemuckel" ist für Deutsche der Inbegriff für Hinterwäldlertum und Langeweile. Dabei lebt das polnische Dorf vor, wie man globalen Wettbewerb und Heimatverbundenheit miteinander verbindet. Die EU-Mitgliedschaft haben seine Einwohner nicht abgewartet.

Die Szene ist einfach zu schön, um sie nicht symbolisch zu verstehen: Über den Flur der Grundschule dringt etwas herüber, das nur Eltern und eingeschworene Posemuckler als Musik bezeichnen können. Auf "Hochzeitsböcken", einer Art polnischem Dudelsack, spielen Kinder ein lokales Volkslied. Das tun sie gleichzeitig und mit verbesserungswürdigem Rhythmusgefühl. Streng, aber wohlwollend blicken der alte Musiklehrer und der stellvertretende Gemeindebürgermeister auf die Kleinen. Die Mitschüler im Computerraum lassen sich bei alledem in ihrer Konzentration nicht stören. Im Computerraum sitzen die Kinder vor den Bildschirmen und erforschen im Religionsunterricht das Internet. Die Heimatklänge gehören zum Alltag. Die Welt in Posemuckel dreht sich um die Heimat, und zugleich im Tempo, das die Globalisierung vorgibt.

Dabei kann, wer sich auf den Weg nach Posemuckel macht, das Dorf bei der Fahrt auf der asphaltierten Landstraße schnell verpassen. Eine Kirche aus den 60er-Jahren, ein Kiosk, auf dessen Dach die blaue Pepsi-Reklame langsam verbleicht, und dazwischen eine Straße, die diesen Namen angesichts all der Schlaglöcher kaum verdient. Wenige Meter weiter steht ein zweistöckiger Neubau, dessen gelbe Fassade aus dem Grau der Häuser und dem Grün der Felder heraus- sticht: die Grundschule von Posemuckel. 1992 gebaut, kein Prachtbau, aber eine funktionale Lehranstalt für die Internet-Surfer und Hochzeitsbock-Spieler, 50 Schüler insgesamt. Und weil das Bild dieser Schule und seiner Schüler so symbolisch gedeutet werden kann, lässt sich daran neben Lokalpatriotismus und Weltoffenheit noch etwas zeigen, das diese Menschen hier so besonders macht. Ihre Zuversicht nämlich, dass alles besser wird, wenn man sich nur anstrengt.

"Laptop und Lederhose" auf Polnisch also? Aber so einfach ist es nicht. Posemuckel ist nicht Passau. Und der Bezirk Lubuskie (Lebuser Land), in dem das Dorf liegt, ist schon gar nicht Bayern. Auf vielen Landkarten ist das Fleckchen 100 Kilometer östlich von Frankfurt/Oder nicht einmal verzeichnet. Dabei gibt es das Dorf gleich zwei Mal nebeneinander: Podmokle Male und Podmokle Wielkie (Klein- und Groß-Posemuckel), insgesamt 700 Menschen. Sie gehören zur Gemeinde Babimost (Bomst) mit 6.500 Einwohnern. Mitten in der dicht bewaldeten und strukturschwachen Verwaltungsregion (Woiwodschaft) Lubuskie ist Posemuckel eine wirtschaftliche Oase. Während in der Woiwodschaft jeder vierte Erwerbsfähige keine Arbeit hat und auf Landesebene jeder fünfte, liegt die Arbeitslosenrate hier bei nur sechs Prozent.

In Deutschland hat man davon bislang nicht Notiz genommen. Der Name des Fleckchens steht hierzulande immer noch für Rückständigkeit und Verschlafenheit. "Posemuckel in Berlin" etwa titeln Zeitungen hierzulande gerne, um die angebliche Provinzialität der Hauptstadt anzuprangen. Und sinnfrei dichtete Bertolt Brecht in einem Tiervers: "Es war einmal ein Kamel / Das sah in Posemuckel / Einen Mann mit einem Buckel / Es blickt auf ihn scheel / Und sagte: Nebenbei / Ich habe zwei." Ob des Reimes willen oder als offene Beleidigung: Seit dem späten 19. Jahrhundert schwirrt im deutschen Sprachgebrauch das Wort "Posemuckel" umher. Auch die Umbenennung in "Posenbrück" zu Zeiten deutscher Herrschaft und der heutige Name Podmokle haben daran nichts ändern können. "Dabei sind die Menschen hier sehr fleißig, und solche Klischees schmerzen sie sehr", sagt der stellvertretende Gemeindebürgermeister Zbigniew Wozinski.

Diese Anstrengungen lassen sich nirgends besser zeigen an der Firma Swedwood, einem der größten Arbeitgeber am Ort. Was hier zusammengebaut wird, steht in fast jeder Wohnung in Europa: Fertigregale des Möbelriesen Ikea, aus Holzspänen gefertigt und in braune Kartons verpackt in der Gemeinde Babimost. 540 Menschen arbeiten im hiesigen Werk, das aus-schließlich für den Weltkonzern produziert. Wer hier am Fließband Regale verpackt und auf Lastwagen in alle Welt verlädt, verdient sieben Zloty pro Stunde. Das sind weniger als zwei Euro. 100 Kilometer westlich, jenseits der polnisch-deutschen Grenze, kann mit solchen Preisen niemand konkurrieren. Durchschnittlich 1.300 Zloty brutto verdient ein Fabrikarbeiter hier monatlich. Das entspricht dem polnischen Durchschnittseinkommen, liegt aber zehn Prozent über dem Normalverdienst im strukturschwachen Lubuskie.

Wenn die Posemuckler nach Westen schauen, richtet sich ihr Blick seit Jahren auch über Deutschland hinaus - nach Brüssel. Nicht erst seit der Aufnahme Polens in die EU hoffen hier viele, von den 12,5 Milliarden Euro EU-Hilfen zu profitieren, die bis 2006 Polen zugute kommen sollen. Mehr als die Hälfte der insgesamt 23 Milliarden Euro für die zehn EU-Neulinge fließen damit in das größte Beitrittsland. Auch Posemuckel hofft auf die Bewilligung seiner Anträge durch Warschau und Brüssel: Neue Straßenbeläge wünschen sich die Stadtväter, damit der Verkehr schneller fließt. Radwege, ein Schwimmbad und ein neuer Sportplatz sollen das Leben angenehmer machen und die Posemuckler in ihrer Heimat halten. Eine Eisenbahn-Anbindung und einen Flugplatz, die Wirtschaftsbetrieben die Ansiedlung schmackhaft machen, gibt es schon ganz in der Nähe. "Wie viel Geld wir genau bekommen werden, können wir heute noch nicht abschätzen", sagt Zbigniew Wozinski, der stellvertretende Gemeindebürgermeister. Allein darauf angewiesen sind sie nicht. Während er das sagt, restaurieren im Stockwerk über seinem Büro Bauarbeiter den Rathausturm. Die Posemuckler haben nicht die EU-Hilfen abgewartet, um sich schick für Europa zu machen. Schon seit Jahren machen sie sich fit für den Weltmarkt.

Dafür haben die Bewohner sprachliche Barrieren überwunden. Schon die Erstklässler lernen in Posemuckel Fremdsprachen. "Deutsch ist hier so beliebt wie Englisch", sagt Katarzyna Szaranska, "dabei wird Deutsch erst seit diesem Schuljahr an unserer Schule angeboten." Die 24-Jährige lässt sich hier, weitab von ihrer Heimat Breslau (Wroclaw), zur Deutschlehrerin ausbilden. Mehrmals bittet sie im Gespräch um Verzeihung für ihre Aussprache und fragt: "Habe ich das richtig gesagt?" Wenn sie mit ihren Schülern redet, lächelt sie oft, um die Siebenjährigen zum freien Sprechen zu ermutigen. Dass Deutsch heute in der ehemaligen preußischen Provinz Posen wieder so beliebt wird, ist nicht selbstverständlich. Schließlich schüren Organisationen wie die so genannte Preußische Treuhand gerade wieder die Sorge bei vielen Polen, fast 60 Jahre nach Kriegsende ihr Hab und Gut zu verlieren. Nicht weit von hier, im nördlich gelegenen Städtchen Mierzecin (Merenthin), sorgte vor kurzem der Fall eines Vertriebenen für Schlagzeilen. Der 85-jährige Schlossherr forderte nicht nur das alte Anwesen seiner Vorfahren zurück, sondern propagierte die Rückgabe des südlichen Ostpreußens und Pommerns an Deutschland. Im Gegenzug könne Polen ja Teile Weißrusslands und der Ukraine zurückerhalten, schlug er vor und präsentierte sich bei der Gelegenheit als stellvertretender Vorsitzender der Preußischen Treuhand. So wenig Erfolg solche Ansinnen auf bundespolitischer Ebene in Deutschland auch haben: Bis heute fühlen sich viele Polen auf ihrem Grund und Boden nicht sicher und reagieren dementsprechend empfindlich auf derlei Meldungen. Furcht vor einer Rückkehr der westlichen Nachbarn kann auch die junge Deutschlehrerin nicht leugnen, wenn auch widerstrebend: "Leider habe ich manchmal Angst, das stimmt. Aber ich hoffe, dass wir das ändern können." Dabei genießen Deutsche hier eigentlich einen guten Ruf. Touristen jenseits der Oder besuchen die Heimat ihrer Vorfahren. Jährlich kommen die Freunde aus Neuruppin ins Dorf, der brandenburgischen Partnerstadt seit DDR-Zeiten. Mancher wird dabei auch die neue Ausstellung zur Geschichte Posemuckels besuchen. Besonders stolz verweisen die ehrenamtlichen Mitarbeiter alte Akten und Postkarten aus dem Kaiserreich.

Weite Landschaftsblicke, alte Alleen und endloser Himmel - gut und schön. Aber auf den Tourismus allein will sich hier niemand verlassen, sondern auf die Attraktivität als Wirtschaftsstandort. "Der Tourismus ist eine gute Sache. Aber damit beschäftigen wir uns im Moment nicht. Industrie ist wichtiger", sagt Gemeinde-Vize Wozinski. Damit Posemuckels Wachstum weitergeht, lockt die Gemeinde mit niedrigen Abgaben. Trotz der Erfolge schmerzt Wozinski, dass sein Heimatort in deutschen Köpfen seit Generationen als Sinnbild von Rückständigkeit und Langeweile verankert ist. Ob man das alte Pferdegespann bemerkt habe, das sich gerade über die Dorfstraße geschleppt hat, möchte der betreten dreinblickende Bürgermeister beim Abschied wissen. Als die Antwort negativ ausfällt, hellt sich sein Gesichtsausdruck wieder auf. Solche Fuhrwerke gebe es nämlich nur noch ganz vereinzelt in der Gegend. "Sie sind wirklich ganz untypisch für Posemuckel."

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