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Matthias Lohre
Posemuckel macht sich fit für den Weltmarkt
und kämpft gegen ein Klischee
Das bayerische Erfolgsmodell "Laptop und
Lederhose" auf polnische Art?
Das Wort "Posemuckel" ist für Deutsche der Inbegriff
für Hinterwäldlertum und Langeweile. Dabei lebt das
polnische Dorf vor, wie man globalen Wettbewerb und
Heimatverbundenheit miteinander verbindet. Die EU-Mitgliedschaft
haben seine Einwohner nicht abgewartet.
Die Szene ist einfach zu schön, um sie nicht symbolisch zu
verstehen: Über den Flur der Grundschule dringt etwas
herüber, das nur Eltern und eingeschworene Posemuckler als
Musik bezeichnen können. Auf "Hochzeitsböcken", einer Art
polnischem Dudelsack, spielen Kinder ein lokales Volkslied. Das tun
sie gleichzeitig und mit verbesserungswürdigem
Rhythmusgefühl. Streng, aber wohlwollend blicken der alte
Musiklehrer und der stellvertretende Gemeindebürgermeister auf
die Kleinen. Die Mitschüler im Computerraum lassen sich bei
alledem in ihrer Konzentration nicht stören. Im Computerraum
sitzen die Kinder vor den Bildschirmen und erforschen im
Religionsunterricht das Internet. Die Heimatklänge
gehören zum Alltag. Die Welt in Posemuckel dreht sich um die
Heimat, und zugleich im Tempo, das die Globalisierung vorgibt.
Dabei kann, wer sich auf den Weg nach Posemuckel macht, das Dorf
bei der Fahrt auf der asphaltierten Landstraße schnell
verpassen. Eine Kirche aus den 60er-Jahren, ein Kiosk, auf dessen
Dach die blaue Pepsi-Reklame langsam verbleicht, und dazwischen
eine Straße, die diesen Namen angesichts all der
Schlaglöcher kaum verdient. Wenige Meter weiter steht ein
zweistöckiger Neubau, dessen gelbe Fassade aus dem Grau der
Häuser und dem Grün der Felder heraus- sticht: die
Grundschule von Posemuckel. 1992 gebaut, kein Prachtbau, aber eine
funktionale Lehranstalt für die Internet-Surfer und
Hochzeitsbock-Spieler, 50 Schüler insgesamt. Und weil das Bild
dieser Schule und seiner Schüler so symbolisch gedeutet werden
kann, lässt sich daran neben Lokalpatriotismus und
Weltoffenheit noch etwas zeigen, das diese Menschen hier so
besonders macht. Ihre Zuversicht nämlich, dass alles besser
wird, wenn man sich nur anstrengt.
"Laptop und Lederhose" auf Polnisch also? Aber so einfach ist es
nicht. Posemuckel ist nicht Passau. Und der Bezirk Lubuskie
(Lebuser Land), in dem das Dorf liegt, ist schon gar nicht Bayern.
Auf vielen Landkarten ist das Fleckchen 100 Kilometer östlich
von Frankfurt/Oder nicht einmal verzeichnet. Dabei gibt es das Dorf
gleich zwei Mal nebeneinander: Podmokle Male und Podmokle Wielkie
(Klein- und Groß-Posemuckel), insgesamt 700 Menschen. Sie
gehören zur Gemeinde Babimost (Bomst) mit 6.500 Einwohnern.
Mitten in der dicht bewaldeten und strukturschwachen
Verwaltungsregion (Woiwodschaft) Lubuskie ist Posemuckel eine
wirtschaftliche Oase. Während in der Woiwodschaft jeder vierte
Erwerbsfähige keine Arbeit hat und auf Landesebene jeder
fünfte, liegt die Arbeitslosenrate hier bei nur sechs
Prozent.
In Deutschland hat man davon bislang nicht Notiz genommen. Der
Name des Fleckchens steht hierzulande immer noch für
Rückständigkeit und Verschlafenheit. "Posemuckel in
Berlin" etwa titeln Zeitungen hierzulande gerne, um die angebliche
Provinzialität der Hauptstadt anzuprangen. Und sinnfrei
dichtete Bertolt Brecht in einem Tiervers: "Es war einmal ein Kamel
/ Das sah in Posemuckel / Einen Mann mit einem Buckel / Es blickt
auf ihn scheel / Und sagte: Nebenbei / Ich habe zwei." Ob des
Reimes willen oder als offene Beleidigung: Seit dem späten 19.
Jahrhundert schwirrt im deutschen Sprachgebrauch das Wort
"Posemuckel" umher. Auch die Umbenennung in "Posenbrück" zu
Zeiten deutscher Herrschaft und der heutige Name Podmokle haben
daran nichts ändern können. "Dabei sind die Menschen hier
sehr fleißig, und solche Klischees schmerzen sie sehr", sagt
der stellvertretende Gemeindebürgermeister Zbigniew
Wozinski.
Diese Anstrengungen lassen sich nirgends besser zeigen an der
Firma Swedwood, einem der größten Arbeitgeber am Ort. Was
hier zusammengebaut wird, steht in fast jeder Wohnung in Europa:
Fertigregale des Möbelriesen Ikea, aus Holzspänen
gefertigt und in braune Kartons verpackt in der Gemeinde Babimost.
540 Menschen arbeiten im hiesigen Werk, das aus-schließlich
für den Weltkonzern produziert. Wer hier am Fließband
Regale verpackt und auf Lastwagen in alle Welt verlädt,
verdient sieben Zloty pro Stunde. Das sind weniger als zwei Euro.
100 Kilometer westlich, jenseits der polnisch-deutschen Grenze,
kann mit solchen Preisen niemand konkurrieren. Durchschnittlich
1.300 Zloty brutto verdient ein Fabrikarbeiter hier monatlich. Das
entspricht dem polnischen Durchschnittseinkommen, liegt aber zehn
Prozent über dem Normalverdienst im strukturschwachen
Lubuskie.
Wenn die Posemuckler nach Westen schauen, richtet sich ihr Blick
seit Jahren auch über Deutschland hinaus - nach Brüssel.
Nicht erst seit der Aufnahme Polens in die EU hoffen hier viele,
von den 12,5 Milliarden Euro EU-Hilfen zu profitieren, die bis 2006
Polen zugute kommen sollen. Mehr als die Hälfte der insgesamt
23 Milliarden Euro für die zehn EU-Neulinge fließen damit
in das größte Beitrittsland. Auch Posemuckel hofft auf
die Bewilligung seiner Anträge durch Warschau und
Brüssel: Neue Straßenbeläge wünschen sich die
Stadtväter, damit der Verkehr schneller fließt. Radwege,
ein Schwimmbad und ein neuer Sportplatz sollen das Leben angenehmer
machen und die Posemuckler in ihrer Heimat halten. Eine
Eisenbahn-Anbindung und einen Flugplatz, die Wirtschaftsbetrieben
die Ansiedlung schmackhaft machen, gibt es schon ganz in der
Nähe. "Wie viel Geld wir genau bekommen werden, können
wir heute noch nicht abschätzen", sagt Zbigniew Wozinski, der
stellvertretende Gemeindebürgermeister. Allein darauf
angewiesen sind sie nicht. Während er das sagt, restaurieren
im Stockwerk über seinem Büro Bauarbeiter den
Rathausturm. Die Posemuckler haben nicht die EU-Hilfen abgewartet,
um sich schick für Europa zu machen. Schon seit Jahren machen
sie sich fit für den Weltmarkt.
Dafür haben die Bewohner sprachliche Barrieren
überwunden. Schon die Erstklässler lernen in Posemuckel
Fremdsprachen. "Deutsch ist hier so beliebt wie Englisch", sagt
Katarzyna Szaranska, "dabei wird Deutsch erst seit diesem Schuljahr
an unserer Schule angeboten." Die 24-Jährige lässt sich
hier, weitab von ihrer Heimat Breslau (Wroclaw), zur
Deutschlehrerin ausbilden. Mehrmals bittet sie im Gespräch um
Verzeihung für ihre Aussprache und fragt: "Habe ich das
richtig gesagt?" Wenn sie mit ihren Schülern redet,
lächelt sie oft, um die Siebenjährigen zum freien
Sprechen zu ermutigen. Dass Deutsch heute in der ehemaligen
preußischen Provinz Posen wieder so beliebt wird, ist nicht
selbstverständlich. Schließlich schüren
Organisationen wie die so genannte Preußische Treuhand gerade
wieder die Sorge bei vielen Polen, fast 60 Jahre nach Kriegsende
ihr Hab und Gut zu verlieren. Nicht weit von hier, im nördlich
gelegenen Städtchen Mierzecin (Merenthin), sorgte vor kurzem
der Fall eines Vertriebenen für Schlagzeilen. Der
85-jährige Schlossherr forderte nicht nur das alte Anwesen
seiner Vorfahren zurück, sondern propagierte die Rückgabe
des südlichen Ostpreußens und Pommerns an Deutschland. Im
Gegenzug könne Polen ja Teile Weißrusslands und der
Ukraine zurückerhalten, schlug er vor und präsentierte
sich bei der Gelegenheit als stellvertretender Vorsitzender der
Preußischen Treuhand. So wenig Erfolg solche Ansinnen auf
bundespolitischer Ebene in Deutschland auch haben: Bis heute
fühlen sich viele Polen auf ihrem Grund und Boden nicht sicher
und reagieren dementsprechend empfindlich auf derlei Meldungen.
Furcht vor einer Rückkehr der westlichen Nachbarn kann auch
die junge Deutschlehrerin nicht leugnen, wenn auch widerstrebend:
"Leider habe ich manchmal Angst, das stimmt. Aber ich hoffe, dass
wir das ändern können." Dabei genießen Deutsche hier
eigentlich einen guten Ruf. Touristen jenseits der Oder besuchen
die Heimat ihrer Vorfahren. Jährlich kommen die Freunde aus
Neuruppin ins Dorf, der brandenburgischen Partnerstadt seit
DDR-Zeiten. Mancher wird dabei auch die neue Ausstellung zur
Geschichte Posemuckels besuchen. Besonders stolz verweisen die
ehrenamtlichen Mitarbeiter alte Akten und Postkarten aus dem
Kaiserreich.
Weite Landschaftsblicke, alte Alleen und endloser Himmel - gut
und schön. Aber auf den Tourismus allein will sich hier
niemand verlassen, sondern auf die Attraktivität als
Wirtschaftsstandort. "Der Tourismus ist eine gute Sache. Aber damit
beschäftigen wir uns im Moment nicht. Industrie ist
wichtiger", sagt Gemeinde-Vize Wozinski. Damit Posemuckels Wachstum
weitergeht, lockt die Gemeinde mit niedrigen Abgaben. Trotz der
Erfolge schmerzt Wozinski, dass sein Heimatort in deutschen
Köpfen seit Generationen als Sinnbild von
Rückständigkeit und Langeweile verankert ist. Ob man das
alte Pferdegespann bemerkt habe, das sich gerade über die
Dorfstraße geschleppt hat, möchte der betreten
dreinblickende Bürgermeister beim Abschied wissen. Als die
Antwort negativ ausfällt, hellt sich sein Gesichtsausdruck
wieder auf. Solche Fuhrwerke gebe es nämlich nur noch ganz
vereinzelt in der Gegend. "Sie sind wirklich ganz untypisch
für Posemuckel."
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