Christian Hacke
Der allzu blasse Herausforderer
Zwei Bücher über den
Präsidentschaftskandidaten John F. Kerry
Der Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei,
John F. Kerry, steht in den USA seit 30 Jahren im Mittelpunkt der
Öffentlichkeit, hingegen ist der Senator aus Massachusetts den
Europäern, insbesondere den Deutschen erst als demokratischer
Präsidentschaftskandidat bekannt geworden. Deshalb greift man
mit Interesse zu zwei Biographien, die über Kerry als
möglichen nächsten Präsidenten der Vereinigten
Staaten Aufschluss geben.
Kerry wurde am 11. Dezember 1943 als Sohn eines amerikanischen
Diplomaten in Denver geboren, gilt aber als ein Mann ohne wirkliche
geographische Wurzeln. Er gehört einer altehrwürdigen
Familie aus Massachusetts an, die aber dem jungen Kerry weder
Reichtum, Einfluss noch familiäre Wärme vermitteln
konnte. Hieraus erklärt sich viel für seinen
künftigen Lebenslauf. Als Diplomatensohn lernte Kerry als
zwölfjähriger auch Deutschland und Berlin kennen, wo sein
Vater als Rechtsberater des US-Hochkommissariats stationiert
war:
"Ich war zwölf Jahre alt", sagte Kerry, "es war ein
Spaß, ein Abenteuer. Ich weiß noch, dass ich Hitlers
Bunker sah. Mein Fahrrad war die große Freiheit, die
Möglichkeit, Eltern, Regeln und all diesen Sachen zu
entkommen." Er radelte nicht nur durchs Brandenburger Tor, sondern
verbrachte auch prägende Schuljahre in Internaten wie Montana
in der Schweiz und dann an der Ostküste der USA. John F.
Kennedy, den er im Umkreis seiner Familie kennenlernte, wurde ihm
zum politischen Vorbild.
Er durfte zwar Kennedy einmal die Hand schütteln und mit
ihm segeln, doch in dieser elitären Welt blieb er ein
Außenseiter, es fehlten ihm auch die finanziellen Mittel. So
blieb er nicht ohne Frustration an das Milieu der exklusiven Welt
der Reichen und Privilegierten gebunden.
"Für einen Irrtum sterben?"
Umso konsequenter und ehrgeiziger studierte er in Yale und
leistete dann in Vietnam seinen Militärdienst. Von seiner
ursprünglich patriotischen Einstellung blieb wenig übrig:
Erschüttert vom Tod naher Freunde und vom Anblick der Gewalt
gegen vietnamesische Soldaten und Zivilisten, wurde Kerry in den
USA an der Schwelle der 70er-Jahre kurzzeitig neben Jane Fonda zur
Ikone der Antikriegsbewegung: Unvergessen ist sein Auftritt vor dem
Kongress mit der Frage: "Wie können sie von einem Mann
verlangen, als letzter für einen Irrtum zu sterben?"
Kerrys politische Laufbahn in Massachusetts und später auf
dem Kapitol verlief bis 1990 in konventionellen Bahnen: Im Schutz
und Schatten von Senator Edward Kennedy kletterte er langsam, aber
stetig und unauffällig in der Hierarchie des Senats nach oben.
Anfang der 90er-Jahre wirkt Kerry mit, dass die USA unter der
Führung von Präsident Clinton ihre Beziehungen zu Vietnam
normalisieren. Kerry war und ist kein Pazifist, das machen diese
beiden Biographien deutlich, aber Vietnam beeinflusst sein
außenpolitisches Denken und Handeln, wie seine kritische
Haltung zur Mittelamerikapolitik der USA der 80er-Jahre und zu den
Golfkriegen 1991 und 2003 beweist.
Sowohl hü als auch hott
Beide Biographien sind nicht unkritisch, sie verweisen auch auf
Schwächen: Zu oft bezieht der Senator vieldeutig Stellung,
widerspricht sich oder will es allen Recht machen: 1991 stimmte
Kerry gegen den Golfkrieg, lobte dann aber den raschen Sieg von
Präsident George Bush sen. 2002 votierte er zunächst
für den Krieg gegen Saddam Hussein, verurteilte dann aber die
Invasion. So ist Kerry in den Geruch eines Opportunisten geraten -
schon 1971, als er gegen den Vietnamkrieg protestierte, in dem er
Orden und Ehrenzeichen über einen Zaun vor dem Kapitol warf,
dann aber erklärte, es habe sich lediglich um Orden gehandelt,
die einem anderen Veteranen gehört hätten.
Doch gerade die Biographie von Kranish, Mooney und Easton zeigt,
dass Kerry zu einem nachdenklichen und umsichtigen US-Senator
herangereift ist, seitdem er mit 41 Jahren in den Senat
gewählt wurde. Denn jenseits des politischen Erfolges war sein
Leben nicht ungetrübt: Seine erste Frau litt unter schweren
Depressionen; die Scheidung machte ihn einsam, dazu pflasterten
finanzielle Probleme seinen Lebensweg. Bis es schließlich das
Schicksal gut mit ihm meinte: zu Beginn der 90er-Jahre lernt er die
attraktive und intelligente Witwe von John Heinz, Erbe eines
riesigen Familienvermögens aus der Nahrungsmittelbranche
kennen und lieben. Theresa Heinz, Tochter eines portugiesischen
Krebsspezialisten an der Majoklinik, engagierte sich in
Südafrika gegen die Apartheidpolitik, war als Beraterin bei
der UNO in New York tätig, spricht fünf Sprachen
fließend und steht vor allem in dem Ruf, kein Blatt vor den
Mund zu nehmen. Ihr Einfluss auf Kerry ist nicht zu
unterschätzen, das machen beide Biographien deutlich.
Seit seiner Heirat 1995 lebt Kerry den ersehnten Stil der
Superreichen, bleibt aber in sozialpolitischen Fragen dem Gewissen
der Demokratischen Partei verpflichtet. So lässt sich als
Fazit festhalten: Sollte Kerry die Präsidentschaftswahlen
gewinnen, würde er die USA außen- und innenpolitisch
wieder auf die Grundlinien demokratischer Außenpolitik
verpflichten, wie sie seit Kennedy und Clinton gelegt wurden.
Doch während der Präsidentschaft von George W. Bush,
insbesondere unter dem Eindruck des 11. Septembers 2001 hat sich
auch das innenpolitische Klima in den USA verschoben. Kerry steht
für das liberale Amerika, das seit dem innenpolitischen Ruck
zur militanten Selbstbehauptung einen schwereren Stand hat. Durch
Bushs kontroverses Engagement im Irak wird eine außen- und
innenpolitische Militarisierung in Staat und Gesellschaft
befördert, die, zusammen mit dem neuen Trend zur
religiösen Erneuerung, die klassischen liberalen Attribute und
Amerikas Rolle als zivilisatorisches Vorbild in der Welt verblassen
lassen.
In beiden Biographien wird Kerry als ein Neuengland-Aristokrat
geschildert, der Probleme hat, eindeutig politisch Stellung zu
beziehen, dem Humor fehlt und dem es letztlich bis dato nicht
gelingt, Präsident Bushs Fehler und Versäumnisse in
wahlpolitische Vorteile umzumünzen.
Gerade dem deutschen Leser sei auf diesem Hintergrund die
Biographie von Wolfgang Koydl, dem renommierten Amerikaredakteur
der "Süddeutschen Zeitung", ans Herz gelegt. Koydl informiert
auf fesselnde Weise auch über das amerikanische
Regierungssystem, über amerikanische Wahlkampfpraktiken und
weiß, mit Verve zu schreiben.
So bleibt das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen im
November vorerst auch in der Einschätzung aller Autoren offen.
Dass das amerikanische Interesse an Kerry bis heute erstaunlich
gering geblieben ist, zeigt sich auch darin, dass die oben genannte
amerikanische Biographie bis heute kein Bestseller geworden
ist.
Kerry hat sich im Wahlkampf bisher als wenig zündend
erwiesen, so dass derzeit wohl kaum günstige Wetten auf seinen
Sieg abgeschlossen werden können. Ob es ihm in den letzten
Monaten noch gelingen kann, entscheidend gegenüber dem
Amtsinhaber zu punkten, bleibt vorerst offen.
Michael Kranish, Brian C. Mooney, Nina J. Easton
John F. Kerry. Der Herausforderer.
Rowohlt Berlin, Berlin 2004; 336 S., 19,80 Euro
Wolfgang Koydl
John Kerry. Eine neue Politik der Weltmacht USA?
Fischer Taschenbuch, Frankfurt 2004; 206 S., 7,90 Euro
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