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Das Parlament
Nr. 28 / 05.07.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Christian Hacke

Der allzu blasse Herausforderer

Zwei Bücher über den Präsidentschaftskandidaten John F. Kerry

Der Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei, John F. Kerry, steht in den USA seit 30 Jahren im Mittelpunkt der Öffentlichkeit, hingegen ist der Senator aus Massachusetts den Europäern, insbesondere den Deutschen erst als demokratischer Präsidentschaftskandidat bekannt geworden. Deshalb greift man mit Interesse zu zwei Biographien, die über Kerry als möglichen nächsten Präsidenten der Vereinigten Staaten Aufschluss geben.

Kerry wurde am 11. Dezember 1943 als Sohn eines amerikanischen Diplomaten in Denver geboren, gilt aber als ein Mann ohne wirkliche geographische Wurzeln. Er gehört einer altehrwürdigen Familie aus Massachusetts an, die aber dem jungen Kerry weder Reichtum, Einfluss noch familiäre Wärme vermitteln konnte. Hieraus erklärt sich viel für seinen künftigen Lebenslauf. Als Diplomatensohn lernte Kerry als zwölfjähriger auch Deutschland und Berlin kennen, wo sein Vater als Rechtsberater des US-Hochkommissariats stationiert war:

"Ich war zwölf Jahre alt", sagte Kerry, "es war ein Spaß, ein Abenteuer. Ich weiß noch, dass ich Hitlers Bunker sah. Mein Fahrrad war die große Freiheit, die Möglichkeit, Eltern, Regeln und all diesen Sachen zu entkommen." Er radelte nicht nur durchs Brandenburger Tor, sondern verbrachte auch prägende Schuljahre in Internaten wie Montana in der Schweiz und dann an der Ostküste der USA. John F. Kennedy, den er im Umkreis seiner Familie kennenlernte, wurde ihm zum politischen Vorbild.

Er durfte zwar Kennedy einmal die Hand schütteln und mit ihm segeln, doch in dieser elitären Welt blieb er ein Außenseiter, es fehlten ihm auch die finanziellen Mittel. So blieb er nicht ohne Frustration an das Milieu der exklusiven Welt der Reichen und Privilegierten gebunden.

"Für einen Irrtum sterben?"

Umso konsequenter und ehrgeiziger studierte er in Yale und leistete dann in Vietnam seinen Militärdienst. Von seiner ursprünglich patriotischen Einstellung blieb wenig übrig: Erschüttert vom Tod naher Freunde und vom Anblick der Gewalt gegen vietnamesische Soldaten und Zivilisten, wurde Kerry in den USA an der Schwelle der 70er-Jahre kurzzeitig neben Jane Fonda zur Ikone der Antikriegsbewegung: Unvergessen ist sein Auftritt vor dem Kongress mit der Frage: "Wie können sie von einem Mann verlangen, als letzter für einen Irrtum zu sterben?"

Kerrys politische Laufbahn in Massachusetts und später auf dem Kapitol verlief bis 1990 in konventionellen Bahnen: Im Schutz und Schatten von Senator Edward Kennedy kletterte er langsam, aber stetig und unauffällig in der Hierarchie des Senats nach oben. Anfang der 90er-Jahre wirkt Kerry mit, dass die USA unter der Führung von Präsident Clinton ihre Beziehungen zu Vietnam normalisieren. Kerry war und ist kein Pazifist, das machen diese beiden Biographien deutlich, aber Vietnam beeinflusst sein außenpolitisches Denken und Handeln, wie seine kritische Haltung zur Mittelamerikapolitik der USA der 80er-Jahre und zu den Golfkriegen 1991 und 2003 beweist.

Sowohl hü als auch hott

Beide Biographien sind nicht unkritisch, sie verweisen auch auf Schwächen: Zu oft bezieht der Senator vieldeutig Stellung, widerspricht sich oder will es allen Recht machen: 1991 stimmte Kerry gegen den Golfkrieg, lobte dann aber den raschen Sieg von Präsident George Bush sen. 2002 votierte er zunächst für den Krieg gegen Saddam Hussein, verurteilte dann aber die Invasion. So ist Kerry in den Geruch eines Opportunisten geraten - schon 1971, als er gegen den Vietnamkrieg protestierte, in dem er Orden und Ehrenzeichen über einen Zaun vor dem Kapitol warf, dann aber erklärte, es habe sich lediglich um Orden gehandelt, die einem anderen Veteranen gehört hätten.

Doch gerade die Biographie von Kranish, Mooney und Easton zeigt, dass Kerry zu einem nachdenklichen und umsichtigen US-Senator herangereift ist, seitdem er mit 41 Jahren in den Senat gewählt wurde. Denn jenseits des politischen Erfolges war sein Leben nicht ungetrübt: Seine erste Frau litt unter schweren Depressionen; die Scheidung machte ihn einsam, dazu pflasterten finanzielle Probleme seinen Lebensweg. Bis es schließlich das Schicksal gut mit ihm meinte: zu Beginn der 90er-Jahre lernt er die attraktive und intelligente Witwe von John Heinz, Erbe eines riesigen Familienvermögens aus der Nahrungsmittelbranche kennen und lieben. Theresa Heinz, Tochter eines portugiesischen Krebsspezialisten an der Majoklinik, engagierte sich in Südafrika gegen die Apartheidpolitik, war als Beraterin bei der UNO in New York tätig, spricht fünf Sprachen fließend und steht vor allem in dem Ruf, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Ihr Einfluss auf Kerry ist nicht zu unterschätzen, das machen beide Biographien deutlich.

Seit seiner Heirat 1995 lebt Kerry den ersehnten Stil der Superreichen, bleibt aber in sozialpolitischen Fragen dem Gewissen der Demokratischen Partei verpflichtet. So lässt sich als Fazit festhalten: Sollte Kerry die Präsidentschaftswahlen gewinnen, würde er die USA außen- und innenpolitisch wieder auf die Grundlinien demokratischer Außenpolitik verpflichten, wie sie seit Kennedy und Clinton gelegt wurden.

Doch während der Präsidentschaft von George W. Bush, insbesondere unter dem Eindruck des 11. Septembers 2001 hat sich auch das innenpolitische Klima in den USA verschoben. Kerry steht für das liberale Amerika, das seit dem innenpolitischen Ruck zur militanten Selbstbehauptung einen schwereren Stand hat. Durch Bushs kontroverses Engagement im Irak wird eine außen- und innenpolitische Militarisierung in Staat und Gesellschaft befördert, die, zusammen mit dem neuen Trend zur religiösen Erneuerung, die klassischen liberalen Attribute und Amerikas Rolle als zivilisatorisches Vorbild in der Welt verblassen lassen.

In beiden Biographien wird Kerry als ein Neuengland-Aristokrat geschildert, der Probleme hat, eindeutig politisch Stellung zu beziehen, dem Humor fehlt und dem es letztlich bis dato nicht gelingt, Präsident Bushs Fehler und Versäumnisse in wahlpolitische Vorteile umzumünzen.

Gerade dem deutschen Leser sei auf diesem Hintergrund die Biographie von Wolfgang Koydl, dem renommierten Amerikaredakteur der "Süddeutschen Zeitung", ans Herz gelegt. Koydl informiert auf fesselnde Weise auch über das amerikanische Regierungssystem, über amerikanische Wahlkampfpraktiken und weiß, mit Verve zu schreiben.

So bleibt das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen im November vorerst auch in der Einschätzung aller Autoren offen. Dass das amerikanische Interesse an Kerry bis heute erstaunlich gering geblieben ist, zeigt sich auch darin, dass die oben genannte amerikanische Biographie bis heute kein Bestseller geworden ist.

Kerry hat sich im Wahlkampf bisher als wenig zündend erwiesen, so dass derzeit wohl kaum günstige Wetten auf seinen Sieg abgeschlossen werden können. Ob es ihm in den letzten Monaten noch gelingen kann, entscheidend gegenüber dem Amtsinhaber zu punkten, bleibt vorerst offen.

Michael Kranish, Brian C. Mooney, Nina J. Easton

John F. Kerry. Der Herausforderer.

Rowohlt Berlin, Berlin 2004; 336 S., 19,80 Euro

Wolfgang Koydl

John Kerry. Eine neue Politik der Weltmacht USA?

Fischer Taschenbuch, Frankfurt 2004; 206 S., 7,90 Euro

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